Österreich: Mehr Priester, weniger Messbesucher

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Jubiläum Der Priester, 3. Juni 2016 / © PHOTO.VA – OSSERVATORE ROMANO

Offizielle Statistik 2015 der Österreichischen Bischofskonferenz veröffentlicht – Zahlen bei Erstkommunion und Firmung rückgängig,
bei Trauungen und Begräbnissen gestiegen

Die katholische Kirche in Österreich verzeichnet nach wie vor ein intensives Leben in den Pfarren und anderen kirchlichen Einrichtungen. Zugleich führen der gesellschaftliche Wandel und die demografische Entwicklung dazu, dass seelsorgliche Kennzahlen wie die Zahl der sonntäglichen Messbesucher oder die Zahl der Firmungen und Erstkommunionen zurückgehen. Die Zahl der Taufen ist allerdings stabil und bei den kirchlichen Trauungen ist zuletzt sogar ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Auch die Zahl der in Österreich wirkenden Priester und Ordensleute ist leicht gestiegen. Das geht aus der offiziellen Kirchenstatistik für das Jahr 2015 hervor, die am Dienstag von der Österreichischen Bischofskonferenz veröffentlicht wurde.

Die Kirchenstatistik enthält neben den Katholikenzahlen u.a. auch Angaben über den Klerus, die Ordensleute und die Pfarren sowie Daten zum seelsorglichen Leben der Kirche. Demnach ist die Zahl der in Österreich wirkenden Priester laut der aktuellen Kirchenstatistik 2015 leicht auf 3.944 gestiegen. (2014: 3.898, 2013: 3.933, 2012: 3.998, 2011: 4.035). Die aktuelle Gesamtzahl setzt sich aus 2.013 Diözesanpriestern, 391 ausländischen Priestern und 1.540 Ordenspriestern zusammen. Während die Zahl der Diözesanpriester damit leicht gesunken ist (1914: 2.044), ist die Zahl der ausländischen Priester (2014: 347) und jener der Ordenspriester (2014: 1.507) teils deutlich gestiegen.

Nicht enthalten in den aktuellen Zahlen für 2015 sind zudem weitere 152 Diözesanpriester aus Österreich, die in anderen Ländern der Welt ihren priesterlichen Dienst versehen.

Stabil ist die Zahl der ständigen Diakone: Die amtliche Statistik für 2015 weist 688 aus (2014: 691). Der längerfristige Trend zeigt leicht aufsteigende Tendenz. (2013: 656, 2012: 634, 2011: 628).

Die Zahl der Ordensbrüder ist mit 470 wieder leicht gestiegen (2014: 455). Aus den vorliegenden Daten für 2015 ergibt sich daher, dass die Zahl der Ordensmänner in Österreich (Ordensbrüder und Ordenspriester) wieder leicht zunimmt bzw. sich längerfristig etwas stabilisiert. (2015: 2.010, 2014: 1.962, 2013: 2.029, 2012: 2.071.)

Für die Ordensfrauen in Österreich weist die amtliche Statistik 2015 3.882 Schwestern aus. Die Zahl der Ordensfrauen in Österreich nimmt seit Jahren leicht aber stetig ab (2014: 4.073, 2013: 4.241, 2012: 4.359).

Freilich sind gerade die statistischen Daten zu den Ordensangehörigen mit Vorbehalt zu betrachten, da sich Ordensprovinzen oft über mehrere Länder erstrecken, und die Zuordnung einzelner Ordensmitglieder zu bestimmten Ländern nicht einfach ist.

Stabile Seelsorgestrukturen

Von Stabilität geprägt ist das österreichweit nach wie vor sehr dichte Netz von Pfarrgemeinden: Insgesamt weist die Statistik für 2015 4.317 Pfarren und sonstige kirchliche Seelsorgestellen aus (2014 4.326, 2013 4.327, 2012: 4.324), davon 3.069 Pfarren und 1.248 sonstige Seelsorgestellen.

Die Zahl der Taufen ist 2015 mit 48.587 im Vergleich zum Vorjahr (48.582) praktisch gleich geblieben und auch über einen längeren Zeitraum betrachtet relativ stabil. (2013: 48.098, 2012: 48.645, 2011: 49.275, 2010: 48.781).

Gestiegen ist die Zahl der kirchlichen Trauungen: 2015 traten 11.494 Paare vor den Traualtar (2014: 11.322). Längerfristig ist allerdings kein klarer Trend ablesbar (2013: 11.155, 2012: 12.364, 2011: 11.951).

Die Zahl der kirchlichen Begräbnisse ist 2015 mit 54.929 im Vergleich zum Jahr 2014 (51.005) deutlich angestiegen und auch höher als 2013 (53.164).

Rückläufig sind die Zahlen bei Erstkommunionen und Firmungen, was vor allem demografische Gründe hat. Die Erstkommunionen gingen von 51.138 (2014) auf 50.183 (2015) zurück, die Firmungen von 48.876 (2014) auf 47.146 (2015). Hier sind die leicht abnehmenden Tendenzen auch über einen längeren Zeitraum eindeutig (Erstkommunion 2013: 52.610, 2012: 52.968, 2011: 53.268; Firmung: 2013: 49.921, 2012: 52.765, 2011: 54.458).

In der Statistik ausgewiesen ist auch das starke ehrenamtliche Engagement in der Vorbereitung auf die Sakramente. Die Zahl der Personen, die in der Erstkommunionvorbereitung und Firmvorbereitung tätig sind, ist relativ hoch, geht aber auch parallel zu den abnehmenden Zahlen der Erstkommunionkinder und Firmkandidaten zurück: 14.754 Personen waren 2015 in der Erstkommunionvorbereitung tätig (2014: 14.792, 2013: 15.032), 8.982 standen als Firmhelfer zur Verfügung (2014: 9.100, 2013: 9.269).

Leicht rückläufig ist laut Statistik die Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher. Wurden an den sogenannten „Zählsonntagen“ 2015 zwischen 568.000 und 606.000 Messbesucher gezählt, so waren es 2014 zwischen 577.000 und 623.000 und 2013 zwischen 582.000 und 629.000.

(Quelle: Webseite der Österreichischen Bischofskonferenz & Kathpress, 10.01.17)

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Quelle

Papstpredigt an Priester: Volltext

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Einzug des Papstes zur Messe mit Priestern

Papst Franziskus hat am Freitag eine Messe für Priester auf dem Petersplatz gefeiert. Hier finden Sie seine Predigt im offiziellen Wortlaut; spontane Hinzufügungen des Papstes zum Text haben wir in eigener Übersetzung eingefügt.

Da wir das Jubiläum der Priester am Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu feiern, sind wir aufgerufen, uns auf das Herz bzw. die Innerlichkeit zu konzentrieren, auf die kräftigsten Wurzeln des Lebens, auf den Kern der Gefühle – in einem Wort: auf die Mitte der Person. Und heute richten wir den Blick auf zwei Herzen: auf das Herz des Guten Hirten und auf unser Hirtenherz.

Das Herz des Guten Hirten ist nicht nur das Herz, das Erbarmen mit uns hat, sondern es ist die Barmherzigkeit selbst. Dort erstrahlt die Liebe des Vaters; dort habe ich das sichere Gefühl, angenommen und verstanden zu werden, wie ich bin; dort genieße ich die Gewissheit, mit allen meinen Grenzen und Sünden doch erwählt und geliebt zu sein. Indem ich auf dieses Herz blicke, erneuere ich meine erste Liebe: die Erinnerung an den Moment, als der Herr mich im Innersten angerührt und mich berufen hat, ihm nachzufolgen, die Freude, auf sein Wort hin die Netze des Lebens ausgeworfen zu haben (vgl. Lk 5,5).

Das Herz des Guten Hirten sagt uns, dass seine Liebe keine Grenzen kennt, dass es nicht müde wird und niemals aufgibt. Dort sehen wir seine ständige, uneingeschränkte Selbsthingabe; dort finden wir die Quelle der treuen und sanften Liebe, die frei lässt und frei macht; dort entdecken wir jedes Mal neu, dass Jesus uns liebt » bis zur Vollendung « (Joh 13,1) – er bleibt nicht vorher stehen, sondern bis zur Vollendung! –, ohne sich jemals aufzudrängen.

Das Herz des Guten Hirten streckt sich uns entgegen, es ist auf den „gepolt“, der am weitesten entfernt ist; hartnäckig zeigt die Nadel seines Kompasses dorthin, dort offenbart es eine besondere Schwäche der Liebe, denn es möchte alle erreichen und niemanden verlieren.

Vor dem Herzen Jesu kommt die grundlegende Frage unseres Priesterlebens auf: Wohin ist mein Herz ausgerichtet? Eine Frage, die wir Priester uns ganz oft stellen müssen, jeden Tag, jede Woche: Wohin ist mein Herz ausgerichtet? Der Dienst ist oft angefüllt mit vielerlei Initiativen, die ihn an viele Fronten stellen: von der Katechese zur Liturgie, zum karitativen Einsatz, zu den pastoralen und sogar zu den administrativen Verpflichtungen. Inmitten so vieler Aktivitäten bleibt die Frage: Wo ist mein Herz verankert – da fällt mir dieses schöne Gebet der Liturgie ein: fixa sunt gaudia… , worauf zielt es ab, welches ist der Schatz, den es sucht? Denn – sagt Jesus – »wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz« (Mt 6,21).

Wir haben Schwächen, auch Sünden. Aber wir gehen an die Wurzeln unserer Schwächen, unserer Sünden – wo ist der Schatz, der uns vom Herrn entfernt?

Die unersetzlichen Schätze des Herzens Jesu sind zwei, Jesus hat nur zwei Schätze: der Vater und wir. Seine Tage verliefen zwischen dem Gebet zum Vater und der Begegnung mit den Menschen. Begegnung mit den Menschen – nicht Abstand. Auch das Herz des Hirten Christi kennt nur zwei Richtungen: den Herrn und die Menschen. Das Herz des Priesters ist ein von der Liebe des Herrn durchbohrtes Herz. Deshalb schaut er nicht mehr auf sich selbst (er sollte nicht mehr auf sich selbst schauen), sondern ist Gott und den Mitmenschen zugewandt. Es ist kein „wankendes Herz“ mehr, das sich vom Reiz des Augenblicks anziehen lässt oder das hin- und herzieht auf der Suche nach Zustimmung und kleinen Befriedigungen. Es ist sündhaft… Es ist stattdessen ein Herz, das im Herrn gefestigt, vom Heiligen Geist gefesselt und für die Mitmenschen offen und verfügbar ist. Und hier löst es das Problem seiner Sünden.

Um unserem Herz zu helfen, von der Liebe Jesu, des Guten Hirten, zu brennen, können wir uns üben, uns drei Handlungen zu Eigen zu machen, welche die Lesungen von heute uns vorschlagen: suchen, einbeziehen und uns freuen.

Suchen. Der Prophet Ezechiel hat uns daran erinnert, dass Gott selber seine Schafe sucht (34,11.16). Er »geht dem verlorenen nach«, sagt das Evangelium (Lk 15,4), ohne sich von den Gefahren erschrecken zu lassen; ohne Zögern dringt er wagemutig in Gebiete außerhalb des Weidelands und in Zonen außerhalb der Arbeitszeiten vor. Und er lässt sich keine Überstunden bezahlen! Er schiebt die Suche nicht auf. Er denkt nicht: „Heute habe ich meine Pflicht bereits erledigt, ich werde mich morgen darum kümmern“, sondern er macht sich sofort an die Arbeit. Sein Herz ist unruhig, bis er das eine verlorene Schaf wiederfindet. Und wenn er es gefunden hat, vergisst er die Mühe und lädt es ganz zufrieden auf seine Schultern. Er muss rausgehen, um es zu suchen, mit ihm zu sprechen, es zu überreden. Manchmal muss er auch vor dem Tabernakel bleiben und mit dem Herrn um dieses Schaf ringen.

Das ist das suchende Herz: Es ist ein Herz, das Zeiten und Räume nicht „privatisiert“ – wehe den Hirten, die ihren Dienst privatisieren! –, nicht eifersüchtig über seine legitime Ruhe wacht und niemals den Anspruch erhebt, nicht gestört zu werden. Der Hirt nach dem Herzen Gottes verteidigt nicht die eigenen Bequemlichkeiten, ist nicht besorgt, den eigenen guten Ruf zu schützen – möge man ihn ruhig verleumden wie Jesus! –, ja, ohne jede Furcht vor Kritik ist es bereit zum Risiko, nur um seinen Herrn nachzuahmen. „Selig wenn sie euch verfolgen“ usw.

Der Hirt, der Jesus gemäß ist, besitzt ein Herz, das frei ist, die eigenen Dinge loszulassen. Es lebt nicht, indem es sein Eigentum und seine Dienststunden „abrechnet“: Es ist kein Buchhalter des Geistes, sondern ein barmherziger Samariter auf der Suche nach den Bedürftigen. Er ist ein Hirte, nicht ein Inspekteur der Herde, und widmet sich seiner Sendung nicht fünfzig- oder sechzigprozentig, sondern mit seinem ganzen Sein. Wenn er auf die Suche geht, findet er, und er findet, weil er riskiert. Wenn der Hirte nichts riskiert, findet er auch nichts… Er bleibt nach Enttäuschungen nicht stehen und gibt in Mühen nicht auf. Er ist tatsächlich hartnäckig im Guten, gesalbt von der göttlichen Hartnäckigkeit, dass niemand verlorengehen soll. Deshalb hält er nicht nur die Türen offen, sondern geht hinaus auf die Suche nach denen, die nicht mehr durch die Tür eintreten wollen. Wie jeder gute Christ und als Vorbild für jeden Christen geht er ständig aus sich selbst heraus. Der Schwerpunkt seines Herzens befindet sich außerhalb seiner selbst: Es ist dezentriert, nur auf Jesus zentriert – nicht von seinem Ich angezogen, sondern von dem Du Gottes und vom Wir der Menschen.

Einbeziehen. Christus liebt und kennt seine Schafe, für sie gibt er sein Leben hin und keines ist ihm fremd (vgl. Joh 10.11-14). Seine Herde ist seine Familie und sein Leben. Er ist kein von den Schafen gefürchteter Vorgesetzter, sondern der Hirt, der mit ihnen geht und sie beim Namen ruft (vgl. Joh 10, 3-4). Und er möchte die Schafe versammeln, die noch nicht bei ihm wohnen (vgl. Joh 10,16).

So ist auch der Priester Christi: Er ist gesalbt für das Volk, nicht um sich für seine eigenen Pläne zu entscheiden, sondern um den konkreten Menschen nahe zu sein, die Gott ihm durch die Kirche anvertraut hat. Niemand ist aus seinem Herzen, aus seinem Gebet und aus seinem Lächeln ausgeschlossen. Mit liebevollem Blick und einem Vaterherzen nimmt er auf und bezieht ein; und wenn er zurechtweisen muss, dann stets, um in die Nähe zu holen. Niemanden verachtet er, sondern für alle ist er bereit, sich die Hände schmutzig zu machen. Der gute Hirte hat keine Handschuhe an! Als Diener der Communio, die er zelebriert und die er lebt, erwartet er nicht den Gruß und die Komplimente der anderen, sondern reicht als Erster die Hand und verwirft Tratsch, Urteile und Gift. Geduldig hört er die Probleme an und begleitet die Schritte der Menschen, indem er mit großherzigem Mitgefühl die göttliche Vergebung spendet. Er schimpft den nicht aus, der den Weg verlässt oder verliert, sondern ist immer bereit, wieder einzugliedern und Streit zu schlichten. Ein Mann, der andere einzubeziehen weiß.

Sich freuen. Gott ist » voll Freude« (Lk 15,5): Seine Freude hat ihren Grund in der Vergebung; in dem Leben, das neu ersteht; in dem Sohn, der wieder die Luft des Elternhauses atmet. Die Freude Jesu, des Guten Hirten, ist keine Freude über sich, sondern eine Freude über die anderen und mit den anderen, die wahre Freude der Liebe. Das ist auch die Freude des Priesters. Er wird verwandelt durch die Barmherzigkeit, die er gegenleistungsfrei erweist. Gegenleistungsfrei! Im Gebet entdeckt er den Trost Gottes und erfährt, dass nichts stärker ist als seine Liebe. Darum ist er innerlich ausgeglichen und ist glücklich, ein Kanal der Barmherzigkeit zu sein und den Menschen dem Herzen Gottes nahezubringen. Traurigkeit ist für ihn nicht normal, sondern vorübergehend; Härte ist ihm fremd, denn er ist ein Hirte gemäß dem milden Herzen Gottes.

Liebe Priester, in der Eucharistiefeier finden wir jeden Tag diese unsere Identität des Hirten wieder. Jedes Mal können wir uns seine Worte: »Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird« wirklich zu eigen machen. Das ist der Sinn unseres Lebens, das sind die Worte, mit denen wir in gewisser Weise täglich unsere Weiheversprechen erneuern können. Ich danke euch für euer „Ja“, und für so viele verborgene „Jas“ jeden Tag, die nur der Herr kennt, und für eure Bereitschaft, das Leben vereint mit Jesus hinzugeben: Hier liegt die reine Quelle unserer Freude.

(rv 03.06.2016 sk)

Franziskus: „Suchen, Einbeziehen und Sich Freuen“

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Papstmesse mit und für Priester

Suchen, Einbeziehen, sich freuen: so zeichnen sich Priester aus. Papst Franziskus predigte an diesem Freitag abschließend zur Priesterversammlung anlässlich des Heiligen Jahres, nach den Meditationen von diesem Donnerstag noch einmal eine kurze und bezeichnende Skizze des Priesteramtes. Der Papst feierte die Schlussmesse zum Priestertreffen anlässlich des Heiligen Jahres auf dem Petersplatz. Er forderte sie auf, noch einmal in sich zu gehen und sich auf das eigene Herz, den Kern der Gefühle und die Mitte der Person zu konzentrieren.

Inmitten all der Aktivitäten eines Priesters, von der Katechese, der Liturgie, zum karitativen Einsatz, zu den pastoralen und sogar zu den administrativen Verpflichtungen, müsse sich dieser immer wieder fragen: Wo ist mein Herz verankert? Eine Frage, die sich auch auf das Hochfest bezieht, das die Kirche an diesem Freitag feiert: Das Heiligste Herz Jesu. „Jesus hat nur zwei Schätze: den Vater und uns“, so der Papst. „Seine Tage verliefen zwischen dem Gebet zum Vater und der Begegnung mit den Menschen. Begegnung mit den Menschen – nicht Abstand. Auch das Herz des Hirten Christi kennt nur zwei Richtungen: den Herrn und die Menschen. Das Herz des Priesters ist ein von der Liebe des Herrn durchbohrtes Herz. Deshalb schaut er nicht mehr auf sich selbst (er sollte nicht mehr auf sich selbst schauen), sondern ist Gott und den Mitmenschen zugewandt.“

Franziskus ging von drei Handlungen aus, die er den Priestern mit auf den Weg geben wollte: Suchen, Einbeziehen und Sich Freuen.

Suchen:

Der Prophet Ezechiel habe daran erinnert, dass Gott selber seine Schafe suche. Unermüdlich, ohne sich „Überstunden bezahlen zu lassen“, wie Franziskus salopp sagte, suche Gott nach seinen Schafen und sein Herz sei erst ruhig, wenn er sie gefunden habe. „Das ist das suchende Herz: Es ist ein Herz, das Zeiten und Räume nicht „privatisiert“ – wehe den Hirten, die ihren Dienst privatisieren! –, nicht eifersüchtig über seine legitime Ruhe wacht und niemals den Anspruch erhebt, nicht gestört zu werden … Der Hirt, der Jesus gemäß ist, besitzt ein Herz, das frei ist, die eigenen Dinge loszulassen…Er ist ein Hirte, nicht ein Inspekteur der Herde, und widmet sich seiner Sendung nicht fünfzig- oder sechzigprozentig, sondern mit seinem ganzen Sein. Wenn er auf die Suche geht, findet er, und er findet, weil er riskiert. Wenn der Hirte nichts riskiert, findet er auch nichts…“

Einbeziehen:

Christus liebe und kenne seine Schafe, für sie gebe er sein Leben hin und keines sei ihm fremd. So ist auch der Priester Christi: „Niemanden verachtet er, sondern für alle ist er bereit, sich die Hände schmutzig zu machen. Der gute Hirte hat keine Handschuhe an! Als Diener der Communio, der Gemeinschaft, die er zelebriert und die er lebt, erwartet er nicht den Gruß und die Komplimente der anderen, sondern reicht als Erster die Hand und verwirft Tratsch, Urteile und Gift. Geduldig hört er die Probleme an und begleitet die Schritte der Menschen, indem er mit großherzigem Mitgefühl die göttliche Vergebung spendet. Er schimpft den nicht aus, der den Weg verlässt oder verliert, sondern ist immer bereit, wieder einzugliedern und Streit zu schlichten. Ein Mann, der andere einzubeziehen weiß.“

Sich freuen:

Gott ist „voll Freude“ (Lk 15,5), so Franziskus. Die Freude Jesu, des Guten Hirten, sei keine Freude über sich, sondern eine Freude über die anderen und mit den anderen, die wahre Freude der Liebe. Das sei auch die Freude des Priesters.

„Er wird verwandelt durch die Barmherzigkeit, die er gegenleistungsfrei erweist. Gegenleistungsfrei! Im Gebet entdeckt er den Trost Gottes und erfährt, dass nichts stärker ist als seine Liebe. Darum ist er innerlich ausgeglichen und ist glücklich, ein Kanal der Barmherzigkeit zu sein und den Menschen dem Herzen Gottes nahezubringen. Traurigkeit ist für ihn nicht normal, sondern vorübergehend; Härte ist ihm fremd, denn er ist ein Hirte gemäß dem milden Herzen Gottes.“

Mit diesen Worten schloss Papst Franziskus seine Predigt. Mit der Messe auf dem Petersplatz endete die dreitägige Versammlung zum Heiligen Jahr der Priester in Rom. Rund 6.000 Priester und Seminaristen waren am Mittwoch nach Rom gekommen, um die Heilige Pforte zu durchschreiten, mit dem Papst Exerzitien zu feiern, zu beichten und zu beten und Kraft zu tanken.

(rv 03.06.2016 cz)

Papstmeditation für Priester: Teil 3 in voller Länge

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3. Meditation — Sankt Paul Vor Den Mauern, 2. Juni 2016

Jubiläum der Priester: Papst Franziskus hält am Herz-Jesu-Fest 2016 einen Einkehrtag in drei Teilen für Priester und Seminaristen. Hier die dritte Meditation – gehalten in der Papstbasilika Sankt Paul vor den Mauern – in amtlicher deutscher Übersetzung aus dem Vatikan.

 

DRITTE MEDITATION

Der Duft Christi und das Licht seiner Barmherzigkeit

In unserer dritten Begegnung schlage ich euch vor, über die Werke der Barmherzigkeit zu meditieren. Wir können sowohl eines herausgreifen, das unserem Empfinden nach am besten unserem eigenen Charisma entspricht, als auch sie alle zusammen betrachten und sie mit den Augen Marias sehen, die uns „den fehlenden Wein“ entdecken lassen und uns ermutigen, „alles zu tun, was Jesus uns sagt“ (vgl. Joh 2,1-12), damit seine Barmherzigkeit die Wunder vollbringt, die unser Volk nötig hat.

Die Werke der Barmherzigkeit sind sehr an die „geistlichen Sinne“ gebunden. Im Gebet erbitten wir die Gnade, das Evangelium so „zu hören und zu verkosten“, dass es uns sensibel macht für das Leben. Vom Heiligen Geist bewegt und von Jesus geführt können wir mit den Augen der Barmherzigkeit schon von weitem sehen, wer am Straßenrand am Boden liegt; können wir die Rufe des Bartimäus hören; können wir fühlen wie der Herr, der am Saum seines Gewandes die schüchterne, aber entschlossene Berührung durch die an Blutungen leidende Frau fühlt; können wir die Gnade erbitten, mit ihm am Kreuz den bitteren Gallegeschmack aller Gekreuzigten zu kosten, um so den starken Geruch des Elends wahrzunehmen – in Feldlazaretten, in Zügen und Kähnen voller Menschen – diesen Geruch, den das Öl der Barmherzigkeit nicht überdeckt; doch wenn es ihn salbt, lässt es wieder Hoffnung aufkommen.

Der Katechismus der Katholischen Kirche erzählt uns im Zusammenhang mit den Werken der Barmherzigkeit, dass die heilige Rosa von Lima, als ihre Mutter sie eines Tages tadelte, weil sie zu Hause Arme und Kranke beherbergte, dieser ohne Zögern antwortete: »Wenn wir den Armen und Kranken dienen, sind wir der Wohlgeruch Christi« (vgl. Nr. 2449). Dieser Wohlgeruch Christi – die Sorge für die Armen – ist und war immer kennzeichnend für die Kirche. Paulus sah darin den Schwerpunkt seiner Begegnung mit den »Säulen«, wie er sie nennt, mit Petrus, Jakobus und Johannes, wenn er schreibt: Von ihnen »wurde mir nichts auferlegt […] Nur sollten wir an ihre Armen denken«  (Gal 2,6.10). Auch der Katechismus betont mit eindrucksvollen Worten: »Darum richtet sich auf alle, die [vom Elend] bedrückt sind, auch eine vorrangige Liebe der Kirche, die seit ihren Anfängen, ungeachtet der Schwächen vieler ihrer Glieder, unaufhörlich dafür gewirkt hat, die Bedrückten zu stützen, zu verteidigen und zu befreien« (Nr. 2448).

In der Kirche hatten und haben wir vieles, was nicht sehr gut ist, und viele Sünden; doch darin, den Armen mit den Werken der Barmherzigkeit zu dienen, sind wir als Kirche immer dem Heiligen Geist gefolgt, und unsere Heiligen haben es auf sehr kreative und wirkungsvolle Weise getan. Die Liebe zu den Armen ist das Zeichen gewesen, das Licht, das die Menschen veranlasst hat, Gott den Vater zu preisen. Unsere Leute wissen das zu schätzen: den Priester, der sich um die Armen und die Kranken kümmert, der den Sündern vergibt, der geduldig unterweist und korrigiert… Unser Volk sieht dem Priester viele Fehler nach, nur nicht den, am Geld zu hängen. Und das nicht so sehr wegen des Reichtums an sich, sondern weil das Geld uns den Reichtum der Barmherzigkeit verlieren lässt. Unser Volk hat ein feines Gespür dafür, welche Sünden für den Hirten schwerwiegend sind, welche seinen Dienst zunichtemachen, weil sie ihn zum Funktionär oder noch schlimmer: zum Söldling werden lassen, und welche hingegen, ich würde nicht sagen zweitrangige, aber doch erträgliche Sünden sind, die man wie ein Kreuz auf sich nimmt, bis der Herr sie am Ende reinigt, wie er es mit dem Unkraut tut. Was jedoch gegen die Barmherzigkeit verstößt, ist ein grundsätzlicher Widerspruch. Es verstößt gegen die Heilsdynamik, gegen Christus, der unseretwegen arm wurde, um uns durch seine Armut reich zu machen (vgl. 2 Kor 8,9). Und das ist so, weil die Barmherzigkeit umsorgt und pflegt, indem sie „etwas von sich verliert“: Ein Stückchen des Herzens bleibt beim Verwundeten; eine Zeit unseres Lebens, in der wir Lust hatten, etwas zu tun, verlieren wir, wenn wir sie dem anderen schenken.

Daher geht es nicht darum, dass Gott mir gegenüber in Bezug auf irgendeinen Fehler Barmherzigkeit erweist, als sei ich im Übrigen selbständig; oder darum, dass ich ab und zu irgendeinem Bedürftigen irgendeine besondere Tat der Barmherzigkeit erweise. Die Gnade, um die wir in diesem Gebet bitten, ist die, dass wir uns von Gott Barmherzigkeit erweisen lassen in allen Aspekten unseres Lebens und dass wir mit den anderen barmherzig sind in all unserem Tun. Für uns Priester und Bischöfe, die wir mit den Sakramenten arbeiten, indem wir  taufen, Beichte hören, Eucharistie feiern…, ist die Barmherzigkeit die Weise, das ganze Leben des Gottesvolkes in ein Sakrament zu verwandeln. Barmherzig sein ist nicht nur eine Wesensart, sondern die Wesensart. Es gibt keine andere Möglichkeit, Priester zu sein. Der Pfarrer Brochero, der – so Gott will – in diesem Jahr heiliggesprochen wird, sagte: »Der Priester, der nicht viel Mitleid mit den Sündern hat, ist ein halber Priester. Diese gesegneten Klamotten, die ich am Leibe trage, sind nicht das, was mich zum Priester macht; wenn ich in meinem Herzen keine Liebe trage, bin ich nicht einmal ein Christ.«

Zu sehen, was fehlt, und unverzüglich Abhilfe zu schaffen und noch besser: es vorauszusehen, ist typisch für den Blick eines Vaters. Dieser priesterliche Blick – der Blick dessen, der im Innern der Mutter Kirche die Stelle des Vaters vertritt –, dieser Blick, der uns dazu führt, die Menschen aus der Perspektive der Barmherzigkeit zu sehen, ist das, was vom Seminar an zu pflegen gelehrt werden muss und was alle pastoralen Pläne zu inspirieren hat. Wir wünschen und erbitten vom Herrn einen Blick, der die Zeichen der Zeit zu unterscheiden lernt unter dem Gesichtspunkt, „welche Werke der Barmherzigkeit heute für unser Volk notwendig sind“, damit die Menschen den Gott der Geschichte, der mitten unter ihnen unterwegs ist, spüren und an ihm Gefallen finden können. Denn – wie es das Dokument von Aparecida mit den Worten des heiligen Alberto Hurtado sagt – »an unseren Taten erkennt unser Volk, dass wir sein Leid verstehen« (Nr. 386), an unseren Taten…

Der Beweis für dieses Verständnis gegenüber unserem Volk besteht darin, dass wir in unseren Werken der Barmherzigkeit immer von Gott gesegnet sind und bei unseren Leuten Hilfe und Mitarbeit finden. Das trifft nicht für andere Arten von Projekten zu, die manchmal gut gehen und manchmal nicht. Und manche merken nicht, warum es nicht funktioniert, und zerbrechen sich den Kopf, indem sie nach einem neuen, zigsten Pastoralplan suchen, während man doch einfach – ohne in Einzelheiten gehen zu müssen – sagen könnte: Es funktioniert nicht, weil ihm die Barmherzigkeit fehlt. Wenn es nicht gesegnet ist, dann weil ihm Barmherzigkeit fehlt. Es fehlt jene Barmherzigkeit, die mehr zu einem Feldlazarett gehört als zu einer Luxusklinik; jene Barmherzigkeit, die, indem sie etwas Gutes würdigt, den Boden bereitet für eine spätere Begegnung des Menschen mit Gott, anstatt ihn durch eine gezielte Kritik zu entfernen…

Ich schlage euch ein Gebet mit der Sünderin vor, der vergeben wurde (vgl. Joh 8,3-11), um die Gnade zu erbitten, in der Beichte barmherzig zu sein, und ein weiteres über die soziale Dimension der Werke der Barmherzigkeit.

Es rührt mich immer diese Schriftstelle vom Herrn mit der Ehebrecherin, wie der Herr, als er sie nicht verurteilte, gegen das Gesetz „verstieß“. In dem Punkt, zu dem sie seine Stellungnahme forderten – „muss man sie steinigen oder nicht?“ – äußerte er sich nicht, wendete er das Gesetz nicht an. Er tat, als verstehe er nicht, und in dem Moment packte er etwas anderes aus. So leitete er einen Prozess im Herzen der Frau ein, die diese Worte: »auch ich verurteile dich nicht« brauchte. Indem er ihr die Hand reichte, ließ er sie aufstehen, und das erlaubte ihr, einem Blick voller Liebe und Freundlichkeit zu begegnen, der ihr Herz verwandelte. Manchmal erzeugt es in mir eine Mischung aus Pein und Empörung, wenn jemand sich beeilt, die letzte Ermahnung, das »sündige nicht mehr«, zu erklären und diesen Satz gebraucht, um Jesus zu „verteidigen“ und damit bloß nicht die Sache im Raum stehen bleibt, dass das Gesetz übergangen wurde. Ich denke, dass die Worte, die der Herr gebraucht, eine Einheit bilden mit dem, was er tut. Die Tatsache, dass er sich bückt, um zweimal mit dem Finger auf die Erde zu schreiben, und so eine Pause schafft vor dem, was er zu denen sagt, welche die Frau steinigen wollen, und dann vor dem, was er zu der Frau sagt, spricht uns von einer Zeit, die der Herr sich nimmt, um zu urteilen und zu verzeihen. Eine Zeit, die jeden an sein eigenes Inneres verweist und bewirkt, dass diejenigen, die urteilen, sich zurückziehen. In seinem Dialog mit der Frau eröffnet der Herr weitere Räume: Einer ist der Raum der Nicht-Verurteilung. Das Evangelium beharrt auf diesem Raum, der frei geblieben ist. Es versetzt uns in den Blick Jesu und sagt uns, dass er ringsum niemanden mehr sieht, nur noch die Frau. Und dann veranlasst Jesus selbst die Frau, sich umzuschauen mit der Frage: „Wo sind jene, die dich klassifizierten?“ (Das Wort ist wichtig, denn es bringt das zur Sprache, was wir so schlecht vertragen wie die Sache, dass man uns etikettiert und uns zur Karikatur macht…). Und nachdem er sie erst einmal jenen Raum sehen lässt, der frei ist vom Urteil anderer, sagt er ihr, dass nicht einmal er mit seinen Steinen in ihn eindringt: »Auch ich verurteile dich nicht.« Und in demselben Augenblick öffnet er ihr einen weiteren Freiraum: »Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!« Das Gebot wird für die Zukunft gegeben, als Gehhilfe, um „in der Liebe voranzuschreiten“. Das ist das Feingefühl der Barmherzigkeit, die erbarmungsvoll auf die Vergangenheit schaut und Mut macht für die Zukunft. Dieses „sündige nicht mehr“ ist nicht etwas  Selbstverständliches. Der Herr sagt es „gemeinsam mit ihr“; er hilft ihr, in Worte zu fassen, was sie selbst empfindet, dieses freie „Nein“ zur Sünde, das wie das „Ja“ Marias zur Gnade ist. Das „Nein“ wird in Bezug auf die Wurzel der Sünde eines jeden gesagt. Bei der Frau handelte es sich um eine gesellschaftliche Sünde, um die Sünde von einer, auf die die Menschen zugingen, um sich entweder mit ihr zu vergnügen oder sie zu steinigen. Darum räumt der Herr ihr nicht nur den Weg frei, sondern er bringt sie auf den Weg, damit sie aufhört, „Objekt“ des Blickes anderer zu sein, und selbständig handelndes „Subjekt“ ist. Das „nicht sündigen“ bezieht sich nicht nur auf den moralischen Aspekt, glaube ich, sondern auf eine Art von Sünde, die sie daran hindert, ihr eigenes Leben zu leben. Zum Gelähmten von Bethesda sagt Jesus ebenfalls: »Sündige nicht mehr« (Joh 5,14). Doch ihn, der sich rechtfertigte für die traurigen Dinge, die ihm geschahen, und der eine Opfermentalität besaß, stachelt er ein wenig an mit den Worten: »damit dir nicht noch Schlimmeres zustößt« (ebd.). Der Herr nutzt die Denkweise des Gelähmten, das, wovor er sich fürchtet, um ihn aus seiner Lähmung herauszuziehen. Sagen wir: Mit der Angst bringt er ihn in Bewegung. So müssen wir – jeder von uns – dieses „sündige nicht mehr“ tiefgreifend und ganz persönlich hören.

Dieses Bild des Herrn, der die Menschen in Bewegung bringt, ist sehr treffend: Er ist der Gott, der sich mit seinem Volk auf den Weg macht, der unsere Geschichte weiterführt und begleitet. Darum ist das Objekt, auf das die Barmherzigkeit gerichtet ist, genau bestimmt: Sie wendet sich an das, was einen Menschen veranlasst, sich nicht dort zu bewegen, wo sein Platz ist, nämlich mit seinen Lieben, in dem ihm eigenen Rhythmus, zu dem Ziel, zu dem Gott ihn einlädt. Die Sorge, das, was zutiefst beunruhigt, ist, dass einer auf Abwege gerät oder zurückbleibt oder aus Anmaßung fehlgeht; dass er – sagen wir – desorientiert ist; dass er nicht für den Herrn bereit ist, verfügbar für die Aufgabe, die er ihm übertragen möchte; dass einer sich nicht in Ehrfurcht in der Gegenwart Gottes bewegt (vgl. Mi 6,8), dass er nicht in Liebe seinen Weg geht (vgl. Eph 5,2).

Der Raum des Beichtstuhls, wo die Wahrheit uns frei macht

Und da wir vom Raum sprechen, gehen wir zu dem des Beichtstuhls. Der Katechismus der Katholischen Kirche zeigt uns den Beichtstuhl als einen Ort, an dem die Wahrheit uns frei macht für eine Begegnung: »Wenn der Priester das Bußsakrament spendet, versieht er den Dienst des Guten Hirten, der nach dem verlorenen Schaf sucht; den des barmherzigen Samariters, der die Wunden verbindet; den des Vaters, der auf den verlorenen Sohn wartet und ihn bei dessen Rückkehr liebevoll aufnimmt; den des gerechten Richters, der ohne Ansehen der Person ein zugleich gerechtes und barmherziges Urteil fällt. Kurz, der Priester ist Zeichen und Werkzeug der barmherzigen Liebe Gottes zum Sünder« (Nr. 1465). Und er erinnert uns daran, dass »der Beichtvater […] nicht Herr, sondern Diener der Vergebung Gottes [ist]. Der Diener dieses Sakramentes soll sich mit der Absicht und der Liebe Christi vereinen« (Nr. 1466).

Zeichen und Werkzeug einer Begegnung. Das sind wir. Eine wirkungsvolle Anziehungskraft für eine Begegnung. „Zeichen“ bedeutet, dass wir Anziehung ausüben müssen wie jemand, der winkt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Zeichen muss stimmig und eindeutig sein, vor allem aber verständlich. Denn es gibt Zeichen, die nur für die Spezialisten eindeutig sind. Zeichen und Werkzeug. Für das Werkzeug hängt alles davon ab, ob es wirksam ist, ob es greifbar ist und ob es genau und in geeigneter Weise auf die Wirklichkeit einwirkt. Wir sind ein Werkzeug, wenn die Menschen wirklich dem barmherzigen Gott begegnen. Uns obliegt es, „dafür zu sorgen, dass sie einander begegnen“, von Angesicht zu Angesicht einander gegenüberstehen. Was sie dann tun, ist ihre Angelegenheit. Es gibt einen verlorenen Sohn im Schweinestall und einen Vater, der jeden Abend auf die Dachterrasse steigt, um zu sehen, ob er kommt; es gibt ein verlorenes Schaf und einen Hirten, der sich auf die Suche nach ihm begeben hat; es gibt einen am Straßenrand liegengelassenen Verwundeten und einen Samariter, der ein gutes Herz hat. Was ist also unser Dienst? Zeichen und Werkzeug zu sein, damit diese einander begegnen. Machen wir uns ganz klar, dass wir weder der Vater, noch der Hirte, noch der Samariter sind. Wir befinden uns vielmehr an der Seite der anderen drei, insofern wir Sünder sind. Unser Dienst muss Zeichen und Werkzeug dieser Begegnung sein. Versetzen wir uns daher in den Bereich des Geheimnisses des Heiligen Geistes: Er ist es, der die Kirche schafft, der die Einheit herstellt, der jedes Mal die Begegnung belebt.

Die andere besondere Eigenschaft eines Zeichens und eines Werkzeugs ist, dass sie nicht selbstbezogen sind. Niemand bleibt beim Zeichen stehen, wenn er die Sache selbst verstanden hat; niemand hält inne, um den Schraubenzieher oder den Hammer zu betrachten, sondern er betrachtet das Bild, das sicher aufgehängt ist. Wir sind „unnütze Sklaven“. Das ist es: Werkzeuge und Zeichen, die sehr nützlich waren für zwei andere, die sich in einer Umarmung vereint haben wie der Vater und der Sohn.

Das dritte besondere Merkmal des Zeichens und des Werkzeugs ist ihre Verfügbarkeit: dass das Werkzeug gebrauchsbereit und das Zeichen sichtbar ist. Das Wesen des Zeichens und des Werkzeug ist, dass sie Mittler sind. Vielleicht liegt hier der Schlüssel für unsere Aufgabe bei dieser Begegnung der Barmherzigkeit Gottes mit dem Menschen. Möglicherweise ist es deutlicher, wenn man es negativ ausdrückt. Der heilige Ignatius sprach davon, „kein Hindernis zu sein“. Ein guter Mittler ist derjenige, welcher die Dinge vereinfacht und keine Hindernisse aufstellt. In meinem Land gab es einen großen Beichtvater, Pater Cullen. Er setzte sich in den Beichtstuhl und tat zwei Dinge: Das eine war, Lederbälle zu flicken für die Jungen, die Fußball spielten, und das andere, in einem großen chinesischen Wörterbuch zu lesen. Er sagte, wenn die Leute ihn bei Beschäftigungen sahen, die so nutzlos waren wie das Reparieren alter Bälle und so langfristig wie das Lesen in einem chinesischen Wörterbuch, dann dachten sie: „Zu diesem Priester kann ich gehen und ein wenig mit ihm sprechen, denn wie man sieht, hat er nichts zu tun.“ Er stand zur Verfügung für das Wesentliche. Er vermied die Hürde, immer das Aussehen eines stark Beschäftigten zu haben.

Jeder von uns hat gute Beichtväter kennengelernt. Wir müssen von unseren guten Beichtvätern lernen, von denen, auf die die Leute zugehen, von denen, die die Menschen nicht erschrecken und die es verstehen, sich so lange mit dem anderen zu unterhalten, bis er erzählt, was passiert ist – wie Jesus mit Nikodemus. Wenn jemand zum Beichtstuhl kommt, dann tut er das, weil er etwas bereut, es gibt bereits Reue. Und wenn er kommt, tut er das, weil er den Wunsch hat, sich zu ändern. Oder er wünscht sich wenigstens diesen Wunsch, wenn die Situation ihm unmöglich erscheint (ad impossibilia nemo tenetur – wie der Rechtssatz sagt – zum Unmöglichen ist niemand verpflichtet).

Man muss von den guten Beichtvätern lernen, die Feinfühligkeit gegenüber den Sündern besitzen und denen ein halbes Wort genügt, um alles zu verstehen – wie Jesus mit der unter Blutungen leidenden Frau –, und genau in dem Moment geht von ihnen die Kraft der Vergebung aus. Die Vollständigkeit der Beichte ist keine mathematische Frage. Manchmal löst die Anzahl der Sünden im Verborgenen mehr Beschämung aus als die Sünde selbst. Aber deshalb muss man sich innerlich anrühren lassen angesichts der Situation der Menschen, die manchmal eine Mischung aus Ereignissen, Krankheit, Sünde und unüberwindlichen Konditionierungen ist – wie Jesus, der beim Anblick der Menschen Mitleid empfand; es ging ihm zu Herzen, er spürte es bis ins Mark, und deshalb heilte er; und er heilte sogar, wenn der andere „nicht ausdrücklich darum bat“ wie jener Aussätzige, oder wenn er darum herumredete wie die samaritische Frau, die sich wie ein Kiebitz verhielt: Sie „lockte“ in die eine Richtung, hatte das Nest aber in der anderen.

Man muss von den Beichtvätern lernen, die sich so zu verhalten wissen, dass der Beichtende die Zurechtweisung spürt und einen kleinen Schritt voran tut – wie Jesus, der eine Bußübung aufgab, die genügte, und den zu würdigen wusste, der zurückkehrte, um zu danken, der sich noch weiter bessern konnte. Jesus ließ den Gelähmten seine Bahre tragen oder er ließ sich von den Blinden und von der kanaanäischen Frau ein wenig bitten. Es störte ihn nicht, wenn sie sich danach nicht mehr um ihn kümmerten wie der Gelähmte von Bethesda, oder wenn sie Dinge erzählten, die nicht zu erzählen er ihnen geboten hatte, und es dann schien, als sei er selbst der Aussätzige, weil er nicht mehr in die Dörfer gehen konnte, oder seine Feinde Gründe fanden, ihn zu verurteilen. Er heilte, verzieh, schenkte Erleichterung, Ruhe, ließ die Menschen einen Hauch des Tröster-Geistes einatmen.

In Buenos Aires habe ich einen Kapuziner-Pater kennengelernt – wenig jünger als ich –, der ein großer Beichtvater ist. Vor dem Beichtstuhl hat er immer eine Warteschlange, viele Leute, ja, eine endlose Folge von Menschen, deren Beichte er hört, den ganzen Tag lang. Und er ist ein großer Verzeihender. Er vergibt, aber manchmal kommt ihm der Zweifel, zu viel vergeben zu haben. Und da hat er einmal im Gespräch zu mir gesagt: „Manchmal habe ich diesen Zweifel.“ Und ich habe ihn gefragt: „Und was tust du mit diesem Zweifel?“ – „Ich begebe mich vor den Tabernakel, schaue auf den Herrn und sage ihm: Herr, verzeih mir, heute habe ich viel vergeben. Doch dass das ganz klar ist: Es ist deine Schuld, denn du hast mir das schlechte Beispiel gegeben!“ Die Barmherzigkeit machte er wett mit noch mehr Barmherzigkeit.

Als Letztes zu diesem Thema der Beichte zwei Ratschläge. Zum einen: Habt niemals den Blick des Justizbeamten, den Blick dessen, der nur „Fälle“ sieht und sie abschüttelt. Die Barmherzigkeit befreit uns davon, ein Priester zu sein, der – sagen wir: wie ein Richter mit der Sturheit eines Beamten – durch das viele Beurteilen von „Fällen“ das Gespür für die Menschen, für die Gesichter verliert. Die Regel Jesu ist: „beurteilen, wie wir beurteilt sein möchten“. In jenem inneren Maßstab, den man hat, um zu beurteilen, ob man würdevoll behandelt wird, ob man ignoriert oder misshandelt wird, ob einem geholfen wurde aufzustehen…, liegt der Schlüssel, um die anderen zu beurteilen – beachten wir, dass der Herr diesem so subjektiv persönlichen Maßstab vertraut! Nicht so sehr, weil dieser Maßstab „der beste“ ist, sondern weil er ehrlich ist und man von ihm aus eine gute Beziehung aufbauen kann. Der zweite Ratschlag: Seid nicht neugierig im Beichtstuhl. Die heilige Theresia [vom Kinde Jesu] erzählt, dass sie, wenn sie die vertraulichen Mitteilungen ihrer Novizinnen empfing, sich hütete zu fragen, wie sich die Dinge dann weiterentwickelt hatten. Sie schnüffelte nicht in der Seele der anderen herum (vgl. Geschichte einer Seele, Manuskript C. An Mutter Gonzaga, c. XI 32 r). Es ist typisch für die Barmherzigkeit, dass sie die Sünde „mit ihrem Mantel bedeckt“, um die Würde nicht zu verletzen. Wie die beiden Söhne Noahs mit dem Mantel die Blöße ihres Vaters bedeckten, der sich betrunken hatte (vgl. Gen 9,23).

Die soziale Dimension der Werke der Barmherzigkeit

An das Ende der Geistlichen Übungen setzt der heilige Ignatius die »Betrachtung, um Liebe zu erlangen«, die das, was man im Gebet erlebt hat, mit dem Alltagsleben verbindet. Und er lässt uns darüber nachdenken, wie die Liebe mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden muss. Diese Werke sind die Werke der Barmherzigkeit, die der himmlische Vater im Voraus bereitet hat, damit wir sie tun (vgl. Eph 2,10), und die der Heilige Geist jedem Einzelnen eingibt zum Wohl aller (vgl. 1 Kor  12,7). Während wir dem Herrn für die vielen Wohltaten danken, die wir von seiner Güte empfangen haben, bitten wir ihn um die Gnade, allen Menschen die Barmherzigkeit zu überbringen, die uns gerettet hat.

Ich schlage euch vor, über einige Abschnitte zu meditieren, mit denen die Evangelien schließen. Dort stellt der Herr selbst die Verbindung her zwischen dem, was wir empfangen haben, und dem, was wir geben müssen. Wir können diese Schlussworte im Hinblick auf die „Werke der Barmherzigkeit“ lesen; sie machen die Zeit der Kirche fruchtbar, in der der auferstandene Christus lebt, uns begleitet, uns aussendet und unsere Freiheit an sich zieht, die sich in ihm konkret und täglich neu verwirklicht.

Matthäus berichtet uns, dass der Herr die Apostel aussendet und ihnen sagt: »Lehrt […], alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (28,20). Dieses „die Unwissenden lehren“ ist in sich selbst ein Werk der Barmherzigkeit. Und wie das Licht sich bricht, so spaltet es sich auf in die anderen Werke: in die aus Matthäus 25, wo es eher um die sogenannten leiblichen Werke geht, und in alle Gebote und Ratschläge des Evangeliums wie zu verzeihen, brüderlich zurechtzuweisen, die Traurigen zu trösten, Verfolgungen zu ertragen…

Markus schließt mit dem Bild des Herrn, der mit den Aposteln „zusammenarbeitet“ und „die Verkündigung bekräftigt durch die Zeichen, die sie begleiten“ (vgl. 16,20). Diese „Zeichen“ haben das Merkmal der Werke der Barmherzigkeit. Markus spricht unter anderem davon, die Kranken zu heilen und Dämonen auszutreiben (vgl. 16,17-18).

Lukas setzt sein Evangelium fort mit der Apostelgeschichte, dem Buch der „Taten – praxeis – der Apostel“ und erzählt ihre Vorgehensweise und die Werke, die sie vom Heiligen Geist geführt vollbringen.

Johannes schließt, indem er sagt, dass es »viele andere Zeichen« (20,30) bzw. »noch vieles andere [gibt], was Jesus getan hat« (21,25). Die Taten des Herrn, seine Werke, sind nicht einfache Tatsachen, sondern es sind Zeichen, in denen sich – in einer für jeden persönlichen und einmaligen Weise – seine Liebe und seine Barmherzigkeit zeigen.

Wir können den Herrn, der uns zu dieser Arbeit aussendet, in dem Bild des barmherzigen Jesus betrachten, so wie es der Schwester Faustina offenbart wurde. In jenem Bild können wir die göttliche Barmherzigkeit sehen wie ein einziges Licht, das aus dem Innern Gottes kommend den Weg über das Herz Jesu nimmt und vielgestaltig gebrochen herausströmt mit einer eigenen Farbe für jedes Werk der Barmherzigkeit.

Die Werke der Barmherzigkeit sind zahllos, jedes mit seiner persönlichen Prägung, mit der Geschichte eines jeden Gesichtes. Es sind nicht nur die sieben leiblichen und die sieben geistigen Werke ganz allgemein. Oder besser gesagt: So aufgezählt sind diese wie die „Rohstoffe“ – die des Lebens selbst –, und wenn sie von der Hand der Barmherzigkeit berührt und geformt werden, verwandelt sich jedes von ihnen in ein persönlich gestaltetes Werk. Ein Werk, das sich vervielfacht wie das Brot in den Körben, das sich vermehrt und gleich dem Senfkorn übermäßig wächst. Denn die Barmherzigkeit ist fruchtbar und inklusiv. Es ist wahr, dass wir gewöhnlich an die Werke der Barmherzigkeit denken, indem wir sie einzeln betrachten und in Verbindung mit einer Einrichtung sehen: Krankenhäuser für die Kranken, Mittagstische für die Hungrigen, Herbergen für die Obdachlosen, Schulen für die, welche eine Ausbildung brauchen, und Beichtstuhl und geistliche Leitung für die, welche Rat und Vergebung nötig haben… Wenn wir sie aber gemeinsam betrachten, dann lautet die Botschaft, dass der Gegenstand der Barmherzigkeit das menschliche Leben selbst ist und zwar in seiner Ganzheit. Unser eigenes Leben in seiner Eigenschaft als „Fleisch“ ist hungrig, durstig, bedarf der Kleidung, einer Wohnung, des Kontaktes mit anderen Menschen wie auch eines würdigen Begräbnisses, das niemand sich selber geben kann. Auch der Reichste wird, wenn er stirbt, zu einem Häufchen Elend, und niemand führt in seinem Trauerzug den Umzugswagen mit. Insofern es „Geist“ ist, bedarf unser eigenes Leben der Erziehung, der Zurechtweisung und der Ermutigung (des Trostes). Wir haben es nötig, dass andere uns beraten, uns verzeihen, uns unterstützen und für uns beten. Die Familie ist der Ort, wo diese Werke der Barmherzigkeit in so angemessener Form und so uneigennützig praktiziert werden, dass man es gar nicht merkt; doch es genügt, dass in einer Familie mit kleinen Kindern die Mutter fehlt, und alles gerät in Not. Das vollkommenste und grausamste Elend ist das eines Straßenkindes, ohne Eltern und den Aasgeiern ausgesetzt.

Wir haben die Gnade erbeten, Zeichen und Werkzeug zu sein; jetzt geht es darum, zu „handeln“, und zwar nicht nur Gesten zu tun, sondern Werke zu vollbringen, eine Kultur der Barmherzigkeit zu schaffen und zu „institutionalisieren“. Wenn wir uns an die Arbeit machen, spüren wir sofort, dass es der Heilige Geist ist, der diese Werke in Gang bringt und vorantreibt. Und er tut es, indem er sich der Zeichen und der Werkzeuge bedient, die er will, auch wenn sie manchmal an sich nicht die geeignetsten sind. Mehr noch, man könnte sagen, dass der Geist zur Ausübung der Werke der Barmherzigkeit eher die ärmlichsten Werkzeuge auswählt, die am demütigsten und unbedeutendsten sind und selbst am meisten jenes ersten Strahles der göttlichen Barmherzigkeit bedürfen. Das sind diejenigen, die sich am besten formen und vorbereiten lassen, um einen wirklich wirksamen und hochwertigen Dienst zu leisten. Die Freude, sich als „unnütze Sklaven“ zu fühlen, die der Herr mit der Fruchtbarkeit seiner Gnade segnet und die er persönlich an seinem Tisch Platz nehmen lässt und ihnen die Eucharistie schenkt, ist eine Bestätigung, dass man an seinen Werken der Barmherzigkeit arbeitet.

Unserem Volk der Gläubigen gefällt es, sich um die Werke der Barmherzigkeit zu scharen. Sowohl in den liturgischen Feiern – Bußandachten und Festmessen – als auch in solidarischem Tun und in der Glaubensvertiefung lassen unsere Leute sich zusammenführen und „weiden“. Dies geschieht in einer Weise, die nicht alle kennen und zu schätzen wissen, obwohl viele andere, auf abstraktere Dynamiken ausgerichtete Pastoralpläne scheitern. Die massenhafte Anwesenheit unseres gläubigen Volkes in unseren Heiligtümern und bei unseren Wallfahrten – eine anonyme Anwesenheit aufgrund der Überzahl an Gesichtern und wegen des Wunsches, sich allein von Demjenigen und Derjenigen sehen zu lassen, die voller Barmherzigkeit auf sie schauen, wie auch aufgrund der vielen Mitarbeiter, die mit ihrem Einsatz viele solidarische Werke unterstützen –, diese massenhafte Anwesenheit muss unsere Aufmerksamkeit erregen und uns anregen, dies zu würdigen und zu fördern.

Als Priester erbitten wir vom Guten Hirten zwei Gnaden: uns vom sensus fidei unseres gläubigen Volkes und auch von seinem „Empfinden des Armen“ leiten zu lassen. Beide „Sinne“ sind mit dem „sensus Christi“ verbunden, mit der Liebe und dem Glauben, die unsere Leute für Jesus hegen.

Schließen wir, indem wir das Anima Christi beten. Es ist ein schönes Gebet, um den im Fleisch gekommenen Herrn um Barmherzigkeit zu bitten; mit seinem eigenen Leib und seiner Seele selbst schenkt er uns sein Erbarmen. Wir bitten ihn, dass er uns gemeinsam mit seinem Volk Barmherzigkeit erweist: Seine Seele bitten wir: „Heilige uns!“; seinen Leib flehen wir an: „Rette uns!“; sein Blut bitten wir inständig: „Tränke uns!“, nimm uns jeden anderen Durst, der nicht Durst nach dir ist; das Wasser aus seiner Seite bitten wir: „Wasche uns rein!“; von seinem Leiden erflehen wir: „Stärke uns!“. Tröste dein Volk, oh gekreuzigter Herr; in deinen Wunden, so bitten wir, „birg uns“… Lass nicht zu, dass dein Volk sich von dir trennt, oh Herr! Nichts und niemand trenne uns von deiner Barmherzigkeit, die uns vor den Verlockungen des bösen Feindes schützt. So werden wir mit allen deinen Heiligen deine Barmherzigkeit besingen können, wenn du uns einst zu dir rufst.

Den ersten Teil der Papstmeditation für Priester können Sie hier nachlesen, den zweiten Teil hier.

(rv 02.06.2016 rv)

PAPSTEXERZITIEN FÜR PRIESTER: Teil 1 in voller Länge

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1. Meditation — Lateranbasilika, 2. Juni 2016

Jubiläum der Priester: Papst Franziskus hält am Herz-Jesu-Fest 2016 Exerzitien in drei Teilen für Priester und Seminaristen. Hier die erste Meditation – gehalten in der Bischofskirche des Papstes, San Giovanni in Laterano – in amtlicher deutscher Übersetzung aus dem Vatikan.

Die Barmherzigkeit ist in ihrem mehr weiblichen Aspekt die innige Mutterliebe, die angesichts der Gebrechlichkeit ihres Neugeborenen gerührt ist, es in ihre Arme schließt und für alles aufkommt, was ihm fehlt, damit es leben und wachsen kann (rachamim); und in ihrem speziell männlichen Aspekt ist sie die starke Treue des Vaters, der seine Kinder immer unterstützt, ihnen verzeiht und sie wieder auf den Weg bringt. Die Barmherzigkeit ist sowohl die Frucht eines „Bundes“ – darum heißt es, dass Gott an seinen Bund der Barmherzigkeit (hesed) denkt – als auch eine ungeschuldete „Handlung“ des Wohlwollens und der Güte, die aus unserer tiefsten Seelenverfassung hervorgeht und in einem äußeren Werk zum Ausdruck kommt (eleos, von dem das Wort Almosen herrührt). Dieses umfassende Spektrum der Barmherzigkeit führt dazu, dass es immer allen möglich ist, sich zu „erbarmen“, Mitgefühl zu haben mit dem Leidenden, Rührung zu empfinden angesichts des Bedürftigen; dass man sich empört, dass einem eine offensichtliche Ungerechtigkeit auf den Magen schlägt und man unverzüglich beginnt, etwas Konkretes zu tun – respektvoll und einfühlsam –, um der Situation abzuhelfen. Und von diesem inneren Empfinden her ist es allen möglich, Gott unter dem Gesichtspunkt dieser ersten und letzten Eigenschaft zu betrachten, mit der Jesus ihn uns offenbart hat: Der Name Gottes ist Barmherzigkeit.

Wenn wir über die Barmherzigkeit nachsinnen, geschieht etwas Besonderes. Die Dynamik der Exerzitien wird von innen her gesteigert. Die Barmherzigkeit lässt erkennen, dass die objektiven Wege der klassischen Mystik – Reinigung, Erleuchtung und Vereinigung – niemals aufeinander folgende Etappen sind, die man hinter sich lassen kann. Immer bedürfen wir einer neuen Umkehr, einer tieferen Betrachtung und einer erneuerten Liebe. Nichts vereint mehr mit Gott als eine Tat der Barmherzigkeit – ob es sich nun um die Barmherzigkeit handelt, mit der der Herr uns unsere Sünden vergibt, oder um die Gnade, die er uns schenkt, damit wir die Werke der Barmherzigkeit in seinem Namen vollbringen. Nichts erleuchtet den Glauben mehr als die Reinigung von unseren Sünden und nichts ist eindeutiger als Matthäus 25 und jenes » Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden « (Mt 5,7), um zu verstehen, was der Wille Gottes ist, die Mission, zu der er uns sendet. Auf die Barmherzigkeit kann man jene Lehre Jesu anwenden: » Nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden « (Mt 7,2). Die Barmherzigkeit erlaubt uns, von dem Gefühl, Empfänger des Erbarmens zu sein, zu dem Wunsch überzugehen, Erbarmen zu erweisen. In einer heilsamen Spannung können das Gefühl der Beschämung wegen der eigenen Sünden und das Gefühl für die Würde, zu der der Herr uns erhebt, nebeneinander existieren. Ohne Umschweife können wir von der Ferne übergehen zum Fest – wie in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn – und als Sammelbecken für die Barmherzigkeit unsere eigene Sünde benutzen. Die Barmherzigkeit veranlasst uns, vom Persönlichen zum Gemeinschaftlichen überzugehen. Wenn wir barmherzig handeln wie bei den Wundern der Brotvermehrung, die aus dem Mitleid Jesu mit seinem Volk und mit den Fremden geboren werden, vervielfältigt sich das Brot in dem Maß, wie es ausgeteilt wird.

 

Drei Anregungen

Die frohe und freie Vertrautheit, die sich auf allen Ebenen unter denen einstellt, die durch das Band der Barmherzigkeit Kontakte miteinander knüpfen – eine Vertrautheit des Gottesreiches, so wie Jesus es in seinen Gleichnissen beschreibt – veranlasst mich, euch für euer persönliches Gebet an diesem Tag drei Dinge vorzuschlagen.

Das erste hat mit zwei praktischen Ratschlägen zu tun, die der heilige Ignatius gibt. Er sagt: »Nicht das viele Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das innerliche Verspüren und Schmecken der Dinge« (Geistliche Übungen, Anmerkung 2). Und er fügt hinzu, dass jemand dort, wo er das findet, was er will, und wo es ihm gefällt, ruhig im Gebet verweilen soll, bis er befriedigt ist, »ohne ängstliche Sorge zu haben weiterzugehen«  (ebd., 76). Man kann also bei diesen Meditationen über die Barmherzigkeit beginnen, wo es einem am meisten gefällt, und dort verweilen, denn sicher wird ein Werk der Barmherzigkeit euch zu den anderen führen. Wenn wir damit beginnen, dem Herrn zu danken, der uns wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erlöst hat, wird uns das sicher dazu führen, uns über unsere Sünden zu grämen. Wenn wir damit beginnen, Mitleid zu empfinden mit den Ärmsten und Fernsten, werden sicher auch wir selbst die Notwendigkeit spüren, Erbarmen zu empfangen.

Die zweite Anregung für das Beten hängt mit einer neuen Weise zusammen, das Wort Barmherzigkeit zu gebrauchen. Wie ihr sicher festgestellt habt, gebrauche ich beim Reden über die Barmherzigkeit gerne die Verbform: „Man muss sich erbarmen (misericordiar), um Erbarmen zu empfangen (ser misericordiados).“ Die Barmherzigkeit bringt eine menschliche Erbärmlichkeit mit dem Herzen Gottes in Kontakt und das bewirkt, dass es unmittelbar zur Handlung kommt. Man kann nicht über Barmherzigkeit meditieren, ohne dass sich alles in die Tat umsetzt. Darum tut es beim Gebet nicht gut, zu intellektualisieren. Mit Hilfe der Gnade muss unser Gespräch mit dem Herrn ganz schnell konkret werden in der Frage: Welche meiner Sünden verlangt, dass deine Barmherzigkeit in mich eindringt; wo, Herr, empfinde ich am meisten Scham und den stärksten Wunsch zur Wiedergutmachung? Und sehr bald müssen wir von dem sprechen, was uns am meisten innerlich erschüttert, von jenen Gesichtern, die in uns das große Verlangen wecken, aktiv zu werden, um ihren Hunger und Durst nach Gott, nach Gerechtigkeit, nach liebevoller Zuneigung zu stillen. Die Barmherzigkeit betrachtet man im Tun, doch in einer Art des Tuns, die alles einschließt: Die Barmherzigkeit bezieht unser ganzes Sein ein – Herz und Geist – und alles Seiende.

Die letzte Anregung betrifft die Frucht der Exerzitien, das heißt die Gnade, die wir erbitten müssen und die ganz konkret die Gnade ist, uns in Priester zu verwandeln, die immer fähiger werden, Barmherzigkeit zu empfangen und selbst barmherzig zu sein. Wir können uns ganz auf die Barmherzigkeit ausrichten, weil sie das Wesentliche, das Endgültige ist. Über die Stufen der Barmherzigkeit (vgl. Enzyklika Laudato si’, 77) können wir absteigen bis in die tiefsten Tiefen des Menschseins – Hinfälligkeit und Sünde eingeschlossen – und aufsteigen bis zu den höchsten Höhen der göttlichen Vollkommenheit: »Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!« (Lk 6,36); »ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist« (Mt 5,48). Immer aber, um nur noch mehr Barmherzigkeit zu „ernten“. Daraus müssen Früchte der Umkehr unserer institutionellen Mentalität hervorgehen: Wenn unsere Strukturen nicht gelebt und genutzt werden, um die Barmherzigkeit Gottes besser zu empfangen und um barmherziger gegenüber den anderen zu sein, können sie sich in etwas sehr Befremdliches und Kontraproduktives verwandeln.

Dieser Einkehrtag wird also den Weg dieser „Einfachheit des Evangeliums“ einschlagen, die alles unter dem Gesichtspunkt der Barmherzigkeit versteht und vollbringt. Und zwar einer dynamischen Barmherzigkeit, die weder als ein dingfestes, genau definiertes Substantiv gesehen wird, noch als ein Adjektiv, welches das Leben ein wenig ausschmückt, sondern als ein Verb – sich erbarmen und Erbarmen empfangen –, das uns zum Handeln mitten in der Welt treibt. Und zudem als eine „immer noch größere“ Barmherzigkeit, als eine Barmherzigkeit, die wächst und zunimmt, indem sie vom Guten zum Besseren voranschreitet, von weniger zu mehr geht. Denn das Bild, das Jesus uns vorstellt, ist das des stets größeren Vaters, dessen unendliche Barmherzigkeit „wächst“ – wenn man das so sagen kann – und die weder in der Höhe noch in der Tiefe Grenzen kennt, weil sie seiner souveränen Freiheit entspringt.

 

ERSTE MEDITATION

Aus der Ferne zum Fest

Wenn die Barmherzigkeit des Evangeliums, wie wir sagten, ein Übermaß Gottes ist, ein unglaubliches Überborden, dann muss man als Erstes schauen, wo die Welt von heute und jeder Mensch ein solches Übermaß an Liebe am meisten braucht. Das Erste ist, uns zu fragen, welches das Sammelbecken für eine solche Barmherzigkeit ist; welches das öde, ausgetrocknete Erdreich ist für dieses Überfließen lebendigen Wassers; welches die Wunden sind für dieses Balsamöl; welches die Waisenschaft ist, die ein solches Sich-Aufopfern in Liebe und Zuwendung braucht; welches die Ferne ist, die so sehr nach Umarmung und Begegnung dürstet…

Das Gleichnis, das ich euch für diese Meditation vorschlage, ist das des barmherzigen Vaters (vgl. Lk 15,11-31). Wir versetzen uns in den Bereich des Geheimnisses des Vaters. Und ich möchte ganz spontan mit jenem Moment beginnen, in dem der verlorene Sohn mitten im Schweinestall ist, in dieser Hölle des Egoismus, wo er alles getan hat, was er wollte, und anstatt frei zu sein, sich als Sklave wiederfindet. Er schaut auf die Schweine, die Futterschoten essen…, er empfindet Neid und es steigt Heimweh in ihm auf. Heimweh nach dem frisch gebackenen Brot, das die Diener in seinem Hause, im Haus seines Vaters, zum Frühstück essen. Heimweh… Das Heimweh ist ein machtvolles Gefühl. Es hat etwas mit der Barmherzigkeit zu tun, denn es weitet unsere Seele aus. Es lässt uns an das erste Gut denken – die Heimat, aus der wir ausgezogen sind – und erweckt in uns die Hoffnung zurückzukehren. In diesem weiten Sinn des Heimwehs ging der junge Mann in sich – sagt das Evangelium – und fühlte sich elend.

Ohne uns jetzt dabei aufzuhalten, das Elend seines Zustands zu beschreiben, gehen wir zu jenem anderen Moment über, in dem er, nachdem sein Vater ihn herzlich umarmt und geküsst hat, sich schmutzig fühlt, aber festlich gekleidet ist. Am Finger trägt er den Ring wie sein Vater, an den Füßen neue Sandalen. Er steht mitten im Fest, unter den Leuten. Ungefähr wie wir, wenn es uns einmal passiert ist, dass wir vor der Messe gebeichtet hatten und uns gleich darauf mit den Paramenten bekleidet mitten in einer Zeremonie wiederfanden.

 

Beschämte Würde

Verweilen wir bei jener „beschämten Würde“ dieses verlorenen und bevorzugten Sohnes. Wenn wir uns mit innerer Gelassenheit darum bemühen, unser Herz zwischen diesen beiden Extremen – der Würde und der Beschämung – zu halten, ohne eines von ihnen zu vernachlässigen, können wir vielleicht spüren, wie das Herz unseres himmlischen Vaters schlägt. Dann können wir uns vorstellen, dass die Barmherzigkeit daraus hervorströmt wie Blut. Dass er aufbricht, uns zu suchen – uns Sünder –, dass er uns an sich zieht, uns reinigt und uns erneuert wieder aussendet an alle Peripherien, damit wir allen Barmherzigkeit erweisen. Sein Blut ist das Blut Christi, das Blut des neuen und ewigen Bundes der Barmherzigkeit, das für uns und für alle vergossen wurde zur Vergebung der Sünden. Dieses Blut betrachten wir, wie es in sein und des Vaters Herz hineinfließt und aus ihm hervorströmt. Es ist unser einziger Schatz, der einzige, den wir besitzen, um ihn der Welt zu geben: das Blut, das alles und alle reinigt und versöhnt. Das Blut des Herrn, der die Sünden vergibt. Das Blut, das wirklich ein Trank ist und das, was aufgrund der Sünde tot ist, auferweckt und ihm Leben gibt.

In unserem ruhigen Beten, das von der Beschämung zur Würde und von der Würde zur Beschämung geht, erbitten wir die Gnade, diese Barmherzigkeit als grundlegend für unser ganzes Leben zu empfinden; die Gnade, zu spüren, wie der Herzschlag des Vaters sich mit dem unsrigen verbindet. Es genügt nicht, die Barmherzigkeit Gottes wie eine Geste zu empfinden, die er hin und wieder tut, indem er uns irgendeine große Sünde vergibt, und im Übrigen bügeln wir die Dinge allein und selbständig wieder aus.

Der heilige Ignatius schlägt ein für seine Zeit typisches Bild aus der Welt des Rittertums vor; da aber die Loyalität unter Freunden ein immerwährender Wert ist, kann es uns hilfreich sein. Er sagt, dass wir, um »Verwirrung« und Beschämung wegen unserer Sünden zu empfinden (ohne das Gefühl für die Barmherzigkeit zu verlieren), uns eines Beispiels bedienen können: Stellen wir uns vor, dass »ein Ritter vor seinen König und dessen ganzen Hof tritt, beschämt und verwirrt, weil er ihn, von dem er zuvor viele Gaben und viele Gunsterweise empfangen hat, sehr beleidigt hat« (Geistliche Übungen, 74). Wenn wir aber der Dynamik des verlorenen Sohns auf dem Fest folgen, stellen wir uns diesen Ritter vor wie einen, der nicht etwa vor allen beschämt wird, sondern dem der König stattdessen überraschenderweise die Hand reicht und ihm seine Würde zurückgibt. Und wir sehen, dass er ihn nicht nur einlädt, ihm in seinem Kampf zu folgen, sondern dass er ihn an die Spitze seiner Kameraden setzt. Mit welcher Demut und welcher Treue wird dieser Ritter ihm von nun an folgen!

Ob man sich nun wie der gefeierte verlorene Sohn fühlt oder wie der untreue Ritter, der zum Vorgesetzten ernannt wurde – das Wichtige ist, dass jeder sich in die fruchtbare Spannung begibt, in die die Barmherzigkeit des Herrn uns stellt: nicht nur als Sünder, die Vergebung erlangt haben, sondern als Sünder, denen Würde verliehen wurde.

Simon Petrus bietet uns das hilfreiche Bild dieser heilsamen Spannung. Der Herr erzieht und formt ihn schrittweise und „trainiert“ ihn, Simon und Petrus zugleich zu bleiben: der gewöhnliche Mensch mit seinen Widersprüchen und Schwächen und derjenige, der ein Fels ist, der die Schlüssel besitzt und die anderen leitet. Als Andreas ihn so, wie er ist, in der Kleidung des Fischers zu Christus führt, gibt der Herr ihm den Namen „Fels“. Kaum hat er ihn gelobt für das Bekenntnis des Glaubens, das vom himmlischen Vater kam, tadelt er ihn schon hart für die Versuchung, auf die Stimme des bösen Geistes zu hören, die ihm nahelegt, sich vom Kreuz fernzuhalten. Er lädt ihn ein, über das Wasser zu gehen, und lässt zu, dass er beginnt, in seiner eigenen Angst zu versinken – um ihm dann sofort die Hand zu reichen; sobald Petrus sich als Sünder bekennt,  überträgt Jesus ihm die Aufgabe, Menschenfischer zu sein; er befragt ihn wiederholt über seine Liebe und lässt ihn Schmerz und Scham empfinden wegen seiner Untreue und Feigheit, und doch vertraut er ihm dreimal die Aufgabe an, seine Schafe zu weiden.

Hier müssen wir uns ansiedeln, in dem Raum, in dem unsere beschämendste Schwäche und unsere höchste Würde nebeneinander existieren. Schmutzig, unrein, kleinlich, selbstgefällig, egoistisch und zugleich mit gewaschenen Füßen, berufen und erwählt und damit beschäftigt, die vermehrten Brote auszuteilen; gepriesen, geliebt und umsorgt von unseren Leuten. Allein die Barmherzigkeit macht diese Lage erträglich. Ohne sie halten wir uns entweder für gerecht wie die Pharisäer oder wir entfernen uns wie jene, die sich nicht würdig fühlen. In beiden Fällen verhärtet sich unser Herz.

Vertiefen wir das noch ein wenig mehr. Wir fragen uns: Warum ist diese Spannung so fruchtbar? Ich würde sagen, sie ist fruchtbar, weil es aus einer freien Entscheidung hervorgeht, wenn man sie beibehält. Und der Herr handelt hauptsächlich aufgrund unserer Freiheit, auch wenn er uns in allem hilft. Die Barmherzigkeit ist eine Frage der Freiheit. Das Gefühl kommt spontan auf, und wenn wir sagen, dass es irrational ist, könnte es scheinen, als sei dies ein Synonym für „tierisch“. In Wirklichkeit aber kennen die Tiere die „moralische“ Barmherzigkeit nicht, auch wenn einige etwas von diesem Mitgefühl empfinden können, wie ein treuer Hund, der an der Seite seines kranken Herrn bleibt. Die Barmherzigkeit ist eine Ergriffenheit, die das Herz berührt, und dennoch kann sie auch aus einer scharfsinnigen intellektuellen Wahrnehmung entspringen – direkt wie ein Strahl, einfach, deswegen aber nicht weniger komplex –: Vieles nimmt man intuitiv wahr, wenn man Barmherzigkeit empfindet. Man begreift zum Beispiel, dass der andere sich in einer verzweifelten Grenzsituation befindet; dass ihm etwas widerfährt, was über seine Sünden oder seine Schuld hinausgeht; man begreift auch, dass der andere ein Mensch ist wie man selbst und dass man sich an seiner Stelle befinden könnte; und dass das Übel so groß und verheerend ist, dass man es nicht allein durch die Gerechtigkeit lösen kann… Im Grunde kommt man zu der Einsicht, dass es einer unendlichen Barmherzigkeit bedarf wie jener des Herzens Christi, um so viel Übel und so viel Leiden, wie wir es im Leben der Menschen feststellen, wieder gutzumachen… Weniger als diese reicht nicht aus. Vieles begreift unser Verstand erst, wenn er jemanden sieht, der an einem kalten Morgen mit bloßen Füßen auf die Straße hinausgeworfen ist, oder wenn er den Herrn sieht, ans Kreuz genagelt für mich!

Außerdem geschieht es aus freiem Entschluss, dass man die Barmherzigkeit annimmt und pflegt oder sie zurückweist. Wenn einer sich ergreifen lässt, zieht eine Geste die andere nach sich. Wenn einer vorbeigeht, wird das Herz kalt. Die Barmherzigkeit lässt uns unsere Freiheit erleben und in ihr ist es, dass wir die Freiheit Gottes erleben können, der barmherzig ist mit den Barmherzigen (vgl. Dtn 5,10), wie er zu Mose sagte. In seiner Barmherzigkeit drückt der Herr seine Freiheit aus. Und wir die unsere.

Wir können lange Zeit „ohne“ die Barmherzigkeit des Herrn leben. Das heißt, wir können leben, ohne uns ihrer bewusst zu sein und ohne sie ausdrücklich zu erbitten – bis man entdeckt, dass „alles Barmherzigkeit ist“, und bitterlich weint, dass man sie nicht vorher genutzt hat, da man ihrer so sehr bedurfte!

Die Erbärmlichkeit, von der wir sprechen, ist die moralische, nicht übertragbare Erbärmlichkeit, derentwegen man sich seiner selbst als einer Person bewusst wird, die in einem entscheidenden Moment des eigenen Lebens aus eigener Initiative gehandelt hat: Man hat eine Wahl getroffen und hat schlecht gewählt. Das ist der Tiefpunkt, den man erreichen muss, um Schmerz über seine Sünden zu empfinden und wirklich zu bereuen. Denn in anderen Bereichen fühlt man sich nicht so frei, noch spürt man, dass die Sünde das ganze eigene Leben negativ beeinflusst. Darum erfährt man nicht die eigene Erbärmlichkeit, und auf diese Weise entgeht einem die Barmherzigkeit, die eben nur unter dieser Voraussetzung wirkt. Man geht nicht in die Apotheke und sagt: „Haben Sie Erbarmen und geben mir Aspirin-Tabletten.“ Um der Barmherzigkeit willen erbittet man Morphium für einen Menschen, der von den furchtbaren Schmerzen einer tödlichen Krankheit geplagt wird.

Das Herz, das Gott mit dieser unserer moralischen Erbärmlichkeit verbindet, ist das Herz Christi, seines geliebten Sohnes, das wie ein einziges Herz mit dem des Vaters und dem des Heiligen Geistes schlägt. Es ist ein Herz, das den nächsten Weg wählt und sich ganz und gar in ihn hineinziehen lässt. Das ist typisch für die Barmherzigkeit, dass sie sich die Hände schmutzig macht, berührt, sich selbst ins Spiel bringt, sich auf den anderen einlassen will, dass sie sich an das Persönliche mit dem noch Persönlicheren wendet, dass sie nicht „einen Fall behandelt“, sondern sich mit einem Menschen beschäftigt, mit seiner Wunde. Die Barmherzigkeit geht über die Gerechtigkeit hinaus, und sie gibt das zu verstehen und lässt es spüren; man bleibt auf Gegenseitigkeit in die Angelegenheit des anderen einbezogen. Indem sie Würde verleiht, hebt die Barmherzigkeit den empor, zu dem man sich niederbeugt, und bringt beide auf die gleiche Höhe, den Barmherzigen und den, der Barmherzigkeit empfangen hat.

Darum muss der Vater ein Fest feiern, damit alles auf einmal wiederhergestellt wird, indem er seinem Sohn die verlorene Würde zurückgibt. Das gestattet, in neuer Weise auf die Zukunft zu schauen. Nicht, dass die Barmherzigkeit die Objektivität des vom Bösen verursachten Schadens nicht in Betracht zöge. Doch sie nimmt ihr die Macht über die Zukunft, sie nimmt ihr die Macht über das Leben, das weitergeht. Die Barmherzigkeit ist die wahre Lebenshaltung, die sich dem Tod, der bitteren Frucht der Sünde, widersetzt. Darin ist sie von klarem Verstand geleitet; die Barmherzigkeit ist keineswegs naiv. Nicht, dass sie die Sünde nicht sähe, aber sie achtet darauf, wie kurz das Leben ist, und auf all das Gute, das noch zu tun bleibt. Deshalb muss man vollkommen verzeihen, damit der andere voranschaut und keine Zeit mit Schuldgefühlen und Selbstmitleid verliert und damit, dem Verlorenen nachzutrauern. Auf dem Weg zu den anderen, um sie zu heilen, wird man auch sein eigenes Gewissen erforschen, und in dem Maß, in dem man den anderen hilft, wird man das Schlechte, das man getan hat, wiedergutmachen. Die Barmherzigkeit ist grundsätzlich hoffnungsvoll.

Sich von der Bewegung des Herzens des himmlischen Vaters anziehen und aussenden zu lassen bedeutet, sich in dieser heilsamen Spannung der beschämten Würde zu halten. Es bedeutet, sich von der Mitte seines Herzens anziehen zu lassen wie Blut, das sich auf dem Weg, um den entferntesten Gliedern Leben zu geben, beschmutzt hat – sich anziehen zu lassen, damit der Herr uns reinigt und uns die Füße wäscht. Und es bedeutet, sich aussenden zu lassen, angefüllt mit dem Sauerstoff des Heiligen Geistes, um allen Gliedern, besonders den entferntesten, anfälligsten und am meisten verwundeten Leben zu bringen.

Ein Priester erzählte von einem Menschen, der auf der Straße lebte und am Ende in einer Herberge unterkam. Es war einer, der in seiner Bitterkeit verschlossen war und in keinerlei Beziehung mit den anderen trat. Ein gebildeter Mensch, wie man später merkte. Nach einiger Zeit wurde dieser Mann wegen einer tödlichen Krankheit ins Krankenhaus eingeliefert. Da erzählte er dem Priester, dass sein Bettnachbar, als er selbst dort im Gefühl seiner Nichtigkeit und seiner Lebensenttäuschung versunken war, ihn bat, ihm den Spucknapf herüberzureichen, und diesen dann ausleerte. Und er sagte, dass diese Bitte, die von einem kam, der ihn wirklich brauchte und der schlechter daran war als er, ihm die Augen und das Herz öffneten für ein übermächtiges Gefühl der Menschlichkeit und für ein Verlangen, dem anderen zu helfen und sich selbst von Gott helfen zu lassen. So brachte eine einfache Tat der Barmherzigkeit ihn in Verbindung mit der unendlichen Barmherzigkeit; er fasste Mut, dem anderen zu helfen, und ließ sich dann selber helfen: Er starb in Frieden, nachdem er gebeichtet hatte.

So lasse ich euch nun mit dem Gleichnis vom barmherzigen Vater, nachdem wir uns in dem Moment „niedergelassen“ haben, in dem der Sohn sich schmutzig und neu bekleidet fühlt – ein Sünder, dem die Würde zurückgegeben wurde, beschämt über sich selbst und stolz auf seinen Vater. Das Zeichen, um zu wissen, ob man richtig liegt, ist der Wunsch, von nun an allen gegenüber barmherzig zu sein. Darin liegt das Feuer, das auf die Erde zu bringen Jesus gekommen ist, jenes Feuer, das andere Feuer entzündet. Wenn der Funke nicht überspringt, bedeutet das, dass einer der beiden Pole den Kontakt nicht zulässt. Entweder die übertriebene Beschämung, die „die Kabel nicht freilegt“ und anstatt offen zu bekennen: „Das und das habe ich getan“, sich bedeckt; oder die übertriebene Würde, die die Dinge mit Handschuhen berührt.

 

Das „Masslosigkeiten“ der Barmherzigkeit

Die einzige Maßlosigkeit angesichts der maßlosen Barmherzigkeit Gottes besteht darin, im Empfangen dieser Barmherzigkeit und in dem Wunsch, sie an die anderen weiterzugeben, maßlos zu sein. Das Evangelium zeigt uns viele schöne Beispiele derer, die das Maß überschreiten, um sie zu empfangen:  Da ist der Gelähmte, dessen Freunde ihn durch das Dach in die Mitte des Raumes hinunterlassen, in dem Jesus predigte; der Aussätzige, der seine neun Gefährten verlässt und zurückkehrt, Gott mit lauter Stimme lobt und dankt und zu Füßen des Herrn niederkniet; der blinde Bartimäus, dem es mit seinem Schreien gelingt, Jesus anzuhalten; die Frau, die unter Blutungen leidet und die sich in ihrer Schüchternheit bemüht, dem Herrn so nahe wie möglich zu kommen, und – wie das Evangelium berichtet – als sie seinen Mantel berührte, spürte der Herr, dass eine dynamis von ihm ausging… Das sind alles Beispiele für jenen Kontakt, der ein Feuer entzündet und die Dynamik auslöst, die positive Kraft der Barmherzigkeit. Da ist auch die Sünderin, die dem Herrn in maßloser Weise ihre Liebe zeigt, indem sie seine Füße mit ihren Tränen wäscht und mit ihren Haaren trocknet: Darin sieht der Herr ein Zeichen dafür, dass sie viel Barmherzigkeit empfangen hat und sie deshalb auf diese Art zum Ausdruck bringt. Die einfachsten Menschen – die Sünder, die Kranken, die Besessenen… – werden unverzüglich vom Herrn geehrt, der sie vom Ausgeschlossensein in die vollkommene Einbezogenheit übergehen lässt, von der Ferne zum Fest. Das ist der Ausdruck: Die Barmherzigkeit lässt uns von der Ferne zum Fest übergehen. Und das versteht man nur unter dem Gesichtspunkt der Hoffnung, in apostolischer Hinsicht, unter dem Gesichtspunkt dessen, der Erbarmen gefunden hat, um sich seinerseits zu erbarmen.

Wir können schließen, indem wir das Magnificat der Barmherzigkeit, den Psalm 51 [50] des Königs David beten, den wir jeden Freitag in den Laudes rezitieren. Es ist das Magnificat des zerbrochenen und zerschlagenen Herzens, das in seiner Sünde die Größe besitzt, den treuen Gott zu bekennen, der größer ist als die Sünde. Wenn wir uns in den Moment versetzen, in dem der verlorene Sohn erwartete, mit Kälte behandelt zu werden, und der Vater ihn stattdessen mitten in ein Fest stellt, können wir uns ihn vorstellen, wie er den Psalm 51 spricht, und ihn wechselseitig mit ihm beten. Wir können hören, wie er sagt: »Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen!« Und wir können sagen: Ja, auch ich, »ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen.« Und einstimmig sprechen wir: Gegen dich, Vater, »gegen dich allein habe ich gesündigt.«

Beten wir von dieser inneren Spannung aus, welche die Barmherzigkeit entzündet, aus jener Spannung zwischen der Beschämung, die bittet: »Verbirg dein Gesicht vor meinen Sünden, tilge all meine Frevel!« und jener Zuversicht, die sagt: »Entsündige mich mit Ysop, dann werde ich rein; wasche mich, dann werde ich weißer als Schnee.« Einer Zuversicht, die apostolisch wird: »Mach mich wieder froh mit deinem Heil, mit einem willigen Geist rüste mich aus! Dann lehre ich Abtrünnige deine Wege und die Sünder kehren um zu dir.«

(rv 02.06.2016 rv)

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