Ephesus in Dülmen

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Artikel aus dem Viktorboten, Ausgabe 8, April 2016

Rückt die Heiligsprechung des berühmtesten Mitglieds der Pfarrei St. Viktor, Anna Katharina Emmerick, in greifbare Nähe? Viele Menschen hoffen das. „Ich bin überzeugt: Anna Katharina ist eine Heilige!“ – so äußert sich Pater Alfred Bell, der für die Vorbereitung der Heiligsprechung beauftragte Vertreter des Bistums Münster. Kriterium einer Heiligsprechung ist nicht zuletzt die nachgewiesene internationale Verehrung eines Glaubenszeugen: Ist eine Seligsprechung von regionaler Bedeutung, so regelt eine Heiligsprechung die weltweite Verehrung eines Menschen, den die Kirche offiziell zum Vorbild für die Menschen und Fürsprecher bei Gott erklärt.

Die weltweite Bekanntheit und auch Verehrung der Anna Katharina Emmerick setzte schon im 19. Jahrhundert durch die rasche Übersetzung und Verbreitung der von Clemens Brentano aufgezeichneten Visionsberichte ein. Ein spektakuläres Ereignis, das für internationales Aufsehen sorgte, war gegen Ende des 19. Jahrhundert ein archäologischer Fund in Kleinasien, im Westen der Türkei: Zwei deutsche Priester des Lazaristen-Ordens hatten sich mit den visionären Schilderungen des Lebens Mariens in der Hand zu einer Expedition zum antiken Ephesus aufgemacht, wo nach Angaben Anna Katharina Emmericks die Gottesmutter Maria an der Seite des Evangelisten Johannes ihre letzten Lebensjahre verbracht habe.

Die Patres untersuchten gemäß den Angaben in den Brentano-Aufzeichnungen die topographischen Gegebenheiten der Gegend, befragten die eingesessene Bevölkerung und entdeckten nicht zuletzt dank des Zufalls an einer verborgenen Wasserstelle die Reste einer frühchristlichen Gebetsstätte. Die aufgefundenen Fundamente und Mauerreste vom „Haus der Maria“ wurden freigelegt und zu einer kleinen massiven Kapelle hochgezogen. Heute ist das Marienheiligtum von Ephesus ein Wallfahrtsort. Prominente Besucher in jüngerer Zeit waren die Päpste Paul VI. (1967), Johannes Paul II. (1979) sowie Benedikt XVI. im Jahre 2006. Die „Dülmener Heimatblätter“ widmeten 1972 der „Kunde aus Ephesus“ einen Artikel, ein umfangreicher Bericht fand sich 2011 in den „Emmerickblättern“.

Wer sich mit Anna Katharina Emmerick als weltweitem Phänomen befasst, der kennt das vertraute Bild vom „Hauses der Maria“ mit der markanten Bruchsteinfassade, den drei Rundbögen und dem knorrigen Baum davor. Und dieses Bild lässt sich auch in Dülmen entdecken! Als Wandmalerei – und dies fast exakt an jener Stelle, an der einst Clemens Brentano am Bett der Seherin seine Aufzeichnungen niederschrieb. Die Rede ist vom Döner-Restaurant an der Nonnengasse in Dülmen, in direkter Nähe zum früheren Kloster Agnetenberg und unweit der einstigen Bürgerhäuser Roters und Limberg, wo Anna Katharina Emmerick nach ihrer Ausweisung aus dem Kloster Agnetenberg ihr Quartier bezog. Hier also, an der Nonnengasse 2, betreibt Mehmed Kabukcu, der mit Frau und zwei Kindern in Dülmen lebt, seit 2004 einen Schnellimbiss. Eingerichtet und ausgestaltet wurde die Räumlichkeit allerdings schon Mitte der 1990er Jahr durch den damaligen Inhaber, einen aus der Türkei eingewanderten Armenier. Armenier sind Christen, und so finden sich unter den insgesamt sieben auf Putz aufgemalten Bildern im Speiseraum nicht nur Szenen aus dem antiken Kleinasien, sondern etwa auch von einer orthodoxen Kirche – und eben auch vom „Haus der Maria“ in Ephesus. Mehmed Kabukcu, geboren 1975  in der Gegend der südtürkischen Stadt Maras, hat damit kein Problem: Er bekennt sich ganz bewusst zu religiöser Toleranz. Und das auch aus eigener leidvoller Erfahrung: Zwar ist seine Familie muslimisch, gehört aber zur Glaubensgemeinschaft der Aleviten, die sich keiner klassischen Moscheegemeinde anschließen und seit jeher vom „offiziellen“ Islam in der Türkei unterdrückt werden. Und: Er ist Kurde – was ebenfalls bis heute zu Repressionen an seiner Volksgruppe in der Türkei führt. Daher kam Kabukcu 1993 als Asylbewerber nach Deutschland, 2001 wurde er eingebürgert. Mehmed Kabukcu hat seine Flucht nach Deutschland nicht bereut. Fremdenfeindlichkeit sei ihm in Dülmen noch nicht begegnet. Sein Restaurant läuft gut: „Wer gute Arbeit leistet, wird auch anerkannt“, meint er. Das derzeitige Flüchtlingsdrama empfindet er als Katastrophe, weniger hierzulande als vor allem weltweit.

Das „Haus der Maria“ setzt vielleicht gerade in diese aufgeheizte Stimmung hinein ein stummes Zeichen, ist doch das Marienheiligtum von Ephesus bis heute eine Pilgerstätte von Orthodoxen, Katholiken – und Muslimen! Insbesondere muslimische Frauen pilgern hierhin, schöpfen aus der dortigen Wasserquelle, hängen ihre niedergeschriebenen Gebetsanliegen auf ausgespannte Schnüre. Der Koran spricht voll Ehrfurcht von Maria. Das Konzilsdekret des Zweiten Vatikanums über die nicht-christlichen Religionen betont ausdrücklich die Marienverehrung der Muslime. In der schon erwähnten Ausgabe der „Emmerickblätter“ (2011/II, S. 20) resümiert der frühere Dülmener Pfarrer Dr. Clemens Engling nach einer Reise zum „Haus der Maria“, hier sei „ein Ort, der aus großer urchristlicher Tradition Christen und Muslime verbinden kann.“

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Quelle

DIE SELIGE ANNA KATHARINA EMMERICK (1774-1824)

Die selige Anna Katharina Emmerick

Die selige Anna Katharina Emmerick

Anna Katharina Emmerick wurde am 8. September 1774 in der Bauernschaft Flamschen bei Coesfeld geboren. Inmitten einer Geschwisterschar von 9 Kindern wuchs sie auf. Schon früh musste sie im Haus und bei der Landarbeit helfen. Ihr Schulbesuch war kurz. Umso mehr fiel es auf, dass sie in religiösen Dingen gut unterrichtet war. Schon früh bemerkten die Eltern und alle, die Anna Katharina kannten, dass sie sich in besonderer Weise zum Gebet und zum religiösen Leben hingezogen fühlte.

Drei Jahre tat Anna Katharina Dienst auf einem großen Bauernhof in der Nachbarschaft. Anschließend lernte sie nähen und war zur weiteren Ausbildung in Coesfeld. Sie liebte es, die alten Kirchen in Coesfeld zu besuchen und den Gottesdienst mitzufeiern. Oft ging sie allein für sich betend den großen Kreuzweg.

Anna Katharina hatte den Wunsch, ins Kloster einzutreten. Da dieser Wunsch sich zunächst nicht verwirklichen ließ, kehrte sie in das Elternhaus zurück. Sie arbeitete als Näherin und kam dabei in viele Häuser.

Anna Katharina bat in verschiedenen Klöstern um Aufnahme. Sie wurde jedoch abgewiesen, da sie keine besondere Mitgift mitbringen konnte. Die Klarissen in Münster erklärten sich schließlich bereit, sie aufzunehmen, wenn sie das Orgelspielen erlernen würde. Sie erhielt von ihren Eltern die Erlaubnis, beim Organisten Söntgen in Coesfeld in die Lehre zu gehen. Sie kam jedoch nicht dazu, das Orgelspiel zu erlernen. Die Not und Armut in diesem Haus veranlassten sie, im Hause und in der Familie mitzuarbeiten. Sie gab sogar ihre geringen Ersparnisse hin, um der Familie Söntgen zu helfen.

Gemeinsam mit ihrer Freundin Klara Söntgen konnte sie schließlich 1802 im Kloster Agnetenberg in Dülmen eintreten. Im folgenden Jahr legte sie ihr Ordensgelübde ab. Mit Eifer nahm sie am Leben des Klosters teil. Sie war stets bereit, auch schwere und ungeliebte Arbeiten zu übernehmen. Ihrer armen Herkunft wegen wurde sie im Kloster zunächst wenig geachtet. Manche ihrer Mitschwestern nahmen Anstoß an ihrer genauen Befolgung der Ordensregel und hielten sie für eine Heuchlerin. Anna Katharina trug diesen Schmerz schweigend und in stiller Ergebung.

In den Jahren 1802 bis 1811 wurde Anna Katharina häufiger krank und hatte große Schmerzen zu erdulden.

1811 wurde das Kloster Agnetenberg im Zuge der Säkularisation aufgehoben. Auch Anna Katharina musste das Kloster verlassen. Sie fand Aufnahme als Haushälterin bei Abbé Lambert, einem aus Frankreich geflüchteten Priester, der in Dülmen wohnte. Doch bald wurde sie krank. Sie konnte das Haus nicht mehr verlassen und wurde bettlägerig. Im Einvernehmen mit Vikar Lambert ließ sie ihre jüngere Schwester Gertrud kommen, die unter ihrer Leitung den Haushalt betreute.

In dieser Zeit empfing Anna Katharina Emmerick die Wundmale. Die Schmerzen der Wundmale hatte sie bereits seit längerer Zeit erlitten. Die Tatsache, dass sie die Wundmale trug, konnte nicht verborgen bleiben. Dr. Franz Wesener, ein junger Arzt, suchte sie auf und war so sehr von ihr beeindruckt, dass er ihr in den folgenden elf Jahren ein treuer, selbstloser und helfender Freund wurde. Er hat ein Tagebuch über seine Begegnungen mit Anna Katharina Emmerick geführt, in dem er eine Fülle von Einzelheiten festgehalten hat.

Ein hervorstechender Zug im Leben Anna Katharinas war ihre Liebe zu den Menschen. Wo immer sie Not sah, suchte sie zu helfen. Auch auf ihrem Krankenlager fertigte sie noch Kleidungsstücke für arme Kinder an und freute sich, wenn sie ihnen damit helfen konnte. Obwohl ihr die vielen Besucher manchmal hätten lästig werden können, nahm sie alle freundlich auf. Sie nahm sich ihrer Anliegen im Gebet an und schenkte ihnen Ermunterung und Trost.

Viele Persönlichkeiten, die in der kirchlichen Erneuerungsbewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Bedeutung waren, suchten die Begegnung mit Anna Katharina Emmerick, u.a.: Clemens August Freiherr Droste zu Vischering, Bernhard Overberg, Friedrich Leopold von Stolberg, Johann Michael Sailer, Christian und Clemens Brentano, Luise Hensel, Melchior und Apollonia Diepenbrock.

Von besonderer Bedeutung wurde die Begegnung mit Clemens Brentano. Aus seinem ersten Besuch 1818 wurde ein fünfjähriger Aufenthalt in Dülmen. Täglich besuchte er Anna Katharina, um ihre Visionen aufzuzeichnen, die er später veröffentlichte.

Im Sommer 1823 wurde Anna Katharina immer schwächer. Wie in allen vorhergehenden Jahren verband sie ihr Leiden mit dem Leiden Jesu und opferte es auf für die Erlösung der Menschen. Sie starb am 09. Februar 1824.

Anna Katharina Emmerick wurde auf dem Friedhof in Dülmen begraben. Zahlreiche Menschen nahmen an der Beerdigung teil. Weil das Gerücht entstand, der Leichnam Anna Katharinas sei entwendet worden, wurde das Grab in den auf die Beerdigung folgenden Wochen noch zweimal geöffnet. Der Sarg mit dem Leichnam wurde in unversehrtem Zustand gefunden.

Clemens Brentano schreibt über Anna Katharina Emmerick: »Sie steht wie ein Kreuz am Weg«. Anna Katharina Emmerick weist uns hin auf die Mitte unseres christlichen Glaubens, auf das Geheimnis des Kreuzes.

Das Leben Anna Katharina Emmericks ist gekennzeichnet von einer tiefen Christusverbundenheit. Sie liebte es, vor dem berühmten Coesfelder Kreuz zu beten. Häufig ging sie den großen Kreuzweg. Sie nahm persönlich so sehr teil am Leiden des Herrn, dass es nicht übertrieben ist zu sagen: Sie lebte, litt und starb mit Christus. Ein äußeres Zeichen dafür, das aber zugleich mehr ist als ein bloßes Zeichen, sind die Wundmale, die sie trug.

Anna Katharina Emmerick war eine große Marienverehrerin. Der Festtag Mariä Geburt ist auch ihr Geburtstag. Ein Wort aus einem Mariengebet weist uns auf einen weiteren Aspekt im Leben Anna Katharinas hin. In diesem Gebet heißt es: »O Gott, lass uns nach dem Vorbild des Glaubens und der Liebe Mariens dem Werk der Erlösung dienen«. Dem Werk der Erlösung dienen: Das wollte Anna Katharina Emmerick.

Der Apostel Paulus spricht im Brief an die Kolosser von zwei Weisen des Dienstes am Evangelium, des Dienstes an der Erlösung. Die eine Weise besteht in der aktiven Verkündigung in Wort und Tat. Was aber, wenn das nicht mehr geht? Paulus, der sich offensichtlich in einer solchen Situation befindet, schreibt: »Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt« (Kol1, 24).

In beiderlei Weise hat Anna Katharina Emmerick der Erlösung gedient. Ihr Wort, das aus ihrer unscheinbaren Kammer in Dülmen durch die Schriften von Clemens Brentano ungezählte Menschen in vielen Sprachen erreicht hat, ist bis in unsere Tage hinein eine hervorragende Verkündigung des Evangeliums im Dienst an der Erlösung. Zugleich aber hat Anna Katharina Emmerick ihr Leiden als einen Dienst an der Erlösung aufgefasst. Dr. Wesener, ihr Arzt, berichtet in seinem Tagebuch ihren Anspruch: »Ich habe es mir immer als eine besondere Gabe von Gott erbeten, dass ich für die leide und womöglich genugtue, die aus Irrtum oder Schwachheit auf dem Irrweg sind«. Es wird berichtet, dass Anna Katharina Emmerick vielen ihrer Besucher Glaubenshilfe und Trost spendete. Ihr Wort hatte diese Kraft, weil sie ihr Leben und Leiden in den Dienst der Erlösung hineintrug.

Durch Glauben und Liebe dem Werk der Erlösung dienen: Anna Katharina Emmerick kann uns darin ein Vorbild sein.

Dr. Wesener überliefert den Ausspruch Anna Katharina Emmericks: »Ich habe den Dienst an dem Nächsten immer für die höchste Tugend gehalten. In meiner frühesten Jugend schon habe ich Gott gebeten, dass er mir die Kraft verleihen wolle, meinen Mitmenschen zu dienen und nützlich zu sein. Und ich weiß jetzt, dass er meine Bitte erfüllt hat«. Wie konnte sie, die jahrelang auf das Krankenzimmer beschränkt und an das Bett gefesselt war, den Nächsten dienen?

Der damalige Generalvikar Clemens August Droste zu Vischering nennt in einem Brief an den Grafen Stolberg Anna Katharina Emmerick eine besondere Freundin Gottes. Mit einem Wort von Hans Urs von Balthasar können wir sagen: »Sie warf ihre Freundschaft mit Gott in die Waagschale in der Solidarität mit den Menschen«.

Die Freundschaft mit Gott in die Waagschale werfen in der Solidarität mit den Menschen: Wird hier nicht ein Anliegen für das kirchliche Leben unserer Tage deutlich? Der christliche Glaube erfasst nicht mehr alle. Die christliche Gemeinde steht stellvertretend in unserer Welt für die Menschen vor Gott. Wir müssen unsere Freundschaft mit Gott in die Waagschale werfen in der Solidarität mit den Menschen.

Anna Katharina Emmerick ist uns verbunden in der Gemeinschaft der Glaubenden. Diese Gemeinschaft endet nicht mit dem Tod. Wir glauben an die bleibende Gemeinschaft mit allen, die Gott zur Vollendung geführt hat. Wir sind über den Tod hinaus verbunden, und sie nehmen an unserem Leben teil. Wir können sie anrufen und sie um ihre Fürsprache bitten. Wir bitten Anna Katharina Emmerick, die neue Selige, dass sie ihre Freundschaft mit Gott in die Waagschale werfe in der Solidarität mit uns und mit allen Menschen.

Predigt von Johannes Paul II.

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Quelle

Siehe ferner: