Papst an Lutheraner: Ökumene zielt auf „in den Unterschieden versöhnte Einheit“

Papst Franziskus beim Ökumenischen Gebet in der Kathedrale von Lund, 31. Oktober 2016  

Papst Franziskus hat am Freitag eine Delegation des Lutherischen Weltbundes empfangen, darunter auch dessen scheidenden Generalsekretär Martin Junge. „Die Ökumene ist nicht Ausübung kirchlicher Diplomatie, sondern ein Weg der Gnade“, sagte der Papst bei der Begegnung im Vatikan.

Stefanie Stahlhofen – Vatikanstadt

Papst Franziskus empfing die Delegation des Lutherischen Weltbunds am Tag des Gedenkens an das Augsburger Bekenntnis vom 25. Juni 1530, in dem die Reichsstände in Augsburg ihren lutherischen Glauben bekannten. Franziskus erinnerte in seiner Rede daran, dass die „Confessio Augustana“ damals einen Versuch war, die drohende Spaltung der westlichen Christenheit abzuwenden. Ursprünglich war sie nämlich als Dokument innerkatholischer Versöhnung gedacht; den Charakter eines lutherischen Bekenntnistextes nahm sie erst später an.

„Gemeinsam bekennen, was uns im Glauben eint“ – dabei könne das Augsburger Bekenntnis – ebenso wie das Glaubensbekenntnis von Nizzäa – auch heute Protestanten und Katholiken auf dem Weg zur Einheit helfen, zeigte sich das Oberhaupt der katholischen Kirche überzeugt. Franziskus betonte diesbezüglich auch die Einheit in der Taufe:

„Die heilige Taufe ist die ursprüngliche Gabe Gottes, die all unserem religiösen Bemühen und all unserem Engagement zur Erlangung der vollen Einheit zugrunde liegt. Ja, denn die Ökumene ist nicht Ausübung kirchlicher Diplomatie, sondern ein Weg der Gnade. Sie beruht nicht auf menschlicher Vermittlung und Übereinkünften, sondern auf der Gnade Gottes, die das Gedächtnis und das Herz reinigt, alle Starrheit überwindet und auf eine erneuerte Gemeinschaft hin ausrichtet. Sie zielt nicht auf ein Herunterhandeln oder auf konziliante Synkretismen, sondern auf eine in den Unterschieden versöhnte Einheit.“

Der Papst ermutigte daher alle, die sich im katholisch-lutherischen Dialog engagieren, zuversichtlich fortzufahren „im unablässigen Gebet, im gemeinsamen karitativen Handeln und in der Leidenschaft für die Suche nach größerer Einheit“ unter den verschiedenen christlichen Konfessionen.

Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft

Franziskus erinnerte in seiner Rede an den Lutherischen Weltbund auch an seine Reise nach Schweden im Jahr 2016 anlässlich des gemeinsamen Reformationsgedenkens. Damals besuchte der Papst Lund – die Stadt, in der der Weltbund gegründet wurde. Dort wurde zudem eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der Lutheraner wie Katholiken betonen, sich weiter für die Einheit und gemeinsam für alle Menschen einzusetzen. 

Auf dem Weg zur Einheit steht unter anderem noch Frage der Eucharistie- bzw. Mahlgemeinschaft aus. Dazu sagte Franziskus diesen Freitag:

„Einerseits empfinden wir Leid, weil es noch nicht möglich ist, sich um denselben Altar zu versammeln; andererseits aber verspüren wir auch die Leidenschaft im Dienst an der Sache der Einheit, für die der Herr gebetet und sein Leben hingegeben hat. Gehen wir also mit solcher Passion unseren Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft weiter. Im nächsten Schritt wird es um das Verständnis der engen Verbindung zwischen Kirche, Amt und Eucharistie gehen. Dabei wird es wichtig sein, mit geistlicher und theologischer Demut auf die Umstände zu schauen, die zu den Spaltungen geführt haben, im Vertrauen darauf, dass es – wenngleich die traurigen Ereignisse der Vergangenheit nicht ungeschehen gemacht werden können – dennoch möglich ist, sie im Rahmen einer versöhnten Geschichte neu zu sehen.“

„Im nächsten Schritt wird es um das Verständnis der engen Verbindung zwischen Kirche, Amt und Eucharistie gehen. Dabei wird es wichtig sein, mit geistlicher und theologischer Demut auf die Umstände zu schauen, die zu den Spaltungen geführt haben“

Die Delegation des Lutherischen Weltbundes überbrachte Papst Franziskus zur Audienz als Gastgeschenk eine Patene und einen Kelch aus Taizé, dem Sitz der gleichnamigen ökumenischen Gemeinschaft, die sich viele Verdienste in der Jugendarbeit erworben hat. 2005 bei der Totenmesse für Papst Johannes Paul II. hatte der damalige Kardinaldekan Joseph Ratzinger – wenig später Papst Benedikt XVI. – dem protestantischen Taizé-Gründer, Frère Roger, die Kommunion gereicht. 

Papst Franziskus, Nachfolger von Papst Benedikt, dankte für diese bedeutungsreichen Gaben und schlug den Bogen zur Frage des gemeinsamen Mahles. Der Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft sei zwar nicht leicht, räumte Franziskus ein, allerdings seien Protestanten wie Katholiken ja auch nicht allein unterwegs: „Christus begleitet uns“. Zum Ende der Audienz sprachen dann alle Anwesenden gemeinsam ein Vaterunser für die Wiederherstellung der vollen Einheit der Christen.

Dem Lutherischen Weltbund gehören weltweit 148 Kirchen lutherischer Tradition an. Präsident des Verbandes ist derzeit Pfarrer Panti Filibus Musa, Erzbischof der Lutherischen Kirche Christi in Nigeria. Generalsekretär ist seit 2010 der chilenische Pfarrer Martin Junge, der mütterlicherseits österreichische Wurzeln hat. Ihm wird am 31. Oktober 2021 die Estin Anne Burghardt nachfolgen

(vatican news – sst

Evangelischer Pfarrer: Papst „eine Art ökumenischer Primas“

Familie Kruse auf Abschiedsbesuch beim Papst (Vatican Media @Vatican Media)

Als „eine Art ökumenischen Primas“ sieht der scheidende Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom, Jens-Martin Kruse, Papst Franziskus. Der Papst habe damit einen „entscheidenden Beitrag zur Annäherung unserer Kirchen geleistet“, so Kruse nach seinem Abschiedsbesuch beim Papst im Gespräch mit Vatican News.

Es gelte, auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen „mutig und zuversichtlich“ weiterzugehen:

„Wer den Papst hier in Rom aus der Nähe beobachten kann, den überzeugt diese Idee sehr. Man sieht einfach, wie Papst Franziskus im Alltag das Evangelium verkündet und seinen Dienst, seinen Primat gemäß dem Evangelium lebt. Zugleich erkennt man in Rom, denke ich, ganz gut, dass der Papst weltweit eine wichtige Rolle spielt und jemand ist, der aus dem Glauben heraus zu den großen Fragen und Herausforderungen, vor denen wir insgesamt stehen, Wichtiges zu sagen hat. Und ich glaube schon, dass die Christenheit jemanden braucht, der dies auf Weltebene tun kann – und das ist eben seit 2000 Jahren der Papst, langsam gewöhnen auch wir anderen uns daran.“

Die Einen mehr, die Anderen weniger – den ein derartiger „Ehrenprimat“ könnte vielleicht bei evangelischen Christen mittlerweile etwas von seiner Drohung verloren haben, doch wie sieht es bei den Orthodoxen aus, bei denen ein solcher Vorschlag naturgemäß stärker anecken könnte? Kruse:

„Mir scheint, dass die Art, wie Franziskus seine Aufgabe wahrnimmt, dazu führt, dass gerade an dieser Stelle, bei dieser Frage, viel in Bewegung ist. Es fängt im Grund mit dem 13. März 2013 an, mit der ersten Ansprache, die Papst Franziskus gehalten hat, wo er sich auf ein Zitat von Ignatius von Antiochien berufen hat, den Vorsitz in der Liebe. Das ist eine Vorstellung, die auch für orthodoxe Christen denkbar ist, genauso wie für lutherische Christen, und mir scheint, es ist sehr überzeugend, wie Papst Franziskus diese Bild füllt, und von daher erleben wir im Moment eine ganz besondere Zeit in der Ökumene, weil bei Fragen, die über lange Jahre abgeschlossen schienen, oder wo sich nichts mehr zu bewegen schien, jetzt doch wieder Stück für Stück, langsam etwas in Bewegung kommt. Und mir imponiert das sehr: Papst Franziskus ist niemand, der etwas übers Knie bricht, sondern er weiß, solche Sachen müssen wachsen, und mit seinem eigenen Beispiel tut er Entscheidendes dafür, dass die Christen stärker zusammenwachsen als bisher.“

Papst Franziskus hatte Kruse am Donnerstag samt dessen Ehefrau und Kindern im Apostolischen Palast empfangen. In den zurückliegenden Jahren seien „ein sehr guter Kontakt und eine wirkliche Freundschaft zu Papst Franziskus entstanden“, so Kruse. Die Nähe zu Papst Franziskus werde ihm „in Deutschland schon sehr fehlen“, bekannte der evangelische Theologe, der seit 2008 in Rom tätig war und demnächst als Hauptpastor zur Petrikirche nach Hamburg wechselt.

(vatican news/kap – pr/gs)

„Ein starkes Europa, in dem die christlichen Werte gelebt werden“

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Bischof Gerhard Feige / Wikimedia Commons – Thomas Guffler, CC BY-SA 3.0 (Cropped)

Bischof Feige spricht vor der dritten Tagung der
12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
in Magdeburg

Der Bischof von Magdeburg und Vorsitzende der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Gerhard Feige, hat heute (6. November 2016) auf der dritten Tagung der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu einem engagierten Einsatz für Europa aufgerufen. Bei allen Anfragen, die es an Europa gebe, sei jeder einzelne gefragt, was er für den europäischen Zusammenhalt leisten könne. „Wir dürfen als Kirchen das Thema der Zukunft Europas nicht ausschließlich den Politikern überlassen. Stattdessen sollten wir gemeinsam für ein menschenwürdiges Europa eintreten, das sich durch Nächstenliebe, Solidarität und Vertrauen auszeichnet“, so Bischof Feige.

Auch wenn die großen Meldungen zur Flüchtlingssituation aus den Nachrichten verschwunden sind, so sei das Thema keineswegs vom Tisch. „Die Frage, wie wir mit denen umgehen, die aus Angst und Verzweiflung Zuflucht bei uns suchen, kann nur gemeinsam beantwortet werden. Dafür brauchen wir ein starkes Europa, das sich mutig und kreativ den Herausforderungen stellt und in dem die christlichen Werte nicht nur beschworen, sondern auch wirklich gelebt werden“, betonte Bischof Feige. Die Synode habe daher mit dem Schwerpunktthema „… so wirst du leben (Lk 10,28). Europa in Solidarität – Evangelische Impulse“ eine aktuelle Fragestellung aufgegriffen.

Bischof Feige ging in seinem Grußwort vor den Synodenteilnehmern auch auf das Reformationsgedenken ein und erinnerte an das ökumenische Zeichen, das auf Weltebene mit dem Gottesdienst von Papst Franziskus und dem Präsidenten des Lutherischen Weltbundes im schwedischen Lund gesetzt werden konnte. „Dass wir vorgestern in der katholischen Kathedrale St. Sebastian hier in Magdeburg gemeinsam einen ökumenischen Gottesdienst nach dem Formular von Lund gefeiert haben, zeigt, wie sehr uns allen die Versöhnung ein Herzensanliegen ist. Auch in unserem Land sind wir dabei auf einem hoffnungsvollen Weg. Das Dokument ‚Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen‘ ist dafür ein lebendiger und starker Ausdruck.“ Bischof Feige fügte hinzu: „Reformationsjubiläen werden nicht in einem luftleeren Raum gefeiert, sondern immer in einem bestimmten historischen und gesellschaftlichen Kontext. Heutzutage ist dieser wie niemals derart zuvor von ökumenischen Entwicklungen, Herausforderungen und Aspekten geprägt. Daher interessiert seit einiger Zeit schon besonders, wie das gewachsene Miteinander der Kirchen in Deutschland aufgegriffen und fruchtbar gemacht wird.“

Seit Beginn der Lutherdekade 2008 habe sich vieles bewegt und geklärt. Eine „ökumenische Lerngeschichte“ sei in Gang gekommen. „Dass wir nun 2017 miteinander ein Christusfest feiern wollen und uns gemeinsam auf den besinnen, der uns die Einheit schenkt und in dem wir schon eins sind, ist eine Frucht dieser konstruktiven Entwicklung. Damit könnte auch unser gemeinsames Christuszeugnis für die Welt an Bedeutung gewinnen. Gerade in den Gebieten der ehemaligen DDR, wo christlicher Glaube längst nicht mehr selbstverständlich ist, kommt dem Umgang der Kirchen miteinander sowie ihrem gemeinsamen Auftreten eine besondere Bedeutung für ihre Glaubwürdigkeit zu“, so Bischof Feige.

Hinweis:

Das Grußwort von Bischof Dr. Gerhard Feige auf der Synode der EKD in Magdeburg ist als pdf-Datei unter www.dbk.de verfügbar.

(Quelle: Pressemitteilung der DBK)

Botschaft von Johannes Paul II. zum 500. Geburtstag von Dr. Martin Luther aus Eisleben [1983]

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Luther Memorial in Worms from „The life of Martin Luther in Pictures“

AN KARDINAL JOHANNES WILLEBRANDS,
PRÄSIDENT DES SEKRETARIATS FÜR DIE EINHEIT DER CHRISTEN

 

Meinem ehrwürdigen Bruder
Johannes Kardinal Willebrands
Präsident des Sekretariates für die Einheit der Christen

Am 10. November 1983 jährt sich der 500. Geburtstag von Doktor Martin Luther aus Eisleben. Viele Christen, im besonderen evangelisch-lutherischen Bekenntnisses, erinnern sich aus diesem Anlaß jenes Theologen, der auf der Schwelle zur Neuzeit wesentlich zu den tiefgreifenden Veränderungen der kirchlichen und säkularen Wirklichkeit des Abendlandes mit beigetragen hat. Unsere Welt erfährt auch heute noch seine Geschichtsmächtigkeit.

Für die katholische Kirche ist mit dem Namen Martin Luther durch die Jahrhunderte hindurch die Erinnerung an eine leidvolle Zeit verbunden, vor allem aber das Wissen um den Beginn großer kirchlicher Spaltungen. Der 500. Geburtstag von Martin Luther soll daher für uns eine Gelegenheit sein, in Wahrhaftigkeit und christlicher Liebe über die geschichtsträchtigen Ereignisse der Reformationszeit nachzudenken. Gerade aus der zeitlichen Distanz heraus lassen sich historische Vorgänge oft besser verstehen und darstellen.

Namhafte Persönlichkeiten und Gremien in der lutherischen Christenheit haben sich dafür ausgesprochen, das Luther-Gedenkjahr in echt ökumenischem Geiste zu gestalten und Martin Luther besonders in einer Weise zu Wort kommen zu lassen, die förderlich für die Einheit der Christen sein soll. Ich begrüße diese Intention und erkenne darin eine brüderliche Einladung für ein gemeinsames Bemühen sowohl um ein vertieftes und vollkommeneres Bild der historischen Ereignisse als auch um eine kritische Auseinandersetzung mit dem mannigfachen Erbe Luthers.

In der Tat haben die wissenschaftlichen Bemühungen evangelischer wie katholischer Forscher, die sich in ihren Ergebnissen inzwischen weitgehend begegnen, zu einem vollständigeren und differenzierteren Bild von der Persönlichkeit Luthers wie auch von dem komplizierten Geflecht der historischen Gegebenheiten in Gesellschaft, Politik und Kirche der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts geführt. Überzeugend sichtbar geworden ist dabei die tiefe Religiosität Luthers, der von der brennenden Leidenschaft für die Frage nach dem ewigen Heil getrieben war. Deutlich geworden ist freilich auch, daß sich der Bruch der Kircheneinheit weder auf Unverständnis seitens der Hirten der katholischen Kirche noch auf mangelndes Verstehen des wahren Katholizismus auf seiten Luthers allein zurückführen läßt, so sehr solches mitgespielt haben mag. Die Entscheide, um die es ging, reichten tiefer. Bei dem Streit um das Verhältnis von Glaube und Überlieferung waren Grundfragen der rechten Auslegung und Aneignung des christlichen Glaubens im Spiel, deren kirchentrennende Wirkung durch bloßes historisches Verstehen nicht zu überwinden ist.

So ist im Blick auf Martin Luther und in der Suche nach Wiederherstellung der Einheit ein zweifaches Bemühen nötig. Zunächst ist das Fortgehen sorgfältiger historischer Arbeit wichtig. Es geht darum, durch unvoreingenommene, allein von der Suche nach Wahrheit geleitete Forschung ein gerechtes Bild des Reformators wie der ganzen Epoche der Reformation und der in ihr wirkenden Personen zu gewinnen. Wo Schuld ist, muß sie anerkannt werden, gleich welche Seite sie trifft; wo Polemik die Sicht verzerrt hat, muß sie richtiggestellt werden, wiederum unabhängig davon, um welche Seite es sich handelt. Dabei kann uns nicht die Absicht leiten, uns zu Richtern der Geschichte aufzuwerfen, sondern das Ziel darf einzig sein, besser zu erkennen und damit wahrheitsfähiger zu werden. Nur in einer solchen Haltung, die sich der Reinigung durch die Wahrheit ohne Vorbehalte stellt, können wir zu einem gemeinsamen Verstehen des Damaligen finden und so auch neue Ausgangspunkte für das Gespräch von heute gewinnen.

Dies aber ist das Zweite, was nötig ist: Die historische Klärung, die sich dem Damaligen in seiner weiterwirkenden Bedeutung zuwendet, muß Hand in Hand gehen mit dem Dialog des Glaubens, in dem wir hier und jetzt nach Einheit suchen. Er findet seine feste Grundlage in dem, was uns gemäß den evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften auch nach der Trennung verbindet: im Wort der Schrift, in den Glaubensbekenntnissen, in den Konzilien der alten Kirche. Ich vertraue darauf, daß das Einheitssekretariat unter Ihrer Leitung, sehr verehrter Herr Kardinal, diesen in Deutschland schon vor dem 2. Vatikanischen Konzil mit großem Ernst begonnenen Dialog fortführt in dem Geiste, der seinen Grundlagen entspricht: in der Treue zum geschenkten Glauben, die Bußfertigkeit und Bereitschaft hörenden Lernens in sich schließt.

In der anbetenden Demut vor dem Mysterium der göttlichen Vorsehung und im ehrfürchtigen Hinhorchen auf das, was der Geist Gottes uns heute in der Erinnerung an die Vorgänge der Reformationszeit lehrt, strebt so die Kirche danach, die Grenze ihrer Liebe weiterzuziehen und auf die Einheit aller zuzugehen, die als Getaufte den Namen Jesu Christi tragen. Ich begleite die Arbeit Ihres Sekretariates und alle ökumenischen Bemühungen für das große Anliegen der Einheit aller Christen mit meinem besonderen Gebet und Segen.

Aus dem Vatikan, am 31. Oktober 1983

IOANNES PAULUS PP. II

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Quelle

Papst emeritus Benedikt XVI.: „Die Trennung macht uns traurig“

 

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Papst Benedikt XVI. ruft eindringlich zu neuen Anstrengungen in der Ökumene auf. Bei seinem Besuch in der deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom am Sonntagabend sagte er, dass die konfessionelle Trennung den Christen „innerlich unruhig“ mache, so der Papst.

„Dass wir Christen durch den geteilten Weg das Zeugnis für Christus verdunkeln, dass wir nicht den gleichen Kelch trinken können, nicht am gleichen Altar stehen, muss uns mit Trauer erfüllen.“

Papst Benedikt XVI. sprach mit erkältungsrauer, doch fester Stimme von der lutherischen Kanzel herab. Deutlich wies das katholische Kirchenoberhaupt darauf hin, dass christliche Wiedervereinigung nicht von oben herab beschlossen werden kann.

„Eine Einheit, die wir selbst aushandeln würden, wäre menschengemacht, und so brüchig wie alles, was Menschen machen. Das Ende der Trennung kann nur von Gott kommen, und statt über einen Stillstand der Ökumene zu klagen, sollen wir dankbar sein, dass es so viel Einheit gibt.“

Letztlich könne nur Gott selbst die Einheit schenken, betonte der Papst.

„Wir überlassen Ihm, dass er uns wirklich ganz zur Einheit führt, die wir in dieser Stunde mit aller Dringlichkeit zu Ihm beten.“

Es handelte sich um den ersten Besuch Benedikts in einem lutherischen Gotteshaus. Die spätwilhelminische Christuskirche nahe Villa Borghese ist geistliches Zentrum für rund 350 deutschsprachige Lutheraner in Rom.

(rv 15.03.2010 mg)

Kardinal Müller zum Lutherjahr 2017: Die Einheit ist noch weit

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Der Präfekt der Glaubenskongregation, Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller

In einem „Zeit“-Interview zum Jahreswechsel hat der deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller im Blick auf das „Luther 2017“-Jahr vor einem zu großen ökumenischen Optimismus gewarnt. Nach Ansicht des Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation liegt vor der katholischen und der evangelischen Kirche noch ein weiter Weg bis zur vollen Einheit. Es gebe aber Hoffnungszeichen, sagte er. Allerdings bleibe die Anerkennung des Papstes als Oberhaupt der Kirche Voraussetzung für die volle Einheit. Nach katholischem Verständnis sei diese „nur mit dem Bischof von Rom als Nachfolger Petri möglich“.

„Missverständnisse kommen immer wieder auf, weil man vergisst, dass es leider tatsächlich zwischen Katholiken und Protestanten ein unterschiedliches Kirchenverständnis gibt“, so Müller. Gleichwohl sollten die beiden großen Kirchen in Deutschland nach Ansicht des Kurienkardinals den 500. Jahrestag der Reformation 2017 zu einem starken Zeugnis für Jesus Christus nutzen. „Wenn wir das heute gemeinsam bekennen, wäre das weltgeschichtlich so wirksam wie evangelische Reformation und katholische Reform des 16. Jahrhunderts zusammen.“

Müller forderte Katholiken und Protestanten auf, stärker das Gemeinsame zu entdecken, denn „heute leben wir nicht mehr im Zeitalter des Konfessionalismus, sondern im Zeitalter der Ökumene“.

(kap 03.01.2016 cz)


 

Frühere Stellungnahmen:

26.04.2011

Ökumene-Bischof Gerhard Ludwig Müller kritisiert Protestanten: „Wir sind selbstbewusste Katholiken“

Der Vorsitzende der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, Gerhard Ludwig Müller, beklagt einen unfairen Umgang deutscher Protestanten mit der katholischen Kirche. Im Interview spricht der Regensburger Bischof über den Reformator Martin Luther, die evangelische Kritik an Papst Benedikt XVI., das Ringen um ein gemeinsames Abendmahl und das Reformationsgedenken 2017.

dapd: Herr Bischof, wie würden Sie den Zustand der katholisch-evangelischen Ökumene in Deutschland beschreiben?
Müller: Es ist bekannt, dass in bestimmten bioethischen und in sexualethischen Fragen große Spannungen bestehen. Für uns ist aber klar, dass wir von den gemeinsamen ethischen Positionen, wie sie sich auf der Grundlage der Heiligen Schrift und aus der christlichen Glaubenslehre ergeben, in keiner Weise abrücken. Wir können uns nicht auf Einzelfälle so einlassen, dass das Grundprinzip, um das es hier geht – die Unantastbarkeit des Lebens – infrage gestellt wird.

dapd: Wie steht es um die Bemühungen um ein gemeinsames Abendmahl?
Müller: Die Eucharistiegemeinschaft ist die Darstellung der wirklichen Gemeinschaft der Kirche. Sowohl für die orthodoxe Seite als auch für die katholische Sichtweise gilt, dass die Gemeinschaft in der Eucharistie die Gemeinschaft in der Kirche voraussetzt und deren Ausdruck ist – sonst würden die Realität und das Zeichen auseinanderklaffen.

dapd: Also ist in absehbarer Zeit kein Durchbruch zu erwarten?
Müller: Wir können nicht so tun, als ob hier kein Dissens bestünde und die Eucharistie gemeinsam feiern. Man kann die oberste Sprosse der Leiter nur erreichen, wenn man über die tiefer darunter liegenden aufsteigt, so schmerzlich das für viele Familien ist, die konfessionell getrennt sind.

dapd: Von evangelischer Seite wird vielfach beklagt, Papst Benedikt XVI. setze zu wenige Impulse in der Ökumene.
Müller: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich glaube, wenn man an der Ökumene wirklich interessiert ist, stellt man den anderen nicht Forderungen, sondern fragt auch mal selbstkritisch, was man selber für die Ökumene tun kann. Es kann nicht einfach so weitergehen, dass immer nur wir die Angefragten oder auch Angegriffenen sind und die evangelische Seite sozusagen von der höheren Warte aus uns infrage stellt. Auch wir können mal die „Protestanten“ spielen – und gegen Vorgänge oder Auffassungen in den evangelischen Kirchengemeinschaften protestieren, die nicht biblisch begründbar sind.

dapd: Die Kritik gipfelte im vergangenen Jahr in der Äußerung von Margot Käßmann, die damals noch Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland war und verkündete, dass sie von diesem Papst in der Ökumene nichts erwarte.
Müller: Das war eine böse Rempelei. Hier stellt man sich Ökumene so vor, dass wir protestantisch werden. Wir sind und bleiben selbstbewusste und überzeugte Katholiken. Wir gestehen auch den evangelischen Christen zu, dass sie ihrem Gewissen und ihrer Wahrheitsvorstellung folgen. Die Einheit der Kirche ist nicht wie eine feindliche Übernahme oder friedliche Fusion von zwei Firmen zu machen, die die gleichen Produkte verkaufen. Dieser Weg, der uns da so scheinbar naiv mit dem Rückenwind der öffentlichen Meinung vorgeschlagen wird und in eine Art Wellness-Religion führen würde, ist mit uns nicht zu machen.

dapd: Wie stark ist denn diese Haltung in der evangelischen Kirche?
Müller: Das ist schon eine Position, die ich gelegentlich wahrnehme. Sie ist vom früheren EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber auf hohem intellektuellem Niveau formuliert worden. Wenn man sich ins hellste Licht rückt, als die durch Aufklärung und „Moderne“ hindurchgegangene Kirche, heißt das umgekehrt: Die Orthodoxen und Katholiken sind noch im Mittelalter stehen geblieben. Ökumene wäre die Konversion zum Protestantismus, mit dessen Beistand wir erst in der „Neuzeit“ ankämen.

dapd: Im Jahr 2017 steht das Gedenken an den Reformationsbeginn vor 500 Jahren an. Was muss geschehen, damit dabei die Gräben nicht noch vertieft werden?
Müller: Ursprünglich profilierte man sich auf Kosten der Katholiken als „Kirche der Freiheit“. Man reklamiert bestimmte positiv besetzte Worte wie Pluralismus, Emanzipation, Selbstbestimmung, Gewissen für sich und weist uns dann die Aschenputtelrolle zu.

dapd: Könnte das Gedenken denn gemeinsam begangen werden?
Müller: Wir gehen nicht davon aus, dass es eine gemeinsame Sichtweise auf die protestantische Reformation gibt, die nicht zu trennen ist von der Glaubensspaltung, mit ihren verheerenden Auswirkungen. Es ist klar, dass man die Reformation auf evangelischer Seite als Durchbruch zu einem besseren Verständnis des Evangeliums sieht, während wir von katholischer Seite sagen: Hier ist etwas entstanden, was es eigentlich gar nicht geben dürfte, nämlich weitere Kirchengemeinschaften neben der einen katholischen Kirche. Aber wir sind jetzt 500 Jahre weiter, und wir sollten dieses Drama in einem ökumenischen Geist betrachten und miteinander in die Zukunft gehen.

dapd: Wie könnte das aussehen?
Müller: Dass wir von katholischer Seite positiv würdigen, wie Luther die Christozentrik der Erlösung hervorgehoben hat gegen manche Veräußerlichung. Und dass man umgekehrt auf evangelischer Seite nachdenklich wird, weil etwas eingetreten ist, was Luther ursprünglich nicht wollte: die Spaltung der Christenheit. Wir sollten zusammen sehr demütig und bußfertig auf dieses historische Ereignis schauen. Es ist an der Zeit, dass man sich auf evangelischer Seite ganz offiziell von der Behauptung Luthers distanziert, dass der Papst der Antichrist sei. Denn damit war nicht der Papst als einzelner Christ gemeint. Damit sollte die katholische Kirche in ihrem sakramentalen Selbstverständnis getroffen sein. Das kann man nicht als zeitbedingte Polemik abtun. Wir müssten über die Schatten unserer konfessionalistischen Sicht auf die Kirchengeschichte springen.

Interview: Petr Jerabek


03.05.2011

Debatte über papstkritische Äußerungen des Reformators sorgt für Missstimmung — Luthers langer Schatten

Eine Debatte über papstkritische Äußerungen von Reformator Martin Luther sorgt für Missstimmung zwischen den Kirchen in Deutschland. Die Protestanten wollen sich nicht, wie vom Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller gefordert, offiziell von den Worten Luthers distanzieren.

Der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber, der Catholica-Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) ist, sagte am  am Dienstag , aus evangelischer Sicht sei das Thema längst „erledigt“.

Müller, der auch Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz ist, hatte in der vergangenen Woche mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 in einem Interview gefordert, die Protestanten sollten sich von der Behauptung Luthers distanzieren, dass „der Papst der Antichrist“ sei. Mit diesen Worten „sollte die katholische Kirche in ihrem sakramentalen Selbstverständnis getroffen sein. Das kann man nicht als zeitbedingte Polemik abtun“, so Müller.

Weber hob hervor, die „polemische Äußerung der Reformationszeit“ sei „schon von Zeitgenossen Luthers, von anderen Reformatoren, als unangemessen und übertrieben kritisiert“ worden. 1984 habe die erste bilaterale Arbeitsgruppe von VELKD und katholischer Kirche festgehalten, „dass das Papstamt damit nicht getroffen sei“. Die Kirchenleitung der VELKD habe sich diese Stellungnahme zu eigen gemacht, und auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) habe wenige Jahre danach eine gleichlautende Erklärung verfasst.

„Nicht nationalistisch oder heroisch“
Weiter meinte Weber, der 500. Jahrestag der Veröffentlichung der Ablass-Thesen Luthers, der als Beginn der Reformation gilt, sei für die evangelischen Christen „ein wichtiges Datum, dem wir selbstverständlich angemessen gedenken werden“. Es dürfe aber „nicht nationalistisch oder heroisch“ begangen werden. Luther habe 1517 ein neues Verständnis der Buße als Weg in die Freiheit beschrieben. „Der Mensch hat damals die Autonomie des Glaubens gefunden und sich von autoritären Strukturen der damaligen Kirche befreit.“

Auf diese Erkenntnisse der Reformation habe sich auch der Erneuerungsprozess der EKD unter dem Leitwort „Kirche der Freiheit“ bezogen, so der Braunschweiger Landesbischof weiter. „Vielleicht hat unsere Betonung der Freiheit andere Kirchen irritiert, weil sie den Eindruck hatten, als würde die evangelische Kirche mit diesem Gedanken ein Privileg reklamieren.“ So sei der Reformprozess „aber natürlich nie gemeint“ gewesen.

Quelle


 

06.05.2011

Ökumene-Bischof Müller zum Papstbesuch im Land Martin Luthers: „Schwierige Themen nicht aussparen“

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller hat eine vertiefte Auseinandersetzung von Katholiken und Protestanten mit ihren Trennungsgründen angemahnt. Ein gemeinsames Verständnis der sichtbaren Einheit der Kirche sei „unverzichtbar“, so der Leiter der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz im Interview.

KNA: Herr Bischof, im September besucht erstmals ein Papst mit Thüringen ein Kerngebiet der Reformation. Welche historische Tragweite hat das Ereignis?
Müller: Der Besuch ist ein Zeichen dafür, dass der Dialog zwischen katholischer und evangelischer Theologie und Kirche gerade in Deutschland von höchster Wichtigkeit ist und auch von niemand besser geführt werden kann als von einem Papst, der aus Deutschland stammt.
Benedikt XVI. kennt sich im evangelischen Denken bestens aus.

KNA: In Erfurt trifft der Papst die Repräsentanten des deutschen Protestantismus. Er hat sich für diese Zusammenkunft eigens mehr Zeit erbeten als zunächst veranschlagt. Mit welchem ökumenischem Ertrag rechnen Sie?
Müller: Es ist an der Zeit, dass die Ökumene weiter vorankommt. Die Spaltung der Christenheit steht im offenen Widerspruch zum Willen Christi. Und der ist verbindlich für jeden Menschen, der an Christus glaubt. Deswegen können und dürfen wir uns mit dem gegenwärtigen Zustand nicht abfinden.

KNA: Wo hakt es zurzeit?
Müller: Die Ökumene stockt, wenn im Dialog nur Freundlichkeiten ausgetauscht, schwierige Themen aber ausgespart bleiben. Wer die Einheit der Kirche Christi will, der muss das Trennende grundsätzlich und im Vertrauen auf Gott angehen. Wir dürfen auf die Einheit der Kirche hoffen, wenn wir uns gemeinsam in Christus erneuern lassen. Zu dieser Erneuerung zählt auch unverzichtbar ein gemeinsames Verständnis der sichtbaren Einheit der Kirche. Es reicht nicht zu sagen: Ihr macht es so, wir so, wir bleiben getrennt und können doch gemeinsam Eucharistie feiern. Andererseits darf man sich die Kircheneinheit nicht wie die Fusion zweier Firmen vorstellen.
Wir sind der Wahrheit der Offenbarung verpflichtet, die wir in wesentlichen Lehraussagen zur Kirche, den Sakramenten und anderem leider nicht nur unterschiedlich, sondern sogar gegensätzlich auslegen. Deshalb machen wir all diese Anstrengungen in der Ökumene.

KNA: Die Begegnung findet im Erfurter Augustinerkloster statt, in das Martin Luther 1505 eintrat, um Mönch und Priester zu werden – ein guter Ort?
Müller: Ja. Luther hat von seiner Taufe an eine klassische katholische Karriere absolviert. Dann entwickelten sich die Dinge auseinander. Er wurde exkommuniziert und glaubte umgekehrt, dass die katholische Kirche mit dem Papst auf dem falschen Weg sei, weshalb das Evangelium in seiner ursprünglichen Reinheit wiederhergestellt werden müsse. Nach politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen standen sich am Ende verschiedene Kirchentümer gegenüber, darunter gleich mehrere, die aus der Reformation hervorgingen. So kam es, dass heute viele Menschen sich als Christen bekennen, aber in Teilen der Glaubenslehre und in den Sakramenten nicht so zusammen sind, dass sie die Einheit der Kirche darstellen, wie sie Christus gewollt hat. Wir müssen mit diesem Dilemma umgehen und das Ganze auf einen positiven Weg führen.

KNA: Kann da der gemeinsame Blick auf Luther helfen?
Müller: Luther hat ernsthaft mit der Heilsfrage gerungen. Seine tiefgehende Christozentrik, also das Kreisen seines Denkens um den Sohn Gottes als Grund unserer Rechtfertigung vor Gott, ist das tragende Fundament der Gemeinsamkeit. Luther kann uns durch seine existenzielle Tiefe gemeinsam lehren und vor der Gefahr einer Selbstsäkularisierung bewahren. Wir Christen im Westen sind in der Gefahr, den Anspruch des Christlichen zu reduzieren auf ein Hilfsrädchen im Weltgetriebe, auf eine zivilreligiöse Zuständigkeit für feierliche Momente, eine für Staat und Gesellschaft nützliche
Werte- und Sozialagentur.

KNA: Ihre jüngsten Ausführungen zur antipäpstlichen Polemik Luthers haben auf der anderen Seite Irritationen hervorgerufen.
Müller: Worum geht es denn dabei? Doch nicht, wie es in manchen Berichten hieß, um ein einzelnes isoliertes Zitat. Dass der Papst der Antichrist sei, ist eine durchgängige Konstante in den Schriften Luthers. Die Polemik richtete sich auch nicht gegen den Papst als einzelne Person, sondern gegen die katholische Kirche als Institution, die sich zwischen Gott und den Menschen dränge. In der Lutherdekade, die in das Gedenkjahr 2017 mündet, sollten nicht nur die positiven Aspekte seines Wirkens herausgestellt werden. Es geht auch darum, die belastenden und trennenden Elemente historisch und theologisch aufzuarbeiten, wie es in der Wissenschaft auch geschieht. Luthers damaliger Polemik entspricht im heutigen ökumenischen Dialog die Sachfrage, inwiefern die Kirche an der Heilsvermittlung beteiligt ist. Es macht einen großen Unterschied, ob die Kirche gegenüber Christus in einer Konkurrenz gesehen wird, sich ihm mit einer „Anti“-Haltung in den Weg stellt, oder in einer dienenden Funktion. Nur das Letztere kann der Fall sein. Das hat auch das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt.

Interview: Christoph Renzikowski


27.09.2011

Ökumene-Bischof verteidigt den Papst — Gemeinsam „der Heilsfrage stellen“

Die Kirchen müssen sich nach Auffassung des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller gemeinsam „der Heilsfrage stellen“. Dies sei der zentrale Anstoß, den Papst Benedikt XVI. bei seiner Deutschlandreise für die Ökumene habe geben wollen, sagte Müller am Dienstag in Regensburg.

„Wir sind heute auf allen Seiten in der Gefahr, Luther und seine Gewissensängste rein historisch zu betrachten, aber seine Fragen nicht wirklich ernstzunehmen“, so der Bischof, der Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz ist. „Diese Vertiefung des ökumenischen Anliegens, die der Papst in Erfurt vorgenommen hat, ist allemal bedeutsamer, als pragmatisch auf verschiedenen Ebenen diese oder jede Verbindung gleichsam horizontal miteinander zu knüpfen.“

Müller wandte sich gegen das „Spiel mit „Erwartungen“ und „Erfüllung““ im Blick auf die Begegnung des Papstes mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Erfurt. Entscheidend sei, „ob das geäußert worden ist, was von der Sache her gerechtfertigt ist“. So gehe es bei der Beurteilung des Reformators Martin Luther „nicht einfach darum, mit einer Würdigung Luthers den Evangelischen gleichsam einen Gefallen zu tun“. Vielmehr seien diese Aussagen des Papstes als „Ermahnung an uns alle zu verstehen, denn wir sind alle in Gefahr, dem gesellschaftlichen Druck zur Konformität nachzugeben“.

Gespräche bereits im Gang
Der Bischof hob hervor, es sei nicht notwendig gewesen, in Erfurt eine neue gemischte Theologenkommission zum bevorstehenden 500.
Jahrestag der Reformation einzusetzen, weil solche Gespräche bereits im Gang seien. Er verwies auf die Arbeiten des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen in Deutschland an einer gemeinsamen Bewertung der Ereignisse nach dem 31. Oktober 1517 und der gemeinsamen Kommission des Päpstlichen Einheitsrats und des Lutherischen Weltbunds (LWB) auf Weltebene.

Zugleich wandte sich Müller gegen eine generelle „Erlaubnis“ für konfessionsgemischte Ehepaare zum gemeinsamen Empfang der Kommunion.
„Wir empfinden es als Druck von evangelischer Seite, dass diese Erwartung immer wieder an uns gerichtet wird, ohne unsere Glaubensposition richtig zu erfassen“, sagte er wörtlich. Eucharistie sei „ein Gemeinschaftsvollzug von Kirche und nicht nur ein individueller Kommunionempfang“.

Auch Kardinal Koch nimmt Papst vor Kritik wegen Ökumene-Aussage in Schutz
Auch der für Ökumenefragen zuständige Kurienkardinal Kurt Koch hat Vorwürfe zurückgewiesen, Papst Benedikt XVI. habe bei seiner Deutschlandreise ökumenische Erwartungen enttäuscht. Es sei überzogen gewesen, vom Papst bei diesem Anlass die Entscheidung von Fragen zu erwarten, die die gesamte Weltkirche beträfen, sagte der Präfekt des vatikanischen Rates zur Förderung der Einheit der Christen am Dienstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Benedikt XVI. habe deutlich gemacht, dass der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeschlagene Weg der Ökumene für die katholische Kirche unumkehrbar sei.

„Enttäuschungen hängen immer von den Erwartungen ab“, sagte Koch zur Kritik an Äußerungen des Papstes in Erfurt. Für Benedikt XVI. habe die Begegnung mit den evangelischen Christen und das gemeinsame Gebet um die Einheit im Vordergrund gestanden. Der Papst habe sich sehr positiv zu Martin Luther geäußert und dessen „Leidenschaft der Gottesfrage“ gewürdigt. Allerdings bedeute dies keine pauschale Rehabilitierung Luthers.

Der Papst habe bei seinem Deutschlandbesuch kein Gastgeschenk im Sinne eines politischen Verhandlungsmandats mitgebracht, stellte Koch klar. Er habe die Gemeinsamkeiten sowie die ökumenischen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte hervorgehoben und betont, „dass wir dies auf keinen Fall verlieren dürfen“. Koch verwies darauf, dass der Vatikan mit dem Lutherischen Weltbund zum Reformationsgedenken 2017 ein gemeinsames Dokument erarbeite.

Auch die vom Papst vorgetragene Hoffnung auf Eucharistiegemeinschaft mit der Orthodoxie sei keineswegs eine „Ohrfeige“ für die Protestanten, denen er in diesem Punkte nicht entgegenkomme, sagte Koch. „Das ist ein völliges Missverständnis.“ Der Papst habe bei der Begegnung mit orthodoxen Vertretern den Wunsch nach voller Kirchengemeinschaft und daher auch Eucharistiegemeinschaft zum Ausdruck gebracht. Dieser Zusammenhang zwischen Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft werde von evangelischen Christen so nicht geteilt, sagte der Kardinal.

Quelle

Papst Franziskus an die Delegation der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands

Ansprache des Heiligen Vaters
an die Delegation der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands

18. Dezember 2014

Liebe Schwestern und Brüder,

ich begrüße Sie herzlich und danke Bischof Ulrich für seine Worte, die ein klares Zeugnis seines ökumenischen Engagements sind. Ich grüße auch die anderen Vertreter der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands und der Ökumenischen Kommission der deutschen Bischofskonferenz, die zu einem ökumenischen Besuch in Rom weilen.

Der offizielle Dialog zwischen Lutheranern und Katholiken kann heute auf fast fünfzig Jahre intensiver Arbeit zurückblicken. Der beachtliche Fortschritt, der mit Gottes Hilfe erreicht wurde, ist eine solide Grundlage für eine echte, im Glauben und in der Spiritualität gelebte Freundschaft. Ungeachtet der theologischen Differenzen, die in verschiedenen Glaubensfragen noch bestehen,  ist das Leben unserer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die heute einen gemeinsamen ökumenischen Weg beschreiten, von Zusammenarbeit und geschwisterlichem Miteinander gekennzeichnet. Wie der heilige Johannes Paul II. in der Enzyklika Ut unum sint betont hat, ist die ökumenische Verantwortung der katholischen Kirche nämlich eine wesentliche Aufgabe der Kirche selbst, die von der Einheit des Dreieinen Gottes zusammengerufen und auf sie hin ausgerichtet ist. Einvernehmlich erstellte Texte wie die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, die vor fünfzehn Jahren in Augsburg offiziell unterzeichnet wurde und auf die Sie Bezug genommen haben, sind wichtige Meilensteine, die erlauben, den eingeschlagenen Weg zuversichtlich fortzusetzen.

Das gemeinsame Ziel der vollen und sichtbaren Einheit der Christen scheint bisweilen in die Ferne zu rücken, wenn im Dialog selbst unterschiedliche Interpretationen dessen auftreten, was die Kirche und was ihre Einheit ist. Trotz dieser noch offenen Fragen dürfen wir nicht aufgeben, sondern müssen uns vielmehr auf den nächsten möglichen Schritt konzentrieren. Vergessen wir nicht, dass wir gemeinsam einen Weg der Freundschaft, der gegenseitigen Achtung und der theologischen Forschung gehen, einen Weg, der uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Eben darum wurden am vergangenen 21. November die Glocken aller Kathedralen in Deutschland geläutet, um an allen Orten die christlichen Brüder und Schwestern zu einem gemeinsamen Gottesdienst anlässlich des fünfzigsten Jahrestags der Verkündigung des Konzilsdekrets Unitatis redintergratio einzuladen.

Ich freue mich, dass die Kommission für den bilateralen Dialog zwischen der deutschen Bischofskonferenz und der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands im Begriff ist, ihre Arbeit über das Thema „Gott und die Würde des Menschen“ abzuschließen. Von größter Aktualität sind die Fragen, welche die Würde der menschlichen Person am Anfang und am Ende ihres Lebens betreffen, wie auch jene zur Familie, zur Ehe und zur Sexualität – Fragen, die nicht übergangen oder vernachlässigt werden dürfen, nur weil man den bisher erreichten ökumenischen Konsens nicht aufs Spiel setzen will. Es wäre sehr schade, wenn es angesichts dieser wichtigen, mit dem menschlichen Dasein verknüpften Fragen zu neuen konfessionellen Differenzen kommen würde.

Der ökumenische Dialog kann heute nicht mehr von der Realität und dem Leben unserer Kirchen getrennt werden. Im Jahr 2017 gedenken lutherische und katholische Christen gemeinsam des fünhundertsten Jahrestags der Reformation. Aus diesem Anlass werden Lutheraner und Katholiken zum ersten Mal die Möglichkeit haben, weltweit ein und dasselbe ökumenische Gedenken zu halten, nicht in Form einer triumphalistischen Feier, sondern als Bekenntnis unseres gemeinsamen Glaubens an den Dreieinen Gott. Im Mittelpunkt dieses Ereignisses werden also neben der Freude, miteinander einen ökumenischen Weg zu gehen, das gemeinsame Gebet und die innige Bitte an den Herrn Jesus Christus um Vergebung für die wechselseitige Schuld stehen. Darauf nimmt das von der lutherisch-katholischen Kommission für die Einheit erstellte und im vergangenen Jahr veröffentlichte Dokument unter dem Titel „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ bedeutungsvoll Bezug. Möge dieses Reformationsgedenken uns alle ermutigen, mit Gottes Hilfe und mit der Unterstützung durch seinen Geist weitere Schritte zur Einheit zu vollziehen und uns nicht einfach auf das zu beschränken, was wir bereits erreicht haben.

In der Hoffnung, dass Ihr geschwisterlicher Besuch dazu beiträgt, die gute Zusammenarbeit zu stärken, die zwischen Lutheranern und Katholiken in Deutschland und in der Welt besteht, rufe ich von Herzen den Segen des Herrn auf Sie und auf Ihre Gemeinschaften herab.

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Quelle  – [Multimedia]