Aus der Enzyklika »Inscrutabili Dei consilio« (21. April 1878): Zum Beginn seines Pontifikates. — Rundschreiben Leos XIII., Herder (Freiburg) I (1881), 2-8.
Zeitübel und ihre Ursache
. . . Gleich bei Beginn unseres Pontifikates stellt sich uns das traurige Bild aller Übel dar, die auf dem menschlichen Geschlechte allüberall lasten: diese soweit verbreitete Untergrabung der höchsten Wahrheiten, auf denen, wie auf einem festen Fundamente, der Bestand der menschlichen Gesellschaft ruht; diese Verwegenheit der Geister, die keine rechtmäßige Gewalt über sich dulden wollen; diese beständige Ursache von Zwietracht, aus der Kämpfe im Innern, wilde und blutige Kriege entstehen; die Verachtung der Gesetze, welche die Sitten regeln und die Gerechtigkeit beschützen; die unersättliche Gier nach den vergänglichen Dingen und Vergessenheit der ewigen bis zu jener wahnsinnigen Wut, in der so viele Unglückliche allenthalben ohne Scheu Hand an sich selbst legen; die leichtsinnige Verwaltung der öffentlichen Güter, deren Vergeudung und Unterschlagung; und dabei die Unverschämtheit jener, die, während sie am meisten betrügen, sich so gebärden, daß es scheint, sie seien die Vorkämpfer des Vaterlandes, der Freiheit und jedweden Rechtes; jene gewissermaßen todbringende Seuche endlich, welche die innersten Glieder der menschlichen Gesellschaft unvermerkt durchdringt, sie nicht zur Ruhe kommen läßt und ihr neue Umwälzungen und einen unheilvollen Ausgang ankündigt.
Die Ursache dieser Übel aber, wie wir überzeugt sind, liegt darin, daß jene heilige und erhabene Autorität der Kirche verachtet und hintangesetzt wurde, die im Namen Gottes dem Menschengeschlechte vorsteht und jedweder rechtmäßigen Autorität ein Schutz und Schirm ist. Da die Feinde der öffentlichen Ordnung dies wohl einsahen, so hielten sie nichts für geeigneter, um die Fundamente der Gesellschaft zu untergraben, als die Kirche Gottes in hartnäckigem Kampfe anzugreifen, und, indem sie durch schändliche Verleumdungen, als ob die Kirche der wahren bürgerlichen Gesittung im Wege stände, Mißgunst und Haß gegen sie erregten, ihre Autorität und ihren Einfluß von Tag zu Tag durch neue Wunden zu schwächen, die oberste Gewalt des römischen Papstes zu untergraben, der da Schirm und Hort der ewigen und unwandelbaren Grundsätze der Sitte und Gerechtigkeit ist. Daher stammen denn auch jene zu unserem Bedauern in sehr vielen Ländern erlassenen Gesetze, welche die göttliche Verfassung der katholischen Kirche zu erschüttern geeignet sind; daher die Hintansetzung der bischöflichen Gewalt, die Hindernisse, die man der Ausübung des geistlichen Amtes entgegenstellt, die Auflösung der religiösen Genossenschaften, die Einziehung der Güter, die den Dienern der Kirche und den Armen Unterhalt gaben. Daher ist es gekommen, daß die öffentlichen, der christlichen Liebe und Mildtätigkeit gewidmeten Anstalten der heilsamen Leitung durch die Kirche entzogen wurden; daher jene zügellose Freiheit, alles, was nur immer schlecht ist, zu lehren und zu veröffentlichen, während dagegen das Recht der Kirche auf den Unterricht und die Erziehung der Jugend in jeglicher Weise verletzt und unterdrückt wird. Und dahin zielt auch die Besitznahme der weltlichen Herrschaft, welche die göttliche Vorsehung vor vielen Jahrhunderten dem römischen Papste verliehen hat, damit er frei und ungehindert die ihm von Christus gegebene Gewalt zum ewigen Heile der Völker ausübe . . .
Enzyklika »Quod Apostolici muneris« (28. Dezember 1878). — Rundschreiben 1,27-51; — vgl Marmy—Schafer—Rohrbasser (MSR), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau, 118-130.
Über den Sozialismus
Wie es unser apostolisches Amt von uns forderte, haben wir alsbald zu Beginn unseres Pontifikates nicht unterlassen, durch ein Rundschreiben (Inscrut. Dei cons., ASSX [1890], 585-592), das wir an euch, ehrwürdige Brüder, richteten, hinzuweisen auf die todbringende Seuche, welche die innersten Glieder der menschlichen Gesellschaft durchdringt und ihr die äußerste Gefahr bereitet; zugleich haben wir auch auf die höchst wirksamen Heilmittel hingewiesen, durch welche sie wieder Rettung erlangen und den gewaltigen Gefahren, die ihr drohen, entfliehen kann. Aber die Übel, welche wir damals beklagten, sind seit kurzem derart gewachsen, daß wir uns genötigt sehen, wieder an euch unsere Worte zu richten, da der Prophet uns gewissermaßen in die Ohren ruft: »Rufe, höre nicht auf, wie eine Posaune erhebe deine Stimme (Is 58,1).« Ihr seht gewiß leicht ein, ehrwürdige Brüder, daß wir von der Partei jener Menschen reden, welche mit verschiedenen und fast barbarischen Namen Sozialisten, Kommunisten oder Nihilisten genannt werden und über die ganze Erde verbreitet sind und, durch ein verwerfliches Bündnis in engster Gemeinschaft miteinander stehend, nicht länger mehr durch das Dunkel verborgener Zusammenkünfte sich zu schützen suchen, sondern öffentlich und keck hervortreten, um ihren schon längst gehegten Plan, die Grundlagen jedweder bürgerlicher Gesellschaft umzustoßen, zur Ausführung zu bringen. Es sind nämlich jene, welche, wie das Wort Gottes sagt, »das Fleisch beflecken, die Obrigkeit verachten und die Würde lästern (Jud 8)«. Nichts von alldem, was nach göttlichem und menschlichem Rechte zur Wohlfahrt und zum Schmucke des Lebens weise geordnet ist, lassen sie unberührt, noch unverletzt. Den höheren Gewalten, denen nach der Lehre des Apostels jede Seele untertan sein soll, und die von Gott das Recht zu gebieten zu Lehen empfangen, verweigern sie den Gehorsam und verkünden eine vollständige Gleichheit aller Menschenrechte und Pflichten. Die auf der Natur beruhende Vereinigung zwischen Mann und Weib, selbst barbarischen Völkern heilig, entwürdigen sie, und das Band derselben, auf dem die häusliche Gesellschaft vorzugsweise ruht, lockern sie oder geben es sogar der Wollust preis. Hingerissen endlich von der Gier nach den gegenwärtigen Gütern, »welche die Wurzel aller Übel ist, und sich ihr ergebend, sind einige vom Glauben abgewichen (1Tim 6,10)«, bekämpfen sie das durch die Natur geheiligte Eigentumsrecht, und indem sie den Bedürfnissen aller Menschen zu dienen und ihren Wünschen zu entsprechen scheinen, suchen sie durch unsäglichen Frevel zu rauben und als Gemeingut zu erklären, was immer auf Grund rechtmäßiger Erbschaft, oder durch geistige und körperliche Arbeit oder durch Sparsamkeit erworben wurde. Und diese ungeheuerlichen Irrtümer verkünden sie in ihren Versammlungen, verbreiten sie durch Schriften, werfen sie durch eine Flut von Tagesblättern unter die Menge. Hierdurch erregten sie einen solchen Haß unter dem aufrührerischen Volke gegen die ehrwürdige Majestät und Gewalt der Herrscher, daß verbrecherische Verräter jede Zurückhaltung abwarfen und in kurzer Zeit mehr als einmal in gottlosem Wagnis gegen das Staatsoberhaupt selbst die Waffen kehrten.
Der Ursprung aus Rationalismus und Liberalismus
Diese Verwegenheit gewissenloser Menschen aber, welche von Tag zu Tag die bürgerliche Gesellschaft mit immer größerem Verderben bedroht und alle Gemüter mit Furcht und Angst erfüllt, hat ihren Grund und Ursprung in jenen giftträchtigen Lehren, welche vordem einem bösen Samen gleich unter die Völker ausgestreut wurden und nun zu ihrer Zeit solch todbringende Früchte getragen haben. Denn ihr wißt wohl, ehrwürdige Brüder, daß der erbitterte Kampf der zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts von den Neuerern gegen die katholische Kirche begonnen wurde, und der bis jetzt immer heftiger entbrannte, keinen anderen Zweck hat, als daß nach Ablehnung jeder Offenbarung und Zerstörung jeder übernatürlichen Ordnung die Erfindungen der Vernunft allein oder vielmehr deren Verirrungen zur Herrschaft gelangen. Dieser Irrtum, der mit Unrecht seinen Namen von der Vernunft herleitet, hat, wie von selbst, nicht bloß die Gemüter sehr vieler Menschen, sondern auch die bürgerliche Gesellschaft weithin druchdrungen, da er dem von Natur aus dem Menschen angeborenen Trieb nach Auszeichnung schmeichelt und denselben reizt und den Begierden jeder Art die Zügel schießen läßt. Daher hat man einer neuen und selbst für die Heiden unerhörten Gottlosigkeit sich schuldig gemacht, indem man Staatswesen gründete ohne jede Rücksicht auf Gott und die von ihm gesetzte Ordnung; die öffentliche Autorität, so lehrt man, habe weder ihren Ursprung, noch ihre Majestät, noch ihre Befehlsgewalt von Gott, sondern vielmehr von der Volksmasse, welche, jeder göttlichen Satzung ledig, nur jenen Gesetzen zu unterstehen sich herbeiließ, die sie selbst nach Gutdünken gegeben hatte. Nachdem man die übernatürlichen Glaubenswahrheiten als vernunftwidrig bekämpft und verworfen, wird der Urheber und Erlöser des menschlichen Geschlechtes selbst nach und nach in steigendem Maße aus den Hoch- und Mittelschulen und aus allen öffentlichen Bereichen des menschlichen Lebens verbannt. Da man endlich die Belohnungen und Strafen des ewigen Lebens vergessen hat, so beschränkt sich das glühende Verlangen nach Glück auf den engen Kreis dieses irdischen Lebens. Indem nun solche Lehre überallhin verbreitet wurde, und allenthalben diese wilde Zügellosigkeit in Denken und Handeln ins Leben trat, ist es nicht zu verwundern, daß Leute aus dem niedersten Stande, ihrer armen Wohnung oder Werkstätte überdrüssig, über die Paläste und Güter der Reicheren herzufallen verlangen; ebenso ist es nicht zu verwundern, daß im öffentlichen und häuslichen Leben keine Sicherheit mehr besteht, und das menschliche Geschlecht bereits am Rande des Verderbens angelangt ist …
Gegensätze zwischen Christentum und Sozialismus
Wenngleich aber die Sozialisten das Evangelium mißbrauchen, und, um die Unbesonnenen leichter zu täuschen, dasselbe in ihrem Sinne zu deuten pflegen, so besteht doch zwischen ihren schlechten Grundsätzen und der reinen Lehre Christi ein Unterschied, wie er nicht größer gedacht werden kann. »Denn was hat die Gerechtigkeit mit der Ungerechtigkeit gemein? Oder wie kann sich Licht zu Finsternis gesellen (2Kor 6,14)?« Jene hören nicht auf, wie wir bereits erwähnten, immerfort zu erklären, alle Menschen seien von Natur aus untereinander gleich, und behaupten daher, weder sei man der Majestät Hochachtung und Ehrfurcht, noch den Gesetzen Gehorsam schuldig, sie seien denn von ihnen selbst nach ihrem Gutdünken erlassen. Dagegen besteht nach der Lehre des Evangeliums die Gleichheit der Menschen darin, daß alle dieselbe Natur empfangen haben, zu derselben hoch erhabenen Würde der Kinder Gottes berufen sind, daß ein und dasselbe Ziel allen bestimmt ist, und alle nach demselben Gesetze gerichtet werden, um Lohn oder Strafe nach Verdienst zu empfangen. Doch auch die Ungleichheit im Recht und in der Gewalt rührt von dem Urheber der Natur selbst her, von »welchem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden stammt (Eph 3,15)«. Die Herzen der Herren und Untertanen aber sind nach katholischer Lehre und Vorschrift durch wechselseitige Rechte und Pflichten so untereinander verbunden, daß die Herrschsucht gemäßigt und die Pflicht des Gehorsams erleichtert, befestigt und in höchster Weise geadelt wird.
In der Tat prägt die Kirche dem untergebenen Volke beständig das Apostolische Wort ein: »Es gibt keine Gewalt, außer von Gott, und die, welche besteht, ist von Gott angeordnet. Wer demnach sich der Gewalt widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes und die sich widersetzen, ziehen sich selbst Verdammnis zu (Röm 13,1-2).« Und wiederum gebietet er, »untertan zu sein, nicht nur um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen; allen zu geben, was ihnen gebührt, Steuern wem Steuern, Zoll wem Zoll, Ehrfurcht wem Ehrfurcht, Ehre wem Ehre gebührt (Röm 13,5-7)«. Hat doch der, der alles schuf und alles lenkt, in seiner weisen Vorsehung es so geordnet, daß das Unterste durch das Mittlere, das Mittlere durch das Höchste zu seinen entsprechenden Zielen gelange. Wie er darum selbst im himmlischen Reiche unter den Chören der Engel einen Unterschied wollte und die einen den anderen untergeordnet hat, wie er auch in der Kirche mannigfaltige Weihestufen und einen Unterschied der Ämter eingesetzt hat, daß nicht alle Apostel seien, nicht alle Lehrer, nicht alle Hirten (vgl 1Kor 12,29), so hat er auch in der bürgerlichen Gesellschaft mehrere Stände gegründet, in Würde, Rechten, Gewalt verschieden, damit so der Staat wie die Kirche ein Leib sei, der viele Glieder in sich schließt, von denen eines edler ist als das andere, die aber alle einander notwendig und für das gemeinsame Wohl besorgt sind.
Damit jedoch die Führer der Völker die ihnen zustehende Gewalt zur Auferbauung und nicht zur Zerstörung gebrauchen, mahnt die katholische Kirche in höchst geeigneter Weise, daß auch den Fürsten die Strenge des höchsten Richters bevorstehe, und ruft im Namen Gottes mit den Worten der göttlichen Weisheit allen zu: »Neiget eure Ohren, die ihr der Völker Menge beherrscht und euch gefallet in den Scharen der Nationen; denn von dem Herrn ist euch die Herrschaft gegeben und die Macht von dem Allerhöchsten, der eure Werke untersucht und eure Gedanken erforscht . . . Denn das strengste Gericht ergeht über jene, die anderen vorstehen . . . Denn Gott wird niemands Person ausnehmen, noch irgendeine Größe scheuen; weil er den Kleinen wie den Großen gemacht hat und auf gleiche Weise sorget für alle. Den Starken aber steht eine höhere Strafe bevor (Weish 6,2-4; 6-9).« Wenn es jedoch zuweilen vorkommt, daß die öffentliche Gewalt von den Herrschern ohne Überlegung über das Maß geübt wird, so duldet die Lehre der katholischen Kirche nicht, daß man auf eigene Faust gegen sie sich erhebe, damit Ruhe und Ordnung nicht noch mehr gestört werden, und die Gesellschaft dadurch noch in höherem Maße Schaden leide. Und wenn es dahin gekommen ist, daß keine andere Hoffnung auf Rettung erscheint, so lehrt sie, durch das Verdienst christlicher Geduld und inständiges Gebet zu Gott die Abhilfe zu beschleunigen. Wenn jedoch die Satzungen der Gastgeber und Fürsten etwas bestimmen oder befehlen, was dem göttlichen oder natürlichen Gesetze widerspricht, so gemahnen uns Pflicht und Würde des christlichen Namens, sowie der Apostolische Ausspruch, »daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen (Apg 5,29)«.
Gegensätze in bezug auf die Familie
Die segensvolle Macht der Kirche nun, welche ihren Einfluß auf die zweckmäßige Ordnung der Regierung und die Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft ausübt, macht sich notwendig auch in der häuslichen Gesellschaft geltend und fühlbar, die eines jeden Staates und Reiches Ursprung ist. Denn ihr wißt, ehrwürdige Brüder, daß das wahre Wesen dieser Gesellschaft nach den unverletzlichen Gesetzen des Naturrechtes vor allem auf dem unlösbaren Bunde von Mann und Weib ruht, und in den wechselseitigen Pflichten und Rechten zwischen Eltern und Kindern, Herren und Dienern seine Vollendung findet. Ihr wißt gleichfalls, daß diese Gesellschaft durch die Lehren des Sozialismus nahezu aufgelöst wird; denn nach Verlust jener Festigkeit, welche der religiöse Ehebund ihr verleiht, müssen folgerichtig auch wie die Gewalt des Vaters über seine Kinder, so die Pflichten der Kinder gegen die Eltern in höchstem Maße gelockert werden. Dagegen ist zu sagen, daß »ehrwürdig in jeder Hinsicht die Ehe ist (Hebr 13,4)«, welche schon mit Beginn der Welt Gott selbst zur Fortpflanzung und Erhaltung des menschlichen Geschlechtes eingesetzt und als unauflöslich begründet hat, die nach der Lehre der Kirche fester und heiliger geworden ist durch Christus, der ihr die Würde eines Sakramentes verlieh und wollte, daß sie ein Abbild seiner Verbindung mit der Kirche sei. Daher ist nach der Mahnung des Apostels (Eph 5,23), wie Christus Haupt der Kirche, so der Mann Haupt des Weibes; und wie die Kirche Christus untergeben ist, der sie mit keuschester und immerwährender Liebe liebt, so ziemt es sich, daß auch die Frauen ihren Männern unterworfen seien, die sie hinwieder mit treuer und standhafter Hingebung zu lieben haben. Ebenso hat die Kirche die Gewalt des Vaters und Herrn so geordnet, daß sie stark genug ist, um Söhne und Diener in Gehorsam zu halten, ohne jedoch das Maß zu überschreiten. Denn nach katholischer Lehre geht auf Eltern und Herren die Hoheit des himmlischen Vaters und Herrn über, die daher von ihm nicht bloß ihren Ursprung und ihre Kraft hat, sondern ebenso auch Wesen und Eigenschaften empfängt. Daher mahnt der Apostel die Kinder, »ihren Eltern zu gehorchen im Herrn, Vater und Mutter zu ehren, welches das erste Gebot ist im Zeichen der Verheißung (Eph 6,1-2)«. Den Eltern aber gebietet er: »Und ihr, Väter, erbittert eure Kinder nicht, sondern erzieht sie in der Lehre und Zucht des Herrn (Eph 6,4).« Wiederum aber wird den Dienern und Herrn durch denselben Apostel das göttliche Gebot verkündet, und zwar, daß jene gehorchen »den leiblichen Herren wie Christus . . ., in der Einfachheit ihres Herzens dienend gleichsam dem Herrn. Diese aber sollen ablassen von Drohungen, da sie wissen, daß ein Herr aller im Himmel und bei ihm kein Ansehen der Personen ist (ebd 5-7)«. Würde all dies sorgfältig von all jenen, die es angeht, nach dem Gebote des göttlichen Willens beobachtet, so würde wahrhaftig jede Familie gewissermaßen ein Abbild der himmlischen Hausgemeinschaft darstellen, und es würden die herrlichen Segnungen, die hieraus erwachsen, nicht auf die Mauern des Hauses sich beschränken, sondern auf die Staaten selbst in reichlichem Maße übergehen.
Rechte und Pflichten des Eigentums
Es hat aber die katholische Weisheit, gestützt auf die Vorschriften des natürlichen und göttlichen Gesetzes, für den öffentlichen wie häuslichen Frieden in wohlbedachter Weise Vorsorge getroffen, auch durch das, was sie festhält und lehrt in Hinsicht auf das Eigentumsrecht und die Verteilung der Güter, welche zum Leben notwendig und nützlich sind. Denn während die Sozialisten das Eigentumsrecht als eine menschliche, der natürlichen Gleichheit der Menschen widersprechende Erfindung ausgeben, und in ihrem eifrigen Streben nach Gütergemeinschaft meinen, es sei keineswegs die Armut gleichmütig zu tragen, und man könne die Besitztümer und Rechte der Reicheren ungestraft verletzen, hält die Kirche eine Ungleichheit unter den Menschen, die von Natur aus hinsichtlich der Kräfte des Körpers und Geistes verschieden sind, auch in bezug auf den Besitz von Gütern für weit ratsamer und nützlicher. Sie gebietet auch, daß das Recht des Eigentums und Besitzes, das in der Natur selbst gründet, einem jeden gegenüber unantastbar und unverletzlich sei. Denn sie weiß, daß Diebstahl und Raub von Gott, dem Urheber und Schirmer allen Rechts, derart verboten wurde, daß es nicht einmal erlaubt ist, Fremdes zu begehren, und Diebe und Räuber ebenso wie Ehebrecher und Götzendiener von dem Himmelreiche ausgeschlossen werden. Doch vernachlässigt sie nicht die Sorge für die Armen, noch vergißt sie, wir eine liebende Mutter sich ihrer in ihren Bedürfnissen anzunehmen. Vielmehr umfaßt sie dieselben in mütterlicher Liebe. Und wohl wissend, daß sie die Person Christi selbst darstellen, der als ihm selbst erwiesene Wohltat ansieht, was auch dem geringsten Armen von irgend jemand gegeben wird, hält sie dieselben hoch in Ehren. Wo immer sie kann, eilt sie ihnen zu Hilfe. Sie sorgt dafür, daß überall auf Erden Häuser und Herbergen errichtet werden, wo sie Aufnahme, Nahrung und Pflege finden. Und sie nimmt dieselben unter ihren Schutz. Sie schärft den Reichen die schwere Pflicht ein, den Armen von ihrem Überfluß mitzuteilen, und droht ihnen mit dem göttlichen Gericht, das sie zu ewigen Strafen verdammt, wenn sie den Dürftigen in ihren Nöten nicht beispringen. Endlich erhebt und tröstet sie ganz besonders die Gemüter der Armen, indem sie ihnen teils das Beispiel Christi vorhält, der, »da er reich war, um unsertwillen arm geworden ist (2Kor 8,9)«, teils dessen Worte in Erinnerung bringt, durch welche er die Armen selig pries und in ihnen die Hoffnung auf die Belohnungen der ewigen Seligkeit weckte. Wer sollte aber nicht einsehen, daß auf diese Weise der uralte Gegensatz zwischen arm und reich am besten ausgeglichen wird? Die Natur der Sache selbst und die Ereignisse sagen uns mit aller Deutlichkeit: verwirft man diese Lösung oder vernachlässigt man sie, dann muß eins von beiden folgenden eintreten. Entweder gleitet wohl der größte Teil des Menschengeschlechtes in den höchst unwürdigen Zustand der Sklaverei zurück, der lange bei den Heiden bestand, oder die menschliche Gesellschaft wird unablässig von Wirren gepeinigt, von Raub und Gewalttat bedroht, wie dies zu unserem Bedauern auch in neuster Zeit geschehen ist.
Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat
Angesichts dieser Lage haben wir, da uns die Regierung der ganzen Kirche obliegt, schon bei Beginn unseres Pontifikates Fürsten und Völker, die von einem wütenden Sturme umhergeworfen werden, auf den schützenden Hafen hingewiesen, in dem sie sich bergen können; und durch die äußerste Gefahr, die bevorsteht, bewogen, erheben wir jetzt wiederum vor ihnen unsere Apostolische Stimme und bei ihrem eigenen und der Gesellschaft Heile bitten wir sie abermals und beschwören sie, daß sie die Kirche, die so herrliche Verdienste um die Wohlfahrt der Reiche hat, als Lehrerin anerkennen und anhören mögen. Sie mögen die volle Überzeugung gewinnen, daß das Wohl des Staates und der Religion so verbunden sind, daß, was dieser entzogen wird, in demselben Maße der Untertanen Treue und Majestät der Obrigkeit abgeht. Und wenn sie einsehen, daß zur Abwehr der Pest des Sozialismus die Kirche Gottes eine so große Macht besitzt, wie sie weder menschlichen Gesetzen, noch den Verboten der Behörden, noch den Massen der Soldaten zukommt, so mögen sie endlich der Kirche jene Stellung und Freiheit wiedergeben, in der sie ihren so höchst heilsamen Einfluß zum Besten der ganzen Gesellschaft geltend machen kann.
Ihr aber, die ihr Quelle und Wesen der bevorstehenden Übel erkennt, trachtet mit allem Eifer und Aufgebot der Seele dahin, daß die katholische Lehre allen Gemütern eingepflanzt werde und da tiefe Wurzeln schlage. Bestrebet euch, daß schon von zarter Jugend an alle sich gewöhnen, Gott in kindlicher Liebe anzuhangen und ihn zu fürchten, der Majestät der Machthaber und der Gesetze Gehorsam zu leisten, die Begierden zu beherrschen und die Ordnung, welche Gott sowohl in der bürgerlichen als in der häuslichen Gesellschaft begründet hat, sorgfältig zu wahren. Außerdem traget Sorge dafür, daß die Söhne der katholischen Kirche weder diesem abzulehnenden Bunde beitreten, noch in irgendeiner Weise ihn zu begünstigen wagen; vielmehr sollen sie durch musterhaftes Verhalten und eine in allem lobenswerte Lebensweise zeigen, wie gut und glücklich es stünde um die menschliche Gesellschaft, wenn alle ihre Glieder durch Rechtschaffenheit und Tugend sich auszeichneten. Da endlich die Anhänger des Sozialismus besonders unter jener Menschenklasse sich finden, welche ein Handwerk treiben oder um Lohn arbeiten, und die etwa, der Mühen überdrüssig, durch Hoffnung auf Reichtum und Verheißung von Gütern sehr leicht angelockt werden, so scheint es zweckmäßig, die Handwerker- und Arbeitervereine zu fördern, die unter dem Schutze der Religion alle ihre Mitglieder zur Zufriedenheit mit ihrem Lose und Geduld in der Arbeit anhalten, und zu einem ruhigen und friedsamen Leben anleiten …
_______
Quelle: SUMMA PONTIFICA [II] – Lehren und Weisungen der Päpste durch zwei Jahrtausende – Eine Dokumentation ausgewählt und herausgegeben von P. Amand Reuter O.M.I. 1978, Verlag Josef Kral, Abensberg.
Gefällt mir Wird geladen …