NUR DIE LIEBE HÖRT NIEMALS AUF

Paris 1980 Notre-Dame

JOHANNES PAUL II.

Predigt beim Gottesdienst vor der Basilika
Notre-Dame, Paris, am 30. Mai 1980

1. Liebst du?

Eine grundlegende Frage, eine dauernde Frage. Es ist die Frage, die das Herz öffnet – und die dem Leben seinen Sinn gibt. Es ist die Frage, die über die wahre Dimension des Menschen entscheidet. In ihr muß sich der ganze Mensch aus­drücken, und in ihr muß er auch über sich selbst hinauswachsen.

Liebst du mich?

Diese Frage ist einst hier, an diesem Ort, gestellt worden. Es ist ein historischer Ort, ein heiliger Ort. Hier begegnen wir dem Genius Frankreichs, dem Genius, der in der Architektur dieses Gotteshauses Ausdruck gefunden hat, das vor achthundert Jahren erbaut wurde und das noch immer da ist, um Zeugnis zu geben vom Menschen. In der Tat, quer durch alle Formulierungen, mit denen er sich zu definieren versucht, kann der Mensch nicht vergessen, daß auch er Tempel ist: Tempel, in dem der Heilige Geist wohnt. Aus diesem Grund hat der Mensch diesen Tempel, diese Kirche errichtet, die seit achthundert Jahren von ihm Zeugnis ablegt: Notre-Dame.

Hier, an diesem Ort, sollte im Verlauf unserer ersten Begegnung diese Frage gestellt werden: Liebst du mich? Aber sie muß überall und immer gestellt wer­den. Diese Frage wird dem Menschen von Gott gestellt. Diese Frage muß der Mensch unentwegt sich selbst stellen.

2. Diese Frage stellte Christus dem Petrus. Christus hat sie dreimal gestellt, und dreimal hat Petrus ihm geantwortet. „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? – Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe“ (Joh 21, 15-17).

Und bereits mit dieser Frage und dieser Antwort schlug Petrus den Weg ein, der bis an sein Lebensende sein Weg sein sollte. Überallhin sollte ihn das wunder­bare Gespräch begleiten, in dem er auch dreimal vernommen hatte: „Weide meine Lämmer … Weide meine Schafe … Weide diese Herde, deren Tür und Guter Hirte ich selbst bin“ (vgl. Joh 10, 7).

Für immer, bis an sein Lebensende, sollte Petrus auf dem Weg weitergehen, begleitet von dieser dreimal gestellten Frage: „Liebst du mich?“ Und an der Antwort, die er damals gegeben hatte, maß er all sein Tun und Wirken – als er vor den Hohen Rat gerufen wurde, als er in Jerusalem ins Gefängnis geworfen wurde, aus dem er nicht mehr freikommen sollte … und aus dem er dennoch freikam; und als er sich von Jerusalem nach Norden, nach Antiochia, und dann noch weiter, von Antiochia nach Rom begab. Und in Rom, wo er bis ans Ende seiner Tage blieb, erkannte er die Macht der Worte, daß ihn ein anderer führen werde, wohin er nicht wolle … (vgl. Joh 21, 18).

Und er wußte auch, daß dank dieser Worte die Kirche unablässig „an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ festhielt und daß „der Herr ihrer Gemeinschaft täglich die hinzu­fügte, die gerettet werden sollten“ (Apg 2, 42.47).

So war es in Jerusalem, dann in Antiochia, dann in Rom. Und später auch hier, westlich und nördlich der Alpen, in Marseille, Lyon, Paris.

3. Petrus kann sich nie mehr von dieser Frage losmachen: „Liebst du mich?“ Er trägt sie mit sich, wohin er auch geht. Er trägt sie durch die Jahrhunderte, durch die Generationen. Mitten unter die jungen Völker und jungen Nationen. Mit­ten unter die immer neuen Sprachen und Rassen. Er trägt sie allein und ist doch nicht mehr allein. Andere tragen sie mit ihm: Paulus, Johannes, Jakobus, Andreas, Irenäus von Lyon, Benedikt von Norcia, Martin von Tours, Bernhard von Clairvaux, der Poverello von Assisi, Jeanne d’Arc, Franz von Sales, Jeanne Fran9oise de Chantal, Vinzenz von Paul, Jean-Marie Vianney, Theresia von Lisieux.

In diesem Land, das ich heute besuchen darf, hier, in dieser Stadt, gab es und gibt es sehr viele Männer und Frauen, die wußten und die noch heute wissen, daß ihr ganzes Leben allein und ausschließlich dann Wert und Sinn hat, wenn es Antwort gibt eben auf die Frage: Liebst du? Liebst du mich? Sie haben ihre Antwort gegeben und geben sie noch immer in vollkommener Weise – eine heroische Antwort – oder jetzt in allgemeiner, üblicher Weise. Aber in jedem Fall wissen sie, daß ihr Leben, daß das menschliche Leben überhaupt in dem Maße Wert und Sinn hat, als es Antwort ist auf die Frage: Liebst du? Einzig und allein dank dieser Frage ist das Leben wert, gelebt zu werden.

Auf ihren Spuren komme ich hierher. Ich besuche ihre irdische Heimat. Ihrer Fürbitte empfehle ich Frankreich und Paris, die Kirche und die Welt. Die Antwort, die sie auf die Frage: Liebst du? gegeben haben, besitzt universale Bedeutung, einen unvergänglichen Wert. Sie baut in der Geschichte der Menschheit die Welt des Guten auf. Allein die Liebe errichtet eine solche Welt. Sie errichtet sie durch Arbeit und Mühe. Sie muß kämpfen, um ihr Gestalt zu geben: sie muß kämpfen gegen die Kräfte des Bösen, der Sünde, des Hasses, gegen die Begierde des Fleisches, gegen die Begierde der Augen und gegen den Hochmut des Lebens (vgl. 1 Joh 2, 16).

Dieser Kampf hat kein Ende. Er ist so alt wie die Geschichte des Menschen. In unserer Zeit scheint dieser Kampf, dieses Ringen, unserer Welt Gestalt zu geben, heftiger denn je. Und mehr als einmal fragen wir uns zitternd, ob denn der Haß über die Liebe, der Krieg über den Frieden, die Zerstörung über den Aufbau siegen wird.

Welch eindringliche Bedeutung hat die Frage Christi: „Liebst du?“ Sie ist grundlegend für jeden und für alle. Sie ist grundlegend für den einzelnen und für die Gesellschaft, die Nation und den Staat. Sie ist grundlegend für Paris und für Frankreich: „Liebst du?“

4. Christus ist der Eckstein dieses Baues. Er ist der Eckstein dieser Form, die die Welt, unsere Menschenwelt, durch die Liebe annehmen kann.

Petrus, den Christus dreimal gefragt hat: „Liebst du mich?“ wußte das. Petrus, der in der Stunde der Prüfung seinen Meister dreimal verleugnet hat, wußte das. Und seine Stimme zitterte, als er antwortete: „Herr, du weißt, daß ich dich liebe“ (Joh 21, 15). Er hat jedoch nicht geantwortet: „Und dennoch, Herr, habe ich dich enttäuscht“, sondern: „Herr, du weißt, daß ich dich liebe!“ Als er das sagte, wußte er schon, daß Christus der Eckstein ist, auf dem trotz seiner ganzen menschlichen Schwäche in ihm, Petrus, dieser Bau fußen kann, der die Gestalt der Liebe haben würde. Durch alle Situationen und durch alle Prüfungen hin­durch. Bis ans Ende. Deshalb würde er eines Tages in dem Brief, den wir soeben gelesen haben, von Jesus Christus als dem Eckstein schreiben, auf dem „auch ihr euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus, zu einer heiligen Prie­sterschaft aufbauen lassen sollt, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzu­bringen, die Gott gefallen…“ (1 Petr 2, 5).

Das alles heißt nichts anderes, als immer und beständig mit Festigkeit und Kon­sequenz Antwort zu geben auf die eine Frage: „Liebst du? Liebst du mich? Liebst du mich mehr als alles?“

Es ist in der Tat die Antwort, das heißt die Liebe, die uns alle zu „einem aus­erwählten Geschlecht“ macht, „zu einer königlichen Priesterschaft, zu einem heiligen Stamm, zu einem Volk, das Gottes besonderes Eigentum wurde …“ (1 Petr 2, 9).

Sie bewirkt, daß wir die großen Taten dessen verkünden, der uns „aus der Fin­sternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“ (ebd.).

Das alles hat Petrus in der absoluten Gewißheit seines Glaubens gewußt. Und das alles weiß er und bekennt es auch weiterhin in seinen Nachfolgern. Ja, er weiß und er bekennt, daß dieser Eckstein, der dem ganzen Bau der Mensch­heitsgeschichte die Gestalt der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens gibt, wahrhaftig der Stein war, ist und sein wird, der von den Menschen verworfen wird …, von den Menschen, von vielen unter ihnen, die die Bauleute des Schick­sals der Welt sind; und dennoch, trotz allem, ist, war und wird wahrhaftig er, Jesus Christus, der Eckstein der Menschheitsgeschichte sein. Und trotz aller Konflikte, Widerstände und Ablehnungen, trotz der Finsternis und der Wol­ken, die sich unaufhörlich am Horizont der Geschichte zusammenballen – und ihr wißt, wie bedrohlich sie heute, in unserer Zeit sind –, ist er es, von dem der unvergängliche Bau erstehen, auf dem er sich erheben und ausbreiten wird.

Allein die Liebe besitzt die Kraft, das zu bewirken. Allein die Liebe kennt kei­nen Niedergang.

Nur die Liebe hört niemals auf (vgl. 1 Kor 13, 8). Allein sie erbaut in den irdi­schen und vergänglichen Dimensionen der Geschichte des Menschen auf Erden die Gestalt der Ewigkeit.

5. Wir befinden uns hier an einem heiligen Ort: Notre-Dame. Diesen herr­lichen Bau, einen Schatz gotischer Kunst, haben eure Vorfahren der Muttergot­tes geweiht. Sie haben ihn der geweiht, die unter allen Menschen auf die Frage: Liebst du? Liebst du mich? Liebst du mich mehr? die vollkommenste Antwort gegeben hat.

Ihr ganzes Leben war in der Tat eine vollkommene, makellose Antwort auf diese Frage.

Es war daher angebracht, daß ich an einem Ort, der Maria geweiht ist, meine Begegnung mit Paris und mit Frankreich beginne, eine Begegnung, zu der ich von den Behörden des Staates und der Stadt, von der Kirche und ihren Bischö­fen so freundlich eingeladen wurde. Mein Besuch am Montag am Sitz der UNESCO in Paris bekommt damit seinen vollen Rahmen und die Dimension, die meiner Sendung des Zeugnisses und des apostolischen Dienstes zukommt. Diese Einladung ist für mich von großem Wert. Ich schätze sie sehr hoch. Ich möchte auch, meinen Möglichkeiten und meiner Stellung entsprechend, diese Einladung beantworten und sie ihr Ziel voll erreichen lassen.

Deshalb freue ich mich darüber, daß unsere erste Begegnung in Gegenwart der Muttergottes stattfindet, vor ihr, die unsere Hoffnung ist. Ich möchte ihr den Dienst anvertrauen, den unter euch zu erfüllen meine Pflicht ist. Ich bitte sie auch, wie zugleich ihr alle, liebe Brüder und Schwestern, daß dieser Dienst nutzbringend und fruchtbar sein möge für die Kirche in Frankreich, für den heutigen Menschen und unsere Welt.

6. Es gibt zahlreiche Orte in eurem Land, wohin meine Gedanken und mein Herz sehr häufig, ja jeden Tag auf Pilgerfahrt gehen: das Heiligtum der Mutter­gottes in Lourdes, Lisieux, Ars, wohin ich mich dieses Mal nicht werde bege­ben können, und Annecy, wohin ich schon seit langem eingeladen bin, ohne daß ich meinen Wunsch bisher verwirklichen konnte.

So steht Frankreich vor meinen Augen, Mutter der Heiligen durch so viele Generationen und Jahrhunderte hindurch. 0, wie würde ich wünschen, daß sie alle in unser Jahrhundert, in unsere Generation zurückkehren entsprechend ihren Bedürfnissen und ihren Verantwortlichkeiten!

Bei dieser ersten Begegnung wünsche ich nun allen und jedem, die Frage in ihrer ganzen Bedeutung zu begreifen, die Christus mehrmals an Petrus gerich­tet hat: Liebst du? Liebst du mich? Möge diese Frage widerhallen und injedem von uns ein tiefes Echo finden!

Die Zukunft des Menschen und der Welt hängt davon ab: Werden wir diese Frage hören? Werden wir ihre Bedeutung begreifen? Wie werden wir darauf antworten?


Notre-Dame-Paris-Kirchenschiff

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Ansprache an den Klerus von Paris
in Notre-Dame am 30. Mai 1980

Liebe Brüder, liebe Priester!

1. Es ist eine ganz große Freude für mich, gleich heute abend – und zuerst – mich an euch, Priester und Diakone von Paris und Umgebung, zu wenden und durch euch an alle Priester und Diakone Frankreichs. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Priester. Ihr seid kraft des Sakraments der Priesterweihe meine Brüder. Das Schreiben, das ich am Gründonnerstag des vergangenen Jahres an euch gerichtet habe, sprach euch bereits meine besondere Wertschätzung, meine Liebe und mein Vertrauen aus. Übermorgen werde ich eine längere Begegnung mit euren Bischöfen haben, die in besonderer Weise meine Brüder sind; in Verbundenheit mit ihnen spreche ich zu euch. Aber in meinen Augen, in den Augen des Konzils seid ihr von den Bischöfen nicht zu trennen, und ich werde an euch denken, wenn ich mit ihnen spreche. Eine tiefe Gemeinschaft, die sich auf das Sakrament und den Dienst gründet, verbindet Priester und Bischöfe. Liebe Freunde, könntet ihr doch die Liebe begreifen, die ich euch in Christus Jesus entgegenbringe! Wenn Christus mir wie dem Apostel Petrus aufträgt, „meine Brüder zu stärken“, so seid es wohl zuallererst ihr, denen das zugute kommen soll.

2. Um mit Freude und Hoffnung unser Priesterleben zu führen, müssen wir zu den Quellen zurückgehen. Nicht die Welt bestimmt unsere Aufgabe, unsere Lebensform, unsere Identität. Jesus Christus bestimmt sie; die Kirche be­stimmt sie. Es ist Jesus Christus, der uns als seine Freunde auserwählt hat, damit wir Frucht bringen; der uns zu seinen Dienern gemacht hat: wir haben teil am Amt und Auftrag des einen Mittlers, der Christus ist. Er ist die Kirche, der Leib Christi, der seit 2000 Jahren kundtut, welch unentbehrlichen Platz in ihr die Bischöfe, die Priester und die Diakone innehaben.

Und ihr, Priester aus Frankreich, habt das Glück, die Erben sehr vieler Priester zu sein, die Vorbilder für die ganze Kirche bleiben und die für mich selbst eine ständige Quelle der Betrachtung sind. Ich denke, um nur von der noch nicht weit zurückliegenden Zeit zu sprechen, an den hl. Franz von Sales, an den hl. Vinzenz von Paul, an den hl. Jean Eudes, an die Lehrer der Ecole française, an den hl. Louis-Marie Grignion de Montfort, an den hl. Jean-Marie Vianney, an die Missionare des 19. und 20. Jahrhunderts, deren Arbeit ich in Afrika bewun­dert habe. Die Spiritualität aller dieser Hirten trägt den Stempel ihrer Zeit, doch die innere Dynamik ist dieselbe, und das besondere Merkmal eines jeden bereichert das Gesamtzeugnis des Priestertums, das wir leben sollen. Wie gerne wäre ich nach Ars gepilgert, wenn das möglich gewesen wäre! Der Pfarrer von Ars bleibt wirklich für alle Länder ein unvergleichliches Vorbild sowohl für die Erfüllung des Dienstes als auch für die Heiligkeit des Dieners, der sich in Gebet und Buße für die Bekehrung der Menschen hingibt.

Viele Studien und Lehrschreiben haben auch die Lebensform für die Priester eures Landes dargestellt: ich denke zum Beispiel an den wunderbaren Brief von Kardinal Suhard: „Der Priester in der Stadt.“ Das Zweite Vatikanische Kon­zil hat die gesamte Lehre vom Priestertum in die Konstitution Lumen gentium (Nr. 28) und in das Dekret Presbyterorum ordinis aufgenommen, deren Ver­dienst es ist, die Priesterweihe im Hinblick auf die apostolische Sendung im Volk Gottes und als Teilnahme am Priestertum und der Sendung des Bischofs zu betrachten. Diese Texte werden durch eine Reihe anderer ergänzt, im be­sonderen durch die Pauls VI., der Synode und durch mein eigenes Schreiben. Das also sind die Aussagen, die Dokumente, die für uns den Weg des Priester­tums beschreiben. Heute abend, an diesem erhabenen Ort, der einem Abend­mahlssaal gleicht, gebe ich euch, liebe Freunde, nur einige wesentliche Empfehlungen.

3. Vor allem, glaubt an euer Priestertum. Oh, ich weiß nur zu gut um all das, was manche Priester heute entmutigen und vielleicht wankend machen könnte. Viele Analysen und Darlegungen betonen diese tatsächlich bestehenden Schwierigkeiten – besonders die geringe Zahl der Priesterweihen –, deren ich mir voll bewußt bin, auch wenn ich mir heute abend nicht die Zeit nehme, sie alle aufzuzählen. Und dennoch sage ich euch: seid glücklich und stolz, Priester zu sein! Alle Getauften bilden ein priesterliches Volk, das heißt, sie haben Gott das geistliche Opfer ihres ganzen, von liebendem Glauben beseelten Lebens darzubringen, indem sie es mit dem einen Opfer Christi verbinden. Gepriesen sei das Konzil, das uns daran erinnert hat! Aber eben deshalb besitzen wir das Amtspriestertum, um den Laien ihr Priestertum bewußt zu machen und ihnen seine Ausübung zu ermöglichen. Wir sind Christus, dem Priester, gleichgestal­tet worden, so daß wir im Namen Christi, des Hauptes, handeln können (vgl. Presbyterorum ordinis, 2). Wir sind aus den Menschen genommen und wir bleiben arme Diener, aber unsere Sendung als Priester des Neuen Bundes ist erhaben und unentbehrlich: es ist die Sendung Christi, des einzigen Mittlers und des einzigen, der heilig macht; eine Sendung, die eine totale Hingabe unse­res Lebens und unseres Seins fordert. Niemals wird sich die Kirche mit dem Mangel an Priestern, heiligen Priestern abfinden können. Je mehr das Volk Gottes zur Reife gelangt, je mehr die christlichen Familien und die christlichen Laien ihre Aufgabe in ihren vielfältigen Einsätzen des Apostolats wahrneh­men, desto mehr brauchen sie Priester, die ganz Priester sein sollen, eben für die Vitalität ihres christlichen Lebens. Und umgekehrt, je stärker die Welt entchristlicht wird oder es ihr an Reife im Glauben fehlt, desto mehr braucht sie auch Priester, die sich voll und ganz dem Zeugnis für die Fülle des Geheimnis­ses Christi widmen sollen. Das ist die Gewißheit, die unseren priesterlichen Eifer tragen soll, das ist die Sicht, die uns anspornen muß, mit allen unseren Kräften, durch Gebet, durch Zeugnis, durch Anruf und Ausbildung, die Berufe von Priestern und Diakonen zu fördern.

4. Ich füge hinzu : Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes (vgl. Einleitung aller Briefe des hl. Paulus), bewahrt die apostolische, die missionarische Sorge, die bei der Mehrzahl der französischen Priester so lebendig ist! Viele wurden ­und das ist besonders auffallend in diesen letzten 35 Jahren – von dem glühen­den Eifer ergriffen, das Evangelium zu verkünden: inmitten der Welt, mitten im Leben unserer Zeitgenossen, in allen Schichten der Gesellschaft, unter Intellektuellen ebenso wie unter Arbeitern oder selbst in der „vierten Welt“, auch unter denen, die der Kirche oft fernstehen, die geradezu eine Mauer von der Kirche zu trennen scheint. Sie wollen das Evangelium verkündigen mit Hilfe vieler neuer Formen der Annäherung, mit Hilfe einfallsreicher und muti­ger Initiativen, die bis zur Teilnahme an der Arbeit und den Lebensbedingun­gen der Arbeiter gehen, und das im Blick auf die Sendung, jedenfalls fast immer mit bescheidenen Mitteln. Viele – Hilfsgeistliche zum Beispiel – springen unablässig in die Bresche, um den geistlichen Bedürfnissen einer entchristlich­ten, säkularisierten Welt nachzukommen, die oft durch neue kulturelle Proble­me erschüttert wird. Diese pastorale Sorge, in Gemeinschaft mit euren Bischö­fen überdacht und ausgeführt, gereicht euch zur Ehre: möge sie fortgesetzt und ständig geläutert werden. Das ist der Wunsch des Papstes. Wie kann man Prie­ster sein, ohne am Eifer des Guten Hirten teilzuhaben? Der Gute Hirte küm­mert sich um jene, die sich aus Mangel an Glauben oder religiöser Praxis von der Herde entfernt haben (vgl. Presbyterorum ordinis, 6); um so mehr küm­mert er sich um die ganze Herde der Gläubigen, um sie zu sammeln und zu stär­ken, wie es der tägliche Seelsorgsdienst so vieler Pfarrer und Vikare beweist.

5. In dieser pastoralen und missionarischen Sicht soll euer Dienst immer der eines Apostels Jesu Christi, eines Priesters Jesu Christi sein. Verliert niemals aus den Augen, wozu ihr geweiht worden seid: die Menschen im göttlichen Leben zu fördern.(vgl. ebd., Nr. 2). Das Zweite Vatikanische Konzil trägt euch gleichzeitig auf, dem Leben der Menschen nicht fremd gegenüberzustehen und „Zeugen und Ausspender eines anderen als des irdischen Lebens“ zu sein (vgl. ebd., Nr. 3).

So seid ihr Diener des Wortes Gottes, um das Evangelium zu verkünden und Verkünder des Evangeliums auszubilden, um den Glauben – den Glauben der Kirche – zu wecken, zu lehren und zu nähren, um die Menschen zur Umkehr und zur Heiligung aufzufordern (vgl. ebd., Nr. 4). Ihr nehmt teil an dem Heili­gungswerk Christi, um die Christen zu lehren, ihr Leben als Opfergabe darzu­bringen in jedem Augenblick, besonders bei der Eucharistie, die „Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ ist (ebd., Nr. 5). Und da, liebe Brüder im Prie­steramt, müssen wir stets mit äußerster Sorge auf eine Feier der Eucharistie achten, die dieses heiligen Mysteriums wahrhaft würdig ist, woran ich kürzlich in meinem diesbezüglichen Schreiben erinnerte. Unser Verhalten bei dieser Feier muß die Gläubigen wirklich in diese heilige Handlung hineinführen, die sie mit Christus, dem Heiligen Gottes, verbindet. Die Kirche hat uns dieses Ge­heimnis anvertraut, und sie sagt uns, wie wir es feiern müssen. Ihr lehrt die Christen auch, ihr ganzes Leben mit dem Geist des Gebetes zu erfüllen, ihr be­reitet sie auf die Sakramente vor; ich denke besonders an das Sakrament der Buße oder Versöhnung, das für die Bekehrung des christlichen Volkes von größter Bedeutung ist. Ihr seid Erzieher im Glauben, Former der Gewissen, Führer der Seelen, um es jedem Christen zu ermöglichen, seine persönliche Berufung gemäß dem Evangelium in einer aufrichtigen und tätigen Liebe zur Entfaltung zu bringen, in den Tagesereignissen zu lesen, was Gott von ihm erwartet, seinen Platz in der Gemeinschaft der Christen voll einzunehmen, de­ren Sammler und Hirten ihr seid und die missionarisch sein muß (vgl. ebd., Nr. 6), auch seine irdischen Verantwortlichkeiten in der Gemeinschaft der Menschen in einer dem christlichen Glauben entsprechenden Weise wahrzu­nehmen. Die Katechumenen, die Getauften, die Gefirmten, die Eheleute, die Ordensmänner und Ordensfrauen, einzeln oder in Gemeinschaft, zählen auf eure besondere Hilfe, damit sie so werden, wie sie sein sollen.

Kurz, alle eure Kräfte werden dem geistlichen Wachstum des Leibes Christi ge­widmet, ob euch ein bestimmter Dienst oder die missionarische Präsenz über­tragen wird. Euer Beruf ist Quelle ganz großer Freude und auch sehr großer Opfer. Ihr seid „als Priester“ allen Menschen und allen ihren Problemen nahe. Ihr bewahrt dabei eure priesterliche Identität, die euch erlaubt, den Dienst Christi, zu dem ihr geweiht worden seid, zu garantieren. Eure priesterliche Per­sönlichkeit muß für die anderen ein Zeichen und ein Hinweis sein; so verstan­den, kann euer Priesterleben keine Laisierung zulassen.

6. Wie euer Priestertum auf die Laien bezogen ist, so fügt es sich auch in das Priestertum eures Bischofs ein. Ihr nehmt auf eurer Stufe durch das Weihe­sakrament und die kanonische Sendung am bischöflichen Dienst teil. Darauf gründet sich euer verantwortlicher und freiwilliger Gehorsam eurem Bischof gegenüber, eure kluge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm. Er ist der Vater der Gemeinschaft der Priester. Ohne ihn könnt ihr die Kirche Gottes nicht aufbauen. Er stellt die Einheit der pastoralen Verantwortung her, wie der Papst die Einheit in der Gesamtkirche herstellt. Umgekehrt übt der Bischof mit euch dank eurer Mitarbeit seine dreifache Aufgabe aus, die das Konzil ausführ­lich dargelegt hat (vgl. Lumen gentium, Nr. 25-28). So besteht eine fruchtbare Gemeinschaft, die sich nicht nur in der praktischen Zusammenarbeit zeigt, sondern die teilhat am Mysterium der Kirche und die im Priesterrat in besonde­rer Weise hervortritt.

7. Diese Einheit mit euren Bischöfen, liebe Freunde, ist untrennbar von jener Einheit, die ihr als Priester untereinander leben müßt. Alle Jünger Christi ha­ben das Gebot gegenseitiger Liebe empfangen; für euch hat das Konzil sogar von einer sakramentalen Brüderschaft gesprochen: ihr nehmt am selben Prie­stertum Christi teil (vgl. Presbyterorum ordinis, 8). Einheit muß in der Wahr­heit bestehen: ihr legt die sicheren Grundlagen für die Einheit, wenn ihr muti­ge Zeugen der von der Kirche gelehrten Wahrheit seid, damit die Christen nicht zu jeder windigen Lehre verführt werden, und wenn ihr alle Handlungen eures Dienstes in Übereinstimmung mit den von der Kirche festgelegten Normen durchführt; andernfalls würde es Ärgernis und Spaltung geben. Die Einheit muß in der apostolischen Arbeit bestehen, wo ihr zur Übernahme verschiede­ner und sich ergänzender Aufgaben in gegenseitiger Wertschätzung und Zu­sammenarbeit berufen seid. Nicht weniger notwendig ist die Einheit auf der Ebene der brüderlichen Liebe: keiner soll seinen Bruder verurteilen, indem er ihn von vornherein der Untreue verdächtigt, indem er nichts anderes weiß, als ihn zu kritisieren, ja ihn zu verleumden, wie Jesus es den Pharisäern vorwarf. Durch unsere priesterliche Liebe legen wir Zeugnis ab und bauen wir die Kir­che auf. Um so mehr haben wir die Pflicht, wie das Konzil sagt, alle Laien zur Einheit in der Liebe zu führen und zu bewirken, daß niemand sich in der Ge­meinschaft der Christen fremd fühlt (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 9). In einer nur oft gespaltenen Welt, in der die Interessen einseitig und die Methoden zu exklusiv sind, haben die Priester die schöne Berufung, Baumeister der Annä­herung und der Einheit zu sein.

8. Das alles, liebe Brüder, gehört zu der Erfahrung, die wir von Jesus Christus haben, das heißt zur Heiligkeit. Unsere Heiligkeit trägt im höchsten Maß zur Fruchtbarkeit unseres Dienstes bei (vgl. Presbyterorum ordinis, 12). Wir sind die lebendigen Werkzeuge Christi, des ewigen Priesters. Dazu werden wir mit einer besonderen Gnade beschenkt, um zum Wohl des Gottesvolkes nach der Vollkommenheit dessen zu streben, den wir vertreten. Es sind vor allem die verschiedenen Tätigkeiten unseres Dienstes, die uns von sich aus auf diese Hei­ligkeit hinordnen: vermitteln, worüber wir meditiert haben; nachahmen, was wir vollziehen; uns ganz der Meßfeier hingeben; im Stundengebet der Kirche unsere Stimme leihen; uns mit der pastoralen Liebe Christi vereinigen … (vgl. ebd., Nr. 12-14). Unser Zölibat ist seinerseits ein Zeichen dafür, daß wir völlig dem Werk geweiht sind, zu dem der Herr uns berufen hat: der von Christus ergriffene Priester wird „zum Menschen für die anderen“, ganz verfügbar für das Reich Gottes, imstande, mit ungeteiltem Herzen die Vaterschaft in Chri­stus zu empfangen. Unsere Zugehörigkeit zur Person Jesu Christi muß daher auf jede Weise gestärkt werden: durch die Betrachtung des Wortes, durch das Gebet in Verbindung mit unserem Dienst und vor allem durch das heilige Meß­opfer, das wir jeden Tag feiern (vgl. Schreiben vom Gründonnerstag 1979, Nr. 10); es gilt, die Mittel zu benutzen, zu denen die Kirche ihren Priestern stets geraten hat. Unablässig und mit Freude müssen wir zu dem Erlebnis des ersten Anrufes zurückfinden, der von Gott an uns ergangen ist: „Komm, folge mir nach!“

9. Liebe Freunde, ich lade euch ein zur Hoffnung. Ich weiß, daß ihr „die Last des Tages und der Hitze“ sehr verdienstvoll tragt. Man könnte eine ganze Liste innerer und äußerer Schwierigkeiten aufstellen, von Ursachen der Unruhe vor allem in der Zeit des Unglaubens: niemand hat besser als der Apostel Paulus von den Drangsalen des apostolischen Dienstes gesprochen (vgl. 2 Kor 4-5), aber auch von seinen Hoffnungen. Es ist also vor allem eine Frage des Glau­bens. Glauben wir nicht, daß Christus uns geheiligt und gesandt hat? Glauben wir nicht, daß er bei uns ist, auch wenn wir diesen Schatz in zerbrechlichen Ge­fäßen tragen und selbst seiner Barmherzigkeit bedürfen, deren Diener wir für die anderen sind? Glauben wir nicht, daß er durch uns handelt, zumindest wenn wir sein Werk tun, und daß er das wachsen lassen wird, was wir unter großer Mühe seinem Geist gemäß gesät haben? Und glauben wir nicht, daß er auch die Gabe der priesterlichen Berufung allen denen gewähren wird, die mit uns arbeiten und uns ablösen sollen, vor allem wenn wir selbst die Gabe, die wir durch das Auflegen der Hände empfangen haben, neu zu beleben vermögen? Möge Gott unseren Glauben vermehren! Dehnen wir auch unsere Hoffnung auf die ganze Kirche aus: manche Mitglieder leiden, andere sind in vielfacher Weise beengt, einige erleben einen echten Frühling. Christus muß uns immer wieder sagen: „Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“ (Mt 8, 26). Christus wird die, die sich ihm anvertraut haben, die sich ihm jeden Tag anver­trauen, nicht verlassen.

10. Diese Kathedrale ist der Muttergottes geweiht. Nächstes Jahr werde ich mich zur Grotte von Massabielle in Lourdes begeben, und darüber freue ich mich. Euer Land besitzt zahlreiche Heiligtümer, wo eure Gläubigen gern zur gebenedeiten Jungfrau, ihrer Mutter, beten. Wir Priester sollten die ersten sein, sie als unsere Mutter anzurufen. Sie ist die Mutter des Priestertums, das wir von Christus empfangen haben. Ich bitte euch, vertraut ihr euer Amt, ver­traut ihr euer Leben an. Möge sie euch begleiten, wie sie die ersten Jünger be­gleitete, von der ersten frohen Begegnung in Kana, die euch an den Anfang eu­res Priestertums erinnert, bis zum Opfer am Kreuz, das unser Leben notwendi­gerweise prägt, und weiter bis Pfingsten in der immer inständigeren Erwartung des Heiligen Geistes, dessen Braut sie seit der Menschwerdung Jesu ist. Wir werden unsere Begegnung mit einem Ave Maria beschließen.

Für heute muß ich euch leider verlassen. Doch die Priester sind meinem Her­zen und meinem Gebet stets nahe. Im Namen des Herrn will ich euch segnen: Ich segne jeden von euch, ich segne die Priester, die ihr vertretet, ich segne be­sonders diejenigen, die physische oder moralische Prüfungen durchmachen, die die Einsamkeit oder die Versuchung erfahren. Möge Gott ihnen allen sei­nen Frieden schenken! Christus sei eure Freude! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.


Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 21, Predigten und Ansprachen von Papst Johannes Paul II. bei seiner Pilgerfahrt nach Frankreich , 30. Mai bis 2. Juni 1980