Das Jahr 2020 bringt eine Machtverschiebung im Vatikan — Baut der Papst an einem Superministerium als Vermächtnis?

(c) Paul Haring (KNA)

31.12.2019

Franziskus trimmt seine Kirchenleitung für die Zukunft. Auf eine Schlüsselposition mit wachsendem Einfluss setzt er den philippinischen Kardinal Tagle. Die Entscheidung könnte über das Pontifikat hinausreichen.

Mit dem neuen Jahr übernimmt Kardinal Luis Antonio Tagle das Ruder in der römischen Missionskongregation. Die Behörde ist eine der machtvollsten der katholischen Kirche. Bald könnte ihr Dienstsitz, der wehrhafte barocke Palazzo di Propaga Fide zwischen den Luxusboutiquen an der Spanischen Treppe, zu einer Art zweitem Vatikan werden.

Wer die „Kongregation für die Evangelisierung der Völker“ leitet, lenkt ein Reich, in dem die Sonne nicht untergeht. 1622 gegründet, sollte die „Congregatio de Propaganda Fide“ den Einfluss der protestantischen Kolonialmächte Niederlande und England beschneiden.

Heute unterstehen ihr 1.115 der weltweit 3.128 Bistümer und bistumsähnlichen Kirchenstrukturen, größtenteils in den katholischen Wachstumsregionen Afrika und Asien, aber auch in Südamerika, Neuseeland und Ozeanien.

Beiname „roter Papst“

Von der Kongregation hängen Hunderte Priesterseminare und mehrere Missionswerke ab. In Rom besitzt sie ein Kolleg und eine Universität; mit „Fides“ verfügt sie über einen eigenen Pressedienst in mehreren Sprachen. Zur Finanzierung ihrer Aufgaben steht ihr ein Immobilien- und Kapitalbesitz zu Gebote, über dessen Größe nur gemunkelt wird.

Die administrative und wirtschaftliche Machtfülle trug dem Kardinalpräfekten den Beinamen „roter Papst“ ein. Dass Franziskus für diesen Posten Tagle von der Spitze des Erzbistums Manila nach Rom holt, zeigt, dass er von ihm Großes erwartet. Tagle ist 62 Jahre alt und könnte noch gut und gerne zwei Jahrzehnte Kirchenpolitik gestalten; der Altersschnitt seiner Kollegen in den übrigen Kongregationen beträgt 75, sein Vorgänger Fernando Filoni musste ihm mit 73 den Platz freimachen.

Als Präsident des vatikanischen Hilfswerke-Dachverbands Caritas Internationalis konnte sich Tagle weltkirchlich vernetzen. Zu Hause auf den Philippinen war er diplomatisch genug, um beim in Menschenrechtsfragen wenig zimperlichen Präsidenten Rodrigo Duterte nicht anzuecken; gegenüber dem Papst zeigte er sich stets loyal. Der steckt in der entscheidenden Phase seiner Kurienreform, mit der die Missionsabteilung zu einem Schlüsselressort werden soll.

Denn die jahrhundertealte Aufteilung der Welt in christliche Staaten und Missionsgebiete ist dahin. Selbst in katholischen Kernländern Europas grassiert die Säkularisation. Vor Weihnachten schwor der Papst deshalb seine Mitarbeiter auf große Veränderungen ein. In der Kurie der Zukunft wird Mission ein Querschnittsthema sein.

Ob die Kirche ihren Glauben nach außen wie nach innen noch plausibel machen kann, wird für sie eine Überlebensfrage. Eine zentrale Rolle kommt dabei Tagles Behörde zu, die eventuell auch den 2010 gegründeten Rat zur Förderung der Neuevangelisierung in sich aufnimmt, eine Art Task Force gegen den Glaubensschwund im christlichen Westen.

Wachsende Hausmacht im Kardinalskollegium

Zum angestammten Gewicht der Missionsbehörde und ihrer künftigen kirchenpolitischen Leitfunktion kommt als drittes eine wachsende Hausmacht im Kardinalskollegium. Franziskus berücksichtigte bei der Vergabe der purpurnen Biretts stets gerne Vertreter aus Ländern, in denen Katholiken eine Minderheit bilden oder unter sozial und wirtschaftlich schwierigen Bedingungen leben – typischerweise die Domäne der Missionskongregation. Von den 66 papstwahlberechtigten Kardinälen, die Franziskus ernannte, stammen allein 20 aus dem Jurisdiktionsbereich der Propaganda Fide.

Damit ist der Anteil von Purpurträgern aus Missionsgebieten im Kreis der Papstwähler merklich gestiegen. Waren es beim Konklave 2013 von 117 Teilnehmern 17, so sind jetzt unter 124 papstwahlberechtigten Kardinälen 29, die enger mit der Missionskongregation zu tun haben oder hatten. 24 leiten Ortskirchen, die der Propaganda Fide unterstehen; 3 sind emeritierte Bischöfe solcher Diözesen, 2 wurden inzwischen selbst Kurienchefs.

Das sagt noch nichts über Tagles Chancen, einmal die Sixtinische Kapelle als Kirchenoberhaupt zu verlassen. Bei keiner der letzten Wahlen spielte einer seiner Vorgänger eine Rolle. Aber in der Kirchengeschichte dürfte kaum ein Missionspräfekt einen solchen Einfluss besessen haben wie der neue „rote Papst“.

Burkhard Jürgens

(KNA)

Synode: „Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind in Gott vereint“

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Der philippinische Kardinal Tagle – RV

Der philippinische Kardinal und Synodenvater Luis Antonio Tagle wünscht sich einen „seelsorgerlichen Blick“ der Kirche auf die Familie, egal ob sie leidet oder freudig voranschreitet. Einen Gegensatz zwischen Barmherzigkeit und Wahrheit, wie manche Synodenväter ihn zeichnen, kann der Erzbischof von Manila nicht sehen. Kardinal Tagle unterstützt den Papst als einer von vier „delegierten Präsidenten“ wie schon 2014 bei der Durchführung der Synode und gilt als engster Papst-Vertrauter aus Asien. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagte er:

„Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Mitleid sind in Gott vereint! Nur wir sterblichen Menschen, Geschöpfe mit einem Geist, der nicht alle Dinge vereinen kann, wir unterschieden das, um es uns selbst zu erklären. Aber wir müssen vorsichtig sein, denn in Gott und in den Augen des Glaubens gibt es keinen Gegensatz zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Ich als Hirte und als Glaubender brauche die Barmherzigkeit Gottes, und nicht nur Gottes, sondern vieler Menschen. Für mich ist das Gebet ‚Herr, erbarme dich!‘ zugleich ein Schrei: ‚Gott, sei gerecht mit mir!‘ Die wahre Gerechtigkeit finden wir nur in einem barmherzigen Gott.“

Letztes Jahr empfing Kardinal Tagle Papst Franziskus zu Besuch auf den Philippinen. Als Erzbischof von Manila versucht Tagle die Empfehlung des Papstes an die Priester und Bischöfe zu verwirklichen, das Volk aufzusuchen und mit den Menschen sich zu freuen und zu leiden. Das gilt auch für verletzte Familien. Das Um und Auf sieht Tagle in der persönlichen Begegnung mit den ihm anvertrauten Menschen.

„Persönliche Begegnung heißt nicht bloß körperliche Anwesenheit, sondern eine besondere Aufmerksamkeit mit den Augen des Glaubens und den Augen des Guten Samariters: die Augen von Jesus, dem Hirten. Das sind die Augen eines Bruders, der die Freuden und Leiden, die Träume und auch die Frustrationen der Geschwister teilt. Wie der Heilige Paulus sagte: ich bin alles für alle geworden. Wenn die Herde sich freut, dann wird das Herz des Hirten mit Empathie und freudigem Mitempfinden wissen, wie es sich mitfreut. Und dann gibt es die Aufmerksamkeit für die Wunden. Da muss man die Präsenz eines Gottes zeigen, der alle liebt, nicht nur die, die würdig sind: denn wer wäre der Liebe des Herrn überhaupt würdig? Das ist der Blick des Guten Samariters, ein seelsorgerlicher Blick.“

Die Philippinen sind – neben dem kleinen Osttimor – das einzige katholische Land Asiens. Armut, Mangel an Arbeit sowie Migration stellen die Familien dort auf eine harte Probe. „Aber in meiner Erfahrung lehren uns die armen Familien, wie man in der Hoffnung lebt“, so Kardinal Tagle. Mit Blick auf die Synode – für den erst 57 Jahre alten Kardinal ist es bereits die sechste – warnte er davor, Diversität als Anlass für Spaltung zu sehen.

„Es ist normal, dass es in jeder Synode verschiedene Beiträge gibt, denn die Teilnehmer kommen aus einer komplexen Diversität von Kulturen, Traditionen und Sprachen. Ich bin nicht nervös über diese Diversität, aber wir alle müssen in jeder Synode, auch in dieser, aufmerksam überprüfen, ob die Diversität nicht als Grund der Spaltung benutzt wird, statt ein Reichtum zu sein. Sie ist eine Gelegenheit, einen weiteren Horizont zu haben, um die Lehre, die Tradition, das Wort Jesu im Kontext der menschlichen Existenz zu verstehen.“

Kardinal Tagle wirkt seit diesem Frühjahr auch als Präsident von Caritas Internationalis, dem im Vatikan angesiedelten Dachverband der gut 160 nationalen Caritas-Einrichtungen der katholischen Kirche. In dieser Eigenschaft besuchte Tagle am Montag das griechische Flüchtlingslager Idomeni an der Grenze zu Mazedonien. „Welches Leid, welches Elend in diesen Lagern“, berichtete Tagle. „Die Leute haben nichts, nur das Wertvollste: die Familie, die Kinder. Ich habe diese müden Kinder gesehen, die schlafen wollten und Trost auf den Schultern der Mutter oder des Vaters gefunden haben. Und in all dem Elend des Lagers, in all dem Leid und der Demütigung, gibt es die Liebe.“

(rv 20.10.2015 gs)

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Siehe ferner: