PAPST JOHANNES XXIII.: DAS KATHOLISCHE PRIESTERTUM

Joh XXIII Münze

Rundschreiben Seiner Heiligkeit

PAPST JOHANNES XXIII.

Durch Gottes Vorsehung Papst
An die Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten,
Erzbischöfe, Bischöfe und die anderen Oberhirten,
die in Frieden und Gemeinschaft mit dem
Apostolischen Stuhle leben

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Zum Ausgang
der ersten Jahrhundertfeier
des frommen Todes

des Heiligen
Johannes Baptist Maria Vianney

Rundschreiben „Sacerdotii Nostri Primordia“ vom 1. August 1959
Im Auftrage des Bischofs von Münster Dr. Michael Keller aus dem lateinischen Text unter Benutzung der italienischen Übersetzung ins Deutsche übertragen von Max Bierbaum.
(Verlag Regensberg Münster, 1959)

 

Ehrwürdige Brüder

Gruß und apostolischen Segen!

Die reinsten Freuden, welche die Anfänge Unseres Priestertums in Fülle begleiteten, sind in Unserer Er­innerung für immer an jenes Uns tief bewegende Ereignis geknüpft, das Wir am 8. Januar 1905 in der Basilika des heiligen Petrus erlebten; es war die glorreiche Seligsprechung des demütigen Priesters aus Frankreich, Johannes Maria Vianney. Wir waren damals erst seit einigen Monaten zur Würde des Priestertums erhoben und wurden deshalb durch jenes leuchtende Beispiel priesterlicher Tugend von Bewunderung ergriffen, das Unser Vorgänger, der heilige Papst Pius X., der ehemalige Pfarrer von Salzano, mit freudiger Genugtuung allen Seelsorgern zur Nachahmung vor Augen stellte. Nach Verlauf so langer Zeit können Wir diese Erinnerung in Uns nicht zurückrufen, ohne Unserem Erlöser für diese große Wohltat immer zu danken, denn dadurch sind Wir beim Beginn Unseres heiligen Dienstes wirksam und gnadenvoll zur Tugend angeregt worden.

Wir erinnern Uns auch daran, daß Wir am Tage der Seligsprechung dieses Heiligen von der Erhebung des Msgr. Jacobus M. Radini Tedeschi zur bischöf­lichen Würde hörten, der Uns einige Tage später in seinen Dienst berief; er war ein von Uns verehrter Lehrer und Vater. In seiner Gesellschaft sind Wir dann im Anfang desselben Jahres 1905 zum ersten Male fromm nach Ars gepilgert, zu jenem Dorf, das wegen der Heiligkeit seines Pfarrers so berühmt ge­worden ist. Es war, wie Wir glauben, eine neue Fügung der göttlichen Vorsehung, daß Papst Pius XI. im Jahre Unserer Bischofsweihe am 31. Mai 1925 dem schlichten Pfarrer von Ars die Ehre der Heiligen zu­erkannte. In seiner Homilie gefiel es damals dem Papst, „die armselige körperliche Gestalt des Johan­nes B. Vianney allen vor Augen zu stellen, das Haupt umstrahlt wie von einer leuchtenden Krone und das hagere, von Fasten klein gewordene Angesicht, aus dem die Unschuld und Heiligkeit einer ganz demü­tigen Seele hervorleuchtete, so daß auf den ersten Blick die Scharen der Menschen zu heilsamen Er­wägungen angeregt wurden1. Bald darauf hat der­selbe Papst bei Gelegenheit seines 50jährigen Prie­stertums den heiligen Johannes Maria Vianney, dessen besonderem Schutz der heilige Pius X. die Seelsorger Frankreichs anvertraut hatte, „zum geist­lichen Nutzen der Pfarrer in der ganzen Welt“ zu ihrem himmlischen Patron erhoben2.

Diese Akten Unserer Vorgänger, Ehrwürdige Brü­der, die für Uns mit lieben Erinnerungen verbunden sind, möchten Wir durch dieses Rundschreiben im Geiste wieder aufleben lassen, und zwar beim Zen­tenar des Todes dieses heiligen Mannes; er ging am 4. August 1859 in die ewige Heimat, von vierzig­jähriger Arbeit im heiligen Dienst aufgerieben und durch den Ruf der Heiligkeit überall in höchstem Ansehen.

Wir danken deshalb dem allgütigen Gott nicht nur, weil dieser Heilige durch den Glanz seiner Heiligkeit bei zwei wichtigen Abschnitten Unserem priesterlichen Leben eindrucksvoll vorangeleuchtet hat, sondern auch weil Uns im Anfang Unseres Pon­tifikats die günstige Gelegenheit gegeben wurde, einen so berühmten Seelenhirten bei dieser Zentenar­feier in Erinnerung zu bringen. Ihr aber, Ehrwürdige Brüder, werdet leicht begreifen, daß wir Unsere Sorgen und Gedanken in diesem Rundschreiben vor allem an die Priester, Unsere geliebtesten Söhne, richten; sie alle ermahnen Wir, besonders die Seel­sorger, daß sie aufmerksam das wunderbare Bei­spiel dieses heiligen Mannes betrachten, der einst auch am priesterlichen Amt teilhatte und jetzt als ihr himmlischer Patron bestellt ist.

Die Größe der priesterlichen Aufgaben ist zwar schon öfters in päpstlichen Kundgebungen für die Priester dargelegt und der Weg zur rechten Erfül­lung dieser Aufgaben vorgezeichnet worden. Von diesen empfehlen Wir euch in besonderer Weise, um von neueren die wichtigeren zu erwähnen, die apo­stolische Mahnung des heiligen Pius X. Haerent animo3; sie hat Uns in den Anfängen Unseres Prie­stertums zu größerer Frömmigkeit angeregt. Wir nennen ferner das bewundernswerte Rundschreiben Unseres Vorgängers Pius XI. Ad catholici sacerdotii 4 und die Apostolische Mahnung Unseres letzten Vor­gängers Pius XII. Menti nostrae 5 und jene drei An­sprachen, in denen er bei Gelegenheit der Heilig­sprechung des heiligen Pius X. die Aufgaben und Grundzüge des Priestertums vortrefflich dargelegt hat6. Alle diese Dokumente, Ehrwürdige Brüder, sind euch ohne Zweifel bekannt. Aber erlaubt Uns, daß Wir aus der erst nach dem Tode Unseres letzten Vorgängers bekannt gewordenen Ansprache einige Worte mitteilen; sie sind der feierliche und letzte Aufruf jenes großen Papstes zur priesterlichen Hei­ligkeit: „Durch den sakramentalen Charakter der Priesterweihe wollte Gott jenen ewigen Bund der Liebe bestätigen, mit der er seine Priester vor den anderen auszeichnet; sie sind deshalb verpflichtet, diese Vorliebe Gottes durch die Heiligkeit ihres Lebens zu erwidern … Der Kleriker ist aus dem Volke auserwählt und in ganz besonderer Weise mit himmlischen Gnaden überhäuft, er hat teil an gött­lichen Gewalten und ist, um es kurz zu sagen, ein zweiter Christus … Er darf nicht sich selbst leben, wie er auch nicht allein seinen Angehörigen, Freunden, dem irdischen Vaterland angehört. Er muß viel­mehr von Liebe gegen alle brennen. Ja, seine Ge­danken, sein Wollen, seine Empfindungen sind eigentlich nicht seine, sondern gehören Christus, der sein Leben ist“7.

Zu solchen Höhen des priesterlichen Lebens ruft Uns alle wie mit zwingender Gewalt der heilige Johannes Maria Vianney, und Wir sind froh darüber, gerade die Priester unserer Zeit zu solchem Aufstieg zu ermun­tern. Wir kennen gut ihre Sorgen und Kümmernisse, wir wissen um die Schwierigkeiten, die sich heute ihrer apostolischen Tätigkeit entgegenstellen. Wenn Wir es beklagen, daß einige in der Unruhe dieser Welt hin und her geworfen werden und vor Müdig­keit erschlaffen, ist Uns doch der unerschütterliche Glaube der großen Mehrheit bekannt und die Be­geisterung, mit der nicht wenige großmütig das Beste erstreben. An die einen wie an die anderen hat Chri­stus der Herr am Tage ihrer Priesterweihe diese Worte voll zarter Liebe gerichtet: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde8. Möge Unser Rundschreiben dazu beitragen, daß der ganze Klerus in dieser göttlichen Freundschaft bleibt und wächst, denn darin beruht die Freude und Frucht des ganzen priesterlichen Wirkens.

Wir haben nicht die Absicht, Ehrwürdige Brü­der, alle Fragen bezüglich des heutigen priester­lichen Lebens zu behandeln; nach dem Beispiel des heiligen Pius X. werden Wir euch auch „nichts ganz Unerhörtes und Neues sagen, sondern das, was für alle beachtenswert ist“9. Denn wenn das Bild dieser heiligen Seele in rechtem Licht vor Augen gestellt wird, werden Wir dadurch auf sicherem Wege zur Be­trachtung dessen geführt, was zu jeder Zeit Geltung hat, in der Gegenwart aber von solcher Bedeutung ist, daß wir Uns bei Gelegenheit der Säkularfeier auf Grund Unseres Apostolischen Amtes gezwungen sehen, es in besonderer Weise zu empfehlen.

Die katholische Kirche hat diesem Priester, der bewundernswert ist „wegen seines Seeleneifers, be­ständigen Gebetslebens und Bußeifers“10, die Ehre der Altäre gegeben; und ein Jahrhundert nach seinem Tode stellt sie ihn mit der Freude einer Mutter dem ganzen Klerus als vorzügliches Muster vor Augen, als Vorbild der priesterlichen Aszese und Frömmig­keit, besonders der eucharistischen, und des pasto­ralen Eifers.

I.

PRIESTERLICHE ASZESE

Man kann über den heiligen Johannes Maria Vianney nicht sprechen, ohne daß von selbst das Bild eines Priesters sichtbar wird, der in außergewöhn­licher Weise körperlich abgetötet war und nur aus Liebe zu Gott und dem Nächsten auf Nahrung und Ruhe fast ganz verzichtete, harte Bußwerke auf sich nahm und besonders sich selbst heroisch verleugnete. Nun sind natürlich nicht alle Gläubigen zu einer sol­chen Lebensweise verpflichtet. Nichtsdestoweniger hat es nach dem göttlichen Ratschluß in der Kirche immer solche Seelsorger gegeben, die unter dem Wehen des Heiligen Geistes ohne Zögern diesen Weg eingeschlagen haben, denn gerade dadurch werden nicht wenige Menschen von ihren Irrtümern und Sünden leichter auf den rechten Weg und zu guten Werken zurückgeführt. Bewundernswert aber ist es, mit welcher Opfergesinnung der heilige Vianney, hart gegen sich und milde gegen andere11, so Großes geleistet hat.

In passender und beredter Weise bringt er in Er­innerung, wie hoch gerade die Priester bei dem Streben nach eigener Vollkommenheit die Tugend der Buße einschätzen müssen. Unser Vorgänger Pius XII. wollte diese Wahrheit besonders klar­machen und gegen gewisse Vorurteile schützen; er hat deshalb zwar verneint, „daß der geistliche Stand als solcher und insofern er auf göttliches Recht zu­rückgeht, wegen seiner Natur oder wenigstens auf Grund eines gewissen Postulats seiner Natur von seinen Mitgliedern die Beobachtung der evangeli­schen Räte verlangt“12. Mit vollem Recht zieht er die Folgerung: „Der Kleriker ist nicht kraft gött­lichen Rechts zu den evangelischen Räten der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams verpflichtet13. Aber man würde ohne Zweifel die wahre Meinung dieses Papstes, der so sehr um die Heiligkeit des Klerus besorgt war, verkehren und der ständigen Lehre der Kirche über diese Fragewidersprechen, wenn man daraus zu schließen wagte, daß die Kleriker auf Grund ihres Amtes weniger als die Ordenspersonen zum Streben nach evangelischer Vollkommenheit verpflichtet seien. Es verhält sich ganz anders, denn zur rechten Erfüllung der priesterlichen Aufgaben ”ist eine größere innere Heiligkeit erforderlich, als sie sogar vom Ordensstande verlangt wird14. Wenn den Klerikern zur Erreichung dieser Vollkommen­heit die evangelischen Räte nicht auf Grund des geistlichen Standes selbst vorgeschrieben werden, so öffnen doch die evangelischen Räte ihnen wie allen Gläubigen einen besonders sicheren Weg, um das er­wünschte Ziel christlicher Vollkommenheit zu er­reichen. Zu Unserem großen Troste übrigens be­weisen viele sehr tugendhafte Priester heute, daß sie derselben Meinung sind; denn obwohl sie zum Diö­zesanklerus gehören, suchen sie doch bei frommen, kirchlich approbierten Vereinigungen Kraft und Hilfe, um leichter und ungehinderter den Weg der Vollkommenheit beschreiten zu können.

In der Überzeugung, „daß die hohe Würde des Priestertums ganz in der Nachfolge Christi be­steht“15, sollen die Priester möglichst auf die Mah­nung des göttlichen Meisters achten: „Wenn jemand mir nachfolgen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir“ 16. „Dieses Wort des Herrn“, so wird berichtet, „hat der heilige Pfarrer von Ars oft und aufmerksam überdacht und sein Verhalten danach eingerichtet“17. Mit Hilfe der göttlichen Gnade hat er dies freudig begonnen und höchst tugendhaft zu Ende geführt; durch sein tugendhaftes Beispiel zeigt er auch heute noch den sicheren Weg für priesterliche Aszese, auf dem seine Armut, Keuschheit und sein Gehorsam hell leuchten.

Zunächst habt das Zeugnis der Armut vor Augen. Mit dieser Tugend hat der demütige Pfarrer von Ars eifrig den Patriarchen von Assisi nachgeahmt, dessen Vorschriften er als Mitglied des III. franzis­kanischen Ordens treu befolgt hat18. Reich für andere, für sich aber ganz arm, lebte er fern von den wandelbaren und vergänglichen Gütern dieser Welt. So konnte er, gänzlich frei von diesen Hinder­nissen, für alle Bedrängten, die in großen Scharen zu ihm kamen, um Trost zu finden, ein offenes Herz haben. „Mein Geheimnis“, sagte er, ”ist ganz leicht verständlich. Es ist nämlich in diesen wenigen Worten enthalten: Alles verschenken, für sich aber nichts zurückbehalten“19. Dieses Abstandhalten von den äußeren Gütern hatte zur Folge, daß er den Armen, besonders seiner Pfarrei, große und liebe­volle Hilfe erweisen konnte. Er zeigte sich ihnen gegenüber nämlich äußerst freundlich und um­faßte sie „mit aufrichtiger Liebe, größtem Wohl­wollen und mit Hochachtung“20. Nach seiner Mah­nung sollen die Armen niemals verächtlich behandelt werden, weil ihre Verachtung auf Gott selbst zurück­fällt. Wenn daher Bettler an seine Tür klopften, nahm er sie liebevoll auf und sprach sie freundlich mit folgenden Worten an: »Auch ich lebe in Armut, ich bin einer der Eurigen“21. Gegen Ende seines Lebens pflegte er gern zu wiederholen: „Mit frohem Herzen kann ich mich auf den Weg machen; ich besitze nichts mehr, und deshalb bin ich fertig und bereit zu gehen, wann es dem gütigsten Gott ge­fallen wird, mich zu rufen“22. Aus dem Gesagten, Ehrwürdige Brüder, wird es euch schon klar ge­worden sein, in welcher Meinung Wir alle Unsere geliebtesten Söhne aus dem Priesterstande ermahnen, daß sie dieses Beispiel der Armut und Caritas be­trachten. Pius XI. schrieb im Gedenken an den heiligen Johannes Maria Vianney: „Man weiß aus täglicher Erfahrung, daß die Priester mit einfacherer, Lebensführung, die auf Grund der Lehre des Evan­geliums in keiner Weise ihrem eigenen Vorteil dienen, dem christlichen Volke immer in wunder­barer Weise nützlich sind“23. Derselbe Papst gab, als er die heutigen Lebensverhältnisse der menschlichen Gesellschaft behandelte, den Priestern so gut wie den anderen diese gewichtige Mahnung: »Während sie beobachten können, wie die Menschen alles für Geld verkaufen und alles für Geld einhandeln, mögen sie selbst unberührt durch die Lockungen des Lasters ohne Selbstsucht wandeln, mit heiliger Ge­sinnung unwürdige Gewinnsucht abweisen und nicht den Vorteil des Geldes, sondern der Seelen suchen, nicht auf ihre, sondern auf Gottes Ehre ganz be­dacht sein“24.

Diese Worte mögen jedem Priester tief ins Herz geschrieben bleiben. Wenn jemand Güter rechtmäßig besitzt, hüte er sich doch davor, sein Herz daran zu hängen. Er möge bedenken, daß die Priester gemäß den Vorschriften des Kirchlichen Gesetzbuches die schwere Verpflichtung haben, alles Überflüssige an Benefizialfrüchten für die Armen oder für fromme Zwecke zu verwenden25. Gebe Gott, daß keiner jenes strenge Urteil verdient, das der Pfarrer von Ars einst über seine Herde fällte: »Wie viele haben Geld, das sie für sich aufbewahren, während so viele Be­dürftige vor Hunger sterben“26. Es ist Uns jedoch bekannt, daß in Unserer Zeit viele Priester in wirklicher Armut leben. Die Verherrlichung eines der Eurigen, der freiwillig so entblößt von allem lebte und nichts sehnlicher wünschte, als der Ärmste von allen in seiner Pfarrei zu sein27, wird sie in heil­samer Weise ermutigen, sich selbst in der Übung der evangelischen Armut zu verleugnen. Und wenn Unsere väterliche Sorge diesen Priestern etwas Trost geben kann, mögen sie wissen, daß Wir Uns lebhaft darüber freuen, daß sie ganz uneigennützig Christus und der Kirche dienen.

Wenn Wir aber diese erhabene und tugendhafte Armut so sehr empfehlen und loben, möge doch niemand glauben, daß Wir jenen unwürdigen Mangel am Notwendigen billigen, woran die Diener des Herrn in Städten oder abgelegenen Dörfern zuwei­len leiden müssen. In dem Kommentar zu der Er­mahnung des Herrn über das Abstandhalten von den Gütern dieser Welt bewahrt uns der heilige Beda der Ehrwürdige vor jeder falschen Auslegung: „Man darf nicht glauben, daß den Heiligen befohlen ist, keinerlei irdische Mittel für sich oder für die Armen zurückzulegen, denn wir lesen, daß der Herr selbst zur Unterweisung für seine Kirche solche besessen habe… Aber man soll nicht deswegen Gott dienen und aus Furcht vor Mangel die Gerechtigkeit ver­letzen“28. Im übrigen hat der Arbeiter Anspruch auf seinen Lohn29, und Wir machen die Sorge Unseres unmittelbaren Vorgängers zu der Unsrigen, indem Wir die Gläubigen inständig bitten, daß sie die Mah­nungen ihrer Oberhirten eifrig befolgen, wenn sie sich in lobenswerter Weise darum bemühen, daß ihren Mitarbeitern im heiligen Dienst der Lebensunterhalt nicht fehle 30.

Johannes Maria Vianney, arm an äußeren Gütern, hat auch durch freiwillige körperliche Abtötung ein leuchtendes Beispiel gegeben. Er sagte: „Es gibt nur einen Weg, sich durch Verzicht und Buße Gott zu schenken, nämlich sich ihm ganz zu schenken“31. Das hat der heilige Pfarrer von Ars während seines gan­zen Lebens in der Übung der Keuschheit entschlossen getan.

Sein herrliches Beispiel eines reinen Wandels dürfte die Priester unserer Zeit besonders angehen, denn sie müssen leider in manchen Gegenden wegen ihrer beruflichen Tätigkeit mitten in einer Gesell­schaft leben, die von zu großer Freiheit der Sitten und leidenschaftlicher Sinnlichkeit befallen ist. Für sie kommt sehr häufig das Wort des heiligen Thomas von Aquin in Betracht: „Es ist schwerer, gut in der Seelsorge zu leben, wegen der äußeren Gefahren“32. Außerdem fühlen sie sich oft einsam und werden von den Gläubigen, deren Heil sie sich widmen, wenig verstanden und wenig bei ihrer Tätigkeit gefördert und gestützt. Alle diese, besonders die­jenigen, die unter der Einsamkeit leiden und in größeren Gefahren für diese Tugend leben, möchten Wir durch dieses Rundschreiben immer wieder er­mahnen, Ehrwürdige Brüder, daß ihr ganzes Leben den Glanz heiliger Reinheit widerspiegelt; es ist eine Tugend, die vom heiligen Pius X. mit vollem Recht „die schönste Zierde unseres Standes“ genannt wird33. Ihr aber, Ehrwürdige Brüder, bemüht euch nach Kräften und scheut keine Arbeit, dem euch anver­trauten Klerus solche Lebens- und Arbeitsbedingun­gen zu bieten, die für ihren Eifer möglichst günstig sind; denn es ist mit aller Kraft dafür zu sorgen, daß die Gefahren eines zu einsamen Lebens ferngehalten, unüberlegte Handlungen durch entsprechende Mah­nungen und schließlich die Anlockungen des Müßig­ganges sowie ein Übermaß an äußerer Tätigkeit ver­hindert werden. Deshalb ist es nützlich, die weisen Vorschriften Unseres unmittelbaren Vorgängers in dem Rundschreiben Sacra virginitas in Erinnerung zu bringen34.

Es wird berichtet, daß das Angesicht des Pfarrers von Ars in engelgleicher Reinheit leuchtete35. In der Tat, wer sich auch jetzt noch im Geiste ernstlich mit ihm beschäftigt, wird nicht nur von dem Heroismus ergriffen, mit dem dieser Kämpfer Christi seinen Leib in Knechtschaft brachte36, sondern auch von jener Überredungskraft, mit der er die frommen Scharen der Pilger mit unwiderstehlichem Zauber zur Gefolgschaft auf seinen Weg anlockte. Er hatte aus seiner täglichen Beichtpraxis die traurigen Schäden unreiner Leidenschaft kennengelernt. Deshalb kam aus seinem Herzen die Klage: „Wenn es nicht ganz unschuldige Seelen gäbe, die den durch unsere Sün­den beleidigten Gott besänftigen würden, wie viele und schwere Strafen müßten wir dafür erleiden.“ Aus seiner Erfahrung gab er seinen Hörern den Rat: „Die Abtötung ist mit einer solchen wonnigen Freude verbunden, daß sie niemals in Vergessenheit gerät, wenn sie einmal gekostet ist. Nur die ersten Schritte auf diesem Wege sind beschwerlich37.

Eine solche aszetische Lebensweise, der Schutz der priesterlichen Reinheit, hat zur Folge, daß der Prie­ster, weit entfernt von unfruchtbarer Selbstsucht, sein Herz viel mehr und weiter zur Hilfe bei den Nöten der Brüder öffnet. Dazu bemerkt der heilige Johan­nes Maria Vianney treffend: „Die reine Seele kann nicht anders als die anderen lieben; denn sie hat die Quelle und den Ursprung der Liebe selbst, nämlich Gott, gefunden.“

Wie viele und große Wohltaten erweisen der menschlichen Gesellschaft solche, die, frei von welt­lichen Sorgen und ganz im göttlichen Dienste, ihr Leben, ihre Gedanken, ihre Kräfte für das Wohl der Brüder opfern! Welch großen Nutzen bringen der Kirche jene Priester, die vor allem um die unver­sehrte Bewahrung ihrer Reinheit besorgt sind. Diese Tugend halten Wir mit Unserem Vorgänger Pius XI. für das schönste Schmuckstück des katholischen Prie­stertums, „sie scheint Uns dem Rat und den Wün­schen des Heiligsten Herzens Jesu bezüglich der priesterlichen Gesinnung besonders würdig zu ent­sprechen38. Und hat nicht unter Eingebung der gött­lichen Liebe Johannes Maria Vianney diesen erhabe­nen Satz niedergeschrieben: „Das Priestertum, ist das nicht die Liebe des Heiligsten Herzens Jesu?“39

Zahlreich sind auch die Zeugnisse für die Tugend des Gehorsams, die an diesem Heiligen hervorleuchtete. Man kann in Wahrheit behaupten, daß die Treue zu den Vorstehern der Kirche, die er beim Empfang des Priestertums gelobt und immer unversehrt bewahrt hat, ihn 40 Jahre lang zu einem ununterbrochenen Opfer seines Lebens bewegt hat. Zu jeder Zeit sei­nes Lebens wünschte er sich sehnlichst ein beschau­liches Dasein in schweigsamer Zurückgezogenheit; er meinte, die Seelsorge sei für seine Schultern eine zu schwere Bürde, und mehr als einmal bemühte er sich, davon befreit zu werden. Bewundernswert war dann sein Gehorsam gegen den Bischof; hören wir darüber in diesem Rundschreiben einige Zeugnisse: „Schon seit dem 15. Lebensjahre sehnte er sich nach einem Leben in der Einsamkeit; dieser Wunsch wurde nicht erfüllt, und so blieb ihm jeglicher Trost ver­sagt, den er in seinem Stande hätte haben können“40. Aber „Gott ließ seinen Wunsch nicht in Erfüllung gehen. So war es ohne Zweifel ein Werk der gött­lichen Vorsehung, daß der heilige Johannes Maria Vianney seinen Willen dem Gehorsam unterwarf und seine amtlichen Pflichten den eigenen Wünschen vor­zog. So strahlte sein Eifer in der Selbstverleugnung immer im hellen Glanze“41. „ Johannes Maria Vianney hat im vollen Gehorsam gegen seine Vorgesetzten das Amt des Pfarrers in Ars bekleidet und ist in diesem Amte bis zu seinem Tode geblieben“42.

Dieser vollkommene Gehorsam gegen seine Vor­gesetzten, das ist zu beachten, war ganz übernatür­lich verwurzelt. Indem er die kirchliche Autorität anerkannte und sich ganz danach richtete, gehorchte er gläubig den Worten Christi an seine Apostel: „Wer euch hört, der hört mich“43. Um den Wünschen seiner Vorgesetzten treu zu folgen, hatte er sich daran gewöhnt, seinen Willen im Zaum zu halten, indem er die Mühe des Beichthörens auf sich nahm oder anderen Mitbrüdern bei seelsorglichen Arbeiten so aushalf, daß sich reichere und heilsamere Früchte darboten.

Diese Form eines vollkommenen Gehorsams stel­len Wir dem Klerus als Beispiel vor Augen. Wir vertrauen darauf, daß er die Macht und Schönheit dieser Tugend ganz erfaßt und mit größerem Eifer danach strebt. Wenn aber jemand die hohe Bedeu­tung dieser Tugend anzuzweifeln wagt, wie es heute zuweilen geschieht, möge er durch die Worte Unseres Vorgängers Pius XII., die fest im Geiste bewahrt werden müssen, widerlegt werden: „Die Heiligkeit eines jeden und der Erfolg des Apostolats gründen und stützen sich wie auf ein festes Fundament auf den ständigen und treuen Gehorsam gegen die heilige Hierarchie“44. Wie ihr übrigens gut wißt, Ehrwür­dige Brüder, haben Unsere letzten Vorgänger den Priestern oft und nachdrücklich die Größe der Ge­fahren vor Augen gehalten, die bei wachsendem Widerwillen des Klerus gegen den Gehorsam ent­stehen, sowohl für die Ausübung des Lehramtes als auch für die Methoden des Apostolates und für die kirchliche Zucht.

Wir wollen nicht länger bei dieser Sache verweilen, halten es aber für nützlich, alle katholischen Priester zu ermahnen, daß sie in sich den kindlichen Sinn ihrer engen Zugehörigkeit zur Kirche, unserer Mut­ter, pflegen. Es wird berichtet, daß der heilige Johannes Maria Vianney im Schoße der Kirche so gelebt habe, daß er nur für sie arbeitete und sich selbst wie brennende Spreu in heißer Kohlenglut ver­zehrte. Möge auch uns, die wir zum Priestertum Jesu Christi gehören, jenes Feuer, das vom Heiligen Geiste ausgeht, erfassen und ganz verzehren. Wir schul­den uns und alles, was unser ist, der Kirche; deshalb laßt uns nur in ihrem Namen und kraft der von ihr empfangenen Vollmachten unser Tagewerk ausüben, und zwar so, daß wir die von ihr empfangenen Auf­träge rechtmäßig erledigen und ihr in brüderlicher Einigkeit und so vollkommen zu dienen suchen, wie wir es schuldig sind45.

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ANMERKUNGEN

1 Acta Apostolicae Sedis XVII 1925, 224

2 Litt. Apost. Anno Lubilari; AAS XXI 1929, 313

3 Acta Pii X, IV 237-264

4 AAS XXVIII 1936, 5-53

5 AAS XLII 1950, 357-702

6 AAS XLVI 1954, 313-317, 666-677

7 L’Osservatore Romano, 17. 10. 1958

8 Pontificale Romanum; Io. 15, 15

9 Exhortatio Haerent animo; Acta Pii X, 238

10 Oratio Missae, in festo S.I.M.Vianney

11 Archiv. Secret. Vatican. C. SS. Rituum, Processus, t. 227, 196

12 Alloc. Annus sacer; AAS XLIII 1950, 29

13 Ibid.

14 S. Thomas, Summa Th.            q. 184 a. 8 in C.

15 Pio XII, Discorso 16. 4. 1953; AAS XLV 1953, 288

16 Matth. 16, 24

17 Arch. Secret. Vat. t. 227, 42

18 Ibidem t. 227, 137

19 Ibidem t. 227, 92

20 Ibídem t. 3897, 510

21 Ibidem t. 227, 334

22 Ibidem t. 227, 305

23 Litt. Encycl. Divini Redemptoris; AAS XXIX 1937, 99

24 Litt. Enc. Ad catholici sacerdotii; AAS XXVIII 1936, 28

25 CIC can. 1473

26 Sermons du B. Jean B. M. Vianney, 1909 t. I. 364

27 Arch. Secret. Vat. t. 227, 91

28 In Lucae Evangelium Expositio, IV in c. 12; Migne PL. 92 col 494/5

29 Luc. 10, 7

30 Adhort. Apost. Menti Nostrae; AAS XLII 1950, 697-699

31 Arch. Secret. Vat. t. 227, 91

32 Summa Th. I. c.

33 Exhort. Haerent animo; Acta Pii X, IV 260

34 AAS XLVI 1954, 161-191

35 Arch. Secret. Vat. t. 3897, 536

36 1 Cor. 9, 27

37 Arch. Secret. Vat. t. 3897, 304

38 Litt. Enc. Ad catholici sacerdotii; AAS XXVIII 1936, 28

39 Arch. Secret. Vat. t. 227, 29

40 Ibidem t. 227, 74

41 Ibidem t. 227, 39

42 Ibidem t. 3895, 153

43 Luc. 10, 16

44 Exhort. In auspicando; AAS LX 1948, 375

45 Arch. Secret. Vat. t. 227, 136