X
KRIEG UND FRIEDEN IN DER HEUTIGEN WELT
Es ist in diesem Bändchen schon wiederholt gesagt worden, daß Pius XII., dessen Leben so sehr unter dem Zeichen des Krieges stand, das Werk des Friedens in ganz besonderer Weise als Aufgabe seines Pontifikates versteht. Zu dieser Aufgabe eines „Friedenspapstes“ hat er sich bei all den vielen Krisen der Welt, die er erleben mußte, immer wieder in feierlicher Form bekannt, wofür von unzähligen hier nur ein Beispiel stehen soll.
Wir, der Wir Unsern Geist über die Fluten der menschlichen Leidenschaften erheben und väterliche Gefühle gegenüber den Völkern und Nationen jeder Rasse hegen, der Wir die Unversehrtheit und ruhige Sicherheit aller und die tägliche Zunahme des Wohlstandes wünschen: Wir können Uns, immer wenn Wir sehen, wie der heitere Himmel von drohenden Wolken verdunkelt wird und neue Kriegsgefahren die Menschheit bedrohen, nicht enthalten, Unser Wort zu erheben, um alle zu mahnen, die Zwietracht zu begraben, die Streitigkeiten beizulegen und jenen wahren Frieden zu errichten, der die Rechte der Religion, der Völker und der einzelnen Bürger sichert, indem er sie öffentlich und aufrichtig anerkennt, wie es notwendig ist1.
Nun besitzt die katholische Moraltheologie seit langem eine ausgearbeitete Lehre vom Kriege, mit dem sie sich als einer der unheimlichsten und zerstörerischsten Erscheinungen der menschlichen Geschichte notwendigerweise befassen mußte.
Die Äußerungen Pius‘ XII. bauen auf dieser Lehre auf, wo er ihr etwas Neues hinzufügt, handelt es sich lediglich um Erläuterungen und Anwendungen in Hinsicht auf die neuen Tatbestände der Weltsituation und des modernen Krieges.
Der Krieg ist sichtbarster und deutlichster Ausdruck der Gefallenheit der Schöpfung, des Waltens widergöttlicher Mächte in ihr, der Störung ihrer gottgewollten Ordnung.
Gott ist der „Gott des Friedens“ (Röm. 15, 33); er hat die Welt geschaffen, daß sie eine Stätte des Friedens sei; er hat sein Gebot des Friedens gegeben — jener „Ruhe in der Ordnung“, von der der heilige Augustinus spricht2.
Der wahre Friede hat also einen sittlichen und religiösen Gehalt (vgl. S. 75 u. 82); er beginnt im Herzen des Menschen, wo dieser in der Kraft Gottes sein Wesen in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes gebracht hat, indem er sich ihm und seinem uns in Jesus Christus offenbar gewordenen Erlöserwillen liebend öffnet und anschließt.
Der äußere Friede ist nur Ausfluß dieses inneren Friedens, der der Friede mit Gott ist; — wir kommen immer wieder darauf zurück, daß äußere Zustände auf Gesinnungen begründet sein müssen, wenn sie sicher und beständig sein sollen.
Der Friede ist also mehr als die bloße Abwesenheit von Gewalthandlungen oder Drohungen (vgl. S. 82), aber auch mehr als das rein mechanische Gleichgewicht von Kräften.
Wahrer Friede ist nicht das sozusagen arithmetische Ergebnis eines Kräfleverhältnisses, sondern, in seinem letzten und tiefsten Sinne, eine sittliche und rechtliche Handlung3.
Deshalb ist der Krieg kein unabwendbares Schicksal unserer Geschichte, er ist kein notwendiger Ausbruch, der aus ihren Tiefen mit der Gewalt einer Naturkraft hervorbricht.
Für jene, welche die Dinge im Lichte der göttlichen Weltordnung sehen, besteht kein Zweifel, daß es auch für die schwersten menschlichen und staatlichen Interessenkämpfe einen friedlichen Ausgleich gibt4.
Gegenseitiger guter Wille läßt den Krieg als letztes Mittel, Gegensätze zwischen den Staaten zu regeln, immer vermeiden5.
Da jedoch die Sünde, die Ungerechtigkeit, die Selbstsucht und die Machtgier Wirklichkeiten der gefallenen Welt sind, muß der Friede gegen sie geschützt und verteidigt werden. Seine Erhaltung und, wo er gebrochen wurde, seine Herstellung sind also ohne Zwangsgewalt nicht möglich — und zwar eine Zwangsgewalt und Machtanwendung im Dienste des Rechtes. Die folgende Äußerung ist mitten im zweiten Weltkrieg in Hinsicht auf den Frieden gesprochen worden, der ihn beendigen sollte, aber sie enthält eine allgemeine Feststellung, über die sich die katholische Moraltheologie immer einig war.
In Wirklichkeit wird [der Friede] nicht abgeschlossen ohne Anwendung von Gewalt, und sein Bestand selbst hat es nötig, sich auf ein normales Maß von Macht zu stützen. Aber die eigentliche Aufgabe dieser Macht, wenn anders sie sittlich bestehen soll, muß dem Schutze und der Verteidigung, darf nicht der Schmälerung und Unterdrückung des Rechtes dienen6.
Das führt zu der Frage der Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung. Sie wird im innerstaatlichen Leben durch die Autorität der rechtmäßigen Inhaber der Staatsgewalt gedeckt. Souveräne Staaten aber hatten bis heute keine solche übergeordnete Autorität über sich. Eben daraus aber ergab sich seit dem ersten Weltkrieg die ständige Bemühung zur Schaffung einer solchen übernationalen Autorität, die auf alliierter Seite, vor allem auf Betreiben Amerikas, auch während des zweiten Weltkrieges beraten und vorbereitet wurde und sich in der Organisation der Vereinten Nationen in sehr unvollkommener Form verwirklichte (vgl. S. 110). Schon damals begrüßte Pius XII. diesen Plan vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, daß damit eine Ächtung des Krieges als eines Mittels der Politik und vorbeugende Maßnahmen zu seiner Verhinderung praktisch ermöglicht würden. Freilich darf eine solche Organisation kein Instrument der Macht, sondern muß eines der Gerechtigkeit sein. Unter diesen Bedingungen können auch Sicherheitsvorkehrungen in einem einzelnen Land (es ist dabei wohl an Kontrollorgane und zeitweilige Besatzung. gedacht) erlaubt sein, sofern deren letztes Ziel die Wiedereingliederung in die Völkergemeinschaft und nicht eine dauernde Entrechtung und Unterdrückung ist.
Eine Pflicht obliegt allen, eine Pflicht, die keine Verzögerung, keinen Aufschub, kein Wanken und kein Ausweichen duldet: nämlich alles zu tun, was möglich ist, um ein für allemal den Angriffskrieg als erlaubte Lösung internationaler Spannungen und als Werkzeug nationaler Bestrebungen in Acht und Bann zu erklären. Man hat in der Vergangenheit viele zu solchen Zwecken unternommene Versuche erlebt. Alle sind mißlungen. Und es werden immer alle mißlingen, bis der vernünftigere Teil der Menschheit in festem, heilig hartnäckigem Willen es sich zur Gewissenspflicht macht, die Sendung zu erfüllen, die vergangene Zeiten mit ungenügendem Ernst und nicht ausreichender Entschlossenheit begonnen haben7.
Ein wesentlicher Punkt einer jeden künftigen Weltordnung würde die Bildung eines Organs zur Aufrechterhaltung des Friedens sein, eines Organs, auf Grund gemeinsamen Beschlusses ausgestattet mit höchster Machtvollkommenheit, zu dessen Aufgabenkreis es gehören würde, jedwede Bedrohung durch Einzel- oder Kollektivangriff im Keime zu ersticken. Niemand könnte diese segensreiche Entwicklung freudiger begrüßen als der, der schon seit langer Zeit den Grundsatz vertreten hat, daß die Theorie des Krieges als eines tauglichen und angemessenen Mittels, zwischenstaatliche Streitfragen zu lösen, nunmehr überholt sei. Niemand könnte diesem gemeinsamen Vorgehen, das mit einem bisher nicht gekannten Willensernst auszuführen ist, inbrünstiger glücklichen Erfolg wünschen als der, der sich gewissenhaft bemüht hat, die christliche und religiöse Geisteshaltung zur Verurteilung des modernen Krieges mit seinen ungeheuerlichen Kampfmitteln zu veranlassen8.
Wahrlich, der Fortschritt der menschlichen Erfindungen, der die Verwirklichung einer größeren Wohlfahrt der gesamten Menschheit hätte bedeuten müssen, ist statt dessen dazu verwendet worden, das zu zerstören, was Jahrhunderte aufgebaut hatten. Allein gerade dadurch hat sich die Unsittlichkeit jedes Angriffskrieges nur augenscheinlicher gemacht. Und wenn sich nunmehr an die Anerkennung seiner Unsittlichkeit die Drohung eines rechtlichen Dazwischentretens der Nationen und einer dem Angreifer von der Staatengemeinschaft auferlegten Strafe anschließt, so daß der Krieg sich immer unter dem Zuschlag der Achtung und immer unter der Aufsicht vorbeugender Maßnahmen fühlt, dann kann die Menschheit aus der Nacht, in der sie so lange versunken war, heraustreten und das Morgenrot eines neuen und besseren Zeitraums ihrer Geschichte begrüßen9.
Unter einer Bedingung jedoch: daß nämlich die Friedensorganisation, der die gegenseitigen Sicherungen und, wo nötig, die wirtschaftlichen Sanktionen, ja sogar bewaffnetes Eingreifen, Kraft und Festigkeit verleihen sollen, nicht endgültig irgendeine Ungerechtigkeit bekräftige, zu keiner Verletzung irgendeines Rechts zum Nachteil irgendeines Volkes (ob zur Gruppe der Sieger, der Besiegten oder der Neutralen gehörig) beitrage, keine Auflage oder Last verewige, die nur auf Zeit als Wiedergutmachung der Kriegsschäden erlaubt sein kann10.
Daß einige Völker, deren Regierungen — oder denen vielleicht zum Teil auch selbst — die Verantwortung für den Krieg zugeschrieben wird, einige Zeit hindurch die Härten der Sicherheitsvorkehrungen zu ertragen haben, bis die gewaltsam zerrissenen Bande gegenseitigen Vertrauens allmählich wieder zusammengeknüpft sind, wird, so hart es auch ist, aller Wahrscheinlichkeit nach praktisch unvermeidlich sein. Nichtsdestoweniger werden auch diese Völker die wohlbegründete Hoffnung haben müssen, daß auch sie — nach dem Maße ihrer ehrlichen und wirksamen Mitarbeit an dem Werk des künftigen Wiederaufbaus — zusammen mit den andern Staaten mit der gleichen Wertung und den gleichen Rechten in die große Gemeinschaft der Nationen eingegliedert werden können. Ihnen diese Hoffnung zu verweigern, wäre das Gegenteil einer vorausschauenden Weisheit und hieße die schwere Verantwortung auf sich nehmen, den Weg zu einer allgemeinen Befreiung von all den unheilvollen wirtschaftlichen, sittlichen und politischen Folgen des riesenhaften Zusammenbruchs zu versperren, eines Zusammenbruchs, der die arme Menschheit bis in die tiefsten Tiefen erschüttert, der ihr aber gleichzeitig den Weg zu neuen Zielen gewiesen hat11.
Der Papst hält, wie schon an anderer Stelle gezeigt worden ist, die wirksame institutionelle Verwirklichung einer Staatengemeinschaft, für die dringende Forderung unserer Zeit. An dieser Stelle, nämlich in Hinsicht auf das Krieg-Frieden-Problem, soll jedoch ein anderer Gesichtspunkt seines Gedankenganges hervorgehoben werden. Es kommt ihm darauf an, die Lehre von der Unvermeidlichkeit der Kriege zu bekämpfen. Politik ist nicht ein technisches Verfahren, dessen Mittel beliebig verfügbar sind und sich der sittlichen Beurteilung entziehen — so daß der Krieg schließlich nichts weiter als ein extremes Mittel der Politik ist, die „ultima ratio regis“ oder „die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“. Politik ist vielmehr in höchstem Maße sittliches Handeln und untersteht der sittlichen Verantwortung. Als solches dem Sittengesetz unterworfenes Handeln kann aber seine Beurteilung in rechtliche Normen gefaßt werden. Deshalb schlägt Pius XII. bindende zwischenstaatliche Vereinbarungen über ein internationales Strafrecht vor, das die Möglichkeit gibt, vor allem das Verbrechen des Angriffskrieges und andere Kriegsverbrechen zu bestrafen, aber auch die sogenannten „Verbrechen auf Befehl“ zu verhindern und unabhängige Richtergremien zu schaffen. Solche internationalen Einrichtungen in Teilbereichen sind wertvolle Stufen auf dem Wege zur Staatengemeinschaft.
Hat man die Frage [Frieden oder Krieg] auf diese höhere und Vernunftwesen einzig angemessene Ebene [der sittlichen und religiösen Verantwortung] verlagert, so stellt sich der Widersinn jener Lehre wieder klar heraus, die in den politischen Schulen der letzten Jahrzehnte tonangebend war: der Krieg sei eine der vielen erlaubten Formen des politischen Handelns, die notwendige, fast natürliche Art, nicht beizulegende Zwistigkeiten zwischen zwei Ländern auszutragen; der Krieg sei also etwas außerhalb jeder sittlichen Verantwortung Liegendes. Als ebenso widersinnig und unannehmbar hat sich der gleichfalls lange Zeit in Geltung stehende Grundsatz erwiesen, wonach der Regierende, der einen Krieg erklärt, nur der Möglichkeit ausgesetzt ist, einen politischen Fehler zu begehen, wenn nämlich der Krieg verloren wird; daß er aber keinesfalls einer sittlichen Schuld oder eines Verbrechens angeklagt werden könne, wenn er, obwohl er es gekonnt hätte, den Frieden nicht gewahrt hat12.
Wie ist es möglich — so fragten sich [am Ende des zweiten Weltkrieges] viele mit der Einfalt und Wahrhaftigkeit des gesunden Menschenverstandes —, daß, während jeder die sittliche Verantwortung für die eigenen ganz gewöhnlichen Handlungen lebendig in sich fühlt, die entsetzliche Tatsache des Krieges, die doch auch die Frucht freier Entschließung irgendeines Menschen ist, sich der Herrschaft des Gewissens soll entziehen können und daß es keinen Richter geben soll, an den die unschuldigen Opfer sich wenden könnten13?
Die Erfahrungen [der letzten zehn Jahre, aus denen sich die Bedeutung eines internationalen Strafrechts ergibt] umfassen zwei Weltkriege mit ihren Nachwirkungen. In ihrem Verlauf haben sich im Innern der Länder und zwischen den Ländern, und als sich die politischen Totalitarismen frei entfalten konnten, Dinge ereignet, deren einziges Gesetz Gewalt und Erfolg war: es zeigte sich damals ein unter normalen Umständen unvorstellbarer Zynismus bei der Erreichung der erstrebten Ziele und der Lahmlegung des Gegners. Dieser wurde allgemein nicht mehr als Mensch betrachtet. Nicht blinde Naturkräfte, sondern Menschen haben bald in blinder Leidenschaft, bald mit kalter Berechnung unbeschreibliche Leiden, Elend und Vernichtung über Einzelne, Gemeinschaften und Völker gebracht.
Diejenigen, die so handelten, fühlten sich sicher oder versuchten, sich die Zusicherung zu verschaffen, daß sie nirgends und durch niemanden zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Wenn sich das Glück gegen sie wandte, blieb ihnen immer noch der Ausweg, ins Ausland zu fliehen. Das war die Geistesverfassung derer, die sich selber wie Verbrecher benahmen oder die kraft ihrer Macht anderen befahlen, sie zu handeln zwangen oder zuließen, daß sie Verbrechen begingen, obgleich sie sie hätten daran hindern können, wie sie verpflichtet waren.
Bei den Betroffenen schuf dies den Eindruck, es gebe kein Recht und keinen Schutz mehr, und sie seien der Willkür und brutalen Gewalt ausgeliefert. Aber es enthüllte auch eine Rechtslücke: jene Schuldigen, von denen Wir gesprochen haben, müssen ohne Ansehen der Person gezwungen werden können, Rechenschaft abzulegen und ihre Strafe auf sich zu nehmen, und nichts darf sie der Bestrafung ihrer Taten entziehen, weder der Erfolg noch selbst der „höhere Befehl“, den sie erhalten haben.
Der angeborene Gerechtigkeitssinn des Menschen verlangt eine solche Bestrafung und erblickt in der Androhung einer Strafe, die auf alle angewandt wird, eine wenn nicht unfehlbare, so doch wenigstens nicht zu mißachtende Garantie gegen solche Delikte. Dieser Gerechtigkeitssinn hat im großen und ganzen genügenden Ausdruck im Strafrecht der einzelnen Staaten gefunden, was die Delikte des gemeinen Rechts anbetriffl; in geringerem Maße im Falle politischer Gewalttaten im Innern der Staaten, und bisher nur ganz ungenügend für die Kriegsereignisse zwischen den Staaten und Völkern.
Und doch stellt ein ausgeglichener Rechtssinn hier keine weniger evidenten, weniger dringenden Forderungen auf. Und wenn sie erfüllt werden, wird man deren vorbeugende Kraft nicht weniger spüren. Die durch Verträge bestätigte Gewißheit, daß man Rechenschaft ablegen muß — selbst wenn der kriminelle Akt gelingt, selbst wenn man das Verbrechen im Ausland begeht, selbst wenn man nach seiner Begehung ins Ausland flieht —, diese Gewißheit ist eine nicht zu unterschätzende Garantie. Die Einsicht in diese Zusammenhänge läßt selbst den Mann von der Straße die Bedeutung des internationalen Strafrechts erkennen. Bei diesem handelt es sich in der Tat nicht mehr nur um Forderungen der menschlichen Natur und der sittlichen Pflicht, sondern um die Ausarbeitung von klar bestimmten Rechtsnormen mit Zwangscharakter, die auf Grund formeller Verträge für die vertragsschließenden Staaten bindendes Recht werden14.
Das [Recht der Staaten sich gegen einen ungerechten Angriff zu verteidigen und sich darauf vorzubereiten] ändert absolut nichts an der Tatsache, daß der ungerechte Krieg an die erste Stelle der schweren Verbrechen zu stellen ist, die das internationale Strafrecht auf die schwarze Liste setzt und mit den schwersten Strafen belegt und deren Urheber auf jeden Fall schuldig und der vorgesehenen Strafe verfallen sind15.
Die Weltkriege, die die Menschheit erlebt hat, und die Ereignisse, die sich in den totalitären Staaten abspielen, haben noch viele andere, zum Teil sehr schwere Untaten gezeitigt, die ein internationales Strafrecht unmöglich machen oder von denen es die Staatengemeinschaft befreien sollte. So sind auch in einem gerechten und notwendigen Krieg nicht alle wirksamen Mittel für einen Menschen mit gesundem und vernünftigem Rechtsempfinden annehmbar. Die Massenerschießung Unschuldiger als Repressalie für den Fehler eines Einzelnen ist kein Akt der Gerechtigkeit, sondern eine strafbare Ungerechtigkeit; unschuldige Geiseln zu erschießen, wird nicht dadurch ein Recht, daß man es als Kriegsnotwendigkeit hinstellt. In den letzten zehn Jahren hat man Massenmorde aus Rassenhaß gesehen; man hat vor dem Angesicht der ganzen Welt die Schrecken und Grausamkeiten der Konzentrationslager begangen; man hat von der „Liquidierung“ von Hunderttausenden gehört, die als „lebensunfähiges Leben“ bezeichnet wurden, von erbarmungslosen Deportationen, deren Opfer oft mit Weib und Kind dem Elend ausgeliefert wurden, von der Vergewaltigung einer riesigen Zahl von schutzlosen jungen Mädchen und Frauen, von organisierter Menschenjagd in der Zivilbevölkerung, um Arbeiter oder besser Arbeitssklaven zu rekrutieren. Die Verwaltung der Gerechtigkeit entartete hie und da bis zur völligen Willkür sowohl im Untersuchungsverfahren wie bei der Urteilsfällung oder Ausführung der Sentenz. Um sich an jemandem zu rächen, dessen Taten vielleicht moralisch untadelhaft waren, hat man sich gelegentlich nicht einmal gescheut, sich an dessen Angehörigen zu vergreifen.
Diese wenigen Beispiele — Sie wissen, es gibt noch viele andere — mögen genügen, um zu zeigen, welche Art von Delikten den Gegenstand internationaler Verträge bilden müßten, Verträgen, die im Stande wären, einen wirksamen Schutz zu bilden; sie müßten die zu verfolgenden Straftaten exakt angeben und ihre Merkmale mit juristischer Genauigkeit festlegen16.
Die zahlreichen Kriegs- und Nachkriegsprozesse bis auf den heutigen Tag haben dem Problem [der zweifelsfreien moralischen Schuldhaftigkeit der Angeklagten] eine besondere Physiognomie gegeben. Der Richter mußte dabei und muß noch den Fall derjenigen untersuchen, die auf Befehl anderer ein Verbrechen begangen haben oder die es nicht verhindert haben, obgleich sie es gekonnt oder gesollt hätten. Noch häufiger erhob sich die Frage der Verschuldung derjenigen, die Verbrechen nur auf Befehl ihrer Vorgesetzten, oder sogar von diesen unter Androhung der schwersten Strafen und oft des Todes gezwungen, begangen haben. Die Angeklagten haben sich in diesen Prozessen häufig auf diesen Umstand berufen, daß sie nur auf Befehl „höherer Instanzen“ gehandelt haben.
Wird es möglich sein, durch internationale Abkommen zu erreichen, daß einerseits die Vorgesetzten rechtlich außer Stande gesetzt werden, Verbrechen zu befehlen, und daß sie bestraft werden, wenn sie derartige Befehle erteilt haben; und daß andererseits ihre Untergebenen davon dispensiert werden, solche Befehle auszuführen, und daß sie strafbar werden, wenn sie gehorchen? Wird es möglich sein, durch internationale Abkommen den rechtlichen Widerspruch zu beseitigen, nach dem ein Untergebener in seinem Besitz, seinen Gütern und seinem Leben bedroht ist, wenn er nicht gehorcht, und wenn er gehorcht, fürchten muß, daß nach Beendigung der Feindseligkeiten die beleidigte Partei, wenn sie den Sieg davonträgt, ihn als Kriegsverbrecher vor Gericht stellt? Wie klar auch die moralische Norm in all diesen Fällen sein mag — keine höhere Instanz ist berechtigt, einen unmoralischen Akt zu befehlen; es gibt kein Recht, keine Verpflichtung, keine Erlaubnis, einen an sich unmoralischen Akt auszuführen, selbst wenn er befohlen ist, selbst wenn die Weigerung, zu handeln, die schlimmsten persönlichen Schädigungen nach sich zieht — diese moralische Norm steht im Augenblick nicht zur Frage. Es handelt sich gegenwärtig darum, den juristischen Widerspruch, auf den wir hingewiesen haben, zu beseitigen, indem mittels internationaler Abkommen positiv genau definierte, durch die vertragsschließenden Staaten anerkannte, verpflichtende Rechtsbestimmungen festgesetzt werden17.
Die Unparteilichkeit des Richterkollegiums muß auch und vor allem dann gesichert sein, wenn die internationalen Beziehungen in die Strafverfahren hineinspielen. In einem solchen Fall kann es notwendig sein, sich an einen internationalen Gerichtshof zu wenden oder wenigstens gegenüber einem nationalen Gerichtshof beim internationalen Gericht Berufung einzulegen. Einem unbeteiligten Dritten bereitet es Unbehagen, wenn er sieht, wie nach Abschluß der Feindseligkeiten der Sieger den Besiegten wegen Kriegsverbrechen aburteilt, während sich der Sieger gegenüber dem Besiegten ähnlicher Handlungen schuldig gemacht hat. Die Besiegten können zweifellos schuldig sein; ihre Richter können ein offenbares Rechtsgefühl und den Willen zu völliger Objektivität haben; trotzdem verlangt in solchen Fällen oft das Interesse des Rechts und das Vertrauen, das für das Urteil beansprucht wird, die Zuziehung von neutralen Richtern zum Gerichtshof, so daß die entscheidende Mehrheit von diesen abhängt. Der neutrale Richter darf es in solchen Fällen nicht als seine Aufgabe betrachten, den Angeklagten freizusprechen; er muß das bestehende Recht anwenden und sich demgemäß verhalten. Aber diese Zuziehung gibt allen unmittelbar Interessierten, allen neutralen Dritten und der Weltöffentlichkeit eine größere Gewißheit, daß „Recht“ gesprochen worden ist. Gewiß stellt sie eine gewisse Begrenzung der eigenen Souveränität dar; aber dieser Verzicht wird mehr als aufgewogen durch den Zuwachs an Prestige, an Achtung und Vertrauen gegenüber den richterlichen Entscheidungen des Staates, der so vorgeht18.
So lange indessen eine mit ausreichenden Kompetenzen und Machtmitteln ausgestattete höchste Autorität der Staatengemeinschaft nicht existiert, bleibt die Forderung der Ächtung des Krieges eine freilich unverzichtbare und sicher auf die öffentliche Meinung nicht wirkungslose, aber doch rein moralische Forderung, und die Anwendung der Zwangsgewalt zur Verhütung oder Abwehr eines ungerechten Angriffs bleibt Sache eines einzelnen Staates oder einer Staatengruppe. Es besteht also weiter die Frage nach der möglichen „Gerechtigkeit“ oder Rechtmäßigkeit eines Krieges, der dann eben keine „Polizeiaktion“ ist.
Die katholische Moraltheologie hat die Frage, ob es überhaupt einen gerechten Krieg geben kann, immer bejaht und hat im Laufe der Zeit die Bedingungen, unter denen er möglich ist, sorgfältig herausgearbeitet. Das Ergebnis kann man kurz in folgende Sätze zusammenfassen:
- Es muß sich um die Verteidigung gegen einen ungerechten Angriff handeln und zwar gegen ein schweres Unrecht durch zweifelsfreie formell moralische Schuld.
- Es müssen alle Versuche einer friedlichen Verständigung zum Zwecke der Klärung des Sachverhaltes und einer billigen gütlichen Einigung mit vollem Ernst gemacht worden und erschöpft sein.
- Das aus dem Krieg zu erwartende Wohl des Staates muß größer sein als das aus ihm zu erwartende Übel.
- Das dem Feinde zugefügte Übel darf das Maß seiner Schuld nicht übersteigen.
- Es muß vermieden werden, andere, nicht unmittelbar in die Kriegshandlung verwickelte Staaten oder die ganze Christenheit zu schädigen und schwer zu erschüttern.
- Die Kriegsführung muß die Schranken der Gerechtigkeit und Liebe einhalten.
- Es muß eine Kriegserklärung durch die gesetzlich befugte Obrigkeit »im Namen Gottes zur Vollstreckung seiner Gerichtsbarkeit“ erfolgen.
Man hat gesagt, daß diese Regeln so streng seien, daß nach ihnen eigentlich nie ein gerechter Krieg geführt worden sei. Man kann das als eine Frage für die Historiker dahingestellt sein lassen. Es entsteht aber heute die ernsthafte Frage, ob im modernen Krieg zum mindesten die Bedingungen 3, 4, 5 und 6 überhaupt noch einzuhalten sind und ob deshalb ein moderner Krieg nicht in jedem Fall — auch als Verteidigungskrieg — ein „ungerechter Krieg“ sein müßte. Bekanntlich haben auch katholische Juristen und Moraltheologen von höchstem Ansehen ähnliches behauptet.
Pius XII. hat den neuartigen schrecklichen Charakter des modernen „totalen“ Krieges oft genug beschrieben. Er hat zwei Dinge noch besonders hervorgehoben: die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten durch die modernen Waffen und daß angesichts der ins Ungeheure gewachsenen Schäden des Krieges das Maß der „zu duldenden Ungerechtigkeit“ ebenfalls gestiegen ist.
Während der Himmel von düsteren Wolken verdunkelt wird, können Wir, da Uns die Freiheit, Würde und Wohlfahrt aller Nationen aufs innigste am Herzen liegt, nicht anders als erneut alle Bürger und ihre Regierungen zur wahren Eintracht und zum wahren Frieden ermahnen. Möge alle Welt sich daran erinnern, was ein Krieg bedeutet, was Wir ja nur zu gut aus Erfahrung wissen: nichts als Ruinen, Tod und jede Art von Elend. Im Fortschritt der Zeit hat die Technik solche tödlichen und unmenschlichen Waffen geschaffen und vervollkommnet, daß nicht nur Heere und Flotten nicht nur Städte, Länder und Dörfer, nicht nur die unersetzlichen Schätze der Religion, Kunst und Kultur vernichtet werden können, sondern auch die unschuldigen Kinder mit ihren Müttern, die Kranken und wehrlosen Alten. Alles, was der menschliche Geist an Schönem, Gutem, Heiligem hervorgebracht hat, alles oder fast alles kann ausgelöscht werden19.
Die Verschärfung der Kriegstechnik, die zunehmende Anwendung von Kampfmitteln, die keinen Unterschied mehr machen zwischen den sogenannten „Objekten“ militärischer und nichtmilitärischer Art, lenkt von selbst die Aufmerksamkeit auf die Gefahren, die das traurige, unerbittliche gegenseitige Überbieten von Maßnahme und Gegenmaßnahme sowohl zum Schaden der einzelnen Völker wie auch der gesamten Gemeinschaft der Nationen in sich birgt20.
Es genügt nicht, daß man sich gegen eine Ungerechtigkeit irgendwelcher Art zu verteidigen hat, um die Gewaltmethode des Krieges anzuwenden. Wenn die Schäden, die er nach sich zieht, unvergleichlich größer sind als die der „geduldeten Ungerechtigkeit“, kann man verpflichtet sein, die „Ungerechtigkeit auf sich zu nehmen“21.
Andererseits aber besteht das Neue des modernen Krieges nicht nur in der Steigerung der Waffenwirkung, sondern auch in einer Ausweitung der Kriegsziele. In den meisten der früheren Kriege waren sie beschränkt: es ging um dynastische Ansprüche, um den Besitz bestimmter Landgebiete, um wirtschaftliche oder sonstige bürgerliche Rechte usw. Heute aber haben sie „ideologischen“ Charakter angenommen: der moderne Krieg, wie wir ihn in der heutigen Weltsituation der beiden großen einander entgegenstehenden „Blöcke“ vor allem fürchten, ginge um die gewaltsame Ausbreitung einer Weltanschauung und Lebensform, die alle ihr widersprechenden Glaubens- und Lebensformen brutal unterdrücken und schließlich ausrotten will.
Heute würden in einem Krieg, den Gott verhüten möge, die Waffen in solchem Ausmaß Tod und Verderben bringen, daß sie die Erde fast „wüst und leer“ (Gen. 1, 2), als Einöde und Chaos, ähnlich der Öde nicht ihres Zeitenmorgens, sondern ihres Untergangs, zurückließen. Alle Nationen würden in den Strudel mithineingerissen werden; der Kampf hätte seine Rückwirkung und würde sich vervielfachen sogar unter den Bürgern ein und desselben Landes; er würde alle Einrichtungen der Gesittung und alle geistigen Werte in äußerste Gefahr bringen, weil diesmal der Zwiespalt die schwierigsten Fragen alle in sich vereint, um die man sich zu anderen Zeiten getrennt gestritten hat22.
Deswegen kann sich Pius XII. nicht dazu entschließen, die Möglichkeit eines gerechten Krieges auch unter den heutigen Verhältnissen zu verneinen. Sie liegt, so darf man seine Meinung wohl interpretieren, in der Abwehr eines Angriffes, der nicht nur auf einzelne Güter und Rechte eines Volkes zielt, sondern neben seiner physischen auch seine geistige Existenzform bedroht. Ja er geht sogar noch einen Schritt weiter: er fordert in einem solchen Falle vorbeugend ausdrücklich Solidaritätserklärungen und -verpflichtungen anderer Völker zur Abschreckung eines solchen Angriffswillens und postuliert bei einem solchen Angriff ihre strenge Hilfsverpflichtung, die keine Neutralität gestattet. Und darüber hinaus lehrt er, daß auch die zu erwartenden Schrecken und Schäden des Krieges kein ausreichender Grund sind, die Verteidigung zu unterlassen. Nur ihre völlige Aussichtslosigkeit würde diese Unterlassung rechtfertigen.
Das Friedensgebot ist göttlichen Rechtes. Sein Zweck ist der Schutz der Menschheitsgüter, insofern sie Güter des Schöpfers sind. Nun aber sind unter diesen Gütern manche von solcher Wichtigkeit für das menschliche Zusammenleben, daß ihre Verteidigung gegen den ungerechten Angriff zweifellos vollkommen gerechtfertigt ist. Zu dieser Verteidigung ist auch die Solidarität der Völker gehalten: sie hat die Pflicht, den Angegriffenen nicht im Stich zu lassen. Die Gewißheit, daß diese Pflicht nicht unerfüllt bleiben wird, wird dazu dienen, den Angreifer zu entmutigen und so den Krieg zu vermeiden, oder wenigstens, im schlimmsten Fall, seine Leiden zu verkürzen23.
An erster Stelle [unter den Fällen, die auf Grund eines internationalen Strafrechts zu bestrafen wären,] steht das Verbrechen des modernen Krieges, der nicht durch die unbedingte Notwendigkeit, sich zu verteidigen, gefordert ist und der — Wir können es ohne zu zaudern sagen — unvorstellbare Zerstörungen, Leiden und Schrecken mit sich bringt. Die Völkergemeinschaft muß mit gewissenlosen Verbrechern rechnen, die zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Pläne nicht davor zurückscheuen, einen totalen Krieg zu entfesseln. Darum müssen die anderen Völker, wenn sie ihre Existenz und ihre kostbaren Güter beschützen und nicht zulassen wollen, daß der internationale Übeltäter tut, was er will, sich wohl oder übel auf den Tag vorbereiten, wo sie sich verteidigen müssen. Dieses Recht, sich in der Verteidigung zu halten, kann man selbst heute keinem Staat verweigern24.
Vor wenigen Tagen noch [siehe das vorhergehende Zitat] haben Wir den Wunsch geäußert, daß man auf internationaler Ebene jeden Krieg bestrafen soll, der nicht durch die absolute Notwendigkeit der Verteidigung gegen eine sehr schwere der Gemeinschaft zugefügte Ungerechtigkeit gefordert ist, falls man diese nicht durch andere Mittel verhindern kann und es einfach geschehen muß, will man in den internationalen Beziehungen nicht brutaler Gewalt und Gewissenlosigkeit freie Hand lassen25.
Der wahre christliche Friedenswille ist Stärke, nicht Schwäche oder müde Resignation. Er ist ganz eins mit dem Friedenswillen des ewigen und allmächtigen Gottes. Jeder kriegerische Angriff auf jene Güter, welche die göttliche Friedensordnung unbedingt zu achten und zu gewährleisten, deshalb aber auch zu schützen und zu verteidigen verpflichtet, ist Sünde, ist Verbrechen, ist Anschlag auf die Majestät Gottes, des Schöpfers und Ordners der Welt. Ein Volk, das von einem ungerechten Angriff bedroht oder schon dessen Opfer ist, kann, wenn es christlich handeln will, nicht in passiver Gleichgültigkeit verharren, und noch mehr verbietet die Solidarität der Völkerfamilie den anderen, sich in gefühlloser Neutralität als einfache Zuschauer zu verhalten. Wer wird je die Schäden ermessen können, die bereits in der Vergangenheit durch eine solche, vom christlichen Empfinden weit entfernte Gleichgültigkeit gegenüber dem Angriffskrieg angerichtet worden sind? Wie hat sie das Gefühl mangelnder Sicherheit gesteigert bei den „Großen“ und vor allem bei den „Kleinen“? Hat sie dafür vielleicht irgendeinen Vorteil eingebracht? Im Gegenteil: sie hat die Anstifter und Begünstiger des Angriffs nur beruhigt und die einzelnen, sich selbst überlassenen Völker in die Notwendigkeit versetzt, ihre Rüstungen ins Unbegrenzte zu vermehren26.
Auf Gott und die von ihm festgesetzte Ordnung sich stützend, ist der christliche Friedenswille hart wie Stahl. Er ist von einer ganz anderen Prägung als das gewöhnliche Gefühl für Menschlichkeit, das zu oft nur reine Sentimentalität ist und den Krieg lediglich verabscheut wegen seiner Schrecken und Grausamkeiten, seiner Zerstörungen und Folgen und nicht auch wegen seiner Ungerechtigkeit. Einem solchen Gefühl eudämonistischer und utilitaristischer Art und materialistischer Herkunft fehlt die feste Grundlage einer strengen und unbedingten Verpflichtung. Es schafft jenen Boden, auf dem der Betrug des unfruchtbaren Kompromisses, der Versuch, sich auf Kosten anderer zu retten, und auf alle Fälle das Glück des Angreifers gedeihen.
Dies ist so sehr wahr, daß weder die ausschließliche Erwägung der vom Krieg verursachten Leiden und Übel, noch die genaue Berechnung von Einsatz und Vorurteil letztlich zu bestimmen vermögen, ob es sittlich erlaubt, oder auch unter bestimmten konkreten Umständen verpflichtend sei (immer eine begründete Wahrscheinlichkeit des Erfolgs vorausgesetzt!), den Angreifer mit Gewalt abzuwehren27.
Dieselben Gedankengänge gelten auch für die Frage der Abrüstung. Pius XII. läßt keinen Zweifel darüber, daß die Abrüstung oder mindestens eine international vereinbarte Rüstungsbeschränkung zu den wesentlichen Punkten eines konkreten Friedensprogramms gehört. Bei dem Mißtrauen der Mächte der beiden großen Blöcke gehört zu ihrer konkreten Durchführung auch eine effektive Rüstungskontrolle, die deshalb ebenfalls bejaht werden muß. Wie groß das Interesse des Papstes an diesen Fragen ist, zeigt die Tatsache, daß er sich bis in Einzelheiten mit Methoden der praktischen Durchführung einer solchen Kontrolle befaßt hat. Das Interesse gerade an der Kontrolle durch Flugzeugbeobachtung dürfte zum Teil wohl auch darin begründet sein, daß der Papst ja in der Staatengemeinschaft das Eigensein und Eigenrecht jedes Mitglieds soweit irgend möglich geschont wissen will, und dies Verfahren »Unannehmlichkeiten“ in dieser Hinsicht vermeidet.
Im Rahmen einer sittlich begründeten neuen Ordnung ist — nach Beseitigung der gefährlichsten Brandherde neuer Konflikte — kein Platz für den totalen Krieg und für eine hemmungslose Aufrüstung. Es darf nicht gestattet werden, daß das Grauen eines Weltkrieges mit seiner wirtschaftlichen Not, seinem sozialen Elend und seinen sittlichen Verirrungen zum drittenmal über die Menschheit komme. Soll sie gegen eine solche Geißel gesichert werden, so ist eine ernsthaft und ehrlich in Angriff genommene, gradweise und entsprechende Rüstungsbeschränkung erforderlich. Das Mißverhältnis zwischen der Überrüstung der mächtigen und der Unterrüstung der kleinen Staaten schafft eine Gefahr für die Erhaltung der Ruhe und des Friedens der Völker und rät zu einer weitgehenden und entsprechenden Einschränkung in der Herstellung und im Besitz von Angriffswaffen28.
Damit einer solchen . . . Ordnung die Angelpunkte eines wahren Friedens, Ruhe und Dauer, beschieden seien, müssen die Nationen von der drückenden Sklaverei des Wettrüstens befreit werden sowie von der Gefahr, daß die materielle Gewalt, anstatt das Recht zu schützen, zu seiner tyrannischen Vergewaltigung führt. Friedensverträge, die nicht auf einer gegenseitigen, organischen, fortschreitenden, vereinbarten Abrüstung, sowohl in der praktischen als in der geistigen Ordnung, beruhen und die Abrüstung nicht loyal durchzuführen sich bemühen, werden über kurz oder lang ihre Schwäche und den Mangel an Lebenskraft offenbaren29.
Wenn Wir auf diese mangelhaften Seiten der UN hinweisen, so geschieht dies, weil Wir ihre Autorität gesteigert sehen möchten, zumal um die allgemeine Abrüstung durchzusetzen, die Uns so sehr am Herzen liegt und über die Wir schon bei anderen Gelegenheiten gesprochen haben. In der Tat kann nur im Rahmen einer Einrichtung wie der Vereinten Nationen die Verpflichtung der einzelnen Nationen, ihre Rüstung herabzusetzen und insbesondere auf die Verwendung bestimmter Waffen zu verzichten, beschlossen und zu einer strikten Pflicht internationalen Rechts gemacht werden. Ebenso sind gegenwärtig nur die Vereinten Nationen imstande, die Befolgung dieser Pflicht zu verlangen, indem sie die tatsächliche Kontrolle über die Rüstungen der einzelnen, ohne irgendeine Ausnahme, übernehmen. Deren Ausübung durch Luftbeobachtung würde einerseits die Unannehmlichkeiten vermeiden, die die Anwesenheit fremder Kommissionen an Ort und Stelle verursachen könnte, und anderseits einen tatsächlichen Einblick in die Waffenproduktion und die militärischen Bestände auf verhältnismäßig einfache Weise gestatten. Tatsächlich grenzt es ans Wunderbare, was die Technik auf diesem Gebiet erreichen konnte.
Wenn man über Objektive von hinreichender Winkelöffnung und Lichtstärke verfügt, ist es heute möglich, aus mehreren Kilometern Höhe Gegenstände, die sich auf der Erdoberfläche befinden, mit ausreichenden Einzelheiten zu photographieren. Dem wissenschaftlichen Fortschritt, der modernen mechanischen und photographischen Technik ist es gelungen, Aufnahmeapparate zu konstruieren, die eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Vollendung erreicht haben; die Filme sind zu einem so hohen Grad von Empfindlichkeit und Feinkörnigkeit entwickelt worden, daß vielhundertfache Vergrößerungen nach ihnen möglich sind. Wenn solche Apparate auf Flugzeuge aufmontiert werden, die fast mit Schallgeschwindigkeit fliegen, können automatisch Tausende von Aufnahmen gemacht werden, so daß Hunderttausende von Quadratkilometern in verhältnismäßig kurzer Zeit erforscht werden.
Die Experimente auf diesem Gebiet haben Ergebnisse von außerordentlicher Bedeutung gezeitigt, die es gestatten, Fabriken, Maschinen, einzelne Personen und Gegenstände, die auf dem Erdboden, und wenigstens indirekt auch solche, die unter der Erde existieren, hervorzuheben. Die Gesamtheit der durchgeführten Untersuchungen hat gezeigt, wie schwierig es ist, eine Truppenbewegung oder Verschiebung von Panzerwaffen, große Waffenlager und kriegswichtige Industriekomplexe zu tarnen. Wenn die Suche dauernden und systematischen Charakter haben könnte, so würden sich auch ganz winzige Einzelheiten hervorheben lassen, so daß dies einen zuverlässigen Schutz gegen etwaige Überraschungen bieten würde.
Die Kontrolle annehmen, das ist der entscheidende Punkt, an dem jede Nation ihren ernsthaften Friedenswillen beweisen kann30.
Auf der anderen Seite aber warnt auch hier, wie bei anderen Problemen, der Papst unaufhörlich davor, die Frage des Friedens als ein rein technisches Problem anzusehen und dabei die sittlichen Fragen zu übersehen, die der Mittelpunkt aller Bemühungen sein müssen.
Ein rücksichtsloses Wettrüsten unter Ausnützung aller Möglichkeiten der fortschreitenden technischen Entwicklung würde — abgesehen davon, daß es auf die Dauer zum wirtschaftlichen Ruin führen müßte — sich selbst ad absurdum führen, denn die Furcht, die man dem möglichen Gegner einflößen will, würde sich bald verschleißen, das Mißtrauen gegenüber feindlichen Absichten dagegen dauernd wachsen. Außerdem muß man damit rechnen, daß die Regierenden des einen Teils der Welt sich im Zweifelsfalle aller Rücksichten auf die öffentliche Meinung entschlagen. Hier fügt der Papst wiederum die Mahnung ein, daß überhaupt der hemmungslose, durch keine humanen Rücksichten und Ziele gelenkte technische Fortschritt gefährlich ist, weil seine Ergebnisse dann zu jedem beliebigen Zweck verfügbar scheinen und also an sich ein Kriegspotential darstellen.
Ein extremer Pazifismus aber verhindert, daß der böswillige Angreifer überhaupt Hindernisse auf seinem Wege, sieht, daß er praktisch also ermutigt wird. Es besteht aber hinsichtlich der höchsten Güter eine Abwehr- und Verteidigungspflicht.
Daher [von einem all zu materiellen Verständnis der Krieg-und Friedensfrage] kommen, um von anderen Gründen abzusehen, die Meinungsverschiedenheiten und auch die Ungenauigkeiten über Erlaubtheit oder Unerlaubtheit des modernen Krieges; daher gleicherweise die Selbsttäuschung von Politikern, die allzusehr auf das Vorhandensein oder Verschwinden [der modernen] Waffen bauen. Der Schrecken, den diese einflößen, verliert wie jeder andere Schrecken auf die Dauer seine Wirkung. Wenigstens würde er gegebenenfalls nicht genügen, um der Entfesselung eines Krieges Einhalt zu tun, besonders dort, wo die Gefühle der Bürger keinen genügenden Einfluß auf die Entscheidungen ihrer Regierungen haben31.
Nie seit Beendigung der Feindseligkeiten fühlten sich die Menschen derart beklemmt von dem Alpdruck eines neuen Krieges und der angstvollen Sehnsucht nach dem Frieden wie heute. Sie bewegen sich zwischen zwei entgegengesetzten Polen. Da sind die, welche das alte, nicht ganz falsche, jedoch zu Mißverständnissen Anlaß gebende und oft mißbrauchte Wort wieder aufnehmen: Si vis pacem, para bellum: Willst du den Frieden, rüste zum Krieg! Andere glauben das Heil in der Formel zu finden: Frieden um jeden Preis! Beide Teile wollen den Frieden, aber beide gefährden ihn: die einen, weil sie das Mißtrauen wecken, die anderen, weil sie die Sicherheit dessen ermutigen, der den Angriff vorbereitet. Beide also setzen, ohne es zu wollen, die Sache des Friedens aufs Spiel, ausgerechnet zu einer Zeit, da die Menschheit, erdrückt vom Gewicht der Aufrüstungen, geängstigt vom Ausblick auf neue und noch schwerere Konflikte, schon beim Gedanken an eine kommende Katastrophe erzittert32.
Kein Materialismus ist je ein geeignetes Mittel zur Erreichung des Friedens gewesen, denn dieser ist vor allem eine geistige Haltung und erst in zweiter Linie ein harmonisches Gleichgewicht äußerer Kräfte. Es ist also ein prinzipieller Irrtum, den Frieden dem modernen Materialismus anzuvertrauen, der den Menschen an der Wurzel verdirbt und sein persönliches und geistiges Leben erstickt. Zu dem gleichen Mißtrauen führt übrigens auch die Erfahrung, die auch heute noch beweist, daß das kostspielige Potential an technischen und wirtschaftlichen Kräften, wenn es mehr oder weniger gleichmäßig auf die beiden Parteien verteilt ist, gegenseitige Einschüchterung erzeugt. Daraus geht also nur ein Friede der Furcht hervor, nicht der Friede, der Sicherheit für die Zukunft bietet. Man muß es unermüdlich wiederholen und die im Volk, die sich nur zu leicht vom Trugbild eines Friedens betören lassen, der in einem Überfluß an materiellen Gütern besteht, davon überzeugen, daß der sichere und dauerhafte Friede vor allem ein Problem geistiger Einigkeit und sittlicher Haltung ist. Er verlangt, wenn keine neue Katastrophe die Menschheit treffen soll, daß man auf die trügerische Autonomie der materiellen Kräfte verzichtet, die sich in unserer Zeit kaum von den eigentlichen Kriegswaffen unterscheiden. Die gegenwärtige Lage der Dinge wird sich nicht bessern, wenn nicht alle Völker die gemeinsamen geistigen und sittlichen Ziele der Menschheit anerkennen, wenn sie sich nicht helfen, sie zu verwirklichen, und wenn sie sich folglich nicht miteinander verständigen, um sich der auflösenden Diskrepanz entgegenzustellen, die zwischen ihnen hinsichtlich des Lebensstandards und der Produktivität der Arbeit besteht33.
Die Abrüstung, d. h. die gleichzeitige und beiderseitige Einschränkung der Rüstungen, die von Uns immer verlangt wurde, zu der Wir immer aufgerufen haben, ist eine wenig zuverlässige Gewähr für einen dauerhaften Frieden, wenn sie nicht begleitet ist von der Ablegung der Waffen des Hasses, der Begehrlichkeit und der maßlosen Geltungssucht. Mit anderen Worten, wer die Frage der materiellen Waffen zu eng mit jener des Friedens verquickt, begeht den Fehler, daß er die entscheidende sittliche Seite jeder Kriegsgefahr nicht beachtet. Sein Blick geht nicht über Zahlen hinaus und ist überdies notwendig auf den Augenblick beschränkt, in dem der Kampf auszubrechen droht. Ein solcher Freund des Friedens kommt immer zu spät zu dessen Rettung.
Wenn man den Krieg wirklich verhindern will, muß man vor allem der seelischen Blutarmut der Völker abzuhelfen suchen, dem Nichtwissen um die eigene Verantwortung vor Gott und den Menschen für das Fehlen der christlichen Ordnung, die allein den Frieden zu gewährleisten vermag. Darauf sind jetzt die Bemühungen der Kirche gerichtet34.
Von dieser Postulierung einer Verteidigungspflicht, in einem Falle, wo die physische und geistige Existenz und Lebensform eines Volkes angegriffen ist, geht auch die Beurteilung der Wehrpflicht aus. Auch Pius XII. teilt die traditionelle Abneigung der katholischen Moraltheologie, die bei seinen Vorgängern deutlich zum Ausdruck kam, gegen die allgemeine Wehrpflicht und das „Kasernenleben“. Er stellt aber anläßlich der Ungarntragödie am Ende des Jahres 1956 definitiv fest, daß das bolschewistische Vorgehen in Ungarn unüberhörbar und unübersehbar klar gestellt hat, daß es heute 1. einen rücksichtslosen Herrschafts- und Angriffswillen gebe und daß er 2. auf die Vernichtung der Lebensformen unserer Kultur, die hohe verteidigungswerte Güter besitzt, ziele.
Es besteht also eine konkrete, zwingende Abwehr- und Verteidigungspflicht. Jeder Staat ist berechtigt, Maßnahmen zu treffen, ihr genügen zu können. Für ein an den geltenden Normen und hinsichtlich der Situation richtig informiertes katholisches Gewissen gibt es also kein Recht, den Wehrdienst zu verweigern.
Hier ist anzumerken, daß hinsichtlich der Übersetzung des im zweitletzten Satz des folgenden Zitates gebrauchten Ausdrucks „Wehrdienst“ Meinungsverschiedenheiten bestehen. Der italienische Originaltext gebraucht hier nur das Wort „servizi“, und daraus wird gefolgert, daß den „vom Gesetz geforderten Pflichten“ nach Meinung des Papstes auch mit Ableistung der in den meisten Ländern für Wehrdienstverweigerer vorgesehenen Hilfsdienste Genüge getan werden könne. Zu dieser Frage müßte eine weitere Äußerung des Papstes abgewartet werden. Die hier vorgelegte Übersetzung schließt sich jedenfalls der zitierten Interpretation nicht an. Es scheint klar, daß hier aus den Normen und der Situation eine Verteidigungspflicht festgestellt wird — wenn der Angriff ein militärischer ist, so muß auch seine Abwehr eine militärische sein. Es geht hier darum, daß, die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen als objektiv irrig bezeichnet wird — das hindert nicht, gesetzlich auch auf das objektiv irrige Gewissen bestimmte Rücksichten zu nehmen und Hilfsdienste nichtmilitärischer Art vorzusehen.
Die heutige Lage, die nicht ihresgleichen in der Vergangenheit hat, sollte dennoch allen klar sein. Es ist jetzt nicht mehr angebracht, sich den Kopf zu zerbrechen, welche Absichten und Methoden hinter den Panzerwagen stehen, wenn diese lärmend und todbringend über die Grenze einbrechen, um zivilisierte
Völker zu einer Lebensform zu zwingen, die sie ausdrücklich verabscheuen; wenn gleichsam die Etappen möglicher Verhandlungen und Vermittlungen verbrannt werden und mit der Verwendung von Atomwaffen gedroht wird, um konkrete Forderungen durchzusetzen, ob diese nun berechtigt oder unberechtigt sind. Es ist klar, daß sich unter den gegenwärtigen Umständen für eine Nation der Fall ergeben kann, wo nach dem Scheitern aller Bemühungen, den Krieg zu vermeiden, dieser zur wirksamen Verteidigung und in der Hoffnung auf glücklichen Ausgang gegenüber ungerechtem Angriff nicht als unerlaubt betrachtet werden könnte.
Wenn also eine Volksvertretung oder eine durch freie Wahl zustande gekommene Regierung in äußerster Not mit den legitimen Mitteln der Außen- und Innenpolitik Verteidigungsmaßnahmen beschließt und die ihrem Urteil nach notwendigen Dispositionen dazu trifft, so handelt auch sie nicht unmoralisch, so daß ein katholischer Bürger sich nicht auf sein Gewissen berufen kann, um den Wehrdienst zu verweigern und die vom Gesetz festgelegten Pflichten nicht zu erfüllen. Hierin fühlen Wir Uns in voller Übereinstimmung mit Unsern Vorgängern Leo XIII. und Benedikt XV., die jene Verpflichtung niemals leugneten, wohl aber das zügellose Wettrüsten und die moralischen Gefahren des Kasernenlebens zutiefst beklagten und als wirksames Heilmittel, wie auch Wir es getan haben, eine allgemeine Abrüstung vorschlugen (vgl. Leonis XIII. Acta vol. XIV, Romae 1895, S. 210; Arch. degli Affari Eccl. Straord., Nota del Card. Gasparri, Staatssekretär Benedikts XV., an den Ministerpräsidenten des Vereinigten Königreichs, 28. Sept. 1917)35.
Wenn heute davon gesprochen wird, daß die moderne Waffentechnik die Möglichkeiten eines gerechten Krieges beseitigt habe, so sind damit immer vor allem die Atomwaffen gemeint. Zusammen mit den — weniger auffälligen und deswegen weniger das allgemeine Interesse hervorrufenden, aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weniger tödlichen — biologischen und chemischen Kampfmitteln — beschwören sie die Schreckensvision des ABC-Krieges herauf, in dem es kaum Schutzmittel gegen die Einwirkung der verwendeten Waffen gibt.
Pius XII. hat schon am 21. 2. 1943 in einer Ansprache aus Anlaß der Eröffnung des 7. Jahres der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, als erst sehr wenige etwas von den Möglichkeiten der neuen Entdeckungen der Kernphysik ahnten, vor den katastrophalen Folgen, die sie für unsere Erde haben könnten, gewarnt. Er hat seitdem nicht aufgehört — offensichtlich auf Grund genauer fachmännischer Informationen — die Menschheit über die Folgen des Einsatzes von Atomwaffen und ebenso schon der fortgesetzten Atomversuche aufzuklären.
An Stelle der reinen Freude, deren Geheimnis einst von Christus geoffenbart wurde, wächst von Jahr zu Jahr die Sorge und die Verzagtheit der Völker in der Furcht vor einem dritten Weltkrieg und einer schrecklichen Zukunft, verursacht durch die neuen Vernichtungswaffen, durch unerhörte Gewaltmittel.
Waffen, die, wie Wir schon seit Februar 1943 Gelegenheit hatten es erschreckend auszusprechen, dazu angetan sind, „für unsern ganzen Erdkreis zu einer gefährlichen Katastrophe zu werden“ (AAS 1943, S. 75) und das Leben der Tiere und Pflanzen sowie alle menschlichen Werke in immer ausgedehnteren Zonen und in ganzen Gebieten zu vernichten. Diese Waffen vermögen es nunmehr, mit künstlichen radioaktiven Isotopen langer Halbwertzeit die Atmosphäre, das Land, selbst die Ozeane nachhaltig zu verseuchen, auch wenn diese weit entfernt sind von den Zonen, die von den Kernexplosionen unmittelbar betroffen werden. So steht vor den Augen der aufgeschreckten Welt die Aussicht auf ungeheure Zerstörungen, das Bild von ganzen Ländern, die unbewohnbar werden und unbrauchbar für den Menschen, auch wegen der biologischen Folgen, die auftreten können, sei es durch Mutationen in den Keimen und Mikroorganismen, sei es durch die unberechenbare Wirkung, die ein andauernder radioaktiver Einfluß auf die größeren Organismen, den Menschen inbegriffen, und auf deren Nachkommenschafl verursachen kann. In dieser Frage möchten Wir nicht versäumen, auf die Gefahr hinzuweisen, die eine Veränderung im Erbgefüge für die kommenden Generationen darstellen kann. Denn mit den neuen Mitteln ist es möglich, das Erbgefüge des Menschen aus seiner natürlichen Entwicklung zu bringen, und vielleicht ist das schon geschehen. Unter diesen Veränderungen fehlen wohl auch die pathogenen Mutationen nicht — oder würden nicht fehlen, die die Ursache der vererbbaren Krankheiten und Mißbildungen sind36.
Was Uns betrifft, so werden Wir unterdessen nicht müde werden in dem Bemühen — immer eingedenk der Gültigkeit des Prinzips der gerechten Verteidigung —, daß der Atomkrieg, der biologische und der chemische Krieg mittels internationaler Übereinkünfte geächtet und ferngehalten werden. Wie lange noch wollen sich die Menschen dem aufleuchtenden Heil der Auferstehung entziehen, um statt dessen Sicherheit von dem tödlichen Schein der neuen Kriegswaffen zu erwarten? Bis wann werden sie ihre Pläne des Hasses und des Todes dem Gebot der Liebe und den Verheißungen des Lebens, die der göttliche Erlöser gebracht hat, entgegensetzen? Wann werden die Lenker der Völker bemerken, daß der Friede nicht auf Beziehungen einer verschärften und kostspieligen wechselseitigen Einschüchterung beruhen kann, sondern nur auf dem christlichen Grundsatz allumfassender Liebe, besonders aber der Gerechtigkeit, und zwar eher, wenn sie freiwillig geübt als wenn sie erzwungen wird, und eher auf einem erworbenen als auf einem beanspruchten Vertrauen? Wann wird es geschehen, daß die Weisen der Welt die bewundernswürdigen Entdeckungen der geheimen Kräfte der Materie ausschließlich Zielen des Friedens nutzbar machen und dem Menschen Energien von geringen Kosten erschließen, welche den Mangel verringern und die ungleiche geographische Verteilung der Rohstoffe und der Arbeitsmöglichkeiten auf der Erde ausgleichen, der Medizin und der Landwirtschaft neue Möglichkeiten bieten und den Völkern neue Quellen des Aufschwungs und Wohlstandes eröffnen37.
Was die Experimente mit Atomexplosionen betrifft, so scheint es, daß die Meinung derjenigen immer mehr Anhang findet, die besorgt sind wegen der Folgen, die ihr häufigeres Stattfinden haben könnte. Sie könnten mit der Zeit tatsächlich eine Anhäufung von radioaktiven Produkten in der Atmosphäre bewirken, deren Verteilung von Ursachen abhängt, die sich menschlicher Macht entziehen, und so könnten für das Leben zahlloser Lebewesen sehr gefährliche Verhältnisse entstehen.
Was die Verwendung betrifft: eine Kernexplosion entwickelt in äußerst kurzer Zeit eine ungeheure Energiemenge, gleich mehreren Milliarden Kilowatt; sie besteht aus Strahlungen elektromagnetischer Natur unnützen Verschwendung sie besteht aus Strahlungen elektromagnetischer Natur von höchster Dichte, die sich auf eine weite Ausdehnung von Wellenlängen bis zu den durchdringendsten Strahlen erstreckt, und aus fast mit Lichtgeschwindigkeit herausgeschleuderten Korpuskeln, die aus Kernzerfallsprozessen stammen. Diese Energie teilt sich der Atmosphäre mit, und im Nu von Tausendstelsekunden steigert sie die Temperatur der umgebenden Luftmassen um Hunderte von Graden. Das bewirkt deren gewaltsame Fortbewegung, die sich mit Schallgeschwindigkeit vollzieht. Auf der Erdoberfläche finden in einer Ausdehnung von vielen Quadratkilometern Prozesse von unvorstellbarer Gewaltsamkeit statt, mit Pulverisierung von Materialien und völliger Zerstörung durch direkte Strahleneinwirkung, Hitze, mechanische Einwirkung, während eine ungeheure Menge von radioaktiven Materialien verschiedener mittlerer Lebensdauer mit ihrer Aktivität die Vernichtung vollenden und fortsetzen.
Das ist also das Schauspiel, das sich dem entsetzten Blick als Folge dieser Anwendung bieten würde: ganze Städte, auch die an Geschichte und Kunst reichsten und größten, vernichtet; eine schwarze Todeswolke über der pulverisierten Materie, die unzählige Opfer mit verbrannten, verrenkten, zerstreuten Gliedern bedeckt, während andere im Todeskampf stöhnen. Inzwischen hindert das Gespenst der radioaktiven Wolke jede barmherzige Hilfe der Überlebenden und rückt unerbittlich vorwärts, um das übriggebliebene Leben zu vernichten. Es wird kein Siegesgeschrei geben, sondern nur die untraniche Klage der Menschheit, die trostlos die durch den eigenen Wahnsinn erzeugte Katastrophe betrachtet38.
Die wachsende Beherrschung der gewaltigen Naturkräfte durch den Menschen läßt neue und inständige Motive der Sorge erstehen. In der Tat, die zerstörende Gewalt der Atomwaffen ist unbegrenzt geworden, nicht mehr gebremst durch die ‚kritische Masse‘, die der schon schrecklichen Gewalt der ursprünglichen Atomwaffen eine natürliche Grenze setzte. Jetzt wird diese unbegrenzte Macht als Drohung gebraucht, die, von einem Feld auf das andere geschoben, immer katastrophaler wird; denn jeder sucht den anderen zu übertreffen durch die wachsenden und leider tatsächlichen Schrecken, die einem dadurch eingejagt werden. Wenn es sich um Naturkatastrophen handelt, muß man vor dem, was durch den Willen des Allmächtigen geschieht, sein Haupt neigen. Aber wenn sich eine Katastrophe durch den perversen Herrscherwillen eines Menschen ereignen sollte, dann muß ein solcher Akt von jedem rechtdenkenden Menschen getadelt und verurteilt werden. Anstelle der unnützenVerschwendung wissenschaftlicher Tätigkeit und Arbeit und materieller Mittel zur Vorbereitung einer solchen Katastrophe, deren unmittelbare ungeheure Schäden und letzte biologische Wirkungen auf lebende Wesen niemand voraussagen kann, anstelle dieses schrecklichen und kostenreichen Laufs zum Tode hin müssen die Verantwortungsbewußten aller Nationen und jeden Glaubens die schwere moralische Verpflichtung verspüren, weiterhin das edle Ziel zu verfolgen, diese Energien im Dienste des Menschen zu beherrschen. Die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, industriellen und auch politischen Vereinigungen müßten mit ihrer ganzen Macht alle Anstrengungen unterstützen, die auf die Nutzung dieser Energien zugunsten der moralischen Bedürfnisse hinzielen39.
Es klingt in dem letzten Zitat schon an, daß der Papst das Eindringen in die atomare Struktur, die Gewinnung neuer Energiequellen und die vielen anderen Konsequenzen der Forschungen der Kernphysik nicht an sich ablehnt. Das stünde völlig im Widerspruch zu dem, was er anderswo (vgl. S. 46 ff.) über die gottgewollte Rolle der Wissenschaft und Technik gesagt hat. Es ließen sich auch einige Stellen anführen, wo er die friedliche Verwendung der neuentdeckten Kräfte als echten Fortschritt begrüßt. Wir wollen sie hier nicht im einzelnen aufführen. Auch hier stellt sich wieder die alte Aufgabe: den technischen Geist mit seiner Bindungslosigkeit zu lenken und zu beherrschen und ihm das Maß humaner und sittlicher Zwecke aufzuerlegen.
Eine andere Frage haben sich die Atomforscher — freilich wie man, ohne ungerecht zu sein, wohl sagen muß, reichlich spät und nachträglich — gestellt: ob sie nicht hätten verhindern sollen, daß die neuentdeckten Kräfte in einem Augenblick Machthabern zur Verfügung gestellt wurden, wo es für diese fast unmöglich war, sie nicht zu kriegerischen Zwecken zu verwenden, und ob sie sich nicht hätten weigern müssen, an ihrem Gebrauch als Kriegsmittel mitzuwirken. Ohne die Frage erschöpfen zu wollen, gibt der Papst mit dem Grundsatz, daß jede Erkenntnis und jedes Mittel nicht in die Hand eines jeden gehöre, eine Antwort.
Wie Wir schon bei einer früheren Gelegenheit erklärt haben, ist die Wissenschaft an sich immer ein positiver Wert . . . Sonst könnte Allwissenheit nicht ein göttliches Attribut sein . . . Aber wenn der Zuwachs an Wissen an sich ein Gut ist, so folgt daraus nicht, daß alle Mittel, ihn zu erreichen, rechtmäßig sind. Ganz allgemein gehört im übrigen nicht jede Wissenschaft in jedermanns Hand und nicht einmal in die jeder beliebigen Menschengruppe. Die Wissenschaft ist sicherlich kein Gut, wenn man die perverse Absicht hat, sich ihrer zu bedienen, um anderen zu schaden und ihnen widerrechtlich Leiden zuzufügen.
Auf unseren Fall angewandt, bedeutet das: die Suche, Entdeckung und Kenntnis neuer Methoden von Massenvernichtung durch den biologischen und chemischen Krieg, neuer Verfahren, um politische, nationale oder rassische Feinde zu vernichten, neuer Arten von Euthanasie für die Verwundeten, Verstümmelten und Unheilbaren können als bloßer Zuwachs an Wissen einen positiven Wert darstellen; aber sie sind es nicht in der Hand jedes Arztes, jedes Armeeführers und selbst jeder Nation. Damit beantwortet man — zum Teil, wohlverstanden — die Frage: dürfen solche Entdeckungen, solche neuen Erfahrungen von ihren Urhebern ununterschiedlich verbreitet und, wenn nicht aller Welt, so doch den oberen Stellen mitgeteilt werden40?
Schon in einem der oben angeführten Zitate hat der Papst ausgesprochen, daß er dem Atomkrieg gegenüber — und zwar ihm gegenüber mit besonderer Dringlichkeit — dieselbe Forderung stellt, wie gegenüber dem Krieg mit modernen Waffen überhaupt: daß er durch gegenseitig bindende internationale Verträge als Mittel der Politik geächtet wird und sein Anstifter als Verbrecher auf Grund eines internationalen Strafrechtes streng und schwer bestraft werde.
Für den Fall eines ungerechten Angriffes mit Atomwaffen von seiten eines Gegners, dem es um die Vernichtung der höchsten Güter eines Volkes geht, gilt für die Frage, ob er mit Hilfe von Atomwaffen abgewehrt werden könne, nichts anderes als für den modernen Krieg überhaupt: er ist also unter den angegebenen strengen Bedingungen erlaubt. Es ist jedoch hoch bedeutsam, daß eine dieser Bedingungen besonders eingeschärft wird: die Bedingung nämlich, daß die Wirkung der Atomwaffe „kontrollierbar” sein muß, das heißt einmal: ihre Anwendung muß auf militärische Ziele beschränkbar sein und darf nicht unterschiedslos militärische Objekte und nichtmilitärische vernichten. Das heißt aber auch: ihre Nachwirkungen müssen ebenso beschränkbar sein und zwar sowohl räumlich wie zeitlich. Sie dürfen also nicht einen Ort für unabsehbare Zeit für alles Leben unbewohnbar machen; sie dürfen ihre tödlichen oder lebensschädigenden Wirkungen nicht über weite Gebiete oder gar über die ganze Erde verbreiten und so überallhin Schrecken und Gefahr bringen. Atomwaffen, deren Wirkungen nicht in diesem Sinne „kontrollierbar“ sind, sind auf jeden Fall unsittlich und nicht erlaubt.
Der Papst enthält sich dabei des Urteils über die „quaestio facti“, das heißt die Frage, ob es solche „kontrollierbaren“ Atomwaffen bis jetzt überhaupt gibt. Wir sagen mit Absicht bis jetzt, denn tatsächlich kämpfen ja die Atomforscher selber um die Herstellung einer „sauberen“ Bombe, d. h. doch wohl einer Bombe, deren Aus- und Nachwirkungen „kontrollierbar“ sind.
Die Frage, ob der „ABC-Krieg“, der atomische, biologische und chemische Krieg schlechthin notwendig werden kann, um sich gegen einen ABC-Krieg zu verteidigen, läßt sich nach denselben Prinzipien beantworten, die heute entscheiden, ob ein Krieg überhaupt zu rechtfertigen ist. Jedenfalls stellt sich zuvor noch eine andere Frage: ist es nicht möglich, durch internationale Übereinkommen den ABC-Krieg zu ächten und wirksam unmöglich zu machen41?
Ist der moderne „totale Krieg“, besonders der ABC-Krieg, grundsätzlich erlaubt? Es kann kein Zweifel darüber bestehen, namentlich wegen der Schrecken und unermeßlichen Leiden, die durch den modernen Krieg hervorgerufen werden, daß es ein der strengsten nationalen und internationalen Sanktionen würdiges „Verbrechen“ darstellt, ihn ohne gerechten Grund zu entfesseln (das heißt, ohne daß er durch ein evidentes Unrecht von äußerster Schwere, das auf andere Weise nicht verhindert werden kann, aufgezwungen ist). Man kann auch die Frage nach der Erlaubtheit des Atomkrieges, des chemischen und bakteriologischen Krieges grundsätzlich nur für den Fall stellen, daß er als unvermeidlich zur Selbstverteidigung unter den angegebenen Bedingungen beurteilt wird. Aber inzwischen muß man sich mit allen Mitteln bemühen, ihn mit Hilfe internationaler Vereinbarungen zu verhindern oder für seine Anwendung genügend klare und enge Grenzen zu ziehen, damit seine Wirkungen auf die strikten Erfordernisse der Verteidigung beschränkt bleiben. Auf alle Fälle, wenn die Indienststellung dieses Mittels eine solche Ausdehnung des Übels mit sich bringt, daß es sich der Kontrolle des Menschen völlig entzieht, muß seine Anwendung als unsittlich verworfen werden. Hier würde es sich nicht mehr handeln um „Verteidigung“ gegen Unrecht und die notwendige „Sicherung“ rechtmäßiger Besitzungen, sondern um reine und einfache Vernichtung jedes menschlichen Lebens innerhalb des Aktionsbereichs. Das ist aus keinem Grunde erlaubt42.
Inzwischen bleibt weiter die Gefahr, die der Menschheit durch die Fortsetzung von Experimenten mit Kernwaffen droht, die offenbar heute noch nicht „sauber“ d. h. ohne unkontrollierbare Aus- und Nachwirkungen sind. Diese Experimente stehen zudem im direkten Widerspruch zu der überall notwendigen Abrüstung.
Die schädlichen Auswirkungen dieser Experimente sind weithin bekannt und verbreiten große Unruhe. Diese an sich heilsame Beunruhigung steht in Gefahr, von politischer Propaganda ausgenutzt und mißbraucht zu werden. Deswegen stellt der Papst seine Ausführungen über die Einstellung der Experimente in den Zusammenhang seiner Gedanken über den politischen Mißbrauch der Friedensfrage.
Er begrüßt selbstverständlich die Einstellung der Atomversuche, aber er will sie zusammen mit dem Verzicht auf die Verwendung von Atomwaffen überhaupt und eine allgemeine Rüstungskontrolle erörtert wissen. Die Einstellung der Atomversuche allein scheint ihm die Herstellung gleicher Sicherheit für alle nicht zu gewährleisten — sie könnte in einer Situation, wo bei allen Beteiligten das Mißtrauen herrscht, der andere handele nur taktisch und man könne sich nicht darauf verlassen, daß er nicht doch insgeheim seine Atomrüstung weiterbetreiben würde, die Furcht und die Nervosität nur noch vermehren.
Tatsächlich ist Pius XII. von dem englischen Atomfachmann und Berater der englischen Regierung, Lord Cherwell, der Vorwurf gemacht worden, er unterstütze mit seinem Protest gegen die Atomversuche und seiner Warnung vor den Gefahren der Entwicklung der Atomwaffen, die sowjetische Propaganda der Einschüchterung und Entzweiung. Der Osservatore Romano hat — sicherlich nicht ohne Auftrag — darauf geantwortet, der Papst müsse ungeachtet solchen äußerlichen Gleichklangs der Warnung seine Pflicht als Vater der Christenheit und Schützer ihrer Zivilisation erfüllen. Aber diese seine Äußerungen zeigten, daß er sehr wohl vor taktischen Überlistungen auf der Hut ist und daß sein nüchternes und waches Denken die Dinge mit der umsichtigen Einsicht in die Wirklichkeit beurteilt, die ein Kennzeichen der Tugend der Klugheit ist.
Dieser Gedanke [wie die Friedensfrage vor politischem Mißbrauch zu schützen ist] führt Uns von selbst zu der immer akuten Frage des Friedens, der die ständige Sorge Unsres Herzens bildet. Ein Teilproblem dieser Frage verlangt in diesem Augenblick besondere Beachtung. Wir meinen einen kürzlich gemachten Vorschlag, der darauf abzielt, durch internationale Abmachungen die Versuche mit Kernwaffen einzustellen. Man hat auch davon gesprochen, durch weitere Schritte zu Konventionen zu kommen, kraft deren auf den Gebrauch dieser Waffen verzichtet und alle Staaten einer echten Rüstungskontrolle unterworfen werden sollen. Es würde sich also um drei Maßnahmen handeln: Verzicht auf die Experimente mit Kernwaffen, Verzicht auf die Verwendung solcher Waffen, allgemeine Rüstungskontrolle43.
Was die Kontrolle betrifft: man hat Kontrollen durch speziell geeignete Flugzeuge zur Überwachung weiter Gebiete in Hinsicht auf Atomexplosionen vorgeschlagen. Andere könnten vielleicht an die Möglichkeit eines weltweiten Netzes von Beobachtungszentren denken, deren jedes von Gelehrten aus verschiedenen Ländern unterhalten und durch feierliche internationale Verpflichtungen gesichert wäre. Solche Zentren müßten mit wertvollen genauen meteorologischen und seismographischen Beobachtungsinstrumenten, Instrumenten zur chemischen Analyse, Massenspektrographie und dergleichen ausgerüstet werden und würden eine wirkliche Kontrolle über zahlreiche Betätigungen — wenn auch leider nicht über alle — ermöglichen, die vorher auf dem Gebiet der Experimente mit Atomexplosionen verboten worden sein müßten.
Wir zögern nicht, auch im Sinne Unserer früheren Ansprachen, zu bestätigen, daß diese drei Maßnahmen zusammen als Gegenstand internationaler Verständigung eine Gewissenspflicht der Völker und ihrer Regierungen darstellen. Wir haben gesagt: diese drei Maßnahmen zusammen, denn ein Motiv ihrer moralischen Verpflichtung ist auch die Herstellung gleicher Sicherheit für alle Völker. Wenn dagegen nur der erste Punkt zur Ausführung käme, ergäbe sich eine Sachlage, die diese Bedingung nicht erfüllen würde, um so mehr als man dann berechtigten Grund hätte, daran zu zweifeln, daß man wirklich auch zum Abschluß der anderen beiden Konventionen kommen wolle. Wir sprechen so offen, weil die Gefahr ungenügender Vorschläge in der Frage des Friedens zum großen Teil von dem gegenseitigen Mißtrauen abhängt, das häufig die Beziehungen zwischen den interessierten Mächten trübt, die sich gegenseitig, wenn auch in verschiedenem Maße, bloßer Taktik, ja mangelnder Loyalität anklagen bei einer Sache, die für das Schicksal des gesamten Menschengeschlechts grundlegend ist44.
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1 Enzyklika „Mirabile illud“ vom 6. 12. 1950 (Aufruf zu Gebeten für den Frieden); HK 5. Jhg., S. 188; U.-G. Nr. 3628, S. 1858.
2 Ansprache vom 24. 12. 1948 an das Kardinalskollegium (Weihnachtsbotschaft 1948); HK 3. Jhg., S. 164 f.; U.-G. Nr. 4149, S. 2139f.
3 Rundfunkansprache vom 24. 12. 1943 (Weihnachtsbotschaft 1943); U.-G. Nr. 3844, S. 1978.
4 Ansprache vom 2. 6. 1947 an das Kardinalskollegium anläßlich seiner Namenstagsglückwünsche; HK 1. Jhg., S. 525; U.-G. Nr. 544, S. 239.
5 Ansprache vom 19. 10. 1953 an Teilnehmer der 16. Sitzung des Internationalen Dokumentationsbüros für Militärmedizin; HK 8. Jhg., S. 127; U.-G. Nr. 2366, S. 1177.
6 wie 3; U.-G. Nr. 3844, S. 1978.
7 Rundfunkansprache vom 24. 12. 1944 (Weihnachtsbotschaft 1944); U.-G. Nr. 3493, S. 1782 f.
8 wie 7; U.-G. Nr. 3495, S. 1783.
9 wie 7; U.-G. Nr. 3496, S. 1783 f.
10 wie 7; U.-G. Nr. 3497, S. 1784. 11
11 wie 7; U.-G. Nr. 3498, S. 1784.
12 Weihnachtsbotschaft 1954 (wegen Krankheit des Papstes veröffentlicht am 3. 1. 1955 im „Osservatore Romano“); HK 9. Jhg., S. 213.
13 wie 12; HK 9. Jhg., S. 213.
14 Ansprache vom 3. 10. 1953 an Teilnehmer des 6. Internationalen Kongresses für Strafrecht; HK 8. Jhg., S. 77 f.; U.-G. Nr. 437, 438, 439, 440, 441, S. 190 ff.
15 wie 14; HK 8. Jhg., S. 78; U.-G. Nr. 444, S. 193.
16 wie 14; HK 8. Jhg., S. 78; U.-G. Nr. 445, S. 193 f.
17 wie 14; HK 8. Jhg., S. 80; U.-G. Nr. 458, 459, S. 200.
18 wie 14; HK 8. Jhg., S. 80; U.-G. Nr. 455, S. 198 f.
19 Enzyklika „Summi maeoris“ vom 19. 7. 1950 (über den Frieden und die Eintracht der Völker); HK 4. Jhg., S. 541; U.-G. Nr. 3560, S. 1820.
20 Ansprache vom 2. 6. 1943 an das Kardinalskollegium anläßlich seiner Namenstagsglückwünsche; U.-G. Nr. 3725, 3726, S. 1914 f.
21 wie 5; HK 8. Jhg., S. 127; U.-G. Nr. 2366, S. 1177 f.
22 Rundfunkansprache vom 23. 12. 1950 (Weihnachtsbotschaft 1950); HK 5. Jhg., S. 187; U.-G. Nr. 3680, S. 1887.
23 wie 2; HK 3. Jhg., S. 165 f.; U.-G. Nr. 4154, S. 2142.
24 wie 14; HK 1. Jhg., S. 78; U.-G. Nr. 444, S. 193.
25 wie 5; HK 8. Jhg., S. 127; U.-G. Nr. 2366, S. 1177.
26 wie 2; HK 3 Jhg., S. 165; U.-G. Nr. 4152, S. 2141 f.
27 wie 2; HK 3. Jhg., S. 165; U.-G. Nr. 4153, S. 2142.
28 Rundfunkansprache vom 24. 12. 1941 (Weihnachtsbotschaft 1941); U.-G. Nr. 3795, S. 1154 f.
29 Ansprache vom 24. 12. 1939 an das Kardinalskollegium (Weihnachtsbotschaft 1939); U.-G. Nr. 3660, S. 1877.
30 Rundfunkansprache vom 24. 12. 1956 (Weihnachtsbotschaft 1956); HK 11. Jhg., S. 179.
31 Rundfunkansprache vom 24. 12. 1951 (Weihnachtsbotschaft 1951); HK 6. Jhg., S. 163; U.-G. Nr. 4207, S. 2166 f.
32 wie 2; HK 3. Jhg., S. 164; U.-G. Nr. 4148, S. 2139.
33 Rundfunkansprache vom 24. 12. 1953 (Weihnachtsbotschaft 1953); HK 8. Jhg., S. 171; U.-G. Nr. 673, S. 312.
34 wie 31; HK 6. Jhg., S. 163; U.-G. Nr. 4208, 4209, S. 2166.
35 wie 30; HK 11. Jhg., S. 178.
36 Predigt vom 18. 4. 1954 auf dem Petersplatz (Osterbotschaft 1954); HK 8. Jhg., S. 412; U.-G. Nr. 3849, S. 1981.
37 wie 36; HK 8. Jhg., S. 412; U.-G. Nr. 3850, S. 1982.
38 wie 30; HK 11. Jhg., S. 180.
39 Note vom 14. 4. 1957 an den Sonderbeauftragten des japanischen Ministerpräsidenten, Prof. Masatoshi Matsushita; HK 11. Jhg., S. 402.
40 wie 5; HK 8. Jhg., S. 125; U.-G. Nr. 2351, 2352, S. 1172 f.
41 wie 5; HK 1. Jhg., S. 127; U.-G. Nr. 2367, S. 1178.
42 Ansprache vom 30. 9. 1954 an Teilnehmer des 8. ärztlichen Weltkongresses; HK 9. Jhg., S. 76 f.
43 Ansprache vom 23. 12. 1955 (Weihnachtsbotschaft 1955); HK 10. Jhg., S. 179.
44 wie 43; HK 10. Jhg., S. 180.
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