Marianne Schlosser erklärt Unmöglichkeit der Frauenweihe

Die Wiener Dogmatikerin Marianne Schlosser hat sich vom „Synodalen Weg“ distanziert. Die Arbeit in der Vorbereitungsgruppe zu Frauen in der Kirche habe sich zu sehr auf die Frage der Weihe konzentriert. Als prominente Befürworterin der Weihe von Frauen saß in der Arbeitsgruppe auch Schwester Katharina Ganz, Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen. In einem offenen Brief an Ganz legt Schlosser nun dar, warum die Weihe von Frauen ausgeschlossen ist. „Die Tagespost“ dokumentiert das Schreiben im Wortlaut.

ARCHIV – 11.03.2019, Niedersachsen, Lingen: Frauen der katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) demonstrieren während der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz mit einem Transparent mit der Aufschrift „Frauen in alle Ämter“. Im Vordergrund steht Franz-Josef Bode, Bischof im Bistum Osnabrück. Frauen-Initiativen aus mehreren deutschen Bistümern wollen aus Protest gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendliche durch Priester und den Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema eine Woche lang keinen Dienst in der Kirche tun. Foto: Friso Gentsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit

 

Sehr geehrte Frau Generaloberin, geschätzte Kollegin!
Sie haben mir vor kurzem den Link zu Ihrem Interview in der FAZ 13.09.2019 zukommen lassen.
Da die von Ihnen angesprochenen Themen viele Menschen bewegen, möchte ich auf einige Punkte eingehen und habe mich entschlossen, dies in der Form eines Offenen Briefes zu tun; denn ein Leserbrief böte nicht den Platz für eine differenzierte Stellungnahme. Ich schreibe im Bewusstsein, mit meiner Ansicht nicht allein zu sein, sondern vielen anderen eine Stimme zu geben, die sich normalerweise nicht laut bemerkbar machen.

Bereits die Überschrift, „Frauen müssen die Machtfrage stellen“, hat mich einigermaßen erschüttert. Sie verbinden die „Machtfrage“ hauptsächlich mit dem Weihesakrament und sehen in der Tatsache, dass die römisch-katholische – wie ja auch die östlichen Kirchen –, keine Frauen mit dem apostolischen Amt betrauen, einen Verstoß gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Nicht „Macht“, sondern Vollmacht Christi

Ehrlich: Ich möchte in der Kirche niemanden über mir haben, weder Mann noch Frau, noch ein Kollektiv, der/die/das eine derartige Vorstellung von „Macht“ oder vom Weihesakrament vertritt. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1). In der Kirche hat es keine andere Macht zu geben als die Vollmacht Jesu Christi – und wie diese aussehen soll, ist bekannt („Ihr wisst, dass die Mächtigen…, bei euch aber soll es nicht so sein…“ Mk 10,43; Lk 22,26).

Dass es de facto Missbrauch von Amt und der damit verbundenen Stellung gibt, werde ich gewiss nicht leugnen. Und dass bis in die Gegenwart gerade Ordensschwestern mitunter von Klerikern und anderen wie selbstverständlich als Dienstboten betrachtet werden und nicht die gebührende Wertschätzung erfahren, tut mir weh. Dafür braucht man nicht einmal nach Afrika oder Südamerika zu blicken.

Vielleicht wäre es „gerecht“, dass nicht nur Männer Macht missbrauchen können dürfen sollen. Besser wird die Sache dadurch nicht. Sie räumen selbst ein, dass diese Erwartung ziemlich weltfremd wäre. Ganz zu schweigen davon, dass de facto „Macht“ nicht nur von Personen ausgeübt wird, die ein Amt haben … Ich fürchte, dass Augustinus Recht hatte, wenn er den Hunger nach Macht, d.h. die Versuchung, über andere herrschen zu wollen, als dem Menschen – nicht dem Mann! – inhärent betrachtete, sofern er/sie sich nicht bekehrt, d.h. die Gesinnung Christi annimmt (Phil 2).

Gerade im Zusammenhang des jüngeren Missbrauchsskandals durch Kleriker ist die alte Frage wieder ins Rampenlicht gerückt worden: Braucht die Kirche (wer ist das?) Frauen als Priester? Inzwischen klingt es allerdings eher umgekehrt: Frauen brauchen Zugang zum Weiheamt; sie haben ein Recht darauf.

„Aber wenn jemand ein Amt für sich
braucht, dann ist der Missbrauch der
damit verbundenen Stellung vorprogrammiert“

Ich möchte niemandem etwas unterstellen. Aber wenn jemand ein Amt für sich braucht, dann ist der Missbrauch der damit verbundenen Stellung vorprogrammiert. Wer meint, ein Recht darauf zu haben – ob Mann oder Frau – ist im Irrtum. Darum ist es m.E. verfehlt, das Wort der Gleich-be-rechtigung in diesem Zusammenhang zu verwenden. Gregor d. Gr., ein wahrlich erfahrener Oberhirte, war der Auffassung, dass man Personen, die sich dazu drängen, besser nicht ordiniert. Denn wer so von sich überzeugt ist, dass ihm/ihr niemals der Schrecken in die Glieder gefahren ist, die Furcht oder wenigstens ein Schatten des Selbstzweifels angesichts dessen, was da auf einen zukommt, an dessen/deren besonderer Berufung in die Nachfolge des Guten Hirten dürfe man zweifeln. Diese bedeutet ja notwendig eine Art „Enteignung“ von eigenen Plänen und Interessen – was in der Regel auch mit Widerstand im eigenen Inneren verbunden ist.

Das wäre es, was ins Bewusstsein gehoben werden müsste, damit die Kirche zu einer „geschwisterlichen“ Gemeinschaft zusammenwächst. Dass Ihr Ordenspatron und Vorbild Franziskus nicht nur eine ganz außerordentliche Hochschätzung der Priester hatte, „wegen ihrer Weihe“ (so in seinem „Testament“), sondern auch selbst geradezu autoritär sein konnte, kann man im übrigen auch nicht ganz übersehen.

Eine verantwortliche Stellung bringt eine besondere Gefährdung mit sich, davon weiß die gesamte geistliche Tradition. Verantwortlichkeit nicht mit Bevormundung zu verwechseln, Geduld nicht mit Gleichgültigkeit, Bescheidenheit nicht mit Unterwürfigkeit, Umgänglichkeit nicht mit Anpassung, etc., erfordert eine große geistliche Reife.

Benehmen von Amtsträgern ist Contra-Testimonium

Und leider ist das Benehmen von Amtsträgern zuweilen ein Contra-testimonium.

Aber wohin würde der von Ihnen am Schluss Ihres Interviews angedachte Vorschlag führen, „Weihesakrament“ und „Macht“ zu trennen? Wer soll dann „Macht“ ausüben, mit welcher Qualifikation, mit welchem Recht? Die Zeit der Fürstbischöfe, die kirchenrechtlich gesehen Laien waren, ist vorbei.

Die Kirche bindet die Übertragung von Vollmacht und besonderer Verantwortung an Kriterien, auch an eine längere Ausbildung und Prüfung der charakterlichen und religiösen Voraussetzungen eines Kandidaten, um Risiken zu minimieren. Und im Ritus der Weihe kommt das Vertrauen in das Gebet der Gläubigen zum Ausdruck, dass der Heilige Geist nicht untätig bleiben wird.

Ist das nur ein spirituelles Luftschloss, fernab der Realität nur allzu macht-voller Wirklichkeit?
Solange das Leitungsamt („munus regiminis“) – selbst wenn das nur ein fernes Ideal wäre! – dialektisch mit der „diakonia Christi“ (Joh 13,13-16; Lk 22,27) verbunden ist, das heißt: mit der Entäußerung von sich selbst notfalls bis zur Lebenshingabe, gibt es wenigstens Hoffnung, dass sich einige, viele, möglichst alle daran ausrichten – Hoffnung, dass man den Gipfel nicht aus den Augen verliert, selbst wenn man zurückfiele. Wenn man dagegen den Gipfel für inexistent erklärt, wird man im Nebel der Täler sitzenbleiben.

Was nun die Möglichkeit des Zugangs für Frauen zum Weiheamt, speziell zum Priestertum betrifft, gehen Sie davon aus, dass das Schreiben Johannes Pauls II. „Ordinatio sacerdotalis“ nicht den Grad letzter Verbindlichkeit habe, den das Dokument selbst ausdrücklich beansprucht (n.4). Es fehle die formelle Erklärung zum Dogma.

Es wurde nun aber mehrfach (zuletzt durch Kard. Ladaria am 29. Mai 2018) erklärt, dass, und warum!, dieses Schreiben als Ausdruck des ordentlichen Lehramts verbindlich ist.

(1)Antwort auf den Zweifel bezüglich der im Apostolischen Schreiben »Ordinatio sacerdotalis« vorgelegten Lehre, Kongregation für die Glaubenslehre, 28. Oktober 1995, http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_19951028_dubium-ordinatio-sac_ge.html; (2) Zur Antwort der Glaubenskongregation über die im Apostolischen Schreiben «Ordinatio sacerdotalis» vorgelegte Lehre, http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_19951028_commento-dubium-ordinatio-sac_ge.html; (3)Z u einigen Zweifeln über den definitiven Charakter der Lehre von Ordinatio sacerdotalis, 29. Mai 2018, Luis F. Ladaria, S.I., Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/ladaria-ferrer/documents/rc_con_cfaith_doc_20180529_caratteredefinitivo-ordinatiosacerdotalis_ge.html)

Keineswegs alles, was „de fide“, also im Glauben anzunehmen ist, ist formell dogmatisiert. Aber wenn manche Kreise so darauf beharren, erreichen sie vielleicht genau das…

Jedenfalls wäre das leichter als der umgekehrte Weg. Denn dieser würde nicht nur ein päpstliches Lehrschreiben (mit seinem kaum zu überbietenden Nachdruck in der Formulierung!) aufheben, sondern eine gesamtkirchliche Tradition aufgeben, die nicht nur schlicht Praxis war, sondern auch als Praxis der Reflexion unterzogen worden ist.

Kirche ist auf dem Willen Christi gebaut

In solch einem Fall müsste man sich m.E. schon die Frage stellen, ob eine Kirche, die 2000 Jahre lang die Hälfte der Gläubigen – und zwar die eifrigere Hälfte! – diskriminiert hätte, wirklich die Kirche Jesu Christi, geführt vom Heiligen Geist sein kann. Die Frage ist freilich nur relevant, sofern man daran festhält – und ich meine, das tun wir beide – dass die Kirche samt ihrer Grundstruktur auf den Willen Christi gebaut ist – andernfalls wäre es sowieso egal; niemand braucht dann so etwas wie ein sakramentales Amt.

Sie erklären dann freimütig, dass gewisse theologische Argumente Sie nicht überzeugen.
Dass im Laufe der Reflexion über das Weihesakrament und dessen Empfänger auch weniger kluge oder tragfähige Argumente ins Feld geführt wurden, bestreite ich nicht. Für gute Theologen (wie Thomas von Aquin) waren sie allerdings niemals der Hauptgrund.

Aber grundsätzlich: Welchen Grad an Überzeugungskraft können theologische Argumente, insofern sie auf der geschichtlichen Offenbarung Gottes aufruhen, erreichen? Wenn es wirklich Offenbarung gibt, wenn die ewige Wahrheit Gottes in Jesus Christus Mensch geworden ist, dann ist uns dies als Ereignis vorgegeben. Oder anders gesagt: Dass, und wie Gott in der Heilsgeschichte handelt, kann nicht mit „zwingenden Gründen“ demonstriert werden, weil dieses Handeln in der Freiheit Gottes wurzelt. Die theologischen Argumente können hier nur die innere Konvenienz, den Zusammenhang mit dem Ganzen der Offenbarung, aufzeigen. Immer wird ein Spielraum für die Zustimmung zum Argument offenbleiben. Das gilt auch für die hier zur Debatte stehende Frage.

Sie fragen, warum die Repräsentanz Christi als des Bräutigams der Kirche, d.h.: seines Handelns vor allem während der Eucharistiefeier, nicht auch von einer Frau übernommen werden könne, nachdem doch in den Kirchenbänken auch Männer säßen. Wörtlich sagten Sie, herausgefordert durch die provokante Frage Ihres Interviewpartners: „Warum soll die geschlechtliche Männlichkeit eine notwendige Bedingung sein, um den Mann Christus zu repräsentieren, wenn umgekehrt die Kirche die Braut des Bräutigams Christi (sic) sein soll? Dann dürfte die Kirche doch nur aus Frauen bestehen.“

Sakramentale Repräsentanz Christi hängt nicht einfach an der Natur

Ja, wenn das die kirchliche Argumentation wäre, fände ich sie auch nicht überzeugend! Zum einen hängt die sakramentale Repräsentanz Christi nicht einfach an der Natur, „dem Y-Chromosom“. Sonst könnte jeder Mann, qua Mann, Christus repräsentieren.

Und zum zweiten scheint mir ein Missverständnis des Repräsentationsbegriffs vorzuliegen, das wohl weit verbreitet ist.

In der „symbolischen“ Sprache des AT wie des NT ist das Volk Gottes als solches, aus Männern und Frauen, Gott gegenüber „weiblich“ (im Sinn von „empfangend“), ebenso bilden alle gemeinsam den „Leib“, keines der Glieder aber ist das Haupt. Mehr noch, jedes Geschöpf ist Gott gegenüber empfangend, jede Seele – wie die Mystiker beiderlei Geschlechts sagen – ist „Braut des Wortes Gottes“, das zuerst aufgenommen werden muss, damit man als sterblicher Mensch „Frucht bringt, die bleibt“.

Das gilt auch für diejenigen Glieder der Kirche, die zum Priesterdienst geweiht werden. Auch ein Priester ist und bleibt Gott gegenüber „empfangend“, bleibt Glied des Leibes Christi. Man kann auch mit Papst Franziskus sagen: Er darf die „marianische“ Dimension des Christ-Seins nicht vergessen, welche die erste und fundamentale Bestimmung der Kirche, das „Prae“ vor der „petrinischen“ Bestimmung ist. Deswegen kann auch nur ein Getaufter geweiht werden, und die Ordination kann die Taufe nicht ersetzen.

Dass ein Priester das „Gegenüber“ der Kirche, also Christus als Haupt und Bräutigam, „repräsentieren“ kann, ist nur möglich aufgrund des Sakramentes der Weihe. Das befähigt ihn, etwas zu „re-präsentieren“, was er nie werden kann. Die Personen in der Kirchenbank dagegen „repräsentieren“ die Kirche nicht – allenfalls in dem Sinn, wie in einem Teil das Ganze gegenwärtig sein kann –, sie sind es aufgrund ihrer Gliedschaft am Leibe Christi durch die Taufe (vgl. Can. 204 – § 1).

Frau ist kein signifikantes Zeichen für den Bräutigam der Kirche

Warum aber kann dieses Sakrament der Repräsentanz nicht einer Frau übertragen werden?
Zu einem Sakrament gehört die Einsetzung durch Christus, d.h. die Verknüpfung eines sichtbaren Gegenstands oder Vollzugs mit einer neuen Bedeutung und einer von Christus selbst verbürgten Wirkung. Er hätte es prinzipiell auch anders anordnen können, hätte auf die Sendung der Apostel ganz verzichten können, oder hätte alles (und nicht nur vieles) der späteren Entwicklung in der Glaubensgemeinschaft überlassen können. Wenn aber etwas ein „Zeichen“ sein soll, dann muss es auf den bezeichneten Gehalt bestmöglich hinweisen (Signifikanz). Öl oder Wein haben eine andere Signifikanz als Wasser. Bei „Hochzeitsmahl“ denken wir an etwas anderes als an eine Geburtstagsparty, und wenn sie noch so rauschend gefeiert würde. Dieser Aspekt ist nicht Spielerei mit Bildern, sondern relevant, weil die Sakramente per definitionem „wahrnehmbare Zeichen“ für eine unsichtbare Wirklichkeit sind.

Und da scheint mir sehr einleuchtend, dass eine Frau kein signifikantes Zeichen für den Bräutigam der Kirche ist. Wie umgekehrt ein Mann kein signifikantes Zeichen für die Braut Kirche ist. So erhalten Ordensfrauen oft einen Ring am Tag der Profess, bei Mönchen ist das unüblich – obwohl beide die bräutliche Liebe zu Christus leben, sind sie in unterschiedlicher Weise sichtbares Zeichen dafür.

„Die Wirklichkeit der Schöpfung und ihrer
Symbolik wird zur Mitteilung der Erlösung verwendet“

Die Plausibilität des Arguments beruht dabei nicht nur auf einem natürlichen Vorverständnis – ebenso wenig wie die Sakramente einfach die religiöse Variante natürlicher Riten sind –, sondern auf der Verbindung zwischen Schöpfungswirklichkeit und geschichtlicher Offenbarung Gottes; man könnte auch sagen: die Wirklichkeit der Schöpfung und ihrer Symbolik wird zur Mitteilung der Erlösung verwendet. Christus „interpretiert“ die Schöpfung, wenn er die Sakramente einsetzt. Die in der Hl. Schrift als dem Niederschlag der Selbstmitteilung Gottes verwendeten Symbole sind daher nicht einfach „Bilder“, die man beliebig ersetzen könnte. Sie sind vielmehr der Weg, wie das unergründliche, göttliche Geheimnis der Liebe Christi uns nahegebracht wird. Dass das Verhältnis zwischen Jahwe und seinem geliebten Volk als Ehebund umschrieben wird, dass die Evangelien Jesus als „Bräutigam“ bezeichnen, Paulus von der Braut Kirche (vgl. 2 Kor 11,2; Eph 5) spricht, die ihr Leben dem Bräutigam verdankt, oder dass die eschatologische Erfüllung, die Freude ohne Ende, deren sakramentales Vorausbild die Eucharistiefeier ist, einem Hochzeitsmahl gleicht (z.B. Apok 22), ist nicht beliebige Bildsprache, sondern bringt zum Ausdruck, dass die Menschheit, ja der einzelne Mensch von Gottes Liebe umworben wird. Nicht umgekehrt.

Dass diese Argumentation nicht wenigen Leuten fremdartig erscheint, weil die Denkvoraussetzungen sich gewandelt haben, sagt noch nichts über den Wahrheitsgehalt. Es könnten auch die Denkvoraussetzungen einer Überprüfung und meta-noia bedürfen. Der Glaubensinhalt ist ja nicht einfach das, was einem schon immer naheliegt. Karl Rahner schrieb einmal in einem „offenen Brief“ (im Zusammenhang mit der priesterlichen Lebensform): „Das Christentum ist immer noch eine höchst unmoderne Sache; auch in dem, worüber ich nun so lange zu schreiben versuchte. Gott sei Dank, dass es so ist.“

Ich grüße Sie in Christus,
Marianne Schlosser

 

Die Hintergründe zu diesem Thema finden Sie in der Wochenausgabe der Tagespost. hier.

_______

Quelle

«Wir vertreten nur das, was die Kirche immer schon geglaubt hat»

Ein Interview mit Johanna Stöhr, Initiatorin von „Maria 1.0“.
Von Rudolf Gehrig

Die Privatinitiative „Maria 2.0“ hat am vergangenen Sonntag in einigen Diözesen zum „Kirchenstreik“ aufgerufen. Frauen sollen dabei der Kirche und dem kirchlichen Dienst eine Woche lang fernbleiben, um der Forderung nach „Gleichberechtigung“ Ausdruck zu verleihen, die laut den Initiatoren unter anderem eine Änderung der Kirchenlehre in Bezug auf die Priesterweihe für Frauen vorsieht. Während sich vereinzelt sogar Kirchenmitarbeiter wie der Generalvikar des Bistums Essen mit den Streikenden solidarisierten, sorgte die Aktion bei vielen deutschen Katholiken für Empörung. Eine von ihnen, Johanna Stöhr aus Schongau, hat deshalb Frauen hinter sich versammelt, die an der bisherigen Lehre der Kirche festhalten wollen.

***

Johanna Stöhr, Initiatorin von "Maria 1.0"

Johanna Stöhr, Initiatorin von „Maria 1.0“, im „Tagspost“-Interview. Foto: privat

Frau Stöhr, während diese Woche die Aktion „Maria 2.0“ zumindest in den Medien für Aufruhr gesorgt hat, haben Sie die Seite Maria 1.0 ins Leben gerufen. Ihr Motto lautet: „Maria braucht kein Update“. Warum ist das so?

Maria ist makellos, in allen Tugenden vollkommen und ohne Sünde. Sie ist einfach perfekt und auch das größte und schönste Vorbild in der Nachfolge Jesu für alle Gläubigen, insbesondere natürlich für uns Frauen. Das Perfekte braucht kein Update!

Die Initiatoren von „Maria 2.0“ fordern unter anderem die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe. Sie dagegen berufen sich auf Johannes Paul II. und Papst Franziskus, die beide betonen: Der Ausschluss von Frauen bei den Weiheämtern ist definitiv. Ist das nicht zu hart?

Nein! Das Problem ist eher unsere Einstellung dazu. Es fällt uns Menschen bei vielen endgültigen Dingen, die uns nicht gefallen, schwer zu akzeptieren, dass wir es nicht ändern können. Viele Psychologen werden bestätigen, dass Akzeptanz meist der Schlüssel zur Heilung und zum inneren Frieden ist. Die päpstlichen Schreiben machen ausdrücklich deutlich, dass es sich dabei um eine Glaubenswahrheit handelt. Was ist Wahrheit? Als Mathe-Lehrerin sage ich nur: Wenn ich 100 € habe und 100 € ausgebe, dann habe ich nichts mehr. Gefällt mir nicht, bleibt aber wahr.

Können Sie verstehen, dass sich Frauen in der Katholischen Kirche nicht gleichberechtigt fühlen?

Wir können das durchaus verstehen, wenn man weltliche Maßstäbe der Arbeitswelt anlegt. Nun ist aber die Kirche kein Unternehmen, sondern der lebendige Leib Christi. In diesem Leib hat jeder Mann und jede Frau eine von Gott zugewiesene Berufung, wie es Paulus mit dem einen Leib und den vielen Gliedern ausdrückt. Alle sind gleich wichtig, auch wenn das Auge nicht die Aufgabe des Fußes übernehmen kann. Und wenn man sich in diese göttliche Ordnung einfügt, wird man wahrhaftig glücklich. Deshalb sehen wir es nicht als Nachteil, wenn wir keine Priesterinnen werden können. Das Priestertum ist auch eine Bürde, die uns Gott erspart hat. Es ist ein Privileg, eine Frau zu sein. Das kann man dankbar annehmen. Wir wollen Jesus zu Füßen liegen wie Maria, die den guten Teil gewählt hat, wie Jesus in Lk 10, 42 spricht.

Beide Seiten, sowohl die Initiatoren von „Maria 2.0“, wie auch Ihre Aktion, beziehen sich auf die Muttergottes. Welche Rolle spielt Maria in Ihrem Leben als Katholikin?

Eine ganz zentrale Rolle! Wie der heilige Ludwig Maria Grignion und der heilige Maximilian Kolbe uns lehren, ist Maria der einfachste, sicherste und schnellste Weg zu Christus. Eine Seele, die sich ganz ihren mütterlichen Händen anvertraut, kann letztlich nicht verlorengehen. Sie ist das Urbild aller Tugenden und unser aller Mutter.

Um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen, hat „Maria 2.0“ zum „Kirchenstreik“ aufgerufen. Viele Katholiken in Deutschland empfinden das als ein großes Ärgernis und beklagen sich darüber, dass sich die Kirchenleitung nicht ausdrücklich von den Aufrufen, die Sonntagspflicht zu vernachlässigen, distanziert. Haben Sie das Gefühl als praktizierende Katholikin von den Bischöfen alleine gelassen zu werden?

Man kann schon dieses Gefühl bekommen, ja. Wir empfinden es so, dass man in der Deutschen Bischofskonferenz anscheinend eher darauf schaut, womit man bei den Medien und bei der zivilen Gesellschaft gut ankommt. Dabei benötigen wir so dringend Rückendeckung durch unsere Hirten. Wir vertreten ja nur das, was die Kirche immer schon geglaubt und praktiziert hat. Das ist freilich unspektakulär und eher kein Medienreißer. Wir fragen uns aber schon, welchen persönlichen Glauben und welche Liebe zu Jesus sie haben, wenn sie ein Fernbleiben von der Heiligen Messe unterstützen können, in der sich Jesus uns schenken will.

Gerade die Missbrauchskrise hat die Kirche in einen hohen Glaubwürdigkeitsverlust gestürzt. Auch die aktuellen Diskussionen zeigen, dass die Katholiken in Deutschland teilweise gespalten sind. Fürchten Sie um die Einheit der Kirche?

Definitiv. Wir beobachten die sich immer mehr ausbreitenden spalterischen Tendenzen mit großer Sorge. Für uns ist die Missbrauchskrise ein Spiegel der Gesellschaft, denn die Kirche besteht aus Menschen. Man sucht das Problem lieber in kirchlichen Strukturen als im Zustand der Gesellschaft.

Wie können Ihrer Meinung nach Frauen die Kirche wieder aus der Krise holen?

Jedenfalls nicht, indem wir uns dem Geschmack der Gesellschaft angleichen. Denn dann verliert unser Salz den eigenen Geschmack und wird schal. In unseren Augen liegt die Lösung des Problems woanders: Die Krise der Kirche ist in erster Linie eine Glaubenskrise, und sie ist hausgemacht. Um diese zu überwinden, vertrauen wir grundsätzlich auf die übernatürlichen Mittel, besonders das Gebet. Der Rosenkranz hat große Kraft: Die Gottesmutter hat bei ihren Erscheinungen immer wieder zum Rosenkranzgebet aufgerufen und ihre Fürsprache zugesichert. Auch die Eucharistische Anbetung muss neu belebt werden. Jede Frau kann bei sich beginnen, indem sie versucht, der Unbefleckten Jungfrau gleichförmig zu werden. Das bedeutet konkret: Gebet und regelmäßiger, würdiger Empfang der Sakramente, der Beichte und der Kommunion. Darüber hinaus ist das persönliche Zeugnis ganz wichtig. Das kann zum Beispiel das Tischgebet vor dem Essen im Restaurant sein. Sofern wir Ehefrauen und Mütter sind, versuchen wir diese Rolle gut auszufüllen, indem wir in Liebe unermüdlich für unsere Familie da sind. Die gottgeweihten Frauen verwirklichen diesen Auftrag, indem sie die geistliche Mutterschaft leben. Anstatt selbst nach dem Priesteramt zu greifen, wollen wir die Priester ganz bewusst in ihrem Dienst bestärken. Wir brauchen mehr heilige Priester! Deshalb beten wir treu für sie und helfen ihnen, wo immer wir können. Das alles sind Wege, wie wir Frauen beharrlich zum Wohl der Kirche tätig sein können – und darin besteht die beste Krisenbewältigung.

Frau Stöhr, vielen Dank für das Gespräch!

***

DT (jobo)

Die Hintergründe zu diesem Thema finden Sie in der Wochenausgabe der Tagespost. Kostenlos erhalten Sie die Zeitung hier.

_______

Quelle

Kardinal Müller weist offenen Brief mit Reformforderungen zurück

Kardinal Gerhard Ludwig Müller am 10.07.2017 in seinem Büro in Rom (Italien).

In einem Beitrag für die „Tagespost“ bezeichnet Kardinal Müller die Autoren des Briefes als „klerikal-männerbündische Gruppe“.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller sieht in dem jüngsten offenen Brief prominenter deutscher Katholiken mit umstrittenen Forderungen zu Reformen in der Kirche einen „Anschlag auf die Einheit“. In einem Beitrag für die „Tagespost“ bezeichnet er die Autoren des Briefes als „klerikal-männerbündische Gruppe“.

Scharfe Kritik an Ansgar Wucherpfennig und Klaus Mertes

Die Jesuitenpatres Ansgar Wucherpfennig und Klaus Mertes sowie der Frankfurter Stadtdekan Johannes von Eltz wollten damit den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, als „Vorkämpfer und Durchboxer“ ihrer „Lieblings-Agenda“ beim „Missbrauchsgipfel“ engagieren.

Kardinal Müller: Offener Brief ohne nachprüfbare und einsichtige Behauptungen

Den Unterzeichnern warf Müller vor, weder empirisch nachprüfbare noch logisch einsichtige Behauptungen aufzustellen. Seiner Ansicht nach kann die im September veröffentlichte Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland nicht dafür verwendet werden, etwa die Aufhebung des Zölibats, das Frauenpriestertum oder die Entsakramentalisierung des apostolischen Amtes sowie seine Umwandlung in ein religiös-soziales Berufsbeamtentum zu fordern.

Erneuerung des Denkens nach dem Willen Gottes

Das größte Versagen in Deutschland bestehe momentan darin, sich einreden zu lassen, die Lehre der Apostel und der Kirche sei veraltet und man könne die Kirche retten, wenn man sie „dieser Welt“ anpasse, so der Kardinal. Stattdessen gelte es aber, sich durch eine Erneuerung des Denkens zu prüfen, um zu erkennen, was der Wille Gottes sei.

KNA / DT (jobo)

Die Hintergründe zu diesem Thema finden Sie in der Wochenausgabe der Tagespost. Kostenlos erhalten Sie die Zeitung hier.


 

Lesen Sie hierzu auch:

WAS BEDEUTET „REFORM IN DER KIRCHE?“

Die Tagespost: „Ernsthafte: Gefahr“

Bei einer Tagung in Rom herrschte geladene Atmosphäre.

Von Guido Horst

Ist die katholische Kirche an dem Punkt, dass sie ihren obersten Repräsentanten auf Erden, den Nachfolger Petri, öffentlich korrigieren muss? Wenige Tage, bevor Franziskus sein fünftes großes Lehrschreiben – diesmal über den Ruf zur Heiligkeit – veröffentlicht hat, fand in Rom eine Tagung statt, deren Redner und etwa vierhundert Teilnehmer diese Frage wohl eindeutig mit Ja beantworten würden. Auf der einen Seite ein Papst, der zu den hehrsten Idealen des christlichen Lebens aufruft – und auf der anderen Seite ein lautstarker Teil des gläubigen Gottesvolks, der demselben Papst vorhält, seine Autorität missbraucht zu haben. Es geht um „Amoris laetitia“.

Aber nicht nur. Die völlige Neuausrichtung des Institutes Johannes Paul II. für Ehe und Familie sowie der vatikanischen Akademie für das Leben gehören ebenso zu den Steinen des Anstoßes wie die Irritationen, die Franziskus etwa mit seinen Scalfari-Interviews, mit der derzeitigen China-Politik des Vatikans oder zweideutigen Äußerungen auslöst. Seine sehr unpräzise Antwort auf die Frage nach der Kommunionzulassung eines nicht-katholischen, aber getauften Ehepartners beim Besuch einer lutherischen Gemeinde Roms im November 2015 („Sprecht mit dem Herrn und geht voran. Ich wage nicht mehr zu sagen“) hat jetzt angesichts des Streits in der Deutschen Bischofskonferenz über diese Frage wieder hohe Aktualität erhalten.

Die Frage, wie groß nun dieser „lautstarke Teil“ des gegen Franziskus protestierenden Gottesvolks ist, lässt sich in Zeiten des Internets nicht leicht beantworten. Zu der Veranstaltung im römischen Tagungszentrum „The Church Village“ am vergangenen Samstagnachmittag eingeladen hatte ein Kreis der Freunde des verstorbenen Kardinals Carlo Caffarra, die in Italien sehr wahrgenommenen (papstkritischen) Blogger Sandro Magister und Marco Tosatti bewarben das Treffen auf ihren Seiten. Ein Echo auf deren Aussendungen kommt dann meist verstärkt aus den Vereinigten Staaten, aber auch aus Frankreich, Spanien und Deutschland zurück – und schon hat das katholische Rom ein „Thema“.

Viele der Tagungsteilnehmer kamen aus der italienischen Lebensschutzbewegung, unter den Referenten waren die Kardinäle Walter Brandmüller und Raymond Leo Burke. Sonstige Bischöfe oder gar Kardinäle aus dem Vatikan waren natürlich nicht zu sehen. Den Auftakt des Treffens bildete die Videoaufzeichnung eines Interviews mit Kardinal Caffarra über die bleibende Bedeutung von „Humanae vitae“. Aber auch der vierte Kardinal des „dubia“-Briefs an den Papst, Kardinal Joachim Meisner, war in gewisser Weise präsent, weil Burke sich zu Beginn seiner Vortrags auf den Kölner Mitbruder bezog und erzählte, wie ihm Meisner nach dem einleitenden Vortrag von Kardinal Walter Kasper beim Konsistorium im Februar 2014 zu Beginn des synodalen Prozesses zu Ehe und Familie gesagt habe: „Alles das führt ins Schisma“.

Eine Tagung also im Geist der vier „dubia“-Kardinäle – aber inzwischen hat sich die Stimmung deutlich verschärft. Kardinal Burke legte in seinem Vortrag über die Korrektur eines Papstes, der seine Vollmacht missbraucht habe, dar, dass man diesem keinen Prozess machen könne, aber die Situation entsprechend des Naturrechts, des Evangeliums und der kanonischen Tradition in zwei Schritten bereinigen müsse. Als er vom ersten Schritt, der an den römischen Papst direkt gerichteten Aufforderung, den Fehler zu korrigieren, zum zweiten Schritt, der öffentlichen Verurteilung der päpstlichen Häresie, überleitete, explodierte in dem fensterlosen Kellersaal der mit den Händen zu greifende Unmut: eine Gruppe von Frauen – meist jung, einige mit Rosenkränzen in den Händen, keine Nonnen, aber dank züchtiger schwarz-weißer Kleidung einer geistlichen Gemeinschaft zuordenbar – fing an zu schreien: „Macht es“, „Wir kommen in die Hölle“, „Wir stehen hinter euch“, „Er ist häretisch“. Nach einer Pause fuhr Burke fort und zitierte schließlich den heiligen Paulus: Und wenn wir selbst oder ein Engel vom Himmel etwas anderes als das verkünden würden, was euch verkündet worden ist, „anathema sit“. Tobender Applaus.

Bereits vorher hatte Kardinal Brandmüller einen Vortrag über den Glaubenssinn des gläubigen Gottesvolks gehalten – einen Text, den diese Zeitung in ihrer letzten Ausgabe im Wortlaut veröffentlicht hat. Die Botschaft war eindeutig: Wenn ein Irrtum in der Kirche grassiert – früher der Arianismus, heute die Konsequenzen von „Amoris laetitia“ –, der Papst aber nicht antwortet – wie auf die „dubia“ –, ist das gläubige Volk gefordert. Und zwar das gläubige Volk, das das Neue Testament „Heilige“ nennt, nicht aber Verbände oder Gremien, die Umfragen beantworten.

Die Tagung, die sich als Motto den Satz „Nur ein Blinder kann leugnen, dass es in der Kirche eine große Verwirrung gibt“ aus den letzten Lebensmonaten Kardinal Caffarras gewählt hatte unter dem Titel „Kirche, wohin gehst Du?“ stand, endete mit einer Erklärung, die im Wesentlichen die Argumentation der fünf „dubia“ wiedergab. Angesichts einander widersprechender Auslegungen von „Amoris laetitia“ breite sich unter den Gläubigen weltweit wachsende Ratlosigkeit und Verwirrung aus.

„Die dringende Bitte von nahezu einer Million von Gläubigen, von mehr als 250 Gelehrten, ja von Kardinälen um eine klärende Antwort des Heiligen Vaters auf diese Fragen ist bis heute nicht erhört worden.“ Und in dieser so entstandenen „ernsten Gefahr“ für den Glauben und die Einheit der Kirche „wissen wir, getaufte und gefirmte Glieder des Volkes Gottes, uns zum Bekenntnis unseres katholischen Glaubens aufgerufen“. In sechs Punkten werden nochmals die Argumente der Kritiker von „Amoris laetitia“ und des „dubia“-Briefs zusammengefasst, um mit dem Satz zu schließen: „In dieser Zuversicht bekennen wir unseren Glauben vor dem Obersten Hirten und Lehrer der Kirche samt den Bischöfen und bitten sie, uns im Glauben zu stärken.“

_______

Quelle

Mein Tagesposting: Weihnachtsleiche am „Tussibaum“?

Prälat Wilhelm Imkamp

Sicherlich halten es viele für makaber oder geschmacklos, eine Leiche ausgerechnet an der Weihnachtskrippe abzulegen. Aber – wir können und wollen es nicht leugnen: da gehört eine Leiche ja auch eigentlich hin. Haben wir doch am zweiten Weihnachtstag den Festtag des ersten Märtyrers der Kirche, den des hl. Stephanus gefeiert. Sein Fest ist sogar älter als das Weihnachtsfest! Seine Leiche verdirbt uns das Fest also nicht, sondern – im Gegenteil – erklärt es uns in seiner ganzen Bedeutungsschwere.

Der hl. Stephanus ist ja nicht umgebracht worden, weil er als erster Caritasdirektor milde Gaben verteilt hätte, er ist umgebracht worden, weil er an die Menschwerdung Gottes geglaubt hat und diesen Glauben nicht versteckte, sondern offen bekannte. Sein gewaltsamer Tod ist tatsächlich ein Kollateralschaden des frühen interreligiösen Dialogs, der damals noch als Mission verstanden wurde. „Missionarisch Kirche sein“ ist zwar „in“, erschöpft sich heute aber zumeist in interreligiösen Dialogforen und binnenkirchlicher Hektik. Die Inkarnation, die Fleischwerdung Gottes, wird dabei häufig sorgfältig beschwiegen; ist sie doch für viele Dialogpartner schlechthin Gotteslästerung.

Aber Weihnachten ist eben nicht das Gründungsfest einer Sozialstation oder einer nachhaltigen, nikotinfreien, birkenstocksandalierten Multi-Kulti-Fete. Wir feiern ja gerade nicht den Geburtstag von Buddhas Sohn im Stall von Mekka. Manche empörte Kritik am Konsumverhalten ist genauso spießig wie das kritisierte Konsumverhalten. Sozialromantik und Klimahysterie, die so gerne im Mittelpunkt gepflegter Dialogprozesse stehen, können sich wie ein Plumeau auf die Krippe legen und die größte Botschaft der Welt, ja der Geschichte des Universums ersticken – und zwar nachhaltig.

In der Krippe geht es schließlich umweltfreundlich zu, Heizenergie wird nicht gebraucht und auf der Flucht ist die hl. Familie ebenfalls. In diesem Sinn ist der aufgeklärte und mündige Christ sozusagen „weihnachtsmäßig voll drauf“ (Bildzeitung). Der Weihnachtsbaum ist keine Jahresendzeitdekoration, kein „Tussibaum“, er soll wirklich ein Christbaum sein und als „Paradiesbaum“ an das Urversagen der Menschheit erinnern und auf die Erlösung am Holz des Kreuzes hinweisen. Die Botschaft von Weihnachten ist eine Botschaft der Erlösung. Und zwar der Erlösung von der Erbsünde und der daraus sich ergebenden Öffnung des himmlischen Reiches.

Die Erlösung, die mit dem „Ja“ Mariens beginnt, tritt Weihnachten in die sichtbare Realität der Weltgeschichte ein. Schöpfung und Menschwerdung sind die Grundpfeiler jeglicher Menschenrechte. Wo dieser Glaube fehlt, triumphieren Abtreibung, Euthanasie und Genderwahnsinn. Die Leiche des hl. Stephanus an der Krippe mahnt uns zum Bekenntnis. Wir wollen, sollen und können nicht „weihnachtsmäßig voll drauf sein“. Die von Herodes getöteten Kinder, der hl. Stephanus, der Hl. Thomas Becket – an dessen Martyrium die Kirche in dieser Woche auch erinnert – waren es jedenfalls nicht.

_______

Quelle

„Die Tagespost“: Leitartikel: Gleichmacherei diskriminiert

Von Martin Lohmann

Vorsicht! Hier kommt Meinung, frei geäußerte Meinung noch dazu. Also etwas, was das Grundgesetzt garantiert. Noch. In den folgenden Zeilen finden sich sogar Überzeugungen und Argumente. Doch so etwas ist heute gefährlich, macht verdächtig, wenn man nicht dem diktierten Mainstream folgt. Heiko Maas, der Hatespeech-Entdecker, kann Meinungsvielfalt gar nicht gut ab. Jedenfalls, wenn es um Themen geht, die ihm erkennbar wichtig sind. Die sogenannte Homo-Ehe zum Beispiel. Da duldet der Justizminister keinen Widerspruch. Eher packt man dann die Keule der Homophobie aus und schlägt wahllos um sich. Ja, der Relativismus kennt nur so lange Vielfalt, bis man seiner Sichtweise zu widerstehen versteht. So ist das mit Diktaturen. Die des Relativismus ist da besonders herz- und gnadenlos. Vielfalt? Bloß nicht, wenn ich widerlegt werden könnte. Da wird rasch verboten und unter Strafe gestellt, was stört: Meinungen, Überzeugungen, Argumente, Toleranz, Respekt.

Wehe dem, der weiß, was Ehe ist! Wehe dem, der von Ergänzung durch Mann und Frau ausgeht! Wehe dem, der belegt, dass Kinder Vater und Mutter brauchen! Wer Äußerungen prominenter Wahlkämpfer verfolgt, kann es kaum überhören: Die Homo-„Ehe“ wird zu einem wichtigen Vorhaben nach der Bundestagswahl. Heiko Maas betont, hier werde die SPD nicht zurückweichen. Die Grünen legen „mutig“ Bekenntnisse ab, die FDP will sie, selbst in der Union wackelt man mainstreamkonformistisch mit. Merkels Generalsekretär schwamm sichtbar, als er in einer Talkrunde nach der Homo-„Ehe“ gefragt wurde – und sagte unter Verweis darauf, dass er eine private Meinung habe, „mutig“: In dieser Legislaturperiode nicht mehr. Nur ja nicht abweichen. Nur ja nicht auffallen.

Bekenntnisse zur Familie, also zur normalen Familie mit Kindern, was nach wie vor die Mehrheit ist, in Deutschland mit ähnlichem Mut sucht man vergebens. Feigheit? Angst? Unkenntnis? Modern-Sein-Sucht? Geht es um das, was Ehe ist? Oder geht es um dieselben rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten? Selbst im Standesamt geht es um bleibende Treue, ein unbedingtes Ja zur Verantwortung – und mehr als nur um Sexualität. Zum Wissen über die Ehe und deren über das Private hinausgehende Bedeutung gehört nun mal der Hinweis, dass sie etwas mit der Weitergabe des Lebens zu tun hat, haben kann. Und da hat sich die Natur die Begegnung von Mann und Frau ausgedacht. Jeder Mensch ist entstanden aus einer weiblichen Eizelle und einer männlichen Samenzelle. Ist man ein Hassprediger, wenn man auf Verschiedenheiten hinweist? Warum werden in einer Demokratie Argumente bewusst missbraucht als Ausdruck von Phobie? Niemand muss vor Homosexuellen Angst haben, so wie ja auch diese keine Angst vor Heterosexuellen haben müssen. Ein Homo ist ebenso wenig heterophob wie ein Hetero homophob. Wenn aber von Politikern das Bekenntnis zur Homo-„Ehe“ zum absolutistischen Muss erhoben wird, stellt sich die Frage nach deren Phobie – und nach der Freiheit des Geistes, die eine Gesellschaft immer braucht, weil niemand diskriminiert werden darf. Auch Gleichmacherei kann diskriminieren. Eine Familie ist eine Familie, und eine Ehe eine Ehe. Daneben gibt es andere Formen des Zusammenlebens, die aber nicht dasselbe sind. Logisch.

_______

Quelle

Zu Benedikts 90. Geburtstag: Ein Strauß guter Worte aus seinem eigenen Munde

Papa Benedetto XVI in piazza Duomo a Milano.

Von Paul Badde / Die Tagespost

„Kirchenlehrer“ nennt Erzbischof Gänswein seinen verehrten Dienstherrn im neuen Buch „Über den Wolken„. Fest steht: Benedikt XVI. ist ein homme des lettres, mehr noch, ein Mann nicht nur der Buchstaben, sondern des Fleisch gewordenen Wortes, des Logos Gottes.

Zu seinem biblischen 90. Geburtstag hat Paul Badde dem Jubilar aus den Protokollen seiner spontanen Auskünfte an Journalisten diesen kleinen Strauß höchst frischer eigener Zitate gebunden.

Von einer großen Liebe und Erkenntnis getragen zu sein, ist kein schweres Gepäck, sondern es sind Flügel und es ist schön, ein Christ zu sein. 

Es gibt einen Kirchenvater, der einmal das Sonderbare sah, dass die Kirche im Lauf der Jahre nicht älter, sondern immer jünger wird, weil sie immer mehr dem Herrn entgegengeht, das heißt immer mehr der Quelle entgegen, von der Jungsein,  Neuheit, Erfrischung, die frische Kraft des Lebens kommt.

Wenn ich an meine Jugend denke, dann war dies eine völlig von der heutigen verschiedene Welt. Manchmal denke ich, ich lebe auf einem anderen Planeten, wenn ich die Welt heute mit der vergleiche, die bestand, als ich ein Bub war.

Dass wir in diesem Kontinent leben, der das Weltgeschick bestimmt hat – im Guten und im Bösen – gibt uns den bleibenden Auftrag, wieder das Wahre, das Reine und das Große und Zukunft Gebende zu entdecken und damit weiterhin und auf eine neue und wohl bessere Weise im Dienst der ganzen Menschheit zu stehen.

Wir müssen nicht irgendeinen Gott wiederentdecken, sondern den Gott mit einem menschlichen Antlitz.  Wenn wir Jesus Christus sehen, sehen wir Gott.

Wenn ich Karol Wojtyla  beten gesehen habe, dann habe ich gesehen – und nicht nur verstanden –, dass er ein Mann Gottes war.  Er war grundsätzlich ein Mann, der nicht nur mit Gott, sondern auch in Gott lebte.

Dass es zahlreiche Punkte gibt, wozu der christliche Glaube Nein sagen muss, ist wahr.

Es ist nicht eine katholische Erfindung ist, dass Mann und Frau füreinander geschaffen sind, damit die Menschheit weiterlebt – das wissen eigentlich alle Kulturen.

Was die Abtreibung angeht, gehört sie nicht ins sechste, sondern ins fünfte Gebot: „Du sollst nicht töten!“

Entstanden ist das Christentum im vorderen Orient. Und lange Zeit hat es dort auch seinen Schwerpunkt gehabt und sich viel weiter nach Asien ausgedehnt, als uns heute nach der Veränderung durch den Islam bewusst ist. Allerdings hat es dann eben dadurch seine Achse erheblich nach dem Westen und nach Europa verschoben. Europa hat dann das Christentum in seiner großen, auch intellektuellen und kulturellen Gestalt weiter ausgebildet. Aber es ist wichtig, an die Christen im Orient zu erinnern, denn im Moment besteht die große Gefahr, dass gerade diese Ursprungsorte des Christentums leer werden von Christen. Dazu treten heute die anderen Kontinente mit gleichem Gewicht in das Konzert der Weltgeschichte ein. Insofern wird die Kirche vielstimmiger und das ist auch gut so, dass die eigenen Temperamente, die eigenen Begabungen Afrikas, Asiens und Amerikas, besonders auch Lateinamerikas, erscheinen können.

Es gibt diesen großen Kampf der Kirche für das Leben. Papst Johannes Paul II. hat ihn zu einem grundlegenden Punkt seines ganzen Pontifikats gemacht. Wir setzen  diese Botschaft fort, dass das Leben ein Geschenk und keine Bedrohung ist.

Das Leben ist schön, es ist nichts Zweifelhaftes, sondern ein Geschenk und das Leben bleibt auch unter schwierigen Bedingungen immer ein Geschenk.

Ich bin überzeugt, dass sich in Brasilien zumindest zum Teil – und zwar zum grundlegenden Teil – die Zukunft der katholischen Kirche entscheidet. Das war für mich immer klar.

In allen Teilen der Welt gibt es überaus viele, die nicht auf das hören wollen, was die Kirche sagt. Wir hoffen, dass es wenigstens an ihr Ohr gelangt; dann können sie auch anderer Meinung sein; aber es ist wichtig, dass sie es zumindest vernehmen, damit sie antworten können. Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch unserem Herrn nicht gelungen ist, dass ihm alle zugehört haben.

Es ist wichtiger, gute Priester zu haben als viele Priester.

Ich würde nicht wirklich von einem Verfall der Religion in Europa sprechen. Sicher befindet sie sich hier in einer Krise, ebenso wie in Amerika und Australien. Doch jetzt, in diesem historischen Augenblick, beginnen wir zu verstehen, dass wir Gott brauchen. Wir können viele Dinge tun, aber wir können unser Klima nicht erschaffen. Wir denken nur, wir könnten es tun, aber wir können es nicht. Wir benötigen das Geschenk der Erde, das Geschenk des Wassers, wir bedürfen des Schöpfers. Der Schöpfer erscheint in seiner Schöpfung wieder und deshalb können wir ohne ihn nicht wirklich glücklich sein, ohne ihn können wir nicht wirklich Gerechtigkeit für die ganze Welt suchen, wir können nicht ohne ein Kriterium leben, an dem wir unsere Ideen messen. Und auch nicht ohne einen Gott leben, der gerecht ist und der uns Licht und Leben schenkt.

Es wird sich zeigen, dass wir immer wieder eine Rückkehr zum Glauben erleben werden, weil der christliche Glaube einfach wahr ist und weil die Wahrheit immer in der Welt des Menschen gegenwärtig sein wird, denn Gott wird immer Wahrheit sein und bleiben. In diesem Sinne bin ich entschieden optimistisch.

Es gibt Dinge, die einfach immer schlecht sind, und Pädophilie ist immer ein Übel.

Jeden Tag haben die Konzilsväter die heilige Messe nach dem alten Ritus gefeiert. Sie waren aber gleichzeitig der Auffassung, dass eine natürliche Entwicklung der Liturgie in diesem Jahrhundert nach erneuerten Kriterien notwendig ist. Die Liturgie ist eine lebendige Realität und bewahrt ihre Identität auch dann, wenn sie sich weiterentwickelt.

Der Festtag der heiligen Bernadette ist auch mein Geburtstag. Dies genügt schon als Beweggrund, dass ich mich der kleinen Heiligen, diesem jungen, reinen, demütigen, kleinen Mädchen, mit der die Muttergottes gesprochen hat, sehr eng verbunden fühle.

Der Auftrag des Herrn an den Nachfolger Petri lautet, die „Brüder im Glauben zu stärken“: das zu tun versuche ich.

Die Kirche ist katholisch, das heißt universal, offen für alle Kulturen, für alle Kontinente; sie ist in allen politischen Systemen präsent und so ist die Solidarität ein inneres Prinzip, das grundlegend ist für den Katholizismus.

Natürlich ist die Erbsünde auch in der Kirche da.

Das Problem des Atheismus stellt sich in Afrika fast gar nicht, weil die Wirklichkeit Gottes in den Herzen der Afrikaner so präsent, so real ist, dass nicht an Gott zu glauben, ohne Gott zu leben, nicht als Versuchung auftritt.

Ich denke, dass die wirksamste, am meisten präsente Realität im Kampf gegen Aids gerade die katholische Kirche mit ihren Bewegungen und verschiedenen Strukturen ist.

Als Gläubige sind wir überzeugt, dass das Gebet eine echte Kraft ist: Es öffnet die Welt für Gott. Wir sind überzeugt, dass Gott uns hört und dass er in der Geschichte handeln kann. Ich denke, wenn Millionen Gläubige beten, ist es wirklich eine Kraft, die Einfluss hat und dazu beitragen kann, dass es im Frieden Fortschritte gibt.

Die Pilgerfahrt ist ein wesentliches Element vieler Religionen, auch des Islams, der jüdischen Religion und des Christentums. Sie ist auch ein Bild für unser Leben, das ein Vorwärtsgehen ist, auf Gott hin und so auch auf die Gemeinschaft der Menschheit zu.

Ich würde gemeinsame Tage des Gebets für den Frieden im Nahen Osten vorschlagen, für die Christen und die Muslime gemeinsam, um Möglichkeiten des Dialogs und von Lösungen vorzugeben.

Aus dem Schiffbruch des Paulus ist für Malta das Glück hervorgegangen, den Glauben zu haben; so dürfen auch wir denken, dass die Schiffbrüche des Lebens Gottes Projekt für uns Wirklichkeit werden lassen können und auch nützlich sein können für neue Anfänge in unserem Leben.

Unter dem Neuen, das wir heute in der Botschaft von Fatima entdecken können, ist auch die Tatsache, dass die Angriffe gegen den Papst und die Kirche nicht nur von außen kommen, sondern die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert. Auch das war immer bekannt, aber heute sehen wir es auf wahrhaft erschreckende Weise: Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche.

Ich würde sagen, dass eine Kirche, die vor allem versucht, attraktiv zu sein, schon auf dem falschen Weg ist. Denn die Kirche arbeitet nicht für sich, sie arbeitet nicht dafür, ihre Mitgliedszahlen und damit die eigene Macht zu vergrößern. Die Kirche steht im Dienst eines Anderen, sie dient nicht sich selbst, um stark zu sein, sondern sie dient dazu, die Verkündigung Jesu Christi zugänglich zu machen, die großen Wahrheiten, die großen Kräfte der Liebe, der Versöhnung, die in dieser Gestalt sichtbar geworden sind und die immer von der Gegenwart Jesu ausgehen. In dieser Hinsicht sucht die Kirche nicht die eigene Attraktivität, sondern sie muss für Jesus Christus transparent sein.

Die Pilgerfahrt vereint: Gemeinsam gehen wir auf das Andere zu und so finden wir uns gegenseitig. Die Jakobswege sind ein Element für die Bildung der geistigen Einheit des europäischen Kontinents gewesen.

Der christliche Glaube findet seine Identität nur in der Öffnung zur Vernunft und die Vernunft wird nur sie selbst, wenn sie sich auf den Glauben hin übersteigt. Aber genauso wichtig ist die Beziehung zwischen Glauben und Kunst, weil die Wahrheit, das Ziel der Vernunft, sich in der Schönheit ausdrückt und in der Schönheit sie selbst wird und als Wahrheit erweist. Die Beziehung zwischen Wahrheit und Schönheit ist unauflöslich.

Die Weltjugendtage sind Lichtkaskaden; sie verleihen dem Glauben Sichtbarkeit, sie verschaffen der Gegenwart Gottes in der Welt Sichtbarkeit und verleihen den Mut dazu, Gläubige zu sein.

Man kann alle möglichen Verhaltensweisen, Verfügungen und Aktivitäten einem anderen mit Gewalt aufzwingen, aber nicht die Wahrheit! Die Wahrheit öffnet sich nur gegen die Freiheit hin, in freier Übereinstimmung, und deshalb sind Wahrheit und Freiheit sehr eng miteinander verbunden, die eine ist die Bedingung für die andere.

Die Suche nach der Wahrheit und nach der Würde des Menschen ist die größte Verteidigung der Freiheit.

Die Saat Gottes geht immer schweigsam auf und erscheint nicht sofort in den Statistiken.

Hölderlin hat gesagt: Am meisten vermag doch die Geburt. Und das spüre ich natürlich auch. Ich bin in Deutschland geboren und die Wurzel kann nicht abgeschnitten werden. Ich habe meine kulturelle Formung in Deutschland empfangen. Meine Sprache ist deutsch und die Sprache ist die Weise, in der der Geist lebt und wirksam wird.

Aber bei einem Christen kommt etwas anderes dazu. Er wird in der Taufe neugeboren, in ein neues Volk aus allen Völkern und Kulturen hinein, in dem er nun wirklich ganz zu Hause ist, ohne seine natürliche Herkunft zu verlieren.

Es wäre wichtig zu erkennen, dass in der Kirche zu sein nicht bedeutet, irgendeinem Verein anzugehören, sondern im Netz des Herrn zu sein, in dem er gute und schlechte Fische aus den Wassern des Todes ans Land des Lebens zieht. Es kann sein, dass in diesem Netz ausgerechnet ich neben schlechten Fischen bin und dass ich das spüre, doch bleibt wahr, dass ich da nicht wegen diesem oder jenem bin, sondern weil es das Netz des Herrn ist. Es ist etwas anderes als alle menschlichen Vereine, eine Wirklichkeit, die den innersten Grund meines Seins berührt.

Das Buch „Über den Wolken mit Papst Benedikt XVI.“ ist hier online erhältlich. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der „Tagespost“.

_______

Quelle

Benedikt XVI. – Der stille Anti-Populist

Benedikt XVI. sei die falsche Wahl gewesen, heißt es oft.
Sein Biograf meint: Er war das Beste, was der katholischen Kirche
nach dem großen Johannes Paul II. passieren konnte

Von Peter Seewald

Mit Joseph Ratzinger verbindet sich eine atemberaubende Geschichte, eine Jahrhundertbiografie. Ein Junge aus bescheidenen Verhältnissen, ein Bub aus einem bayerischen Dorf am Rande der Alpen wird das Oberhaupt der größten und ältesten und geheimnisvollsten Institution der Welt, der katholischen Kirche mit ihren 1,3 Milliarden Mitgliedern! Mehr noch: Ein Deutscher wird Pontifex, und das nur 60 Jahre nach dem grausamen Weltschlachten, das dieses Volk über die Erde gebracht hat. Noch dazu war da jemand, der als Schreckgespenst galt, als Totengräber der Kirche. Ich habe heute noch den Aufschrei seiner Gegner im Ohr, die über diese Wahl verzweifelt waren. Und auch nach seinem Rücktritt bietet man eine Formel des Grauens an: Ratzinger sei die falsche Wahl gewesen, heißt es, seine größte Tat war der Amtsverzicht. Nichts wird bleiben von ihm.

Nichts wird bleiben? Stimmt das? Haben die Kardinäle sich blenden lassen und auf einen bösen Geist gehört, als sie Joseph Ratzinger mit großer Mehrheit in einem der kürzesten Konklave der Geschichte zu ihrem Oberhirten machten? Ich möchte hier eine Gegenthese aufstellen: Ratzinger war das Beste, was der katholischen Kirche nach dem großen Johannes Paul II. passieren konnte. Kein anderer hatte die Erfahrung, die Qualität, die Kapazität, die Autorität, das Geschick, die Noblesse, den Kopf, das Herz und nicht zuletzt den starken Glauben und die notwendige Demut, um das Erbe eines Jahrhundertpapstes wie Karol Wojtyla fortsetzen zu können. Beide waren das Dream-Team, das über den Tod des Polen hinaus in einer Art Doppelpontifikat dafür Sorge trug, dass im Sturm der Zeit das Schiff Kirche auf Kurs blieb. Und ich denke, der Tag ist nicht mehr allzu fern, an dem man vom deutschen Papst nicht nur als einem bedeutenden Gelehrten sprechen wird, einem Vor-Denker, als den vermutlich größten Theologen, der jemals auf dem Stuhl Petri saß, sondern vom Kirchenlehrer der Moderne schlechthin, der nicht nur mit seiner Weisheit überzeugte, sondern durch die Authentizität eines Lebens, mit dem er versuchte, der Welt die Nachfolge Christi zu zeigen.

Was prägte Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. als Mensch, als Theologe, als Papst? Da ist zunächst die Herkunft aus einem im Glauben besonders festen katholischen Elternhaus. Für seine Entscheidung zum Priesterberuf, so bekannte Ratzinger, sei auch „die kraftvolle, entschieden religiös ausgerichtete Persönlichkeit unseres Vaters ausschlaggebend“ gewesen. Eines Mannes, der anders dachte, „als man damals denken sollte, und das mit einer souveränen Überlegenheit“. Da ist die Verwurzelung in der liberalen und sinnhaften Religiosität des bayerischen Katholizismus und die Faszination eines Kindes für die Geheimnisse des katholischen Kultes. Da ist die Erfahrung einer antichristlichen, atheistischen Diktatur, die das jüdische Volk ausrotten und anstelle der Kirche ein „deutsches Christentum“ nach Nazi-Vorstellungen setzen will; einer Zeit, in der nicht nur Bekennermut gefragt ist, sondern auch die Notwendigkeit, seine christliche Überzeugung erklären zu können. Es geht dabei auch um die Frage, ob die Wahrheit ein objektives Element der Schöpfung ist, oder ob sie verhandlungsfähig ist, je nach Zeitgeschmack und der Abstimmung durch die Mehrheit der oft so verführbaren Massen.

Und was die Kirche betrifft, so schreibt sich dem Jungen damals eine Grunderfahrung ein, dass nämlich „die bloße institutionelle Garantie nichts nützt, wenn nicht die Menschen da sind, die sie aus innerer Überzeugung heraus tragen“. Da ist nach dem Kriegsende von 1945 die Stunde Null mit all der Hoffnung und einer Stimmung des Aufbruchs. Man spricht vom „katholischen Frühling“, der der jungen Bundesrepublik dann tatsächlich auch ihre Gestalt und Verfassung gibt. Eine neue Gesellschaft, ein Europa mit Zukunft, so der breite gesellschaftliche Konsens nach der tödlichen Erfahrung des Atheismus, könne nur auf der Basis der abendländischen Wurzeln und der christlichen Weltanschauung gebaut werden. Da ist der junge Professor als neuer Stern am Himmel der Theologie. Er will Neues wagen, heraus aus alten Schemen. Als 35-jähriger Konzilsberater gibt Ratzinger dem Zweiten Vatikanum wesentliche Impulse und lässt einen Johannes XXIII. sagen, dass jener junge Deutsche mit seinem Konzept genau das zum Ausdruck gebracht habe, was er beabsichtigt habe, es so aber nicht formulieren konnte.

Da ist dann aber auch der frühe Kritiker einer kirchlichen Entwicklung, die in Teilen in eine Richtung geht, die von den Vätern des Konzils so nicht gewollt war. Und nicht nur er, auch andere maßgebliche progressive Theologen des Konzils, ob ein Ives Congar oder ein Henry de Lubac, kommen zu dieser Überzeugung. Denn Progressivität wurde anders verstanden. Als Erneuerung aus den Wurzeln, und nicht als ein billiger, selbstgebastelter Neubau, den man anstelle des alten setzt – und in dem am Ende nichts mehr zueinanderpasst. Man hat Ratzinger vorgehalten, er habe sich nach dem Umbruch der 60er Jahre und der Studentenrebellion völlig gewandelt. Er habe in Tübingen ein Trauma erlebt und dann die Richtung geändert. Sein Haupt- und Dauergegner Hans Küng wurde nicht müde, bei jedem Interview noch hinzuzufügen, Ratzinger habe Karriere machen wollen. Er habe ein Amt angestrebt und die damit verbundene Macht.

Bis heute lässt sich allerdings kein triftiger Beleg für diese Thesen finden. Weder gibt es das Trauma Ratzingers aus 1968 – wohl die bittere Erfahrung eines Massendrucks, die ihn an das Tabula rasa aus der Nazizeit erinnerte –, noch gab es eine Flucht. Und auch keine Änderung der Linie oder gar den Versuch, möglichst schnell auf der Karriereleiter der Kirche nach oben zu klettern. Wer sich nur ein klein wenig mit der Biografie und vor allem mit der Theologie Ratzingers beschäftigt, sieht, dass es bei ihm eine fast schon unfassbare Kontinuität gibt. Seine Haltung und seine einmal gefundene Theologie können, oft fast wortgleich, zurückverfolgt werden bis hin zu den ersten Probe-Predigten, die er noch als Student hielt. Und dass Ratzinger aus dem Lebensweg als Professor, den er sich erträumt hatte und den er als seine ureigenste Aufgabe ansah, herausgerissen wurde und zum Erzbischof von München und dann zum Präfekten der Glaubenskongregation bestimmt wurde, gehört ganz gewiss nicht zu den persönlichen Sternstunden, sondern zum persönlichen Drama des Joseph Ratzinger. Denn von nun an beginnt die Geschichte eines Dieners, von dem der große Theologe Eugen Biser sagte, dieser habe mehr von seinem Lebensglück geopfert, als die meisten Menschen es sich überhaupt vorstellen könnten.

Es kam der 19. April 2005. Ratzinger sagt, an diesem Tag habe er ein „Fallbeil“ auf sich niedersausen sehen. Dass er als neugewählter Pontifex nur ein sehr kurzes Pontifikat leiten würde, war für ihn so sicher wie das Amen in der Kirche. Er hatte seine Kräfte nicht sehr hoch eingeschätzt. In zwei, drei Jahren, so sein Gedanke, werde ihn der Herr zu sich holen. So gesehen hat er all das zuerst angepackt, was ihm angesichts der gewaltigen Glaubenskrise, dem Niedergang des Christentums, der sich über den gesamten Westen ausbreitete, als das Dringlichste erschien, nämlich die Erneuerung und Festigung dieses Glaubens. Organisatorische Dinge stellte er hinten an. Für leere Gesten oder reine Effekthascherei war er ohnehin nie zu haben. Als der „kleine Papst“, der einem großen folge, stellte er sich in die Tradition der Vorgänger. Und wurde damit zum Scharnier zwischen der Welt von Gestern und der Welt von Morgen, ein echter Brückenbauer also in Zeiten des Umbruchs, wo es vor allem auch darauf ankommt, nicht die Orientierung und den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Benedikt XVI. zeigte sich als der Anti-Populist schlechthin. Nicht um das, was die Mode der Zeit und was die Medien wollen ging es ihm, sondern um das, was Gott will. Vor allem eines wollte Benedikt XVI.: Die Menschen in einer Zeit der Gottesferne, ja, der „Gottesfinsternis“, wie manche schon formulieren, wieder mit Jesus Christus bekannt machen, sie zu Ihm führen, zu seiner Gnade, seiner Barmherzigkeit, aber sie auch an seine Mahnungen erinnern, den Vorgaben der Gebote Gottes, wie sie im Dekalog überliefert sind. Kennzeichnend dafür ist alleine schon seine erste Enzyklika, die wie ein Programm auch den Akzent seines Pontifikates zum Ausdruck bringen wollte: Deus caritas est, Gott ist Liebe. Viele der Reformen, die Papst Franziskus nun weiterführen kann, wurden von Benedikt ins Werk gesetzt. Gleich zu Beginn nahm er die Tiara aus dem päpstlichen Wappen, Zeichen auch für die weltliche Macht des Amtes. Er führte erstmals Bischofssynoden ein, die kollegial auf Dialog angelegt wurden. Er nahm die Reinigung des vatikanischen Finanzwesens in Angriff, ermunterte die Ortskirchen zu mehr Selbstständigkeit, begründete Themenjahre wie das „Priesterjahr“ und das „Jahr des Glaubens“, und berief, auch dies ein Novum, einen Protestanten zum Vorsitzenden des päpstlichen Rates der Wissenschaften. Benedikt arbeitete im Stillen, auch an Dingen, die bei seinem Vorgänger liegengeblieben waren. Er wusch den Gefangenen die Füße und las den Mächtigen die Leviten. Aufsehen erregten seine Anklagen gegen einen Turbokapitalismus, der auf gnadenlose Profitmaximierung setzt. Die Würde des Menschen ist unantastbar, erklärte er, das Leben heilig, und zwar an seinem Beginn genauso wie an seinem Ende.

Er war der „erste grüne Papst“, wie man ihn nannte. Es genügt nicht, fordere er dabei, es bei den üblichen Umweltthemen zu belassen, es gebe auch eine Ökologie des Menschen, die im Einklang mit den Evidenzen des Weltalls, im Einklang mit der Schöpfung stehen müsse. Ein historischer Akt ohnegleichen, dass mit Papst Benedikt erstmals ein katholisches Kirchenoberhaupt die Wirkstätte Luthers besuchte. Im interreligiösen Dialog verteidigte er den Islam gegen jene Kräfte, die die Religion für eigene Zwecke instrumentalisieren. Für die jüdische Welt verkündeten hochrangige Repräsentanten, nie sei die Beziehung zwischen dem Judentum und der katholischen Kirche besser gewesen als unter Benedikt XVI. Joseph Ratzinger habe bereits als Glaubenspräfekt die theologischen Grundlagen gelegt für die Aussöhnung zwischen Altem und Neuem Testament. Und noch eines – Stichwort „Regensburger Rede“: Dieser Papst hat gezeigt, dass Religion und Wissenschaft, Glaube und Vernunft, keine Gegensätze sein dürfen. Dass gerade auch die Vernunft der Garant dafür ist, die Religion vor dem Abgleiten in irre Phantasien und in gewalttätigen Fanatismus zu schützen.

Gewiss, Benedikt XVI. hat nicht alles richtig gemacht. Seine Umsetzung etwa der liturgischen „Reform der Reform“ war zögerlich und ohne den nötigen Schwung. Was besonders unverständlich war bei jemandem, der erklärt hatte, die Frage der Liturgie sei für die Kirche gewissermaßen eine Frage von Leben und Tod. Im Kampf gegen den Relativismus blieben die Waffen eher stumpf. Der Aufruf zur „Entweltlichung“ von Kirche und Glauben, ein Thema, das Ratzinger bereits in den 50er Jahren genau so formuliert hatte wie er es als Papst tat, wurde von den eigenen Leuten überhört oder bewusst missverstanden. Beim Nachfolger Franziskus versteht man den Begriff anscheinend plötzlich – oder man getraut sich nicht mehr, wegzuhören.

Als die ersten Nachrichten über die furchtbaren Missbrauchsskandale anzeigten, dass sich hier eine Lawine entwickelt, mochte man die Reaktionen Benedikts zunächst als zu wenig deutlich und zögerlich beurteilen. Im Nachhinein anerkannten selbst seine Kritiker, dass es dem zupackenden und kompromisslosen Management dieses Papstes zu verdanken war, dass sich eine der größten Krisen in der Geschichte der katholischen Kirche nicht auch zu einem Fanal des Untergangs entwickeln konnte. Seine Fehler gesteht Benedikt unumwunden ein. Keiner hat sich je so demütig und selbstkritisch über sein Pontifikat geäußert wie er. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich dann aber sogenannte „Skandale“ wie Vatileaks eher als laues Lüftchen, denn als schwerwiegendes Versagen. Man sieht dies gerade auch bei seinem Nachfolger, wo Dinge wie Vatileaks 2 in der medialen Beobachtung kaum eine Rolle spielen.

Papst Benedikt XVI. hat das Amt in einer einzigartigen Noblesse ausgeübt und damit über viele Jahre hinweg, bis zur Williamson-Affäre, einen „Benedetto-Effekt“ ausgelöst, den niemand für möglich hielt. Mit den Millionen von Menschen, die seine Plätze füllten. Mit den Enzykliken und Büchern, die Auflagen in astronomischer Höhe erreichten. Bei ihm wusste jeder, dass das, was er verkündete, vielleicht unbequem oder manchmal nicht mehr zeitgemäß erscheinen mag, aber verlässlich der Lehre des Evangeliums entspricht. Dass alles, was er sagt und tut, der Lehrmeinung der Kirche, der Kontinuität mit den Vätern und den Reformen des 2. Vatikanischen Konzils entspricht. Weil dieser Papst obendrein ein sehr musischer Mensch ist, ein Poet, ein Künstler, waren die Begegnung mit ihm häufig wie eine musikalische Meditation, schön und erfüllend. Wie er es allerdings schaffte, in seinem hohen Alter zusätzlich zu seinem Mega-Amt und angesichts vieler gesundheitlicher Handicaps auch noch eine dreiteilige Christologie schreiben zu können, um damit gewissermaßen den Kreis seines Lebenswerkes abzuschließen, weiß nur der Heilige Geist.

Ist Ratzinger „lediglich“ der große Theologe? Jemand, den die Welt als einen bedeutenden Intellektuellen würdigt, dessen kluge Analysen unverzichtbare Orientierungshilfen gaben? Nein. Das wäre viel zu kurz gesprungen. Die schönste Zeit seines beruflichen Lebens, sagt Ratzinger, war seine Zeit als Kaplan in München-Bogenhausen, der Pfarrgemeinde des Widerstandskämpfers Alfred Delp. Denn dieser Mensch ist eben auch und zuvorderst ein Priester. Und ein Priester war er auch als Bischof von Rom. Er habe sich, so bekennt er in unserem Interview-Buch „Letzte Gespräche“, in erster Linie als Hirte gesehen. Gemäß dem Auftrag Jesu: „Weide meine Schafe“. Und tatsächlich kommt diese Präferenz bereits in seiner Namenswahl zum Ausdruck: Benedictus, das heißt: der Gesegnete und zugleich der, der auch selber segnet.

Joseph Ratzinger hat dabei nie eine eigene Lehre entwickelt. Seine Theologie ist ganz von der Schrift und von den Vätern geprägt, im Gegensatz etwa zur eher spekulativen Theologie eines Karl Rahner. Den Begriff der Offenbarung Gottes wollte er dabei nicht nur auf die Bibel begrenzt sehen. Für ihn ist sie gleichwohl auch in der Tradition, der Überlieferung, den Inspirationen der Väter und Heiligen, im lebendigen Glauben gegeben. Benedikt, der sich bei seinem Amtsantritt als „einfacher Arbeiter im Weinberg“ des Herrn vorstellte, erwies sich als der „stille Papst“. Zwischen seinem lauten Vorgänger und seinem lauten Nachfolger war er ein Mann der leisen Töne. Er bestach durch seine noble Art, seinen hohen Geist, die Redlichkeit der Analyse und die Tiefe und Schönheit seiner Katechese. Nicht eine kühle Professoren-Religion wollte er anbieten.

Als Bub aus der Provinz hat er nie vergessen, woher er kam, und wie bei seinem großen Meister Augustinus, mit dem ihm nicht nur die Suche nach der Wahrheit verband, ging es ihm als einem Theologen des Volkes um die Einfachheit im Glauben, der den Menschen hilft, Gott und damit auch sich selbst zu erkennen. Er habe stets versucht, so erklärte er, mitzudenken mit den bedeutenden Lehrern des Christentums und dennoch „nicht Halt zu machen in der alten Kirche, sondern die großen Höhepunkte des Denkens festzuhalten“. „Mein Grundimpuls war“, sagt er, „unter den Verkrustungen den eigentlichen Glaubenskern freizulegen und diesem Kern Kraft und Dynamik zu geben. Dieser Impuls ist die Konstante meines Lebens.“

_______

Quelle

„Die Kirche vertraut nicht auf Brüche“

Als Benedikt XVI. auf die sanfte Gewalt der Wahrheit setzte –
Beobachtungen zu der vom emeritierten Papst angestoßenen
Reform der Liturgiereform.

Von Martin Mosebach

Beim folgenden Text handelt es sich um die gekürzte Fassung der Rede, die Martin Mosebach zum Abschluss der Internationalen Liturgischen Tagung vergangene Woche gehalten hat.

Der Wortlaut ist abrufbar unter www.liturgische-tagung.org

 

Wir alle haben noch im Ohr, wie Bischöfe und Theologieprofessoren, Pfarrer und katholische Verbandsfunktionäre mit sieggewissem Ton verkündeten, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei ein neues Pfingsten über die Kirche gekommen, was keines der berühmten für die Entwicklung des Glaubens prägend gewordenen historischen Konzilien jemals von sich behauptet hatte. „Ein neues Pfingsten“, das hieß nichts weniger als eine neue Erleuchtung, womöglich eine solche, die über die bereits vor zweitausend Jahren empfangene hinausführen würde – warum nicht gleich zum Dritten Testament aus der „Erziehung des Menschengeschlechtes“ des Gotthold Ephraim Lessing. Das Zweite Vaticanum bedeute einen Bruch mit der bis dahin geltenden Tradition, und dieser Bruch sei heilsam. Wer zuhörte, durfte glauben, die katholische Religion habe eigentlich erst nach dem Zweiten Vaticanum zu sich gefunden, alle Generationen davor, denen wir, wie wir hier sitzen, unseren Glauben verdanken, hätten sich gleichsam in einem Vorhof der Unreife aufgehalten.

Es sei gerechterweise der Tatsache gedacht, daß die Päpste dem zu entgegnen versuchten – mit schwacher Stimme und vor allem ohne den Willen, als Regenten der Kirche in diese Fehlentwicklung mit ordnender Hand einzugreifen. Sehr wenige einzelne Haeresiarchen, die mit selbstgewisser Dreistigkeit ihre Maßregelung geradezu erzwangen, wurden getadelt – aber die große Masse der Neu-Pfingstler durfte ungehemmt, in einem weit ausgebreiteten Netzwerk geschützt, einen Rieseneinfluß auf die kirchliche Gegenwart entfalten, so daß die Behauptung, mit dem II. Vaticanum habe die Kirche mit ihrer Vergangenheit gebrochen, für Außenstehende jedenfalls immer wahrscheinlicher wurde – wer daran gewohnt war, seinen Augen und Ohren zu trauen, der vermochte sich nicht länger einzureden, daß dies noch immer die sich in allem Wandel der Zeiten über die Jahrtausende treu gebliebene Kirche sei. Höhnisch reimte der deutsche katholische Staatsrechtler Carl Schmitt beim Anblick der nachkonziliären Kirche: „Alles fließt, lehrt Heraklit./Der Felsen Petri, der fließt mit.“

„Nach dem ,neuen Pfingsten‘ begann ein Auszug aus der Kirche, aus den Klöstern“

Ein Bildersturm wie in den schlimmsten Zeiten der Reformation ging über die Kirchen hinweg; in den Seminarien wurde „Entmythologisierung des Christentums“ a la Bultmann getrieben; die Liturgie wurde säkularisiert und protestantisiert, das Ende des Priesterzölibats als unmittelbar bevorstehend gefeiert, der Religionsunterricht wurde selbst im in dieser Hinsicht hochbegünstigten Deutschland weitgehend preisgegeben; die Priester legten ihr geistliches Habit ab, die Sakralsprache, eben noch von der Liturgiekonstitution des Konzils feierlich bestätigt, wurde aufgegeben. Dies alles geschah, um die Kirche, so hieß es, für die Zukunft zu rüsten; die Gläubigen seien anders nicht mehr in der Kirche zu halten. Man argumentierte in der Hierarchie wie Kaufhausbesitzer, die nicht auf ihrer Ware sitzenbleiben wollen und sie zu Schleuderpreisen unters Volk werfen.

Leider paßt der Vergleich nicht ganz, denn das Volk interessierte sich nicht für die verbilligte Ware – nach dem „neuen Pfingsten“ begann ein Auszug aus der Kirche, aus den Klöstern, aus den Priesterseminaren, die Kirche verlor, während sie ihre Revolution ungehemmt vorantrieb, unablässig an Bindungsfähigkeit und Anziehungskraft – sie glich, während sie sich im Abwerfen der Überlieferung selbst zu überbieten trachtete, jenem ratlosen Schneider, der sich kopfschüttelnd eine verschnittene Hose ansieht und dabei murmelt: „Dreimal abgeschnitten und immer noch zu kurz!“ Es wird behauptet, der Auszug der Gläubigen hätte sich auch ohne die Revolution ereignet – akzeptieren wir diese konditionale Behauptung einmal: Aber wenn das wirklich so gekommen wäre, dann wäre die gewaltsame Umwälzung ja gar nicht nötig gewesen – im Gegenteil, die in der Kirche verbliebene Schar hätte weiterhin unter dem „Zeichen, dem widersprochen wird“ in Treue ausharren können. Es gibt kein einziges Argument zugunsten der nachkonziliaren Umwälzung, ich habe bisher keines kennengelernt.

Papst Benedikt konnte und durfte nicht so denken, wenn er sich auch in einsamen Stunden dem Ansturm solcher Überlegungen nur schwer zu erwehren vermocht haben mag. Er wollte das Bild der Kirche als eines im Schutz des Heiligen Geistes harmonisch wachsenden Organismus keinesfalls aufgeben. Es war ihm in seinem historischen Bewußtsein auch klar, daß die Geschichte sich niemals zurückdrehen läßt – daß es unmöglich und auch vermessen ist, etwas Geschehenes ungeschehen zu machen, weil auch der sündenvergebende Gott ja die Sünde des Menschen nicht ungeschehen macht, sondern sie im besten Fall sogar zur „felix culpa“ werden läßt. Aus dieser Sicht konnte er nicht akzeptieren, was die Progressisten und die Traditionalisten gleichermaßen und mit den besten Gründen vortrugen: daß es in der nachkonziliaren Aera tatsächlich zu einem entscheidenden Bruch mit der Tradition gekommen sei – daß die Kirche vor dem Konzil und die Kirche nach dem Konzil nicht mehr dieselbe Institution sei. Es hätte dies bedeutet, daß die Kirche nicht mehr unter der Leitung des Heiligen Geistes stehe – daß sie mithin aufgehört hätte, Kirche zu sein. Man darf sich den Theologen Joseph Ratzinger freilich nicht in einem naiven Formelglauben befangen vorstellen. Die Verwerfungen der Kirchengeschichte waren ihm wohlvertraut. Daß es auch in der Vergangenheit schlechte Päpste, mißleitete Theologen, fragwürdige Verhältnisse in der Kirche gegeben hatte, war ihm niemals verborgen. Aber er fühlte sich bei Betrachtung der Kirchengeschichte von dem unbestreitbaren Eindruck getragen, daß die Kirche in beständiger Entwicklung immer wieder ihre Krisen überwand, indem es ihr gelang, Fehlentwicklungen nicht einfach abzuschneiden, sondern sie in den darauf folgenden Generationen womöglich sogar fruchtbar zu machen.

Als vordringlich schien es ihm deshalb, die Vorstellung zu bekämpfen, es habe diesen Bruch – für den doch alle Anzeichen sprachen – wirklich gegeben. Seine Bemühung galt dem Versuch, die Behauptung eines solchen Bruchs aus den Köpfen zu entfernen. Es haftete diesem Versuch etwas Dezisionistisches an – ein Sich-über-die-Fakten-Hinwegsetzen – und es möge bitte nicht als Ironie verstanden werden, wenn ich in diesem Zusammenhang den großen absurden Lyriker Christian Morgenstern zitiere mit seiner berühmten Zeile „…nicht sein kann, was nicht sein darf!“ Die Kirche darf sich niemals in einen Widerspruch zu sich selbst, zur Tradition, zur Offenbarung, zur Lehre der Väter und der Gesamtheit der Konzilien begeben – und deshalb tut sie es auch nicht, und wenn es so scheint, als tue sie es dennoch, so ist dies ein falscher Schein – eine in die Tiefe gehende Hermeneutik wird schließlich stets erweisen, daß der Widerspruch keiner war. Ein unerschöpfliches Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes liegt in einer solchen Haltung, ein zynischer Außenstehender könnte auch von einer „heiligen Schlauheit“ sprechen; jedenfalls ist dieser Standpunkt aus beiden Blickwinkeln, dem des Gottvertrauens und dem des Macchiavellismus, gleichermaßen zu rechtfertigen. Denn der Blick auf die Kirchengeschichte zeigt, daß der Fortbestand der Kirche stets mit dem festen Glauben oder doch jedenfalls der unerschrocken behaupteten Fiktion verbunden war, in jeder Phase vom Heiligen Geist geleitet zu sein. Das, was Papst Benedikt „die Hermeneutik des Bruchs“ nannte, war für ihn – gleich, ob sie von der traditionstreuen oder von der progressistischen Seite in Anspruch genommen wurde – ein Angriff auf das Wesen der Kirche, deren Natur in der bruchlosen Kontinuität bestehe. Deshalb führte er den Begriff einer „Hermeneutik der Kontinuität“ im Munde, und das war weniger ein theologisches Programm und kaum die Grundlage von konkreten Entscheidungen, als das Werben um eine Geisteshaltung, aus der allein eine Gesundung der Kirche erwachsen würde: Wenn erst einmal alle verstanden hätten, daß die Kirche nicht auf Brüche und Revolutionen vertraut und vertrauen darf, dann würden die Hierarchen und Theologen gleichsam von selbst zu einer harmonischen Fortentwicklung der Tradition zurückfinden. Es sprach aus diesem Denken eine geradezu fernöstliche Weisheit, ein grundsätzliches Mißtrauen gegen alles Machertum und die Überzeugung, daß eine geistige Krise nicht vom Schreibtisch aus mit Dekreten zu beendigen sei. „Les choses se font en ne les faisant pas“ – das sagte kein Chinese, sondern ein europäisches Genie der Diplomatie, der französische Außenminister Talleyrand, der immerhin katholischer Bischof war – „Die Dinge erledigen sich, indem man nichts tut.“ – Das ist eine Alltagserfahrung, jeder mag sie schon einmal gemacht haben, aber es ist zugleich eine tiefe Einsicht in den Verlauf der Geschichte, deren große Entwicklungen von menschlichen Plänen unbeeinflußbar bleiben, so erregt die politischen Protagonisten im Vordergrund der Gegenwart auch herumfuchteln mögen.

Das war es ja, was schon der Kardinal und Glaubenspräfekt an der Meßreform Papst Paul VI. kritisiert hatte: Daß hier das organische Wachstum, die von der unmerklichen Hand der Zeit gestaltete Entwicklung der Liturgie durch einen bürokratischen Akt, einen „dictatus papae“, unterbrochen worden war. Es erschien ihm nicht nur aussichtslos, sondern geradezu verboten, die Wunde, die dieser Verstoß gegen die Tradition geschlagen hatte, durch ein erneutes Diktat zu heilen zu versuchen. Ein allmählicher Wandel des Denkens, hervorgerufen durch den Anblick des Vorbilds, das er der Welt gab, würde eine Stimmung schaffen, in der sich die Rückkehr zur Tradition wie von selbst ergab. Er vertraute auf die Macht der Bilder, die sich bei seinen öffentlichen Auftritten ergaben, etwa wenn er bei seinen Liturgien den römischen Kanon verwendete oder die Kommunion den knieenden Gläubigen in den Mund spendete. Die Wahrheit allein durch die „sanfte Gewalt“ der Wahrheit selbst wirken zu lassen, wie es in der Konzilskonstitution zur Religionsfreiheit heißt, diese Maxime entsprach sowohl seinem Temperament wie auch seiner Überzeugung.

Einen charakteristischen Ausdruck seiner Herangehensweise fand seine Sorge um die Überwindung der vielfältigen Fehlentwicklungen in der Liturgie, die das eucharistische Mysterium verdunkelten. Er hoffte, diese Mißstände durch eine „Reform der Reform“ beseitigen zu können. „Reform“, das war doch ein Begriff, der in den Ohren der Zeitgenossen wohlklingen mußte. „Reform“ war doch etwas, dessen Rechtfertigung sich von selbst verstand. Alles forderte doch unablässig ökonomische, politische und soziale Reformen. War da eine „Reform der Reform“ nicht geradezu eine Steigerung dieses positiven Wortes, Ausdruck auch der Maxime „ecclesia semper reformanda“ und als Bewertung und Überprüfung der Experimentalphase, die die Liturgie nach ihrer Neufassung durch Papst Paul durchlaufen hatte, auch notwendig?

Die Progressisten ließen sich über die Harmlosigkeit dieses „Reform“-Anliegens nicht täuschen. Schon die ersten äußerst behutsamen Schritte des Kardinals, erst recht des Papstes, wurden in ihrer Gefährlichkeit für die drei großen, wenngleich von Rom immer bestrittenen Ziele der Meß-Revolution erkannt: was er erreichen wollte, würde der Entsakralisierung, der Protestantisierung und der anthropozentrischen Demokratisierung des Ritus im Wege stehen. Mit welchen Kämpfen waren allein die Beseitigung der vielen Fehler in den landessprachlichen Übersetzungen der Meßbücher verbunden! Die philologisch eindeutige Verfälschung der Einsetzungsworte, der sattsam bekannte Streit um das „pro multis“ der Wandlung, das nun einmal beim besten und beim schlechtesten Willen nicht „pro omnibus“ heißt, ist in Deutschland bis heute nicht entschieden, obwohl sich die englischsprachige und die romanische Welt mehr oder weniger zähneknirschend gebeugt haben – die Allerlösungstheologie, eines der liebsten Kinder der nachkonziliaren Zeit, war in Gefahr.

Daß mindestens ein Drittel des Matthäus-Evangeliums etwa aus derart schreckenerregenden Ankündigungen der ewigen Verdammnis besteht, daß man nach der Lektüre nicht mehr schlafen kann, war den Propagandisten der „neuen Barmherzigkeit“ gleichgültig, obwohl sie ihren Kampf gegen die Tradition doch gerade damit rechtfertigten, durch historischen Wust und Verkrustung zu den Quellen des „authentischen“ Jesus zurückkehren zu wollen. Ähnlich ging es einem zentralen Anliegen Benedikts, daß die eigentliche Meßreform Papst Pauls VI. eigentlich gar nicht berührte. Die enthielt ja bekanntlich keine Änderung der Zelebrationsrichtung. Der von Papst Benedikt bewunderte Liturgiewissenschaftler Klaus Gamber hatte den wissenschaftlichen Nachweis geführt, daß die Annahme nicht haltbar sei, die Priester hätten das eucharistische Opfer zu irgendeinem Zeitpunkt der Kirchengeschichte zum Volk gewendet dargebracht und nicht gemeinsam mit dem Volk nach Osten zum wiederkehrenden Herrn hin ausgerichtet. Schon als Kardinal hatte Papst Benedikt immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr die Messe durch die falsche Zelebrationsrichtung entstellt und in ihrer Bedeutung verunklart werde – er sprach davon, daß die zum Volk hin zelebrierte Messe den Eindruck vermittle, daß die Gemeinde nicht auf Gott ausgerichtet sei, sondern sich selbst feiere. Diese richtige Einsicht gelangte freilich weder in ein kirchenrechtlich verbindliches Dokument der Glaubenskongregation noch in die Gesetzgebung des Papstes.

„Am Gebrauch der Volkssprache gedachte Papst Benedikt jedenfalls nicht zu rütteln“

Auch hier sollte die Wahrheit sich wieder durch die „sanfte Gewalt“ der Wahrheit selbst durchsetzen – so eben sah die Herrschaft des „Panzerkardinals“ aus, von „Gottes Rottweiler“ und was sonst noch an Komplimenten für Papst Benedikt durch die veröffentlichte Meinung ersonnen wurde. Die Folge dieser Wirkung der „sanften Gewalt“ liegt heute offen zutage. Der im Geist Benedikts lehrende und handelnde Präfekt der Ritenkongregation, Kardinal Sarah, diese große Hoffnung in der gegenwärtigen Kurie, hat nichts in Händen, um den von Benedikt ererbten Auftrag, den er treu ausführen wollte, Wirklichkeit werden zu lassen. Die „Reform der Reform“, die immer nur eine programmatische Formel war, ist nun sogar als Formel verboten.

Lohnt es da noch zu fragen, wie die „Reform der Reform“ realistischerweise hätte aussehen können? Am Gebrauch der Volkssprache gedachte Papst Benedikt jedenfalls nicht zu rütteln, dies hielt er für unumkehrbar, wenngleich er eine Ausweitung gelegentlicher lateinischer Messen wahrscheinlich begrüßt hätte. Die Korrektur der falschen Zelebrationsrichtung hätte ihm am Herzen gelegen, desgleichen der im Meßbuch Pauls VI. ebenfalls nicht abgeschaffte Empfang der Kommunion in den Mund. Den Gebrauch des römischen Kanons hätte er favorisiert, der gleichfalls jetzt schon nicht verboten ist. Wenn er auch daran gedacht hätte, die alten hochwichtigen Offertoriumsgebete wieder ins neue Meßbuch aufzunehmen, dann könnte man sagen, seine Reform der Reform sei nichts anderes als die Rückkehr zu dem nachkonziliaren Meßordo von 1965, das im Auftrag von Papst Paul VI. vor seiner einschneidenden Meßreform selbst veröffentlicht wurde, und zu dem der damalige Kardinalstaatssekretär Cigognani in seinem Vorwort zum dazugehörigen Schott-Meßbuch von 1966 ausdrücklich schrieb: „Eigenart und Kernpunkt dieser Neubearbeitung ist der vollzogene Anschluß an die Liturgiekonstitution des Konzils.“

Es gehört zu den großen Rätseln der neueren Kirchengeschichte, was Papst Paul dazu trieb, über diesen von ihm promulgierten Meßordo hinwegzugehen und ein neues Missale kurz danach herauszugeben, das dem Konzilsauftrag eben nicht mehr entsprach. Eines ist gewiß: Wäre es bei dieser ersten Bearbeitung geblieben, die manches letztlich sinnlose Opfer brachte, im ganzen aber den Ritus unangetastet ließ, es hätte den Aufstand des großen Erzbischofs Lefebvre nie gegeben. Aber auch etwas anderes stimmt: Nichts hindert auch heute schon einen Priester daran, diese wichtigsten Elemente, die von einer „Reform der Reform“ zu erwarten gewesen wären, in seine Zelebration einzubeziehen: Ad orientem-Zelebration, Mundkommunion, römischer Kanon, gelegentliches Latein – nach den Büchern der Kirche ist das alles auch heute möglich, wenngleich es beträchtlicher Zivilcourage und Autorität bedarf, ohne Stütze aus Rom in der einzelnen Gemeinde zu dieser Form zurückzufinden.

_______

Quelle

Was will Donald Trump?

donald-trump-winning-us-elections-2016

Die Empörung über den neuen US-Präsidenten ist groß. Auch in der Bundesrepublik. Doch im Zeitalter der Globalisierung ist unbedingt ein kühler Blick auf sein Programm und mögliche Potenziale nötig. Ein Versuch, Donald Trump zu verstehen.

Von Felix Dirsch

Die Tagespost – 2. Februar 2017

 

Das Weiße Haus hat einen neuen Bewohner. Seine Antrittsrede am 20. Januar rief sogleich Empörung hervor. Versöhnungsgesten fehlten. Medial aufgepeitschte Protestgruppen und ihre journalistischen Helfershelfer hyperventilierten wie nie. Analysiert man die Ansprache Trumps freilich genauer, fällt zwar ein kämpferischer Unterton auf. Dennoch sind die positiven Seiten nicht zu verkennen. Trump möchte die Macht dem Volk zurückgeben und verteilt an das verhasste Establishment Seitenhiebe. Die Zustandsbeschreibung des Landes entspricht der Realität. Jeder kann die ökonomisch verödeten Landstriche der Vereinigten Staaten in Augenschein nehmen. Trump sagt allen Staaten freundschaftliches Entgegenkommen zu. Hervorzuheben ist sein Versprechen, keinem Volk die eigene Lebensweise aufzuzwingen. Identität, Nation und Souveränität fungieren als Leitbegriffe, daher der Widerstand gegen das die Nationalstaaten schwächende und Arbeitnehmerrechte tangierende Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Trump hat das verinnerlicht, was der Politologe Samuel P. Huntington 2004 in seinem Bestseller „Who are we?“ ausdrückt: „Die überwältigende Mehrheit des amerikanischen Volkes hält an der nationalen Alternative fest und möchte die amerikanische Identität, wie sie seit Jahrhunderten besteht, bewahren und stärken.“ Weiter soll der radikal-islamische Terrorismus entschlossen bekämpft werden.

Er stellt heraus, dass die USA Jobs gerade für die Mittelschicht dringend benötigen. Das alte Gleichheitsversprechen wird auf beeindruckende Weise erneuert. Das Motto „America first“ des überzeugten Patrioten ist keinesfalls negativ zu werten, zumal er andere Nationen ermuntert, ebenfalls ihre Interessen wahrzunehmen. Der Aufschrei besonders in Deutschland ließ nicht lange auf sich warten. Nun kann man mit Recht einiges gegen Auftreten und Rhetorik des neuen starken Mannes einwenden. Das ändert nichts daran, dass die Polemik gegen ihn oft jedes erträgliche Maß überschreitet. Sogar die Faschismus-Keule wird mitunter herangezogen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel war so gnädig, den neuen starken Mann „nur“ mit dem reaktionären Denken der 1920er Jahre in Verbindung zu bringen. Ohne dass es ihm bewusst sein dürfte, liegt in diesen überzogenen Assoziationen ein Körnchen Wahrheit.

Was ist damit gemeint? Bereits in den Vorwahlen polarisierten Persönlichkeiten wie der Republikaner Trump auf der einen Seite und der sozialistische Demokrat Bernie Sanders auf der anderen. Solche verschärften Auseinandersetzungen rufen Chantal Mouffes agonistischen Theorieansatz in Erinnerung. Die belgische Politologin will die Freund-Feind-Distinktion Carl Schmitts, die in der Zwischenkriegszeit das Wesen des Politischen benennt, umformulieren und eine stärkere Positionierung der Parteien als Gegner erreichen. Auf diese Weise sollen klare politische Identitäten geschaffen werden. Lange gab es in den westlichen Ländern nur Konsensgesellschaften, in denen Parteien praktisch austauschbar geworden sind. Das hat ein Vakuum verursacht, das heute meist von sogenannten populistischen Kräften gefüllt wird. In den letzten Jahren kann man in den meisten westlichen Staaten eine zunehmende Heftigkeit politischer Kontroversen verfolgen. Die über einen längeren Zeitraum festzustellende Alternativlosigkeit weicht immerhin eindeutigeren Optionen. Gabriels unsachlicher Hinweis auf die Konservative Revolution macht implizit auf den Gegensatz von Eliten und Volk aufmerksam, der nicht nur in gegenwärtigen US-Diskussionen eine Rolle spielt, sondern auch in Schmitts Parlamentarismus-Kritik der 1920er Jahre. Der Staatsrechtslehrer sieht Liberalismus und Parlamentarismus als Projekt von elitären Minderheiten, Demokratie hingegen als Angelegenheit eines (wenigstens relativ homogenen) Volkes.

Der parlamentarische Diskurs besitze in Zeiten von Massendemokratie und Lobbyismus nur noch Fassadenfunktion. Trump knüpft mit seiner Kritik am US-Kongress, der nach außen angeblich nur heiße Luft produziere, an solche Vorbehalte an, die unter Umständen durchaus plausibel sein können. Weit verbreitete Aversionen gegen den mitunter sprunghaften Politiker haben wohl viele Journalisten abgeschreckt, sich mit dem Programm des Nachfolgers von Barack H. Obama, der kein leichtes Erbe hinterlässt, auseinanderzusetzen. Wer den Zustand der USA wahrnimmt, merkt schnell, dass die Parole „Great again“ Verpflichtung für alle Amerikaner sein sollte. Der Titel des gleichnamigen Trump-Buches ist gut gewählt. Dessen Inhalt ist es wert, geprüft und zur Kenntnis genommen zu werden. Auch die mitunter ostentativ-egomanische Attitüde des Verfassers ändert daran nichts.

Wer die Masseneinwanderung verharmlost, die Trump eindämmen will, übersieht deren eminente soziale Folgen. Offenkundig ist der Verdrängungswettbewerb zwischen Illegalen, die nicht selten zu geringen Löhnen arbeiten, und Einheimischen. Die Eliten, öfters Profiteure der Immigration, nehmen am Schicksal der Abgehängten, meist aus der Mittelschicht stammend, selten oder gar keinen Anteil. Über die Erfolgsaussichten eines Mauerbaues an der Grenze zu Mexiko lässt sich streiten. Allerdings zeigt ein solcher Grenzwall Entschlossenheit. Jenseits tagesaktueller Debatten hat sich Trump – wahrscheinlich aus zweiter Hand – das Wissen des Ökonomen Ronald Coase zu Eigen gemacht. Dieser bekam vor einigen Jahren für die Erkenntnis den Nobelpreis, dass eine liberale Gesellschaft nicht nur freies Eigentum, sondern auch Zäune benötigt; denn Klubgüter, auf die jeder Bewohner zurückgreifen kann, von der Krankenversicherung bis zum Schienennetz, verlieren mit steigender Benutzerzahl an Wert.

Besonders aufmerksam sind die Passagen zu den jüngsten Kriegsabenteuern des mächtigsten Landes der Welt zu studieren. Billionen Dollar wurden im Nahen Osten von einer überdimensionalen Kriegsmaschinerie versenkt. Das Resultat? Unzählige Tote und die Entstehung des sogenannten Islamischen Staates, zudem der wertlose Atomsperrvertrag mit dem Iran. In der vorerst letzten Phase des Syrienkrieges, so der Immobilienmilliardär mit nachvollziehbaren Argumenten, war vornehmlich Russland am Drücker. Die vom russischen Präsidenten gebildete Koalition errang Sieg um Sieg. Allerdings ist Trump hier nicht kritisch genug, Anteile der US-Regierung an den Feindseligkeiten zuzugeben. Spannend wird sein, wie sich die Aussöhnung mit dem Erzfeind des Westens, Wladimir Putin, gestalten wird, nachdem der Kongress eine Aufhebung der Sanktionen wohl verhindern wird. Äußerungen des künftigen Außenministers zeigten jüngst etwas andere Akzente als die seines Chefs.

Undifferenziert wirkt der Vorwurf, Trumps Ansichten verletzten die westliche Wertegemeinschaft. Die Bundeskanzlerin konnte es sich nicht verkneifen, dem neuen Kollegen die Zusammenarbeit auf der Basis der westlichen Werte anzubieten. Bei aller Zustimmung für solche Präferenzen in der eigenen Hemisphäre ist doch der gelegentlich gepflegte pseudoreligiöse Unterton infrage zu stellen. Schon oft dienten sie als Vorwand für aggressiven Kulturimperialismus. Die Absichten der (über den Trump-Sieg frustrierten) Neocons, Spin Doctors der Ära George W. Bushs, Demokratie gewaltsam zu exportieren, sind keineswegs vergessen. Die multipolare Welt des frühen 21. Jahrhunderts bedarf keines „wohlwollenden Hegemons“ (Joseph S. Nye Jr.), der in Form „humanitärer Kriege“ (Carl Schmitt) das Selbstbestimmungsrecht der Völker untergräbt. Vor diesem Hintergrund ist auch der Auftrag der Nato neu zu definieren. Zudem springt die Aktualität einer Großraumtheorie, wie sie einst Schmitt formulierte, ins Auge, die natürlich zu modernisieren ist. Eine von den USA unabhängigere „Europäische Union als Großraum“ (Andreas Anter) wäre folgerichtig herauszustellen.

Besonders heftig sind die Widerstände im In- und Ausland gegen die temporäre Weigerung, Muslimen aus den Ländern Irak, Iran, Libyen, Somalia, Syrien, Sudan und Jemen Visa auszustellen. Trump begründet diesen Erlass, der Ausnahmen kennt, damit, dass die Erarbeitung eines Konzepts gegen etwaige terroristische Gewalttaten Zeit benötigt. Wieder einmal droht die westliche Werteordnung einzustürzen. Freilich kollidiert der Wunsch nach offenen Grenzen, den ein Teil der Bevölkerung in der westlichen Welt hegt, insbesondere viele Meinungsmacher, mit dem verbreiteten Bedürfnis nach Sicherheit. Ganz ohne Generalverdacht scheint dieser Wert jedoch nicht zu haben sein. Eines sollte aber nicht übersehen werden: In 16 mehrheitlich muslimischen Staaten sind israelische Staatsbürger unerwünscht. Auch in den USA existieren seit längerer Zeit Beschränkungen des Grenzübertritts. Es liegt in der Souveränität der Staaten, ihnen nicht genehmen Personen die Einreise zu verbieten. Trump als den neuen „Gottseibeiuns“ hinzustellen, mutet deshalb schon unsinnig an, weil einige Kontinuitätslinien zur Vorgängerregierung kaum zu übersehen sind. Mit dem Freihandel nahm auch sie es nicht immer ernst. Gegen die Bank BNP Paribas wurde eine Neun-Milliarden-Dollar-Strafe verhängt, gegen die Deutsche Bank waren es immerhin sieben Milliarden. Die Waffe des Dollars hängt schon seit einiger Zeit speziell über Europa.

Die epochale Zäsur der Wahl Trumps liegt freilich in seiner Einstellung zur Globalisierung. Deren dunkle Seiten aufzudecken, hat bisher immer als Herzenssache eher linker Gruppen wie Attac gegolten. Trump hebt die Nachteile des realen Freihandels für sein Land hervor. Das Lohndumping, etwa in Mexiko, berücksichtigt er ebenso wie Währungsmanipulationen, wie sie in China üblich sind. Der reiche Geschäftsmann legt die Finger auch in andere Wunden. So wird der Zustand der Infrastruktur angeprangert. Darüber setzen spätestens dann Debatten ein, wenn wieder einmal ein flächendeckender Stromausfall zu beklagen ist. Ansonsten ist die Verrottung des Straßen- und Brückennetzes evident, ganz zu schweigen von der mangelhaften Internetversorgung vor allem in ländlichen Teilen. Ein umfassendes Infrastrukturprogramm, in der Grand Old Party indessen umstritten, ist geplant.

Der einseitigen Bevorzugung erneuerbarer Energien wird in „Great again“ eine Absage erteilt. Eine Energiewende wie in Deutschland bedeutet demnach eine weitere soziale Belastung, von beträchtlichen Schäden an der Natur nicht zu reden. Trump hinterfragt die These vom primär menschengemachten Klimawandel und beruft sich auf einsichtige Argumente. Ebenso werden die Schattenseite von „Obamacare“ erwähnt, insbesondere die Beitragsexplosion bei Versicherungen und die Zunahme der Bürokratie.

Setzt man sich mit dem bisher umrisshaft bekannt gewordenen Programm Trumps auseinander und ignoriert unsachliche Polemik, so kann man durchaus Potenzial erkennen. Werden die Kernpunkte umgesetzt, kann dies zu positiven Konsequenzen für die Völkergemeinschaft führen. Niemand sollte diese Aussichten gering schätzen.

_______

Quelle