Der emeritierte Papst sieht in der „Homo-Ehe“ einen Kulturbruch mit gefährlichen Folgen.

Benedikt XVI.: Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehe eine „Verformung des Bewußtseins“

Papst Benedikt im Vatikan am 28. August 2010
Foto: LOR / CNA Deutsch

Von Hannah Brockhaus

VATIKANSTADT , 17 September, 2021 / 8:59 AM (CNA Deutsch).- 

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat gesagt, dass die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in vielen Ländern „eine Verformung des Bewußtseins“ darstelle, die auch in einigen katholischen Kreisen angekommen sei.

In einer Einleitung zu einem neuen Sammelband seiner Schriften über Europa schreibt Benedikt XVI., dass „mit der Legalisierung der ‚gleichgeschlechtlichen Ehe‘ in 16 europäischen Ländern die Frage von Ehe und Familie eine neue Dimension angenommen hat, die nicht ignoriert werden kann“.

„Wir sind Zeugen einer Verformung des Bewußtseins [deformazione della conscienza], die offensichtlich tief in Teile des katholischen Volkes eingedrungen ist“, so der emeritierte Papst. „Darauf kann man nicht mit einem kleinen Moralismus oder gar mit einem exegetischen Hinweis antworten. Das Problem geht tiefer und muss daher grundlegend angegangen werden.“

Die Einleitung, die am 16. September in der italienischen Zeitung Il Foglio veröffentlicht wurde, wurde für das italienische Buch „Das wahre Europa: Identität und Mission“ geschrieben.

Papst Franziskus schrieb das Vorwort zu dem Buch, das Texte von Benedikt XVI. aus der Zeit vor und während seines Pontifikats, das von 2005 bis 2013 dauerte, versammelt.

Im Vorwort schreibt Franziskus, dass „jenseits vieler Worte und hochtrabender Proklamationen heute in Europa die Idee der Achtung vor jedem menschlichen Leben immer mehr verloren geht, beginnend mit dem Verlust des Bewusstseins seiner Heiligkeit, das heißt, gerade beginnend mit der Vernebelung des Bewusstseins, dass wir Geschöpfe Gottes sind.“

„Benedikt XVI. hat sich nicht gescheut, im Laufe der Jahre mit großem Mut und Weitblick die vielen Erscheinungsformen dieser dramatischen Abkehr vom Schöpfungsgedanken anzuprangern, bis hin zu den aktuellen, endgültigen Konsequenzen, die im Einführungstext absolut klar und überzeugend beschrieben werden“, so Papst Franziskus.

In seiner Einleitung sagt Benedikt XVI., dass es wichtig sei, festzustellen, dass das Konzept der „gleichgeschlechtlichen Ehe“ grundsätzlich „im Widerspruch zu allen Kulturen der Menschheit steht, die bisher aufeinander gefolgt sind, und somit eine kulturelle Revolution bedeutet, die der gesamten Tradition der Menschheit bis heute entgegengesetzt ist“.

Der Theologe und emeritierte Pontifex weist darauf hin, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass verschiedene Kulturen unterschiedliche rechtliche und moralische Vorstellungen von Ehe und Familie haben, wie etwa die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Polygamie und Monogamie.

Benedikt betont aber, dass nie in Frage gestellt worden sei, dass die Existenz des Menschen in seiner männlichen und weiblichen Form auf die Fortpflanzung ausgerichtet ist, „sowie die Tatsache, dass die Gemeinschaft von Mann und Frau und die Offenheit für die Weitergabe des Lebens das Wesen dessen bestimmen, was man Ehe nennt“.

„Die grundlegende Gewissheit, dass der Mensch als Mann und Frau existiert, dass die Weitergabe des Lebens eine dem Menschen zugewiesene Aufgabe ist, dass es die Gemeinschaft von Mann und Frau ist, die dieser Aufgabe dient, und dass darin, jenseits aller Unterschiede, die Ehe im Wesentlichen besteht – das ist eine ursprüngliche Gewissheit, die für die Menschheit bis jetzt offensichtlich war“, so Benedikt.

Der emeritierte Papst schreibt auch, dass die grundlegende Umwälzung dieser Idee mit der Einführung der Antibabypille und der damit verbundenen Möglichkeit, die Fruchtbarkeit von der Sexualität zu trennen, eingeleitet worden sei.

„Diese Trennung bedeutet in der Tat, dass auf diese Weise alle Formen der Sexualität gleichwertig sind“, stellt er fest. „Ein grundlegendes Kriterium gibt es nicht mehr.“

Diese neue Botschaft, so Benedikt, habe das Bewußtsein von Männern und Frauen tiefgreifend verändert – erst langsam und jetzt immer deutlicher.

Aus der Trennung von Sexualität und Fruchtbarkeit, so fuhr er fort, folgt das Gegenteil: „Die Fruchtbarkeit kann natürlich auch ohne Sexualität gedacht werden.“

Benedikt XVI. stellt fest, dass es daher richtig erscheint, die Zeugung des Menschen nicht mehr der „gelegentlichen Leidenschaft des Fleisches anzuvertrauen, sondern den Menschen vernünftig zu planen und zu erzeugen“.

So wird der Mensch nicht mehr „erzeugt und gezeugt, sondern gemacht“, betonte der emeritierte Pontifex, was bedeutet, dass der Mensch kein Geschenk ist, das man erhält, sondern „ein Produkt, das wir planen“.

Er fügt hinzu, dass, wenn die Menschheit planen kann, Leben zu schaffen, es auch wahr sein muss, dass man planen kann, es zu zerstören, und stellt fest, dass die wachsende Unterstützung für assistierten Suizid und Euthanasie als „geplante Beendigung des eigenen Lebens ein integraler Bestandteil des beschriebenen Trends ist.“

Bei der Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe gehe es nicht darum, „ein wenig aufgeschlossener und offener zu sein“. Vielmehr stelle sich die grundsätzliche Frage: Wer ist der Mensch? „Und damit auch die Frage, ob es einen Schöpfer gibt oder ob wir nicht alle nur Industrieprodukte sind“.

„Es stellt sich die Alternative: Entweder ist der Mensch ein Geschöpf Gottes, er ist das Ebenbild Gottes, er ist ein Geschenk Gottes, oder der Mensch ist ein Produkt, das er selbst zu schaffen versteht“, so Benedikt XVI.

Die ökologische Bewegung habe festgestellt, dass es Grenzen der Natur gibt, die wir nicht ignorieren können, und ebenso besitzt der Mensch eine Natur, die ihm gegeben wurde „und deren Verletzung oder Leugnung zur Selbstzerstörung führt“.

Dies gilt auch für die Schöpfung des Menschen als Mann und Frau, die bei der Hypothese der „gleichgeschlechtlichen Ehe“ ignoriert werde, betont der emeritierte Papst.

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Übersetzt und redigiert aus dem Original der CNA Deutsch-Schwesteragentur. 

D: Neue private Webseite über emeritierten Papst Benedikt XVI.

Zu Pfingsten ist ein neues, privates Internetportal zu Leben und Werk von Papst Benedikt XVI. an den Start gegangen.

Der emeritierte deutsche Papst Benedikt XVI.  (AFP or licensors)

Das emeritierte Kirchenoberhaupt habe dem Projekt zugestimmt, teilte die „Tagespost Stiftung für katholische Publizistik“ in Würzburg mit. Ziel sei der Aufbau eines digitalen und internationalen Wissensportals unter der Adresse http://www.benedictusXVI.org. Das Wirken von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. solle über akademische Zielgruppen hinaus langfristig vermittelt werden. Dafür arbeite die Stiftung mit dem Regensburger Institut Papst Benedikt XVI. zusammen.

Die deutschsprachige Seite enthält bisher laut Mitteilung einen „Grundbestand“ von Texten des früheren Papstes, der kontinuierlich ausgebaut werden soll. Bereits zu lesen sind seine großen Reden während seiner Deutschland-Besuche 2005, 2006 und 2011, jeweils mit einer theologischen Einführung eines anderen Autors. Außerdem gibt es eine Auswahl von Predigten, ein „Benedikt-ABC“ mit Textstellen zu Grundbegriffen des christlichen Glaubens, von „Auferstehung“ bis „Zweifel“. In Kürze soll den Angaben zufolge eine englische Version online gehen, Inhalte in weiteren Sprachen sind ebenfalls geplant.

Umfassendste Dokumentation zu Benedikt XVI. auf Seiten des Vatikans

Die umfassendste Online-Dokumentation zu Papst Benedikt XVI. findet sich auf der Vatikan-Webseite vatican.va. Dort sind – auch auf Deutsch – sämtlich Predigten, Ansprachen, Katechesen, Enzykliken und Botschaften von Papst Benedikt in amtlicher deutscher Übersetzung nach Kategorie und Datum geordnet zu finden.

 (kna – gs)

Kardinal Müller: „Ich halte Benedikt XVI. für einen Kirchenlehrer der Zukunft“

Müller zum 94. Geburtstag von Joseph Ratzinger: „Als 20-Jährigem hat mir sein Buch ‚Einführung in das Christentum‘ Tür zum Verständnis der Offenbarung als der geschichtlich präsenten Wahrheit Gottes geöffnet.“ kath.net-Interview von Lothar Rilinger

Vatikan (kath.net) Papst em. Benedikt XVI./Joseph Ratzinger feiert am 16. April 2021 seinen 94. Geburtstag. Aus Anlass dieses denkwürdigen Tages erinnert sich der vormalige Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, im KATH.NET-Exklusiv-Interview an seine inzwischen freundschaftliche Verbindung mit dem emeritierten Papst. Wir haben mit Kardinal Müller den Weg nachgezeichnet, den er mit Benedikt XVI./Ratzinger gemeinsam gegangen ist – zuerst als Student aus der Entfernung, dann als Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte, als Bischof von Regensburg und schließlich als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre und damit als engster Mitarbeiter des Papstes, um jetzt als Herausgeber der gesammelten Schriften des Jubilars mitzuwirken, das umfangreiche Werk der wissenschaftlichen Welt, aber nicht nur dieser, zugänglich zu machen. Dieses Gespräch ist eine Hommage, die die Dankbarkeit der beiden Gesprächspartner Müller und Rilinger ausdrücken soll, Benedikt XVI. durch die Schriften auf die Entfernung einerseits und durch persönliche Gespräche des Kardinals andererseits begegnet und dadurch im Denken beeinflusst worden zu sein. Das Gespräch soll aber auch eine Gratulation zum Geburtstag ausdrücken, verbunden mit dem Wunsch, dass der Herr seine schützende Hand auch weiterhin über Papst em. Benedikt XVI. halten möge.

Ordinarius und Honorarprofessor in München

Lothar Rilinger: Wann sind Sie auf Prof. Ratzinger aufmerksam geworden?

Kardinal Gerhard Müller: Ich meine, dass ich als Student Prof. Ratzingers Vorträge über die Taufe in der Katholischen Akademie Bayern in München gehört habe. Wegen Überfüllung musste alles auf die Straße übertragen werden. Prof. Ratzinger war damals 1969/70 der große Stern am deutschen Theologenhimmel.

Rilinger: Haben Sie mit ihm zusammen öffentlich diskutiert oder eine Schrift herausgegeben, bevor Ihnen die Aufgabe übertragen wurde, die Herausgeberschaft der „Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften“(JRGS), erschienen im Herder-Verlag zu Freiburg/Brg., zu übernehmen?

Kard. Müller: Die Herausgeberschaft seiner Gesammelten Werke begann 2008 mit dem 11. Band der Gesammelten Schriften zum Thema der „Theologie der Liturgie“. Es war der Wunsch des Papstes, dass die 16-bändige Gesamtausgabe mit der Liturgie, die ihrem Wesen nach Verehrung Gottes und Heilsvermittlung an die Menschen ist, beginnen soll. Vorher habe ich auch mal einige seiner Schriften besprochen und vorgestellt. Aber man muss bedenken, dass ich bei dem Altersabstand von 20 Jahren als Professor nie sein Kollege war.

Rilinger: Gab es zwischen Ihrer Arbeit und der von J. Ratzinger Berührungspunkte?

Kard. Müller: Mich hat immer beeindruckt, dass Joseph Ratzinger in seinem theologischen Denken ein waches Gespür für die tieferen Verschiebungen im Geistes- und Kulturleben hatte, die dann zu großen Diskussionsthemen in der Theologie geworden sind. Schon 1960 hat er die Gottesfrage im Horizont des Säkularismus in den Mittelpunkt gestellt, was man im 3. Band der gesammelten Schriften mit verfolgen kann. Ich erinnere auch an seinen großen Beitrag zu der damals heftigen Diskussion über die Eschatologie im 9. Band der Katholischen Dogmatik, die er zusammen mit Johann Auer im Jahr 1977 herausgegeben hat. Im Vergleich zur damaligen Neuscholastik hat er einen existentiellen Ansatz vertreten, wie er den großen Denkern Augustinus und Bonaventura, die sich im Stil auch von dem aristotelisch geprägten Thomismus unterscheiden, zu eigen ist. Man kann aber nicht sagen, dass damit der objektiv-sachliche Ansatz des hl. Thomas von Aquin abschätzig behandelt worden sei. Es gibt in der Theologie die legitime Pluralität der Stile und geistigen Wahlverwandtschaften, die den Reichtum des katholischen Geisteslebens ausmachen. In diesem Konzert kommt es auf die Harmonie des Zusammenspiels der verschiedenen Stimmen an.

Rilinger: Sind Sie durch die theologischen und philosophischen Schriften von Joseph Ratzinger in Ihrem Denken beeinflusst worden?

Kard. Müller: Als 20-Jährigem hat mir am Anfang meines Studiums sein Buch „Die Einführung in das Christentum“ aus dem Jahr 1968 die Tür zum Verständnis der Offenbarung als der geschichtlich präsenten Wahrheit Gottes geöffnet – einer Wahrheit, die von uns im Akt des Glaubens und im sakramentalen Ereignis der Taufe in unsere gesamte Existenz aufgenommen wird. Wer glaubt, lebt nicht mehr von sich her und in sich eingeschlossen, sondern von Christus her und in ihm. Der auf den Tod und die Auferstehung Christi Getaufte sagt von sich: „Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat.“ (Gal 2, 20).

Rilinger: Gab es theologische oder philosophische Fragen, die zu einem öffentlichen Disput mit Joseph Ratzinger geführt haben?

Kard. Müller: Ich selbst habe keinen öffentlichen Disput mit ihm in seiner Professorenzeit geführt, was schon – wie gesagt – vom Altersabstand her unmöglich war. Ich kam zwar von der Rahner-Lehmann-Schule her, aber ich habe mich auf keine Schuldiskussionen eingelassen. Ich erinnere mich aber an die Kontroversen mit Walter Kasper, Hans Küng oder Gisbert Greshake, die allerdings jeweils andere Themen und Methoden der Theologie betrafen.

Rilinger: Hat sich Ihr Verhältnis zu Joseph Ratzinger auf den wissenschaftlichen Bereich beschränkt oder kamen Sie sich auch persönlich näher?

Kard. Müller: Persönlich habe ich ihn erst näher kennen gelernt, als ich 1998 in die Internationale Theologenkommission, der ich bis 2003 angehörte, berufen wurde. In dieser Zeit bot er mir das Du an, das ich aber nie öffentlich gebraucht habe. Einen Kardinal oder gar den Heiligen Vater spricht man öffentlich mit der gebührenden Achtung an und man soll sich auch nicht vor andern mit der Vertraulichkeit, die dem privaten Umgang zugehört, wichtig machen.

Rilinger: Wie würden Sie Joseph Ratzinger als Menschen charakterisieren?

Kard. Müller: Ich glaube, dass es mir nicht zusteht, ihn oder überhaupt andere Menschen öffentlich zu charakterisieren, was immer ein Urteil über eine Person ist. Was – mit allem Respekt – zu sagen ist, hat m. E. Peter Seewald in seiner über 1000seitigen Biographie (Droemer Verlag 2020) hervorragend erschlossen. Was ansonsten sich so an Ratzinger-Bashing auf dem Marktplatz tummelt, ist meist Dummenfang und Geldmacherei von Schlaumeiern und Wichtigtuern, die die Sensationslust der Masse geschickt auszubeuten wissen.

Rilinger: Welchen Stellenwert messen Sie dem wissenschaftlichen Werk von Joseph Ratzinger im weltweiten theologischen und philosophischen Diskurs bei?

Kard. Müller: Wer einen wachen Sinn für den Dienst der wissenschaftlichen Theologie an der Kirche als Sakrament des Heils der Welt hat und interessiert ist an den nach der Wahrheit suchenden Menschen der Gegenwart, wird in den Beiträgen Joseph Ratzingers zur Theologie und Philosophie geistige Orientierung und spirituelle Bereicherung finden. Den vielen Christen, die nicht direkt von der akademischen Theologie herkommen, sei empfohlen, mit dem 13. und 14 Band der Gesammelten Schriften, die aus mehreren Teilbänden bestehen und die seine großen Interviews und Predigten enthalten, einzusteigen.

Rilinger: Könnte das theologische und das philosophische Werk von Joseph Ratzinger die weitere Entwicklung der Römisch-Katholischen Kirche wesentlich beeinflussen?

Kard. Müller: Ich halte ihn für einen Kirchenlehrer der Zukunft.

Rilinger: Können Sie sich vorstellen, dass die Politische Philosophie von Joseph Ratzinger Einfluss auf die Politik nehmen könnte?

Kard. Müller: Seine Beiträge zu Europa oder sein Vortrag im Deutschen Bundestag am 22.9.2011 sind zukunftsweisend.

Bischof in Regensburg (2002-2012)

Rilinger: Haben Sie als Bischof Verbindung mit Kardinal Ratzinger als dem Präfekten der Glaubenskongregation gehabt?

Kard. Müller: Ja, der Präfekt der Glaubenskongregation ist auch der Vorsitzende der Bibelkommission und der Internationalen Theologischen Kommission, der ich von 1998 bis 2003 angehörte. Ich wurde 2007 als Mitglied in die Glaubenskongregation berufen, als er schon Papst war. Benedikt XVI. hat mich dann am. 2. Juni 2012 zum Präfekten dieser Kongregation ernannt. Zum Fest der Cathedra Petri kreierte mich sein Nachfolger Papst Franziskus zum Kardinal.

Rilinger: Haben Sie als Bischof von Regensburg Verbindung mit Joseph Ratzinger gehabt, nachdem er als Papst Benedikt XVI. den Thron Petri bestiegen hatte?

Kard. Müller: Ja, auch über seinen Bruder Georg Ratzinger, der in Regensburg als emeritierter Domkapellmeister lebte, nachdem er 30 Jahre lang den weltbekannten Chor der „Regensburger Domspatzen“ musikalisch geleitet hatte.

Rilinger: Können Sie die Verbindung mit Joseph Ratzinger näher beschreiben?

Kard. Müller: Wenn er seinen Bruder Georg in Regensburg besucht hatte, kam er auch mit ihm zu uns ins Bischofshaus. Ich denke besonders an die Silvesterabende in den Jahren 2002 bis 2004, die wir gemeinsam verbringen und, da ich am letzten Tag des Jahres Geburtstag habe, auch gemeinsam diesen feiern konnten. Einmal hat mich Joseph Kardinal Ratzinger sogar bei einer Festmesse vertreten, als mich eine kleinere Operation im Krankenhaus festhielt. Als Benedikt XVI. als Papst im Rahmen seines Besuchs in Bayern auch Regensburg aufgesucht hatte, wohnte er zwar im Priesterseminar, doch haben wir uns privat in der Wohnung seines Bruders Georg getroffen. Auch hat mich Papst Benedikt in meiner römischen Wohnung, die ja lange Jahre seine eigene war, zu einem freundschaftlichen Besuch aufgesucht. Wenn sein Bruder nach Rom gekommen war, haben wir uns ebenfalls privat bei Benedikt XVI. getroffen, auch dann noch, als er seinen Rücktritt als Papst erklärt hatte.

Rilinger: Haben Sie sich im Missbrauchsverfahren mit Kardinal Ratzinger oder später mit Papst Benedikt XVI. abgestimmt?

Kard. Müller: Heute scheint sich alles um dieses Thema zu drehen, so dass die Kirche mit den Sexualverbrechen einzelner ihrer Verantwortlichen assoziiert wird. Die Kirche ist nicht das, was sich eine entchristlichte Öffentlichkeit darunter vorstellt oder auch nicht das üble Zerrbild, das von ihr gezeichnet wird. Die Kirche ist die Stiftung Gottes. Sie ist der Leib Christi und der in seinem Wort und in den Sakramenten gegenwärtige Christus. Er gewährt den Mitgliedern der Kirche trotz ihrer Fehler und Sünden seine Vergebung, wenn wir Reue und Leid erwecken und wenn wir Buße tun. Zu meiner Zeit in Regensburg war ein kanonisches Verfahren anhängig, das mit dem vom Papst verfügten Ausschluss des Betreffenden aus dem Klerikerstand abgeschlossen wurde. Es wurde später aber viel negative Propaganda gegen mich über Fälle inszeniert, die sich 50 Jahre vor meinem Amtsantritt als Bischof von Regensburg ereignet hatten und mit deren Aufarbeitung nach der Meldung an die Diözesanleitung auf meine Weisung hin begonnen wurde. Mein Nachfolger hat die Arbeit fortsetzen lassen und abgeschlossen und dafür die verdiente Anerkennung geerntet.


Präfekt der Glaubenskongregation unter Papst Benedikt XVI. (2012-2013)

Rilinger: Papst Benedikt XVI. hat Sie im Jahr 2012 zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen. In der Festschrift zu Ihrem 70. Geburtstag „Der dreifaltige Gott. Christlicher Glaube im säkularen Zeitalter“ (Herder Verlag 2017) hat Benedikt XVI. in einem persönlich gehaltenen Grußwort an Sie selbst die Gründe benannt, weshalb er Sie zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt hat: Ich zitiere: „Persönlich konnte ich Dich dann kennenlernen, als die Deutsche Bischofskonferenz Dich als Mitglied der Internationalen Theologenkommission vorgeschlagen hatte. In ihr bist Du vor allem durch den Reichtum Deines Wissens und die von innen her kommende Treue zum Glauben der Kirche aufgefallen. Als im Jahr 2012 Kardinal Levada seine Arbeit als Präfekt der Glaubenskongregation aus Altersgründen niederlegte, erschienst Du nach allem Überlegen als der am meisten geeignete Bischof, um diese Aufgabe zu übernehmen.“ (S. 8f) Bestand Ihre Aufgabe als Präfekt auch darin darin, Benedikt XVI. theologisch, philosophisch oder politisch zu beraten?

Kard. Müller: Ja, das ist die Aufgabe der Kongregation mit ihren 25 Mitgliedern im Kardinals- und Bischofsrang, zusammen mit dem Arbeitsstab von etwa 40 Sachbearbeitern. Der Präfekt leitet die Kongregation und trägt dem Papst die Ergebnisse vor, damit dieser dann die letzte Entscheidung zu den Glaubensfragen und in den kanonischen Prozessen treffen kann.

Rilinger: Wie haben Sie als Präfekt mit Papst Benedikt XVI. zusammengearbeitet?

Kard. Müller: In der Regel sind es die wöchentlichen Audienzen, in denen der Präfekt die unterschriftsreifen Arbeitsergebnisse der Kongregation dem Papst vorlegt.

Rilinger: Wie waren die Besprechungen mit Benedikt XVI. organisiert?

Kard. Müller: Es werden die Punkte der Tagessordnung und die einzelnen Fälle nach und nach dem Papst vorgetragen, und er entscheidet entweder sofort oder er behält sich die Akten zum weiteren Studium vor.

Rilinger: Haben Sie im Auftrag von Benedikt XVI. die Missbrauchsverfahren geleitet?

Kard. Müller: Ja, im amtlichen Auftrag als Präfekt der Kongregation, der als dem höchstem Apostolischen Gericht die Letztentscheidung in diesen Gerichtsverfahren zukommt. Es gibt hier eine Verfahrensordnung, die einzuhalten ist. Es wird da nichts über den Daumen gepeilt, wie es mit den antikatholischen Stereotypen der Boulevardpresse dem unwissenden Publikum sensationslüstern vorgegaukelt wird.

Rilinger: Welche Fragestellungen waren Benedikt XVI. besonders wichtig?

Kard. Müller: Als großem Theologen lagen ihm naturgemäß am meisten die Thematiken um die katholische Glaubenslehre am Herzen. Denn der Papst ist nicht zuerst ein global player im internationalen Machtspiel oder in Themen des Umweltschutzes, der Migration und der Brüderlichkeit, von der viel in der Theorie die Rede und wenig in der Praxis zu spüren ist. In der Zeit falscher Akzentsetzungen sollte sich jeder Geistliche – vom Papst angefangen bis zum jüngsten Kaplan – wieder in Erinnerung rufen lassen, „dass das Gut der Gnade einer einzelnen Person größer ist als das Gut des ganzen Weltalls.“ (Thomas von Aquin, Summa theologiae I-II q. 113 a.9 ad 2.)

Der Nachfolger des Apostels ist von Christus eingesetzt, um die Kirche im Bekenntnis zu Jesus dem Sohn Gottes zu vereinen, seine Brüder auf dem gemeinsamen Weg der Nachfolge Christi zu bestärken und die Herde Christi als guter Hirte auf die „Weide“ des Wortes Gottes und seiner Gnade zu führen. Das weltliche Engagement für soziale Gerechtigkeit und den Frieden unter den Völkern ergibt sich aus der moralischen Autorität dieses Amtes bei den Menschen guten Willens, auch wenn sie nicht zur katholischen Kirche gehören. Gegenüber der falschen, aber populistisch wirkungsvollen Bescheidenheit, die in Selbstrelativierung des Petrus-Dienstes auf sogenannte „historische Titel“ verzichten will, begründet das II. Vatikanum den Dienst des Papstes an der Einheit der Universal-Kirche im Glauben und der Gemeinschaft der Bischöfe mit seiner Einsetzung durch Christus als „Nachfolger Petri, Stellvertreter Christi und sichtbares Haupt der ganzen Kirche, dem Haus des lebendigen Gottes.“ (Lumen gentium 18).

Rilinger: Haben Sie die Auslandsreisen und die ad-limina-Besuchen für Papst Benedikt XVI. vorbereitet?

Kard. Müller: Für die Pastoralreisen ist das Staatsekretariat zuständig. Bei den ad-limina-Besuchen kommen die Bischöfe auch zu einem Treffen mit der Glaubenskongregation zusammen. Die Kongregation informiert den Papst natürlich vorher auch über die Themen und Probleme eines Landes in den Fragen, für die sie zuständig ist.


Herausgabe der gesammelten Schriften von Joseph Ratzinger (JRGS)

Rilinger: Aus welchem Grund wurde das Institut Papst Benedikt XVI. gerade in Regensburg gegründet?

Kard. Müller: Einfach, weil es meine Idee war. Als Bischof von Regensburg habe ich das Institut Papst-Benedikt XVI. gegründet, dafür kompetente Mitarbeiter gewonnen und mit den sachlichen Mitteln ausgestattet. Professor Dr. Voderholzer war der erste Direktor und wirkt heute als mein Nachfolger im Regensburger Bischofsamt als der beste Promotor des Instituts. Mein Schüler Dr. Christian Schaller ist einer der bestens ausgewiesenen Ratzinger-Kenner und der bewährte Leiter der wissenschaftlichen Arbeiten bei der Herausgabe des Gesamtwerkes und aller damit verbundenen Studien.

Rilinger: Was ist die Aufgabe dieses Instituts?

Kard. Müller: Es ist die Herausgabe aller Schriften von Joseph Ratzinger, außer den amtlichen Texten, die mit seinem Pontifikat verbunden sind. Außerdem ist dort die gesamte Literatur von und über Ratzinger gesammelt, so dass das Institut der weltweit bekannteste Ort für Ratzinger-Studien ist.

Rilinger: In welchem Verhältnis steht das Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg zur Römischen Bibliothek Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI.?

Kard. Müller: Die Aufgaben sind verschieden, wenn man nur an die Herausgabe der Schriften denkt. Aber die römische Stiftung soll auch die italienische Übersetzung in die Hand nehmen und Studien zu Ratzinger ideell und finanziell fördern.

Rilinger: Welches Konzept liegt der Herausgabe der JRGS zu Grunde?

Kard. Müller: Zum Glück konnte das Konzept zu seinen Lebzeiten noch mit Joseph Ratzinger selbst abgesprochen werden, und er begleitet es mit Rat und Tat. Es fehlen jetzt nur noch zwei Bände und der Registerband, so dass wir kurz vor dem Abschluss stehen. Es geht nicht um eine chronologische Abfolge seiner Beiträge, wodurch der Überblick verlorengehen würde. Natürlich ist es leicht, die vorhandenen gedruckten Bücher in die Gesamtausgabe zu integrieren. Viel Arbeit jedoch bereitet die sachliche Ordnung der unzähligen kleineren Beiträge, die über einen Zeitraum von 60-70 Jahren entstanden sind. Somit sind die einzelnen Bände nach Sachthemen geordnet. Der Leser kann aber dennoch leicht die Chronologie erkennen und somit durch entsprechende Studien die Evolution des Denkweges von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. rekonstruieren.

Rilinger: Werden als Supplementbände auch die Schriften wie Predigten und Ansprachen, die Benedikt XVI. selbst verfasst hat, herausgegeben?

Kard. Müller: Die Frage steht noch aus, ob in einer Supplement-Reihe auch die päpstlichen Predigten und Ansprachen herausgegeben werden sollen. Sie sind ja leicht auf der Homepage des Vatikans zugänglich.

Rilinger: Werden die Enzykliken im Rahmen der Gesamtausgabe ebenfalls herausgegeben?

Kard. Müller: Ich meine, dass das nicht notwendig ist, da sie auf der Homepage des Vatikans und den Acta Apostolicae Sedis ohne weiteres zugänglich sind. Aber man wird sehen.

Rilinger: Ist daran gedacht, die bestimmt umfangreiche Korrespondenz von J. Ratzinger/Benedikt XVI. herauszugeben?

Kard. Müller: Ich meine, das müsste er entscheiden und in seinem Testament genaue Anweisungen geben, wie mit seiner privaten Korrespondenz zu verfahren ist. Die amtlichen Schreiben gehören dem Archiv des Heiligen Stuhles an. Da wird man sich an die allgemeinen Richtlinien halten.

Rilinger: Eminenz, ich danke Ihnen für die Darlegungen.

Lothar C. Rilinger ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R., Stellvertretendes Mitglied des Niedersächischen Staatsgerichtshofes a.D.. Außerdem ist er Autor des Buches VRBS AETERNA. Bd.3

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