Christi Geburt im „Haus des Brotes“: Das Eucharistische Bethlehem

Christbaum und Krippe auf dem Petersplatz. Foto: CNA/Daniel Ibanez

Die Predigt von Kardinal Kurt Koch zur Eucharistiefeier am 25. Dezember 2020 in der Kirche der Schmerzensreichen Gottesmutter auf dem Campo Santo in Rom

5 December, 2020 / 10:30 AM

Weihnachten ist das Fest des Lichtes. Bereits der Advent ist die Zeit des Lichtes mit einem reichen Brauchtum: die Kerzen auf dem Adventskranz, die Lichter, mit denen wir die Fenster unserer Wohnungen erhellen und die Beleuchtung der Straßen und Schaufenster. Diese Bräuche drücken die tiefe Sehnsucht von uns Menschen aus, dass über unserem Leben ein Licht aufgeht und die ganze Welt im Licht steht. Vom Licht, sogar vom „wahren Licht“, spricht auch die Weihnachtsbotschaft, die dem Johannes-Evangelium entnommen ist: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“ Dies ist die frohe und lichtvolle Botschaft, die uns an Weihnachten zugesprochen wird.

Finsternis und Licht 

Diese frohe Botschaft wird im Evangelium jedoch gleich dreimal kontrastiert mit einer traurigen Feststellung: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst“. Derjenige, der das wahre Licht nicht nur gebracht hat, sondern selber ist, ist „in sein Eigentum gekommen“, aber „die Seinen nahmen ihn nicht auf“. Und durch ihn ist die Welt geworden, „aber die Welt erkannte ihn nicht“. Diese dreifache Verneinung gehört zum Geheimnis von Weihnachten hinzu. Sie stellt uns die unbequeme Frage, warum wir Menschen so fahrlässig mit dem Licht umgehen, das uns an Weihnachten geschenkt wird.  

Einen ersten Hinweis geben uns die Advents- und Weihnachtsbräuche. Unsere Straßen in den Dörfern und Städten sind mit so viel elektrischem Licht überflutet, dass das kleine und zarte Licht auf dem Adventskranz vom künstlichen Licht beinahe erstickt wird. Das kleine und zarte Licht vermag seine ganze Lichtkraft erst zu zeigen, wenn die Umgebung dunkel ist. Von solcher Finsternis redet auch das Weihnachtsevangelium: Das Licht leuchtet in der Finsternis. Ohne solche Finsternis kommt das Licht von Weihnachten nicht zur Geltung.

Diese Wahrheit des Evangeliums ist uns in diesem Jahr hautnah auf den Leib gerückt. Denn wir sind mit einer großen Finsternis konfrontiert, auch und besonders wegen der uns Menschen bedrängenden Pandemie von Covid-19. Die unberechenbare Allgegenwart des winzig-kleinen und mit unseren Augen nicht zu sehenden Virus hält die ganze Welt in Atem. Es droht unsere Lebenssituationen zu verdunkeln und führt uns in große Unsicherheiten hinein. Es bleibt in jedem die Ungewissheit, ob man auch einmal infiziert wird und, falls dies eintreffen sollte, wie dann die Krankheit verlaufen würde. Nicht wenigen Menschen hat sich sogar die Frage aufgedrängt, ob man in diesem Jahr der Angst und Ungewissheit überhaupt Weihnachten feiern könne.

Wenn wir das Weihnachtsevangelium ernst nehmen, kann die Antwort nur heißen: Auch in diesem Jahr können wir nicht nur Weihnachten feiern, sondern wir müssen es, und zwar schlicht darum, weil wir es dürfen. Denn Weihnachten ist nicht ein Fest, das wir Menschen erfinden und bewerkstelligen könnten; es ist vielmehr das unableitbare Tun Gottes. Auch und gerade wenn die Finsternis in unserem menschlichen Leben uns drückt und bedrängt – die Hoffnung des Himmels ist immer größer. Denn Gott selbst hat „Schloss und Riegel“ des Himmelstores aufgebrochen, wie wir im alten Adventslied singen: „O Heiland, reiss die Himmel auf.“

Göttliches Licht und menschliche Irrlichter 

Auch in die Finsternis der Ungewissheit in der heutigen Situation hinein leuchtet das Weihnachtslicht. Bitten wir heute Gott, dass er uns hilft, dass es nicht auch heute von uns heißt: „und die Finsternis hat es nicht erfasst“. Denn genau in diese Finsternis hinein will auch heute das Weihnachtslicht kommen und die Dunkelheit unseres Lebens erhellen. Auch bei der ersten Weihnacht vor mehr als zweitausend Jahren war die Welt keineswegs im Lot, sondern lebte in einer großen Dunkelheit. Doch in sie hinein hat Gott mit der Geburt seines Sohnes in Bethlehem Licht gebracht: Das wehrlose Kind in der Krippe ist das Licht, das die Dunkelheit erhellt: damals wie heute.

Das Licht Gottes ist aber nicht grell wie das elektrische Licht, sondern zart. Es kann deshalb übersehen und mit künstlichen Irrlichtern überdeckt werden. Daran erinnert der jüdische Ursprung unseres christlichen Weihnachtsfestes. Die Juden feiern in derselben Zeit Chanukka, das Fest der Lichter. Sie gedenken des historischen Geschehens, dass sich der syrische König Antiochus IV. als Zeus verehren und das Götzenbild im Tempel aufstellen liess, dass aber Judas Makkabäus aus dem Tempel in Jerusalem den Zeusalter entfernt hat, den die Tradition als „Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte“ bezeichnet hat. Chanukka wird so als der Tag der Reinigung des Tempels gefeiert, der Tag, an dem die beschmutzte Ehre des lebendigen Gottes wieder hergestellt worden ist und das Licht der Wahrheit wieder leuchtet.

Unwillkürlich denken wir dabei an die Weihnachtsbotschaft, wie sie uns der Evangelist Lukas geschenkt hat: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“ Das jüdische Fest der Lichter und der Weihnachtsgesang der Engel muten uns zu, zwischen dem wahren Licht Gottes und den vielen menschlichen Schein- und Irrlichtern, genauer zwischen Gott und den Götzen in unserem Leben und in der heutigen Welt zu unterscheiden. Und das Kriterium dieser Unterscheidung ist die wahre Verherrlichung Gottes, die wir auch heute zu verkünden und zur Geltung zu bringen haben, auch in der heutigen Welt, in der wir ebenfalls viele Greuel der Verwüstung erfahren müssen.

Mit dem Kriterium der Ehre Gottes ist der Ernstfall von Weihnachten angesprochen, den Dag Hammarskjöld, der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen, sehr tief ausgesprochen und als tödlichen Ernstfall für uns Menschen namhaft gemacht hat: „Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem wir aufhören, an einen persönlichen Gott zu glauben. Aber wir sterben an dem Tag, an dem wir nicht mehr durchdrungen werden von dem immer wieder neuen Glanz des Wunders, das höher ist als alle Vernunft, nämlich dass Gott in Jesus Mensch wurde.“

Das Kind als der neue Mensch Gottes

Das Weihnachtsevangelium stellt uns vor die elementarste Frage des Christentums, ob wir wirklich glauben, dass Gott selbst nicht nur in diesem Kind, sondern geradezu als dieses Kind Mensch geworden ist. Denn Gott hat sich in diesem Kind nicht nur gezeigt, sondern ist selbst Fleisch geworden. Nicht bloß eine Inspiration, sondern wirklich die Inkarnation Gottes bildet die Herzmitte des christlichen Weihnachtsfestes. Und mit diesem Geheimnis steht oder fällt der christliche Glaube. Nur wenn dieser Glaube wahr ist, dass Gott selbst als Kind in Bethlehem Mensch geworden ist und Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, kann er nicht nur gestern, sondern auch heute das wahre Licht in unserem Leben sein, wie es Angelus Silesius gedichtet hat: „Wär‘ Jesus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst noch ewiglich verloren.“ Verloren sind wir nur deshalb nicht, weil Jesus nicht nur ein Mensch vor zweitausend Jahren gewesen ist, sondern als der Sohn Gottes auch heute für uns lebt. 

Gott ist es ein Herzensanliegen, dass wir nicht verloren sind. Damit leuchtet der tiefste Grund auf, weshalb sich Gott entschieden hat, ausgerechnet als kleines Kind Mensch zu werden. Eine hilfreiche Wegweisung in dieses abgrundtiefe Geheimnis hinein hat uns der mittelalterliche Theologe Wilhelm von St. Thierry geschenkt. Er machte die höchst aufmerksame Beobachtung in der Heilsgeschichte, dass die Größe und Majestät Gottes seit Adam die Menschen immer wieder zum Widerstand gegen ihn gereizt hätten, weil sie sich  in ihrem Menschsein eingeschränkt und in ihrer Freiheit bedroht gefühlt hätten. Deshalb habe Gott einen neuen Weg gewählt und sich entschieden, Kind zu werden, sich uns Menschen klein, schwach und unserer Liebe bedürftig zu zeigen. Er habe dies in der Zuversicht getan, damit wir uns von ihm nicht mehr bedroht fühlen, keine Angst mehr vor ihm zu haben brauchen, dass wir Gott vielmehr nur noch lieben können. Gott wollte ein Angewiesener werden, um in dieser elementaren Bedürftigkeit in uns Menschen Liebe und Zuneigung zu ihm zu erwecken. 

Damit hat Gott in der Geschichte mit uns Menschen einen ganz neuen Anfang gesetzt. Diesen neuen Anfang bringt die Weihnachtsbotschaft im Johannes-Evangelium dadurch zum Ausdruck, dass es genau gleich beginnt wie das erste Buch der Heiligen Schrift. Während es in der Genesis heißt: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, so heißt es im Johannes-Evangelium: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Der Schöpfung Gottes am Anfang entspricht an Weihnachten die neue Schöpfung, und mit der neuen Schöpfung wird uns im Kind in der Krippe auch der neue Mensch vor Augen geführt. Im Neuen Testament wird Christus der „zweite Adam“ und damit der endgültige Mensch genannt, und deshalb auch mit besonderer Betonung als „Bild Gottes“ bezeichnet, wie wir es in der Lesung aus dem Hebräerbrief vernommen haben. In der Endzeit hat Gott durch seinen Sohn gesprochen, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat: „Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit, und das Abbild seines Wesens.“

Von daher werden wir des größten Geschenks ansichtig, das uns der Glaube an Weihnachten macht: In Jesus Christus können wir nicht nur sehen, wie und wer Gott ist. In Jesus Christus werden wir auch dessen ansichtig, wer wir Menschen sind und wozu wir berufen sind. Jesus Christus ist der endgültige Mensch, das definitive Projekt Gottes, an dem wir ablesen können, was wir Menschen in den Augen Gottes sein sollen. Der Mensch ist, wie es Papst Benedikt XVI. sehr tief meditiert hat, „das Wesen, das Bruder Jesu Christi werden kann. Er ist das Geschöpf, das mit Christus und darin mit Gott selbst eins werden kann, nicht nur Beziehung, sondern Einheit empfangen kann“.

Zeugnis für das historische und eucharistische Bethlehem 

Diese Einheit mit Christus erfahren wir am Tiefsten in der heiligen Eucharistie, die wir an Weihnachten mit besonderer Liebe und Ehrfurcht feiern dürfen. Denn die Eucharistie ist das neue Bethlehem, das genau übersetzt „Haus des Brotes“ heisst. Die Menschwerdung Gottes im geschichtlichen Bethlehem und die Brotwerdung Gottes im eucharistischen Bethlehem sind ein- und dasselbe Weihnachtsgeheimnis: Wie sich Gott im kleinen Kind in der Krippe offenbart, so schenkt er sich selbst in einem kleinen Stück Brot, in der unscheinbaren Gestalt der Hostie. In der Eucharistie an Weihnachten wird uns vollends das wahre Licht gegeben, von dem das Johannes-Evangelium spricht.

Es ruft uns auch dazu auf, dieses Licht weiterzugeben und dieses Licht zu bezeugen. Der Evangelist Johannes fügt in den großen Lobpreis über das Wort, das Gott ist und Mensch geworden ist, jeweils Abschnitte ein, indem er von einem Menschen spricht, der von Gott gesandt und dessen Name Johannes war. Von ihm heißt es: „Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.“ In der Gestalt Johannes des Täufers erblickt der Evangelist Johannes aber auch unsere Sendung als Christen heute. Wir dürfen an Weihnachten das Licht Gottes empfangen und feiern, und wir sind gesandt, es an unsere Mitmenschen weiterzugeben. Und um diese Sendung eindeutig zu machen, fügt der Evangelist noch hinzu: Johannes „war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.“ Wie Johannes sollen auch wir Christen uns nicht für so aufgeklärt halten, dass wir uns selbst für Lichtgestalten verkaufen wollen; wir sollen vielmehr nur Zeugnis für das wahre Licht Gottes geben, das an Weihnachten in die Finsternis des menschlichen Lebens und die Dunkelheit der Welt hinein kommt und sie erleuchtet.

Dies ist die wahre Aufklärung, die Gott uns schenkt. Wenn wir sie annehmen, kann Weihnachten werden, auch und gerade in der Finsternis der heutigen menschlichen und menschheitlichen Situation, in der sich neu die Weihnachtsbotschaft bewahrheitet: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“

_______

Quelle

Kardinal Müller: „Es gibt keine Alternative zu Christus“

ARCHIV - 31.12.2015, Bayern, München: In einer Krippe in der Frauenkirche liegt eine Holzfigur von Jesus. An welchem Tag Jesus geboren wurde, ist unbekannt - das genaue Jahr historisch umstritten. (zu dpa "Dekowahn und nackte Haut - 24 Fakten und Anekdoten zum Fest" vom 20.12.2018 - Wiederholung vom 30.11.2018) Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit

Kurienkardinal Müller sieht Weihnachten auch über den Kreis der Gläubigen hinaus mit einer bestimmten Aura umgeben, „die wir nicht ablehnen wollen“. Im Bild: Das Jesuskind in einer Krippe in der Münchner Frauenkirche. Foto: Sven Hoppe (dpa)

Im Interview spricht der Kurienkardinal über die Bedeutung von Weihnachten, den kindlichen Geist des Vertrauens und den Einfluss glaubensfeindlicher Ideologien.

Lieber Herr Kardinal, weil das Jesuskind in der Krippe so klein ist, wollen wir heute nur ein kleines und kurzes Gespräch über Weihnachten mit Ihnen führen. Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an Weihnachten denken?

Für mich als Christ und Theologen ist natürlich zuerst die Menschwerdung Gottes das entscheidende Ereignis, das mit der Empfängnis und der Geburt beginnt und sich dann weiter entfaltet in der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu bis zum Kreuz und zur Auferstehung: Gott in der Welt! Das ist Weihnachten.

Ostern ist für Christen entscheidend. Warum ist Weihnachten aber unser populärstes Fest?

Weil es in mitteleuropäischen Zonen auch in fast romantischer Weise als Fest der Familie ausgelegt und als Gelegenheit wahrgenommen wird, mit der Familie zusammenzukommen. Insofern ist Weihnachten auch über den Kreis der Gläubigen hinaus mit einer bestimmten Aura umgeben, die wir nicht ablehnen wollen. Entscheidend ist die Substanz des Festes, damit wir begreifen, wie wichtig wir unserem Gott und Schöpfer sind. „Christ, verstehe und erkenne Deine Würde und bedenke“, sagt der heilige Leo der Große (ca. 400–461) schon im 5. Jahrhundert, „um welchen Preis Du freigekauft worden bist. Gott ist Mensch geworden, damit wir Menschen zu der Höhe Gottes emporgehoben werden. Gott wurde ein Kind, damit die Menschen Kinder Gottes werden.“

„Entscheidend ist die Substanz des Festes,
damit wir begreifen, wie wichtig wir
unserem Gott und Schöpfer sind“

Gerade Familien aber sind heute oft Ort großer und schmerzhafter Dramen. Von unseren Kindern glaubt keiner mehr an das, worauf wir noch unser Leben gesetzt haben. Ist die Vorstellung einer Heiligen Familie da nicht ein Auslaufmodell?

Stimmt, es ist sicher eine Tragödie, dass viele Kinder unter dem Einfluss glaubensfeindlicher Ideologien den Glauben aufgeben, der den Menschen zum Heil hinführt. Deshalb ist es so wichtig, dass Menschen von heute, selbst wenn sie sich von ihrer christlichen Tradition entfernt haben, begreifen, dass es zu Christus eigentlich keine Alternative gibt. Die großen Heilsversprecher oder die materialistischen Stimmen, die sagen, der Sinn des Lebens besteht darin, reich zu werden oder sich im sexuellen Genuss auszuleben, führen die Menschen früher oder später in eine Katastrophe. Der Nihilismus, nach dem das Leben letztlich keinen Sinn hat, und die Erfahrung, dass Gott der Sinn des Lebens ist, ist die Alternative, an der letztlich keiner vorbeikommt.

Sie haben zweimal die Menschwerdung Gottes angesprochen. Warum wird in der Kirche denn das bedeutende Fest der Fleischwerdung am 25. März (am Festtag der Verkündigung Mariä) nicht viel größer gefeiert als Weihnachten?

Weil durch die Geburt Jesu Gott ins Licht der Welt getreten ist. Vorher hat sich seine Menschwerdung gleichsam verborgen im Leib Mariens abgespielt, als Geheimnis Gottes. In der Geburt aber ist er „erschienen“. Natürlich beginnt sein menschliches Leben wie das jedes Menschen mit seiner Empfängnis im Mutterleib. Aber das öffentliche Hervortreten Gottes und seine Inthronisation zuerst auf dem Holz der Krippe und schließlich am Kreuz des Holzes hat mit seiner Geburt aus Maria begonnen, in der die Güte und Menschlichkeit Gottes erstmals „erschienen“ ist: Das Licht der Welt. Darum feiert die orthodoxe Christenheit ja auch die Epiphanie – das heißt, das „Erscheinen“ Gottes – als das eigentliche Weihnachten. Darum wurde den Hirten gesagt: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren: Er ist der Christus, der Herr.“ Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ (Lk 2, 11f).

Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet Ihr nicht ins Himmelreich eingehen, wissen wir von Jesus. Paulus hingegen schreibt: Früher dachte ich wie ein Kind und glaubte wie ein Kind. Heute aber denke ich wie ein Erwachsener und glaube wie ein Erwachsener etc. Was sagen Sie zu diesem Gegensatz und Widerspruch?

„Jesus selbst ist Sohn Gottes, also auch Kind.
Keinesfalls darf deshalb der Begriff „Kind“
in diesem Zusammenhang mit dem
Aspekt mangelnder Reife verbunden werden“

Die Begrifflichkeit des „Wie-die-Kinder-werdens“ und des „Kind-Gottes-Seins“ ist natürlich analog gemeint. Jesus selbst ist Sohn Gottes, also auch Kind. Keinesfalls darf deshalb der Begriff „Kind“ in diesem Zusammenhang mit dem Aspekt mangelnder Reife verbunden werden. Deshalb unterscheiden wir im Deutschen ja auch die Begriffe „kindlich“ im Sinne des Vertrauens und „kindisch“ im Sinne des mangelnden Vernunftgebrauchs, wo sich jemand auf eine infantile Stufe zurückbegibt. Verlangt ist von uns stattdessen, dass wir den kindlichen Geist des Vertrauens und der Demut  Gott gegenüber wiederfinden und nicht so eingebildet sind und hochmütig fragen: „Wie kann ich jetzt als Erwachsener Kind Gottes sein. Ich bin doch ein mündiger Christ und weiß alles besser als die andern und kann sogar Gott belehren.“  Das habe ich oft gehört und widerspricht dennoch fundamental der wirklichen geistigen und geistlichen Reife-Erfahrung, dass wir auch als erwachsene Menschen im Sohnesverhältnis und Tochterverhältnis zu Gott stehen. Wenn der Sohn Gottes demütig wurde um unsertwegen, warum sollen wir uns gegen die Einsicht sperren, dass wir endliche, sterbliche und sündige Menschen sind, die sich aber ganz Gott anvertrauen dürfen.

Sie haben lange studiert und waren von 1986 bis 2002 Professor für Dogmatik. Welche Rolle spielt da der Kinderglaube für Sie und ihren Glauben?

Das, was wir als Kind schon glauben, wird in seinem Inhalt und seiner Realität nicht anders als das, was wir als Erwachsene glauben. Was wahr ist, kann nicht falsch werden und was falsch ist, wird nicht wahr, nur weil wir an Jahren zulegen. Nur die Sehweise kann sich ändern und vertiefen. Manches kann auch durch die Wechselfälle des Lebens verloren gehen oder verdunkelt werden. Viele, die vom Leben enttäuscht sind, sehnen sich zurück nach dem Kinderglauben. Die Kinderzeit kommt aber nicht mehr zurück.

„Was wahr ist, kann nicht falsch werden
und was falsch ist, wird nicht wahr,
nur weil wir an Jahren zulegen“

Christus hingegen „ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“, wie es im Hebräerbrief heißt.   Wir sollten uns sehnen nach der Kindlichkeit des Glaubens, doch nicht nach einem vorreflexiven Zustand, als ob der Glaube nur etwas wäre für Leute, die ihre Vernunft noch nicht gebrauchen können. Das wäre völlig falsch. Glaube ist nicht blinder Gehorsam oder ein romantisches Gefühl, sondern die vollkommene Hingabe des Verstandes und Willens an Gott, der sich in seinem Wort offenbart und uns im Heiligen Geist in seine dreifaltige Liebe aufnimmt.

Die Evangelien sagen, Jesus wurde in Bethlehem geboren. Viele Theologen verbreiten hingegen schon lange, dass er in Nazareth geboren wurde. Was sagen Sie?

Ich frage mich, woher die das wissen! Diese Theologen denken, es müsste nach ihren Vorstellungen so sein, weil beim Propheten Micha die Geburt des Messias als Herrscher und Hirt Israels in Bethlehem prophezeit wurde. Deshalb hätten die Evangelisten ihre Berichte entsprechend gefälscht und hätten Bethlehem als literarische Fiktion eingeführt. Theologie aber ist die vernunftgemäße Auslegung des geoffenbarten Glaubens. Es ist absurd, aus einer Verheißung ein späteres historisches Ereignis abzuleiten. Gerade umgekehrt wird das Ereignis der Geburt Jesu, den die Kirche schon vor der Abfassung der Evangelien als Christus und Sohn des lebendigen Gottes im Glauben bekannte, im Licht des universalen Heilswillens dargestellt. Jesus ist in Bethlehem geboren nach dem Ausweis der Evangelien und das ist das Entscheidende, dass sich hier die Verheißung erfüllt, dass Jesus aus dem Stamm Davids in der Stadt Davids geboren wird. Das wäre auch nicht anders, wenn er woanders geboren worden wäre. Es gibt aber keinen Grund, dass die Evangelisten eine vorsätzliche Fälschung in einer Selbsttäuschung vornehmen mussten, um die Wahrheit wahrscheinlicher zu machen.

Zur Jugend Christi und zur Jugend der Kirche: Was sagen Sie zum folgenden Zitat des heiligen Johannes Paul II vom 7. Dezember 1990 aus seiner Enzyklika „Redemptoris missio“: „Wenn man die heutige Welt oberflächlich betrachtet, ist man nicht wenig betroffen von den negativen Tatsachen, die zum Pessimismus führen können. Aber dieses Gefühl ist nicht gerechtfertigt: Wir glauben an Gott, den Vater und Herrn, an seine Güte und Barmherzigkeit. Am Anfang des 3. Jahrtausends der Erlösung ist Gott ist dabei, einen großen christlichen Frühling zu bereiten, dessen Morgenröte man schon ahnend erkennen kann.“ Was sagen Sie dazu?

„Es hängt […] ganz stark von uns ab, ob wir
als Christen wirklich bereit sind, uns
zu öffnen und für den Glauben und die
Kirche, vor allem aber für Christus, einzustehen“

Hier redete Johannes Paul II.  schon vor zwei Jahrzehnten über den Gegensatz zwischen Nihilismus, der zum Pessimismus führt und dem Glauben, der zur Hoffnung führt, auch wenn es da keinen Automatismus gibt zu einem Frühling, den er damals als ein Bildwort benutzte. Denn es hängt in diesem Zusammenhang ja ganz stark von uns ab, ob wir als Christen wirklich bereit sind, uns zu öffnen und bereit sind, für den Glauben und die Kirche, vor allem aber für Christus  einzustehen und Zeugnis abzulegen oder ob wir uns verängstigt zurückziehen wollen, wie einst die Jünger, die dann aber doch den heiligen Geist empfangen haben und das Evangelium mit großer Kraft verkündeten. Christsein heißt, im Leben und im Sterben allein auf Christus seine ganze Hoffnung zu setzen.

Karl Rahner sprach zu seiner Zeit noch von einem „Winter der Kirche“. Würden Sie denn das Wort des heiligen Johannes Paul unterschreiben, dass der Frühling der Kirche noch vor uns liegt?

Nun, momentan sieht es zumindest in Deutschland und Europa ja eher nicht nach Frühling aus. Und doch: In Afrika etwa blüht die Kirche unter schwierigsten Bedingungen wie noch nie. Da muss man unbedingt von einem Frühling sprechen. Und auch persönlich kenne ich viele Jugendliche aus der ganzen Welt aus allen Kontinenten, die sich ganz bewusst und aktiv für den Glauben und die Kirche engagieren, ohne sich von ermüdenden Strukturdebatten oder geistlosen Funktionärsveranstaltungen entmutigen zu lassen.  Es gibt Gläubige aller Altersstufen, die sich an mich und viele andere Seelsorger wenden, weil sie wissen, dass der Glaube an Jesus Christus das Fundament ist für unser Leben, nicht nur in unserem kurzen, keineswegs leidfreien Erdenleben, sondern darüber hinaus in alle Ewigkeit. Und am Schluss wird man den Frühling oder die Zeit der Ernte wohl nur an der Zahl der Heiligen messen können, die in unserer Zeit unter uns heranreifen.

Mit freundlicher Genehmigung von „CNA Deutsch“

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe hier .

_______

Quelle

Papst bei Generalaudienz: Krippenbau ist Feier der Nähe Gottes

Die Weihnachtskrippe zeigt die Aktualität, den Alltag einer jeden Familie. Das hob Papst Franziskus an diesem Mittwoch bei der Generalaudienz vor etwa 7.000 Pilgern und Besuchern in der Audienzhalle im Vatikan hervor. Eine Woche vor Weihnachten ging das Kirchenoberhaupt auf die Bedeutung der Geburt Jesu ein.

Mario Galgano – Vatikanstadt

In seiner Katechese hob Papst Franziskus zunächst die Bedeutung des Weihnachtskrippenbaus hervor. Man dürfe nicht vergessen, dass dieses „Zeichen für Weihnachten“ vor allem eines aufzeige: Gott wurde Kind, um seinem Volk nahe zu sein.

„Eine Krippe aufzubauen, bedeutet die Nähe Gottes zu feiern. Es bedeutet, die reale Präsenz Gottes wiederzuentdecken, denn Gott ist konkret, lebendig und berührbar. Gott ist nicht ein weit entfernter Herr oder Richter, sondern Gott ist die bescheidene Liebe, die bis zu uns hinabgestiegen ist.“

Die Weihnachtskrippe sei auch eine Einladung an die „Heilige Familie“ in unsere Zuhause zu kommen, um mit uns Freuden und Leiden zu teilen. So sei die Weihnachtskrippe ein wahres „Haus-Evangelium“, so der Papst. In den heutigen, manchmal hektischen Rhythmen des Alltags sei die Krippe eine Einladung zur Vertiefung.

Lass die Mama ausruhen

Lass die Mama ausruhen

„Die Weihnachtskrippe ist aktuell, sie ist die Wirklichkeit jeder Familie. Gestern gab man mir ein kleines Bild von einer speziellen Krippe, einer kleinen, mit dem Titel: ,Lasst die Mama ausruhen´. Da waren die schlafende Madonna und Josef, der das Kind wiegt. Wie viele von euch müssen die Nacht zwischen Mann und Frau aufteilen für das Kind, das weint und weint… ,Lass die Mama ausruhen‘, das ist die Zärtlichkeit einer Familie, einer Ehe.“

Der Aufbau einer Weihnachtskrippe sei das Gegenbild der „jeden Tag hergestellten Waffen“, erinnerte der Papst weiter. Es gebe so viele Bilder von Leid und Gewalt, die in die Köpfe und Herzen der Menschen eindringen. „Die Weihnachtskrippe hingegen ist das Bild des von Hand gefertigten Friedens. Deshalb ist die Krippe das lebendige Evangelium“, fügte Franziskus abweichend vom Redemanuskript an.

Er empfahl allen, daheim eine Krippe aufzustellen, und wenn sie auch sehr klein sei. Durch sie könne man sich an der Menschwerdung Gottes erfreuen und sehen, dass Gott einen jeden einzelnen von uns immer begleite.

„Wenn wir die Krippe zu Hause aufstellen, ist es, als würden wir die Tür öffnen und sagen: ,Komm herein, Jesus!‘ Es ist, als ob wir diese Nähe in unserem Leben umsetzen, indem wir diese Einladung an Jesus, in unser Leben zulassen. Denn wenn er in unserm Leben eintritt, dann wird das Leben neu. Und wenn das Leben wiedergeboren wird, dann ist wirklich Weihnachten. Euch allen: Frohe Weihnachten!“

Auf unserer Facebook-Seite können Sie übrigens bis Montag, 23. Dezember, vor 10 Uhr die schönsten Krippen „liken“, die unsere Facebook-User in diesen Tagen gepostet haben. Die Krippe mit den meisten „Likes“ bekommt von uns ein Buch und wir stellen dem Papst diese Weihnachtskrippe auch vor. Mehr dazu nächste Woche auf unserer Homepage und in unseren Radio-Sendungen.

(vatican news)

LESEN SIE AUCH:

Papst-Brief über Krippe als Vorbereitung auf Weihnachten

Der Papst in Greccio

Wie nach dem Angelusgebet an diesem 1. Adventssonntag angekündigt, begab sich Papst Franziskus am Sonntagnachmittag nach Greccio, um ein Apostolisches Schreiben über die Bedeutung und den Wert der Weihnachtskrippe zu unterzeichnen.

AKTUALISIERUNG vom 1. Dezember, 16.30 Uhr!

Bereits am Mittag erläuterte der Papst auf dem Petersplatz im Vatikan, dass er nach Greccio gehen wolle, „dem Ort, an dem der heilige Franziskus die erste Krippe gemacht hat“. Dort wolle er einen Brief über die Bedeutung und den Wert der Krippe unterschreiben. „Die Krippe ist ein einfaches und wunderbares Zeichen des christlichen Glaubens. Es ist ein kurzer Brief, der gut zur Vorbereitung auf Weihnachten geeignet ist. Begleite mich mit dem Gebet auf diesem Weg“, so der Papst nach dem Mittagsgebet.

In Greccio empfingen ihn die franziskanische Ordensgemeinschaft, Kinder und der zuständige Bischof von Rieti, Domenico Pompili. Den Ordensleuten bei der Grotte, wo die Weihnachtskrippe ausgestellt ist, sagte der Papst:

„Die größte Botschaft des heiligen Franziskus ist das Zeugnis und seine Bitte: ,Predigt das Evangelium, und wenn nötig auch mit Worten´, es geht nicht darum, Proselytismus zu betreiben. Es geht um die Bedürftigen, um die Sünder. Es geht um das Zeugnis. Gott hat uns aus der ,Erde´ erschaffen, wie es im Buch der Genesis heißt: Er hat uns Erde gemacht, wir sind Erde. Er verliebte sich in unserer Erde. Das ist das Zeugnis von Jesu Liebe. Denkt daran: Armut und Demut. Danke.“

Danach unterzeichnete der Papst das Schreiben „Admirabile signum“, in der es um die Bedeutung und den Wert der Weihnachtskrippe geht. „Wie viele Gedanken drängen sich in den Geist an diesem heiligen Ort! Und doch sind wir vor dem Felsen dieser Berge, die dem Heiligen Franziskus so teuer sind, aufgerufen, vor allem die Einfachheit wiederzuentdecken“, sagte der Papst in seiner Betrachtung bei der feierlichen Unterzeichnung seines Schreibens. Die Krippe, die der heilige Franziskus „auf engstem Raum“, in Anlehnung an die schmale Grotte von Bethlehem, zum ersten Mal herstellte, spreche für sich, führte Franziskus weiter aus. Mit der Weihnachtskrippe bestehe keine Notwendigkeit, Worte zu vervielfachen, „denn die Szene vor unseren Augen drückt die Weisheit aus, die wir brauchen, um das Wesentliche zu erfassen“, erinnerte der Papst weiter:

„Vor der Weihnachtskrippe entdecken wir, wie wichtig es für unser so oft hektisches Leben ist, Momente der Stille und des Gebets zu finden. Stille, um die Schönheit des Gesichts von Jesus, dem Kind, dem Sohn Gottes, zu betrachten, der in der Armut eines Stalls geboren wurde. Gebet, um das ,Dankeschön´ auszudrücken, das über dieses große Geschenk der Liebe, das uns gegeben wird, erstaunt ist.“

In diesem „einfachen und wunderbaren Zeichen“ der Weihnachtskrippe offenbare sich „das große Geheimnis unseres Glaubens“. Gott liebe jeden Menschen. Das sei die zentrale Botschaft der Krippe. Es handele sich um eine Tradition, die zur Volksfrömmigkeit gehöre und „von Generation zu Generation“ weitergegeben werde.

„Gott lässt uns nie allein; er begleitet uns mit seiner verborgenen Gegenwart, aber nicht unsichtbar. In jeder Situation, in Freude wie in Schmerz, ist er der Emmanuel, Gott mit uns. Wie die Hirten von Bethlehem nehmen wir die Einladung an, in die Grotte zu gehen, um das Zeichen zu sehen und zu erkennen, das Gott uns gegeben hat. Dann wird unser Herz voller Freude sein, und wir werden es dort hinbringen können, wo es Traurigkeit gibt; es wird voller Hoffnung sein, um mit denen geteilt zu werden, die es verloren haben.“

Zum Abschluss seiner kurzen Ansprache rief der Papst die Gläubigen auf, sich mit Maria zu identifizieren, die ihren Sohn in die Krippe gelegt habe, weil in einem Haus kein Platz war.

„Mit ihr und mit dem heiligen Josef, ihrem Mann, schauen wir auf das Jesuskind. Möge ihr Lächeln, das in der Nacht erblüht, Gleichgültigkeit zerstreuen und die Herzen für die Freude derer öffnen, die sich vom Vater im Himmel geliebt fühlen.“

(vatican news –mg)

LESEN SIE AUCH:

PAPST BENEDIKT XVI.: STEPHANUS – DIAKON – PROTO-MÄRTYRER

BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 10. Januar 2007

Liebe Brüder und Schwestern!

Nach den Festtagen kehren wir zu unseren Katechesen zurück. Ich hatte mit euch über die Gestalten der zwölf Apostel und des hl. Paulus meditiert. Danach haben wir begonnen, über weitere Gestalten der entstehenden Kirche nachzudenken, und so wollen wir heute bei der Person des hl. Stephanus verweilen, dessen Fest die Kirche am Tag nach Weihnachten begeht. Der hl. Stephanus ist die repräsentativste Figur innerhalb einer Gruppe von sieben Gefährten. Die Überlieferung sieht in dieser Gruppe den Keim des künftigen »Diakonen«-Amtes, auch wenn man feststellen muß, daß diese Bezeichnung in der Apostelgeschichte nicht vorkommt. Die Bedeutung des Stephanus ergibt sich auf jeden Fall daraus, daß ihm Lukas in diesem seinem wichtigen Buch zwei ganze Kapitel widmet.

Der Bericht des Lukas beginnt mit der Feststellung einer in der Urkirche von Jerusalem verbreiteten Untereinteilung: Diese Kirche setzte sich zur Gänze aus Christen jüdischer Herkunft zusammen, von denen aber manche aus den Gebieten Israels stammten und »Hebräer« genannt wurden, während andere Angehörige des alttestamentlich- jüdischen Glaubens aus der griechischsprachigen Diaspora kamen und »Hellenisten « genannt wurden. Das Problem, das sich abzuzeichnen begann, war folgendes: Die Bedürftigsten unter den Hellenisten, besonders die Witwen, die ohne jede soziale Unterstützung waren, liefen Gefahr, bei der Hilfe für die tägliche Versorgung übergangen zu werden. Um diese Schwierigkeit zu beheben, beschlossen die Apostel, sich das Gebet und den Dienst am Wort als ihre zentrale Aufgabe vorzubehalten und »sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit « zu beauftragen, die Aufgabe der Versorgung (Apg 6,2–4), also den karitativen Sozialdienst, zu übernehmen. Zu diesem Zweck wählten die Jünger, wie Lukas schreibt, auf Weisung der Apostel sieben Männer. Wir kennen auch ihre Namen. Sie lauten: »Stephanus, ein Mann, erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist, ferner Philippus und Prochorus, Nikanor und Timon, Parmenas und Nikolaus… Sie ließen sie vor die Apostel hintreten und diese beteten und legten ihnen die Hände auf« (Apg 6,5–6).

Der Gestus der Handauflegung kann verschiedene Bedeutungen haben. Im Alten Testament bedeutet er vor allem die Übertragung eines wichtigen Amtes, wie es Mose mit Josua machte (vgl. Num 27,18–23), als er ihn auf diese Weise zu seinem Nachfolger bestimmte. Auf dieser Linie wird auch die Kirche von Antiochien von diesem Gestus Gebrauch machen, um Paulus und Barnabas in die Mission zu den Völkern der Welt zu entsenden (vgl. Apg 13,3). Auf eine ähnliche Handauflegung, nämlich bei Timotheus, um ihn mit einer offiziellen Aufgabe zu beauftragen, nehmen die beiden an ihn gerichteten Briefe des Paulus Bezug (vgl. 1 Tim 4,14; 2 Tim1,6). Daß es dabei um eine wichtige Handlung ging, die nach reiflicher Überlegung zu vollziehen war, ist aus dem zu entnehmen, was wir im Ersten Brief an Timotheus lesen: »Lege keinem vorschnell die Hände auf, und mach dich nicht mitschuldig an fremden Sünden« (5,22). Wir sehen also, daß sich der Gestus der Handauflegung zu einem sakramentalen Zeichen entwickelt. Im Fall des Stephanus und seiner Gefährten handelt es sich mit Sicherheit um die offizielle Übertragung einer Aufgabe seitens der Apostel und zugleich um die Erflehung der Gnade für die Erfüllung dieser Aufgabe.

Als wichtigstes Faktum ist aber festzuhalten, daß Stephanus außer den karitativen Diensten auch eine Evangelisierungsaufgabe gegenüber seinen Landsleuten, den sogenannten »Hellenisten«, erfüllt. Lukas hebt nämlich hervor, daß Stephanus, »voll Gnade und Kraft« (Apg 6,8), im Namen Jesu eine neue Auslegung des Mose und des Gesetzes Gottes vorlegt, das Alte Testament im Lichte der Verkündigung des Todes und der Auferstehung Jesu neu deutet. Diese Lesart des Alten Testamentes, die christologische Lesart, provoziert die Reaktionen der Juden, die seine Worte als Gotteslästerung empfinden (vgl. Apg 6,11–14). Aus diesem Grund wird er zum Tod durch Steinigung verurteilt. Der hl. Lukas übermittelt uns die letzte Rede des Heiligen, eine Zusammenfassung seiner Verkündigungstätigkeit. Wie Jesus den Emmausjüngern gezeigt hatte, daß das ganze Alte Testament von ihm, von seinem Kreuz und seiner Auferstehung spricht, so liest der hl. Stephanus, der Lehre Jesu folgend, das ganze Alte Testament unter christologischem Aspekt. Er zeigt, daß das Geheimnis des Kreuzes im Zentrum der im Alten Testament erzählten Heilsgeschichte steht, er zeigt, daß wirklich Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, der Zielpunkt dieser ganzen Geschichte ist. Und er zeigt somit auch, daß der Tempelkult überholt ist und Jesus, der Auferstandene, der neue und wahre »Tempel« ist. Eben dieses »Nein« zum Tempel und zu seinem Kult provoziert die Verurteilung des hl. Stephanus, der in diesem Augenblick – wie uns der hl. Lukas sagt – zum Himmel blickte und die Herrlichkeit Gottes und Jesu sah, der zu seiner Rechten steht. Und als der hl. Stephanus den Himmel, Gott und Jesus sah, rief er: »Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen« (Apg 7,56). Es folgt sein Martyrium, das in der Tat nach dem Beispiel der Passion Jesu selbst vollzogen wird, da er dem »Herrn Jesus« seinen Geist übergibt und darum betet, daß seinen Mördern ihre Schuld nicht angerechnet werde (vgl. Apg 7,59–60).

Der Ort des Martyriums des Stephanus in Jerusalem liegt der Überlieferung nach etwas außerhalb des Damaskustores im Norden, wo sich jetzt, neben der bekannten École» Biblique« der Dominikaner, die Kirche »Saint-Étienne« erhebt. Auf die Tötung des Stephanus, des ersten christlichen Märtyrers, folgte vor Ort eine Verfolgung der Jünger Jesu (vgl. Apg 8,1), die erste Verfolgung in der Geschichte der Kirche. Sie bildete den konkreten Anlaß, der die Gruppe der jüdischhellenistischen Christen zur Flucht aus Jerusalem und in die Zerstreuung trieb. Nach ihrer Vertreibung aus Jerusalem wurden sie zu Wandermissionaren: »Die Gläubigen, die zerstreut worden waren, zogen umher und verkündeten das Wort« (Apg 8,4). Die Verfolgung und die sich daraus ergebende Zerstreuung werden zur Mission. So verbreitete sich das Evangelium in Samaria, Phönizien und Syrien bis hin zur Großstadt Antiochien, wo es nach Lukas zum ersten Mal auch den Heiden verkündet wurde (vgl. Apg 11,19–20) und wo auch zum ersten Mal der Name »Christen« zu hören war (Apg 11,26).

Als Detail führt Lukas an, daß die Männer, die Stephanus steinigten, »ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes niederlegten, der Saulus hieß« (Apg 7,58) – es war derselbe Mann, der vom Verfolger zum berühmten Apostel des Evangeliums werden sollte. Das bedeutet, daß der junge Saulus die Predigt des Stephanus gehört haben mußte und somit ihre grundsätzlichen Inhalte kannte. Der hl. Paulus befand sich wahrscheinlich unter denen, die, als sie diese Rede hörten, »aufs äußerste über ihn empört [waren] und mit den Zähnen knirschten« (Apg 7,54). An diesem Punkt nun können wir das Wunder der göttlichen Vorsehung erkennen. Saulus, erbitterter Gegner der Sicht des Stephanus, nimmt nach der Begegnung mit dem auferstandenen Christus auf dem Weg nach Damaskus die christologische Deutung des Alten Testaments auf, die der Protomärtyrer vorgenommen hatte, er vertieft und vervollständigt sie und wird so zum »Völkerapostel«. Das Gesetz ist im Kreuz Christi erfüllt, so lehrt er. Und der Glaube an Christus, die Gemeinschaft mit der Liebe Christi, ist die wahre Erfüllung des ganzen Gesetzes. Das ist der Inhalt der Predigt des Paulus. Er zeigt so, daß der Gott Abrahams der Gott aller wird. Und alle, die an Jesus Christus glauben, werden als Söhne Abrahams zu Teilhabern an den Verheißungen. In der Mission des hl. Paulus erfüllt sich die Sicht des Stephanus.

Die Geschichte des Stephanus sagt uns vieles. Zum Beispiel lehrt sie uns, daß man nie das soziale karitative Bemühen von der mutigen Verkündigung des Glaubens trennen darf. Er war einer der Sieben, der vor allem zur Nächstenliebe beauftragt worden war. Es war jedoch unmöglich, Nächstenliebe und Verkündigung voneinander zu trennen. So verkündet er mit der Nächstenliebe den gekreuzigten Christus, bis er auch das Martyrium auf sich nimmt. Das ist die erste Lehre, die wir von der Gestalt des hl. Stephanus lernen können: Nächstenliebe und Verkündigung gehen immer zusammen. Der hl. Stephanus spricht zu uns vor allem von Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Christus als Mittelpunkt der Geschichte und unseres Lebens. Wir können verstehen, daß das Kreuz im Leben der Kirche und auch in unserem persönlichen Leben immer zentral bleibt. In der Geschichte der Kirche werden das Leid und die Verfolgung nie fehlen. Und gerade die Verfolgung wird nach dem berühmten Ausspruch Tertullians Quelle der Mission für die neuen Christen. Ich zitiere seine Worte: »Wir vermehren uns jedes Mal, wenn wir von euch niedergemetzelt werden: Ein Same ist das Blut der Christen« (Apologeticum 50,13: Plures efficimur quoties metimur a vobis: semen est sanguis christianorum). Aber auch in unserem Leben wird das Kreuz, an dem es nie fehlen wird, zum Segen. Und indem wir das Kreuz annehmen, wissend, daß es Segen wird und ist, lernen wir die Freude des Christen auch in den schwierigen Augenblicken. Der Wert des Zeugnisses ist unersetzlich, da das Evangelium zu ihm hinführt und sich die Kirche von ihm nährt. Der hl. Stephanus möge uns lehren, diese Lehren zu beherzigen; er möge uns lehren, das Kreuz zu lieben, da es der Weg ist, auf dem Christus immer wieder neu in unsere Mitte kommt.


* * *

In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Nach dem Ende der festlichen Weihnachtszeit möchte ich heute die vor etwa einem halben Jahr begonnenen Betrachtungen über bedeutende Gestalten der Urkirche fortsetzen.

Die Apostelgeschichte berichtet uns vom heiligen Stephanus an der Spitze der sieben Diakone der Jerusalemer Gemeinde. Die Bezeichnung »Diakon« steht freilich nicht im Text, die Überlieferung hat die Siebenergruppe als Ursprung des Diakonenamtes gedeutet. Die Apostel wählten also bewährte Männer als Helfer für den christlichen Liebesdienst aus, weil nicht mehr alle gleichmäßig und in gleich gerechter Weise bedacht werden konnten, und wählten bewährte Männer dann als Helfer eben für diesen Liebesdienst, um sich selber uneingeschränkt dem Gebet, d.h. vor allem der Feier der Eucharistie, und der Verkündigung widmen zu können. Zum Zeichen der Beauftragung mit diesem Dienst und der Bitte um die dafür notwendige Gnade legten die Apostel den sieben Männern die Hände auf. Stephanus sah über den karitativen Bereich hinaus seine Aufgabe auch in der Evangelisierung. Seine Predigt und sein klares Bekenntnis zu Jesus Christus, den er als die innere Mitte des ganzen Alten Testamentes deutete, brachte ihm dann wieder Widerstand und schließlich das Martyrium ein. Als erster Märtyrer für Christus betete er nach dem Vorbild Jesu noch im Sterben für seine Verfolger.

Die Verfolgung der jungen Kirche von Jerusalem gab den Jüngern Jesu den Anstoß, die Botschaft Christi über Jerusalem hinaus, zunächst nach Samaria und dann bis nach Syrien, bis nach Antiochien und schließlich zu den Heiden zu tragen. Paulus, der bei der Steinigung des Stephanus zugegen war, führte nach seiner Bekehrung dessen Verkündigung fort, führte vor allem seine Deutung des ganzen Alten Testaments auf Christus hin weiter und befreit so das Alte Testament von der Bindung an die äußere Befolgung des Kultgesetzes und seiner Rechtsvorschriften, öffnet es auf die ganze Welt hin, so daß der Gott Abrahams der Gott aller Menschen werden konnte und alle in der Taufe im Glauben an Christus Söhne Abrahams und damit Träger der Verheißung werden durften. Er zeigt uns, daß das Kreuz in der Mitte des Alten Testamentes steht und so, dem gekreuzigten Christus zu glauben, Erfüllung aller Worte Gottes ist. Dies ist der wunderbare Vorgang, daß der, der Gegner des Stephanus war, durch die Begegnung mit Christus selbst dessen Erbe aufnimmt und damit zum Apostel der Völker wird, zum Mitbegründer der universalen Kirche wurde.

Sehr herzlich heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Der heilige Stephanus zeigt uns, daß unser sozialer und karitativer Einsatz nicht von der Verkündigung des Evangeliums getrennt werden kann – beides gehört untrennbar zusammen. St. Stephanus helfe uns, nicht vor Schwierigkeiten zurückzuschrecken, sondern darin die Chance zum Zeugnis für Christus zu sehen. Der Heilige Geist stärke und führe euch alle Tage!

_______

Quelle

BENEDIKT XVI.: Das Weihnachtsfest: Geheimnis des Lichts und der Freude

BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Audienzhalle, Mittwoch, 4. Januar 2012

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch zu dieser ersten Generalaudienz im neuen Jahr zu empfangen und entbiete euch und euren Familien von ganzem Herzen meine besten Wünsche: Gott, der in der Geburt Christi, seines Sohnes, die ganze Welt mit Freude erfüllt hat, möge unseren Werken und Tagen seinen Frieden schenken. Wir sind in der liturgischen Weihnachtszeit, die am 24. Dezember mit dem Heiligen Abend beginnt und mit der Feier der Taufe des Herrn endet. Die Zeitspanne ist kurz, aber dicht an Feiern und Geheimnissen und umschließt die beiden großen Hochfeste des Herrn: Weihnachten und Epiphanie. Schon der Name dieser beiden Feste verweist auf ihre jeweilige Gestalt. Das Weihnachtsfest feiert die historische Tatsache der Geburt Jesu in Betlehem.

Die Epiphanie, die als Fest im Osten entstanden ist, verweist auf eine Tatsache, vor allem einen Aspekt des Geheimnisses: Gott offenbart sich in der Menschennatur Christi, und das ist der Sinn des griechischen Verbs »epiphaino«: sichtbar werden. Aus dieser Perspektive heraus erinnert die Epiphanie an eine Vielzahl von Ereignissen, die die Erscheinung des Herrn zum Gegenstand haben: insbesondere die Anbetung der Sterndeuter, die in Jesus den erwarteten Messias erkennen, aber auch die Taufe im Jordan mit ihrer Theophanie – der Stimme Gottes aus der Höhe – und das Wunder bei der Hochzeit von Kana als erstes »Zeichen «, das Christus gewirkt hat. Eine wunderschöne Antiphon aus dem Stundengebet vereint diese drei Ereignisse um das Thema der Hochzeit zwischen Christus und der Kirche: »Heute wurde die Kirche dem himmlischen Bräutigam vermählt: Im Jordan wusch Christus sie rein von ihren Sünden. Die Weisen eilen mit Geschenken zur königlichen Hochzeit. Wasser wird in Wein gewandelt und erfreut die Gäste« (Antiphon der Laudes). Wir können gleichsam sagen, dass am Weihnachtsfest die Verborgenheit Gottes in der Demut des menschlichen Daseins, im Kind von Betlehem, hervorgehoben wird. In der Epiphanie dagegen wird seine Offenbarung deutlich, das Erscheinen Gottes durch eben diese Menschennatur. In dieser Katechese möchte ich kurz einige Themen aufgreifen, die zur Feier der Geburt des Herrn gehören, damit ein jeder von uns aus der unerschöpflichen Quelle dieses Geheimnisses trinken und Früchte des Lebens tragen kann. Zunächst einmal fragen wir uns: Was ist die erste Reaktion auf dieses außergewöhnliche Wirken Gottes, der Kind wird, der Mensch wird? Ich glaube, die erste Reaktion kann nur Freude sein.

»Freut euch im Herrn, heute ist uns der Heiland geboren«: So beginnt die Messe der Heiligen Nacht, und wir haben gerade die Worte des Engels an die Hirten gehört: »Ich verkünde euch eine große Freude« (Lk 2,10). Dieses Thema eröffnet das Evangelium, und dieses Thema schließt es auch, denn der auferstandene Jesus wirft den Aposteln vor, traurig zu sein (vgl. Lk 24,17): Das ist unvereinbar mit der Tatsache, dass er auf ewig Mensch bleibt. Aber gehen wir einen Schritt weiter: Woraus entsteht diese Freude? Ich würde sagen, sie entsteht aus dem Staunen des Herzens, wenn wir sehen, dass Gott uns nahe ist, dass Gott an uns denkt, dass Gott in der Geschichte wirkt; es ist also eine Freude, die aus dem Betrachten des Antlitzes jenes demütigen Kindes heraus entsteht, denn wir wissen, dass es das Antlitz Gottes ist, der für immer in der Menschheit gegenwärtig sein wird, für uns und mit uns. Weihnachten ist Freude, weil wir sehen und endlich sicher sind, dass Gott das Gute, das Leben, die Wahrheit des Menschen ist und sich bis zum Menschen erniedrigt, um ihn zu sich zu erheben: Gott kommt so nahe, dass man ihn sehen und berühren kann. Die Kirche betrachtet dieses unergründliche Geheimnis, und die Texte der Liturgie dieser Zeit sind von Staunen und Freude durchdrungen; alle Weihnachtslieder bringen diese Freude zum Ausdruck.

Weihnachten ist der Punkt, an dem Himmel und Erde vereint sind, und verschiedene Worte, die wir an diesen Tagen hören, heben die Größe des Geschehenen hervor: Der Ferne – Gott scheint unendlich fern zu sein – ist nahe herbeigekommen, »weil er, der Unfassbare, erfasst sein wollte, weil er, der vor aller Zeit schon war, in der Zeit seinen Anfang nahm, weil er, der Herr des Weltalls, zur Knechtsgestalt griff, indem er die Würde seiner Majestät verhüllte«, ruft der hl. Leo der Große aus (2. Predigt auf Weihnachten, 2.1). In jenem Kind, das in allem bedürftig ist, wie die Kinder es sind, wird das, was Gott ist – Ewigkeit, Kraft, Heiligkeit, Leben, Freude –, mit dem vereint, was wir sind: Schwachheit, Sünde, Leiden, Tod. Die Theologie und die Spiritualität des Weihnachtsfestes gebrauchen einen Ausdruck, um diese Tatsache zu beschreiben: Sie sprechen von »admirabile commercium«, also einem wunderbaren Tausch zwischen der göttlichen Natur und der Menschennatur. Der hl. Athanasius von Alexandria sagt: Der Sohn Gottes »wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden« (De incarnatione, 54,3; PG 25,192). Aber vor allem mit dem hl. Leo dem Großen und seinen berühmten Predigten auf Weihnachten wird diese Wirklichkeit zum

Gegenstand tiefer Betrachtung. Der heilige Papst sagt nämlich: »Wenn wir uns jene unbeschreibliche Liebe des barmherzigen Gottes vergegenwärtigen, derzufolge sich der Schöpfer des Menschen herabließ, Mensch zu werden, so zeigt es sich, dass wir an der Natur desjenigen Anteil nahmen, zu dem wir in der unsrigen beten« (8. Predigt auf Weihnachten: CCL 138,139).

Der erste Akt dieses wunderbaren Tausches wird in der Menschennatur Christi selbst gewirkt. Das Wort hat unsere Menschennatur angenommen, und im Austausch dagegen wurde die Menschennatur zur göttlichen Würde erhoben. Der zweite Akt des Tausches besteht in unserer wirklichen und inneren Teilhabe an der göttlichen Natur des Wortes. Der hl. Paulus sagt: »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen« (Gal 4,4–5).

Weihnachten ist daher das Fest, an dem Gott dem Menschen so nahe kommt, dass er sogar das Geborenwerden mit ihm teilt, um ihm seine tiefste Würde zu offenbaren: die Würde, Sohn Gottes zu sein. Und so wird der Traum der Menschheit, der im Paradies begonnen hat – wir möchten wie Gott sein –, auf unerwartete Weise verwirklicht, nicht durch die Größe des Menschen, der sich nicht zu Gott machen kann, sondern durch die Demut Gottes, der herabsteigt und so in seiner Demut in uns eintritt und uns zur wahren Größe seines Seins erhebt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in diesem Zusammenhang gesagt: »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf« (Gaudium et spes, 22).

Sonst bleibt ein Rätsel: Was bedeutet dieses Geschöpf »Mensch«? Nur wenn wir sehen, dass Gott bei uns ist, können wir Licht für unser Dasein sehen, können wir über unser Menschsein glücklich sein und mit Vertrauen und Freude leben. Und wo wird dieser wunderbare Tausch wirklich gegenwärtig, um in unserem Leben zu wirken und es zu einer Existenz wahrer Kinder Gottes zu machen? Er wird sehr konkret in der Eucharistie. Wenn wir an der Heiligen Messe teilnehmen, bringen wir Gott das Unsrige dar: das Brot und den Wein, Frucht der Erde, damit er sie annehme und sie verwandle, indem er sich uns hinschenkt und zu unserer Speise wird, damit wir, wenn wir seinen Leib und sein Blut empfangen, an seinem göttlichen Leben teilhaben.

Abschließend möchte ich über einen weiteren Aspekt des Weihnachtsfestes sprechen. Als der Engel des Herrn in der Nacht der Geburt Jesu den Hirten erscheint, schreibt der hl. Lukas, dass der Glanz des Herrn sie umstrahlte (vgl. 2,9). Und der Prolog des Johannesevangeliums spricht vom fleischgewordenen Wort als dem wahren Licht, das in die Welt kommt, dem Licht, das jeden Menschen erleuchtet (vgl. Joh 1,9). Die Weihnachtsliturgie ist vom Licht durchdrungen. Die Ankunft Christi vertreibt die Finsternis der Welt, erfüllt die Heilige Nacht mit einem himmlischen Strahlen und verbreitet auf dem Angesicht der Menschen den Glanz Gottes, des Vaters. Auch heute. Vom Licht Christi umstrahlt, werden wir von der Weihnachtsliturgie mit Nachdruck eingeladen, unseren Verstand und unser Herz erleuchten zu lassen von dem Gott, der sein strahlendes Antlitz gezeigt hat. Die Erste Präfation von Weihnachten verkündet: »Denn Fleisch geworden ist das Wort, und in diesem Geheimnis erstrahlt dem Auge unseres Geistes das neue Licht deiner Herrlichkeit. In der sichtbaren Gestalt des Erlösers lässt du uns den unsichtbaren Gott erkennen, um in uns die Liebe zu entflammen zu dem, was kein Auge geschaut hat.« Im Geheimnis der Menschwerdung ist Gott, nachdem er gesprochen und durch Boten und mit Zeichen in die Geschichte eingegriffen hat, »erschienen«, ist er aus seinem unzugänglichen Licht herausgetreten, um die Welt zu erleuchten.

Am Hochfest der Erscheinung des Herrn am 6. Januar, das wir in wenigen Tagen feiern, legt die Kirche einen sehr bedeutsamen Abschnitt des Propheten Jesaja vor: »Auf, werde licht denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht leuchtend der Herr auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz« (60,1–3). Es ist eine an die Kirche, die Gemeinschaft Christi, aber auch an einen jeden von uns gerichtete Einladung, uns die Sendung und die Verantwortung gegenüber der Welt, das neue Licht des Evangeliums zu bezeugen und zu bringen, noch stärker zu Bewusstsein zu führen. Am Anfang der Konstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils finden wir folgende Worte: »Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet« (Nr. 1).

Das Evangelium ist das Licht, das nicht versteckt werden darf, sondern auf den Leuchter gestellt werden muss. Die Kirche ist nicht das Licht, sondern sie empfängt das Licht Christi, sie nimmt es an, um davon erleuchtet zu werden und es in seinem ganzen Glanz zu verbreiten. Und das muss auch in unserem persönlichen Leben geschehen. Ich zitiere noch einmal den hl. Leo den Großen, der in der Heiligen Nacht gesagt hat: »Erkenne, o Christ, deine Würde! Kehre nicht, nachdem du der göttlichen Natur teilhaftig geworden, durch entartete Sitten zur alten Niedrigkeit zurück! Denke daran, welchen Hauptes, welchen Leibes Glied du bist! Vergegenwärtige dir, daß du der Macht der Finsternis entrissen und in Gottes lichtvolles Reich versetzt worden bist!« (1. Predigt auf Weihnachten, 3,2: CCL 138,88). Liebe Brüder und Schwestern, Weihnachten bedeutet innezuhalten und das Kind zu betrachten, das Geheimnis Gottes, der in Demut und Armut Mensch wird. Vor allem aber bedeutet es, erneut in uns selbst jenes Kind aufzunehmen, das Christus, der Herr ist, um aus seinem eigenen Leben zu leben, damit seine Empfindungen, seine Gedanken, sein Handeln zu unseren Empfindungen, unseren Gedanken, unserem Handeln werden.

Weihnachten zu feiern heißt also, die Freude, die Neuheit, das Licht, die diese Geburt in unser ganzes Dasein gebracht hat, zu offenbaren, damit auch wir Boten der Freude, der wahren Neuheit, des Lichtes Gottes für die anderen sind. Ich wünsche noch einmal allen eine von der Gegenwart Gottes gesegnete Weihnachtszeit!

* * *

Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher und danke den Allgäuer Bläsern für ihre wunderschöne Musik. Nehmen wir Christus, das Kind, in dem Gott Mensch geworden ist, immer wieder neu in uns selber, in unsere Herzen auf. Lassen wir ihn in uns leben, damit seine Gedanken unsere Gedanken, sein Handeln unser Handeln wird. Dann werden auch wir von seiner Freude und seinem Licht erfüllt sein. Euch allen wünsche ich ein gesegnetes und gutes neues Jahr.

_______

Quelle

 

Die Prophetie des Jesaja kündigt den Aufgang eines gewaltigen Lichtes an

CHRISTMETTE

HOCHFEST DER GEBURT DES HERRN

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Petersdom
Mittwoch, 24. Dezember 2014

[Multimedia]


»Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf« (Jes 9,1). »Da trat der Engel des Herrn zu ihnen [den Hirten] und der Glanz des Herrn umstrahlte sie« (Lk 2,9). So stellt uns die Liturgie in dieser heiligen Weihnacht die Geburt des Heilands vor Augen: als Licht, das die tiefste Dunkelheit durchdringt und sie auflöst. Die Gegenwart des Herrn mitten in seinem Volk nimmt die Last der Niederlage und die Traurigkeit der Knechtschaft und schafft Freude und Glück.

Auch wir sind in dieser Heiligen Nacht durch die Finsternis, welche die Erde umhüllt, zum Haus Gottes gekommen, aber wir waren geleitet von der Flamme des Glaubens, die unsere Schritte erleuchtet, und beseelt von der Hoffnung, das „helle Licht“ zu finden. Wenn wir unser Herz öffnen, haben auch wir die Möglichkeit, das Wunder jenes Kindes zu betrachten, das wie die Sonne aufstrahlt aus der Höhe und den Horizont erhellt.

Der Ursprung der Finsternis, von der die Welt umhüllt ist, verliert sich in der Nacht der Zeiten. Denken wir an den dunklen Moment zurück, in dem das erste Verbrechen der Menschheit begangen wurde, als Kain, blind vor Neid, seinen Bruder Abel erschlug (vgl. Gen 4,8). So war der Lauf der Jahrhunderte gezeichnet von Gewalt, Krieg, Hass und Unterdrückung. Gott aber, der auf den Menschen seine Erwartungen setzte – er hatte ihn ja als sein Abbild und ihm ähnlich erschaffen –, er wartete. Gott wartete. Er hat so lange gewartet, dass er an einem bestimmten Punkt eigentlich hätte aufgeben müssen. Aber er konnte nicht aufgeben, er konnte sich selbst nicht verleugnen (vgl. 2 Tim 2,13). Deshalb hat er geduldig weiter gewartet angesichts der Korruption von Menschen und Völkern. Die Geduld Gottes. Wir schwer ist das zu begreifen: Gottes Geduld mit uns!

Den Weg der Geschichte hindurch offenbart uns das Licht, welches das Dunkel durchbricht, dass Gott ein Vater ist und dass seine geduldige Treue stärker ist als die Finsternis und die Korruption. Das ist die eigentliche Botschaft der Weihnacht. Gott kennt keinen Wutanfall und keine Ungeduld. Er ist immer da, wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn, in der Erwartung, von weitem die Rückkehr des Sohnes zu erkennen – und das Tag für Tag, in Geduld. Die Geduld Gottes…

Die Prophetie des Jesaja kündigt den Aufgang eines gewaltigen Lichtes an, welches das Dunkel durchbricht. Es wird in Bethlehem geboren und aufgenommen von den liebevollen Händen Marias, der Liebe Josefs und dem Staunen der Hirten. Als die Engel den Hirten die Geburt des Erlösers verkündeten, sagen sie: » Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt « (Lk 2,12). Das „Zeichen“ ist gerade die Demut Gottes, die bis zum Äußersten getriebene Demut Gottes; es ist die Liebe, mit der er in jener Nacht unsere Schwachheit, unser Leiden, unsere Ängste, unsere Sehnsüchte und unsere Grenzen angenommen hat. Die Botschaft, auf die alle warteten, das, wonach alle tief innerlich suchten, war nichts anderes als die Zärtlichkeit Gottes: Gott, der uns mit einem von Liebe erfüllten Blick anschaut, der unser Elend annimmt, Gott, der in unser Kleinsein verliebt ist.

Wenn wir in dieser Heiligen Nacht das Jesuskind betrachten, wie es gleich nach der Geburt in eine Futterkrippe gelegt wird, sind wir zum Nachdenken eingeladen. Wie nehmen wir die Zärtlichkeit Gottes an? Lasse ich mich von ihm erreichen, lasse ich mich umarmen oder hindere ich ihn daran, mir nahe zu kommen. „Aber ich suche doch den Herrn“, könnten wir einwenden. Das Wichtigste ist allerdings nicht, ihn zu suchen, sondern zuzulassen, dass er mich sucht, dass er mich findet und mich liebevoll streichelt. Das ist die Frage, die das Christuskind uns einzig mit seiner Gegenwart stellt: Lasse ich zu, dass Gott mich lieb hat?

Gehen wir noch einen Schritt weiter: Haben wir den Mut, mit Zärtlichkeit die schwierigen Situationen und die Probleme des Menschen neben uns mitzutragen, oder ziehen wir es vor, sachliche Lösungen zu suchen, die vielleicht effizient sind, aber der Glut des Evangeliums entbehren? Wie sehr braucht doch die Welt von heute Zärtlichkeit! – Geduld Gottes, Nähe Gottes, Zärtlichkeit Gottes.

Die Antwort des Christen kann nicht anders sein als jene, die Gott angesichts unseres Kleinseins gibt. Das Leben muss mit Güte, mit Sanftmut angegangen werden. Wenn wir uns bewusst werden, dass Gott in unser Kleinsein verliebt ist, dass er selbst sich klein macht, um uns besser zu begegnen, können wir nicht anders, als ihm unser Herz zu öffnen und ihn zu bitten: „Herr, hilf mir, wie du zu sein; gib mir die Gnade der Zärtlichkeit in den schwierigsten Lebensumständen; gib mir die Gnade, in jeder Not nahe zu sein, die Gnade der Sanftheit in welchen Konflikten auch immer“.

Liebe Brüder und Schwestern, in dieser Heiligen Nacht betrachten wir die Krippe. Dort hat es sich verwirklicht: »Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht« (Jes 9,1). Das einfache Volk hat das Licht gesehen; die Menschen, die bereit waren, die Gabe Gottes anzunehmen. Nicht gesehen haben es die Überheblichen, die Stolzen, diejenigen, die die Gesetze nach ihren persönlichen Maßstäben festlegen, die in ihrer Haltung verschlossen sind. Schauen wir auf die Krippe und bitten wir im Gebet die jungfräuliche Mutter: „O Maria, zeige uns Jesus!“.

_______

Quelle

„Gott ist Mensch geworden und wird sich nie von unserem Menschsein lösen, das er sich zu Eigen gemacht hat.“

CHRISTMETTE

HOCHFEST DER GEBURT DES HERRN

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Vatikanische Basilika
Samstag, 24. Dezember 2016

[Multimedia]


» Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten « (Tit 2,11). Die Worte des Apostels Paulus offenbaren das Geheimnis dieser heiligen Nacht: Die Gnade Gottes, seine unentgeltliche Gabe ist erschienen; in dem Kind, das uns geschenkt ist, wird die Liebe Gottes zu uns konkret.

Es ist eine Nacht der Herrlichkeit – jener Herrlichkeit, die von den Engeln in Bethlehem und auch von uns in aller Welt verkündet wird. Es ist eine Nacht der Freude, denn von heute an und für immer ist Gott – der Ewige, der Unendliche – der Gott mit uns: Er ist nicht fern, wir müssen ihn nicht in den Himmelsbahnen suchen oder in irgendwelchen mystischen Vorstellungen. Er ist nahe, ist Mensch geworden und wird sich nie von unserem Menschsein lösen, das er sich zu Eigen gemacht hat. Es ist eine Nacht des Lichtes: Jenes von Jesaja geweissagte Licht, (vgl. 9,1) das die erleuchten sollte, die im Dunkeln lebten, ist erschienen und hat die Hirten von Bethlehem umstrahlt (vgl. Lk 2,9).

Die Hirten entdecken einfach: » Uns ist ein Kind geboren « (Jes 9,5), und verstehen, dass all diese Herrlichkeit, all diese Freude und all dieses Licht sich auf einen einzigen Punkt konzentrieren, auf jenes Zeichen, das der Engel ihnen angegeben hat: » Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt « (Lk 2,12). Das ist das immerwährende Zeichen, um Jesus zu finden. Nicht nur damals, sondern auch heute. Wenn wir das wahre Weihnachten feiern wollen, lasst uns dieses Zeichen betrachten: die zerbrechliche Einfachheit eines kleinen Neugeborenen; die Sanftheit, mit der er daliegt; die zarte Liebe, welche die Windeln ausdrücken, die ihn umhüllen. Dort ist Gott.

Und mit diesem Zeichen offenbart uns das Evangelium ein Paradox: Es spricht vom Kaiser, vom Statthalter, von den Großen jener Zeit, aber dort taucht Gott nicht auf; er erscheint nicht im Nobelsaal eines königlichen Palastes, sondern in der Armut eines Stalls; nicht im Prunk der äußeren Erscheinung, sondern in der Einfachheit des Lebens; nicht in der Macht, sondern in einer Kleinheit, die überrascht. Und um ihm zu begegnen, muss man dorthin gehen, wo er ist: Man muss sich niederbeugen, sich erniedrigen, klein werden. Der Knabe, der uns geboren wird, fragt uns an: Er ruft uns, die Trugbilder des Vergänglichen loszulassen, um zum Wesentlichen zu gehen, auf unsere unersättlichen Ansprüche zu verzichten, die ständige Unzufriedenheit und die Traurigkeit um irgendetwas, das uns immer fehlen wird, hinter uns zu lassen. Es wird uns gut tun, diese Dinge loszulassen, um in der Einfachheit des Gotteskindes den Frieden, die Freude und den großartigen Sinn des Lebens wiederzufinden.

Lassen wir uns anfragen vom Kind in der Krippe, aber lassen wir uns auch anfragen von den Kindern, die heute nicht in einer Wiege liegen und von der Liebe einer Mutter und eines Vaters umhegt sind, sondern in den elenden „Futterkrippen der Würde“: im unterirdischen Bunker, um den Bombardierungen zu entkommen; auf dem Bürgersteig einer großen Stadt, auf dem Boden eines mit Migranten überladenen Schleppkahns. Lassen wir uns anfragen von den Kindern, die man nicht zur Welt kommen lässt; von denen, die weinen, weil niemand ihren Hunger stillt; von denen, die nicht Spielzeug, sondern Waffen in den Händen halten.

Das Geheimnis, das Licht und Freude ist, fragt an und rüttelt auf, weil es zugleich ein Geheimnis der Hoffnung und der Traurigkeit ist. Es hat einen Beigeschmack der Traurigkeit, weil die Liebe nicht aufgenommen und das Leben ausgesondert wird. So geschah es Josef und Maria, die auf verschlossene Türen stießen und Jesus in eine Krippe legten, » weil in der Herberge kein Platz für sie war « (Lk 2,7). Jesus wird geboren – abgelehnt von einigen und unter der Gleichgültigkeit der meisten. Auch heute kann es dieselbe Gleichgültigkeit geben, wenn Weihnachten zu einem Fest wird, bei dem die Hauptfiguren wir sind und nicht Er; wenn die Lichter des Gewerbes das Licht Gottes in den Schatten stellen; wenn wir uns abmühen für die Geschenke und den Ausgegrenzten gegenüber gefühllos bleiben. Diese Weltlichkeit hat das Weihnachtsfest als Geisel genommen; man muss es befreien!

Doch Weihnachten hat vor allem den Geschmack der Hoffnung, weil trotz unserer Finsternis das Licht Gottes leuchtet. Sein freundliches Licht macht keine Angst; Gott, der in uns verliebt ist, zieht uns an mit seiner Zärtlichkeit, indem er arm und zerbrechlich in unserer Mitte zur Welt kommt, als einer von uns. Er wird geboren in Bethlehem, was bedeutet „Haus des Brotes“. Er scheint uns auf diese Weise sagen zu wollen, dass er als Brot für uns geboren wird; er kommt zum Leben, um uns sein Leben zu geben; er kommt in unsere Welt, um uns seine Liebe zu bringen. Er kommt nicht, um zu verschlingen und zu befehlen, sondern um zu ernähren und zu dienen. So gibt es eine unmittelbare Verbindung von der Futterkrippe zum Kreuz, wo Jesus gebrochenes Brot sein wird: Es ist die unmittelbare Verbindung der Liebe, die sich hingibt und uns rettet, die unserem Leben Licht und unseren Herzen Frieden schenkt.

Das haben in jener Nacht die Hirten begriffen, die zu den Ausgegrenzten von damals gehörten. Aber in den Augen Gottes ist niemand ausgegrenzt, und gerade sie waren die Eingeladenen zur Weihnacht. Die Selbstsicheren, Selbstzufriedenen waren zu Hause bei ihren Angelegenheiten; die Hirten hingegen » eilten hin « (vgl. Lk 2,16). Lassen auch wir uns in dieser Nacht von Jesus anfragen und zusammenrufen; gehen wir vertrauensvoll zu ihm, von dem Punkt aus, in dem wir uns ausgegrenzt fühlen, von unseren eigenen Grenzen aus, von unseren Sünden aus. Lassen wir uns von der Zärtlichkeit berühren, die rettet. Nähern wir uns Gott, der uns nahe kommt, halten wir inne, um die Krippe anzuschauen, stellen wir uns die Geburt Jesu vor: das Licht und den Frieden, die extreme Armut und die Ablehnung. Treten wir mit den Hirten in die wahre Weihnacht ein, bringen wir das zu Jesus, was wir sind, unsere Ausgrenzungen, unsere nicht ausgeheilten Wunden,  unsere Sünden. So werden wir in Jesus den wahren Geist von Weihnachten kosten: die Schönheit, von Gott geliebt zu werden. Stehen wir mit Maria und Josef vor der Krippe, vor Jesus, der geboren wird als Brot für mein Leben. Und indem wir seine demütige und grenzenlose Liebe betrachten, sagen wir ihm einfach Dank: Danke, weil du all das für mich getan hast.

_______

Quelle

Papst Franziskus: OHNE JESUS GIBT ES KEIN WEIHNACHTEN

PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 27. Dezember 2017

[Multimedia]


Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Heute möchte ich mit euch über die Bedeutung des Weihnachtsfestes, über die Geburt Jesu, des Herrn, nachdenken, die wir in diesen Tagen im Glauben und in der Liturgie feiern. Das Aufbauen der Krippe und vor allem die Liturgie mit ihren biblischen Lesungen und ihren traditionellen Gesängen haben uns das »Heute« noch einmal erleben lassen, in dem uns »der Retter geboren« ist, »Christus, der Herr« (Lk 2,11).

In unserer Zeit erleben wir, besonders in Europa, eine Art »Entstellung« des Weihnachtsfestes: Im Namen eines falschen Respekts, der nicht christlich ist und der oft die Absicht verschleiert, den Glauben auszugrenzen, wird jeder Bezug zur Geburt Jesu aus dem Fest entfernt. In Wirklichkeit ist dieses Ereignis jedoch das einzige wahre Weihnachten! Ohne Jesus gibt es kein Weihnachten; es gibt ein anderes Fest, aber kein Weihnachten. Und wenn er im Mittelpunkt steht, dann trägt auch das ganze Drumherum – also die Lichter, die Klänge, die verschiedenen lokalen Bräuche, einschließlich der charakteristischen Speisen –, dann trägt alles dazu bei, die festliche Atmosphäre zu schaffen, aber mit Jesus im Mittelpunkt. Wenn wir ihn wegnehmen, dann verlöscht das Licht und alles wird falsch, bloßer Schein.

Durch die Verkündigung der Kirche werden wir wie die Hirten des Evangeliums (vgl. Lk 2,9) dahin geführt, das wahre Licht zu suchen und zu finden: das Licht Jesu, der ein Mensch geworden ist wie wir und der auf überraschende Weise erscheint. Er wird von einem armen, unbekannten Mädchen geboren, das ihn in einem Stall zur Welt bringt, nur mit Hilfe ihres Ehemannes… Die Welt bemerkt nichts, aber die Engel im Himmel, die davon wissen, jubeln! Und so zeigt sich der Sohn Gottes auch uns heute: als Geschenk Gottes für die Menschheit, die in Finsternis und trägen Schlaf gehüllt ist (vgl. Jes 9,1). Und noch heute erleben wir die Tatsache, dass die Menschheit oft die Finsternis vorzieht, weil sie weiß, dass das Licht all jenes Handeln und jene Gedanken enthüllen würde, die uns erröten lassen oder Gewissensbisse hervorrufen. So bleibt man lieber in der Finsternis und erschüttert nicht die eigenen falschen Gewohnheiten.

Wir können uns also fragen, was es bedeutet, das Geschenk Gottes anzunehmen, das Jesus ist. Wie er selbst uns mit seinem Leben gelehrt hat, bedeutet es, täglich zu einem unentgeltlichen Geschenk für jene zu werden, denen wir auf unserem Weg begegnen. Darum tauscht man am Weihnachtsfest Geschenke aus. Das wahre Geschenk für uns ist Jesus, und wie er wollen wir ein Geschenk für die anderen sein. Und da wir ein Geschenk für die anderen sein wollen, tauschen wir Geschenke aus, als Zeichen, als Symbol für diese Haltung, die Jesus uns lehrt: Er, der vom Vater gesandt ist, war ein Geschenk für uns, und wir sind Geschenke für die anderen.

Der Apostel Paulus bietet uns einen zusammenfassenden Interpretationsschlüssel, wenn er – es ist ein schönes Wort des Paulus – schreibt: »Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Sie erzieht uns dazu, […] besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben« (Tit 2,11-12). Die Gnade Gottes »ist erschienen« in Jesus, dem Antlitz Gottes, den die Jungfrau Maria zur Welt gebracht hat wie jedes Kind dieser Welt, der jedoch nicht »von der Erde«, sondern »vom Himmel«, von Gott, gekommen ist. Auf diese Weise hat Gott uns durch die Menschwerdung des Sohnes den Weg des neuen Lebens geöffnet, das nicht auf Egoismus, sondern auf Liebe gründet. Die Geburt Jesu ist die größte Liebesbekundung unseres Vaters im Himmel.

Und abschließend ein letzter wichtiger Aspekt: Im Weihnachtsfest können wir sehen, dass die menschliche Geschichte, die von den Mächtigen dieser Welt bewegt wird, von der Geschichte Gottes besucht wird. Und Gott bindet jene darin ein, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt und die ersten Empfänger seines Geschenks, also des von Jesus gebrachten Heils, sind. Mit den Kleinen und Verachteten schließt Jesus eine Freundschaft, die in der Zeit fortgesetzt wird und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nährt. Diese Menschen, für die die Hirten von Betlehem stehen, »umstrahlte« ein großes Licht (vgl. Lk 2,9- 12). Sie waren ausgegrenzt, sie hatten kein hohes Ansehen, waren verachtet, und ihnen erschien die große Nachricht zuerst. Mit diesen Menschen, mit den Kleinen und den Verachteten, schließt Jesus eine Freundschaft, die in der Zeit fortgesetzt wird und die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nährt. Diese Menschen, für die die Hirten von Betlehem stehen, umstrahlte ein großes Licht, das sie direkt zu Jesus führte. Mit ihnen will Gott zu jeder Zeit eine neue Welt errichten, eine Welt, in der es keine abgelehnten, misshandelten und notleidenden Menschen mehr gibt.

Liebe Brüder und Schwestern, in diesen Tagen wollen wir den Verstand und das Herz öffnen, um diese Gnade anzunehmen. Jesus ist das Geschenk Gottes für uns, und wenn wir ihn annehmen, können auch wir es für die anderen werden – Geschenk Gottes für die anderen sein –, vor allem für jene, die nie Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit erfahren haben. Wie viele Menschen haben in ihrem Leben nie eine Liebkosung, liebevolle Aufmerksamkeit, eine zärtliche Geste erfahren… Das Weihnachtsfest drängt uns, dies zu tun. So wird Jesus noch einmal im Leben eines jeden von uns geboren und ist durch uns auch weiterhin Geschenk des Heils für die Kleinen und die Ausgegrenzten.

* * *

Einen herzlichen Gruß richte ich an die Pilger deutscher Sprache. Das weihnachtliche Geheimnis muss auch in jedem von uns stattfinden, wie es im Cherubinischen Wandersmann heißt: »Ach könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden / Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erden«. Der Herr möge uns begleiten, seinen Frieden und seine Liebe zu den Männer und Frauen unserer Zeit zu bringen.

_______

Quelle

Jesus war kein Flüchtlingskind

Politisch linksorientierte Menschen haben es üblicherweise nicht so mit der Kirche und dem Christentum. Wenn aber Kirchenfeste wie Weihnachten Anlass und Möglichkeiten bieten, sie für die eigenen, oft sinistren Zwecke zu instrumentalisieren oder gar den Christen aus demselben Grund die Evangelien erklären zu wollen, dann werden die üblichen Kirchenkritiker, die das restliche Jahr meist Häme gegenüber dem Christentum verbreiten, plötzlich zu Bibelspezialisten und beherrschen scheinbar die Exegese der Heiligen Schrift besser als die Theologen und Priester.

Die Familie war nicht auf der Flucht

Alle Jahre wieder wird in diversen Artikeln und Kommentaren der Mythos verbreitet, Jesus wäre ein Flüchtlingskind und seine Geburt in Bethlehem deswegen eine dramatische und gefährliche Angelegenheit gewesen. Das ist aber nach dem offiziellen und in jeder Weihnachtsmesse verlesenen Weihnachtsevangelium von Lukas  definitiv nicht wahr. Maria und Josef waren gemäß dem Evangelisten Lukas auf dem Weg zu einer von Kaiser Augustus angeordneten Volkszählung, die zur Erstellung der Steuerlisten angeordnet worden war. Die Einwohner Judäas mussten deswegen in ihre Geburtsstadt reisen, um sich dort zu melden. Maria und Josef brachen deswegen auf, fanden aber zur Zeit der Niederkunft kein freies Zimmer in den Herbergen und mussten sich mit einem Stall begnügen (was damals kein ungewöhnlicher Platz für Reisende war). Die Geburtsgeschichte aus dem Stall in Bethlehem wird trotzdem fälschlicherweise immer wieder als Flüchtlingsgeschichte dargestellt.

Eine andere Version

Freilich, der Evangelist Matthäus erzählt eine andere Version von Weihnachten bzw. der Zeit danach. Sie gilt allerdings nicht als das klassische Weihnachtsevangelium. Nach den Beschreibungen des Matthäus war der als brutale Schlächter verrufene und in ständiger Angst vor Attentaten lebende König Herodes höchst besorgt, dass laut den kursierenden Informationen ein neuer König der Juden (eben der Messias) geboren werden würde. Als er von Jesu Geburt hörte, schickte er Kundschafter aus, die bei Matthäus als „die Weisen“ bezeichnet werden. Nach der Verifizierung der Geburt ordnete Herodes die Tötung aller männlichen Kinder unter zwei Jahren an. Er wollte sichergehen, dass nirgendwo ein Erstgeborener als Messias gefeiert werden könne.

Laut Matthäus wurde Josef rechtzeitig von einem Engel gewarnt und er floh danach mit seiner Familie nach Ägypten, um sich dort vor den Häschern des Königs zu verstecken und das Leben des Kindes zu retten. Nach dem Tod des Herodes kehrten Maria und Josef wieder nach Judäa zurück. Das war also keine Flucht, die der heutigen Massenmigration in irgendeiner Weise gleichzustellen ist. Es ging damals um eine ganz konkrete persönliche Bedrohung und nicht um wirtschaftliche, kulturelle oder religiöse Motive. Die Reise von Jesus, Maria und Josef erfolgte auch bloß über die nächste Grenze. Die heutige Massenmigration erstreckt sich hingegen über Kontinente und es migrieren kaum Familien, sondern vor allem junge Männer – aus wie gesagt gänzlich anderen Motiven.

Ein Missbrauch des Evangelisten

Die Matthäus-Geschichte wird trotzdem gern von linken Zynikern als „Beweis“ dafür missbraucht, dass die Heilige Familie ein typisches Migrantenschicksal durchgemacht hätte und dass daher gerade die Christen das größte Verständnis für Flüchtlinge aller Art haben müssten. Das ist natürlich eine unlautere und anmaßende Argumentationstechnik. Christen sollten auf diese meist als Provokation gemeinten Anwürfe und Falschmeldungen nicht hereinfallen und sie gar nicht ernst nehmen. Apropos: Jeder ernstzunehmende Mensch wird anderen Menschen in echter Not und körperlicher Bedrängnis Hilfe vergönnen und selber etwas dazu beitragen, Notsituationen zu beheben oder zumindest zu lindern. Dazu braucht man keine linken Bibel-Exegeten, die das Evangelium offensichtlich noch weniger verstanden haben oder verstehen wollen als ihren Marx und ihren Engels.

Klare Worte sind notwendig

Christen müssen aber stets auch klarstellen: Die Bereitschaft zur Hilfe bedeutet nicht, dass man Migranten aller Art über tausende Kilometer nach Europa kommen lassen oder diese sogar per Jet einfliegen muss, wie dies kürzlich in Italien geschehen ist. Und Nächstenliebe heisst definitiv nicht, dass man kritiklos der Massenmigration das Wort reden und alle aufnehmen muss. Das Gegenteil ist wahr: Verantwortungsvolle Hilfe und ein vernünftiges Bewältigen der Migrationskrise kann nur in den Herkunftsregionen stattfinden. Und am allerwenigsten wird die Lösung der Krise in den von sauertöpfisch-atheistischen Besserwissern und linken Provokateuren besetzen Redaktionsstuben gelingen, aus denen zu Weihnachten regelmäßig süffisante Kommentare an die Öffentlichkeit dringen.

_______

Quelle