Prälat Prof. Dr. Georg May: DER GLAUBE – GEFAHREN FÜR DEN GLAUBEN

Predigt vom 24.11.2013

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Glaube ist der kostbarste Besitz des Christen. Ihn gilt es zu hüten und zu bewahren. Dem Glauben drohen Gefahren; man muss sie kennen und ihnen begegnen. Es gibt Gefahren, die von au­ßen, und Gefahren, die von innen kommen. Die äußeren Gefahren hat der Herr angedeutet, wenn er sagt: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen.“ Oder wenn Pau­lus erklärt: „Zieht nicht an einem Joch mit den Ungläubigen. Denn welche Gemeinschaft hat das Licht mit der Finsternis?“ Die Verführung zum Unglauben, zum Nichtglauben, zum Verrat am Glau­ben kann von Einzelpersonen ausgehen. Es gibt glaubenslose Menschen, die es darauf anlegen, die Gläubigen im Glauben zu verunsichern und vom Glauben abzubringen. Ungläubige Menschen kön­nen eine Gefahr werden für den Glauben der Gläubigen. Im Alten wie im Neuen Testament werden immer wieder Warnungen ausgesprochen: „Mit einem zuchtlosen Menschen werde nicht vertraut“, heißt es im Buche Sirach. „Wer Pech anrührt, besudelt sich. Wer mit einem Hochmütigen umgeht, nimmt selbst Hochmut an.“ Der Apostel Paulus gebietet — ja, das sagt er —: „Wir gebieten euch, liebe Brüder, im Namen des Herrn Jesus, euch von einem jedem Bruder fern zu halten, der ein unordentli­ches Leben führt und sich nicht an die Lehre hält, die ihr von uns empfangen habt.“ „Zieht nicht an einem Joch mit den Ungläubigen“, mahnt er an anderer Stelle, „denn was haben Gerechtigkeit und Gottlosigkeit miteinander zu tun? Wie stehen Christus und Belial zusammen? Welche Gemeinschaft hat der Gläubige mit dem Ungläubigen? Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit den Götzen?“ Be­sonders gefährlich ist der Umgang mit unzuverlässigen kirchlichen Amtspersonen. Es gab eine Zeit ­und wir Ältere haben sie erlebt —, es gab eine Zeit, in der die Christen den beauftragten Kündern des Evangeliums vertrauen konnten, denn alle vertraten die gleiche Lehre; keiner wich von der Wahrheit ab. Diese Zeit ist vergangen. Seit Jahrzehnten werden von Theologen, von katholischen Theologen, Irrlehren vorgetragen, unter das Kirchenvolk geworfen, vernimmt man Befremdliches von kirchlichen Amtspersonen. Es sind die falschen Propheten, von denen wir eben im Evangelium gehört haben. Es sind die falschen Apostel, die sich verstellen, wie auch der Satan sich verkleidet in einen Engel des Lichtes.

Nicht nur ungläubige Einzelpersonen, auch die Welt als solche ist ja, soweit wir übersehen können, von Sinnlichkeit, Habsucht, Hochmut und Unglauben erfüllt. Ihr geheimer Fürst ist der Satan. Er hat seine beflissenen Dienstmänner. Es gibt öffentliche und geheime Gesellschaften, die sich bemühen, den Glauben in anderen zu zerstören. Denken Sie an den Humanistischen Verband, die Humanisti­sche Union, die Giordano-Bruno-Gesellschaft. Der Humanistische Verband zählt zwanzigtausend Mitglieder. In Berlin ist er der Träger des lebenskundlichen Unterrichtes in den Schulen. Diese Gesell­schaften halten Veranstaltungen in der Öffentlichkeit ab, verbreiten religionsfeindliche Literatur. Erst vor wenigen Wochen trat die Giordano-Bruno-Gesellschaft in der Lotharpassage auf, und suchte dort ihr zersetzendes Gedankengut zu verbreiten — in der Lotharpassage zu Mainz. Gefahren drohen von der Literatur: Zahllose Bücher, Schriften, Flugzettel suchen den Glauben zu unterminieren. Angebli­che Philosophen, wie Dawkins und Hitchens, werfen immer neue Schriften ins Volk, um die Gläubi­gen vom „Gotteswahn“, wie sie sagen, zu befreien. In diesem Jahre feierte die katholische Martinus-Bibliothek in Mainz ihr mehrhundertjähriges Jubiläum. Der Festredner war der Philosoph Kurt Flasch. Jetzt tritt er mit einem Buch an die Öffentlichkeit: „Warum ich kein Christ bin“. Dieser Mann durfte die Festrede zum Jubiläum der katholischen Bibliothek in Mainz halten!

Gefahren drohen, wo immer man nicht denkt, auch vom Theater. Das Theater ist weithin zu einer Stätte des Religionshasses und der Kirchenfeindschaft geworden. An vielen Orten der Bundesrepublik wird das Theaterstück „Der Mann der Rose“ aufgeführt: Eine einzige Hetze gegen die katholische Kirche. Der Regisseur Ulrich Seidl hat drei Filme gedreht mit dem Titel „Paradies: Glaube — Hoff­nung — Liebe“. Von den sexuellen Exzessen in diesem Film will ich gar nicht sprechen, aber eine Sze­ne in dem Film „Paradies: Glaube“ zeigt eine Masturbation, eine Selbstbefriedigung, mit einem Kruzi­fix. „Kunst“ ist das, meine lieben Freunde, Kunst!

Gefahren für den Glauben gehen auch von den politischen Richtungen aus. Wir haben in Deutsch­land keine politische Partei, die sich für katholische Belange einsetzt. In der CDU sind katholische Ansichten nicht mehrheitsfähig. Die Linke ist grundsätzlich kirchenfeindlich, religionsfeindlich; sie ist ja die Erbin der SED. Die Grünen sind zumindest katholikenfeindlich. Die SPD zählt zwar einige aufrechte Christen in ihren Reihen — dafür seien sie bedankt — aber sie hat einen starken kirchenfeind­lichen Flügel. Bei allen Gegenständen, die weltanschaulich kontrovers sind, finden Sie die SPD auf der unkirchlichen Seite. In der FDP gibt es eine starke kirchendistanzierte Fraktion, die sich immer wieder zu Wort meldet. Die gläubigen Katholiken in Deutschland haben keine politische Vertretung. Der Erzbischof von Köln hat nicht umsonst gesagt: „Ich bin politisch heimatlos.“

Enorme Gefahren gehen auch aus von der öffentlichen Meinung, die mit dem kirchenfeindlichen, religionsfeindlichen oder indifferenten Geist erfüllt ist: Presse, Film, Radio, Fernsehen. Ihr Angebot an Widerchristlichem und Unchristlichem ist gewaltig. Sie haben Respekt vor Juden und Muslimen, aber sie haben keinen Respekt vor katholischen Christen. Die allermeisten Medien sind grundsätzlich nur an ungünstigen Nachrichten und Kommentaren über die Kirche interessiert. Häufig verbünden sie sich und führen regelrechte „Feldzüge“ gegen die Kirche und unliebsame Kirchenvertreter. Kein Wunder: Die meisten Journalisten sind, offen oder latent, kirchenfeindlich. Die bewussten katholi­schen Christen sind gegenüber den Massenmedien schutzlos. Wir haben keine weitverbreitete Zeitung, die sich unserer Sache annimmt. Kein Wunder, dass vor kurzem der Präfekt der Glaubenskongregati­on, der Erzbischof Müller, erklärt hat, er sehe eine „aufkommende Pogromstimmung gegen die katho­lische Kirche“. Pogrom heißt: eine von Gewalttaten begleitete Ausschreitung gegen eine bestimmte Schicht der Bevölkerung. Eine Pogromstimmung sieht er heraufziehen. Er spricht von „gezielten Dis­kreditierungskampagnen“ gegen die katholische Kirche. In manchen Gegenden werden Geistliche ­heute schon — öffentlich angepöbelt. „Es wächst eine künstlich erzeugte Stimmung, eine künstlich erzeugte Wut“, so Müller, „die an Pogromstimmung erinnert.“

Natürlich müssen wir, meine lieben Freunde, uns zur Wehr setzen. Die Abwehr dieser Gefahren ist eine naturgesetzliche Pflicht. Eine neue Gefahr ist in den letzten Jahrzehnten erstanden, die es früher nicht gab: das ist die Religionsmengerei. Ich möchte ausdrücklich betonen: Wir haben Achtung vor jeder religiösen Überzeugung, wer immer sie auch vertreten mag. Aber wir sind gegen Religionsmen­gerei. Religionsmengerei vermischt Unvereinbares. Sie verwischt die Grenzen zwischen der wahren Gottesverehrung und Ersatzkulten. Für religiöses Tun sollte der Grundsatz gelten: schiedlich — fried­lich; geschieden voneinander, aber in Frieden und in Achtung voreinander. Das gleiche gilt für Religi­onsgespräche. Religionsgespräche sind seit Jahrhunderten gehalten worden. Sie waren stets ohne Er­folg und in der Regel zum Schaden für die katholische Sache. Die nichtkatholischen Gesprächspartner haben es leicht, die Zuhörer für sich zu gewinnen. Warum? Weil ihre Ideologie eingängig ist, weil sie leicht ist, weil sie bequem ist. Heutige Religionsgespräche leiden auch fast immer am Mangel an Kom­petenz der Beteiligten. Sie kennen weder ihren eigenen Glauben noch den der anderen genügend, um darüber fachgemäß reden zu können.

Große Gefahren gehen vom gedruckten Wort aus. Der gläubige Christ ist gehalten, glaubenswidri­ge Schriften zu vermeiden. Ich habe nie begriffen, wie man als katholischer Christ ein Abonnement des „Spiegel“ halten kann. Die Kirche hat in der Vergangenheit die Verbreitung gefährlicher Schriften zu verhindern versucht, indem sie solche verbot. Sie hat seit 1564 — also seit dem Konzil von Trient ­ein Verzeichnis verbotener Bücher aufgestellt, den so genannten Index — „Index Librorum Prohibitorum“. Das waren Warnungstafeln, die da aufgerichtet wurden. Der Christ, der diese Bücher in die Hand bekam, wusste: Die Kirche hat hier ein Fragezeichen gesetzt. Man erhielt ohne weiteres die Er­laubnis, diese Bücher zu lesen, die so genannte Indexerlaubnis, wenn man Grund hatte, sie zu erbitten. Aber der Index war nützlich, weil er eben vor den Gefahren warnte, die — meinetwegen — vom Schrifttum von Immanuel Kant ausgehen. Seine Philosophie ist eine Verirrung. Kant war übrigens sehr katholikenfeindlich. Von ihm stammt das Wort, dass jeder Gottesdienst, also auch der, den wir halten, „Afterdienst Gottes“ ist. Er ist niemals in eine Kirche gegangen, auch nicht, als er als Rektor der Universität dazu verpflichtet war. Das ist Immanuel Kant. Der Index wurde im Jahre 1966 abge­schafft. Es gibt heute kein nachträgliches Bücherverbot mehr. Gegen die Abschaffung des Index hat sich in Deutschland nur eine einzige Stimme erhoben: Sie können sich denken, wer das gewesen ist. Seitdem sind die einzelnen Christen auf ihr eigenes Urteil in Fragen der Rechtgläubigkeit der Autoren, verwiesen, d.h. sie werden allein gelassen. Ist denn jedermann fähig, über Wert und Unwert religiöser Schriften zu urteilen? Soll ihm dabei nicht von kirchlicher Seite geholfen werden? Im kirchlichen Ge­setzbuch steht: „Es ist Recht und Pflicht der Hirten der Kirche, darüber zu wachen, dass nicht durch Schriften oder Medien Glaube oder Sitten der Gläubigen Schaden nehmen können. Und so können die Hirten verlangen, dass von Gläubigen herauszugebende Schriften, die den Glauben und die Sitten berühren, ihrem Urteil unterworfen werden. Schließlich haben sie Schriften zurecht- und zurückzu­weisen, die dem rechten Glauben und den Sitten schaden.“ Das sind gute und richtige Bestimmungen im Kanon 823 des Gesetzbuches, aber sie stehen nur auf dem Papier. Sie bleiben völlig unbeachtet. Unglaube und Unsittlichkeit strömen mit aller Macht auf die Gläubigen ein. Irriges lehrende Theolo­gen können heutzutage ihre Irrtümer völlig ungehindert den Gläubigen vortragen. Die Bücher von Hans Küng, die ja doch alle einen falschen Glauben lehren, sind in Hunderttausenden von Exempla­ren verbreitet.

Es sind äußere Gefährdungen des Glaubens, die ich eben genannt habe, aber es gibt auch innere. Eine innere Schwierigkeit hängt mit dem Wesen des Glaubens zusammen. Der Glaube ist nun einmal, wie Paulus sagt „den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit“. „Weisheit aber reden wir unter Vollkommenen.“ Tatsächlich kann das Übervernünftige im Glauben als widervernünftig ausgegeben werden. Der Irrtum kann den Schein der Wahrheit annehmen. In Wirklichkeit können Glaube und Vernunft nicht in einen Gegensatz geraten, denn sie haben beide Gott zum Ursprung, und Gott kann sich nicht selbst widersprechen. Der Schein des Widerspruches entsteht dort, wo die Glaubenslehre unrichtig ausgelegt wird oder wo irrige Meinungen für sichere Vernunftergebnisse gehalten werden. Das sind die beiden Quellen des Irrtums. Mit geduldiger Gelehrsamkeit lassen sich alle Widersprüche ausräumen.

Schwierigkeiten und Gefahren treten auch ein, wenn die Verkünder der Glaubenswahrheit sittliche oder geistige Mängel aufzuweisen haben. Es ist schlimm, meine lieben Freunde, wenn von den Seel­sorgern keine kraftvolle und umfassende Verkündigung ausgeht. Gläubige klagen über Ausfall und Unterschlagung religiöser und sittlicher Gegenstände. Ich habe hier einen Zeitungsausschnitt, wo eine Dame aus Ludwigsburg, also in Württemberg, schreibt. „Welcher Priester wagt es heute noch, in der Sonntagspredigt seine Gemeinde auf die Pflicht zur Beichte und zum Besuch der sonntäglichen Eu­charistiefeier hinzuweisen? Niemals höre ich in der Predigt etwas über die Sünde des unehelichen Zu­sammenlebens, des Ehebruchs, der Verhütung der Schwangerschaft, die massenhafte Tötung im Mut­terleib, den unwürdigen Empfang der Kommunion, die Nichtbeachtung des Freitagsgebotes, die Aufforderung zum täglichen Gebet. In den Vermeidungen werden zwar die Tanzangebote in der Ge­meinde angesagt, nicht aber das Rosenkranzgebet.“ So schreibt diese Dame aus Ludwigsburg. Und wir wissen, dass sie weithin Recht hat. Heute ist es dahin gekommen, dass Priester zum Ungehorsam ge­gen die Ordnung der Kirche aufrufen: Es gibt eine sog. „Pfarrerinitiative“, die öffentlich und vor aller Welt die Gläubigen zum Ungehorsam einlädt, und kein Bischof unternimmt etwas dagegen! Der Pri­mas, meine lieben Freunde, der Primas der Benediktiner, der Herr Wolf, möchte das Sonntagsgebot abgeschafft sehen. — Man fasst sich an den Kopf. — Es ist schlimm, wenn Inhaber des Lehr- und des Hirtenamtes unüberlegt, unkontrolliert, unvorbereitet daherreden, wenn sie in dunklen Allgemeinhei­ten und zwielichtigen Zweideutigkeiten sich ergehen. Ich habe hier noch einmal einen Zeitungsaus­schnitt, in der eine Dame aus Unterschleißheim schreibt: „Nicht nur Erzbischof Robert Zollitsch führt mit der Freiburger Handreichung die Seelsorge in die Irre, auch Kardinal Reinhard Marx verne­belt die Klarheit der katholischen Lehre durch seine Stellungnahme gegenüber dem Präfekten der Glaubenskongregation Erzbischof Gerhard Müller. Ja, funktioniert denn in der Kirche gar nichts mehr? Kann da jeder wursteln, wie ihm lustig ist? Ist die Lehre der Kirche für jedermann nur noch Meinungssache? Gibt es neuerdings Meinungsumfragen zur Abstimmung über katholische Lehrsätze, in denen die Mehrheit entscheidet über die künftige Pastoral?“ So diese Frau aus Unterschleißheim. In diesen Tagen, meine lieben Freunde, hat der erwähnte Erzbischof von München erneut für Verwir­rung gesorgt. Nach seinen Worten hat die Kirche „mit Bildern, wie denen des Fegfeuers und der Höl­le, Angst vor dem Tode gemacht“. „Herr Erzbischof Marx, Hölle und Fegfeuer sind keine Bilder, sondern Wirklichkeiten!“ Von wenigen Gegenständen hat unser Herr und Heiland so oft gesprochen wie von der Hölle! Wer diese Wahrheiten verkündigt, macht nicht Angst vor dem Tode, sondern warnt die Christen vor dem Absturz! Was der Münchner Erzbischof treibt, ist Unterschlagung von Dogmen! In jeder Heiligen Messe — in jeder Heiligen Messe! — beten wir „Gott möge uns vor der ewi­gen Verdammnis bewahren“. Aber der Erzbischof Marx behauptet, die Kirche habe mit Bildern wie denen des Fegfeuers und der Hölle Angst gemacht. „Herr Erzbischof Marx, im Namen der dogmen­gläubigen Christen, warne ich Sie und verbitte mir derartige Entgleisungen!“ Eine große Gefahr für den Glauben sind schlechte Priester. Sie sind das beste Agitationsmaterial gegen Kirche und Glaube. Die Verkündiger des Glaubens, die den Glauben nicht leben, erschweren es den Menschen, zum Glauben zu finden und im Glauben zu verharren. Die Gläubigen wollen die Botschaft Christi nicht nur hören, sie wollen sie auch sehen, im Leben verwirklicht sehen. An erster Stelle sind dazu die Ver­kündiger des Glaubens berufen. Sie müssen leben, was sie predigen. Sie müssen bezeugen, was sie glauben. Von Priestern und Bischöfen, die durch ihren Lebenswandel Ärgernis geben, geht eine Er­schütterung des Glaubens für viele aus. Wir alle wissen, dass solche Vorgänge nicht selten sind.

Zur positiven Gefahr für den Glauben kommen auch andere Erscheinungen wie eine ungenügende Kenntnis des Glaubens. Wer seinen Glauben nicht kennt, der kann leicht ein Opfer des Unglaubens werden. Ich habe es Ihnen schon oft gesagt, meine lieben Freunde, und werde nicht müde, es zu wie­derholen: „Verschaffen Sie sich solide Kenntnisse in der Glaubens- und Sittenlehre.“ Unser Glaube ist durch Vernunftgründe vorzüglich zu erhellen und zu verteidigen. Wir sind um Argumente nicht verle­gen — aber man muss sie kennen. Eine Begleiterscheinung der Glaubensschwäche und der Glaubens­gefahr ist auch die mangelnde Ehrfurcht und Bescheidenheit im Denken. Wer im satten Wissensdün­kel, im schattenlosen Zweifel sich aufhält, der kann leicht den Glauben verlieren. Diese Gesinnung widerstrebt dem „Kindessinn“, den der Herr fordert. „Ich danke dir, Vater, dass du es den Weisen, Klugen verborgen, aber den Kleinen offenbart hast.“ Kindessinn, gläubige Hinnahme dessen, was Gott durch seine Kirche uns vorträgt, das ist gefordert, um den Glauben festzuhalten.

Eine letzte Gefahr für den Glauben ist auch der Weltsinn, ist das sittliche Versagen. Viele Men­schen lehnen das christliche Credo ab, weil sie die Zehn Gebote nicht annehmen wollen. Den irdisch gesinnten Menschen fehlt die geistige Empfänglichkeit für das ewig Göttliche. „Der fleischliche Mensch fasst nicht, was des Geistes Gottes ist“, schreibt Paulus den Korinthern. Der fleischliche Mensch fasst nicht, was des Geistes Gottes ist. Er scheut zurück, vor der Höhe der sittlichen Verant­wortung, die ihm der Glaube auferlegt. „Wer Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht ans Licht, damit seine Werke nicht offenbar werden.“ Meine lieben Freunde, die zuverlässigen katholischen Christen in Deutschland sind von Feinden umringt. Sie möchten den Glauben ersticken, die Kirche vernichten, den Klerus ausrotten. Ich glaube nicht, dass die Gefahr für den Glauben in zweitausend Jahren Kirchengeschichte jemals so gigantisch war wie heute. Wir sind gefordert wie die Christen der Katakombenkirche. Die innere Gewissheit, in der Wahrheit zu sein, darf nicht schwach werden. Wir gehören ja zu dem, meine lieben Freunde, der gesagt hat: „In der Welt habt ihr Bedrängnis, aber seid getrost, ICH habe ich Welt überwunden.“

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Quelle: Glaubenswahrheit.org

Prälat Prof. Dr. Georg May: DER GLAUBE – SÜNDEN GEGEN DEN GLAUBEN

Predigt vom 17.11.2013

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

An den vergangenen Sonntagen haben wir uns Gedanken gemacht über den Glauben. Der Glaube ist eine so reichhaltige Wirklichkeit, dass man ihn von verschiedenen Seiten ansehen kann. Eine Defi­nition des Glaubens gibt der Brief an die Hebräer. Im 11. Kapitel im 1. Vers heißt es: „Der Glaube ist die Überzeugung von dem, was man nicht sieht; die Zuversicht auf das, was man erhofft.“ Der Glau­be ist sicher eine Hingabe an Gott, eine Übergabe an Christus, aber auch ein Fürwahrhalten.

In der jüngsten Zeit sind Irrlehrer aufgetreten, die das Fürwahrhalten aus dem Glauben entfernen wollen. Das ist eine schwere Verirrung. Der Glaube richtet sich auf das, was Gott in seiner Offenba­rung den Menschen zur Nachachtung vermittelt hat. Die Wahrheiten des Glaubens, die uns zum Für­wahrhalten dargeboten werden, sind das Lebensgesetz des Volkes Gottes und seiner Glieder. Gegen diese Wahrheiten kann man sich verfehlen. Es gibt Sünden gegen den Glauben. Das soll das Thema unserer heutigen Überlegungen sein. Die Sünden gegen den Glauben können Unterlassungssünden oder Begehungssünden sein. Unterlassungssünden liegen vor, wenn man sich um den Glauben nicht kümmert, wenn man schuldhaft unwissend ist in Glaubensdingen, oder wenn man es unterlässt, den Glaubensakt zu erwecken, wenn es notwendig ist, z.B. beim Glaubensbekenntnis, beim Sakramentenempfang. Die Begehungssünden richten sich gegen den Glauben als Handlung und als Anlage, und zwar gegen den Glauben, wie er in Satzwahrheiten ausgedrückt wird. Man kann den Glauben verlet­zen durch zu wenig und durch zu viel. Wir werden gleich die Fälle, in denen der Glaube durch zu we­nig verletzt wird, näher ins Auge fassen.

Zunächst einmal die Frage: Kann man auch zu viel glauben? Soweit sich der Glaube auf Gott rich­tet, ist ein Zuviel unmöglich. Man kann Gott nicht zu viel glauben. Aber es gibt eine Leichtgläubigkeit, d.h. eine Verfehlung in der Hinsicht, dass man für Glaubenswahrheiten hält, was keine Glaubens­wahrheiten sind. Leichtgläubigkeit ist heute nicht selten. Denken Sie an die vielen Menschen, die Er­scheinungen, Visionen, außergewöhnlichen Ereignissen und angeblichen Wundern nachjagen. Dieses heute oft feststellbare Haschen nach Privatoffenbarungen ist regelmäßig Leichtgläubigkeit und damit Missbrauch des Heiligen zur Sensation. Die Kirche will uns nicht bloß den Wunderglauben lehren, sie will auch dem Wunderaberglauben wehren. An dieser Stelle ein Wort zum Aberglauben. Aberglauben ist die „quasireligiöse Hinwendung“ zu irgendwelchen numinosen, unpersönlichen Mächten und Kräf­ten. Sie tritt auf in Form der Wahrsagerei, der Zauberei und des Wahnglaubens. Die Wahrsagerei hat ihre Wurzel in dem angeborenen Triebe des Menschen, die Zukunft zu enthüllen. Sie ist außeror­dentlich häufig. Es gibt Hunderte und Tausende, die mit diesen Lügengeweben der Wahrsagerei ihr Brot verdienen. Die Zauberei entspringt dem Verlangen nach müheloser, gottähnlicher Meisterung der Naturgewalten. Man meint sich irgendwelcher Kräfte bedienen zu können, um Wirkungen her­vorzurufen, die mit natürlichen Mitteln nicht zu erreichen sind. Der Wahn oder der religiöse Wahn drückt sich aus in Erlebnissen des Aaserwähltseins oder des Verfolgtseins oder des Berufenseins. Jeg­licher Aberglaube ist eine Trübung des hellen Gottesglaubens. Eine Trübung des Glaubens an die Heiligkeit, die Allmacht und die Vorsehung Gottes. Oft ist er gegen den Glauben als solchen gerichtet. Er verführt zur Tatenlosigkeit, weil man sich eben von irgendwelchen geheimen Mächten Unter­stützung oder Ersatz der eigenen Leistung erhofft. „Ihr sollt euch nicht an Zauberer wenden!“ heißt es 3. Buch Moses. Mit dem Schwinden der Religiosität breitet sich unwiderstehlich der Aberglaube aus. „Glaube, dem die Tür versagt, steigt als Aberglaub‘ ins Fenster. Wenn die Götter ihr verjagt, kommen die Gespenster“, hat Emanuel Geibel gedichtet.

Nun aber zu den Sünden gegen den Glauben. Die erste Sünde ist der Unglaube, also die Leugnung des Christentums als solchen, der volle Gegensatz zum christlichen Dogma: Heidentum, Judentum, Islam und die modernen atheistischen und unchristlichen Systeme. Der Unglaube ist die Sünde des alten Heidentums, das falsche Götter an die Stelle des wahren Gottes setzte. Aber auch die Sünde jener neuheidnischen Weltauffassungen, die alle Religionen und jede Gottheit leugnen, die die Welt mit Gott ineins setzen — das Universum, das All ist angeblich Gott: Pantheismus, Materialismus, abso­luter Skeptizismus. Die Heiden von heute sind nicht mehr wie die Heiden vor Christus jungfräulicher Boden, der auf die Saat des Wortes Gottes wartet. Sie sind wie Schutthaufen an den Rändern der Großstadt: in sich verkehrt, verschüttet, verbogen. Auch jene religiöse Entwicklungslehre, die alle religiösen Begriffe und Dogmen dem geschichtlichen Wechsel unterwirft — wie es ja weitgehend im Protestantismus der Fall ist —, also auch diese religiöse Entwicklungslehre ist eine Preisgabe des wah­ren Gottesglaubens. Keine Dogmen zugestehen, die immer gelten, heißt die christliche Religion ver­nichten. Zum Glauben — im christlichen Sinne — gehört mindestens die Anerkennung Jesu als des ab­soluten Wahrheitslehrers und Gottessohnes. Deswegen ist derjenige, der die Gottheit Christi leugnet, als Ungläubiger anzusehen. Die Gottheit Christi wird geleugnet — ich sage es mit Schmerz — von vie­len evangelischen Theologen; aber auch von einem katholischen, nämlich von Hans Küng. Das kirch­liche Gesetzbuch bezeichnet die Ablehnung des christlichen ‚Glaubens im Ganzen und auch die Ab­lehnung Christi als wahren Gottes als „Apostasie“, als Abfall. Der Glaube ist eine Gnade; der Unglaube ist eine unentschuldbare Sünde. Gott gibt jedem Menschen die hinreichende Gnade, zum Glauben zu kommen und im Glauben zu verharren. Den Glauben verliert niemand, es sei denn, er schüttelt ihn ab. Häufig — vielleicht in den meisten Fällen — ist es die Sittenlehre, die zum Abwerfen des Glaubens verführt. Wenn das Einmaleins und der Lehrsatz des Pythagoras die gleichen Forderun­gen an das sittliche Leben stellen würden wie die Glaubenssätze, sie würden genauso ungläubig aufge­nommen werden wie diese.

Die zweite Sünde gegen den Glauben ist die Häresie. Das ist ein griechisches Wort und heißt so viel wie „Auswahl“. Häresie nennt man die nach Empfang der Taufe erfolgte beharrliche Leugnung von Wahrheiten, die kraft göttlichen und katholischen Glaubens zu glauben sind, oder auch den Zwei­fel an einer solchen Glaubenswahrheit. Der Sündencharakter der Häresie besteht in der Auswahl: Man wählt sich aus dem christlichen Glaubenssystem etwas aus. Man mischt die Irrlehre in den christlichen Glauben. Das ist das Merkmal der zahllosen Sekten. Sie berufen sich alle auf die Heilige Schrift, aber keine von ihnen hat die ganze Heilige Schrift. Jede dieser Sekten hat ihre Lieblingstexte, auf die sie sich stützt, und vernachlässigt die anderen. Der große Theologe Joseph Lortz — der ja bei uns in Mainz gewirkt hat —, hat ein zweibändiges Werk über die Reformation in Deutschland geschrieben. In diesem Buche untersucht er auch den Glauben Luthers. Es sagt: „Luther war kein ‹Vollhörer› der Hei­ligen Schrift.“ Er hat die Schrift nur in Auswahl gelesen und gelten lassen in dem, was ihm entsprach. Und anderes hat er beiseitegelassen. „Er war kein Vollhörer“, sagt Joseph Lortz. Die Kirche hat im­mer die Preisgabe einer Wahrheit — also eines Dogmas — als Irrlehre und Irrglaube bezeichnet. Die Heilige Schrift spricht deutlich davon: „Aus unserer Mitte sind sie hervorgegangen, aber sie gehörten nicht zu uns. Hätten sie zu uns gehört, dann wären sie bei uns geblieben. So aber sollte offenbar wer­den, dass sie uns nicht angehörten.“ Die Kirche hat immer mit Schmerz und mit Trauer Menschen angesehen, die bei ihr waren, die sich dann von ihr gelöst haben durch Abfall zur Sekte.

Auch der freiwillige Glaubenszweifel hebt die Tugend des Glaubens auf, denn der Glaube ist nun einmal ein festes, zweifelloses Fürwahrhalten. Vorausgesetzt für den sündhaften Zweifel ist, dass man den Widerspruch des Denkens zur objektiven Norm und Pflicht des Glaubens subjektiv erkennt. We­sentlich verschieden vom Zweifel sind Schwierigkeiten im Glauben oder Versuchungen gegen den Glauben. Schwierigkeiten im Glauben sind normal, denn der Glaube verlangt von uns die Annahme von Wahrheiten, die eben nicht auf der Straße liegen. „Tausend Schwierigkeiten“, sagt der englische Kardinal Newman, „tausend Schwierigkeiten machen nicht einen einzigen Zweifel aus.“ Auch Versu­chungen gegen den Glauben sind kein Glaubenszweifel. Der böse Feind weiß, wo er die Gläubigen packen muss. Und er greift sie an, indem er sie versucht. Das Erste Vatikanische Konzil hat den Satz aufgestellt, dass es „für einen Christen, der einmal den Glauben angenommen hat mit Herz und Ver­stand, keinen objektiven Grund geben kann, keinen gerechten Grund geben kann, den Glauben zu ändern oder in Zweifel zu ziehen.“ Wer zweifelt, meine lieben Freunde, der verliert. „Unsere Zweifel sind unsere Verräter“, heißt es bei Shakespeare. Man fasst dieses Zweifeln gewöhnlich unter dem Namen „Skepsis“. Skepsis ist die Ansicht, dass die Wahrheit unerkennbar ist; man ist skeptisch. Ein sicheres Kriterium, um eine wahre Vorstellung von einer falschen erkennbar zu machen, ein sicheres Kriterium, so sagt der Skeptiker, gibt es nicht. Aber vergessen Sie nicht, der Satz „Nichts ist mit Ge­wissheit erkennbar“ gerät mit sich selbst in Widerspruch, denn wer diesen Satz vertritt, nimmt ja zu­mindest an, dass dieser Satz zutreffend ist — also die absolute Skepsis hebt sich selbst auf. Die Skepsis im Glauben macht die Seelen welk und alt. Sie weiß keine Antwort zu geben, sie bringt die Menschen um die Seligkeit des Glaubens.

Eine weitere Verfehlung ist der Indifferentismus, also die Gleichgültigkeit im Glauben. Sie kann praktisch oder theoretisch sein. Praktische Gleichgültigkeit liegt vor, wenn man träge ist in der Übung des Glaubens, im Gebet, im Besuch des Gottesdienstes. Oder auch gleichgültig gegen die Wahrheit des Glaubens, gegen die Interessen der Kirche, gegen das Heil der Seelen und die Ehre Gottes und seines Reiches. Solche Gleichgültigkeit ist — wie Sie wissen — außerordentlich häufig. Es fehlt an Le­bendigkeit des Glaubens, es fehlt an Ernst gegenüber den Verpflichtungen des Glaubens. Quellen der Indifferenz (des Indifferentismus) sind religiöse Unwissenheit, Vorurteile gegen die Kirche, weltlicher Sinn, Vernachlässigung der religiösen Übungen. Die Folge ist der allmähliche Verlust des Glaubens. Der theoretische Indifferentismus besteht darin, dass man sagt „alle religiösen Bekenntnisse sind gleich wahr oder auch gleich falsch“. Oder der Glaube habe für das sittliche Leben und das ewige Heil keine Bedeutung; Hauptsache dass man „etwas“ glaubt. Ja, meine lieben Freunde, wozu ist denn Gott vom Himmel herabgestiegen, wenn es gleichgültig ist, was man glaubt? Der theoretische Indifferen­tismus steht dem völligen Unglauben nahe. Schon im Alten Bunde war die religiöse Gleichgültigkeit bekannt. Denken Sie an den Propheten Elias, der das Volk fragte: „Wie lange wollt ihr auf beiden Seiten hinken? Wer ist der wahre Gott: der Gott Israels oder Baal?“. Das Christentum hat sich von Anfang an gegen Unentschiedenheit und Rückversicherung im Glauben gewehrt. „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich“, sagt der Herr. Und Paulus fragt: „Was hat das Licht mit der Finsternis zu tun? Wie verträgt sich Gottes Tempel mit Götzenbildern?“ Im letzten Buch der Heiligen Schrift — in der Apokalypse — heißt es: „Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch warm. Wärest du doch kalt oder warm, aber weil du lau bist, will ich dich ausspucken aus meinem Munde!“ Der Laue, das ist der Skeptiker, das ist der Indifferente. Der Apostel von Berlin, Karl Sonnenschein, hat einmal in seinen sonntäglichen Notizen geschrieben: „Was ist größere Gefahr: Sekte, Freimaurertum, Apathie? Die Apathie ist es. Wahnsinnige Gleichgültigkeit gegen die religiösen Dinge.“ So Karl Sonnenschein.

Die Sünde gegen den Glauben ist deswegen besonders gravierend, weil eben mit ihr das ganze Ge­bäude des Christen einstürzt, denn der Glaube ist die Tragkraft seines Lebens. Und deswegen heißt es bei Markus: „Wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“ Und bei Johannes: „Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet.“ Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Saloniki: „Alle jene werden dem Gericht verfallen, die der Wahrheit keinen Glauben schenken.“ Und an die Gemeinde in Korinth schreibt er: „Der Zorn Gottes kommt über die Kinder des Unglaubens.“ Dieser Lehre entsprechend hat die Kirche, seit ältesten Zeiten, nach außen kundgegebene Häresie und Apostasie mit dem Aus­schluss aus ihrer Gnadengemeinschaft beantwortet — mit der Exkommunikation. „Einen ketzerischen Menschen weise zurecht und meide ihn, wenn du ihn zurechtgewiesen hast.“ „Wenn einer zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, nehmt ihn nicht in euer Haus auf und bietet ihm keinen Gruß.“

Die innere Betrachtung der Sünde des Unglaubens zeigt ihre sittliche Verwerflichkeit. Es handelt sich ja um die Preisgabe eines göttlichen Gutes, nämlich der höchsten Wahrheit. Es wird auch die Sünde deswegen so schwer, weil sie sich abwendet von der Wahrheit und Wahrhaftigkeit Gottes. Es geht ja nicht um Menschen. Es geht beim Unglauben um Gott. Die Sünde verletzt die Autorität Got­tes, die gebietende Macht des Schöpfers über die Menschenseele, und damit auch die Ehre Gottes.

Der Unglaube ist sodann eine Verfehlung gegen die wahre Selbstliebe: ein Herabsinken der Seele in Finsternis, aus der sie sich durch den Glauben erhoben hatte. Die Sünde steht auch im Gegensatz zu der kirchlichen Gemeinschaft, weil sie sich absondert. Sie zerreißt das Einheitsband der Kirche, das ja der Glaube ist. Und sie gefährdet die übernatürliche Heilswahrheit bei anderen, denn sie kann anste­ckend wirken, diese Sünde, sie kann ansteckend wirken. Und deswegen hat die Kirche auch immer mit ihren Waffen gegen sie gekämpft. Sie kennen alle den Kampfbegriff gegen die Kirche, das Wort „In­quisition“. Wenn es in Mainz einen Kenner der Inquisition gibt, dann bin ich das. Ich habe mich als Kirchenrechtler mit dieser Frage ausgiebig beschäftigt und habe, was mir erreichbar war, gelesen. Erst vor einigen Jahren hat Hermann Heimpel, in Göttingen, Protokolle einer Inquisition veröffentlicht ­ich habe sie besprochen. Die Inquisition, meine lieben Freunde, ist aus dem Grundsatz der Einheit von Staat und Kirche entstanden. Die Feinde der Kirche galten gleichzeitig als Feinde des Staates, und darum erfolgte ihre Bestrafung durch den Staat. Es gab Irrlehren, die gemeingefährlich für Kirche und Staat waren, Irrlehren, die den Bestand von Kirche und Staat infrage stellten. Ihre Vertreter waren die Anarchisten der damaligen Zeit. Ignaz Döllinger — also der Mann, der später mit der Kirche gebro­chen hat —, Ignaz Döllinger hat einmal geschrieben: „Die Katharer“ — also diese Sekte, die in Süd­frankreich und in Nordspanien sich ausbreitete — „die Katharer griffen Ehe, Familie und Eigentum an. Hätten sie gesiegt: ein allgemeiner Umsturz, ein Zurücksinken in die Barbarei und heidnische Zuchtlo­sigkeit wäre die Folge gewesen.“ So Ignaz Döllinger. Es war allgemeine Überzeugung, dass hartnäcki­ge Ketzer den Tod verdienen. Wenn man über andere relativ geringfügigere Vergehen wie Zauberei oder Brandstiftung die Todesstrafe verhängte, dann erst recht über die Ketzerei. Die hartnäckige Ket­zerei wurde als das schlimmste Vergehen angesehen. Und deswegen hat — man höre und staune — Kai­ser Friedrich II. — Kaiser Friedrich II.! — die Gesetze gegen die Ketzer erlassen, die den Feuertod fest­setzten. 1224, 1231 und 1238 hat Kaiser Friedrich die Gesetze über die Bestrafung der Ketzer erlassen. Seitdem wurde der Feuertod für den hartnäckigen Ketzer festgesetzt. Der Bestrafung ging die Untersuchung voraus. Das lateinische Wort dafür ist „inquisitio“. Inquisition heißt „Untersu­chung“. Der sie vornahm, musste im Recht und in der Theologie bewandert sein. Deswegen wurde sie mit Vorliebe den Dominikanern übertragen, denn das war der gebildetste Orden der damaligen Zeit. Die Aufgabe der Inquisitoren war, zu untersuchen, ob jemand ein Ketzer sei. Wenn das festgestellt wurde, hat man ihn zum Widerruf zu bringen versucht. Deswegen die gelehrten Männer. Sie haben ihn mit Gründen, mit Glaubensgründen, mit Verstandesgründen, zu widerlegen versucht. Und das ist in vielen, in sehr vielen Fällen gelungen. Und die so Wiedergewonnenen wurden entlassen. Die hart­näckigen Ketzer dagegen wurden als solche verurteilt. Es gab viele Urteile, die nur auf Gefängnis lau­teten, zeitweiliges Gefängnis: ein Jahr, zwei Jahre oder noch weniger. Es gab aber auch solche, die, weil sie hartnäckig und gemeingefährlich waren, der weltlichen Gewalt zur Bestrafung am Leben überwiesen wurden. Ich habe die Protokolle, die sich erhalten sind, gelesen. Sie zeigen, mit welcher Leidenschaft die kirchlichen Inquisitoren darum rangen, die Ketzer zu bekehren, und in wie vielen Fällen es ihnen auch gelungen ist. Deswegen lauteten die meisten Urteile auf Freispruch oder zeitwei­lige Haft. Die Übergabe an den weltlichen Arm zur Todesstrafe war selten. Die darüber verbreiteten Lügen sind keine Wahrheit. Man will hier der Kirche etwas auswischen. Die Inquisition wurde auch in protestantischen Staaten geübt. Man denke an die furchtbaren Verfolgungen der Katholiken in Eng­land. Jahrhundertelang wurden dort Menschen wegen ihres Glaubens hingerichtet, bis ins 19. Jahr­hundert. Und in Irland war es ebenso und in Frankreich während der Revolution. Diese Verfolgungen haben zahlreichere und grausamere Urteile gegen die Gläubigen zu verantworten als alle Urteile der Inquisition im Mittelalter.

Meine lieben Freunde, wir wollen uns am heutigen Tage besinnen, welcher Schatz unser Glaube ist. Gott verloren, d.h. alles verloren. Ohne Gott, alles Spott. Für uns muss gelten: Erstens: Verwerfe den Irrtum, aber liebe die Irrenden. Wir müssen für unseren Glauben stehen und dürfen ihn nicht verbie­gen. Aber wer ihn nicht teilt, hat Anspruch auf unsere ungeheuchelte Liebe. Die Liebe drängt uns, den Irrenden die Wahrheit zu bringen. Zweitens: Halte, was du hast. Meide die Gefahren für den Glauben. Stärke deinen Glauben, vertiefe deinen Glauben, lebe deinen Glauben, betätige deinen Glauben: im Gebet, im Gottesdienst, im Handeln aus dem Glauben. Drittens: Wache über die dir Anvertrauten. Versorge sie mit Schriften, die den Glauben aufbauen. Zeige ihnen, dass unser Glaube begründet ist, dass die Vernunft ihm nicht widerspricht. Suche in Glaubensgesprächen die Fragen zu beantworten, die andere haben, die Schwierigkeiten zu lösen, unter denen sie leiden. Ich sage, meine lieben Freunde, mit Victor Hugo: „Zu glauben ist schwierig, nicht zu glauben ist unmöglich.“

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Quelle: Glaubenswahrheit.org