ERNEUERUNG DER KIRCHE – MARIA SIELER – LEBEN UND SENDUNG

Vorwort [zum gleichnamigen Buch] von Bischof Dr. Rudolf Graber

Die innere Geschichte der Kirche folgt neben dem großen Endziel der Wiederkunft Christi einer Unzahl von Teilzielen, die nach Ort und Zeit verschieden sind. Wenn wir den Blick nur auf unser Jahrhundert werfen, so steht am Anfang die Auseinandersetzung mit dem Modernismus, dann der Christkönigsgedanke mit der Katholischen Aktion, das Konzil, und alles wiederum unterbaut vom marianischen Gedanken. Ein Moment aber dürfen wir nicht vergessen: Es ist das Priestertum. Nahezu alle Päpste dieser Zeit haben zum Priestertum Stellung genommen, entweder von sich aus, oder angeregt durch heiligmäßige Personen, die zum Teil eigene Gemeinschaften gründeten zur Vertiefung des priesterlichen Lebens; zum Teil von oben zur Mystik des Priestertums angeregt wurden.

An der Spitze steht die kleine hl. Theresia vom Kinde Jesu, deren Mission für die Priester eigentlich erst heute in dieser Krisis der Priester erkennbar wird. Folgendes Wort der Heiligen sollte uns zu denken geben: „Beten wir für die Priester … beten wir doch für sie. Möge unser Leben ihnen geweiht sein. Jeden Tag läßt Jesus es mich empfinden, daß dieses es ist, was er von uns haben möchte.“ Sodann muß Luise Margarete Claret de la Touche (1869-1915) genannt werden im Zusammenhang mit dem Kloster Vische in der Diözese Ivrea. Ihr großes Ziel, die Sammlung der Priester um den Papst und die Bischöfe, ist gerade heute bedeutsam für unsere Zeit. 1903 erschien ihr Gebet zu Jesus dem ewigen Hohenpriester, das den besonde­ren Segen Pius‘ X. erhielt. 1910 erschien das Buch „Das heiligste Herz Jesu und das Priestertum„. Dieses Büchlein war die Vorbereitung auf ihr bekanntes Werk: „Die Abhandlung von der unendlichen Liebe“. Beide Schriften sind auch ins Deutsche übersetzt. Es entwickelte sich daraus ein eigener Priesterbund. 1933 wurde der Seligsprechungsprozeß eröffnet. In das 19. Jahrhundert hinein gehört Maria von Jesus Deluil-Martiny, die Gründerin der Kongregation der Töchter des Herzens Jesu (1841-1884). Von ihr stammt das schöne Wort: „Sich für die Seelen opfern ist schön und groß. Aber sich für die Interessen und die größere Ehre Gottes in den See­len der Priester hingeben, ist so schön und groß, daß man dazu tausend Leben, tausend Herzen haben müßte.“ Von einem Anarchisten überfal­len, besiegelte sie mit ihrem Blut diese Ganzhingabe an Gott.

In das Prophetische führt uns eine holländische Ordensschwester, Anto­nie Daamen (1872-1962), die folgende ganz eigenartige Voraussagen machte, indem sie den Herrn sprechen läßt: „Die Fundamente meines Gebäudes werden unterminiert, aber mein Herz wird sie stützen“ (5. November 1951). Sie selbst bekennt: „Der liebe Gott sagt mir oft, ich soll mich opfern für die Kirche, die erschüttert werden wird in ihren Priestern und Ordensleuten“ (25. April 1952). „Das Unheil ist nur durch gute Ordensleute und heilige Priester zu wenden“ (23. Mai 1953). „Der liebe Gott will, daß wir Schwestern dem eucharistischen Herzen Jesu Sühne lei­sten für untreue Priester und Ordensleute.“ Am 24. April 1952 sieht sie, wie das eucharistische Herz des Herrn die wankende Kirche stützt.

In die Reihe dieser heiligmäßigen Frauen gehört auch Maria Sieler (1899-­1952), über die P. Josef Fiedler S.J., der verdienstvolle Schriftleiter der in Innsbruck erscheinenden Zeitschrift „Der Sendbote des Herzens Jesu“, das vorliegende Werk herausgebracht hat. Wie wir beide mit Maria Sieler bekannt wurden, grenzt an das Wunderbare. Was mich betrifft, so erhielt ich einen Brief von der mir völlig unbekannten Maria Sieler aus Rom, in dem sie u. a. schrieb: „In unzähligen Gnadenstunden ließ mich der Herr schon vor Jahren eine kommende und sich auswirkende Glaubensverfla­chung sehen; die Hölle wird alles aufbieten, um der Kirche Gottes Scha­den zuzufügen. Der Herr ließ mich auch die Mängel bei den heutigen Priestern schauen, die aus sich nicht die Kraft haben, den Schäden der heutigen Zeit wirksam zu begegnen.“

Noch eine dritte Person muß hier genannt werden. P. Ferdinand Bau­mann S. J., der in Rom mit Maria Sieler den Plan erörterte, ein eigenes Priesterwerk zu gründen. Als P. Baumann 1964 starb, übernahm ich diese Aufgabe und gründete 1972 das Priesterwerk, das sich als vorrangige Auf­gabe stellte, für die Ausbildung einer neuen Priestergeneration zu wirken, die stark genug ist, die Krisis zu überwinden. Dieses Ziel wurde mit der Gründung des Studienhauses in Heiligenkreuz bei Wien erreicht, wo Stu­dierende (auch Spätberufene) der deutschsprachlichen Länder Auf­nahme finden können.

Zwei bedeutende Theologen von internationalem Rang, P. Merk S.J. und P. Garrigou-Lagrange OP, haben die Aufzeichnungen der Maria Sieler geprüft und sich positiv dazu geäußert. Und so kann nun P. Fiedler das Gedankengut der Maria Sieler der Öffentlichkeit vorlegen, damit die Kri­sis der Kirche von heute durch die Erneuerung und Vertiefung des Prie­stertums überwunden wird; denn darüber besteht kein Zweifel, daß die Krisis nur von der „autodemolizione, der Selbstzerstörung“ des Priester­tums herrührt.

Eine besondere Bestätigung unseres Vorhabens erhielten wir durch eine 38-seitige Schrift aus Frankreich „ANIMAE-HOSTIAE opusculum de vocatione animarum ,substitutionis` hostiarum“, erschienen 1978, wo unter Berufung auf den Kanon IV des neuen Missale als das Ziel des Priesters angegeben ist „hostia viva“, eine lebendige Opfergabe zu sein. Es scheint sich von daher eine Priestergemeinschaft gebildet zu haben, und es wäre dringend zu wünschen, daß diese kleine, aber mystisch tiefe Schrift auch ins Deutsche übersetzt würde. Was besonders auffällt, ist eine nahezu vollständige Übereinstimmung mit Maria Sieler, die sich gerade in das Innenleben Jesu vertiefte. Da heute das Priestertum sich stark im äußeren Betrieb erschöpft, ist die Besinnung auf das Innere, im Sinn des französischen „Hostia viva“ und der Gedanke der Maria Sieler, eine Not­wendigkeit, zumal dies alles nur eine Weiterführung des biblischen Wor­tes ist, uns „als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer“ darzu­bringen (Röm 12, 1).

Dr. Rudolf Graber Bischof

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Quelle: Buch: Josef Fiedler S.J. – Erneuerung der Kirche – Maria Sieler – Leben und Sendung, Christiana-Verlag, 1. Auflage 1988