UNSERE LIEBE FRAU VOM FINSTEREN WALD

Einsiedeln, Spitzenbildchen

Die wunderbare Geschichte
des größten Schweizer Marien-Heiligtums

EINSIEDELN

Der hl. Meinrad entstammte ei­nem edlen Haus, welches mit dem Geschlecht von Hohenzollern ver­wandt war, und wurde auf der Stammburg im Sülichgau gegen 797 geboren. Seine frommen adeli­gen Eltern brachten den Knaben früh zur Erziehung in das Bene­diktinerkloster Reichenau auf der Insel gleichen Namens im Boden­see, in welches St. Meinrad später als Mönch eintrat. Durch hohe Tugend und geistige Begabung ausgezeichnet, wurde er bald ein beliebter Lehrer an der dortigen Schule und kam dann als Vor­stand einer kleinen Schule nach Babinchova (Benken am obern Buchberg, Kanton St. Gallen) um das Jahr 824. 4 Jahre ließ er hier sein Licht leuchten, dann ergriff ihn mächtig der Drang nach einem innigeren und ungestörteren Ver­kehr mit Gott. Der nicht allzufern liegende, waldige Etzelberg und die dahinterliegende wilde Gegend schienen seinem Drang nach Ein­samkeit die Verborgenheit, die er suchte, zu gewähren. Mit dem Segen seines Abtes begab er sich daher zuerst auf die Höhe des Et­zels, und als nach Jahren die Zahl der Umwohner, welche Rat und Trost bei St. Meinrad suchten, sich vermehrte, führte ihn Gott noch tiefer in den finstern Wald, dahi­nein, wo heute die große Wallfahrts­kirche von Maria Einsiedeln steht. Wohl war noch keine Kapelle und kein Gnadenbild da, aber eine Gna­denstätte für St. Meinrad ist jener Ort doch geworden, wo Jesus und Maria huldvoll den hl. Einsiedler beglückt, der 26 Jahre hier gedul­det, bis er unter den Händen zwei­er Mörder dem himmlischen König und seiner Mutter seine größte Liebe bezeugte im Martyrium am 21. Januar 861.

Eine Klause hatte St. Meinrad erbaut im Finsterwald und ein Gnadenbild der Himmelskönigin hatte er darin verehrt. – 40 Jahre blieb das Heiligtum einsam. — Aber Gottes Huld lag auf der Stätte des hl. Dulders. St. Benno kam und es entstand ein Kirchenbau und ein Kloster über der Meinradszelle; St. Eberhard, Thietland, Gregor von England, Adalrich und Wolfgang kamen, und es erblühte das Ein­siedlerleben in den Zellen der Mönche, und Gott stieg vom Him­mel hernieder und gab der hl. Kapelle die himmlische Weihe.

Es war in der Nacht vom 13. auf den 14. September 948. In der neuerbauten Klosterkirche „zu den Einsiedlern“ kniete ein hl. Beter: Bischof Konrad von Konstanz. Vor ihm erhob sich jene Kapelle, welche St Meinrad im Jahre 835 aus Holz und Stein erbaut hatte. Eine heilige Kapelle! Sah sie doch das 26jährige heroische Tugendrin­gen und den kostbaren Tod ihres hl. Erbauers. — Und morgen sollte der nächtliche Beter Kirche und Kapelle einweihen. Da plötzlich ward es lebendig in der Mitter­nachtsstille. Die Schatten um die Kapelle flohen vor den Fluten himmlischen Lichtes und St. Konrad schaute, wie Christus selbst, begleitet von himmlischen Heerscharen, die Kapellweihe vollzog. So groß war das Staunen des Bischofs, so unfaßbar schien ihm das Wunder der Engelweihe, daß er am Weihemorgen geneigt war, eine Selbsttäuschung anzu­nehmen und trotz innern Wider­strebens dem Drängen seiner Umgebung nachgebend, die hl. Handlung begann. Aber Gott griff nochmals ein. Vom Himmel er­klang, allen Anwesenden ver­nehmbar, der Befehl: „Halt ein Bruder, die Kapelle ist schon von Gott geweiht!“  Seit jenem Engel­weihmorgen schließt das verborge­ne Leben der Gnadenkapelle und es beginnt das öffentliche Wirken des Heiligtums. Bischof Konrad erstattete Bericht nach Rom über die Ereignisse des 14. September, worauf Papst Leo VIII. durch Bulle vom 11. November 964 eine Einweihung der von Gott konse­krierten Kapelle jedem Bischof verbot und gleichzeitig allen Pil­gern einen vollkommenen Ablaß verlieh. Und nun setzte so recht die Wallfahrt ein ins gottgeweihte Reich der Königin Maria. — Von Gott geweiht, aber auch von Gott be­schützt ward das Heiligtum.

Mannigfaltige Stürme und Schicksalsschläge zogen über das Gotteshaus im finstern Walde dahin. Fünfmal brannten die Kir­che und das Kloster, doch die Gnadenkapelle U.L. Frau blieb unversehrt, bis 1798 die Sturmflut der französischen Revolution auch diese nicht verschonte. In den Tagen vom 26. – 31. Mai ließ Gene­ral Schauenburg durch fremde Maurer die Kapelle abtragen. Aber gerade hier zeigte sich wieder die göttliche Vorsehung. Das rechte Gnadenbild hatten die flüchten­den Mönche schon vorher gerettet, und auch die sorgsam abgetrage­nen Marmorteile des Heiligtums konnten die Franzosen nicht als Beute fortschleppen, sie mußten schleunigst abziehen. Am 29. Sep­tember 1803 kam das Gnadenbild zurück, 1817 am Engelweihfest stand auch die hl. Kapelle wieder, lichter und schöner als zuvor, und heute steht sie da vor unsern Augen, schön geschmückt wie eine Braut, und noch immer ziehen viele Tau­sende von Pilgern „all Jahr“ zur Kapelle St. Meinrads und zum Bil­de der Königin.

Hermann Roth, O.S.B., Einsiedeln