LITANEI ZUR HEILIGEN KIRCHENLEHRERIN KATHARINA VON SIENA

Caterina da Siena

Erläuterungen zu 40 Prädikaten

von Irene Heise, Wien

I. Allgemeines

Die „Litanei zur heiligen Katharina von Siena“ von Prof.in Irene Heise, Wien, ist im Jahr 2007 entstanden und „mit Druckerlaubnis des Erzbischöflichen Ordinariates Wien vom 9.September 2008, Zl. K207/08, Generalvikar Schuster“, in die Gebete der Kirche aufgenommen worden.

Zur Gliederung der Litanei:

Die Lauretanische Litanei zur Mutter Gottes zum Vorbild (Anrufungen Gottes am Anfang und Schluss), ist die Litanei zur heiligen Katharina von Siena hingegen in vier Strophen zu je zehn Prädikaten gegliedert und schließt mit einem Fürbittgebet.

Zur Herkunft der Prädikate: Diese stammen aus:

  • Zitaten der 2 Biographen und Zeitzeugen Katharinas, Raimund von Capua (ihr Beichtvater) sowie Tommaso Caffarini (Gefährte ihrer „famiglia“);
  • Zitaten von 5 Päpsten:
    • Papst Pius II. in seiner Bulle „Misericordias Domini“ zur Heiligsprechung Katharinas vom 29 06 1461;
    • Papst Paul VI. in seiner Homilie sowie im Apostolischen Schreiben anlässlich der Erhebung Katharinas zur Kirchenlehrerin „Mirabilis in Ecclesia Deus“ vom 04 10 1970;
    • Papst Johannes XXIII. aus seiner Ansprache anlässlich des 500. Jahrestages der Heiligsprechung Katharinas, in: Papst Paul VI., Mirabilis in Ecclesia Deus, s.o.
    • Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben anlässlich des 600. Jahrestages des Heimganges Katharinas „Amatissima Providentia“ vom 29 04 1980.
    • Papst Pius X. aus einer Rede in der römischen Kirche Santa Maria Sopra Minerva zu Ehren der beiden PatronInnen Roms, Katharina von Siena und Franz von Assisi, vom 05 05 1940, in: Amatissima Providentia, s.o.
  • Ergänzungen von Irene Heise:
    • Aus dem Kontext der Schriften der hl.Katharina (Briefe und Buch „Dialog von der göttlichen Vorsehung“) sowie der Biographien o.a. Zeitzeugen;
    • Aus dem Buch Irene Heise, „Caterina von Siena – Gebt ihnen zu essen! Die mystisch-theologische Kompetenz der Kirchenlehrerin und Patronin Europas als Schlüssel für eine befreiende Sakramentenpraxis“.

Näheres zu den Quellen: Siehe bitte Punkt III.,Verzeichnis der Quellen und Abkürzungen.
Zu den 4 Strophen:

  • Die ersten beiden Strophen enthalten bildhafte Prädikate seitens der Biographen und der Päpste (vor allem aus der Heiligen Schrift) sowie charismatische Titel;
  • die dritte Strophe bringt Prädikate das irdische Leben Katharinas betreffend, teils aus den päpstlichen Dokumenten, teils von Irene Heise aus dem Kontext der Schriften von und über Katharina;
  • die vierte Strophe steigert sich zu den erhabensten Prädikaten Katharinas seitens der Päpste sowie Irene Heise, gipfelnd in den höchsten Titeln: „Patronin Europas“ (Papst Johannes Paul II.) und „Lehrerin der gesamten Kirche“ (Papst Paul VI.).

Zum Fürbittgebet am Schluss der Litanei:

Sie enthält drei der wesentlichsten theologischen Begriffe in Katharinas Lehre:
Liebendes Verlangen, Stellvertretende Sühne und Kostbares Blut Jesu Christi.
Sie werden sowohl einzeln, als auch im Kontext sowie im Hinblick auf Katharinas Eucharistieverständnis erörtert.

II. Kommentare zu den einzelnen Anrufungen

Vorab ist zu bemerken, dass die Erläuterungen zu den einzelnen Anrufungen in sehr unterschiedlichem Umfang ausfallen werden. Dies liegt darin begründet, dass sich manche Prädikate aus dem Kontext der Schriften von und über Katharina ergeben, andere wiederum zum Teil einzelne, aber gewichtige Zitate von Päpsten oder Biographen darstellen (wie etwa das seitens Papst Johannes Paul II. fast „nebenbei“ erwähnte Prädikat „Schutzengel der Kirche“!).

Schließlich ist noch zu bemerken, dass manche Prädikate Katharinas mehrfach, vielleicht sogar vielfach kommentiert sind. In solchen Fällen, wie etwa zu den Prädikaten „Zeugin der unermesslichen Barmherzigkeit Gottes“ oder „Heilerin der Kranken und Sterbenden“ (welche auch durch zahlreiche Beispiele belegt sind), muss hier eine knappe Auswahl an Zitaten ausreichen.

 

Zu den einzelnen Prädikaten:

1.Strophe:

Heilige Caterina von Siena:
„Caterina da Siena“: So war Katharina (1347 – 1380) im 14.Jahrhundert von Siena bis Rom und von Florenz bis Avignon weithin bekannt, geschätzt und verehrt, ja von manchen Zeitgenossen, die etwas zu verbergen hatten, wegen ihrer „übermenschlichen Weisheit“ (Papst Paul VI.) sogar gefürchtet.
Die Heiligsprechung Katharinas erfolgte bereits im Jahr 1461 durch Papst Pius II., der selbst aus Siena stammte. Im Heiligsprechungsprozess konnten noch zahlreiche Zeitzeugen Katharinas persönlich aussagen. Ihr Gedenktag ist der 29.April (der Tag ihres Heimganges).

Caterina, du Engel vom Himmel mit der Kette der Tugenden:
Der bedeutendste Biograph Katharinas, der (später selig gesprochene) Raimund von Capua, Dominikaner und einst ihr Beichtvater und Begleiter, vergleicht Katharina in einer ausführlichen Erörterung gleich im „Prolog“ zu seiner „Legenda Major“, der Lebensgeschichte der heiligen Katharina, mit dem in der Geheimen Offenbarung des Johannes, Kapitel 20, beschriebenen Engel, der mit einer großen Kette vom Himmel kommt, um Satan zu fesseln und damit seine Macht über die Menschen zu brechen:
„Ich sah einen Engel vom Himmel herabsteigen, der in seiner Hand den Schlüssel zum Abgrund und eine schwere Kette trug, ich sah es und war Zeuge.“ Hier wird bereits allzu deutlich, welch tiefe mystische Ausstrahlung an Katharina wahrgenommen worden ist. Und weiter heißt es: „Und wenn auch der Herr Vieles und Großes gewirkt hatte, ehe ich sie noch kannte, habe ich doch alles gehört, sei es von ihr selbst im Geheimnis der Beichte, sei es von anderen Personen beiderlei Geschlechts, die völlig glaubwürdig sind, die mit ihr waren und es gesehen haben. Ich habe also gesehen und gehört, so dass ich und andere Zeugen mit dem Evangelisten Johannes rufen dürfen: ‚Was wir gesehen und gehört haben über das Wort des Lebens’, das in dieser wundersamen Jungfrau wohnte, das und nichts anderes verkünden wir euch. ‚Wir können nämlich’, um mit Petrus und Johannes zu sprechen, ‚unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben’, sondern müssen es allen kundtun.“ (LMaj, 36, nach 1 Joh 1,3 und Apg 4,20)

Du Schlüssel zum Abgrund der übernatürlichen Weisheit:
Im bereits angesprochenen „Prolog“ kommt Raimund von Capua auf die mangelnde Bildung „in den Wissenschaften“ Katharinas zu sprechen. Katharina war Analphabetin und hat erst spät auf mystische Weise, durch Jesus Christus selbst, lesen und offenbar auch ein wenig schreiben gelernt. Den „Schlüssel“ zu den „Wunderwerken des Herrn“, ihre „übernatürliche Weisheit“, stellte also einzig ihre tiefe, durch mystische Erfahrungen geprägte Erkenntnis dar. (LMaj, 38).

Du Braut des göttlichen Erlösers:
Die Brautschaft Katharinas kommt vielleicht in ihrem mündlichen Testament am berührendsten zum Ausdruck, wie es Papst Paul II. zitiert: „’So nimm mein Herz denn hin und presse es aus über das Antlitz deiner Braut!’“ Und er fährt in seiner Homilie anlässlich der Erhebung Katharinas zur Kirchenlehrerin fort: „Die Botschaft also eines ganz lauteren Glaubens, einer demütigen und großmütigen Hingabe an die Katholische Kirche, diesen mystischen Leib und diese Braut des göttlichen Erlösers…“ (LMin, 335). Als Kind der Kirche, dem mystischen Leib Christi, nimmt sich Katharina zugleich als Braut Christi selbst wahr.
In Katharinas Briefen an Ordensfrauen kommt das Brautmotiv häufig vor, wie etwa im Brief 75, den sie an Augustinerinnen richtet: „Folglich hat sie als wahre Braut des gekreuzigten Christus den himmlischen Vater als ihren Tisch und ihr Ruhebett gefunden. Denn im himmlischen Vater finden alle Bedürfnisse ihre Erfüllung.“ (BO, Brief 75, 21).

Du Stein im mystischen Leib der Kirche:
Katharinas großer Wunsch war es, ein Martyrium zu erleiden und so als würdiger „Stein“ in die Kirche „eingemauert“ zu werden. So bedauert sie in einem Schreiben an Raimund von Capua: „Auch wurde (mit meinem Blut) kein Stein eingemauert in den mystischen Leib der heiligen Kirche.“ (BMKI, Brief 295, 194).
Tatsächlich allerdings bedurfte es keines Martyriums für Katharina, damit sich ihre Sehnsucht sehr wohl erfüllen sollte: Schließlich sollte sie – wie später noch einmal zur Sprache kommen wird – im 20. Jahrhundert zur Kirchenlehrerin und Patronin Europas erklärt werden!

Du hohe Zeder, bewässert durch den Heiligen Geist:
Als Raimund von Capua von Katharinas Kindheit berichtet, kommt er im besonderen auf ihre beeindruckenden „Übungen der Frömmigkeit“ zu sprechen, die „sich mit jedem Tag vertieften“ und sie für immer größere Gnaden empfänglich machte. Zugleich offenbarte sich, „… zu welch hoher Zeder diese kleine, vom Heiligen Geist bewässerte Pflanze heranwachsen sollte“. (LMaj, 66). Die hohe Zeder des Libanon steht hier, wie auch im Alten Testament, für (spirituelle) Größe und Stärke: „Der Gerechte gedeiht wie die Palme, er wächst wie die Zedern des Libanon.“ (Ps 92, 13).

Du Rebe im Weinberg, von Gott gesetzt:
Nochmals verwendet Raimund von Capua, dem Stil seiner Zeit entsprechend, ein alttestamentliches Bild, um Katharinas Ausnahmestellung noch mehr hervorzuheben, und bringt es mit dem vorgenannten in Verbindung. So schreibt er etwas später: „Nach diesen ersten Jahren, in denen sich Caterinas Tugend so bewundernswert zu entfalten begann, wollte der allmächtige Gott die Rebe, die er jüngst in den Weinbergen von En-Gedi gepflanzt hatte, weiter nach oben führen, damit sie sich mit den Zedern des Libanon zur höchsten Höhe erhebe.“ (LMaj, 80, nach Hld 1,13).

Du Schatz im Acker der Kirche:
Zweimal kommt in der Litanei das Bild des „Schatzes“ zur Sprache, jeweils in einer etwas unterschiedlichen Färbung. Hier geht es dabei im besonderen um das Bemühen des Biographen, die spirituelle Tiefgründigkeit Katharinas zu betonen, die nicht übersehen werden dürfe, und er mahnt, nicht an dem Schatz vorüber zu gehen, „… den wir im Acker dieser heiligen Jungfrau finden. Wir wollen gewissenhaft in die Tiefe graben, denn die Zeichen, die sich zeigen, lassen uns einen Reichtum von großer Fülle erhoffen“. (LMaj, 137, nach Mt 13,44).

Du Frucht des Baumes, gepflanzt an Wasserbächen des Himmels:
Raimund von Capua berichtet immer wieder von Katharinas Standfestigkeit Anfechtungen gegenüber. Er begründet diese mit der Verwurzelung der „Frucht des Baumes“, Katharina, im Himmel: „Doch die Bosheit täuschte sich selbst, denn womit sie die Frucht des Baumes, der an himmlischen Wasserbächen gepflanzt ist, zu vertilgen gedachte, damit verschaffte sie ihr noch mehr Entfaltung, denn der Herr hat Gedeihen gegeben.“ (LMaj, 209). Den Versuchungen ist die vom Heiligen Geist „bewässerte“ Katharina nicht erlegen, jene haben sie vielmehr immer mehr gefestigt.

Du Turm des Libanon, zu unserem Schutz erbaut:
Der Biograph beginnt das 11.Kapitel seiner „Legenda Major“ mit dem gewichtigen Satz: „Der Frieden bringende König hat zum Schutz Jerusalems den Libanonturm gegen Damaskus errichtet.“ (nach Hld 7,5). Hierbei handelt es sich um eine weitere Anspielung auf das alttestamentliche Hohelied, wo erhabene Stärke und Uneinnehmbarkeit der Braut unter anderem als „Libanonturm“ beschrieben wird, der „… gegen Damaskus schaut, das heißt gegen den Feind“. (LMaj, 149). Wieder ist Raimund von Capua kein biblisches Bild zu erhaben, als dass es nicht auf Caterina anwendbar wäre!

2.Strophe:

Du lieblicher Garten Gottes:
Die 2.Strophe beginnt mit einem eher wenig beachteten Wort Papst Johannes XXIII. über Katharina, zitiert durch Papst Paul VI. in dessen Apostolischem Schreiben “Mirabilis in Ecclesia Deus” anlässlich der Erhebung Katharinas zur Kirchenlehrerin, als er über ihre Schriften, das in Ekstasen entstandene Buch „Dialog von der göttlichen Vorsehung“ und ihre überaus gehaltvollen Briefe (385 sind in Abschriften erhalten), spricht: „Und schließlich das gewichtige Zeugnis von Johannes XXIII., auf dessen Aufforderung hin anlässlich der 500.Wiederkehr der Heiligsprechung der seligen Jungfrau alle Christgläubigen zu den heiligen Feiern eingeladen wurden… ‚Die Briefe aber und der Dialog sind auch für kommende Generationen und werden ihnen wie ein lieblicher Garten Gottes sein, in dem sie die himmlischen Geheimnisse, die erhabensten Tugenden und lieblichen Mahnungen gleichsam wie Balsam erquicken.’“ (LMin, 350).

Du starke Säule, auf festem Fels gegründet:
Ein weiteres Mal werden wir von Raimund von Capua an Katharinas außerordentliche Standfestigkeit und ihre mystische Verwurzelung in Gott erinnert: „Caterina war wie eine starke Säule, die der Heilige Geist so fest in der Liebe gegründet hatte, dass kein Sturm der Verfolgungen in der Lage war, ihre Miene auch nur im geringsten zu wandeln. Und das ist kein Wunder, denn sie war gegründet auf einem festen Felsen, wie es im Buch der Weisheit heißt: ‚Wie Grundfesten der Ewigkeit auf festem Felsen, so sind die Gebote Gottes im Herzen einer heiligen Frau’ (Sir 26,24). Ihre Seele hatte sich mit dem stärksten Felsen Christus, dem ewigen Fundament, so fest verbunden, dass die heilige Frau, die Satzungen Gottes unverrückbar im Herzen bewahrte.“ (LMaj, 497f).

Du unvergleichlicher Schatz der Kirche:
Hier also begegnet uns auch das Bild des Schatzes wieder, wobei an dieser Stelle die Einzigartigkeit und Kostbarkeit des „Schatzes Katharina von Siena“ besonders herausgestrichen wird, einerseits von Raimund von Capua, wenn er seine LeserInnen direkt anspricht: „Hemme deinen Schritt, liebster Leser! Gehen wir nicht an diesem unvergleichlichen Schatz vorüber.“ (LMaj, 137)
Auch Papst Paul VI. verwendet in seiner Homilie dieses Bild, setzt es in die Mehrzahl und bezieht es auf Katharinas Charismen für die Menschen unserer Zeit: „Darum muss die Wohltat jener geistlichen Schätze, die der Geist austeilt, auf alle Glieder des geheimnisvollen Leibes Christi überströmen.“ (LMin, 330f). Immer noch ist Katharina in der Kirche wirksam!

Du Mystikerin edlen Geistes und göttlichen Gemüts:
In diesem Zusammenhang kommen gleich drei Päpste zu Wort. In seiner Heiligsprechungsbulle „Misericordias Domini“ dokumentiert schon Papst Pius II., dass diese „… überaus heilige Jungfrau die erhabenen Gaben des edlen Geistes, des göttlichen Gemüts und des heiligsten Willens besessen“ habe. (LMin, 320).
Auch in der Homilie Papst Pauls VI. ist Katharina die „… Mystikerin des geheimnisvollen Leibes Christi, das heißt der Kirche“ (LMin, 332).
Eine präzisere Unterscheidung trifft Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben „Amatissima Providentia“. Anlässlich des 600. Jahrestages des Heimganges Katharinas befindet sie sich „… gleichzeitig auf der Ebene der inneren Mystik und auf jener der äußeren Tätigkeit und der sozialen Mystik“ (LMin, 358). Zielsicherer hätte man Katharinas mystische Bedeutung kaum definieren können.

Du erhabene Seherin und Prophetin:
Das Charisma der Prophetie Katharinas durchzieht alle ihre Schriften sowie jene ihrer Zeitzeugen. So konnte Papst Pius II. zusammenfassen: „Sie hatte nämlich einen prophetischen Geist.“ (LMin, 324). Im Detail spricht er Katharinas „Dialog“ an: „Das Buch ist charakterisiert durch prophetischen Geist, Ausgewogenheit des Denkens und Klarheit des Ausdrucks.“ (LMin, 364).
Katharinas prophetisches Charisma beschränkte sich nicht auf ihr Erdenleben, sondern ist auch in unseren Tagen aktuell, auch für die Amtsträger der Kirche! Papst Johannes Paul II. zitiert in seinem Apostolischen Schreiben eine „denkwürdige Rede“, die Papst Pius X. im Jahr 1940 in der römischen Dominikanerkirche Santa Maria Sopra Minerva zu Ehren der beiden PatronInnen Roms, Katharina und Franz von Assisi, gehalten hat: Papst Pius II. erörtert: „… wie Caterina unseren Zeiten vorauseilt, mit einem Handeln, das die katholische Seele weit macht und sie an die Seite der Amtsdiener des Glaubens stellt.“ (LMin, 370)

Du Begnadete des Wortes und der Wissenschaft:
Katharinas außerordentliches Charisma des Wortes und der Wissenschaft kommt in jeder Zeile ihrer Schriften zum Ausdruck. Deshalb bescheinigt Papst Johannes Paul II. ihr sogar „… übermenschliche Weisheit“ (LMin, 371). Und an anderer Stelle sagt der selbe noch schöner: „Denn in ihr ließ der göttliche Geist durch die Gaben der Weisheit, des Verstandes und der Wissenschaft… wunderbare Reichtümer der Gnade und der Menschlichkeit erglänzen.“ (LMin, 356).
Ausführlicher meldete sich hier vorher schon Papst Paul VI. in seiner Homilie zu Wort: „Das aber, was am meisten an der Heiligen auffällt, ist die eingegossene Weisheit, die leuchtende, tiefe, ja berauschende Assimilierung der göttlichen Wahrheiten und Glaubensgeheimnisse, wie sie in den Büchern des Alten Testamentes enthalten sind: eine Assimilierung, wie sie, durch einzigartige natürliche Fähigkeiten begünstigt, wohl nur einem mystischen Charisma, einem Charisma der Weisheit des Heiligen Geistes zu verdanken ist. Caterina von Siena stellt in ihren Schriften eines der leuchtendsten Modelle jener Charismen der Ermahnung, des Wortes der Weisheit und des Wortes der Wissenschaft dar…“ (LMin, 330). Und pointiert heißt es ein wenig später: „Ihre Briefe sind wie Funken mystischen Feuers.“ (LMin, 331)

Du Sängerin des Lobpreises des Kostbaren Blutes:
Das Kostbare Blut Christi bedeutet die Herzmitte der Mystik Katharinas, und es wird uns etwas später nochmals ausführlicher begegnen. An dieser Stelle sollen vorerst die Würdigungen Papst Pauls VI. zum Ausdruck kommen. So stellt dieser in seiner Homilie fest: „Sie war eine Sängerin des Lobpreises auf die erlösende Kraft des anbetungswürdigen Blutes des Sohnes Gottes.“ (LMin, 331). Und der selbe bekräftigt in seinem Apostolischen Schreiben: „Natürlich nehmen in der Unterweisung Caterinas die Kraft des Blutes Christi und die Aufgabe der Kirche den ersten Platz ein…“ Und er bescheinigt ihr „… eine himmlische Weisheit, die sie … beinahe zu Blut gewandelt hatte.“ (LMin, 346f). Dies lässt bereits erkennen, dass der Begriff des Blutes bei Katharina noch weiter gefasst ist, weswegen es umso nötiger sein wird, sich mit ihm weiter unten nochmals zu beschäftigen!

Du hervorragendste Lehrerin der Wahrheit und der Liebe:
Hier haben wir es mit einem Prädikat zu tun, das zwei Päpste zu Papier gebracht haben. Katharina wurde laut Apostolischem Schreiben von Papst Paul VI. „… von Gott mit so reichen Geschenken der Weisheit und des Wissens (1 Kor 12,8) überhäuft, dass sie zur hervorragendsten Lehrerin der Wahrheit wurde. Sie war sich im höchsten Maß bewusst, dass es nun ihre Aufgabe war, mit Hilfe dieser Gaben unter den Menschen die Wahrheit zu verkünden und die Liebe zu vermehren.“ (LMin, 339).
Später wird auch Papst Johannes Paul II. die „… Lehrerin der Wahrheit und der Liebe“ in sein Apostolisches Schreiben übernehmen. (LMin, 365).

Du Meisterin des Wortes für Ungebildete und Gelehrte:
Katharina hatte die Gabe, für jede und jeden das passende Wort, den richtigen Ton zu treffen, für Menschen aus dem Volk, für Analphabeten, wie auch für Hochgebildete, und das bis hinauf zu den Kardinälen und zum Papst. Zahlreiche, in der Diktion oft höchst erstaunliche, mutige Schreiben geben davon Zeugnis.
Daneben hatte sie eine geistliche Familie, ihre „famiglia“, um sich versammelt, die sich aus Amtsträgern, ihren Mitschwestern und anderen Ordensleuten, ihren Sekretären, wie auch Menschen aus dem Volk zusammensetzten. „In dieser Familie waren Männer und Frauen jeglichen Ortes und Standes“, lesen wir auch im Apostolischen Schreiben von Papst Paul VI., „ebenso Ordensleute und Prälaten, Lehrer und Theologen, die nicht nur Caterinas Menschlichkeit und der Ruf ihrer Wunder gefangen nahm, sondern auch – und dies am allermeisten – das Licht eines Geistes, einer Begabung und eines Rates, der von oben erleuchtet war.“ (LMin, 331).

Du Trost und Hilfe für Heilige und Sünder:
In ihrem Charisma, alle, die ihr begegneten oder ihr auch nur schrieben, ganz individuell anzusprechen, ließ Katharina Ungezählten Trost und Hilfe angedeihen, egal, ob sie fest im Glauben standen oder in schwerer Schuld lebten. Der konkreten Zeugnisse davon sind es viele in ihren Biographien, so dass Papst Paul VI. in seinem Apostolischen Schreiben festhält: „Denn wie… ein und der selbe Geist einem jeden seine besondere Gabe zuteilt, wie er will (1 Kor 12,11), so muss auch allen Gliedern des mystischen Leibes Christi zuteil werden, was immer es an himmlischen Schätzen des Heiligen Geistes gibt (1 Kor 11,5; Röm 12,8; 1 Tim 6,2; Tit 2,5). Das ist nämlich der Grund, weshalb aus den Schriften und Beispielen der Jungfrau von Siena die Nachfahren ebenso ausführlich schöpften wie die Zeitgenossen…, Heilige wie auch Sünder.“ (LMin, 345). Wieder spannt der Papst den Bogen von den ZeitgenossInnen Katharinas bis in unsere Tage und betont die Aktualität ihrer Wirksamkeit bis in unsere Zeit.

3.Strophe:

Du Zeugin der unermesslichen Barmherzigkeit Gottes:
In der 3.Strophe begeben wir uns gleich in den Brennpunkt des Wirkens Katharinas hinein: die unermessliche Barmherzigkeit Gottes. Sie wird in ihrem faszinierendem Gleichnis von Christus als „Brücke“, die sich vom Himmel zur Erde spannt, besonders deutlich. (D, Kap 166, 245f ). So legt sie Christus selbst in den Mund: „Auf der Brücke liegt auch die Herberge im Garten der Kirche, die das Brot des Lebens verwaltet und spendet und das Blut zu trinken gibt, damit die wandernden Pilger, Meine ermüdeten Geschöpfe, nicht vollends ermatten. Deshalb hat Meine Liebe angeordnet, dass euch das Blut und der Leib Meines eingeborenen Sohnes, der ganz Gott und ganz Mensch wurde, gereicht werde.“ Schließlich ist die Brücke noch „mit Erbarmen überdacht“: Kein müder Pilger bleibt nach dem Willen des Herrn ungespeist.
Nach Katharina ist Gottes Heilswille geprägt von grenzenlosem Erbarmen mit den Menschen und schrankenloser Barmherzigkeit. „Verbergt euch unter den Flügeln seiner Barmherzigkeit! Denn er ist mehr bereit zu verzeihen, als ihr überhaupt sündigen könnt!“ (BMKI, Brief 173, 438). Allerdings soll der Mensch – dem Wort Jesu nach (Mt 7,7) – „… um Barmherzigkeit anklopfen“ (BMKII, Brief 331, 113). Er soll in barmherzigem Handeln im Geiste stellvertretender Sühne für die anderen eintreten; das Urteilen hingegen soll Gott allein überlassen bleiben. Später wird darauf noch einmal einzugehen sein.

Du Heilerin der Kranken und Sterbenden:
Katharina wurde leibhaftige Zeugin für den Heilswillen Gottes, der offenkundig geworden ist in Menschwerdung und Erlösung durch Jesus Christus. So besaß sie die Gabe der Heilung von körperlichen und seelischen Erkrankungen, wobei die Heilung ihres Beichtvaters und späteren Biographen, Raimund von Capua, von der Pest zu den berührendsten Berichten zählt, so dass sie, stellvertretend für viele andere Heilungen, hier zusammengefasst werden soll:
„Ein maßloser Schrecken erfasst ihn, als er – angesteckt auf seinen, von Caterina eingeforderten Krankenbesuchen – die Geschwulst einer Pestbeule ertastet. Durch sein Zeugnis erhalten wir einen einzigartigen Einblick in das Heilungsgeschehen. Raimund ist bereits nicht mehr in der Lage, das Bett zu verlassen. ‚Als sie dann kam und mich in diesem üblen Zustand fand und von meinem Leiden gehört hatte, beugte sie sogleich vor meinem Lager das Knie, berührte mit der Hand meine Stirn und begann in ihrer gewohnten Weise wortlos zu beten. Während sie betete, sah ich sie ihrer Sinne entrückt, wie ich sie bei anderen Gelegenheiten oft gesehen hatte… Während sie also etwa eine halbe Stunde so verharrte, spürte ich in allen Gliedern meines Körpers eine völlige Veränderung… Vielmehr schien es mir, als würde gleichsam mit Gewalt etwas aus den Gliedern meines Leibes herausgezogen. Ich begann mich besser zu fühlen… Was soll ich noch mehr sagen? Noch ehe die heilige Jungfrau aus ihrer Ekstase wieder erwachte, war ich völlig geheilt. Nur eine gewisse Schwäche blieb zurück, wohl als Zeichen der überstandenen Krankheit. Oder wegen der Schwäche meines Glaubens?’ Caterina ordnet an, ihm etwas zu essen zu bringen, und er empfängt die Stärkung aus ihren Händen. Daraufhin lässt sie ihn noch ein wenig ausruhen. ‚Als ich mich wieder erhob, war ich so gestärkt, als hätte ich nichts gelitten. Sie merkte es und sagte: ‚Geht an das Werk zum Heil der Seelen und dankt dem Allerhöchsten, der Euch dieser Gefahr entrissen hat!’’ Keinen Moment lang ‚genießt’ sie die Wirkung dieser Heilung oder auch nur Raimunds Dankbarkeit, unverzüglich wendet sie sich wieder ihrem Heilswirken zu.“ (Heise, 29f, nach LMaj, 319f).

Du Ermutigung der Schwachen und Betrübten:
An dieser Stelle – eine Anrufung, die eine logische Schlussfolgerung aus den vorangegangenen Prädikaten darstellt – können wir uns kürzer fassen und uns darauf beschränken, ein sensibles Wort Papst Johannes Pauls II. aufzugreifen, wenn er von Katharinas „Zärtlichkeit“ spricht „… beim Bestärken von Schwachen. Hier ist nichts Dürftiges oder Konventionelles, sondern echte Kraft auch in der Frömmigkeit.“ (LMin, 364).

Du Erleuchtete in der Erkenntnis der Seelen:
Katharinas Wirken konnte auch deshalb außerordentliche Fruchtbarkeit gewinnen, weil sie die Gabe der Erkenntnis der Seelen, der Seelenschau, besaß, so dass einer ihrer Sekretäre später, anlässlich ihres Heiligsprechungsprozesses, aussagen würde: „Wir konnten vor ihr nichts verbergen, vielmehr offenbarte sie uns, was wir als unsere Geheimnisse angesehen hatten.“ (LMaj, 206).
Nachfolgend soll erstmals der zweite gewichtige Biograph Katharinas zur Sprache kommen, Tommaso Caffarini, ehemaliger Gefährte Katharinas und späterer Begründer eines Dokumentationszentrums Katharinas in Venedig. Er hat in seiner „Legenda Minor“ eine Kurzfassung der Biographie Raimunds von Capua erstellt und es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Katharinas Leben und Wirken zu dokumentieren. Und in seinem „Supplementum“ hat er ergänzend alles zusammengefasst, was ihm über Katharina noch erinnerlich gewesen ist. Katharinas Seelenschau reichte über physisch anwesende Personen hinaus; es genügte, ihr über Dritte seine Not zu schildern oder einen Brief zu schreiben, wie im Falle eines Ordensmannes: „… als wäre der Mönch persönlich vor ihr gewesen und hätte ihr das Geheimnis seines Herzens bis aufs Letzte enthüllt“. (Suppl, 83)

Du Umkehr der Sünderinnen und Sünder:
Katharina bewies auf Grund ihrer außergewöhnlichen Sendung eine ganz außergewöhnliche Haltung SünderInnen gegenüber. So „roch“ sie die Sünde sogar physisch von Avignon bis Siena und drängte den Papst immer wieder dazu, das „Unkraut“ der Laster aus dem „Garten“ der Kirche auszureißen und „duftende Blumen“ zu pflanzen. (BMKII, Brief 206, 364, u. Brief 291, 436).
Wie bereits ausgeführt, begegnete Katharina den SünderInnen, die zu ihr kamen, überaus barmherzig, da sie in der Sünde – obwohl eine „faulende Wunde“ – einen „verborgenen Sinn“ erkannte. (BMK I, Brief 219, 145f; Suppl 62).

Du Bezwingerin des Feindes:
In diesem Zusammenhang ist zu erinnern an den eingangs betrachteten „Engel vom Himmel“, der „mit der Kette der Tugenden“ Satan fesselte. Hier kommt es nun zur Konkretisierung dieses Gleichnisses, denn es wurde Katharina auch die Gabe zuteil, einzelne Mitmenschen von Besessenheit zu befreien – ein Charisma, dem sie allerdings lieber entfliehen wollte mit der Bemerkung: „Mir reicht schon der Kampf, die die Dämonen gegen mich führen, da brauche ich nicht auch noch die bösen Geister der anderen!“ Ausführlich wird von einem Fall berichtet, in dem man eine „zufällige“ Begegnung herbeiführte, Katharina förmlich überrumpelte und sie – vor vielen Zeugen – eine Austreibung bewirkte. (LMin 198-202, zusammengefasst in: Heise, 30f).

Du Ermahnerin der Lauen:
Lassen wir einmal mehr Papst Johannes Paul II. sehr treffend zu Wort kommen: „Hier brennt eine beständige Leidenschaft für den Menschen, der Ebenbild Gottes ist und zugleich Sünder…, lebt ein Geist, der empfindsam ist für alle Mühsale der Menschheit, eine glühende Vorstellungskraft, ein Glaube, der das Wort glühend macht beim Aufzeigen von Fehlhaltungen, der es aber süß macht bis zur Zärtlichkeit beim Ermahnen von Lauen.“ (LMin, 363f).

Du Meisterin der Askese:
Angetrieben durch den Heiligen Geist, entwickelte Katharina schon in früher Kindheit eine starke Neigung zur Askese, die sich später immer mehr vertiefen sollte. Jahrelange Zurückgezogenheit vor Beginn ihres öffentlichen Wirkens und freiwillig gewählter Schlaf sowie (später zusätzlich) Nahrungsentzug führten Katharina in eine außerordentliche spirituelle Tiefe, aus der ihre außergewöhnliche Wirksamkeit zum Heil vieler Menschen – bis heute! – entspross. (LMaj, 162; 496f).

Du Mahnerin der Päpste, Bischöfe und Priester:
In zahlreichen Briefen hat Katharina Bischöfe und Priester, ja sogar Kardinäle und die beiden zu ihrer Lebenszeit amtierenden Päpste, Gregor XI. und Urban VI., zu mehr spiritueller Tiefe und Barmherzigkeit ermahnt. So soll der Papst „weise regieren“ (BMKII, Brief 370, 471f), die „Fäulnis“ in der Kirche entfernen, um nicht sein „Gewissen zu belasten“, und schließlich: „Ihr könnt und müsst wenigstens Eure Pflicht tun und das Euch Mögliche dazu beitragen, um den Schoß der heiligen Kirche rein zu waschen.“ (ebd, Brief 467, 466). „Verschafft den quälenden Wünschen Eurer Diener, die vor Kummer vergehen und doch nicht sterben können, Erleichterung!… Mit Sehnsucht warten sie darauf, dass Ihr als wahrer Hirte Hand anlegt an die Erneuerung – und zwar nicht nur mit Worten, sondern durch Taten.“ (ebd., Brief 291, 437). „Ich bitte Euch, lieber Vater, gebraucht Eure Autorität und Macht! Gebraucht sie voll Eifer und zum Heil der Seelen!“ (ebd., Brief 206, 364).
Zusammenfassend sagt Papst Paul VI. in seiner Homilie dazu: „An Kardinäle sowie an viele Bischöfe und Priester richtete Caterina ebenfalls drängende Mahnungen; sie hielt dabei auch nicht mit kräftigem Tadel zurück, der freilich immer beseelt war von echter Demut und von der Hochschätzung vor der Würde der Diener des Blutes Christi.“ (LMin, 333).

Du Vermittlerin des Friedens:
Nicht zu vergessen ist Katharinas politische Bedeutung in Italien! Papst Paul VI. resümiert: Es „… versuchte die heilige Jungfrau alles, um die Städte davon abzuhalten, auf Grund ihres untereinander bereits geschlossenen Vertrages gegen den Heiligen Stuhl vorzugehen. Mit allen Kräften bemühte sie sich, die Stadt Florenz mit dem Papst zu versöhnen, nachdem er über sie das Interdikt verhängt hatte. Dazu veranlasst kam es dazu, dass Caterina einen langen und überaus beschwerlichen Weg auf sich nahm und nach Avignon reiste… So groß war die Frömmigkeit dieser Jungfrau, ihr Eifer und ihre Weisheit, dass sie den Papst nicht nur zur Milde stimmte, sondern ihn auch dahin brachte, nach Rom zurück zu kehren, dem Sitz und Wohnort des Stellvertreters Christi…. Dann begab sie sich nach Pisa und ins Orcia-Tal, wo sie über göttliche Themen sprach und auch einige zerstrittene Mitglieder der Familie Salimbeni wieder besänftigte. Aus dem selben Grund ist die Vermittlerin des ersehnten Friedens bald darauf nach Florenz aufgebrochen. Dort hat sie, nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten und vielfältiger Gefahren, die Bürger dieser Stadt mit dem höchsten Pontifex Urban VI., der inzwischen Gregor XI. in die Leitung der Kirche nachgefolgt war, zu versöhnen.“ (LMin, 341f).

4. Strophe:

Du Jungfrau von glänzendem und unvergänglichem Gedenken:
Die letzte Strophe der Litanei zur heiligen Katharina von Siena beginnt mit einem, beinahe möchte man sagen „schillernden“, Zitat Papst Pius II.: Von der „erleuchteten und für immer gepriesenen Jungfrau“ steigert er seinen Lobpreis Katharinas bis hin zur „Jungfrau von glänzendem und unvergänglichen Gedenken“, wobei letzteres Prädikat von Papst Johannes Paul II. nochmals aufgegriffen wird (LMin 326 u. 370).

Du Spiegel der Ewigen Schönheit:
Auf Grund ihrer Gabe der Seelenschau vermochte Katharina die „potentielle Schönheit“ der menschlichen Seele, ohne Verunstaltung durch die Sünde, zu sehen.(LMaj, 205f). Sie ist der Spiegel der Schönheit Gottes selbst.
„Als Gott in sich hineinblickte“, schreibt Katharina, „verliebte er sich in die Schönheit seiner Geschöpfe und wurde so sehr hingerissen vom Feuer seiner unschätzbaren Liebe, dass er uns erschuf.“ (BMKII, Brief 28, 274). Gott hat den Menschen „nur dazu“ geschaffen, um als Abbild seiner Schönheit ihn, die Schönheit selbst, im ewigen Leben zu schauen und sich ewig an ihm zu freuen! (BMKII, Brief 223, 276).
Die Seele als Spiegel der ewigen Schönheit Gottes: Ein Prädikat, das der Autorin der Litanei ein ganz besonderes Anliegen darstellt.

Du Autorin der Vorsehung Gottes:
Das zweite Prädikat, das der Autorin der Litanei sehr am Herzen liegt: Katharina von Siena als Frau und Autorin der Vorsehung Gottes! Bereits Caffarini – im 14.Jahrhundert! – getraute sich in seiner Biographie die „… Beständigkeit ihrer Grundsätze, die Bedeutsamkeit ihrer Rede, die Klugheit der Urteile sowie die Feinheit ihrer theologischen Gedanken“ in ihren Briefen zu preisen. Und er fährt fort: „Etwas später, gegen Ende ihres kurzen Lebens, diktierte Caterina in ekstatischem Zustand ein Buch – im Volksmund ‚Dialog von der göttlichen Vorsehung’ genannt -, dessen ganzer Aufbau darin gelegen ist, dass ihre Seele fragt und Gott der Fragenden Antworten gibt. So geschieht es, dass der ewige Vater des Himmels vieles von dem, was sich auf das ewige Leben bezieht, – sei es im einzelnen oder die ganze Kirche betreffend – Caterina erklärt… Was sie schrieb, ist außerdem ein ruhmvolles Beispiel und Denkmal jener Gnaden, die in Worten der Aufmunterung, Weisheit und Wissenschaft bestehen, wie sie nach dem Zeugnis des hl.Paulus in der ersten Zeit der Kirche wirksam waren… Daher ist es Recht, auf Caterina die Worte des Sohnes des ewigen Vaters zu übertragen: ‚Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat.’ (Joh 7,16)… Denn nicht darum ging es der heiligen Jungfrau, ein menschliches und oberflächliches Wissen zu vermitteln, sondern eine himmlische Weisheit, die sie – aus den Schriften genommen – beinahe zu Blut gewandelt hatte…“ (LMin, 344-346).
In ihrer „ihr eigenen und geradezu einzigartigen Weise“ schreibt Katharina „… zu Recht: ‚Ich lade euch ein, in dieses einzig friedvolle und tiefe Meer glühendster Liebe hinein zu tauchen. Ich habe das jetzt aufs neue erlebt – nicht weil das Meer selbst neu ist, sondern weil es für mich neu ist im Gefühl meiner Seele – beim Bedenken des Wortes: Gott ist die Liebe.’“ (LMin 346, zu Brief 146, dieser: BMKI, 43).
Auch zu Katharinas „Dialog“ findet sich ein förmlich „schillerndes“ Wort, hier aus der Feder Papst Johannes Pauls II.: „Mit feiner psychologischer Intuition wirft sie Lichtbündel auf den Weg der Vollkommenheit… Die Weite der Perspektiven, die zusammenhängenden Erfahrungsanalysen und die funkelnden Bilder und Begriffe machen aus diesem Werk ‚ein Kleinod der religiösen italienischen Literatur’ (E.Underhill, Mysticism. 467).“ (LMin, 365).
Gleich anschließend geht der selbe Papst noch auf die von Katharina erhaltenen Gebete ein: „Schließlich gibt es noch die ‚Gebete’, die man in den letzten Lebensjahren von ihren Lippen erntete, als die Heilige ihre Seele und ihre Sehnsucht im unmittelbaren Sprechen mit dem Herrn ausgoss. Es sind echte Improvisationen, die spontan aufsteigen aus dem in göttliches Licht getauchten Geist und aus dem Herzen, das Schmerz empfindet über das Elend der Menschen.“ (LMin, 365).

Du Mystikerin des Allerheiligsten Sakraments des Altares:
Die dritte Anrufung, auf die die Autorin der Litanei größten Wert legt! Katharina drängt es, als „Mystikerin des Allerheiligsten Sakraments des Altares“ der Kirche von heute eine wahrhaft entscheidende Hilfe anzubieten!
Katharina definiert die Eucharistie vom Begriff des Blutes und der Menschwerdung Christi her: „Nur das Blut kann unseren Hunger stillen, denn das Blut wurde vermischt und geknetet zu einem Teig mit der ewigen Gottheit.“ (BMKI, Brief 87, 216).
Der Kommunionempfang (dem möglichst häufige Beichten vorausgingen) war bei Katharina stets begleitet von Ekstasen und Visionen, oft vor zahlreichen Zeugen; Caffarini gibt sie im Supplementum gesammelt wieder. So hat Katharina Christus im Brot „gesehen“ (LMin, 136) und konnte eine konsekrierte von einer unkonsekrierten Hostie unterscheiden (LMin 136). Als sie einmal nach dem Brechen der Hostie Blut an den Händen des Priesters gewahrte und Christus nach dem Sinn ihrer eucharistischen Visionen fragte, wurde ihr gesagt: „Nicht deinetwegen, sondern um anderer willen, die dir glauben werden.“ (Suppl, 92). Schließlich ernährte sich Katharina jahrelang nachweislich nur mehr von der Eucharistie und klarem Wasser (LMaj, 496f), wodurch sie uns zu einem lebendigen Zeichen der Unverzichtbarkeit des leiblichen Empfanges der Eucharistie, einer „wahren Speise“ und eines „wahren Trankes“ (Joh 6,55), geworden ist.

Du wunderbare Hilfe für die Kirche unserer Zeit:
Wir kommen zum ersten von drei Prädikaten, die die Aktualität Katharinas „für die Kirche unserer Zeit“ aufzeigen.
Nach Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben, „… erhoffen wir uns dadurch eine wunderbare Hilfe für die Kirche unserer Zeit.“ (LMin, 339).
Papst Johannes Paul II. holt in den Schlussworten seines Apostolischen Schreibens weiter aus: „Die außergewöhnliche Rolle, die Caterina von Siena gemäß den geheimnisvollen Plänen der göttlichen Vorsehung in der Heilsgeschichte spielte, hat sich nicht erschöpft in ihrem seligen Hinübergang in die himmlische Heimat. Denn sie fuhr fort, in der Kirche heilsamen Einfluss auszuüben, sei es durch ihre leuchtenden Tugendbeispiele, sei es durch ihre wunderbaren Schriften. Daher haben die Päpste, meine Vorgänger, einmütig ihre immerwährende Aktualität gepriesen, wobei sie sie beständig den Gläubigen zur Bewunderung und Nachahmung vorstellten.“ (LMin, 369f).

Du leuchtendes Beispiel für alle Gläubigen:
Wieder betont ein Papst Katharinas Aktualität auch heute: In der Homilie Papst Pauls VI. ist Katharina in ihrer Botschaft eines „… ganz lauteren Glaubens, einer demütigen und großmütigen Hingabe an die Kirche heute… ein leuchtendes Beispiel für alle, die sich rühmen, zu dieser Kirche zu gehören.“ (LMin, 335).

Du Mutter und Freundin aller, die auf dich hoffen:
„… so stellen wir tatsächlich fest“, resümiert Papst Paul VI. in seinem Apostolischen Schreiben, „dass Caterina – obgleich sie aus dem Volk war, keine Schule besucht hatte und kaum schreiben oder lesen konnte – so viele Beispiele himmlischer Weisheit von sich gab und in ihrem Sprechen derart erleuchtet war, dass sie eine einzigartige Familie von Schülern anzog, die wie Kinder die Nahrung für den Geist aufsaugten und sie mit dieser süßen Bezeichnung der Italiener „Mamma“, d.h. Mütterchen, nannten. Diese waren aber nicht nur durch Arbeit und Studium bereit zu apostolischen Unternehmungen und zu Werken der Nächstenliebe, sondern sie überließen sich gänzlich dem Heiligen Geist, der in ihr sprach (vgl.
Mk 13,11).“ (LMin, 343).
Katharina selbst war es, die auf ihrem Sterbebett zugesagt hat: „Euch aber verspreche ich fest, dass ich euch nach meinem Tod nützlicher sein will, als ich es je war und sein konnte, solange ich mit euch in diesem dunklen Leben voll Elend war.“ (LMaj, 449).

Du Schutzengel der Kirche:
So gewichtig das Prädikat eines „Schutzengel der Kirche“ auch sein mag, so erstaunlich nebenbei flicht es Papst Johannes Paul II. in seine Ausführungen ein: „An solcher Logik hat sich die ganze Tätigkeit dieses Schutzengels der Kirche inspiriert zu Gunsten der römischen Papstwürde.“ (LMin, 389).
Umso interessanter ist der Zusammenhang, in den das Prädikat gestellt ist: die Rolle des Papstes, des „Christus auf Erden“, bei Katharina! Vorangestellt ist u.a. ein Zitat aus ihrem Brief 313, in dem der Papst als „Verwalter“ (anderswo auch als „Kellermeister“ oder „Türhüter“, niemals aber „Besitzer)“ des „Blutes“ dargestellt ist. (s. auch BMP, Brief 313, 342; sowie BMKII, Brief 291, 435; Brief 239,398; Brief 305, 551f ).

Du Patronin Europas:
Wir kommen nun zu den beiden höchsten Titeln, die Frauen in der Kirche jemals verliehen worden sind (und die Katharina von Siena als einzige beide trägt).
Am 1.Oktober 1999 proklamierte Papst Johannes Paul II. Katharina, zusammen mit Birgitta von Schweden und Edith Stein, zur Patronin Europas.

Du Lehrerin der gesamten Kirche:
Bereits am 4.Oktober 1970 hatte Papst Paul VI. Katharina zur wohl höchsten Ehre und Kompetenz in der Kirche erhoben und, zusammen mit Teresa von Avila, zur (ersten weiblichen) Kirchenlehrerin erklärt. Es sollten bis heute nur noch zwei weitere weibliche Kirchenlehrerinnen folgen: Therese von Lisieux und Hildegard von Bingen.
Im Apostolischen Schreiben anlässlich der Erhebung Katharinas zur Kirchenlehrerin heißt es: „Die Heilige Caterina von Siena ist würdig, von uns in die Liste der Kirchenlehrer eingetragen zu werden… In sicherem Wissen und reiflicher Überlegung sowie aus der Fülle apostolischer Macht erklären wir die Heilige Caterina von Siena, Jungfrau von Siena, zur Lehrerin der gesamten Kirche.“ (LMin, 352).

 

Zu den theologischen Begriffen Katharinas im Fürbittgebet:

Vorauszuschicken ist, dass die drei folgenden Begriffe bei Katharina untrennbar miteinander verbunden und auch nur im Gesamtzusammenhang in ihrer ganzen Tragweite richtig zu verstehen sind, was in der gegenständlichen Litanei vielleicht erstmals klar zum Ausdruck und zum richtigen Verständnis kommt – vor allem im Hinblick auf die Eucharistie.

Liebendes Verlangen:
Der Begriff des „Liebenden Verlangens“ ist ein Hauptthema in Katharinas Theologie.
Katharina geht davon aus, dass sich unsere Sehnsüchte, letztendlich die Sehnsucht nach Liebe, auf Erden nie ganz erfüllen lassen, auch wenn wir einer (oft vermeintlichen) Erfüllung mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln nachjagen. So ist auch Liebe nie ganz frei von Sehnsucht, einer Sehnsucht nach „mehr“ oder „noch mehr“, selbst in der glücklichsten menschlichen Beziehung. Diese Sehnsucht nach Liebe, ganz auf Gott ausgerichtet, durchzieht als „liebendes Verlangen“ das gesamte Leben und Wirken Katharinas.
Fakt ist für Katharina: Die menschliche Seele vermag nie vollends glücklich zu sein, bevor sie nicht mit Gott vereint ist, da sie auf unendliche Liebe ausgerichtet ist und ohne Liebe nicht leben kann – auch wenn es „ungeordnete Liebe“ (BMKI, Brief 287B, 388) ist.
Die größtmögliche Stillung unseres liebenden Verlangens auf Erden geschieht in der Vereinigung mit Gott im Allerheiligsten Sakrament, der Eucharistie. Das liebende Verlangen vergleicht Katharina deshalb mit einer Kerze, die erst durch den Empfang der Eucharistie entzündet werden kann. (D, Kap. 110, 143). Anderenfalls wären wir „eine Kerze ohne Docht, die weder brennen noch Licht empfangen kann.“ (vgl. Heise, 102-105).

Stellvertretende Sühne:
Auch Stellvertretung, stellvertretendes Leiden, nimmt in Katharinas Leben, Wirken und in ihrer Lehre einen zentralen Platz ein. Denn nicht allein Leiden und Krankheiten anderer bewirkten in Katharina „Mitleid“ (heute würden wir das italienische „compassione“ bei Katharina besser übersetzen mit „Empathie“), sondern auch die Sünden und Schwächen anderer. „Ich aber weiß genau“, betet sie zu Gott, „was ich tun soll: Ich werde alle unsere Mühsale mit dem geliebten Sohn (Jesus) ertragen und hintreten zu deinem grenzenlosen Erbarmen.“ (Suppl, 60).
Die Amtsträger fordert Katharina auf, den Beichtenden keine unerträglichen (womöglich lebenslänglichen) Lasten aufzubürden, sondern die Buße auf sich zu nehmen: Die Versagenden, ja sogar die schweren SünderInnen, werden so „herausgezogen“ aus ihrer Schuld. (D, Kap. 119, 158; Heise 174-179).
Eines ihrer anspruchsvollsten Bilder bringt die stellvertretende Sühne mit dem liebenden Verlangen in Zusammenhang: Das „Seelen Verspeisen am Tisch des Kreuzes“ „mit dem Mund des heiligen Verlangens“ (D, Kap. 76, 94).

Kostbares Blut Jesu Christi:
Katharina war durch ihre mystischen Erfahrungen und ihre Stigmatisierung vom Blut Christi über alle Maßen geprägt. Selbst wenn die Stigmatisierung auf Wunsch Katharinas unsichtbar geblieben ist, können wir doch von einer ständig präsenten, körperlichen Erfahrung mit dem Blut Christi ausgehen. Erinnert werden wir dabei an Paulus: „Zieht an Jesus Christus als Kleid!“ (Röm 13,14). Katharina war buchstäblich mit dem Blut Christi bekleidet!
Das Blut Christi erlebt Katharina als mit „Feuer“ vermischt – mit dem Heiligen Geist auf Grund der Einheit Christi mit der göttlichen Natur. In der Menschwerdung Jesu hat der Heilige Geist das menschliche Blut „angerührt“ und die Vereinigung von Gottheit und Menschheit zum Neuen Bund in seinem Blut bewirkt. (Heise, 232f).
Der Begriff des Blutes – obwohl weiter gefasst – ist bei Katharina immer im Zusammenhang mit der Eucharistie zu sehen. Wie schon weiter oben bemerkt, ist für Katharina der Papst der „Verwalter“, „Kellermeister“ oder „Türhüter“ zum Kostbaren Blut.
Das „Blut“ hat bei Caterina aber auch eine übergeordnete Bedeutung. So spricht sie davon, wir sollen „das Gedächtnis mit Blut füllen“ (BMKI, FN5, 20). Hier geht es, über die Eucharistie hinaus, um die Wohltaten Gottes überhaupt. Wir sollen uns bemühen, immer im Gedächtnis zu behalten, was Gott uns Gutes getan hat; sollen dadurch die Beziehung zu Gott lebendig erhalten, um an Liebe und Dankbarkeit ihm gegenüber zu wachsen. „Bewahrt euch die ständige Erinnerung an das Blut, jenen Preis, mit dem ihr so liebevoll erkauft wurdet.“ (BMKII, Brief 261, 149).

Nun kommen wir zum Kontext aller drei Begriffe:
Die Priester sollen „freigiebig sein“ und „das Blut“, die Eucharistie, „… jedem spenden, der sie demütig darum bittet.“ (D, Kap 114, 147). Sie dürfen, ja sollen dies tun, da ja sie selbstdie Amtsträger, die Buße der SünderInnen in stellvertretender Sühne auf sich nehmen sollen.
Die häufige Beichte schließt Katharina dabei mit ein (sie selbst beichtete am liebsten täglich!).
Tatsächlich „würdig“, das Kostbare Blut des Gottessohnes zu empfangen, ist bei Katharina niemand. Die eigene Unwürdigkeit ist kein Grund, nicht zu kommunizieren: „Willst du warten, bis du würdig bist? Warte nicht, denn du bist weder am Anfang noch am Ende würdig! Trotz all unserer Gerechtigkeit werden wir nie würdig sein. Aber Gott ist würdig, und mit all seiner Würde macht er uns würdig… Wenn wir die Kommunion unterlassen, weil wir uns nicht würdig fühlen und meinen, die Sünde meiden zu können, werden wir erst recht in Sünde fallen.“ (LMaj, 382).
Ausschlaggebend für den Empfang ist – neben dem rechten Glauben – das liebende Verlangen danach, die Sehnsucht nach Gott, die es durch Gebet und Buße zu nähren gilt. So ist die Eucharistie schuldig Gewordenen und Gescheiterten besonders zugedacht: „So groß wird euer Anteil… an den Gnadengaben des Sakramentes sein, als die Sehnsucht groß ist, mit der ihr bereit seid, es zu empfangen.“ (D, Kap 110, 143). (Heise, 316ff).
In diesem Sinne trägt das Fürbittgebet am Ende der Litanei ein sehr dringendes, zeitgemäßes Anliegen vor Gott:
„Gütiger und barmherziger Gott, du hast uns in der Lehre der heiligen Caterina von Siena einen Schlüssel zur Lösung der brennendsten Fragen in der Kirche von heute geschenkt. Lehre uns, ihn zu ergreifen in liebendem Verlangen und einer Bereitschaft zu stellvertretender Sühne, in der uns Caterina ein einzigartiges Beispiel gewesen ist, damit dein unermessliches Erbarmen auch an jenen in der Kirche offenbar werden kann, die seiner am meisten bedürfen. Durch das Kostbare Blut Jesu Christi, unseres Herrn. Amen.“

Wien, am 10 09 2011
Prof.in Irene Heise, Wien
Internet: http://www.irene-heise.com/Litanei%20-%20Erlaeuterungen,%20fertiger%20Satz.pdf

 

III. Verzeichnis der Quellen und Abkürzungen

Der vorliegenden Arbeit liegen folgende Quellen zu Grunde:

BMKI  Caterina von Siena. Sämtliche Briefe. An die Männer der Kirche I,
      Hg.: Werner Schmid, Verlag St.Josef, Kleinhain, 2005, 557 S.
BMKII Caterina von Siena. Sämtliche Briefe. An die Männer der Kirche II,
      Hg.: Werner Schmid, Verlag St.Josef, Kleinhain, 2005, 544 S.
BO    Caterina von Siena. Sämtliche Briefe. An die Ordensfrauen,
      Hg.: Werner Schmid, Verlag St.Josef, Kleinhain, 2007, 423 S.
BMP   Caterina von Siena. Sämtliche Briefe. An die Männer der Politik,
      Hg.: Werner Schmid, Verlag St.Josef, Kleinhain, 2009, 465 S.
D     Caterina von Siena, Gespräch von Gottes Vorsehung,
      eingeleitet von E.Sommer v. Seckendorff u. H. Urs v. Balthasar,
      Johannes Verlag, Einsiedeln, 4.Aufl. 1993, 253 S.
LMaj  33 Jahre für Christus. Raimund von Capua, Das Leben der hl.Caterina
      von Siena,
      Hg.: Werner Schmid, Übers.: Dr.Josef Schwarzbauer, Verlag St.Josef,
      Kleinhain, 2006, 540 S.
      Das Werk ist - fast zeitgleich mit einer weiteren Übersetzung - die
      erste komplette, deutschsprachige Ausgabe der „Legenda Major“ des
      Raimund von Capua!
LMin  Tommaso Caffarini, Caterina von Siena. Erinnerungen eines Zeitzeugen.
      Die Legenda Minor,
      samt Anhang - Das Zeugnis der Kirche, Päpstliche Dokumente, Hauptteile
      in deutscher Übersetzung, samt Kurzkommentaren, S. 320 - 372.
      Hg.: Werner Schmid, Verlag St.Josef, Kleinhain, 2001, 400 S.
Suppl Tommaso Caffarini, Das Supplementum. Biographische Ergänzungen
      zu Caterina von Siena,
      Hg.: Werner Schmid, Übers.: Dr.Josef Schwarzbauer, Verlag
      St.Josef, Kleinhain, 2005, 463 S.
      Das Werk ist die erste deutschsprachige Übersetzung überhaupt und eine
      neu zu erschließende Quelle!
Heise Irene Heise, Caterina von Siena - Gebt ihnen zu essen! Die mystisch-
      theologische Kompetenz der Kirchenlehrerin und Patronin Europas als
      Schlüssel für eine befreiende Sakramentenpraxis,
      Verlag Irene Heise, Wien, 3.Auflage 2011, 325 S.

DIE HEILIGE CATERINA VON SIENA – Kirchenlehrerin und Patronin Europas

Am 1. Oktober 1999 ernannte Papst Johannes Paul II. drei heilige Frauen zu Schutzpatroninnen Europas: Birgitta von Schweden, Caterina von Siena und Edith Stein. Seine Wahl fiel auf diese drei, weil sie sich durch die„tatkräftige Liebe zur Kirche“ und durch das „Zeugnis für sein Kreuz“ ausgezeichnet haben und weil die „Heiligkeit mit weiblichem Antlitz“ gerade für unsere Zeit „besonders bedeutsam“ ist.

Das Ende der päpstlichen Universalherrschaft

Katharina von Siena

Katharina von Siena

Zu Beginn des Jahres 1377 schrieb die hl. Caterina an Papst Gregor XI.: „Der eigentliche Schatz der Kirche ist das Blut Christi zur Erlösung der Seelen. Und dieses Blut wurde nicht vergossen um des weltlichen Besitzes willen, sondern zur Erlösung der Menschheit … Es ist also viel besser, das Gold des weltlichen Besitzes fahren zu lassen als das Gold des geistlichen Besitzes. Tun Sie also Ihr Möglichstes … und Sie werden Ihre geistliche wie weltliche Macht wieder erlangen.“

Das Mittelalter war gekennzeichnet von der Idee der Einheit von geistlicher und weltlicher Herrschaft. Wie Seele und Leib, so sind auch Kreuz und Krone aufeinander bezogen. Ein- und derselbe Mensch ist Bürger dieser Welt und zugleich Kind Gottes.

Christus allein ist der Herr der Christenheit, und seinem Repräsentanten auf Erden, dem Papst, kommt deshalb eine besondere Stellung zu. Aus der Erhabenheit des Geistlichen über das Leibliche wird im Mittelalter die Überordnung der Kirche über den Staat abgeleitet. Der daraus entstehende Konflikt mit dem Imperium dauerte zwei Jahrhunderte und endete zunächst mit einem Sieg des Papsttums.

In Wahrheit war dies aber der Anfang vom Ende der abendländischen Einheit. Denn in dem Maße wie die kaiserliche Autorität im Reich geschwächt wurde, fühlten sich die lokalen Regenten in ihrer Macht gestärkt. Den aufstrebenden Nationalstaaten gegenüber konnte der Papst zur Durchsetzung seiner Herrschaft nichts entgegensetzen.

Als der französische König den Papst in dem italienischen Städtchen Anagni handstreichartig gefangennehmen ließ, war es mit der päpstlichen Weltherrschaft vorbei. Aus der bisherigen Freiheit der Kirche wurde eine politische Abhängigkeit von Frankreich, und zwar so sehr, daß der Papst seine Residenz von Rom nach Avignon verlegte. 70 Jahre dauerte diese „babylonische Gefangenschaft“, die für die Kirche ungemein schädlich war.

In München war  inzwischen Ludwig der Bayer an die Macht gekommen. Als Johannes XXII. von Avignon aus gegen seine Wahl protestiert, ist Ludwig nicht mehr bereit, seine Regentschaft vom Papst genehmigen zu lassen. Er zieht nach Rom, macht sich selbst zum Kaiser und setzt vorübergehend einen Gegenpapst ein.

Um sein Vorgehen auch intellektuell und theoretisch abzusichern, schart er um sich die Papst- und Kirchenkritiker seiner Zeit. Bekannt sind der englische  Franziskanerpater Wilhelm von Ockham und der Magister der Pariser Universität Marsilius von Padua. In seinem berühmten Werk „Defensor pacis“ unterzieht er die Kirche und das Papsttum einer scharfen Kritik. Diese Ideen haben Einfluß genommen auf die späteren Jahrhunderte und wirken sich aus bis zum heutigen Tag: Die Macht geht vom Volk aus. Das Wort von der „Volkssouveränität“ wird geboren. Die Kirche sei nicht göttlichen Ursprungs, das Papsttum nicht göttlichen Rechts, die Hierarchie eine menschliche Erfindung, und oberste Autorität in der Kirche sei nicht der Papst, sondern das Konzil.

Die deutschen Kurfürsten legen fest, daß ein von ihnen gewählter Kandidat von nun an keine päpstliche Bestätigung mehr braucht. Sie sind jetzt die eigentlichen Königsmacher. 10 Jahre später wird in der goldenen Bulle die Wahlordnung der dt. Könige festgelegt, worin der Papst mit keinem einzigen Wort mehr vorkommt. Die Macht der ma. Papsthoheit war damit definitiv zu Ende.

Ludwig der Bayer, der zuvor noch das Kloster Ettal gegründet hatte, stirbt auf einer Bärenjagd in Fürstenfeldbruck bei München. Er hat sich mit dem Papst zwar nicht mehr versöhnt, aber er starb in den Armen eines einfachen Bauern mit dem Gebet auf den Lippen: „Süße Königin, unsere Herrin, steh mir bei in meinem Sterben.“ Es war das Jahr 1347.

In diesem Jahr 1347 wird in Siena das 24. Kind der Färbersfamilie Benincasa geboren.  Und damit sind wir – nach dieser notwendigen Einleitung – beim eigentlichen Thema unseres Abends.

In der Zeit also, wo durch Marsilius von Padua die Idee beginnt, der Mensch könne sich von Gott emanzipieren und die Kirche sei nur eine menschliche Institution, wird Caterina von Gott damit beauftragt, den Menschen ihre Geschöpflichkeit und Gottebenbildlichkeit wieder bewußt zu machen, die Heilsnotwendigkeit der Kirche vor Augen zu stellen und die Hirten zu ermahnen, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu besinnen.

Die hl. Caterina von Siena

In der hl. Caterina von Siena begegnen wir einer der wunderbarsten Gestalten der Weltgeschichte. Papst Paul VI. hat sie im Jahre 1970 zur Kirchenlehrerin erhoben.  10 Jahre später nennt sie Papst Johannes Paul II. einen „Schutzengel der Kirche“, und im Herbst letzten Jahres erfolgte – neben der hl. Birgitta von Schweden und der hl. Sr. Theresia Benedicta a Cruce, Edith Stein, ihre Ernennung zur Mitpatronin Europas.

Vom hl. Franziskus heißt es, daß er in seiner Gestalt das Leben des Herrn noch einmal auf Erden sichtbar gemacht hat. Wenn es eine Frau gibt, von der man Ähnliches sagen könnte, dann ist es die hl. Caterina von Siena. Sie wird durch Gottes Gnade in eine solche Vertrautheit und Liebe zu Christus geführt, daß es für uns schwer ist, sich dies irgendwie annähernd vorzustellen. Ihr Leben dauert – wie das Leben des Herrn – nur 33 Jahre. Sie stirbt im Gehorsam gegenüber Christus aus Liebe zur Kirche.

Caterina ist zuallererst Mystikerin. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, weil sie dem Mysterium, dem Geheimnis aller Geheimnisse, dem unendlichen Gott, selbst begegnet ist. Sie hat als 27-jährige in Pisa vor dem Bildnis des Gekreuzigten an ihrem Leib die Wundmale des Herrn empfangen, und 5 Jahre zuvor erlebt sie in einer Vision, wie ihr Christus das Herz aus der Brust nimmt, um ihr sein eigenes einzusetzen.

Was der hl. Paulus den Galatern geschrieben hat: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ (Gal 2,20), ist bei Caterina erlebbare Wirklichkeit geworden. Für Caterina ist dies der Beginn einer ungewöhnlichen Sendung. Nun soll sie mit dem Herzen Jesu hinausgehen zu den Menschen. Christus führt sie zu den Sündern, zu den Armen, zu den verfeindeten Familien und Parteien, zu den Großen des öffentlichen Lebens, der Politik und der Kirche. Dabei begleitet sie eine Jüngerschar, bestehend aus Anhängern und Verehrern, für die sie sich als geistliche Mutter verantwortlich weiß und die ihr wie blind gehorchen.

Als sie bei einem Aufstand in Florenz von den Häschern gesucht und schließlich betend in einem Garten gefunden wird, bietet sie bereitwillig ihr Leben an und bittet nur um Schonung für ihre Jünger. Unwillkürlich erinnert diese Szene an die Gefangennahme Christi im Ölgarten. Wie bei Christus wichen auch bei Caterina die Soldaten zurück und ließen ihre Waffen sinken. Für den Herrn begann mit Getsemane die Erfüllung seines Auftrages vom Vater. Für Caterina war diese Stunde noch nicht gekommen.

Fünf Orte werden für Caterina bestimmend: die Heimatstadt Siena, die Kulturmetropole Florenz, die Hafenstadt Pisa, das päpstliche Avignon in Frankreich und Rom. Diese fünf Städte bilden sozusagen die Eckpunkte bzw. den Rahmen, zwischen denen ihr Leben ausgespannt war.

Das 14. Jahrhundert

Die Zeit, in die wir uns zurückversetzen müssen, ist das 14. Jahrhundert. In Italien ist es bereits die Frührenaissance, künstlerisch und kulturell hochbedeutend. Als Caterina 1347 in der Mitte des Jahrhunderts geboren wird, schreiben Petrarca und Bocaccio ihre großen Werke, Pisa, Florenz und Siena erweitern und vollenden ihre Dome, und die Maler Botticelli, Donatello, Masaggio, Mantegna und Filippo Lippi verewigen sich durch ihre berühmten Werke. Im Herzogtum Österreich regiert Rudolf der Stifter, und im deutschen Sprachraum entstehen die großen Universitäten Prag, Wien, Heidelberg und Köln.

Die Mitte des 14. Jhdts. ist aber auch eine Zeit großer Unruhen und Ängste. Ein Jahr nach Caterinas Geburt bricht über Europa die Pest aus, der fast die Hälfte der Einwohner zum Opfer fallen; zwischen Frankreich und England tobt der Hundertjährige Krieg, in Italien bekämpfen sich die Adelsparteien, und das Land wird von plündernden Söldnerbanden verwüstet.

Die Versuche der Päpste, nach ihrem Weggang aus Rom den Kirchenstaat von Frankreich aus irgendwie zu regieren, brachten keinen Erfolg. Ebenso erfolglos war der kurze Versuch einer Rückkehr von Papst Urban V. Die französischen Legaten und Vikare waren in Italien nicht beliebt. Außerdem störten sie die aufstrebende Selbständigkeit und das eigenmächtige Regieren der Stadtrepubliken.

Als sich Florenz und Mailand verbünden und zum Aufstand gegen den Papst drängen, folgen im Kirchenstaat 80 Städte diesem Aufruf. Die Antwort des Papstes – nach ergebnislosen Verhandlungen mit den Florentinern – war das Interdikt über Florenz und die mit ihm verbündeten aufrührerischen Städte. Das Interdikt ist eine Kirchenstrafe, die besagt, daß für eine Stadt oder ein ganzes Gebiet jegliche gottesdienstliche Handlungen untersagt sind. Ausgesetzt waren damals auch alle Verträge und Handelsbeziehungen.

Caterinas politische Tätigkeit

In dieser dramatischen Stunde tritt Caterina auf die Bühne der politischen Geschichte. Caterina ist bereits 28. In ihrem ersten uns erhaltenen Brief an Papst Gregor XI. erinnert sie ihn an die Wunden der Kirche und an seine notwendige Rückkehr nach Rom: „Wenn Sie bisher nicht recht entschlossen gewesen sind, so bitte und beschwöre ich Sie, von nun an als mutiger Mann zu handeln und Christus nachzufolgen, dessen Stellvertreter Sie ja sind. Fürchten Sie nichts, liebster Vater, weder die Stürme, die Sie bedrohen, noch den grollenden Aufruhr. Wachen Sie über die Angelegenheiten der Kirche, setzen Sie gute Hirten und in den Städten gute Obrigkeiten ein, denn die schlechten Hirten und die schlechten Obrigkeiten sind die Ursache der Auflehnung. Kehren Sie nach Rom zurück .. .zögern Sie nicht mehr. Ihre Säumigkeit hat schon viel Verwirrung entstehen lassen, und Satan versucht alles, um ihre Rückkehr zu verhindern. Mut, Heiliger Vater, keine Nachlässigkeit mehr!“

Mit den rebellischen Florentinern spricht sie in einem anderen Ton. Eine Auflehnung gegen den Papst ist für Caterina wie eine Auflehnung gegen Christus. An ein Regierungsmitglied der Stadt schreibt sie: „Ihr wißt, daß ein Glied, das von seinem Haupte getrennt ist, kein Leben in sich haben kann. Weil es nicht vereint ist mit dem, was ihm Leben mitteilt. So sage ich, geht es der Seele, die geschieden ist von der Liebe und Gnade Gottes, den Seelen derer, die ihrem Schöpfer nicht folgen, sondern vielmehr mit vielen Beleidigungen und schweren Sünden ihn verfolgen … Wenn ihr mir sagt, wir handeln nicht gegen Gott!, so sage ich: Ihr handelt gegen den, der seine Stelle vertritt.“

Und die Tatsachen? Die Heilige mahnt zum Frieden. Die Politiker dagegen benützen sie zunächst für ihr diplomatisches Spiel. Caterina kommt als Gesandte von Florenz am 23. Juni 1376 nach Avignon. Bereits zwei Tage später wird sie vom Papst empfangen. Doch der Vermittlungsversuch scheitert. Die Regierung in Florenz hat Caterina nur ausgenützt, um Zeit zu gewinnen und die Gegenkräfte zu sammeln. Daraufhin verhängt Papst Gregor über Florenz das Interdikt.

4 Monate bleibt Caterina in Avignon. Gregor XI., ein Franzose, ist verhältnismäßig jung, er ist 47, hoch gebildet, intelligent und fromm, aber zaghaft und wenig fest. Seine Umgebung will eine Abreise nach Rom mit allen Mitteln verhindern. Zu schön ist das Leben hier in Frankreich, in diesem päpstlichen Palast. Caterina ermutigt ihn mit vielen kleinen Briefen und erreicht schließlich,  daß er am 13. September Avignon verläßt. Die Galeere des Papste gerät in einen heftigen Sturm, der als böses Omen gedeutet wird. Auf der Zwischenstation ihn Genua, wo ihn Caterina bereits erwartet, versuchen die Gefolgsleute des Papstes ihn erneut zur Umkehr zu bewegen. Sie riegeln ihn hermetisch ab, um eine Begegnung mit der Heiligen zu verhindern. Verkleidet als einfacher Mönch erscheint Gregor XI. nachts vor dem Quartier Caterinas. Von ihr bestärkt setzt er die Reise nach Rom fort. Dort wird er begeistert empfangen und im Triumphzug nach St. Peter geleitet.

Das Interdikt in Florenz hatte inzwischen Wirkung gezeigt. Im Frühjahr 1378 wird Caterina im Auftrag des Papstes nach Florenz geschickt, Gregor bietet die Versöhnung an. Bald darauf stirbt er.

Die Rückkehr des Papstes nach Rom und jetzt der Friede mit Florenz: Diese beiden Erfolge sichern Caterina eine Autorität, die niemand mehr bestreiten konnte. Zum neuen Papst wurde der Erzbischof von Bari gewählt, nach 70 Jahren erstmals wieder ein Italiener. Er nennt sich Urban VI.

Das abendländische Schisma

Urban war ein sittenstrenger Priester, der die Reform der Kirche mit Nachdruck durchführen wollte, dabei aber maßlos und unklug vorging. Gegen alle Widerstände und Schmähungen nimmt ihn Caterina in Schutz. Zugleich aber bittet sie ihn um Mäßigung: „O heiliger Vater, seid geduldig … ihr seid der Vater und der Herr der ganzen Christenheit; wir sind alle unter den Fittichen eurer Heiligkeit. Eure Autorität erstreckt sich auf alles. Und trotzdem ist euer Blick wie der des Menschen begrenzt …“ Später wird sie deutlicher: „Um der Liebe des gekreuzigten Jesus willen, mäßigt ein wenig die allzu schnellen Regungen, die die Natur in Euch aufkommen läßt. Da Gott Euch ein von Natur aus großes Herz gegeben hat, so bemüht Euch, es übernatürlich groß zu haben, das heißt ein mutiges und in einer wahren Demut gefestigtes Herz.“ Durch seine schroffe und verletzende Art zogen sich die Kardinäle immer mehr zurück und verweigerten dem Papst schließlich die Gefolgschaft. 5 Monate später wählen sie aus ihren Reihen einen neuen Papst, der sich Clemens VII. nennt und seine Residenz wieder zurückverlegte nach Avignon.

Damit hatte die Kirche zwei Päpste und eine Spaltung, die das ganze Abendland über 30 Jahre lang in größtes Unglück stürzte. Denn dieser Riß der Kirche teilte nicht nur Europa, sondern auch Diözesen, Ordensgemeinschaften und Familien. Die einen hielten zu Clemens, die anderen zu Urban.

In dieser Zeit schreibt Caterina ihre „Kampfbriefe“ an die Könige von Frankreich und Ungarn, an die Königin von Neapel, an die Stadt-Regierungen in Italien und an die kirchlichen Würdenträger. Damit hat sie Urban unschätzbare Dienste erwiesen. Für sie besteht kein Zweifel: Urban ist der einzig rechtmäßige Papst. Dies können die Lügner der Welt nicht bestreiten. Bekannt ist der energische Brief an drei italienische Kardinäle, die zuerst noch zu Urban hielten, dann aber zum Gegenpapst überwechselten: Sie beginnt den Brief: „Teuerste Brüder und Väter in Christus Jesus! Ich, Caterina, Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in seinem Kostbaren Blut.“ Dann folgt eine lange Abhandlung über die Verblendung, und schließlich schreibt sie: „Ihr wißt und Ihr kennt die Wahrheit, daß Papst Urban VI. der rechtmäßige Papst ist, erwählt in gesetzlicher Wahl und nicht aus Furcht, in Wahrheit mehr durch göttliche Eingebung als durch Eure menschliche Bemühung … Ihr selbst habt uns diese Wahrheit verkündet. Jetzt habt Ihr als niedrige und erbärmliche Ritter die Schultern gewendet … Ihr habt Euch abgekehrt von der Wahrheit, die Euch Kraft verlieh und Euch der Lüge zugewandt. Und was ist Schuld daran? Das Gift der Eigenliebe, das die Welt vergiftet hat. Durch sie seid Ihr, die Ihr Säulen der Kirche seid, schwächer geworden als Strohhalme. Nicht duftende Blumen seid Ihr, sondern Gestank, denn die ganze Welt habt Ihr verpestet … irdische Engel solltet Ihr sein, um die verirrten Schafe zur Kirche zurück zu führen. Und nun seid Ihr selber Teufel geworden. … Ihr sagt, Ihr hättet Urban aus Angst zum Papst gewählt. Das ist nicht wahr! Wer das sagt, der lügt, wider sein besseres Wissen.“

Caterina in Rom

Urban sieht sich von vielen Seiten bedrängt. Auch militärisch kommt er unter Druck. Die Engelsburg wird von den Anhängern des Gegenpapstes eingenommen und erst nach schweren Kämpfen wieder befreit – ein Sieg, der dem Gebet Caterinas zugeschrieben wird. Aus diesem Grund steht heute seit 1962 neben der Engelsburg das römische Denkmal für die hl. Caterina.

In seiner Not hatte der Papst Caterina gebeten, nach Rom zu kommen. Ihre Nähe bereitete ihm Trost und Ermutigung. Gleich nach ihrer Ankunft läßt er sie vor dem neu ernannten Kardinalskollegium sprechen. Von ihren Worten und ihrem Auftreten sind alle zutiefst beeindruckt und wieder bestärkt.

Caterina weiß, in dieser schlimmen Lage können nur Gebet und Opfer helfen. Sie schreibt an Ordensgemeinschaften und bittet um Gebetsunterstützung, möglichst in Rom selbst. Mit denen, die kommen und mit ihrer Familia lebt sie zusammen in der Via S. Chiara. Sie selbst fühlt sich wie zermalmt und schreibt das Unglück der Kirche ihrer eigenen Sündhaftigkeit zu. Täglich schleppt sie sich die 2 km zum Petersdom, um dort bei der hl. Messe zu sein und dann den Tag über bis zur Vesper im Gebet zu verbringen. Sie bietet ihr Leben an für die Kirche.

Im letzten Brief ihres Lebens – er ist an Papst Urban gerichtet –  schreibt sie: „O ewiger Gott, nimm das Opfer meines Lebens in diesem mystischen Leib der heiligen Kirche. Ich kann nichts anderes geben, als was du mir schenktest. Nimm mein Herz und drücke es in die heilige Kirche.“ Und Gott nahm ihr Opfer an. Sie schreibt weiter, indem sie offenbar dem Papst von einer Vision berichtet:„Da wandte der ewige Gott das Auge seiner Güte mir zu und riß mir das Herz aus und drückte es in die heilige Kirche.“

Die hl. Caterina starb am 29. April 1380 in Rom im Alter von 33 Jahren aus Liebe zu Gott und seiner heiligen Kirche. Ihre letzten Worte im Sterben waren: „Herr, du rufst mich … hab Erbarmen mit mir um des Blutes willen!“ Und zuletzt: „Sangue! Sangue! – Blut! Blut!“

Über die hl. Caterina wurden im Laufe der letzten 600 Jahre schon ganze Bibliotheken geschrieben, und es gibt kaum eine Seite an ihr, die nicht bereits untersucht und kritisch beleuchtet wurde. Dennoch: Vieles im Leben dieser großen hl. Jungfrau ist für uns ein Geheimnis und wird es wohl bleiben.

Das Blut Christi

Eines davon ist gewiß ihre große mystische Schau und Verehrung des Kostbaren Blutes Christi. Es gibt niemand in der Kirchengeschichte, der jemals in dieser Dichte und Fülle darüber gesprochen und geschrieben hat.

Blut ist für Caterina ein anderes Wort für Liebe. Das Erbarmen Gottes wird im Verströmen des Blutes Christi am Kreuz mit äußerster Deutlichkeit sichtbar. Damit wird für Caterina die Betrachtung des Kostbaren Blutes Jesu zur eigentlichen Betrachtung der Liebe Gottes.

Im Blut Christi wird aber auch sichtbar die Einheit von Gottheit und Menschheit, was Caterina zum Ausdruck bringt mit dem immerwiederkehrenden Wortpaar von Feuer und Blut. „Das Feuer der Gottheit wurde eingerührt ins Blut“, wird sie immer wieder schreiben, und darum ist es auch anbetungswürdig und kostbar.

Dieses Blut Christi ist der Kirche anvertraut als ihr größter Schatz, den sie zu verwalten hat.

Die Kirche

Die leidenschaftliche Liebe zur Kirche ist wohl eine zweite geheimnisvolle Seite in ihrem Leben, durch die sie hinausgehoben ist über alle anderen Heiligen und die ihr eine Sonderstellung zukommen läßt. Der hl. Augustinus hat gesagt: „In dem Maße, wie einer die Kirche liebt, hat er den Heiligen Geist.“ Und die hl. Caterina bekannte einmal in einem Brief von sich: „Meine Natur ist Feuer.“ Sie war wirklich ein Feuer. Sie brannte für Christus. Und ihre Liebe zur Kirche ist nur von daher zu verstehen.

Begonnen hat das bereits in ihrer Kindheit. Im Alter von 6 Jahren hatte sie auf dem Heimweg ins Elternhaus eine Vision. Sie sieht über dem Dach der Dominikanerkirche Christus in herrlicher Gestalt, angetan mit priesterlichen Gewändern und der Tiara auf dem Haupt, links und rechts neben ihm die beiden Apostel Petrus und Paulus und der Evangelist Johannes. Und Christus lächelt ihr zu und segnet sie. Diese Vision wird ihre Gewißheit fürs ganze Leben: „Die Kirche ist Christus selber“, und der Papst ist „sein Stellvertreter, der süße Christus auf Erden.“

Alle Briefe sind von dieser Grundeinsicht durchdrungen. An die Herren von Florenz schreibt sie: „Ihr wißt ja, daß Christus einen Stellvertreter zurückließ zum Heil unserer Seele. Wir können unser Heil nicht anders erlangen als im mystischen Leib der hl. Kirche, dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder wir sind. Wer den Christus auf Erden – der den Christus im Himmel vertritt – nicht gehorcht, der nimmt am Blut des Gottessohnes nicht teil. Denn Gott hat es so eingerichtet, daß durch dessen Hände Christi Blut und alle Sakramente der Kirche uns zukommen. Es gibt keinen anderen Weg und keine andere Pforte für uns.“   Die Kirche als der notwendige Weg zu Gott – für Caterina ist diese Wahrheit grundlegend. Denn die Kirche wurde auf Golgotha geboren als die schönste Frucht seines Leidens und Sterbens. Wie Eva aus der Seite Adams geboren wurde, so entstand aus der geöffneten Herzwunde Jesu seine Braut, die Kirche: „Das Licht des Geistes hatte ich in der ewigen Dreieinigkeit geschaut. Und ich sah in diesem Abgrund die Würde des Menschen und zugleich das Elend, in das der Mensch durch die Todsünde fällt. Und ich sah die Notwendigkeit der hl. Kirche, die Gott in meinem Herzen offenbarte. Ich sah, daß diese Braut, die Kirche, Leben spendet, und daß sie solche Fülle des Lebens in sich hat, daß niemand sie töten kann; und daß sie Kraft und Licht spendet und daß keiner sie schwächen, noch in ihrer Wesenheit verdunkeln kann. Und ich sah, daß ihr Reichtum niemals versiegt, sondern stets wächst.“  (Durch die Heiligen und Märtyrer).

Der Papst

Weil das Blut des Erlösers in der Kirche strömt – wie in einem geheimnisvollen Leib – deshalb ist die Erlösung des Menschen und sein ewiges Heil an die Kirche gebunden. Dieses Blut, das in den Sakramenten strömt, ist der „Reichtum der Kirche“, und diesen Schatz der Kirche hat der Papst zu hüten. Er ist der „Kellermeister des Blutes“. Indem er von Christus die Gewalt bekam, zu binden und zu lösen, hat er damit die Schlüsselgewalt über das Blut. Und darin liegt seine eigentliche Macht: „Sie allein besitzen die Schlüssel zum Blut. Denn Gott hat es in Ihre Hände gelegt, das Erbe zu verschenken und die Frucht des Blutes auszuteilen. Diese Wahrheit können die Lügner der Welt nicht verwischen.“

Zu Beginn des 14. Jhdts. entstand als Reaktion gegen den äußeren Reichtum der Kirche die verbreitete Vorstellung und der Wunsch nach einer rein geistigen Kirche.

Caterina hat dagegen immer klar Stellung genommen, weil in diesen Ideen das wesentlich Katholische in Frage gestellt wird. Sie sieht das Prinzip der Inkarnation gefährdet und letztlich den Glauben an die wahre Menschwerdung des Gottessohnes. Jede Ablehnung der sichtbaren Gestalt der Kirche ist ein Irrweg: „Nur durch das äußerliche Gewand gelangt man zur Braut.“

Caterinas Kirchenkritik, von der heute gerne gesprochen wird, war etwas ganz anderes als unsere gegenwärtigen Erneuerungs-Plattformen. Niemals ging es ihr um eine Änderung der gottgesetzten Strukturen, sonder stets nur um eine Änderung der sittlichen Haltung ihrer einzelnen Glieder. Es ging ihr um eine Vertiefung unserer Liebe zu Christus. Immer wird der Papst mit „dolce babbo mio“ angeredet, „mein süßes Väterchen“. Und davon läßt sie nicht los: „Selbst wenn die Hirten und der irdische Christus fleischgewordene Teufel wären, statt eines gütigen Vaters, müßten wir dennoch gehorchen. Nicht seinetwegen, sondern Gottes wegen“, schreibt sie an die Herren von Florenz, denn „unsere Ehrfurcht gilt ja nicht ihm, sondern dem Blut und der Autorität, die Gott ihm verliehen hat. Wer gegen den Papst aufsteht, erhebt sich gegen den, dessen Stelle er vertritt.“

Die Priester

Die Priester nennt Caterina „Diener des Blutes“. Sie stehen dem Papst zur Seite. Das Blut gibt dem Priester seine Würde. Alle Ehrfurcht gilt nicht ihnen, sondern dem Blut. Als Kind lief sie auf die Straße, wenn sie unten Dominikanerpatres vorbeigehen sah, um ihre Spuren zu küssen. Und während die Patres nachts schliefen, wachte sie in ihrer Kammer, um für ihre Brüder zu beten. Sie selbst nennt sich in ihren Briefen immer „Dienerin und Magd der Diener Jesu Christi“.

Drei Laster allerdings sind es, die sich am Priester besonders schwer auswirken: Die Eigenliebe, der Geiz und die Unkeuschheit. Wir könnten mit heutigen Worten auch sagen: der Stolz bzw. Wissensdünkel, das Geld, und die Mißachtung des Zölibats. Zu allen Zeiten sind das die Grundversuchungen des Priesters.  Das Heilmittel dagegen – sagt Caterina –  ist nur die Betrachtung des Leidens Christi: „Wenn ihr das Blut des Lammes betrachtet, werdet ihr gewiß euer Herz wieder frei machen von all diesen Erbärmlichkeiten.“

Das Blut, das die Priester in den Sakramenten austeilen, ist das Blut der Kirche, und den Schlüssel dazu hat nur der Papst. Deshalb ist der Priester abhängig vom Papst. Ein Priester, der sich gegen den Papst auflehnt, ist daher ein Widerspruch in sich.

Die Sakramente

Heute wird gewiß vieles, oft allzu vieles nur in Gemeinschaft gedacht und gehandelt. Die Dynamik der Gruppe hat sich wie ein sanftes Netz ausgebreitet. Darin fühlen sich die einzelnen scheinbar ihrer Verantwortung entzogen. Aber für Caterina steht fest: Nicht die Gruppe tritt einst vor den Richterstuhl Gottes, sondern der je einzelne Mensch. Gott sagt: Ich habe dich zwar ohne Dich erschaffen, aber ich werde dich nicht ohne dich erlösen. Gott achtet den freien Willen des Menschen. Die Erlösung ist nicht ausschließlich göttliches Tun, sondern auch das Tun eines Menschen, des Gott-Menschen Jesus Christus. Und darin begründet liegt auch das Mitwirken des Menschen an seinem Heil.

Die Sakramente sind die Kanäle, in denen uns die Gnade der Erlösung im Blut Christi zufließt. Die Sakramente verachten hieße das Blut verachten, denn sie haben ihre Wirkung nur durch das Blut. An ein gefallenes Mädchen in Perugia schreibt sie mitfühlend und liebevoll ermutigend: „Eile zu deinem Schöpfer. ER wird dir seine Arme öffnen, wenn du die Todsünden aufgibst und in den Stand der Gnade zurückkehren willst. Er hat dir ja ein Bad aus seinem Blut bereitet. Dein süßer Gott wird dich nicht verstoßen.“ Und weiter: „Selbst wenn wir jeden Tag Krieg gegen Gott begännen, wir könnten doch auch jeden Tag mit Ihm wieder Frieden haben … weil das Blut stets nach Erbarmen schreit.“

Caterina will, daß wir oft die Sakramente empfangen, um so mit Christus verbunden zu werden. Die hl. Beichte taucht uns unter in das Blut des Erlösers, sie ist wie eine neuerliche Taufe. Und die Eucharistie entreißt unser Leben der Vergänglichkeit, weil sie in uns den Anfang des ewigen Lebens setzt.

Sie selbst ernährte sich die letzten 10 Jahre ihres Lebens fast nur von der Hlst. Eucharistie. Nach der Kommunion war sie oft stundenlang in Ekstase an ihrem Platz in der Kirche, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Braut Christi

Im Leben der hl. Caterina gibt es keine großen Sprünge, kein großes Auf und Ab. Alles verläuft  geradlinig auf ein Ziel hin.  Nach der ersten großen Christusvision mit 6 Jahren erwachte in Caterina eine ausgeprägte religiösen Neigung. Im Alter von 16 Jahren wird sie als Drittordensschwester bei den Dominikanerinnen in Siena aufgenommen. Von nun an trägt sie das weiße Kleid, den Schleier und den schwarzen Mantel. Man nannte diese Terziarinnen deshalb Mantellaten. 3 Jahre lebt sie nun in völliger Zurückgezogenheit von der Welt. Sie schließt sich ein ihr ihre kleine Kammer, ißt fast nichts, schläft wenig, geht nur zur täglichen hl. Messe und verbringt die Zeit völlig schweigend im Gebet und in der Betrachtung.

In diesen stillen Jahren werden ihr die großen mystischen Gnaden geschenkt. Sie spricht mit Christus, der in der Zelle immer wieder erscheint und mit ihr beisammen ist, wie mit einem Freund. Und der Herr besiegelt diese innige Freundschaft: Er erscheint ihr mit den himmlischen Geistern, der Gottesmutter und anderen Heiligen, um sich mit ihr zu vermählen. Christus steckt ihr einen Ring an den Finger, der zeitlebens für sie sichtbar bleibt.

Apostolat

Von nun an soll sie zu den Menschen gehen. Zunächst zu den eigenen Verwandten, dann hinaus zu den anderen, die ihrer Hilfe bedürfen. Sie kann Frieden stiften zwischen den verfeindeten Familien des Adels, sie pflegt Kranke und Aussätzige, sie besucht die Gefängnisse und schreibt den Gefangenen wunderbare Trostbriefe.

Berühmt geworden ist aus diesen Gefängnisbesuchen die durch Caterina erwirkte Bekehrung des jungen Adeligen aus Perugia: Nicolas Tuldo, der wegen einer Bagatelle von der herrschenden Stadtpartei zum Tode verurteilt und dann auf dem berühmten Rathausplatz, dem Campo in Siena enthauptet wurde. Die schwedische Dichterin Selma Lagerlöf hat darüber eine Novelle geschrieben. Aber die wirkliche Kronzeugin ist eine andere.

Caterina erzählt diesen ganzen Hergang ausführlich in einem Brief an ihren Beichtvater Raimund von Capua. Demnach war der Verurteilte zunächst rasend vor Wut. Dann aber fand er durch ihre Besuche im Gefängnis Zuneigung zu ihr. Er durfte seinen Kopf an ihre Brust lehnen, und am Tag der Hinrichtung  konnte sie ihn sogar zur Kommunion führen. Dabei erzählt Caterina, daß die Güte Gottes ihn durch diese menschliche Zuneigung zu ihr „überlistet“ habe. Als sie dann noch versprach, ihn am Richtplatz zu erwarten, war er voll Freude und Zuversicht. Caterina war tatsächlich bei ihm, und als er kam, entblößte sie sein Haupt, und er sagte die beiden Worte „Jesus“ und „Caterina“,  und dann empfing sie sein Haupt in ihren Händen. Und da sie Gott um ein Zeichen für seine Rettung gebeten hatte, erlebte sie im selben Augenblick seines Todes eine Vision: „Darauf erschien der Gottmensch wie die hellichte Sonne. Er öffnete seine Seite und nahm dies Blut (des Verurteilten) zu seinem Blut … und wie er es aufnahm, nahm er auch seine Seele auf und schloß sie voll Barmherzigkeit in die offene Kammer seiner Seite. … Und ich sah, wie die Seele – erkauft mit dem Blut des göttlichen Sohnes – in die Seite des Sohnes einging. Er aber machte eine liebliche Bewegung und wandte sich um und grüßte die, die ihn begleitet hatte und gab ihr ein Zeichen des Dankes.“ Und dann schreibt sie noch: „Und wie er dahingeschieden war, ruhte meine Seele in so großem Frieden und in solchem Duft des Blutes, daß ich es nicht zuwege brachte, das Blut wegzuwaschen, das von ihm auf mich gekommen war.“

Caterina und die Menschen

Die Menschen merken natürlich längst ihre große geistige Ausstrahlung, die sie so anziehend macht. Viele kommen zu ihr, sie zu sehen, sie zu berühren und mit ihr zu sprechen. Spötter verstummen, Zweifler und Kritiker bekehren sich und werden zu Bewunderern der Jungfrau.

Ihre Zeitgenossen beschreiben sie sanft, mit einem leuchtenden und reinen Blick. Sie ist von einer unbedingten Geradlinigkeit, die auch für den kleinsten Winkelzug unfähig scheint. Sie gerät in Feuer, sobald sie von Gott spricht, ohne jemals ihre Sanftmut zu verlieren.

Was die Menschen zu ihr hinzieht, ist gewiß auch das menschlich Feinfühlige, die fraulich-mütterliche Sorge, die von ihr ausgeht, der jugendliche Liebreiz. Aber dies wäre bei tausend anderen auch zu finden. Der einzige Grund ihrer Anziehungskraft ist die Heiligkeit, ihre Verbundenheit mit Christus, sodaß in ihrer Nähe etwas vom Duft des Göttlichen spürbar wird. Das Übernatürliche ist in ihr so stark und mächtig, daß davon alle angezogen werden. Sie war so vertraut mit Gott, der Herr stand so sehr im Mittelpunkt ihres ganzen Lebens, daß man auf sie mit derselben Achtung hörte, wie wenn Christus selbst gesprochen hätte. Von daher kommt ihre Sicherheit bei ihrem Auftreten vor der Welt. Wo es sich um ihre Sendung handelt, duldet sie nicht, daß man sich ihr widersetzt. Vor sich selber aber, vor Gott und vor den Oberen, die Gott ihr gibt, ist sie jene, die nicht ist und die nur Strafe verdient.

Ihre „Familie“

Bald bildet sich ein Kreis von Verehrern um sie, der sie später auf ihren Reisen begleiten wird. Zu diesem Kreis gehörten ihre Freundinnen, die Dominikanerpatres, die sie von Jugend auf kannte, und vor allem Weltleute aus allen Schichten: Politiker, Advokaten, Dichter, Theologen, Maler und junge Lebemenschen. Viele dieser Mitglieder waren aus vornehmen Familien, noch jung, und Caterina war kurz über 20. Dennoch haben sich alle der Jungfrau unterworfen und sie als ihre geistige Mutter betrachtet. Sie ist die fraglos anerkannte Autorität. Weil sie selbst unmittelbar von Gott geführt wird, gibt es für ihre Verehrer nur eine Art von Beziehung: die Jüngerschaft. Diesen Freundeskreis nennt sie ihre Familie, ihre „Truppe“.

Für unser 20. Jahrhundert ist es unvorstellbar, daß eine junge Frau mit einem religiösen Gewand bekleidet durch die Straßen zieht mit einem Trupp junger Leute, Priester und Frauen, die sich alle ihre Kinder nennen.

Man kann das Mittelalter nur verstehen, wenn man bedenkt, daß es eine Zeit des Glaubens war, und die Gesellschaft in ihrer Freiheit biegsam ist wie eine junge Pflanze.

Das bevorzugte Kind, das Gott ihr anvertraut hatte, war der 18-jährige Stefano Maconi, ein Modebürschchen aus vornehmen Haus, der zuerst Skeptiker war und dann zu ihrem größten Verehrer wurde. Er war zeitlebens einer ihrer Sekretäre und wurde entsprechend dem Willen Caterinas nach ihrem Tod Kartäuser. Als Prior und Erneuerer seines Ordens ist er heiligmäßig gestorben.

Die Person, die ihr aber von allen am nächsten stand, war der um 17 Jahre ältere Dominikaner Raimund von Capua, ihr Beichtvater und Seelenführer und ihr späterer Biograph.

Caterinas Schriften

Von Caterina selbst sind uns an die 380 Briefe erhalten. Da sie selbst erst sehr spät ein wenig lesen und schreiben gelernt hatte, wurden ihre Brief alle von ihr diktiert. Sie entstanden in einer Art ekstatischer Entrückung. Dabei waren aus ihrem Freundeskreis stets mehrere Sekretäre beschäftigt, das fließend gesprochene Diktat mitzuschreiben. Mitunter diktierte sie mehrere Briefe gleichzeitig.

Caterina kennt keine Konversation, keine langen Einleitungen. Sie hat nur einen Gedanken, eine Aufgabe und eine Liebe und die heißt: Jesus Christus. Ihre politischen Briefe beginnen alle mit einer Predigt. Der Grundtenor ist immer, die Todsünde zu meiden. Alles läuft auf die Beichte hinaus und auf den oftmaligen Besuch der hl. Messe. Sie spricht vom Glauben, vom Licht, von der Wahrheit und von Christus, der sich für uns zur Brücke gemacht hat, um Himmel und Erde zu verbinden.

4 Jahre vor ihrem Tod diktierte sie eine Art Zusammenfassung ihrer mystischen Schauungen und Einsichten: Ein Gespräch zwischen Gott und der Seele, zwischen Gott und Caterina. Dieses Buch, das ihr so sehr am Herzen lag, nannte sie deshalb den „Dialog“ oder das „Gespräch von Gottes Vorsehung“.

Die Sünde

Noch einen Bereich gibt es, der typisch ist für unsere Heilige: der Umgang mit den Sündern. Beim Umgang mit den Sündern ist die hl. Caterina sozusagen voll in ihrem Element. Kein Heiliger hat mehr wie sie der Sünde der Welt seine Aufmerksamkeit geschenkt. Sie hat sie gesehen, sie hat sie gefühlt, sie hat unter ihr gelitten und ist an ihr gestorben, so wie ihr Meister. Sie beschreibt und zergliedert die Sünde, und sie hat stets größtes Mitleid mit den Sündern. Schwieriger ist es mit den Lauen.

Die Sünde aller Sünden ist für Caterina die Eigenliebe, die maßlose Anhänglichkeit an sich selbst, die dabei vergißt, daß alles Geschenk ist und daß wir Geschöpfe sind. Eigenliebe ist, wenn der Mensch sich so sehr den Dingen zuwendet und sich an ihnen zu sättigen glaubt und dabei den Geber dieser Dinge vergißt. Die Eigenliebe – im Gegensatz zur Gottesliebe – ist die Liebe des Menschen zu sich selbst, zu etwas, das aus sich nichts ist. Und deshalb führt die Eigenliebe ins Nichts zurück, weil Gott allein der ist, der ist.

Die menschliche Eigenliebe widersetzt sich der göttlichen Barmherzigkeit. Sie steht am Ursprung jeder Sünde. Caterina ist überzeugt: „Die Eigenliebe ist es, die die Welt vergiftet hat.“  Denn „die Eigenliebe zerstört die Gottesliebe und macht den Menschen stolz, da sie ihn glauben läßt, daß das Gute, das er an sich hat, von ihm selbst und nicht von Gott her rührt“.

Selbsterkenntnis

Das notwendige Heilmittel gegen die Eigenliebe ist die Selbsterkenntnis. An dieser Selbsterkenntnis des Menschen, daß er nämlich ein Geschöpf ist und aus sich nichts ist, entscheidet sich für Caterina der Weg des Menschen, ob er nämlich Gott als seinen Schöpfer erkennt oder ob er sich der Illusion hingibt, unabhängig von Gott etwas zu sein, was letztlich eine Lüge ist. Und diese Illusion stammt vom Satan, der der Vater der Lüge ist.

Schon der hl. Paulus schreibt an die Korinther: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ (1 Kor 4,7).

Für Caterina war dies die erste und entscheidende Grunderkenntnis: Christus selbst hatte ihr diese Einsicht geschenkt: „Meine Tochter, weißt du wer du bist und wer ich bin? Wenn du diese zwei Dinge weißt, wirst du glücklich werden. Du bist die, die nicht ist. Ich dagegen bin der, der ist. Wenn du deine Seele von dieser Erkenntnis erfüllt sein läßt, wird dir der Böse Feind nichts anhaben können …“

Der „gekreuzigte Christus“

Die hl. Caterina kennt nur ein einziges Buch, das ihr Antwort gibt auf alle Fragen: den gekreuzigten Christus. Das Kreuz ist für Caterina ein Lehrstuhl, von dem herab Christus seine Wahrheit verkündet.

Die Grundeinsicht aller ihrer Betrachtungen war die Erkenntnis:

Der Mensch ist aus sich selbst nichts. Sein Dasein hat er allein von Gott. Von ihm bekommt er alles, was er braucht. Nur wenn der Mensch sich mit seinem Schöpfer vereinigt, erhält er Anteil an den göttlichen Eigenschaften: nämlich Liebe, Wahrheit und Weisheit. Nur wenn der Mensch Gott liebt, wird er auch fähig, den Nächsten zu lieben und wird er so zum Segen für die Mitmenschen. Liebe zum eigenen Ich, zu etwas, das in Wirklichkeit nicht ist, führt zum Abgrund des Nichts und schließlich in die äußerste Gottferne.

Caterina hat uns nur das gelehrt, was sie auch selbst gelebt hat. Ihre „Theologie“ ist auf das Wesentliche bezogen, lebendig und frei von abstrakter Spekulation. Ihre Sprache ist bilderreich. Sie hat eine äußerste Abneigung gegen Gedankenspielerei. Gott ist nicht ein unpersönliches, geistiges Sein, sonder der lebendige, dreipersönliche Gott, der ganz Liebe ist. Es ist der „süßeste, vielgeliebte, ewig junge und gütigste Vater“, der seine „Wahrheit“, den eingeborenen Sohn gesandt hat, um ihn durch die „feurige Fessel der Liebe“, durch den Heiligen Geist, ans Kreuz zu binden.

Der Mensch

Wer und was ist der Mensch? Auch das ist eine der Grundfragen. Und die Antwort Caterinas: Das wird nur in Christus erkennbar. Der Mensch ist aus Liebe und für die Liebe geschaffen. Er ist geschaffen nach dem Bildnis und Gleichnis Gottes. Caterina sagt: „Gott schuf den Menschen in Freiheit, einzig gezwungen von seiner Liebe, indem er in sich hineinblickte und erglühte über seine Herrlichkeit und über das Werk seiner Hände. … Er verliebte sich in die Schönheit seiner Geschöpfe und zog das Sein des Menschen aus sich heraus“ ins Dasein.

Und warum schuf er den Menschen? „Um uns teilnehmen zu lassen an Ihm, an seiner Schönheit, an seinem ewigen Gut, an seinem ewigen Leben. Denn Gott will nur unser Glück. Das ist die Wahrheit.“

„Denn hätte Gott uns nicht geliebt und nicht unser Glück gewollt, dann hätte er uns keinen solchen Erlöser geschenkt.“ Das ist der immer wiederkehrende Beweis bei Caterina.

Der Kreuzzug

Ein letzter geheimnisvoller und eher befremdender Zug im Leben Caterinas sei noch kurz erwähnt: Ihr entschiedener Einsatz für einen neuen Kreuzzug. Sie will den Kreuzzug aus mehreren Gründen: Erstens: damit der hl. Ort unseres süßen Erlösers den Händen Satans entrissen wird und damit die Ungläubigen teilnehmen könnten am Blut des Gottessohnes wie wir, „da sie doch wie wir im Blut erlöst wurden“.  Zweitens: damit die Kämpfe in Italien aufhören. Denn es ist unerträglich, daß hier Christen gegen Christen kämpfen. Was dadurch am hl. Leib der Kirche geschieht, ist eine Beleidigung Gottes. Und drittens ist sie überzeugt: Wenn auch die äußere Schlacht im Heiligen Land ergebnislos sein sollte, die innere Schlacht geht trotzdem siegreich aus, da durch den Einsatz für Christus im Vergießen des eigenen Blutes Leben gewonnen ist. Und darauf allein kommt es Caterina an. Sie denkt in allem nur aus der Sicht der Ewigkeit.

Diese Sichtweise, die uns Menschen so schwer verständlich ist, hat ihr Gott selbst einmal in einer Vision kundgetan (sie schrieb das ihrem Beichtvater in einem Brief). Gott zeigte ihr dabei das Schicksal eines Sünders, indem er zu Caterina sprach: „Du sollst wissen, um ihn vor der Verdammnis zu retten, in die er, wie du gesehen hast, gefallen war, habe ich für ihn diesen Unglücksfall zugelassen, damit er mit seinem Blut in meinem Blut das Leben habe. Denn er hatte die Ehrerbietung meiner süßen Mutter gegenüber nicht vergessen. So habe ich also bei ihm das, was die Unwissenden für Grausamkeit halten, nur aus Barmherzigkeit zugelassen.“

Das ist die Vorsehung Gottes, die für uns Menschen nicht zu durchschauen ist, aber auf die wir voll Zuversicht bauen dürfen.

Die hl. Birgitta von Schweden dachte über den Kreuzzug übrigens ganz anders. In einem Brief an Papst Gregor XI. schrieb sie, daß „Christus nicht will, daß der Papst Banden gottloser Krieger zu seinem Grab schickt.“

Die Kreuzzüge waren im 12. und 13. Jahrhundert. Jetzt im 14. Jhdt. war die Zeit dafür endgültig vorbei.

Schlußbemerkung

Zum Schluß kann man die Frage stellen: Hat Caterina ihre Sendung erfüllt?

Der Papst kam nach Rom zurück. Mit Florenz wurde Frieden geschlossen. Der Kreuzzug kam nicht zustande. Und statt der Erneuerung in der Kirche entstand das abendländische Schisma. Caterina ist daran letztlich zerbrochen. Aber dieses „Zerbrechen“ war wie das Brechen einer Hostie am Altar. Zeit ihres Lebens hat sie durch ihr Beispiel Hunderten den Weg gewiesen in die engere Nachfolge Christi. Und für Generationen wurde sie zur geistlichen Mutter und Führerin. Heute ist sie Lehrerin der Kirche und das christliche Gewissen des Abendlandes.

Der Gedanke der Einheit und der Ordnung, wie er das mittelalterliche Denken geprägt hat, ist mit der beginnenden Neuzeit verlorengegangen. Der Individualismus wirft den Menschen auf sich selbst zurück und macht ihn zum Kritiker seines eigen göttlichen Ursprungs. Damals zerfiel die Einheit Europas in eine Nationalstaatlichkeit. Heute ist man bestrebt, wieder zu einer Einheit Europas zurückzukommen. Diese Einheit aber, so erinnert uns der Heilige Vater immer wieder – ist nur möglich auf den Grundlagen der christlichen Werte. Eine Einheit Europas ohne Christus ist nicht möglich. Die heilenden Kräfte heute wie damals sind die von Caterina verkündeten großen Themen der Erneuerung: Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes. Er ist erschaffen aus Liebe und für die Liebe. Die Sünde ist das einzige Unglück, die Kirche aber das alleinige Mittel zum Heil.

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Vortrag, gehalten am 5. April 2000 in Gmünd von Pater Werner Schmid,
Moderator der „Gemeinschaft vom heiligen Josef

im Rahmen des Initiativkreises St. Pölten