KABUL , 17 July, 2020 / 12:37 AM (CNA Deutsch).-
„Im Strafgesetzbuch steht, dass alle Marokkaner Muslime sind. Deshalb sind Konvertiten nicht nur in ihrer Sicherheit bedroht, sondern auch mit rechtlichen Problemen konfrontiert“, fasst Jawad Elhamidy gegenüber dem weltweiten katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ die Lage der religiösen Minderheiten in der nordafrikanischen Monarchie zusammen. Elhamidy leitet die „Marokkanische Gesellschaft für Rechte und religiöse Freiheiten“.
In Marokko ist der Islam die Staatsreligion. Die meisten Marokkaner sind Sunniten und ordne ihr Leben nach der malikitischen Rechtsschule. Die Verfassung aus dem Jahr 2012 garantiert zwar prinzipiell Religionsfreiheit, aber versteht diese Freiheit aus islamischer, nicht westlicher Sicht: Eine Unterscheidung, die auch katholische Kreise nicht immer leisten.
So steht in Marokko der Wechsel zu einer anderen Religion außer dem Islam unter Strafe. Wer sich öffentlich zu seinem neuen Glauben bekennt, läuft Gefahr, wegen illegaler Missionstätigkeit belangt zu werden. Die dafür verhängten Gefängnisstrafen belaufen sich auf sechs Monate bis drei Jahre.
Daher befindet sich die kleine lokale christliche Minderheit in einer schwierigen Lage, erklärt Elhamidy: „Marokkanische Christen praktizieren ihren Glauben heimlich in privaten Hauskirchen, um staatlichen Sanktionen oder gesellschaftlichen Schikanen aus dem Weg zu gehen.“
Auslandschristen können ihren Glauben leben – Schikanen für Konvertiten
Die christliche Gemeinschaft in Marokko besteht aus zwei Gruppen: Da sind zum einen Christen aus dem Ausland, die in Marokko leben und arbeiten. Ihre Zahl wird auf etwa 40.000 geschätzt, davon sind etwa drei Viertel Katholiken. Für diese ausländischen Christen gibt es Ausnahmeregelungen; ihre Religionsausübung ist geduldet, missionarisch tätig werden dürfen sie nicht. Schweren Repressalien unterliegen dagegen die Marokkaner, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind. Ihre Zahl wird auf 8.000 geschätzt, einzelne Quellen sprechen sogar von bis zu 25.000. Selbst dann sind die Christen eine äußerst kleine Minderheit – Marokko hat fast 35 Millionen Einwohner.
Über 40 Kirchen gibt es in Marokko, die meisten gebaut zur Zeit des französischen Protektorats (1912-1956). Einige von ihnen wurden inzwischen zu Versammlungssälen oder Verwaltungsgebäuden umgewandelt; der Staat genehmige keine neuen Kirchenbauten, so Elhamidy.
Und selbst in den bestehenden Kirchen herrscht die Angst: Es heißt, ausländische Geistliche rieten marokkanischen Christen davon ab, ihre Kirche zu besuchen. Sie befürchten, sonst wegen Missionierung strafrechtlich verfolgt zu werden. Elhamidy zufolge erhalten Pfarrer und Bischöfe jede Woche eine behördliche Warnung, keine Marokkaner ihrer Kirche zu empfangen, sonst würden sie zur Verantwortung gezogen. „Wenn ein Marokkaner eine Kirche betritt, kann folgendes passieren: Entweder wird er von einem Polizisten festgenommen, der vor der Kirche sitzt. Oder der Pfarrer fordert die Person auf, die Kirche wieder zu verlassen – es sei denn, die Person besucht die Kirche aus touristischen Gründen“, erklärt Elhamidy.
Morddrohungen und Haft
Der Menschenrechtler schildert Vorfälle, wonach marokkanische Christen bis zu dreimal pro Woche verhaftet und auf den Polizeidienststellen schikaniert werden. Unter Drohungen und mit der Aufforderung, zum Islam zurückzukehren, würden sie in den meisten Fällen wieder freigelassen. Christen in Haft würden bisweilen misshandelt und missbraucht. Auch drohe die Polizei häufig damit, Partner und Kinder ebenfalls zu verhaften.
Elhamidy schilderte gegenüber „Kirche in Not“ das Schicksal von Mohamed al Moghany: Er lebt in der nordöstlichen Provinzhauptstadt El Hajeb und war vom Islam zum Christentum konvertiert. Als das bekannt wurde, habe ihm sein Arbeitgeber mit der Waffe in der Hand den Tod angedroht. Moghany ging zur Polizei. Dort habe man ihm gedroht und gesagt, er solle über seine Konversion Stillschweigen bewahren. Ein halbes Jahr später kam es erneut zu einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber. Moghany sei daraufhin verhaftet und zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Mittlerweile habe die Polizei auch seine Frau zum Verhör vorgeladen.
„Der Staat betrachtet das Christentum als Gefahr“, stellt Elhamidy fest und stützt sich dabei auf Recherchen seiner Menschenrechtsorganisation in behördlichen Dokumenten und Gesetzestexten. Dort habe man Passagen gefunden, die von „religiösen Organisationen, die die marokkanische Nation bedrohen“ sprächen.
Auch anderen Religionsgemeinschaften geht es ähnlich – und sogar dem sunnitischen Islam, wenn dieser nach Auffassung der Behörden nicht der malikitischen Rechtsschule folgt. Einem Bericht der „Marokkanischen Gesellschaft für Menschenrechte“ zufolge werden andere Formen des sunnitischen Islam in den Medien und Moscheen verunglimpft.
Bemühungen um Toleranz?
Etwas mehr Freiraum genieße Elhamdiy zufolge die kleine jüdische Gemeinschaft mit etwa 2400 Gläubigen. Sie ist rechtlich anerkannt. Die Toleranz gegenüber den Juden nutze der muslimische Staat aus, um das rigide Vorgehen gegenüber anderen religiösen Minderheiten zu beschönigen.
Der Bericht „Religionsfreiheit weltweit“ von „Kirche in Not“ kommt im Blick auf Marokko zu folgender Bewertung: „Einerseits will das Königreich in religiösen Angelegenheiten einer klaren Linie folgen …, um nicht das Missfallen des eher konservativen Teils der Gesellschaft zu erregen; andererseits will Marokko dem Westen aber auch ein bestimmtes Bild von Aufgeschlossenheit vermitteln.“
In dieses Bild der Aufgeschlossenheit mag auch die Einladung des marokkanischen Königs an Papst Franziskus passen, der dieser im April 2019 gefolgt ist.
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Quelle