Im Gefängnis habe ich meinen Anklägern vergeben

Interview mit Kardinal George Pell

Kardinal George Pell war vom 27. Februar 2019 bis 7. April 2020 aufgrund falscher Anschuldigungen in Haft.

Seit vierzehn Monaten ist Kardinal George Pell, emeritierter Präfekt des Wirtschaftssekretariats, wieder ein freier Mann. Am 8. Juni 2021 konnte er seinen 80. Geburtstag in seiner australischen Heimat begehen. Aus diesem Anlass wurde er telefonisch von Fabio Colagrande (Vatican News) interviewt, der mit ihm auch über die Veröffentlichung des 1. Bandes seines Gefängnistagebuchs sprach. Der Kardinal hatte stets seine Unschuld beteuert. Sein Freispruch war vom Heiligen Stuhl mit Genugtuung aufgenommen worden. In einer Erklärung des vatikanischen Presseamtes hieß es, der Heilige Stuhl habe stets Vertrauen in die Arbeit der australischen Justizbehörden gehabt. Am 12. Oktober letzten Jahres traf der Kardinal mit Papst Franziskus zusammen, der ihm für sein Zeugnis dankte.

Hätten Sie sich jemals vorstellen können, das Gefängnis erleben zu müssen?

Kardinal Pell: Nein, natürlich nicht! Das hätte ich nie gedacht. Ich habe hart gekämpft, damit das nicht passiert, aber leider ohne Erfolg. Es war eine Kombination von Umständen, Lügen und Betrug, aber dann kam dank des Obersten Gerichtshofs endlich meine Freilassung.

Was hat Sie veranlasst, in Ihrer 13-monatigen Haft ein Tagebuch zu führen?

Kardinal Pell: Es gab viele Gründe. Ich dachte, es könnte hilfreich sein für Menschen, die sich in Schwierigkeiten befinden, für diejenigen, die einen Moment des Leidens durchmachen, wie den, den ich durchgemacht habe. Dann dachte ich, dass das Führen eines Tagebuchs aus historischer Sicht interessant sein könnte, denn es gab nicht viele Kardinäle, die diese Erfahrung gemacht haben, im Gefängnis zu sein. Aber dann auch, weil ich entdeckt hatte, dass sich viele

Gefangene dem Schreiben gewidmet haben, angefangen – im katholischen Bereich – beim heiligen Paulus. Schreiben im Gefängnis ist eine gute Therapie.

Inwieweit hat Ihnen das Gebet geholfen, die Demütigung und die Unannehmlichkeiten der Haft zu ertragen?

Kardinal Pell: Ich muss sagen, dass der Glaube und das Gebet grundlegend waren. Sie haben mir geholfen, die Perspektive auf diese Zeit der Inhaftierung vollkommen zu verändern. Heute sage ich allen, um einen englischen Ausdruck zu verwenden, dass das Gefängnis für mich eine Bestätigung war, dass das christliche »Programmpaket« funktioniert. Meine Erfahrung zeigt, wie sehr die Lehre der Kirche uns hilft, wie sehr es hilft, zu beten, die Gnade Gottes zu suchen. Vor allem, wenn wir verstehen, dass wir unser eigenes Leiden für ein größeres Gut leben können und dass wir unser Leiden mit dem Leiden Jesu vereinen können. Als Christen wissen wir, dass wir durch das Leiden und den Tod des Gottessohnes erlöst worden sind. Diese Lehre in Bezug auf den Wert des Leidens zu leben, das ändert wirklich alles, wenn man sich in einer Situation wie der meinen befindet.

Wie sah in den Tagen Ihrer Inhaftierung die Beziehung zu den anderen Häftlingen aus? Sie schreiben, dass Sie deren Leid gespürt haben…

Kardinal Pell: Ich war in Einzelhaft, damit mein persönlicher Schutz gewährleistet war. Die anderen elf Häftlinge, die mit mir in der gleichen Abteilung waren, habe ich nie gesehen. Erst in den letzten vier Monaten meiner Inhaftierung konnte ich drei andere Häftlinge treffen und mit ihnen sprechen. Aber die meiste Zeit konnte ich nur die Wut, den Kummer meiner Mitgefangenen hören, ohne eine persönliche Beziehung zu ihnen zu haben.

In Ihrem Tagebuch schreiben Sie, dass Sie von Ihrer Zelle aus oft den Gebeten der muslimischen Häftlinge zuhörten. Wie war es, zu beten, während Sie diese Gebete hörten?

Kardinal Pell: Für mich gibt es nur einen Gott, wir sind Monotheisten. Die theologischen Auffassungen von Christen und Muslimen unterscheiden sich natürlich, aber wir alle beten auf unterschiedliche Weise zu demselben Gott. Es gibt keinen Gott der Muslime, der Christen oder anderer Religionen. Es gibt nur den einen Gott.

In Ihrem Tagebuch schreiben Sie, dass Sie im Gefängnis jeden Tag Ihren Anklägern vergeben haben, dass sie sie gesegnet und für sie gebetet haben… War es schwierig, ihnen zu verzeihen?

Kardinal Pell: Ich muss zugeben, dass es manchmal schwierig war. Aber sobald ich die Entscheidung getroffen hatte, zu vergeben, folgte alles andere daraus. Für mich war es nicht so schwer, der Person, die mich beschuldigt hat, zu vergeben. Ich wusste, dass er ein Mensch war, der gelitten hatte, der sehr verwirrt war und wer weiß, was sonst noch…

Während Sie inhaftiert waren, haben Sie Tausende Briefe der Unterstützung erhalten. Welche Wirkung hatten diese Briefe aus Sie?

Kardinal Pell: Sie haben mir enorm geholfen. Viele kamen natürlich aus Australien, aber auch aus den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt. Auch aus Italien, Deutschland, England, Irland. Sie waren eine große Hilfe und Ermutigung für mich. Manchmal schrieben mir Familien. Oft waren es sehr spirituelle Briefe, ein anderes Mal waren sie sehr theologisch, ein anderes Mal von Geschichtskultur geprägt. Es waren wirklich Briefe, die eine große Vielfalt an Themen behandelten, und das hat mir sehr geholfen.

Haben Sie auch im Gefängnis immer an die Vorsehung geglaubt?

Kardinal Pell: Ja, auch wenn ich manchmal nicht verstand, was die Vorsehung Gottes da tat. Aber ich habe immer geglaubt, dass Gott hinter allem steht, was mir passiert ist.

Was haben Sie in diesen dreizehn Monaten als Mann der Kirche gelernt?

Kardinal Pell: Die Bedeutung von Beharrlichkeit, die Bedeutung der einfachen Dinge, wie Glaube, Vergebung, das erlösungswirksame Leiden. Normalerweise ist man im Gefängnis gezwungen, sich mit den grundlegenden Themen des Lebens auseinanderzusetzen, mit den einfachen und grundlegenden Dingen. Das ist mir auch passiert, und ich muss sagen, dass ich Gott sei Dank überlebt habe.

Kann der Missbrauchsskandal ein Anlass für die Erneuerung der Kirche sein?

Kardinal Pell: Das muss er sein. Wir können nicht auf der gleichen Linie weitermachen. Es ist eine Art geistiger und moralischer Krebs. Ich habe den Eindruck, dass wir hier in Australien ernsthaft daran gearbeitet haben, dies auszurotten, aber es ist eine Pflicht für alle Priester und alle Bischöfe der Welt, dafür zu sorgen, dass sich solche Skandale nicht wiederholen. Zu viel Leid, zu viel Schmerz. Das Phänomen des Missbrauchs in der Kirche zeigt einmal mehr, dass wir die Lehren Jesu oft nicht befolgt haben. Hätten wir die Gebote des Dekalogs befolgt, wäre all dies nicht passiert.

D/Vatikan: Papst ordnet Visitation im Erzbistum Köln an

Papst Franziskus hat eine Apostolische Visitation des Erzbistums Köln angeordnet, um die dortige Aufarbeitung von Missbrauchsfällen zu untersuchen. Das gab die Apostolische Nuntiatur in Berlin diesen Freitag bekannt. Kardinal Woelki begrüßte den Schritt in einer ersten Reaktion.

Protest vor dem Kölner Dom gegen die Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln 

Zwei Apostolische Visitatoren sollen sich demnach „im Laufe der ersten Junihälfte vor Ort ein umfassendes Bild von der komplexen pastoralen Situation im Erzbistum verschaffen und gleichzeitig eventuelle Fehler Seiner Eminenz Kardinal Woelkis, sowie des Erbischofs von Hamburg, S.E. Mons. Stefan Heße, als auch der Herren Weihbischöfe, S.E. Mons. Dominikus Schwaderlapp und Mons. Ansgar Puff im Umgang mit Fällen sexuellen Mißbrauchs untersuchen“, heißt es in der Mitteilung der Nuntiatur, die die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte.

Der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54) sowie der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (53) hatten Papst Franziskus nach Vorwürfen des Fehlverhaltens bereits ihren Rücktritt angeboten. Weihbischof Puff ist seit einigen Wochen auf eigenen Wunsch beurlaubt.

Kardinal Woelki

Kardinal Woelki

Visitatoren: ein Kardinal aus Schweden, ein Bischof aus den Niederlanden

Als Visitatoren ernannte Papst Franziskus den Bischof von Stockholm, Kardinal Anders Arborelius, und den Bischof von Rotterdam und Vorsitzenden der niederländischen Bsichofskonferenz, Bischof Johannes van den Hende. Arborelius war bis 2015 Vorsitzender der Nordischen Bischofskonferenz, während van den Hende seit 2016 an der Spitze der Niederländischen Bischofskonferenz steht. 

„Alles, was der konsequenten Aufarbeitung dient, begrüße ich“

Kardinal Woelki begrüßte in einer ersten Reaktion die Entscheidung Roms: „Bereits im Februar habe ich den Heiligen Vater in Rom umfassend über die Situation in unserem Erzbistum informiert. Ich begrüße, dass der Papst sich mit der Apostolischen Visitation ein eigenes Bild über die unabhängige Untersuchung und die Konsequenzen daraus verschaffen will.“

Der Kölner Erzbischof kündigte an, er werde die Visitatoren bei ihrer Arbeit unterstützen. „Alles, was der konsequenten Aufarbeitung dient, begrüße ich.“

Auch der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln äußerte sich positiv über die anstehende Prüfung. Dass Franziskus sie angeordnet habe, zeige, „dass auch in Rom verstanden wird, dass im Erzbistum Köln unter der Leitung von Kardinal Woelki der Kontakt zwischen Gemeinden und Bistumsleistung schwer geworden ist“, so eine Erklärung des Diözesanrates. „Wir als katholische Laien gehen davon aus, dass die Gespräche mit den Visitatoren selbstverständlich gemeinsam mit der Bistumsleitung, den Mitarbeitervertreterinnen und -vertretern und den Laienvertreterinnen und -vertretern geführt werden. Deswegen laden wir schon jetzt die Visitatoren in unsere Vollversammlung am 16. Juni ein.“

Im Kölner Dom

Im Kölner Dom

Apostolische Visitation mit einem klaren Auftrag

Wie aus der Pressemitteilung der Nuntiatur hervorgeht, sollen die Visitatoren sich ein umfangreiches Bild über die Vorgänge im Erzbistum Köln verschaffen und dabei ein besonderes Augenmerk auf den Umgang der Verantwortungsträger mit Missbrauchstaten legen. Dabei können sie auch vertrauliche Akten einsehen und Personen befragen. Rechenschaft sind sie dabei allein dem Papst schuldig. Am Ende ihrer Untersuchung legen sie dem Kirchenoberhaupt einen Bericht vor. 

Kurz zuvor: Woelki führt Krisengespräch mit Düsseldorfer Pfarrei

Erst am Donnerstag hatte Woelki zwei Stunden lang mit etwa 40 Mitgliedern der Düsseldorfer Kirchengemeinde St. Margareta gesprochen. Rund 60 Protestierende hatten vor der Kirche Sankt Maria vom Frieden im Düsseldorfer Osten ihrem Unmut Luft über die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln gemacht. Woelki wollte in dem Gotteshaus ein Gespräch mit Vertretern der Gemeinde Sankt Margareta, zu der die Kirche Sankt Maria vom Frieden gehört, führen. Als sich der Kardinal dem Gebäude näherte, streckten ihm die Protestierenden Rote Karten entgegen.

Das anschließende vertrauliche Gespräch dauerte mehr als zwei Stunden. Anlass war ein Brief, den einige Mitglieder aus Gremien der Pfarrei Kardinal Woelki nach Bekanntwerden eines Missbrauchsfalls geschickt hatten. In den letzten Tagen hatte es außerdem einen offenen Brief mehrerer Gemeindemitglieder gegeben. Die rund 140 Unterzeichnenden fordern Woelki darin auf, eine anstehende Firmung in Sankt Margareta Anfang Juni nicht persönlich zu spenden, sondern einen Vertreter zu schicken. Wegen der Missbrauchsaufarbeitung halten die Absender den Kardinal für unglaubwürdig.

„Offen und auch kontrovers diskutiert“

Nach dem mehr als zweistündigen Gespräch äußerte sich der Kardinal nicht öffentlich. Pfarrer Oliver Boss sprach im WDR von einem guten Austausch. Man habe sehr offen und auch kontrovers diskutiert. Ob Woelki am 9. Juni zur Firmung komme, sei noch nicht entschieden. Vor dem Treffen im Düsseldorfer Osten sprach sich Woelki für einen Dialog aus. Auch Boss warb für Zusammenhalt. Bei der öffentlichen Aufmerksamkeit bestehe die Gefahr, die Firmlinge aus dem Blick zu verlieren, warnte der Geistliche. Für die Jugendlichen solle es eine Feier werden, die nicht durch kircheninternen Streit beeinträchtigt sei.

Kardinal Anders Arborelius

Kardinal Anders Arborelius

Ringen um Aufklärung

In Sankt Margareta waren zwei der Priester tätig, gegen die zuletzt Vorwürfe laut geworden waren. Pfarrer D., den Woelki 2017 trotz des Vorwurfs sexueller Übergriffe zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten ernannte und kürzlich beurlaubte, war dort früher Kaplan. Dem inzwischen verstorbenen Pfarrer O. wird schwerer Missbrauch an einem Kind vorgeworfen. Woelki wurde dafür kritisiert, dass er den Fall nach seinem Amtsantritt 2015 zwar zur Kenntnis genommen, aber eine kirchenrechtliche Voruntersuchung und eine Meldung nach Rom unterlassen habe. Der Kardinal begründete dieses Vorgehen mit der damals weit fortgeschrittenen Demenz des ehemaligen Pfarrers, die eine Befragung unmöglich gemacht habe.

Seit mehr als einem Jahr wird im Erzbistum Köln um die öffentliche Aufarbeitung früherer Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche gerungen. Dabei geht es auch darum, Verantwortliche zu benennen, die Missbrauchstäter geschützt und Verbrechen vertuscht haben. Ein erstes Gutachten dazu hatte Woelki nicht veröffentlichen lassen, weil er es für fehlerhaft und nicht rechtssicher hält. In einem zweiten Gutachten, das im März veröffentlicht wurde, weisen Juristen um den Strafrechtler Björn Gercke hohen Amtsträgern im Erzbistum Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen nach. Woelki selbst wird durch den Gercke-Report entlastet.

(pm/diverse – sst)

Deutsche Bischöfe regeln Umgang mit Missbrauch neu

Bischöfe beim Einzug zum Eröffnungsgottesdienst der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am 24. September 2019 im Fuldaer Dom.

Mehr Mitsprache von Betroffenen – Kirchliche Bewegungen im Blick

Nach der MHG-Studie und einem „Motu proprio“ des Papstes reagieren die deutschen Bischöfe: Sie erneuern ihre Richtlinien zum Umgang mit Missbrauch. Demnach sollen Betroffene noch stärker an Prozessen beteiligt werden. Und auch die Neuen Geistlichen Gemeinschaften spielen eine Rolle.

Bonn – 09.12.2019

Die deutschen Bischöfe haben eine Neuregelung ihres Umgangs mit sexuellem Missbrauch und Prävention für ihre Bistümer beschlossen. „Besondere Berücksichtigung findet die Perspektive der Betroffenen sexuellen Missbrauchs“, teilte die Deutsche Bischofskonferenz am Montag in Bonn mit. Außerdem würden Neuen Geistlichen Gemeinschaften, kirchlichen Bewegungen und Initiativen mit Blick auf das Thema Prävention stärker in den Fokus genommen. Mitte November hat der Ständige Rat dazu zwei neue Ordnungen beschlossen, die die bisherigne Leitlinien ersetzen. Mit der Veröffentlichung in den jeweiligen Amtsblättern zum 1. Januar sollen sie in Kraft treten.

Die beiden Dokumente regeln zum einen den Umgang mit Missbrauchsfällen und zum anderen Präventionsmaßnahmen. Vorgesehen sei es, Betroffene noch stärker an den Prozessen zu beteiligen. Sie sollen – neben externen Experten – Teil der Beraterstäbe werden, die die Oberhirten im Umgang mit dem Thema Missbrauch unterstützen. Zudem könnten „weitere fachlich geeignete Personen“ hinzugezogen werden. Das Gremium hat nur beratenden Funktion, die „Verantwortung des Diözesanbischofs bleibt unberührt“, führt das Papier aus.

In der neuen Ordnung komme zudem das Wort „Opfer“ nicht mehr vor, heißt es. Es sei stattdessen durchgängig von „Betroffenen“ die Rede. Ebenso sei das Wort „mutmaßlich“ gestrichen worden, um denjenigen, die Missbrauchshandlungen melden, „nicht mit einer misstrauischen, sondern einer zugewandten Haltung“ zu begegnen. Ein Missbrauchsfall wird nicht mehr als „verabscheuungswürdige Tat“, sondern als „Verbrechen“ bezeichnet. Zudem wird die Verantwortlichkeit der Kirche ausgeweitet; auch Ehrenamtliche und Praktikanten werden als mögliche Täter aufgenommen.

„Erfahrung von Betroffenen“ besonders berücksichtigen

Bei der Planung von Präventionsmaßnahen soll die „Erfahrung von Betroffenen“ ebenfalls besonders berücksichtigt werden. Zudem soll bei der Umsetzung insbesondere mit Kindern und Jugendlichen zusammengearbeitet werden. Erstmals namentlich genannt werden in dem Papier die Neuen Geistlichen Gemeinschaften. „Damit werden sie verbindlicher als bisher zu Präventionsmaßnahmen verpflichtet“, so die Bischofskonferenz. Außerdem neu ist die Einteilung der Präventionsarbeit in Maßnahmen, die sexualisierten Übergriffen vorbeugen sollen (primär), der Gewalterkennung (sekundär) und der Aufarbeitung sowie Nachsorge (tertiär).

Die Dokumente tragen die Titel „Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger  und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst“ und „Rahmenordnung – Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“. Beide Richtlinien sind Überarbeitungen bereits bestehender Regelungen und stammen ursprünglich aus dem Jahr 2013. Nach fünf Jahren sollten sie überprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden. Die Gültigkeit beider Regelwerke wurde jedoch bis Ende dieses Jahres verlängert. Grund waren die Ergebnisse der im September 2018 veröffentlichten MHG-Studie sowie die von Papst Franziskus im Motu proprio „Vos estis lux mundi“ im Mai dieses Jahres aufgestellten Regelungen zur Missbrauchsbekämpfung. Beide sollten in die überarbeiteten Dokumente einfließen.

„In der aktuellen Fassung spiegeln sich die Erfahrungen und Erkenntnisse wider, die wir den letzten Jahren gewonnen haben“, so der für Missbrauchsfragen zuständige Trierer Bischof Stephan Ackermann. Die nun ausgearbeiteten Regelwerke sollen nach ihrem Inkrafttreten in fünf Jahren erneut überprüft werden. (cph/bod)

Die neuen Ordnungen im Wortlaut

Das überarbeitete Regelwerk zum Umgang mit sexuellem Missbrauch und zur Prävention finden S Deutschen Bischofskonferenz finden Sie hier

_______

Papst Franziskus: Motu Proprio „Ihr seid das Licht der Welt“ („Vos estis lux mundi“)

APOSTOLISCHES SCHREIBEN
IN FORM EINES «MOTU PROPRIO»

VON PAPST
FRANZISKUS

VOS ESTIS LUX MUNDI

 

»Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben« (Mt 5,14). Unser Herr Jesus Christus ruft jeden Gläubigen, ein leuchtendes Vorbild an Tugend, Integrität und Heiligkeit zu sein. Wir alle sind nämlich berufen, in unserem Leben und insbesondere in unserer Beziehung zum Nächsten konkretes Zeugnis für den Glauben an Christus zu geben.

Die Verbrechen sexuellen Missbrauchs beleidigen unseren Herrn, verursachen physische, psychische und spirituelle Schäden bei den Opfern und verletzten die Gemeinschaft der Gläubigen. Damit solche Phänomene in all ihren Formen nicht mehr geschehen, braucht es eine ständige und tiefe Umkehr der Herzen, die durch konkrete und wirksame Handlungen bezeugt wird; diese beziehen alle in der Kirche mit ein, sodass die persönliche Heiligkeit und der moralische Einsatz dazu beitragen können, die volle Glaubwürdigkeit der Verkündigung des Evangeliums und die Wirksamkeit der Sendung der Kirche zu fördern. Dies wird nur mit der Gnade des Heiligen Geistes, der in die Herzen ausgegossen ist, möglich, denn wir müssen immer des Wortes Jesu eingedenk sein: »Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen« (Joh 15,5). Auch wenn schon vieles getan wurde, müssen wir weiter aus den bitteren Lektionen der Vergangenheit lernen, um hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.

Diese Verantwortung fällt in erster Linie auf die Nachfolger der Apostel, denen Gott die pastorale Leitung seine Volkes anvertraut hat, und fordert von ihnen den Einsatz, den Spuren des Göttlichen Meisters nahe zu folgen. Aufgrund ihres Dienstamtes nämlich leiten sie »die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter und Gesandte Christi durch Rat, Zuspruch, Beispiel, aber auch in Autorität und heiliger Vollmacht, die sie indes allein zum Aufbau ihrer Herde in Wahrheit und Heiligkeit gebrauchen, eingedenk, dass der Größere werden soll wie der Geringere und der Vorsteher wie der Diener« (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 27). Was die Nachfolger der Apostel dringender betrifft, geht auch alle an, die auf verschiedene Weise Dienste in der Kirche übernehmen, die evangelischen Räte leben oder gerufen sind, dem christlichen Volk zu dienen. Daher ist es gut, auf universalkirchlicher Ebene Verfahrensweisen anzuwenden, um diesen Straftaten, die das Vertrauen der Gläubigen verraten, vorzubeugen und entgegenzuwirken.

Mein Wunsch ist es, dass dieser Einsatz in völlig kirchlicher Weise ausgeführt wird und demnach Ausdruck der Gemeinschaft ist, die uns vereint, im gegenseitigen und offenen Hören auf die Beiträge derer, denen dieser Prozess der Umkehr am Herzen liegt.

Deshalb verfüge ich:

 

TITEL 1
ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN

 

Art. 1 – Anwendungsbereich

§ 1. Die vorliegenden Normen finden Anwendung im Fall von Meldungen in Bezug auf Kleriker oder auf Angehörige von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens, die Folgendes betreffen:

a)       Straftaten gegen das sechste Gebot des Dekalogs, nämlich:

I.        unter Gewalt oder Drohung oder durch Amtsmissbrauch erfolgter Zwang, sexuelle Handlungen zu vollziehen oder zu erleiden;

II.       der Vollzug sexueller Handlungen mit einer minderjährigen oder mit einer schutzbedürftigen Person;

III.      die Herstellung, die Darbietung, der Besitz oder die Verbreitung von kinderpornographischem Material auch auf telematischem Weg sowie die Anwerbung oder Verleitung einer minderjährigen oder schutzbedürftigen Person, an pornographischen Darbietungen teilzunehmen.

b)       die Verhaltensweisen, die von den in Artikel 6 genannten Personen verwirklicht werden und in Handlungen oder Unterlassungen bestehen, die darauf gerichtet sind, die zivilen Untersuchungen oder kirchenrechtlichen Untersuchungen verwaltungsmäßiger oder strafrechtlicher Natur gegenüber einem Kleriker oder einer Ordensperson bezüglich der unter dem Buchstaben a) dieses Paragraphen genannten Vergehen zu beeinflussen oder zu umgehen.

§ 2. Bezüglich der vorliegenden Normen versteht man unter:

a)       »minderjährig«: jede Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder ihr vom Gesetz gleichgestellt wird;

b)       »schutzbedürftige Person«: jede Person im Zustand von Krankheit, von physischer oder psychischer Beeinträchtigung oder von Freiheitsentzug, wodurch faktisch, auch gelegentlich, ihre Fähigkeit zu verstehen und zu wollen eingeschränkt ist, zumindest aber die Fähigkeit, der Schädigung Widerstand zu leisten.

c)        »kinderpornographisches Material«: jede Darstellung einer minderjährigen Person, die unabhängig vom verwendeten Mittel in explizite sexuelle Handlungen, seien sie real oder simuliert, verwickelt ist, oder jede Darstellung der Geschlechtsorgane von Minderjährigen zu vorwiegend sexuellen Zwecken.

 

Art. 2 – Annahme der Meldungen und Datenschutz

§ 1. Unter Berücksichtigung der Weisungen, die eventuell von den jeweiligen Bischofskonferenzen, Synoden der Bischöfe der Patriarchatskirchen und der großerzbischöflichen Kirchen oder von den Hierarchenräten der Metropolitankirchen sui iuris in Kraft gesetzt wurden, müssen die Diözesen oder Eparchien – einzeln oder gemeinsam – innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten der vorliegenden Normen ein oder mehrere feste Systeme bestimmen, die der Öffentlichkeit leicht zugänglich sind, um Meldungen einzureichen. Dies kann auch durch die Errichtung einer eigenen kirchlichen Behörde geschehen. Die Diözesen und Eparchien informieren den Päpstlichen Vertreter über die Einrichtung der in diesem Paragraphen genannten Systeme.

§ 2. Die Informationen, von denen in diesem Artikel die Rede ist, werden so geschützt und behandelt, dass die Sicherheit, die Unversehrtheit und die Vertraulichkeit gemäß can. 471, 2° CIC und can. 244 § 2, 2° CCEO gewährleistet ist.

§ 3. Vorbehaltlich der Bestimmung in Artikel 3 § 3 leitet der Ordinarius, der die Meldung erhalten hat, diese unverzüglich an den Ordinarius des Ortes, wo die Taten stattgefunden haben sollen, sowie an den eigenen Ordinarius der angezeigten Person weiter. Beide werden nach Maßgabe des Rechts entsprechend dem, was für den spezifischen Fall vorgesehen ist, vorgehen.

§ 4. Im Sinne dieses Titels sind die Eparchien den Diözesen gleichgestellt und der Hierarch dem Ordinarius.

 

Art. 3 – Meldung

§ 1. Vorbehaltlich der in can. 1548 § 2 CIC und can. 1229 § 2 CCEO vorgesehenen Fälle hat ein Kleriker oder ein Angehöriger eines Instituts des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens jedes Mal, wenn er Nachricht darüber hat oder triftige Gründe zur Annahme hat, dass eine der Taten nach Artikel 1 begangen wurde, die Pflicht, die Tatsache beizeiten dem Ordinarius des Ortes, wo die Taten stattgefunden haben sollen, oder einem anderen Ordinarius gemäß can. 134 CIC und can. 984 CCEO zu melden, unter Vorbehalt der Bestimmung des § 3 dieses Artikels.

§ 2. Jeder kann eine Meldung machen im Hinblick auf die Verhaltensweisen nach Artikel 1, indem er von den Bestimmungen nach dem voranstehenden Artikel oder von jeder anderen geeigneten Art und Weise Gebrauch macht.

§ 3. Wenn die Meldung eine der in Artikel 6 genannten Personen betrifft, wird diese der Autorität gemacht, die auf Grundlage der Artikel 8 und 9 festgestellt wurde. Die Meldung kann immer direkt oder über den Päpstlichen Vertreter an den Heiligen Stuhl gerichtet werden.

§ 4. Die Meldung enthält möglichst alle erforderlichen Umstände, wie Angaben zu Zeit und Ort der Taten, der beteiligten oder informierten Personen, sowie jede andere Gegebenheit, die hilfreich sein kann, um eine genaue Beurteilung der Taten zu gewährleisten.

§ 5. Die Nachrichten können auch ex officio erworben worden sein.

 

Art. 4 – Schutz dessen, der die Meldung macht

§ 1. Die Tatsache, eine Meldung gemäß Art. 3 zu erstatten, stellt keine Verletzung des Amtsgeheimnisses dar.

§ 2. Unbeschadet dessen, was in can. 1390 CIC und cann. 1452 und 1454 CCEO vorgesehen ist, sind Beeinträchtigungen, Vergeltung oder Diskriminierungen aufgrund der Tatsache, Meldung gemacht zu haben, verboten und können die Verhaltensweisen nach Artikel 1 § 1, Buchstabe b) ergänzen.

§ 3. Wer eine Meldung erstattet, dem kann kein Schweigegebot hinsichtlich ihres Inhalts auferlegt werden.

 

Art. 5 – Sorge für die Personen

§ 1. Die kirchlichen Autoritäten setzen sich dafür ein, dass diejenigen, die sagen, verletzt worden zu sein, zusammen mit ihren Familien mit Würde und Respekt behandelt werden; sie bieten ihnen im Besonderen:

a)       Annahme, Gehör und Begleitung, auch mittels spezifischer Dienste;

b)       spirituelle Betreuung;

c)        medizinische, therapeutische und psychologische Betreuung entsprechend dem spezifischen Fall;

§ 2. Das Bild und die Privatsphäre der betroffenen Personen sind genauso geschützt wie die Vertraulichkeit der persönlichen Daten.

 

TITEL 2
BESTIMMUNGEN HINSICHTLICH DER BISCHÖFE
UND GLEICHGESTELLTEN

 

Art. 6 – Subjektsbezogener Anwendungsbereich

Die Verfahrensnormen des vorliegenden Titels betreffen die unter Artikel 1 aufgeführten Verhaltensweisen folgender Personen:

a)       Kardinäle, Patriarchen, Bischöfe und Gesandte des Papstes;

b)       Kleriker, die die pastorale Leitung einer Teilkirche oder einer ihr gleichgestellten lateinischen oder ostkirchlichen Struktur, einschließlich der der Personalordinariate, innehaben oder innehatten, für während der Amtszeit (durante munere) begangene Taten;

c)        Kleriker, die die pastorale Leitung einer Personalprälatur innehatten oder innehaben, für während der Amtszeit (durante munere) begangene Taten;

d)       diejenigen, die oberste Leiter (moderator supremus) von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens päpstlichen Rechts wie auch von Klöstern sui iuris sind oder waren, für während der Amtszeit (durante munere) begangene Taten.

 

Art. 7 – Zuständiges Dikasterium

§ 1. Im Sinne des vorliegenden Titels sind unter »zuständiges Dikasterium« die Kongregation für die Glaubenslehre hinsichtlich der ihr von den geltenden Normen reservierten Straftaten zu verstehen. Hinzu kommen in allen anderen Fällen, je nach Zuständigkeit aufgrund des Eigenrechts der Römischen Kurie:

–            die Kongregation für die Ostkirchen;

–            die Kongregation für die Bischöfe;

–            die Kongregation für die Evangelisierung der Völker;

–            die Kongregation für den Klerus;

–            die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens.

§ 2. Zur Gewährleistung der besseren Abstimmung informiert das zuständige Dikasterium über die Meldung und den Ausgang der Untersuchung das Staatssekretariat und die anderen unmittelbar betroffenen Dikasterien.

§ 3. Die in diesem Titel erwähnten Mitteilungen zwischen Metropoliten und dem Heiligen Stuhl erfolgen über den Päpstlichen Vertreter.

 

Art. 8 – Verfahren, das im Fall einer Meldung über einen Bischof der Lateinischen Kirche anzuwenden ist

§ 1. Die Autorität, die eine Meldung erhält, leitet diese sowohl an den Heiligen Stuhl als auch an den Metropoliten der Kirchenprovinz weiter, in der die gemeldete Person ihren Wohnsitz hat.

§ 2. Wenn die Meldung den Metropoliten betreffen oder der Metropolitansitz vakant sein sollte, wird diese sowohl an den Heiligen Stuhl als auch an den dienstältesten Suffraganbischof weitergeleitet, für den in diesem Fall die folgenden Bestimmungen hinsichtlich des Metropoliten anzuwenden sind.

§ 3. Falls die Meldung einen Päpstlichen Gesandten betrifft, wird diese direkt dem Staatssekretariat übermittelt.

 

Art. 9 – Verfahren, das gegenüber Bischöfen der Ostkirchen anzuwenden ist

§ 1. Im Fall von Meldungen über einen Bischof einer Patriarchatskirche, einer großerzbischöflichen Kirche oder einer Metropolitankirche sui iuris werden diese an den jeweiligen Patriarchen, Großerzbischof oder Metropoliten der Kirche sui iuris weitergeleitet.

§ 2. Falls die Meldung einen Metropoliten einer Patriarchatskirche oder großerzbischöflichen Kirche betrifft, der sein Amt innerhalb des Territoriums dieser Kirchen ausübt, wird diese an den jeweiligen Patriarchen oder Großerzbischof weitergeleitet.

§ 3. In den oben genannten Fällen leitet die Autorität, die die Meldung erhalten hat, diese auch an den Heiligen Stuhl weiter.

§ 4. Falls die gemeldete Person ein Bischof oder Metropolit außerhalb des Territoriums der Patriarchatskirche, der großerzbischöflichen Kirche oder Metropolitankirche sui iuris sein sollte, wird die Meldung an den Heiligen Stuhl weitergeleitet.

§ 5. Falls die Meldung einen Patriarchen, einen Großerzbischof oder einen Metropoliten einer Kirche sui iuris oder einen Bischof der anderen Ostkirchen sui iuris betrifft, wird diese an den Heiligen Stuhl weitergeleitet.

§ 6. Die folgenden Bestimmungen bezüglich des Metropoliten finden Anwendungen auf die kirchliche Autorität, an die die Meldung auf Grundlage des vorliegenden Artikels ergeht.

 

Art. 10 – Anfängliche Pflichten des Metropoliten

§ 1. Ausgenommen den Fall, dass die Meldung offenkundig haltlos ist, bittet der Metropolit das zuständige Dikasterium umgehend um den Auftrag, die Untersuchung einzuleiten. Sofern der Metropolit die Meldung für offenkundig haltlos erachtet, informiert er den Päpstlichen Vertreter darüber.

§ 2. Das Dikasterium trifft unverzüglich Vorkehrungen, jedenfalls innerhalb von dreißig Tagen nach Erhalt der ersten Meldung seitens des Päpstlichen Vertreters oder der Bitte um Beauftragung seitens des Metropoliten, indem es angemessene Anweisungen bezüglich der Vorgehensweise im konkreten Fall gibt.

 

Art. 11 – Übertragung der Untersuchung an eine andere Person als den Metropoliten

§ 1. Sollte das zuständige Dikasterium es für angebracht halten, die Untersuchung einer anderen Person als dem Metropoliten zu übertragen, so wird dieser informiert. Der Metropolit übergibt alle relevanten Informationen und Dokumente an die vom Dikasterium beauftrage Person.

§ 2. In dem im vorhergehenden Paragraphen behandelten Fall sind die folgenden Bestimmungen bezüglich des Metropoliten auf die mit der Durchführung der Untersuchung beauftragten Person anzuwenden.

 

Art. 12 – Durchführung der Untersuchung

§ 1. Nach Erhalt des Auftrags durch das zuständige Dikasterium und unter Beachtung der erhaltenen Anweisungen wird der Metropolit persönlich oder mittels einer oder mehrerer geeigneter Personen:

a)     die bezüglich der Taten relevanten Informationen sammeln;

b)    die für die Untersuchung notwendigen Informationen und Dokumente, die in den Archiven der kirchlichen Behörden aufbewahrt sind, einsehen;

c)     die Mitarbeit anderer Ordinarien oder Hierarchen, wo erforderlich, erhalten;

d)    die Personen und Einrichtungen, auch auf ziviler Seite, die für die Untersuchung nützliche Informationen liefern können, um Auskunft bitten.

§ 2 Wenn es erforderlich sein sollte, eine minderjährige oder schutzbedürftige Person anzuhören, wird der Metropolit dies auf eine angemessene Art und Weise tun, die deren Lage Rechnung trägt.

§ 3. Falls es triftige Gründe zur Annahme gibt, dass die Untersuchung betreffende Informationen oder Dokumente unterschlagen oder vernichtet werden könnten, trifft der Metropolit die für ihre Bewahrung notwendigen Maßnahmen.

§ 4. Auch wenn er auf andere Personen zurückgreift, bleibt der Metropolit dennoch für die Leitung und Durchführung der Untersuchungen wie auch für den genauen Vollzug der im Artikel 10 § 2 enthaltenen Anweisungen verantwortlich.

§ 5. Dem Metropoliten steht ein gemäß can. 483 § 2 CIC und can. 253 § 2 CCEO frei gewählter Notar zur Seite.

§ 6. Der Metropolit ist gehalten, unparteiisch und frei von Interessenskonflikten zu handeln. Falls er meint, sich in einem Interessenskonflikt zu befinden oder nicht imstande zu sein, die notwendige Unparteilichkeit zur Gewährleistung der Integrität der Untersuchung zu bewahren, ist er verpflichtet, sich zu enthalten und den Umstand dem zuständigen Dikasterium zu melden.

§ 7. Für die Person, gegen die ermittelt wird, gilt die Unschuldsvermutung.

§ 8. Sofern es vom zuständigen Dikasterium gefordert wurde, informiert der Metropolit die Person über die Untersuchung zu ihren Lasten, hört sie hinsichtlich der Tatsachen an und lädt sie dazu sein, einen Schriftsatz zur Verteidigung einzureichen. In diesen Fällen kann die Person, gegen die ermittelt wird, von einem Prokurator Gebrauch machen.

§ 9. Alle dreißig Tage übermittelt der Metropolit dem zuständigen Dikasterium ein Informationsschreiben über den Stand der Untersuchungen.

 

Art 13. – Einbeziehung qualifizierter Personen

§ 1. In Übereinstimmung mit den allfälligen Leitlinien der Bischofskonferenz, der Synode der Bischöfe oder des Hierarchenrats über die Art und Weise, dem Metropoliten bei seinen Untersuchungen zu helfen, können die Bischöfe der jeweiligen Provinz einzeln oder gemeinsam Verzeichnisse qualifizierter Personen erstellen, aus denen der Metropolit die geeignetsten auswählen kann, um ihm, den Erfordernissen des Falls entsprechend, in der Untersuchung zu unterstützen, insbesondere unter Beachtung der Mitwirkung, die gemäß can. 228 CIC und can. 408 CCEO von Laien geleistet werden kann.

§ 2. Dem Metropoliten steht es in jedem Fall frei, andere gleichermaßen qualifizierte Personen zu wählen.

§ 3. Jeder, der den Metropoliten in der Untersuchung unterstützt, ist gehalten, unparteiisch und frei von Interessenskonflikten zu handeln. Falls er meint, sich in einem Interessenskonflikt zu befinden oder nicht imstande zu sein, die notwendige Unparteilichkeit zur Gewährleistung der Integrität der Untersuchung zu bewahren, ist er verpflichtet, sich zu enthalten und den Umstand dem Metropoliten zu melden.

§ 4. Die Personen, die den Metropoliten unterstützen, leisten den Eid, den Auftrag angemessen und treu zu erfüllen.

 

Art. 14 – Dauer der Untersuchung

§ 1. Die Untersuchungen müssen innerhalb der Frist von neunzig Tagen oder innerhalb der in den Anweisungen von Artikel 10 § 2 angegebenen Frist abgeschlossen werden.

§ 2. Bei Vorliegen gerechter Gründe kann der Metropolit das zuständige Dikasterium um Fristverlängerung bitten.

 

Art. 15 – Vorbeugende Maßnahmen

Falls die Tatsachen oder die Umstände es erfordern, schlägt der Metropolit dem zuständigen Dikasterium die Anwendung von vorbeugenden Vorkehrungen oder Maßnahmen vor, die gegenüber der Person, gegen die ermittelt wird, angemessen sind.

 

Art. 16 – Einrichtung eines Fonds

§ 1. Die Kirchenprovinzen, die Bischofskonferenzen, die Synoden der Bischöfe und die Hierarchenräte können einen Fond einrichten, der für die Bestreitung der Untersuchungskosten bestimmt ist. Dieser wird nach Vorschrift der cann. 116 und 1303 § 1, 1° CIC und des can. 1047 CCEO eingerichtet und entsprechend den Normen des kanonischen Rechts verwaltet.

§ 2. Auf Antrag des beauftragten Metropoliten werden ihm die für die Untersuchung notwendigen Summen vom Verwalter des Fonds zur Verfügung gestellt, unbeschadet der Verpflichtung, ihm eine Rechnungslegung beim Abschluss der Untersuchung vorzulegen.

 

Art. 17 – Übermittlung der Akten und des Votums

§ 1. Nach Beendigung der Untersuchung übermittelt der Metropolit dem zuständigen Dikasterium die Akten zusammen mit seinem Votum über die Untersuchungsergebnisse und als Antwort auf die allenfalls ergangenen Anweisungen gemäß Art. 10 § 2.

§ 2. Unbeschadet anschließender Anweisungen des zuständigen Dikasteriums erlöschen die Vollmachten des Metropoliten mit der Beendigung der Untersuchung.

§ 3. Unter Beachtung der Anweisungen des zuständigen Dikasteriums informiert der Metropolit die Person, die angibt, geschädigt worden zu sein, oder ihre gesetzlichen Vertreter auf Anfrage über den Ausgang der Untersuchung.

 

Art. 18 – Anschließende Maßnahmen

Das zuständige Dikasterium verfährt nach Maßgabe des Rechts entsprechend dem, was für den spezifischen Fall vorgesehen ist, außer es verfügt eine zusätzliche Untersuchung.

 

Art. 19 – Einhaltung der staatlichen Gesetze

Die vorliegenden Normen finden Anwendung, ohne die jeweils von den staatlichen Gesetzen festgelegten Rechte und Pflichten zu beeinträchtigen, insbesondere diejenigen in Bezug auf allfällige Meldepflichten an die zuständigen zivilen Behörden.

Die vorliegenden Normen sind für drei Jahre ad experimentum approbiert.

Ich lege fest, dass das vorliegende Apostolische Schreiben in Form eines Motu proprio durch Veröffentlichung im L’Osservatore Romano promulgiert wird, am 1. Juni 2019 in Kraft tritt und dann in den Acta Apostolicae Sedis publiziert wird.

Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 7. Mai 2019, dem siebten des Pontifikats.

_______

Quelle

Bischof Stefan Oster SDB: Anmerkungen zum Text von Papst em. Benedikt XVI. zur Krise des Missbrauchs in der Kirche

Die Moral, das Martyrium
und die Abwesenheit Gottes

Der emeritierte Papst Benedikt hat sich geäußert – und er tut es nicht, so meine Wahrnehmung, weil er ein angebliches Schweigeversprechen nicht halten will, das er so nicht gegeben hat. Und er tut es auch nicht, um sich besserwisserisch einzumischen in Vorgänge, bei denen er längst außen vor ist. Und hier schreibt auch kein alter Mann, der sich selbst rechtfertigen will, der aber angeblich keine Ahnung mehr hat von der Wirklichkeit des Lebens. Ich lese den Text schlicht als Ausdruck seines Mitgehens, Mitfühlens und Mitleidens mit der Kirche, mit der geschichtlichen Situation, in der wir stehen und in die wir gekommen sind, mit den Menschen, die in der Kirche handeln und mit denen, die von der Kirche misshandelt worden sind. Der Text hat die Absicht, Entwicklungen zu verdeutlichen – in der Gesellschaft und in der Kirche – um daraus zu lernen, um besser zu verstehen, wer oder was die Kirche im Innersten ist und sein kann – und was deshalb nötig ist.

KRISE DER MORALTHEOLOGIE, DAS MARTYRIUM – UND DIE ABWESENHEIT GOTTES

Ich möchte nur auf drei wesentliche Aspekte eingehen, die Benedikt XVI. in dieser Reihenfolge verdeutlicht hat – und die in einem inneren Zusammenhang stehen: Die Krise der Moraltheologie, die Abwesenheit Gottes und das Martyrium. Diese Punkte, besonders der zweite, sind in den schnellen und aufgeregten Kommentierungen kaum erwähnt worden – was aus meiner Sicht schon ein Hinweis dafür ist, dass Benedikt etwas Zentrales benennt. Gottes Abwesenheit wird in den Kommentierungen so wenig wahr- oder ernstgenommen, dass sie es nicht einmal mehr als Thema in die Anwesenheit schafft.

DIE GEGLAUBTE REALITÄT VERÄNDERT VERHALTEN

Unser Glaube lehrt aber, dass sich der Gott der Wahrheit und der Liebe, in Christus geoffenbart hat und dass er unter uns ist, real gegenwärtig, insbesondere in der Eucharistie. Das Verhalten eines Gläubigen gegenüber dieser Gegenwart bestimmt sich durch die Qualität, die Tiefe, die Intensität seiner vertrauenden Zustimmung gegenüber dieser Gegenwart. Wenn ich wirklich gläubig bejahe, dass der Herr in der Kommunion da ist, bestimmt das, wie ich ihm gegenüber trete, wie ich ihn verehre, wie ich in seiner Gegenwart da bin. Umgekehrt: Je schwächer meine Zustimmung zur Gegenwart Gottes in der Eucharistie wird, desto weniger wird das mein Verhalten dazu beeinflussen.

ES GEHT UM QUALITÄT VON BEZIEHUNG

Es ist analog zu einem verehrten Menschen: Ja, natürlich, es gibt gewisse eingeübte sittliche Grundregeln des Verhaltens anderen gegenüber, aber je tiefer meine Achtung und Hochschätzung des Anderen ist, desto mehr wird das mein Denken und Handeln in seiner Gegenwart beeinflussen. Das heißt: Es geht um Qualität von Beziehung. Glaube ist Beziehungsgeschehen und die Tiefe der inneren Zustimmung zu dieser Gegenwart beeinflusst, wie ich von dieser Gegenwart bestimmt werde! Fällt es dem Einzelnen schwer, ein inneres Ja zu dieser Gegenwart zu sagen, wird er vor allem „bei sich“ bleiben, wird sich nicht beeinflussen lassen, wird er in der Regel bloßen Konventionen genügen, aber kaum mehr. Abwesenheit Gottes bedeutet nicht, dass Gott real abwesend ist, sondern dass der Glaube an seine Anwesenheit derart Schaden leidet, dass kaum mehr einer sein Verhalten ändert, wenn die Kirche gläubig bekennt: Gott ist in seiner Kirche da; er ist in der Eucharistie da, in den Sakramenten, in seinem Wort – und im Liebeshandeln der Kirche.

WAS FREIHEIT IST, BESTIMME ICH SELBST

Wenn die Abwesenheit Gottes „atmosphärisch“ dominant wird, oder wenn die behauptete Anwesenheit bloß auf einen frommen Gedanken reduziert wird, dann wird der Mensch dazu neigen, vor allem aus sich heraus zu bestimmen, was Freiheit ist und für welche Bereiche seines Lebens er welche Freiheit zulässt. Macht, Sex und Geld sind zu allen Zeiten die großen und bleibenden Herausforderungen des Menschen gewesen und das Evangelium ist in allen diesen Punkten sehr klar und sehr ausdrücklich: diejenigen, die an Jesus glauben, sind herausgefordert und eingeladen Ihm zu folgen in der Absage an eine Macht, die andere beherrschen will, in der Absage an ein Besitzen, das hinderlich ist für den Eintritt in das Reich Gottes und in der Einladung die Kraft und Schönheit von Sexualität dort zu leben, wo sie der Liebe und dem (neuen) Leben dient und nicht, wo sie sich zuerst von egozentrischer Triebhaftigkeit bestimmen lässt.

GIBT ES DAS IN SICH SCHLECHTE?

Benedikt stellt die für die Moraltheologie entscheidende Frage, nämlich ob es das „intrinsece malum“, das in sich Schlechte gibt. Gibt es schlechte Handlungen, die immer und unter allen Umständen schlecht sind, oder kommt es immer auf Zeit und Umstände und mögliche Folgen an, um eine Tat als gut oder schlecht zu qualifizieren? Diese Frage kann aus meiner Sicht positiv nur beantwortet werden aus der kontrastierenden gläubigen Erfahrung, dass der schlechthin Gute und Wahre anwesend ist. Es gibt das In-sich-Schlechte oder Böse nur im Verhältnis zum absolut Wahren und Guten. Andernfalls bleibt das urteilende Subjekt der alleinige Maßstab und dieses ist als begrenztes, geschaffenes Wesen immer in eine Geschichte und in Umstände gestellt, die relativieren.

DAS ABSOLUTE UND DAS MARTYRIUM

Erst das Hineingestelltsein in die Begegnung mit dem absolut Wahren und Guten kann deutlich machen, welche Handlung von hier aus in sich selbst immer und unter allen Umständen schlecht oder böse ist. Und eben deshalb weist Benedikt am Ende seines Aufsatzes auf das Martyrium hin, auf das Zeugnis der Lebenshingabe für Christus, das in der Christenheit so viele Menschen gegeben haben. Der Märtyrer glaubt: „Es gibt eine Wahrheit, die größer und tiefer ist als ich selbst. Und sie ist da. An ihr misst sich mein Leben und mein Verhalten. Für diese Wahrheit allein kann ich leben – und sterben!“.

MIT DEM KERN DES GLAUBENS VERSCHWINDET DAS MARTYRIUM

Benedikt hat Recht: Wenn Gott nicht mehr als anwesend geglaubt wird, verlagert sich die Einschätzung dessen, was Sünde ist, vor allem in mein eigenes, subjektives Urteil. Oder es bilden sich –  wie passend – Allianzen in kollektivem Subjektivismus. Beide, individueller oder kollektiver Subjektivismus, müssen notwendig das An-sich des absolut Wahren und Guten ausschließen. Es wäre eine gefährliche Bedrohung. Daher gibt es vom individuellen oder kollektiven Subjektivismus her geurteilt auch nicht mehr das „In-sich-Schlechte“ unter allen Umständen; auch nicht mehr in den Bereichen von Macht, Sex und Geld. Und auch meine eigenen Ressourcen, einer egozentrischen Triebdynamik in mir entgegenzuwirken, sind dann ebenfalls sehr begrenzt. Oder umgekehrt: Mit meiner wendigen Vernunft finde ich schon genügend Gründe, warum die ehemals schlecht genannte Tat jetzt womöglich sogar gut heißen kann. Schließlich: Wenn Gottes Anwesenheit nicht mehr geglaubt wird, verschwindet im Grunde mit Notwendigkeit auch das Martyrium – weil es keine umgreifende Wahrheit mehr geben kann, für die es wert wäre sein Leben zu geben. Benedikt hat auf den Kern des Glaubens verwiesen – und auf unser prekäres Verhältnis zu dieser Wahrheit: auf die Realpräsenz des Herrn in seiner Kirche, die alles verändert, wenn sie geglaubt wird. Ich bin ihm sehr dankbar dafür.

_______

Quelle

„Das sind Leute, die weder glauben noch denken“

Foto Kardinal Müller (c) Paul Badde

13 April 2019, 12:10

Kardinal Müller übt im kath.net-Interview schwere Kritik an den Kritikern des Missbrauchs-Textes von Papst em. Benedikt XVI. und am (offiziell inoffiziellen) DBK-Internetportal

Von Roland Noé

Vatikan (kath.net/rn) „Es ist ein Skandal, dass katholische Bischöfe Plattformen finanzieren und so die Kirchensteuer zweckentfremden, die eindeutig Positionen vertreten, die mit der katholischen Glaubens- und Sittenlehre im Widerspruch stehen.“ Derart grundsätzlich kritisiert Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, das “offiziell inoffizielle DBK-Internetportal und seine Reaktionen auf das Schreiben des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum sexuellen Missbrauch in der Kirche. Das Schreiben Benedikts stuft Müller als „die tiefgründigste Analyse der Genese der Glaubwürdigkeitskrise der Kirche in Fragen der Sexualmoral und intelligenter als alle Beiträge beim Gipfel der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zusammen“ ein.

kath.net: Eminenz, wie werten Sie den Text des emeritierten Papstes über den sexuellen Missbrauch in der Kirche?

Kardinal Müller: Es ist die tiefgründigste Analyse der Genese der Glaubwürdigkeitskrise der Kirche in Fragen der Sexualmoral und intelligenter als alle Beiträge beim Gipfel der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zusammen.

Es gibt Missbrauch der geistlichen Autorität, wenn kirchliche Obere ihren autoritären oder manipulierenden Stil pseudoreligiös begründen und als den Willen Gottes ausgeben.

Aber Sünden gegen das 6. Gebot des Dekalogs haben ihre Ursache im Missbrauch der uns von Gott gegebenen männlichen oder weiblichen Sexualität.

Diese beiden Sünden miteinander zu vermischen, nur um sexuellen Fehlverhalten zu vertuschen, wäre ein schweres Versagen der kirchlichen Autorität.

Nicht mit Worthülsen wie Klerikalismus oder Forderung nach einer Sexualmoral nach dem egoistischen Lustprinzip kommen wir aus der Krise, sondern nur wenn das Übel beim Namen genannt wird.

Der Zusammenbruch der schon porös gewordenen bürgerlichen Moral in der „globalen sexuellen Revolution“ (Buchtitel von Gabriele Kuby) und der missglückte Versuch einer katholischen Moralbegründung ohne das Naturrecht und die Offenbarung haben bei vielen zu einer Zerrüttung des sittlichen Gewissens geführt.

Gott sei es geklagt auch bei denen, die von Christus den Auftrag erhielten, die Menschen alles zu lehren, was der Herr selbst den Apostel und damit auch ihren Nachfolgern im Bischofs- und Priesteramt geboten hat. (Mt 28,19).

kath.net: Es vergingen nach der Veröffentlichung nur wenige Stunden, bis die altbekannten innerkirchlichen Ratzinger-/Benedikt-Kritiker wieder lautstark ihre Einschätzungen in die Medien brachten. Was denken Sie dazu?

Kardinal Müller: Von Kritikern kann man nicht sprechen, denn das Wort Kritik heißt, geistig anspruchsvolle Dinge zu unterscheiden, um damit einen Beitrag im Verständnis wichtiger Fragen zu leisten.

Das sind Leute, die weder glauben noch denken. Vor allem fehlt ihnen der geringste Anstand.

Es wiederholt sich immer das gleiche Spiel wie bei Stephanus, der Zeugnis von der Wahrheit Christi ablegte: „Und als sie das hörten, wurden sie in ihren Herzen aufs Äußerste empört und knirschten mit den Zähnen gegen ihn“ (Apg 7, 54).

Man spricht von Erneuerung und Reform der Kirche und meint nur die Anpassung an die eigene Dekadenz.

Wer auch nur einen Funken christlicher Liebe in sich hat, kann sich nicht zu solchen unflätigen Pamphleten hinreißen lassen.

Aber wie kann die Liebe die innere Gestalt des Glaubens sein, wenn man den Glauben an den Gott der Offenbarung in Jesus Christus aufgegeben hat, oder höchstens einige Elemente davon noch als Füllmaterial für seine eigene selbstreferentielle Weltanschauung missbraucht.

Es ist ein Skandal, dass katholische Bischöfe Plattformen finanzieren und so die Kirchensteuer zweckentfremden, die eindeutig Positionen vertreten, die mit der katholischen Glaubens- und Sittenlehre im Widerspruch stehen.

Es ist mir natürlich klar, dass die das anders sehen, weil sie nach eigenem Gutdünken definieren, was katholisch ist. Ihr Weltbild besteht in der primitiven Unterscheidung von progressiv und konservativ.

Den bisher formulierten katholischen Glauben qualifizieren sie als konservativ ab und meinen, nur ihre „progressive“ Sicht wäre die Zukunft der Kirche so wie in den anderen von dieser Ideologie verwüsteten ehemaligen katholischen Ländern.

Also muss man die nach ihrem Maß „konservativen“ Katholiken, die der Heiligen Schrift, der Apostolischen Tradition und dem Lehramt treu sind, entweder kaltstellen oder mundtot machen. Dazu ist ihnen jedes Mittel, auch der Verleumdung und Ehrabschneidung, recht.

Denn sittlich erlaubt ist alles, was dem eigenen Interesse nützt, das ja identisch ist mit dem Gemeinwohl.

Auf der besagten Plattform wurde in gleicher Manier mein Glaubensmanifest“ als eine Sammlung von Halbwahrheiten, der Heiligen Schrift fernen, subjektiven Auswahl, von aus dem Zusammenhang gerissenen Meinungen angeprangert, als ob die Trinität, die Inkarnation, die Sakramentalität der Kirche, die Göttliche Liturgie, die Einheit von Glauben und Moral, das Gericht und das ewige Leben in der „Hierarchie der Wahrheiten“ (II. Vatikanum, Dekret über den Ökumenismus, 11) nicht „das Fundament des Glaubens“ wären.

Die infame Gottlosigkeit, die sich hier aufspreizt, ist nicht zu überbieten, wenn man das Verbrechen und die Todsünde des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen benutzt, um zu ihrer angeblichen Vermeidung homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen zu segnen, den Zölibat der Priester und Gelübde der Ordensleute lächerlich zu machen und die Sünden gegen die von Gott verfügte Unauflöslichkeit der Ehe zu bagatellisieren.

_______

Quelle

Kardinal Müller bezeichnet Kritiker seines Manifests als „politische Strategen und theologische Ignoranten“.

Cardinal Gerhard Ludwig Muller (Getty)

Der Kardinal sagte auch, das Motiv für sexuellen Missbrauch sei nicht der priesterliche Zölibat, sondern „unbeherrschtes sexuelles Verlangen“.

Kardinal Gerhard Müller hat Kritiker seines „Manifests des Glaubens“ – insbesondere jener, die ihn beschuldigen, als „Anti-Papst“ zu handeln – als „politische Strategen und theologische Ignoranten“ bezeichnet.

In einem Interview für den Catholic World Report sagte Kardinal Müller, die Kritiker hätten seine früheren Arbeiten unter päpstlicher Obergewalt offenbar nicht gelesen. Er fügte hinzu: „Dieselben Leute, die kritisch oder sogar feindlich gegenüber den Päpsten Johannes Paul II. Und Benedikt XVI. waren, die sie als Verräter des Geistes des Zweiten Vatikanischen Konzils angeprangert haben, rufen jetzt Papst Franziskus an.“

Kardinal Müller hat sein Manifest im vergangenen Monat veröffentlicht, weil „viele Christen sich der grundlegenden Lehren des Glaubens nicht mehr bewusst sind, so dass die Gefahr wächst, den Weg zum ewigen Leben zu verpassen.“

Das Dokument bekräftigte die traditionelle kirchliche Lehre zu Themen wie der Kommunion für Geschiedene und Wiederverheiratete und der Kommunion für Protestanten.

Es gab jedoch scharfe Kritik von Anhängern von Papst Franziskus, darunter Kardinal Walter Kasper, der Müller mit Martin Luther verglich: „Einer, der sich zu Recht für Reformen in der Kirche einsetzt, diese jedoch hinter dem Rücken des Papstes verfolgen und gegen ihn durchsetzen will.”

Kardinal Müller schlug jedoch im Interview mit dem Catholic World Report zurück und beschuldigte Kritiker, Papst Franziskus als „Vehikel für ihre linksliberale Agenda zur Entsakramentalisierung der Kirche“ zu verwenden.

„Wenn es um die sexuellen Verbrechen einiger Priester geht“, fuhr er fort, „halten sie den priesterlichen Zölibat oder die Sakramentalität der bischöflichen und priesterlichen Ämter für verantwortlich, anstatt auf den Zusammenbruch des priesterlichen Ethos und der sexuellen Moral in den achtziger Jahren zu achten, an welchen die intellektuellen Vorgänger dieser Kritiker schuld waren.“

In Bezug auf die Kirchenreform sagte der Kardinal, dass echte Reform „geistige und moralische Erneuerung in Christus bedeutet und nicht die Entchristlichung der Kirche oder ihre Umwandlung in eine NGO, in der die globale Erwärmung wichtiger ist als das Bewusstsein, dass Gott die Quelle und das Ziel des Menschen und der ganzen Schöpfung ist.“

Er sagte auch, warnte davor, das Wort „Klerikalismus“ zu missbrauchen, als er versuchte, die Ursachen der Missbrauchskrise zu finden, und sagte, der Begriff werde als „Schlachtruf gegen das von Gott eingesetzte Amt“ verwendet.

„Worum es beim Begriff „Klerikalismus“ geht, ist der Missbrauch von Autorität, um persönliche Vorteile durch die Unterstützung von Freunden zu erlangen, die trotz ihrer Inkompetenz und Unwürdigkeit Positionen in der Kirche einnehmen.

„Das Motiv des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und kirchlichen Untergebenen ist jedoch nicht der Durst nach Macht über andere, sondern das ungebührliche sexuelle Verlangen, das zur Lustsünde führt und die Opfer entmenschlicht.“

Das beste Mittel gegen die Krise, sagte er, war nicht das Reden um Veränderung von Strukturen, sondern einfach für den Erhalt des traditionellen Unterrichts.

„Die sakramentale Konstitution der Kirche, der Gehorsam gegenüber den Zehn Geboten und die Treue gegenüber dem Ruf eines getauften, ordinierten oder verheirateten / unverheirateten Christen – dies ist der beste Schutz gegen alle Formen des Ungehorsams gegenüber unserem Schöpfer und Erlöser und gegen die Verletzung der Liebe Gottes und des Nächsten, diese Liebe, die alle Gebote umfaßt.“

_______

Quelle

(Übersetzung ins Deutsche von mir [POS]

Papst Franziskus zum Treffen „DER SCHUTZ VON MINDERJÄHRIGEN IN DER KIRCHE“ 

TREFFEN „DER SCHUTZ VON MINDERJÄHRIGEN IN DER KIRCHE“
[VATIKAN, 21.-24. Februar 2019] 

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AM ENDE DER EUCHARISTISCHEN KONZELEBRATION

Sala Regia
Sonntag, 24 Februar 2019

[Multimedia]


 

Liebe Brüder und Schwestern,

mein Dank gilt dem Herrn, der uns in diesen Tagen begleitet hat, und euch allen möchte ich für den kirchlichen Geist und den Einsatz, den ihr mit so viel Großherzigkeit geleistet habt, danken.

Unsere Arbeit hat uns dazu geführt, einmal mehr anzuerkennen, dass das schwere Übel des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen leider in allen Kulturen und Gesellschaften ein geschichtlich verbreitetes Phänomen ist. Dieser Missbrauch ist erst in relativ jüngerer Zeit Gegenstand systematischer Studien geworden und dies dank eines Bewusstseinswandels der öffentlichen Meinung über ein Thema, das in der Vergangenheit tabu war, das heißt, dass alle von seiner Existenz wussten, aber keiner darüber sprach. Das bringt mir auch eine grausame religiöse Praxis in Erinnerung, die in der Vergangenheit in einigen Kulturen verbreitet war, nämlich Menschen – oft Kinder – bei heidnischen Ritualen zu opfern. Allerdings legen die verfügbaren Statistiken über den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen, die von verschiedenen nationalen und internationalen Organisationen und Organismen (Weltgesundheitsorganisation WHO, UNICEF, Interpol, Europol u.a.) erstellt wurden, bis heute nicht das wahre Ausmaß des Phänomens offen. Es wird häufig unterschätzt, vor allem weil viele Fälle des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen nicht angezeigt werden[1], insbesondere die im familiären Bereich begangenen.

Selten vertrauen sich die Opfer wirklich jemanden an und suchen Hilfe[2]. Hinter diesem Widerstreben mag Scham, Verwirrung, Furcht vor Vergeltung, Schuldgefühl, Misstrauen gegenüber den Institutionen, kulturelle oder soziale Konditionierung, aber auch Unkenntnis über die Dienste und Strukturen, die helfen können, stehen. Die Beklemmung führt leider zur Verbitterung oder sogar zum Selbstmord oder gelegentlich zur Revanche, bei der das Opfer selbst zum Täter wird. Das einzige gesicherte Faktum ist, dass Millionen Kinder auf der Welt Opfer von Ausbeutung und sexuellem Missbrauch sind.

Hier wäre es wichtig, die allgemeinen Daten – die meines Erachtens immer nur einen Teil wiedergeben – auf globalem Niveau[3], dann auf europäischem, asiatischem, amerikanischem, afrikanischem und ozeanischem Niveau wiederzugeben, um ein Bild der Schwere und der Tiefe dieses Übels in unseren Gesellschaften zu zeigen[4]. Um unnötige Diskussionen zu vermeiden, möchte ich zunächst unterstreichen, dass die Erwähnung bestimmter Länder den einzigen Zweck hat, statistische Daten aus den genannten Berichten zitieren zu können.

Die erste Evidenz, die sich aus den verfügbaren Daten ergibt: wer Missbrauch begeht, das heißt Gewalt (körperlich, sexuell oder psychisch) anwendet, sind vor allem Eltern, Verwandte, die Partner von Kinderbräuten, Trainer und Erzieher. Ferner haben sich, wie UNICEF-Daten aus dem Jahr 2017 bezogen auf 28 Länder zeigen, neun von zehn Mädchen, die erzwungenen Geschlechtsverkehr hatten, als Opfer eines Bekannten oder einer mit der Familie verbundenen Person bezeichnet.

Entsprechend der offiziellen Zahlen der US-amerikanischen Regierung werden in den Vereinigten Staaten jedes Jahr mehr als 700.000 Kinder Opfer von Gewalt und Misshandlung. Nach dem International Center For Missing and Exploited Children (ICMEC) wird jedes zehnte Kind sexuell missbraucht. In Europa sind 18 Millionen Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch[5].

Wenn wir das Beispiel Italiens nehmen, ergibt der Bericht des „Blauen Telefons“ [Telefono Azzurro] aus dem Jahr 2016, dass 68,9% der Missbräuche innerhalb der eigenen vier Wände des Minderjährigen stattfinden[6].

Schauplatz der Übergriffe ist nicht nur der häusliche Bereich, sondern auch das Umfeld des Stadtviertels, der Schule, des Sports[7]und leider auch der Kirche.

Aus den Untersuchungen der letzten Jahre über das Phänomen des sexuellen Missbrauchs ergibt sich ebenso, dass die Entwicklung des Internets und der Kommunikationsmittel zu einer beträchtlichen Zunahme der Fälle von Missbrauch und von online verübter Gewalt geführt haben. Die Verbreitung der Pornografie weitet sich über das Netz rapide in der Welt aus. Das Übel der Pornografie hat erschreckende Dimensionen angenommen mit verheerenden Folgen für die Psyche und für die Beziehungen zwischen Mann und Frau sowie zwischen ihnen und den Kindern. Es handelt sich um ein stets wachsendes Phänomen. Ein sehr beträchtlicher Teil der pornografischen Produktion hat trauriger Weise Minderjährige zum Gegenstand, die auf diese Weise in ihrer Würde schwer verletzt werden. Die Studien in diesem Bereich dokumentieren – was sehr traurig ist –, dass dies auf immer entsetzlichere und grausamere Weise geschieht. Es kommt sogar zu Missbrauchshandlungen an Minderjährigen, die live im Netz bestellt und verfolgt werden[8].

Ich erinnere hier an den internationalen Kongress, der in Rom über das Thema der Würde des Kindes in der digitalen Welt abgehalten wurde; wie auch an das erste Forum der interreligiösen Allianz für sicherere Gemeinschaften, das zum gleichen Thema im vergangenen November in Abu Dhabi stattgefunden hat.

Ein weiteres Übel ist der Sextourismus: Gemäß den Daten von 2017 der Weltorganisation für Tourismus begeben sich jedes Jahr drei Millionen Personen auf Reisen, um mit einer minderjährigen Person sexuelle Beziehungen zu haben[9]. Bedeutsam ist der Umstand, dass die Urheber dieser Verbrechen in den meisten Fällen nicht anerkennen, dass das, was sie begehen, eine Straftat ist.

Wir sind also vor einem allgemeinen und übergreifenden Problem, das man leider fast überall antrifft. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die weltweite Verbreitung dieses Übels bestätigt, wie schwerwiegend es für unsere Gesellschaften ist[10], schmälert aber nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche.

Die Unmenschlichkeit dieses Phänomens auf weltweiter Ebene wird in der Kirche noch schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht. Die gottgeweihte Person, die von Gott auserwählt wurde, um die Seelen zum Heil zu führen, lässt sich von ihrer menschlichen Schwäche oder ihrer Krankheit versklaven und wird so zu einem Werkzeug Satans. In den Missbräuchen sehen wir die Hand des Bösen, das nicht einmal die Unschuld der Kinder verschont. Es gibt keine ausreichenden Erklärungen für diese Missbräuche gegenüber Kindern. Demütig und beherzt müssen wir anerkennen, dass wir vor dem Geheimnis des Bösen stehen, das gegen die Schwächsten erbost ist, weil sie Bild Jesu sind. Deshalb ist in der Kirche das Pflichtbewusstsein gewachsen, nicht nur danach zu streben, den höchst schwerwiegenden Missbräuchen durch Disziplinarmaßnahmen und zivile und kanonische Prozesse Einhalt zu gebieten, sondern auch sich dem Phänomen mit Entschlossenheit sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche zu stellen. Sie fühlt sich gerufen, dieses Übel zu bekämpfen, das das Herzstück ihrer Mission berührt: das Evangelium den Kleinen zu verkünden und sie vor den reißenden Wölfen zu schützen.

Ich möchte an dieser Stelle klar betonen: Wenn in der Kirche auch nur ein Missbrauchsfall ausfindig gemacht worden wäre – was an sich schon eine Abscheulichkeit darstellt, – so würde dieser Fall mit der größten Ernsthaftigkeit angegangen. Brüder und Schwestern, in der gerechtfertigten Wut der Menschen erblickt die Kirche den Widerschein des Zornes Gottes, der von diesen schändlichen Gottgeweihten verraten und geohrfeigt wurde. Das Echo des stillen Schreis der Kleinen, die in ihnen statt Vätern oder geistlichen Führern Menschenschinder gefunden haben, wird die durch Scheinheiligkeit und Macht betäubten Herzen erzittern lassen. Wir haben die Pflicht, diesem erstickten stillen Schrei aufmerksam zuzuhören.

Es ist also schwer, das Phänomen der sexuellen Missbräuche an Minderjährigen zu begreifen, ohne die Macht in die Überlegungen einzubeziehen: Denn diese sind immer die Folge von Machtmissbrauch, der Ausbeutung der schwächeren Position der wehrlosen missbrauchten Person, welche die Manipulierung ihres Gewissens und ihrer psychischen und körperlichen Schwachheit ermöglicht. Der Machtmissbrauch ist auch in den anderen Formen des Missbrauchs gegenwärtig, denen fast 85 Millionen Kinder zum Opfer fallen, die von allen vergessen werden: die Kindersoldaten, die minderjährigen Prostituierten, die unterernährten Kinder, die entführten Kinder, die oftmals Opfer des abscheulichen Handels mit menschlichen Organen werden oder zu Sklaven gemacht werden; die Kinder, die Opfer des Krieges sind; die Flüchtlingskinder, die abgetriebenen Kinder und so weiter.

Angesichts so viel Grausamkeit, so vieler götzendienerischer Opfer von Kindern an den Götzen Macht, Geld, Stolz, Hochmut sind die bloß empirischen Erklärungen nicht ausreichend; diese sind nicht im Stande, die Weite und die Tiefe dieses Dramas deutlich zu machen. Noch einmal zeigt die positivistische Hermeneutik ihre Grenzen. Sie gibt uns eine echte Erklärung, die uns helfen wird, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, aber sie ist nicht im Stande, uns eine Bedeutung zu vermitteln. Und wir benötigen heute Erklärungen und Bedeutungen. Die Erklärungen werden uns sehr im Bereich des Handelns helfen, aber sie lassen uns auf halber Strecke stehen bleiben.

Welches wäre also die existentielle „Bedeutung“ dieser kriminellen Erscheinung? Unter Berücksichtigung ihrer menschlichen Weite und Tiefe ist sie nichts anderes als der gegenwärtige Ausdruck des Geistes des Bösen. Wenn wir uns diese Dimension nicht vergegenwärtigen, werden wir der Wahrheit fern und ohne wahre Lösungen bleiben.

Brüder und Schwestern, heute stehen wir vor einer unverschämten, aggressiven und zerstörerischen Offenbarwerdung des Bösen. Dahinter und darin steckt dieser Geist des Bösen, der sich in seinem Stolz und seinem Hochmut als der Herr der Welt wähnt[11] und denkt, gesiegt zu haben. Und dies möchte ich euch mit der Autorität eines Bruders und Vaters sagen, der freilich gering und ein Sünder, aber der Hirte der Kirche ist, der er in der Liebe vorsteht: In diesen schmerzlichen Fällen sehe ich die Hand des Bösen, die nicht einmal die Unschuld der Kleinen verschont. Und dies bringt mich dazu, an das Beispiel von Herodes zu denken, der getrieben von der Angst, seine Macht zu verlieren, den Befehl gab, alle Kinder von Betlehem hinzuschlachten[12]. Dahinter steckt der Teufel.

Und so wie wir alle praktischen Maßnahmen ergreifen müssen, die der gesunde Menschenverstand, die Wissenschaften und die Gesellschaft uns bieten, so dürfen wir diese Wirklichkeit nicht aus dem Blick verlieren und müssen die geistlichen Maßnahmen treffen, die der Herr selbst uns lehrt: Demütigung, Selbstanklage, Gebet, Buße. Das ist die einzige Weise, um den Geist des Bösen zu besiegen. So hat ihn Jesus besiegt[13].

Das Ziel der Kirche wird also sein, den missbrauchten, ausgebeuteten und vergessenen Minderjährigen, wo auch immer sie sich befinden, zuzuhören, sie zu bewahren, zu schützen und zu betreuen. Damit die Kirche dieses Ziel erreichen kann, muss sie sich über alle ideologischen Polemiken und die journalistischen Kalküle erheben, die oftmals die von den Kleinen durchlebten Dramen aus verschiedenen Interessen instrumentalisieren.

Es ist daher die Stunde gekommen zusammenzuarbeiten, um diese Brutalität aus dem Leib unserer Menschheit herauszureißen, indem wir alle notwendigen Maßnahmen anwenden, die auf internationaler und kirchlicher Ebene schon in Kraft sind. Es ist die Stunde gekommen, das richtige Gleichgewicht aller Werte zu finden, die auf dem Spiel stehen, und einheitliche Richtlinien für die Kirche zu geben, wobei die zwei Extreme eines Gerechtigkeitswahns, der von den Schuldgefühlen aufgrund der vergangenen Fehler und dem Druck der medialen Welt hervorgerufen wird, und der Selbstrechtfertigung, die die Gründe und die Folgen dieser schwerwiegenden Straftaten nicht aufarbeitet, zu vermeiden sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich „Best Practices“ erwähnen, die unter der Leitung der Weltgesundheitsorganisation von einer Gruppe von zehn internationalen Agenturen formuliert wurden[14], die ein Maßnahmenpaket namens INSPIRE entwickelt und verabschiedet haben, also sieben Strategien, um der Gewalt gegen Kinder ein Ende zu setzen[15].

Wenn sich die Kirche auf ihrem gesetzgeberischen Weg dieser Leitlinien bedient – auch dank der Arbeit, die in den vergangenen Jahren von der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen geleistet worden ist, und dank des Beitrags unseres jetzigen Treffens –, wird sie sich auf folgenden Dimensionen konzentrieren:

1. Kinderschutz: Das Hauptziel jeder Maßnahme besteht darin, Kinder zu schützen und zu verhindern, dass sie Opfer psychischer und physischer Gewalt gleich welcher Art werden. Daher ist ein Mentalitätswechsel erforderlich, um die Abwehrhaltung zum Schutz der Institution zu bekämpfen und so eine aufrichtige und entschlossene Suche nach dem Wohl der Gemeinschaft zu fördern. Hierbei ist den Opfern von Missbrauch in jeder Hinsicht Vorrang einzuräumen. Die unschuldigen Gesichter der Kleinen müssen uns immer vor Augen stehen und an die Worte des Meisters erinnern: »Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt wegen der Ärgernisse! Es muss zwar Ärgernisse geben; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!« (Mt 18,6-7).

2. Absolute Ernsthaftigkeit: Ich möchte hier wiederholen, dass »die Kirche keine Mühen scheuen wird, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz zu unterstellen. Die Kirche wird nie versuchen, einen Fall zu vertuschen oder unterzubewerten« (Ansprache an die Römische Kurie, 21. Dezember 2018). Sie ist überzeugt: »Die Sünden und Verbrechen gottgeweihter Personen erhalten eine noch dunklere Färbung von Untreue und Schande und entstellen das Antlitz der Kirche, indem sie ihrer Glaubwürdigkeit schaden. Tatsächlich ist die Kirche zusammen mit ihren treuen Söhnen und Töchtern auch ein Opfer dieser Untreue und dieser im wahrsten Sinne des Wortes „Verbrechen der Veruntreuung« (ebd.).

3. Wirkliche Reinigung: Trotz der getroffenen Maßnahmen und der erzielten Fortschritte bei der Verhinderung von Missbrauch ist ein wiederholte und ständiges Bemühen um die Heiligkeit der Hirten nötig, deren Gleichgestaltung mit Christus, dem guten Hirten, ein Recht des Gottesvolkes ist. Die Kirche bekräftigt daher den festen Willen, »den Weg der Reinigung mit all ihrer Kraft fortzusetzen. Die Kirche wird sich, auch unter Hinzuziehung von Experten, darüber beraten, wie die Kinder zu schützen sind; wie solche Katastrophen vermieden werden können, auf welche Weise man sich der Opfer annehmen und sie reintegrieren kann; wie man die Ausbildung in den Seminaren verbessert. Man wird versuchen, die begangenen Fehler in Chancen zu verwandeln, um dieses Übel nicht nur aus dem Leib der Kirche, sondern auch aus dem der Gesellschaft zu beseitigen« (ebd.). Die heilige Gottesfurcht bringt uns dazu, uns selbst – als einzelne Person und als Institution – anzuklagen und unsere Fehler wiedergutzumachen. Sich selbst anklagen: das ist ein weiser, weisheitlicher Anfang, der mit der heiligen Gottesfurcht verbunden ist. Lernen, sich selbst anzuklagen, als einzelne Person, als Institutionen, als Gesellschaft. Wir dürfen nämlich nicht der Versuchung unterliegen, andere zu beschuldigen, was ein Schritt in Richtung eines Alibis wäre, das sich der Realität verweigert.

4. Ausbildung: Das heißt, die erforderliche Auswahl und Ausbildung der Priesteramtskandidaten nicht nur nach negativen Kriterien durchführen, die in erster Linie darauf abzielen, problematische Persönlichkeiten auszuschließen, sondern auch nach positiven Maßstäben: Den geeigneten Kandidaten muss ein ausgewogener Ausbildungsweg geboten werden, der auf Heiligkeit ausgerichtet ist und die Tugend der Keuschheit miteinschließt. In der Enzyklika Sacerdotalis caelibatus schrieb der heilige Paul VI.: »Ein Leben, das einen so vollständigen und gefährdeten inneren und äußeren Einsatz fordert, wie das beim ehelosen Priester der Fall ist, schließt in der Tat Menschen mit einer unzureichenden psychisch-physischen und moralischen Ausgeglichenheit aus; und man darf nicht vorgeben, dass in diesen Dingen die Gnade die Natur ersetzen werde« (Nr. 64).

5. Die Leitlinien der Bischofskonferenzen verstärken und verifizieren: Das heißt, die erforderliche Einheit der Bischöfe bei der Anwendung der Parameter, die als Normen und nicht bloß als Orientierungen gelten müssen, neu bekräftigen. Normen, nicht bloß Orientierungen. Kein Missbrauch darf jemals vertuscht (so wie es in der Vergangenheit üblich war) oder unterbewertet werden, da die Vertuschung von Missbrauch die Verbreitung des Übels begünstigt und zusätzlich eine weitere Stufe des Skandals darstellt. Im Besonderen muss ein neuer wirksamer Ansatz zur Prävention in allen Einrichtungen und Bereichen kirchlicher Tätigkeit entwickelt werden.

6. Missbrauchte Personen begleiten: Das Übel, das ihnen widerfahren ist, lässt in ihnen unheilbare Wunden zurück, die sich auch in Form von Hass und selbstzerstörerischen Tendenzen zeigen. Die Kirche hat daher die Pflicht, ihnen jede notwendige Hilfe zukommen zu lassen und dabei auf Fachleute auf diesem Gebiet zurückzugreifen. Zuhören und – gestattet mir den Ausdruck –, „Zeit verschwenden“ beim Zuhören. Das Zuhören schenkt dem Verwundeten Heilung, es heilt auch uns selbst vom Egoismus, von der Distanz, von der Einstellung „Das ist nicht meine Aufgabe“, von der Haltung des Priesters und des Leviten im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

7. Digitale Welt: Der Schutz der Minderjährigen muss alle neuen Formen sexuellen Missbrauchs und Missbrauchs jeglicher Art berücksichtigen, die sie in ihren Lebensumfeldern und durch die von ihnen verwendeten neuen digitalen Instrumente bedrohen. Seminaristen, Priester, Ordensmänner und -frauen, in der Pastoral Tätige und alle Menschen müssen sich bewusst sein, dass die digitale Welt und die Anwendung ihrer Instrumente oft viel mehr damit zu tun hat, als man denkt. Hier muss man die Länder und die Verantwortungsträger dazu ermutigen, alle notwendigen Maßnahmen zur Einschränkung von Webseiten anzuwenden, welche die Würde von Männern, Frauen und insbesondere von Minderjährigen gefährden. Brüder und Schwestern: eine Straftat kann kein Recht auf Freiheit beanspruchen. Wir müssen uns diesen Gräueln mit größter Entschiedenheit entgegenstellen, wachsam sein und dafür kämpfen, dass die Entwicklung der Kinder nicht dadurch gestört oder erschüttert wird, dass sie unkontrollierten Zugang zur Pornografie haben, die tiefe negative Spuren in ihrem Gedächtnis und in ihrer Seele hinterlässt. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die jungen Menschen, besonders Seminaristen und Kleriker, nicht Sklaven von Abhängigkeiten werden, die auf der Ausbeutung und dem kriminellen Missbrauch unschuldiger Kinder und deren Bilder wie auch auf der Missachtung der Würde der Frau und der menschlichen Person beruhen. Hierbei unterstreiche ich die neuen Normen über schwerwiegendere Straftaten [Normae de gravioribus delictis], die im Jahr 2010 von Papst Benedikt XVI. approbiert wurden. Darin wurde als Delikt der »neue Tatbestand des Erwerbes, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornografischer Bilder von Minderjährigen« durch einen Kleriker »in jedweder Form und mit jedwedem Mittel« hinzugefügt. Damals war von Minderjährigen »unter 14 Jahren« die Rede. Jetzt denken wir, dass diese Altersgrenze angehoben werden muss, um den Schutz der Minderjährigen auszuweiten und um die Schwere dieser Taten zu bestätigen.

8. Sextourismus: Das Verhalten, der Blick, die Gedanken der Jünger und Diener Jesu müssen das Abbild Gottes in jedem Menschen, angefangen bei den ganz unschuldigen Geschöpfen, erkennen können. Nur aus dieser radikalen Achtung der Würde des Nächsten heraus können wir ihn vor der allgegenwärtigen Macht von Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch und Korruption verteidigen und ihm auf glaubwürdige Weise helfen, menschlich und geistlich ganzheitlich zu wachsen in der Begegnung mit den Mitmenschen und mit Gott. Bei der Bekämpfung von Sextourismus muss größerer rechtlicher Druck ausgeübt werden; es müssen aber auch den Opfern dieses verbrecherischen Phänomens Unterstützung und Projekte zur Wiedereingliederung angeboten werden. Die kirchlichen Gemeinschaften sind aufgerufen, die Seelsorge für die vom Sextourismus ausgebeuteten Menschen zu verstärken. Unter ihnen sind sicher Frauen, Minderjährige und Kinder jene, die am verwundbarsten sind und besondere Hilfe brauchen; letztere benötigen jedoch eigenen Schutz und spezielle Aufmerksamkeit. Die staatlichen Behörden mögen dies vordringlich behandeln und dringend tätig werden, um den Handel von Kindern und ihre wirtschaftliche Ausbeutung zu bekämpfen. Zu diesem Zweck ist die Koordination der Bemühungen auf allen Ebenen der Gesellschaft sowie die enge Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wichtig, um einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der Kinder vor der sexuellen Ausbeutung im Tourismus schützt und es erlaubt, die die Täter auf dem Rechtsweg zu belangen.[16]

Lasst mich nun allen Priestern und gottgeweihten Personen innigen Dank sagen, die dem Herrn vollkommen und treu dienen. Sie fühlen sich vom schändlichen Verhalten einiger ihrer Mitbrüder entehrt und in Misskredit gebracht. Alle – die Kirche, gottgeweihte Personen, das Volk Gottes und sogar Gott selbst – tragen wir die Folgen ihrer Untreue. Im Namen der ganzen Kirche danke ich der überwältigenden Mehrheit der Priester, die nicht nur den Zölibat treu leben, sondern in einem Dienst aufgehen, der heute durch die Skandale einiger weniger (aber immer zu viele) ihrer Mitbrüder schwieriger geworden ist. Und Dank gilt auch den Gläubigen, die ihre tüchtigen Hirten sehr wohl kennen und weiter für sie beten und sie weiterhin unterstützen.

Schließlich möchte ich herausstellen, wie wichtig es ist, dieses Übel zu einer Chance der Reinigung werden zu lassen. Im Blick auf die Gestalt Edith Steins, der heiligen Teresa Benedicta vom Kreuz, sind wir gewiss: »Aus der dunkelsten Nacht treten die größten Propheten – Heiligengestalten hervor. Aber zum großen Teil bleibt der gestaltende Strom des mystischen Lebens unsichtbar. Sicherlich werden die entscheidenden Wendungen in der Weltgeschichte wesentlich mitbestimmt durch Seelen, von denen kein Geschichtsbuch etwas meldet. Und welchen Seelen wir die entscheidenden Wendungen in unserem persönlichen Leben verdanken, das werden wir auch erst an dem Tage erfahren, an dem alles Verborgene offenbar wird.«[17] In seinem täglichen Schweigen macht das heilige gläubige Volk Gottes auf vielerlei Art und Weise weiter sichtbar und beweist es mit „sturer“ Hoffnung, dass der Herr es nicht verlässt, dass der Herr die ständige und in vielen Situationen leidende Hingabe seiner Kinder unterstützt. Das heilige und geduldige gläubige Volk Gottes, das der Heilige Geist trägt und lebendig macht, ist das beste Antlitz der prophetischen Kirche, die es versteht, beim täglichen Einsatz ihren Herrn in die Mitte zu stellen. Eben dieses heilige Volk Gottes wird uns vom Übel des Klerikalismus befreien, der den fruchtbaren Boden für all diese Gräuel bildet.

Das beste Ergebnis und die wirksamste Resolution, die wir den Opfern, dem Volk der heiligen Mutter Kirche und der ganzen Welt bieten können, besteht im Bemühen um eine persönliche und gemeinschaftliche Bekehrung sowie in der Demut, zu lernen und den am meisten Verwundbaren zuzuhören, ihnen beizustehen und sie zu schützen.

Eindringlich appelliere ich an alle Verantwortungsträger und an die einzelnen Personen, in allen Bereichen gegen den Missbrauch von Minderjährigen zu kämpfen, im sexuellen wie in den anderen Bereichen, denn es handelt sich um abscheuliche Verbrechen, die auf dem Antlitz der Erde ausgemerzt werden müssen: Darum bitten viele verborgene Opfer in den Familien und in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft.

 


[1] Vgl. María Isabel Martínez Perez, Abusos sexuales en niños y adolescentes, Ed. Criminología y Justicia, 2012. Es kommen nur 2% der Fälle zur Anzeige, besonders wenn diese im familiären Bereich stattfinden. Sie schätzt zwischen 15% und 20% als Opfer von Pädophilie in unserer Gesellschaft ein. Nur 50% der Kinder sprechen über den Missbrauch den sie erlitten haben, und von diesen Fällen werden nur 15% tatsächlich zur Anzeige gebracht. Nur 5% werden schließlich gerichtlich verhandelt.[2] Einer von drei Fällen spricht zu niemandem darüber (Daten von 2017, erhoben von der Non-Profit-Organisation THORN).

[3] Globales Niveau: Im Jahr 2017 schätzte die WHO, dass bis zu einer Milliarde Minderjähriger im Altersbereich von 2 bis 17 Jahren körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt bzw. Vernachlässigung erlitten haben. Die sexuellen Missbräuche (vom Betasten bis zur Vergewaltigung) würden, nach einigen Schätzungen von UNICEF im Jahr 2014, mehr als 120 Millionen Mädchen betreffen, welche den höheren Anteil von Opfern ausmachen. Im Jahr 2017 hat diese UN-Organisation berichtet, dass in 38 ärmeren Ländern in der Welt etwa 17 Millionen erwachsene Frauen zugegeben haben, in ihrer Kindheit einen erzwungenen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.

Europa: Schätzungen der WHO zufolge, lagen im Jahr 2013 mehr als 18 Millionen Missbrauchsfälle vor. Davon waren 13,4% Mädchen und 5,7% Jungen. Nach UNICEF haben in 28 europäischen Ländern ungefähr 2,5 Millionen junger Frauen berichtet, sexuellen Missbrauch mit oder ohne körperlicher Berührung vor dem 15. Lebensjahr erlitten zu haben (Zahlen von 2017). Ferner waren 44 Millionen (das entspricht 22,9%) Opfer physischer Gewalt, während 55 Millionen (29,6%) Opfer psychischer Gewalt waren. Und nicht nur das: Im Jahre 2017 hat ein Interpol-Bericht über die sexuelle Ausbeutung Minderjähriger zur Identifikation von 14.289 Millionen in 54 Ländern geführt. In Bezug auf Italien ergab eine Schätzung CESVI für das Jahr 2017, dass 6 Millionen Kinder Misshandlungen erlitten haben. Außerdem ergaben sich, nach Ergebnissen des Blauen Telefons [Telefono Azzurro], für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2017 98 Fälle von sexuellem Missbrauch und Pädophilie, die vom Kindernotruf 114 aufgenommen wurden; das entspricht etwa 7,5% aller von diesem Dienst bearbeiteten Fälle. 65% der Minderjährigen, die um Hilfe ersucht haben, waren Opfer weiblichen Geschlechts und mehr als 40% war jünger als 11 Jahre.

Asien: In Indien hat das Asian Center for Human Rights im Jahrzehnt von 2001 bis 2011 ein Gesamt von 48.338 Fällen von Vergewaltigungen Minderjähriger festgestellt, mit einer entsprechenden Zunahme von 336%: von 2.113 Fällen im Jahr 2001 ist man nämlich auf 7.112 Fälle im Jahr 2011 gekommen.

Amerika: In den Vereinigten Staaten ergeben die offiziellen Daten der Regierung, dass jedes Jahr mehr als 700.000 Kinder Opfer von Gewalt und Misshandlungen sind. Nach dem International Center for Missing and Exploited Children (ICMEC) erleidet ein Kind von zehn sexuellen Missbrauch.

Afrika: In Südafrika haben die Ergebnisse einer Untersuchung des Zentrums für die Gerechtigkeit und Verbrechensprävention der Universität von Kapstadt gezeigt, dass im Jahre 2016 einer von drei südafrikanischen Jugendlichen, männlich oder weiblich, der Gefahr sexuellen Missbrauchs vor dem Erreichen des siebzehnten Lebensjahres ausgesetzt ist. Nach der Studie, der ersten dieser Art auf nationaler Ebene in Südafrika, haben 784.967 Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren schon sexuellen Missbrauch erlitten. Die Opfer sind in diesem Fall vorwiegend männliche Jugendliche. Nicht einmal ein Drittel hat die Gewalttaten bei den Behörden angezeigt. In anderen afrikanischen Ländern fügen sich die sexuellen Missbräuche an Minderjährigen in den umfassenderen Zusammenhang der Gewalttaten in Verbindung mit den blutigen Konflikten auf dem Kontinent ein und lassen sich nur schwer quantifizieren. Das Phänomen ist auch eng verbunden mit der Praxis der Kinderehe, die in verschiedenen Ländern Afrikas und nicht nur dort verbreitet sind.

Ozeanien: In Australien haben, nach den Ergebnissen des Australian Institute of Health and Welfare (AIHW) vom Februar 2018 und bezogen auf den Zeitraum 2015 bis 2018, eine von sechs Frauen (16%, was 1,5 Millionen entspricht) berichtet, dass sie vor dem fünfzehnten Lebensjahr körperlich und/oder sexuell missbraucht wurden, während einer von neun Männern (11%, was 992.000 entspricht) sagten, dass sie einen solchen Missbrauch erlebt haben, als sie Kinder waren. Ferner wurden im Zeitraum 2015-2016 etwa 450.000 Kindern Kinderschutz-Maßnahmen zuteil, und 55.600 wurden aus ihren häuslichen Bereichen entfernt, um die erlittenen Missbräuche zu kurieren und anderen vorzubeugen. Schließlich dürfen die Risiken nicht übersehen werden, denen die Minderjährigen der Naturvölker ausgesetzt sind: Wiederum nach AIHW war in den Jahren 2015-2016 bei indigenen Kindern die Wahrscheinlichkeit, von Missbrauch oder von Verwahrlosung betroffen zu sein, siebenmal höher als bei ihren nicht-indigenen Altersgenossen (vgl. http://www.pbc2019.org/it/protezione-dei-minori/abuso-dei-minori-a-livello-globale).

[4] Die aufgeführten Daten beziehen sich auf Beispielländer, die auf der Grundlage der Zuverlässigkeit der verfügbaren Quellen ausgesucht wurden. Die Untersuchungen von UNICEF für 30 Länder bestätigen diesen Sachverhalt: Ein kleiner Prozentsatz von Opfern hat bekundet, Hilfe erbeten zu haben.

[5] Vgl. https://www.repubblica.it/salute/prevenzione/2016/05/12/news/maltrattamenti_sui_mi-nori_tutti_gli_abusi – 139630223.

[6] Im Spezifischen ist der mutmaßliche Verantwortliche des erlittenen Unbehagens des Minderjährigen bei 73,3% der Fälle ein Elternteil (die Mutter für 44,2%, der Vater für 29,5% der Betroffenen). Für 3,3% der Fälle ist es ein Verwandter, für 3,2% ein Freund, für 3% ein Bekannter und für 2,5% ein Erzieher. Die Zahlen verdeutlichen, dass ein Erwachsener von außen nur in einem kleinen Prozentsatz der Fälle (2,2%) als Verantwortlicher auftritt (vgl. ebd.).

[7] Eine englische Untersuchung von 2011, die von NSPCC (National Society for the Prevention of Cruelty to Children) durchgeführt wurde, zeigte, dass 29% von befragten Personen angab, sexuelle Belästigung (körperlich und verbal) in Zentren, wo Sport getrieben wurde, erfahren zu haben.

[8] Nach den Untersuchungen 2017 des IWF (Internet Watch Foundation) sendet alle sieben Minuten eine Webseite Bilder von sexuell missbrauchten Kindern. Im Jahr 2017 wurden 78.589 URL identifiziert, die Bilder von sexuellem Missbrauch enthielten. Sie stammten insbesondere aus den Niederlanden und wurden von den Vereinigten Staaten, Kanada, Frankreich und Russland gefolgt. 55% der Opfer war jünger als zehn Jahre; 86% waren Mädchen, 7% Jungen und 5% Kinder beiderlei Geschlechts.

[9] Die am meisten besuchten Ziele sind neben Thailand und Kambodscha Brasilien, die Dominikanische Republik und Kolumbien. Zu diesen sind in letzter Zeit einige Länder Afrikas und Osteuropas hinzugekommen. Die ersten sechs Herkunftsländer von denjenigen, die Missbräuche begehen, sind hingegen Frankreich, Deutschland, das Vereinigte Königreich, China, Japan und Italien. Nicht zu vernachlässigen ist auch die wachsende Anzahl der Frauen, die auf der Suche nach Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen gegen Bezahlung in Entwicklungsländer reisen: Insgesamt stellen sie 10% der Sextouristen weltweit dar. Darüber hinaus bestand gemäß einer Studie von ECPAT International (End Child Prostitution in Asian Tourism) zwischen 2015 und 2016 35% der pädophilen Sextouristen aus Stammkunden, 65% hingegen aus Gelegenheitskunden. (vgl. https:// http://www.osservatoriodiritti.it /2018/03/27/turismo-sessuale-minorile-nel-mondo-italia-ecpat).

[10] »In der Tat, wenn etliche geweihte Amtsträger von dieser schweren Plage befallen sind, stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß unsere Gesellschaften und unsere Familien betroffen sein könnten?« (Ansprache an die Römische Kurie, 21. Dezember 2018).

[11] Vgl.. R.H. Benson, The Lord of the World, Dodd, Mead and Company, London 1907.

[12] »Quare times, Herodes, quia audis Regem natum? Non venit ille ut te excludat, sed ut diabolum vincat. Sed tu haec non intelligens turbaris et saevis; et ut perdas unum quem quaeris, per tot infantium mortes efficeris crudelis […] Necas parvulos corpore quia te necat timor in corde« (S. Quadvultdeus, Sermo 2 de SymboloPL 40, 655).

[13] »Quemadmodum enim ille, effuso in scientiae lignum veneno suo, naturam gusto corruperat, sic et ipse dominicam carnem vorandam presumens, Deitatis in ea virtute, corruptus interitusque sublatus est« (Maximus Confessor, Centuria 1, 8-13: PG, 1182-1186).

[14] CDC: United States Centers for Disease Control and Prevention; CRC: Convention on the Rights of the Child; End Violence Against Children: The Global Partnership; PAHO: Pan American Health Organization; PEPFAR: President’s Emergency Program for AIDS Relief; TFG: Together for Girls; UNICEF: United Nations Children’s Fund; UNODC: United Nations Office on Drugs and Crime; USAID: United States Agency for International Development; WHO: World Health Organization.

[15] Jeder Buchstabe des Wortes INSPIRE stellt eine der Strategien dar und der Großteil hat, über den Nutzen in Bereichen wie der psychischen Gesundheit, der Erziehung und der Verminderung der Kriminalität hinaus, positive Auswirkungen auf die Prävention der verschiedenen Arten der Gewalt gezeigt. Die sieben Strategien sind die folgenden: Implementation and enforcement of laws: Umsetzung und Anwendung der Gesetze (zum Beispiel Verbot von gewalttätigen Disziplinen und Beschränkung des Zugangs zu Alkohol und Feuerwaffen); Norms and values: Normen und Werte, die geändert werden müssen (zum Beispiel diejenigen, die den sexuellen Missbrauch an Mädchen oder das aggressive Verhalten unter Jungen verharmlosen); Safe environments: sichere Umgebungen (zum Beispiel in den Wohnvierteln die „Brennpunkte“ der Gewalt ausfindig machen und die Gründe vor Ort durch eine Handlungsweise, die die Probleme löst, und andere Eingriffe angehen); Parent and caregiver support: Eltern und Unterstützung durch einen Familienbetreuer (zum Beispiel durch Schulungsangebote für Eltern für ihre Kinder und für Jungeltern); Income and economic strengthening: Einkommen und wirtschaftliche Stärkung (wie der Mikrokredit und die Erziehung über die Geschlechtergerechtigkeit); Response and support services: Rückmeldungs- und Unterstützungsdienste (zum Beispiel Gewährleistung des Zugangs für die der Gewalt ausgesetzte Kinder zu wirksamen Notfallbehandlungen und einer angemessenen psycho-sozialen Unterstützung); Education and life skills: Bildung und Befähigung zum Leben (zum Beispiel Gewährleistung, dass die Kinder die Schule besuchen und soziale Kompetenzen bereitstellen).

[16] Vgl. Schlussdokument des VI. Internationalen Kongresses für Tourismusseelsorge, 27. Juli 2004.

[17] Teresa Benedicta vom Kreuz, Betrachtung Verborgenes Leben und Epiphanie (1940). Gesamtausgabe Band 20, Geistliche Texte II, Freiburg i. Br. 2015, S. 124-125.

_______

Quelle