Kongregation für den Klerus: DER PRIESTERLICHE ZÖLIBAT

 

2.10. Der priesterliche Zölibat

Fester Wille der Kirche

79. Überzeugt von den tiefen theologischen und pastoralen Gründen, welche die Beziehung zwischen Priestertum und Zölibat unterstützen, und erleuchtet vom Zeugnis, das auch heute den spirituellen und evangeliumsgemäßen Wert in so vielen priesterlichen Existenzen bestätigt, hat die Kirche beim Zweiten Vatikanischen Konzil und wiederholt bei späteren päpstlichen Lehraussagen den „festen Willen bekräftigt, das Gesetz beizubehalten, das von den Priesterkandidaten im lateinischen Ritus den frei gewählten und dauernden Zölibat verlangt“[354].

Der Zölibat ist nämlich eine freudige Gabe, welche die Kirche erhalten hat und bewahren will, davon überzeugt, dass er für sie selbst und für die Welt ein hohes Gut ist.

Theologisch-spirituelle Begründung des Zölibats

80. Wie jeder Wert des Evangeliums muss auch der Zölibat als Gabe der göttlichen Barmherzigkeit, als das befreiend Neue gelebt werden, als besonderes Zeugnis der Radikalität in der Nachfolge Christi und als Zeichen eschatologischer Realität: „Der Zölibat ist eine Vorwegnahme, die möglich wird durch die Gnade des Herrn, der uns zu sich ,zieht‘, zur Welt der Auferstehung hin; er lädt uns immer von neuem ein, uns selbst zu übersteigen, diese Gegenwart, hin auf die wahre Gegenwart der Zukunft, die heute Gegenwart wird.“[355]

„Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es“ (Mt 19,10-12).[356] Der Zölibat erweist sich als Entsprechung in der Liebe eines Menschen, der „Vater und Mutter verlässt und Jesus folgt, dem Guten Hirten, in eine apostolische Gemeinschaft, um dem Volk Gottes zu dienen“[357].

Um mit Liebe und Großmut die erhaltene Gabe zu leben, ist es besonders wichtig, dass der Priester schon von der Seminarausbildung an die theologische Dimension und die spirituelle Begründung der kirchlichen Disziplin des Zölibats versteht[358]. Dieser verlangt als Gabe Gottes und als besonderes Charisma die Einhaltung der Keuschheit, also der vollkommenen und dauernden Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen, damit die geweihten Diener Christus mit ungeteiltem Herzen leichter anhangen und sich freier dem Dienst für Gott und für die Menschen widmen können[359]: „Der Zölibat trägt, da er den Menschen zu einer wunderbaren Würde erhöht, wahrhaft zur Vollendung des Menschseins bei.“[360] Bevor noch jemand seinen Willen bekundet, dazu bereit zu sein, manifestiert die kirchliche Disziplin den Willen der Kirche, der seinen tiefsten Grund im engen Band zwischen Zölibat und heiliger Weihe findet, die den Priester mit Jesus Christus, dem Haupt und Bräutigam der Kirche, konfiguriert.[361]

Der Brief an die Epheser stellt die priesterliche Gabe Christi (vgl. 5,25) in einen engen Zusammenhang mit der Heiligung der Kirche (vgl. 5,26), welche mit bräutlicher Liebe geliebt wird. Sakramental eingefügt in dieses Priestertum der exklusiven Liebe Christi zur Kirche, seiner treuen Braut, bringt der Priester mit seinem zölibatären Einsatz solche Liebe zum Ausdruck, die auch fruchtbare Quelle pastoraler Wirksamkeit wird.

Der Zölibat ist also weder ein Einfluss, der von außen auf den priesterlichen Dienst einwirkt, noch kann er einfach als eine vom Gesetz auferlegte Institution betrachtet werden. Denn wer das Weihesakrament empfängt, hat sich bewusst und frei verpflichtet[362], nach mehrjähriger Vorbereitung, gründlicher Reflexion und eifrigem Gebet. Zur festen Überzeugung gelangt, dass ihm Christus diese Gabe gibt für das Wohl der Kirche und für den Dienst an den anderen, übernimmt der Priester den Zölibat für das ganze Leben und bekräftigt diesen seinen Willen gemäss dem schon während der Diakonatsweihe gegebenen Versprechen. [363]

Aus diesen Gründen bestätigt das kirchliche Gesetz einerseits das Charisma des Zölibats und zeigt auf, wie innig es mit dem heiligen Dienst verbunden ist in jener doppelten Dimension der Beziehung zwischen Christus und der Kirche. Andererseits schützt sie die Freiheit dessen, der ihn übernimmt.[364] Der demnach unter einem neuen und hehren Titel[365] Christus geweihte Priester muss sich voll bewusst sein, dass er von Gott eine Gabe erhalten hat, von einem rechtsverbindlich genau festgelegten Band sanktioniert, aus der sich eine moralische Verpflichtung zur Einhaltung ergibt. Diese freiwillig übernommene rechtsverbindliche Verpflichtung hat noch vor dem rechtlichen Aspekt theologischen und moralischen Charakter. Sie ist Zeichen jener bräutlichen Wirklichkeit, die in der sakramentalen Weihe zum Tragen kommt.

Durch die Gabe des Zölibats übernimmt der Priester auch jene geistliche und doch reale Vaterschaft, die eine universale Dimension hat und dann besonders gegenüber der ihm anvertrauten Gemeinde konkretisiert wird.[366] „Sie sind Kinder seines Geistes, Menschen, die der Gute Hirt seiner Sorge anvertraut hat. Es sind viele Menschen, mehr als eine normale menschliche Familie umfassen kann. […] Soll das Herz des Priesters für einen solchen Dienst, für solche Sorge und Liebe verfügbar werden, so muss es frei sein. Der Zölibat ist so Zeichen einer Freiheit, die sich zum Dienst bereit macht. Aufgrund dieses Zeichens ist das hierarchische oder Amtspriestertum nach der Tradition unserer Kirche unmittelbar auf das gemeinsame Priestertum der Gläubigen hingeordnet.“[367]

Das Beispiel Jesu

81. Der Zölibat ist also Sich-selbst-Hingeben „in“ und „mit“ Christus an seine Kirche und Ausdruck despriesterlichen Dienstes an der Kirche „in“ und „mit“ dem Herrn.[368]

Das Vorbild ist der Herr selbst, indem er, entgegen der zu seiner Zeit dominierenden Kultur, sich frei entschieden hat, zölibatär zu leben. In seiner Nachfolge verließen die Jünger „alles“, um die ihnen anvertraute Mission auszuführen (Lk 18,28-30).

Aus diesem Grund wollte die Kirche seit den Zeiten der Apostel die Gabe der dauernden Enthaltsamkeit der Kleriker bewahren, und sie ist dazu übergegangen, die Kandidaten für heilige Weihen unter den Zölibatären auszuwählen (vgl. 2Thess 2,15; 1Kor 7,5; 9,5; 1Tim3,2.12; 5,9; Tit 1,6.8).[369]

Der Zölibat ist eine Gabe, die man von der Barmherzigkeit Gottes empfängt[370], als freie Wahl und dankbare Annahme einer besonderen Berufung der Liebe zu Gott und zu den Menschen. Er darf nicht verstanden und gelebt werden als bloße Begleiterscheinung des Priestertums.

Schwierigkeiten und Einwände

82. Im aktuellen kulturellen Klima, häufig konditioniert von einer Sicht des Menschen ohne Werte und vor allem unfähig, der menschlichen Sexualität einen vollen, positiven und befreienden Sinn zu geben, stellt man immer wieder die Frage nach der Wichtigkeit und der Bedeutung des priesterlichen Zölibats oder manchmal danach, inwiefern die Angemessenheit seiner engen Verbindung und seines tiefen Einklangs mit dem Amtspriestertum zu bejahen ist.

„In gewisser Hinsicht mag diese beständige Kritik am Zölibat überraschen, in einer Zeit, in der es immer mehr Mode wird, nicht zu heiraten. Aber dieses Nicht-Heiraten ist etwas vollständig und grundlegend anderes als der Zölibat, denn das Nicht-Heiraten ist auf den Willen gegründet, nur für sich selbst zu leben, keine endgültige Bindung zu akzeptieren, das Leben zu jedem Zeitpunkt in vollkommener Autonomie zu leben, jeden Augenblick zu entscheiden, was zu tun ist, was man vom Leben nimmt; es ist daher ein ‚Nein‘ zur Bindung, ein ‚Nein‘ zur Endgültigkeit, es bedeutet, das Leben nur für sich allein zu haben. Der Zölibat dagegen ist genau das Gegenteil: er ist ein endgültiges ‚Ja‘, ein sich von den Händen Gottes Ergreifenlassen, ein sich in die Hände Gottes, in sein ‚Ich‘ Hineinlegen, das heißt es ist ein Akt der Treue und des Vertrauens, ein Akt, der auch Voraussetzung ist für die Treue in der Ehe. Es ist genau das Gegenteil dieses ‚Nein‘, dieser Autonomie, die sich nicht verpflichten will, die keine Bindung eingehen will.“[371]

Der Priester verkündet nicht sich selbst, „im eigenen Menschsein und durch das eigene Menschsein muss jeder Priester sich bewusst sein, dass er einen anderen, Gott selbst, in die Welt trägt. Gott ist der einzige Reichtum, den die Menschen letztendlich in einem Priester finden wollen.“[372] Das priesterliche Vorbild ist das eines Zeugen des Absoluten: die Tatsache, dass der Zölibat heute in vielen Bereichen wenig verstanden und geschätzt wird, darf nicht dazu führen, andere Szenarien zu entwerfen. Vielmehr erfordert es die Neuentdeckung dieser Gabe der Liebe Gottes an die Menschen. Denn der priesterliche Zölibat wird auch von vielen Menschen, die keine Christen sind, bewundert und geschätzt.

Man darf nicht vergessen, dass der Zölibat von der Praxis der Tugend der Keuschheit belebt wird, die nur gelebt werden kann durch die Pflege der Reinheit mit übernatürlicher und menschlicher Reife[373], insofern sie wesentlich ist, um das „Talent“ der Berufung zu entwickeln. Es ist unmöglich, mit einem unreinen Herzen Christus und die anderen zu lieben. Die Tugend der Reinheit macht es möglich, die Aufforderung des Apostels zu leben: „Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“ (1Kor 6,20). Andernfalls werden, wenn diese Tugend fehlt, auch alle anderen Dimensionen beeinträchtigt. Auch wenn es wahr ist, dass es im aktuellen Kontext verschiedene Schwierigkeiten gibt, die heilige Reinheit zu leben, so ist es doch umso wahrer, dass der Herr seine Gnade überreich erweist und die notwendigen Mittel schenkt, um diese Tugend mit Freude und Gelassenheit zu praktizieren.

Um dieser Gabe ein Klima froher Ausgeglichenheit und spirituellen Fortschritts zu sichern und zu bewahren, müssen alle jene Maßnahmen ergriffen werden, die den Priester von möglichen Schwierigkeiten fernhalten.[374]

Es ist daher notwendig, dass sich Priester mit entsprechender Klugheit im Umgang mit Personen verhalten, mit denen vertraut zu sein die Treue zur Gabe gefährden oder bei den Gläubigen Ärgernis hervorrufen könnte.[375] In Einzelfällen muss man sich dem Urteil des Bischofs unterwerfen, der verpflichtet ist, in der Materie genaue Normen zu erlassen.[376]Konsequenterweise muss sich der Priester allen zweideutigen Verhaltens enthalten und darf seine Hauptpflicht nicht vergessen, die darin besteht, von der erlösenden Liebe Christi Zeugnis zu geben. Im Zusammenhang mit diesem Thema haben sich unglücklicherweise Situationen ergeben, die der Kirche und ihrer Glaubwürdigkeit großen Schaden zugefügt haben, auch wenn es in der Welt viel mehr solcher Situationen gibt. Der aktuelle Kontext verlangt von den Priestern eine noch größere Sensibilität und Klugheit in Bezug auf die Beziehung zu Kindern und Schutzbefohlenen.[377] Insbesondere sind Situationen zu vermeiden, die Anlass zu Gerede geben könnten (z.B. Kinder allein ins Pfarrhaus zu lassen oder Minderjährige im Auto mitzunehmen). Was die Beichte angeht, wäre es angebracht, wenn die Minderjährigen normalerweise im Beichtstuhl während der Öffnungszeiten der Kirche beichten oder andernfalls, wenn aus irgendeinem Grund eine andere Lösung notwendig wäre, die entsprechenden Gebote der Klugheit beachtet werden.

Überdies sollen die Priester jene asketischen Regeln befolgen, die von der Erfahrung der Kirche garantiert sind und die von den heutigen Umständen erst recht eingefordert werden. Daher sollen sie klugerweise vermeiden, gewisse Orte zu frequentieren und Vorstellungen beizuwohnen, sich schlechter Lektüre zu widmen oder Internetseiten aufzurufen, was immer die Einhaltung der zölibatären Keuschheit gefährden[378] oder sogar Anlass zu schweren Sünden gegen die christliche Moral sein könnte. Beim Gebrauch von sozialen Kommunikationsmitteln, als Mitarbeiter oder als Nutznießer derselben, sollen sie die nötige Diskretion wahren und alles vermeiden, was der Berufung schaden könnte.

Um in einem Klima ausgeprägter sexueller Permissivität die empfangene Gabe mit Liebe zu bewahren, müssen die Priester auf all jene natürlichen und übernatürlichen Mittel zurückgreifen, an denen die Tradition der Kirche so reich ist. Zum einen die priesterliche Freundschaft, die Pflege guter Beziehungen, die Askese und die Selbstbeherrschung, die Abtötung; es ist auch nützlich, eine Kultur der Schönheit in den verschiedenen Bereichen des Lebens zu fördern, die im Kampf gegen alles, was entwürdigend und schädlich ist, hilft, eine gewisse Leidenschaft für den eigenen apostolischen Dienst zu hegen, eine gewisse Einsamkeit freudig zu akzeptieren, eine weise und fruchtbare Einteilung der Freizeit, damit diese keine unausgefüllte Zeit wird. Ebensowichtig ist die Gemeinschaft mit Christus, eine tiefe eucharistische Spiritualität, die häufige Beichte, die geistliche Leitung, Einkehrtage und Exerzitien, einen Geist der Annahme der Kreuze des täglichen Lebens, das Vertrauen in und die Liebe zur Kirche, die kindliche Verehrung der seligen Jungfrau Maria, ebenso wie die Betrachtung der Beispiele heiliger Priester aller Zeiten.[379]

Schwierigkeiten und Einwände haben im Lauf der Jahrhunderte immer die Entscheidung der lateinischen und mancher orientalischen Kirche begleitet, das Amtspriestertum nur solchen Männern zu übertragen, die von Gott die Gabe der Keuschheit im Zölibat erhalten haben. Die Disziplin der anderen orientalischen Kirchen, die verheiratete Priester zulassen, steht in keinem Widerspruch zur lateinischen Kirche. Immerhin verlangen dieselben orientalischen Kirchen nämlich den Zölibat der Bischöfe. Außerdem gestatten sie nicht die Heirat von Priestern und sie erlauben nicht die Wiederverheiratung von Witwern. Es handelt sich immer und nur um die Weihe bereits verheirateter Männer.

Die Einwände, die manche auch heute vorbringen, werden oft mit einem Vorwand als Argument begründet, wie zum Beispiel der Vorwurf eines fleischlosen Spiritualismus oder der Vorwurf, dass Enthaltsamkeit Misstrauen und Verachtung der Sexualität bedeute, oder man geht von traurigen und schmerzlichen Einzelfällen aus, die verallgemeinert werden. Man vergisst allerdings das Zeugnis, das von der überwiegenden Mehrheit der Priester gegeben wird, die den eigenen Zölibat mit innerer Freiheit leben, mit reichhaltiger aus dem Evangelium geschöpfter Motivation, mit spiritueller Fruchtbarkeit, in einem Horizont überzeugter Treue und voll Freude über die eigene Berufung und Sendung, ganz zu schweigen von den vielen Laien, die glücklich sind, einen fruchtbaren apostolischen Zölibat zu leben.

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Quelle

Die Antizölibatspropaganda und ihre Geschichte 

Die historisch aufflammende Phantasie der deutsch-katholischen Kirche ist nichts Neues.

Von Armin Schwibach

Rom (kath.net/as) „CDU rüttelt am Zölibat“: Acht prominente katholische CDU-Politiker hatten sich vergangene Woche zu Wort gemeldet, um sich für Änderungen an der Zölibatspraxis auszusprechen. Kath.net hatte berichtet. Sie haben damit ein Uraltthema aus der hintersten Ecke eines Schubladens geholt, in dem es seit dem 19. Jahrhundert liegt und der in mehr oder minder regelmäßigen Abständen aufgezogen wird.

Unter der inhaltlich falschen und allein auf oberflächlichen Effekt ausgehenden Fragestellung, „wie dem zunehmenden Priestermangel begegnet werden kann“, meinen die Unterzeichner des als Bitte an die deutschen Bischöfe formulierten Appells, den Weg einer „Sonderlösung“ für Deutschland anzeigen zu müssen, um einer angeblichen Misere des Priestermangels ein Ende zu setzen. Der Zölibat wird dabei natürlich als Hauptursache dafür erkannt, dass sich weniger Männer ganz in den Dienst Gottes und der Kirche stellen. Ohne auf das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Priestern und praktizierenden Gläubigen zu achten, die ein Leben aus den Sakramenten führen wollen, soll anscheinend (wieder) ein deutschnationaler Alternativweg gesucht werden, dessen letzter Ankunftspunkt unschwer in der Form einer schismatisch orientieren deutschnational-katholischen Abgrenzung von Rom erkannt werden kann.

Wie alt und abgekaut sind diese Thesen und Themen doch! Und wie eng ist eine Zölibatsdebatte an eine angeblich aufgeklärte Mentalität gebunden, der seit mehr als 200 Jahren der Zölibat des katholischen Priesters ein Dorn im Auge ist. Man kann nicht umhin, aufgrund des „bittenden Appells“ der heutigen, einer gewissen Generation zugehörigen christdemokratischen Politiker an eine der späten Auswirkungen der Aufklärung zu denken, die gleichzeitig zum Vorläufer revolutionärer Wirren wurde.

Wir schreiben das Jahr 1828: In Baden und Württemberg wird mit der Gründung der Antizölibatsvereine zum Sturm gegen diese verhasste Einrichtung geblasen. 23 „freisinnige“ Laien aus Freiburg richten unter der Federführung des Geheimen Rates Johann Georg Duttlinger eine Petition an die Badische Ständekammer: sie solle die Regierung zum Einsatz für die Abschaffung des Zölibats auffordern.

Der Protest regte sich sodann in Mainz, wie der Kirchenhistoriker und heutige Kardinal Walter Brandmüller in seinem Buch „Licht und Schatten. Kirchengeschichte zwischen Glaube, Fakten und Legenden“ schreibt (St. Ulrich Verlag, Augsburg 2007): „Hauptagitator gegen den Zölibat war der protestantische Professor Wilhelm Hoffmann, der nun die für Staat und Gesellschaft angeblich offenkundige Schädlichkeit des Zölibats bewiesen haben wollte. Sein Misserfolg hinderte ihn nicht, 1832/33 seinen Antrag zu wiederholen. Nun schlossen sich in der Tat 156 Freiburger Priester und 50 Priesteramtskandidaten diesen Forderungen an, und auch im Bistum Rottenburg gingen die Wogen hoch. Ein bald gegründeter Antizölibatsverein zählte binnen kurzem an die zweihundert geistliche Mitglieder“ (S. 160)

Zu jener Zeit jedoch war die Reaktion des katholischen Volkes hart: „Man boykottierte die Antizölibatären, die sich bald in ihren Kirchen alleine fanden. Mehr als vierzig Ortschaften erklärten dem König von Württemberg, sie hätten lieber keinen Pfarrer als einen beweibten. Unter dem Eindruck der beißenden Satire, mit der dieses Thema bald publizistisch aufgegriffen wurde, verbot die Regierung den Antizölibatsverein“. Bereits damals ist festzustellen, dass die Annalen der Geschichte nichts von einer bischöflichen Reaktion verzeichnen.

Antizölibatspropaganda und Aufrufe zur „Demokratisierung der Kirche“ gehen heute wie damals Hand in Hand und führten im 19. Jahrhundert mitten hinein in die Theorie eines „Deutschkatholizismus“. Dieser wurde ab dem Jahr 1844 zum Sammelbecken von Katholiken und Protestanten, die schon längst mit dem Wesenskern ihrer Kirche gebrochen hatten: unzufriedene und selbstbewusste Kleinbürger, zölibatsmüde katholische Priester und protestantische Pastoren, die „mehr“ wollten, bildeten die Propheten des neuen Kurses des Deutschkatholizismus, der die Lehre mit Pädagogik ersetzte und seinen wahren Wirkungsbereich in der sozialen Theorie und im sozialen Engagement erkannte.

Und vor allem: das Dogma sollte durch die neuen Erkenntnisse einer nunmehr aufgeklärten „katholischen“ Vernunft bereinigt werden. Ob Jesus Christus der Sohn Gottes ist, der für das Heil der Menschen gestorben und auferstanden ist, wurde in die Beliebigkeit des persönlichen subjektiven Glaubens gestellt.

Dass der Papst, die Sakramente in ihrer katholischen Definition und das „fromme Leben“ abgelehnt wurden, versteht sich von selbst. Natürlich brauchte es bezeichnenderweise dann auch eine „deutsche Liturgie“, bei der aus dem Herrenopfer ein „Abendmahl“ wurde, das nur vollständig, mit Brot und Wein, konsumiert werden konnte.

Setzt man sich mit diesem Abschnitt der Kirchengeschichte in Deutschland auseinander, so kommt man nicht um hin, angesichts der heutigen „Zölibatsinitiativen“ fast lächelnd den Kopf zu schütteln. Nichts Neues unter der Sonne, selbes Schema, ähnlicher kultureller Background. „Rom muss fallen“, erklang es zu jener nicht allzu fernen Zeit. So mutig sind die heutigen „Kritiker“ noch nicht. Über eines besteht kein Zweifel: Damals wie heute ist die Absicht der „neuen Aufklärer“ nur eine: ein neue Kirche, eine andere Kirche.

Ebenso interessant ist es festzustellen, dass sich im 19. Jahrhundert das katholische Volk den Ansinnen selbsternannter pseudointellektueller Anführer aus einem zu Größerem aufstrebenden Kleinbürgertum nicht angeschlossen hatte, dies weder zu Beginn der Bewegung noch im Verbund mit dem „Deutschkatholizismus“ und schon gar nicht im Vorfeld oder in der Folge des I. Vatikanischen Konzils.

2011 ist die Lage anders. Eine Mainstreamkultur der „Diktatur des Relativismus“ macht die Kommunikation des Wahren und die wahre Kommunikation schwerer. Dazu kommt, um es gemäßigt auszudrücken, eine in der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil entstandene generelle Verunsicherung sowohl des Klerus als auch der Laien, die beide gerade in einem Moment der höchsten Akzentuierung einer jedoch einseitig beschnittenen Vernünftigkeit echte Kritikfähigkeit einbebüßt zu haben scheinen.

Diktatur des Relativismus heißt vor allem: Diktatur der Meinung, wie dies gerade wieder in den letzten Tagen deutlich zutage getreten ist – eine Diktatur, die darauf abzielt, Gläubige, Bischöfe und den Papst auseinanderzudividieren. Die „deutsch-katholische Sonderlösung“ – eine seit langem bestehende Versuchung. Mit Weltkirche hat dies alles nichts zu tun. Mit dem Respekt, den rund 25 Millionen eingeschriebene Katholiken (von denen knapp 3,3 Millionen auch den Gottesdienst besuchen) 1,2 Milliarden ihrer Mitbrüder und Mitschwestern sowie 408.000 Priestern und 815.000 Ordensleuten weltweit schulden, ebenso wenig.

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Quelle

Auszug aus: Johannes Paul II.: Geschenk und Geheimnis – Mein Weg zum Priester Gottes

PRIESTERSEIN HEUTE

Fünfzig Jahre Priestertum sind nicht wenig. Was ist nicht alles geschehen in diesem halben Jahrhundert Geschichte! Neue Probleme, neue Lebensgewohnheiten, neue Herausforderungen traten ins Rampenlicht. Da fragt man sich spontan: Was bedeutet Priestersein heute, auf dieser Weltbühne in Bewegung und Um­bruch, während wir auf das dritte Jahrtausend zu­gehen?

Es besteht kein Zweifel, daß der Priester, zusam­men mit der ganzen Kirche, mit seiner Zeit geht und zum aufmerksamen und wohlwollenden, aber zugleich kritischen und wachsamen Hörer all dessen wird, was in der Geschichte zur Reife kommt. Das Konzil hat gezeigt, daß eine echte Erneuerung in voller Treue zum Wort Gottes und zur Überlieferung möglich und nötig ist. Über die gebotene pastorale Erneuerung hinaus bin ich aber davon überzeugt, daß der Priester sich nicht scheuen darf, „außerhalb der Zeit“ zu stehen, weil das menschliche „Heute“ jedes Priesters eingefügt ist in das „Heute“ Christi, des Erlösers. Die größte Aufgabe für jeden Priester und zu jeder Zeit ist es, Tag für Tag dieses sein priesterliches „Heute“ in dem „Heute“ Christi wiederzufinden, in jenem „Heute“, von dem der Hebräerbrief spricht. Dieses „Heute“ Christi ist einge­taucht in die ganze Geschichte — in die Vergangenheit und in die Zukunft der Welt, jedes Menschen und jedes Priesters. „Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8). Wenn wir also mit unserem menschlichen, priesterlichen „Heute“ eingetaucht sind in das „Heute“ Jesu Christi, besteht keine Gefahr, daß wir zu „Gestrigen“, Rückständigen werden … Christus ist das Maß aller Zeiten. In seinem göttlich-mensch­lichen, priesterlichen „Heute“ löst sich der — einst so viel diskutierte — Widerspruch zwischen „Traditionalismus“ und „Progressismus“ an der Wurzel auf.

DIE TIEFGREIFENDEN ERWARTUNGEN
DES MENSCHEN

Analysiert man die Erwartungen des heutigen Men­schen gegenüber dem Priester, so wird man sehen, daß es bei ihm im Grunde nur eine einzige, große Erwar­tung gibt: er dürstet nach Christus. Um das Übrige ­was auf wirtschaftlichem, sozialem, politischem Gebiet dienlich ist — kann er viele andere bitten. Den Priester bittet er um Christus! Und er hat vom Priester das Recht, Christus vor allem durch die Verkündigung des Wortes zu erwarten. Die Priester — so lehrt das Konzil ­„schulden also allen, Anteil zu geben an der Wahrheit des Evangeliums“ (Presbyterorum Ordinis, 4). Aber die Verkündigung zielt auf die Begegnung des Menschen mit Jesus, besonders im Geheimnis der Eucharistie, Herzensmitte der Kirche und des priesterlichen Lebens. Es ist eine geheimnisvolle, erstaunliche Macht, die der Priester angesichts des eucharistischen Leibes Christi besitzt. Aufgrund dieser Macht wird er zum Verwalter des größten Gutes der Erlösung, denn er schenkt den Menschen den Erlöser in Person. Die Feier der Euchari­stie ist die erhabenste und heiligste Funktion jedes Prie­sters. Und für mich ist die Feier der Eucharistie seit den ersten Jahren meines Priestertums nicht nur heiligste Pflicht, sondern vor allem tiefstes Bedürfnis der Seele gewesen.

DIENER DER BARMHERZIGKEIT

Als Verwalter des Sakramentes der Versöhnung erfüllt der Priester den Auftrag, den Christus nach seiner Auf­erstehung den Aposteln erteilt hatte: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20,22-23). Der Priester ist Zeuge und Werkzeug der göttlichen Barmherzigkeit! Wie wichtig ist der Beichtdienst in seinem Leben! Ge­rade im Beichtstuhl verwirklicht sich wahrlich seine geistliche Vaterschaft am vollkommensten. Gerade im Beichtstuhl wird jeder Priester zum Zeugen der großar­tigen Wunder, welche die göttliche Barmherzigkeit in der Seele wirkt, die die Gnade der Umkehr annimmt. Aber es ist notwendig, daß für den Dienst an den Brü­dern und Schwestern im Beichtstuhl jeder Priester durch eigenes regelmäßiges Beichten und unter geist­licher Führung an sich selber die Erfahrung dieser Barmherzigkeit Gottes macht.

Als Verwalter von göttlichen Geheimnissen ist der Priester ein besonderer Zeuge des Unsichtbaren Welt. Er ist in der Tat Verwalter unsichtbarer und uner­meßlicher Güter, die in den Bereich des Geistlichen und Übernatürlichen gehören.

EIN MENSCH, DER MIT GOTT IN VERBINDUNG STEHT

Als Verwalter dieser Güter steht der Priester in ständi­ger, besonderer Verbindung zu der Heiligkeit Gottes. „Heilig, heilig, heilig Gott, Herr aller Mächte und Gewalten! Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.“ Gottes Majestät ist die Majestät der Heiligkeit. Im Priestertum wird der Mensch gleichsam emporgehoben in die Sphäre dieser Heiligkeit, er er­reicht gleichsam die Höhen, in die einst der Prophet Jesaja eingeweiht worden war. Und genau jene pro­phetische Vision findet Widerhall im eucharistischen Hochgebet: Sanctus, Sanctus, Sanctus, Dominus Deus Sabaoth. Pleni sunt caeli et terra gloria tua. Hosanna in excelsis.

Gleichzeitig lebt der Priester jeden Tag fortwäh­rend die Herabkunft dieser Heiligkeit Gottes auf den Menschen: „Benedictus qui venit in nomine Domini.“ Mit diesen Worten grüßte die Menge Christus, als er in die Stadt Jerusalem einzog, um das Opfer für die Er­lösung der Welt zu vollenden. Die transzendente, gleichsam „außerweltliche“ Heiligkeit wird in Christus zur „innerweltlichen“ Heiligkeit. Sie wird zur Heilig­keit des Ostergeheimnisses.

ZUR HEILIGKEIT BERUFEN

Da er in ständiger Verbindung zu der Heiligkeit Gottes steht, muß der Priester selbst heilig werden. Sein Amt verpflichtet ihn zu einer von der Radikalität des Evan­geliums inspirierten Lebensform. Dies erklärt die be­sondere Notwendigkeit, daß er vom Geist der evange­lischen Räte Keuschheit, Armut und Gehorsam erfüllt sein muß. In diesem Blickfeld versteht man auch die besondere Angemessenheit des Zölibates. Daher ergibt sich das besondere Bedürfnis nach dem Gebet in seinem Leben: Das Gebet entspringt der Heiligkeit Gottes und ist gleichzeitig die Antwort auf diese Heiligkeit. Ich habe einmal geschrieben: „Das Gebet bringt den Prie­ster hervor, und der Priester entsteht durch das Gebet.“ Ja, der Priester muß vor allem ein Mann des Gebetes sein, überzeugt davon, daß die Zeit, die er der vertrau­lichen Begegnung mit Gott widmet, am besten verwen­det ist, weil sie nicht nur ihm, sondern auch seiner apostolischen Arbeit nützt.

Wenn das II. Vatikanische Konzil von der allgemei­nen Berufung zur Heiligkeit spricht, so muß man beim Priester von einer besonderen Berufung zur Heiligkeit sprechen. Christus braucht heiligmäßige Priester! Die heutige Welt verlangt heiligmäßige Priester! Nur ein heiligmäßiger Priester kann in einer immer stärker säkularisierten Welt ein transparenter Zeuge Christi und seines Evangeliums sein. Nur so kann der Priester für die Menschen zum geistlichen Führer und Lehrer von Heiligkeit werden. Die Menschen, vor allem die jungen, erwarten eine solche Führung. Der Priester kann in dem Maße Führer und Lehrer sein, in dem er ein authentischer Zeuge wird!

DIE „CURA ANIMARUM“

In meiner nunmehr langen Erfahrung in so vielen ver­schiedenen Situationen wurde ich immer mehr in mei­ner Überzeugung bestärkt, daß nur aus dem Boden der priesterlichen Heiligkeit eine wirksame Pastoral, eine echte cura animarum wachsen kann. Das eigentliche Geheimnis glaubwürdiger pastoraler Erfolge liegt nicht in den materiellen Mitteln und noch weniger in den „reichen Geldmitteln“. Die bleibenden Früchte der pastoralen Anstrengungen entstehen aus der Heiligkeit des Priesters. Das ist das Fundament! Natürlich sind dafür unerläßlich: die Ausbildung, das Studium, die Fortbildung; eine angemessene Vorbereitung, die befä­higt, die Dringlichkeiten wahrzunehmen und pastorale Prioritäten festzulegen. Man könnte jedoch behaupten, daß die Prioritäten auch von den Umständen abhängen, und jeder Priester ist angehalten, sie im Einvernehmen mit seinem Bischof und im Einklang mit den Richtlinien der Gesamtkirche genau zu bestimmen und danach zu leben. In meinem Leben habe ich diese Prioritäten im Laienapostolat, insbesondere in der Familienpastoral ­einem Bereich, in dem mir die Laien selbst viel geholfen haben —, in der Jugendseelsorge und im intensiven Dia­log mit der Welt der Wissenschaft und Kultur erkannt. Das alles spiegelte sich in meiner wissenschaftlichen und literarischen Tätigkeit wider. Auf diese Weise sind die Studie „Liebe und Verantwortung“ und, unter an­derem, ein literarisches Werk „Der Laden des Gold­schmieds“ mit dem Untertitel „Betrachtungen über das Sakrament der Ehe“ entstanden.

Eine unausweichliche Priorität stellt heute die be­vorzugte Aufmerksamkeit für die Armen, Ausgegrenz­ten und Einwanderer dar. Für diese Gruppen muß der Priester wirklich ein „Vater“ sein. Unerläßlich sind sicher auch materielle Mittel, wie die moderne Tech­nologie sie uns anbietet. Das Geheimnis bleibt jedoch immer die Heiligkeit des priesterlichen Lebens, die im Gebet und in der Betrachtung, im Opfergeist und im missionarischen Eifer ihren Ausdruck findet. Wenn ich in Gedanken die Jahre meines pastoralen Dienstes als Priester und als Bischof durchlaufe, bin ich immer mehr davon überzeugt, wie wahr und grundlegend dies ist.

MANN DES WORTES

Ich habe bereits darauf hingewiesen: Um ein glaubwür­diger Leiter der Gemeinde, ein wahrer Verwalter der Geheimnisse Gottes zu sein, muß der Priester auch ein Mann des Wortes Gottes, ein hochherziger und uner­müdlicher Verkünder des Evangeliums sein. Heute sieht man angesichts der ungeheuren Aufgaben der „Neu­evangelisierung“ ihre Dringlichkeit noch deutlicher.

Nach so vielen Jahren des Dienstes am Wort, die mich insbesondere als Papst zum Pilger in alle Teile der Welt werden ließen, kann ich nicht umhin, noch einige Gedanken über diese Dimension des priester­lichen Lebens hinzuzufügen. Es ist ein anspruchsvoller Gesichtspunkt, da die Menschen von heute vom Prie­ster eher das „gelebte“ Wort als das „verkündigte“ Wort erwarten. Der Priester muß „vom Wort leben“. Gleichzeitig wird er sich jedoch um eine intellektuelle Vorbereitung bemühen müssen, um das Wort gründlich kennenzulernen und wirksam zu verkünden. In unserer Zeit, die sich durch hochgradige Spezialisierung in fast allen Lebensbereichen auszeichnet, ist die intellektuelle Bildung wichtiger denn je. Sie ermöglicht es, einen intensiven und kreativen Dialog mit dem zeitgenössischen Denken aufzunehmen. Die humanistischen und philo­sophischen Studien und die Kenntnis der Theologie sind der Weg zu dieser Bildung, die dann das ganze Leben lang weiter vertieft werden muß. Um wirklich formend zu sein, muß das Studium ständig vom Gebet, von der Meditation, von der Bitte um die Gaben des Heiligen Geistes — Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht — begleitet sein. Der hl. Thomas von Aquin erklärt, wie mit den Gaben des Heiligen Geistes der ganze geistliche Orga­nismus des Menschen für das Licht Gottes, für das Licht der Erkenntnis und auch für die Inspiration der Liebe empfänglich gemacht wird. Das Gebet um die Gaben des Heiligen Geistes hat mich von Jugend an begleitet, und ich bleibe ihm bis heute treu.

WISSENSCHAFTLICHE VERTIEFUNG

Aber natürlich entbindet — wie ebenfalls der hl. Thomas lehrt — die „eingegebene Erkenntnis“, die Frucht des besonderen Zutuns des Heiligen Geistes ist, nicht von der Pflicht, sich um die „erworbene Erkenntnis“ zu kümmern.

Was mich betrifft, so wurde ich, wie schon gesagt, gleich nach der Priesterweihe zur Vervollkommnung der Studien nach Rom geschickt. Später mußte ich mich auf Wunsch meines Bischofs als Ethikprofessor an der Theologischen Fakultät von Krakau und an der Katho­lischen Universität von Lublin mit der Wissenschaft be­schäftigen. Frucht dieser Studien war die Doktorarbeit über den hl. Johannes vom Kreuz und dann die Habili­tationsschrift über Max Scheler: speziell über den Beitrag, den sein phänomenologisch geprägtes ethisches System zum Aufbau der Moraltheologie leisten kann. Dieser Forschungsarbeit habe ich wirklich viel zu ver­danken. In meine vorausgegangene aristotelisch-thomi­stische Ausbildung fügte sich so die phänomenologische Methode ein, was mir ermöglichte, zahlreiche schöpfe­rische Untersuchungen auf diesem Gebiet vorzuneh­men. Ich denke vor allem an das Buch „Person und Akt“. Auf diese Weise reihte ich mich in die moderne Denkströmung des philosophischen Personalismus ein, eine Forschung, die nicht ohne pastorale Früchte blieb. Ich stelle häufig fest, daß viele der in diesen Studien gereiften Überlegungen für mich hilfreich sind bei den Begegnungen mit einzelnen Personen und auch bei den Begegnungen mit den vielen Menschen anläßlich meiner apostolischen Reisen. Diese Bildung vor dem kultu­rellen Horizont des Personalismus hat mir eine tiefere Erkenntnis darüber vermittelt, daß jede Person einmalig und unwiederholbar ist, und diese Erkenntnis halte ich für jeden Priester für sehr wichtig.

DER DIALOG MIT DEM DENKEN
UNSERER ZEIT

Durch Begegnungen und Diskussionen mit Naturfor­schern, Physikern, Biologen und auch Historikern habe ich die Bedeutung der anderen, die wissenschaftlichen Disziplinen betreffenden Wissenszweige schätzen ge­lernt, die auch in der Lage sind, unter verschiedenem Blickwinkel zur Wahrheit zu gelangen. Notwendig ist also, daß der Glanz der Wahrheit — Veritatis splendor ­sie ständig begleitet und den Menschen gestattet, einan­der zu begegnen, Überlegungen auszutauschen und sich gegenseitig zu bereichern. Von Krakau habe ich nach Rom die Tradition periodischer interdisziplinärer Tref­fen mitgebracht, die regelmäßig in der Sommerzeit in Castel Gandolfo stattfinden. Ich versuche, dieser guten Gewohnheit treu zu bleiben.

„Labia sacerdotum scientiam custodiant — „Die Lippen des Priesters bewahren die Erkenntnis …“ (vgl. Mal 2,7). Ich beziehe mich gerne auf diese Worte des Propheten Maleachi, die in die Litanei zu Christus, dem Priester und Opfer aufgenommen worden sind, weil sie eine Art programmatischen Wert für den haben, der berufen ist, Diener des Wortes zu sein. In der Tat muß er ein Mann der Wissenschaft im tiefsten und religiösen Sinn des Wortes sein. Er muß jene „Wis­senschaft Gottes“ besitzen und weitergeben, die nicht nur eine Summe von Lehrwahrheiten ist, sondern eine persönliche und lebendige Erfahrung des Geheimnisses, wie sie das Johannesevangelium im großen Hohe-priesterlichen Gebet beschreibt: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (17,3).

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Quelle: Weltbild – ISBN 3-8289-4919-3: Johannes Paul II. – Geschenk und Geheimnis – Mein Weg zum Priester Gottes

Das glorreiche Kreuz Christi: Maß der Liebe Gottes

Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: Christsein, Priestertum und Sendung. Die übernatürliche Dimension des Lebens wiederentdecken. Von Armin Schwibach

Rom (kath.net/as) Das Wetter hatte einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ursprünglich hätte Papst Benedikt XVI. im Rahmen seiner 27. Reise innerhalb Italiens am 13. Mai 2012 das Franziskus-Heiligtum auf dem Berg La Verna 45 Kilometer nördlich von Arezzo im Casentino-Tal besuchen sollen. Dort hatten ihn verschiedene Minoritengemeinschaften, die Klarissenschwestern der Toskana und die Ordensschwestern von Chiusi della Verna erwartet. Aufgrund heftiger Windböen und Nebel jedoch musste der Besuch nach langer Überlegung kurzfristig abgesagt werden. Der päpstliche Hubschrauber hatte den auf 1.283 Meter Höhe gelegenen Ort nicht anfliegen können.

Für Benedikt XVI. hat La Verna eine besondere Bedeutung, an die er noch als Kardinal bei einem früheren Besuch im Jahr 1988 erinnert hatte. Der Ort inspirierte den Kirchenlehrer Bonaventura von Bagnoreggio (1221-1274) und Lehrer Joseph Ratzingers zu seinem mystischen Hauptwerk „Itinerarium mentis in Deum“ („Reisebericht des Geistes zu Gott“. Der Papst hatte für seine Begegnung mit den Ordensleuten eine tiefgehende Meditation vorbereitet, in deren Mittelpunkt er in direkter Verbindung mit dem franziskanischen Pilgerort Christsein, Priestertum und Sendung stellte und über die Betrachtung des Kreuzes nachdachte.

„Das glorreiche Kreuz Christi fasst die Leiden der Welt zusammen, vor allem aber ist es ein greifbares Zeichen der Liebe, das Maß der Barmherzigkeit Gottes gegenüber dem Menschen“.

Nur wenn man sich von der Liebe Gottes erleuchten lasse, „können der Mensch und die gesamte Natur erlöst werden, kann die Schönheit endlich den Glanz des Antlitzes Christi widerspiegeln, wie der Mond die Sonne widerspiegelt“, so Benedikt XVI. Das Blut des Gekreuzigten, „das aus dem glorreichen Kreuz hervorquillt, belebt wieder die ausgetrockneten Gebeine des Adam, der in uns ist“.

Die Betrachtung des Gekreuzigten „ist ein Werk des Verstandes, der sich jedoch nicht in die Höhe aufschwingen kann ohne die Unterstützung, ohne die Kraft der Liebe“.

Die für den ausgefallenen Besuch beim Heiligtum von La Verna vorbereitete Ansprache Benedikts XVI., 13. Mai 2012): 

Der geplante Kurzbesuch beim Heiligtum von La Verna musste wegen Schlechtwetter ausfallen. Im folgenden die Ansprache, die Papst Benedikt XVI. vorbereitet hatte. 

Liebe Minderbrüder,
liebe Töchter der heiligen Mutter Klara,
liebe Brüder und Schwestern

Der Herr schenke euch Frieden! Das Kreuz Christi betrachten! Wir sind als Pilger auf den »Sasso Spicco« von La Verna gestiegen, wo sich dem hl. Franziskus »zwei Jahre vor seinem Tod« (Celano, Vita prima, III, 94: FF, 484) die Wundmale des glorreichen Leidens Christi in seinen Leib einprägten. Sein Weg als Jünger hatte ihn zu einer so tiefen Vereinigung mit dem Herrn geführt, daß er auch die äußeren Zeichen des höchsten Akts der Liebe am Kreuz mit ihm teilte. Dieser Weg hatte in San Damiano begonnen, vor dem Gekreuzigten, den er mit dem Verstand und mit dem Herzen betrachtete. Die beständige Betrachtung des Kreuzes an diesem heiligen Ort war der Weg zur Heiligung für viele Christen, die über acht Jahrhunderte hinweg niedergekniet sind, um in Stille und Sammlung zu beten.

Das glorreiche Kreuz Christi faßt die Leiden der Welt zusammen, vor allem aber ist es ein greifbares Zeichen der Liebe, das Maß der Barmherzigkeit Gottes gegenüber dem Menschen. An diesem Ort sind auch wir aufgerufen, die übernatürliche Dimension des Lebens wiederzuentdecken, die Augen von dem zu erheben, was unwesentlich ist, um uns wieder völlig dem Herrn anzuvertrauen, mit freiem Herzen und voll Freude, und den Gekreuzigten zu betrachten, auf daß er uns mit seiner Liebe verwunde. »Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen« (Sonnengesang: FF, 263).

Nur wenn wir uns vom Licht der Liebe Gottes erleuchten lassen, können der Mensch und die gesamte Natur erlöst werden, kann die Schönheit endlich den Glanz des Antlitzes Christi widerspiegeln, wie der Mond die Sonne widerspiegelt. Das Blut des Gekreuzigten, das aus dem glorreichen Kreuz hervorquillt, belebt wieder die ausgetrockneten Gebeine des Adam, der in uns ist, auf daß ein jeder wieder die Freude finde, sich auf den Weg zur Heiligkeit zu machen, aufzusteigen zu Gott. An diesem gesegneten Ort schließe ich mich dem Gebet aller Franziskaner und Franziskanerinnen der Erde an: »Wir beten dich an, o Christus, und preisen dich hier und in allen Kirchen der Welt, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst. «

Hingerissen von der Liebe Christi! Man steigt nicht nach La Verna herauf, ohne sich durch das Gebet Absorbeat des hl. Franziskus leiten zu lassen, in dem es heißt: »Mit dem Feuer deiner überaus beglückenden Liebe, reinige mich, o Herr, von allem, was unter dem Himmel ist, damit ich all dem aus Liebe zu deiner Liebe absterbe, der du aus Liebe zu meiner Liebe zu sterben dich gewürdiget hast« (Gebet Absorbeat, 1: FF, 277). Die Betrachtung des Gekreuzigten ist ein Werk des Verstandes, der sich jedoch nicht in die Höhe aufschwingen kann ohne die Unterstützung, ohne die Kraft der Liebe.

Ebenfalls an diesem Ort verfaßte Bruder Bonaventura von Bagnoregio, ein berühmter Sohn des hl. Franziskus, sein Itinerarium mentis in Deum, in dem er uns den Weg aufzeigt, den man beschreiten muß, um sich aufzumachen zu den Höhen, wo man Gott findet. Dieser große Kirchenlehrer teilt uns seine eigene Erfahrung mit und lädt uns ein zum Gebet. Vor allem muß der Verstand auf das Leiden des Herrn ausgerichtet werden, denn das Kreuzesopfer löscht unsere Sünde aus, eine Verfehlung, die nur von der Liebe Gottes bedeckt werden kann. Er schreibt: »Ich ermahne den Leser vor allem zum inständigen Gebet durch den gekreuzigten Christus, dessen Blut die Makel unserer Schuld reinigt« (Itinerarium mentis in Deum, Prol. 4).

Um wirksam zu sein, bedarf unser Gebet jedoch der Tränen, also der inneren Anteilnahme, unserer Liebe, die auf die Liebe Gottes antwortet. Außerdem bedarf es jener »admiratio«, die der hl. Bonaventura in den Kleinen des Evangeliums erkennt, die über das Heilswerk Christi staunen können.

Und eben die Demut ist das Tor jeder Tugend. Denn nicht durch den intellektuellen Stolz der in sich selbstverschlossenen Suche kann man zu Gott gelangen, sondern durch die Demut, wie es in einem bekannten Wort des hl. Bonaventura heißt: »Niemand möge glauben, ihm genüge die Lesung ohne Salbung, die Spekulation ohne Hingabe, die Forschung ohne Verehrung, die Umsicht ohne Begeisterung, der Fleiß ohne Frömmigkeit, die Wissenschaft ohne Liebe, der Verstand ohne Demut, das Studium ohne die göttliche Gnade, die Beobachtungsgabe ohne die göttlich inspirierte Weisheit« (ebd.).

Die Betrachtung des Gekreuzigten hat eine außerordentliche Wirkkraft, weil sie uns von der Ebene der gedachten Dinge zur gelebten Erfahrung übergehen läßt, vom erhofften Heil zum seligen Vaterland. Der hl. Bonaventura sagt: »Wer [den Gekreuzigten] aufmerksam betrachtet … führt mit ihm das Pascha, also den Übergang aus« (ebd., VII, 2). Das ist das Herzstück der Erfahrung von La Verna, der Erfahrung, die der »Poverello« von Assisi hier gemacht hat. Auf diesem heiligen Berg lebt der hl. Franziskus in sich selbst die tiefe Einheit von »sequela«, »imitatio« und »conformatio Christi«.

Und so sagt er auch zu uns, daß es, um Christen zu sein, weder ausreicht, sich als Christen zu bekennen, noch zu versuchen, gute Werke zu tun. Man muß Christus ähnlich werden, durch ein langsames, fortschreitendes Bemühen, das eigene Sein nach dem Abbild des Herrn zu verwandeln, damit durch die göttliche Gnade jedes Glied seines Leibes, der Kirche, die nötige Ähnlichkeit mit dem Haupt, dem Herrn Christus, aufweist. Und auch diesen Weg beginnt man – wie uns die mittelalterlichen Meister nach dem Vorbild des großen Augustinus lehren – bei der Selbsterkenntnis, bei der Demut, aufrichtig in sich selbst hineinzuschauen.

Die Liebe Christi bringen! Wie viele Pilger haben diesen heiligen Berg bestiegen und besteigen ihn, um die Liebe des gekreuzigten Gottes zu betrachten und sich von ihm hinreißen zu lassen. Wie viele Pilger sind heraufgestiegen auf der Suche nach Gott, der der wahre Grund ist, warum es die Kirche gibt: um eine Brücke zwischen Gott und den Menschen zu schlagen. Und hier begegnen sie auch euch, den Söhnen und Töchtern des hl. Franziskus. Denkt immer daran, daß das geweihte Leben die besondere Aufgabe hat, durch das Wort und das Vorbild eines Lebens nach den evangelischen Räten die faszinierende Liebesgeschichte zwischen Gott und der Menschheit zu bezeugen, die die Geschichte durchzieht.

Das franziskanische Mittelalter hat ein unauslöschliches Zeichen in eurer Kirche von Arezzo hinterlassen. Das wiederholte Hindurchziehen des »Poverello« von Assisi und sein Aufenthalt in eurem Gebiet sind ein kostbarer Schatz. Außerordentlich und grundlegend war das Ereignis von La Verna durch die Einzigartigkeit der Wundmale, die sich in den Leib des seraphischen Paters Franziskus eingeprägt haben, aber auch durch die gemeinsame Geschichte seiner Ordensbrüder und der Menschen in eurem Gebiet, die beim »Sasso Spicco« noch immer die Zentralität Christi im Leben des Gläubigen wiederentdecken. Montauto di Anghiari, »Le Celle« in Cortona und die Einsiedeleien von Montecasale und von Cerbaiolo, aber auch andere kleinere Orte des toskanischen Franziskanertums prägen weiterhin die Identität der Gemeinschaft von Arezzo, Cortona und Sansepolcro.

Viele Lichter haben diese Gegend erleuchtet, wie die hl. Margareta von Cortona, eine kaum bekannte franziskanische Büßerin, die in der Lage war, in sich selbst mit außerordentlicher Lebendigkeit das Charisma des »Poverello« von Assisi nachzuerleben, indem sie die Betrachtung des Gekreuzigten mit der Nächstenliebe gegenüber den Geringsten vereinte.

Die Liebe zu Gott und zum Nächsten beseelt auch weiterhin das kostbare Werk der Franziskaner in eurer kirchlichen Gemeinschaft. Die Profeß der evangelischen Räte ist ein Königsweg, um die Liebe Christi zu leben. An diesem gesegneten Ort bitte ich den Herrn, auch weiterhin Arbeiter in seinen Weinberg zu senden, und vor allem an die jungen Menschen richte ich die dringende Einladung, daß jeder, der von Gott berufen ist, mit Großherzigkeit antworten und den Mut haben möge, sich im geweihten Leben und im Priesteramt hinzuschenken. Ich bin als Nachfolger Petri nach La Verna gepilgert, und ich möchte, daß jeder von uns noch einmal die Frage hört, die Jesus dem Petrus stellt: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? … Weide meine Lämmer!« (Joh 21,15).

Die Liebe zu Christus liegt dem Leben des Hirten ebenso wie dem des Geweihten zugrunde: eine Liebe, die Einsatz und Mühe nicht scheut. Bringt diese Liebe dem Menschen unserer Zeit, der oft verschlossen ist in den eigenen Individualismus; seid Zeichen der unermeßlichen Barmherzigkeit Gottes.

Die priesterliche Frömmigkeit lehrt die Priester, das zu leben, was sie feiern, das eigene Leben zu brechen für jene, denen wir begegnen: im Teilen des Schmerzes, in der Aufmerksamkeit auf die Probleme, im Begleiten des Glaubensweges. Ich danke Generalminister José Carballo für seine Worte, der ganzen franziskanischen Familie und euch allen. Beharrt wie euer heiliger Vater in der Nachahmung Christi, damit alle, die euch begegnen, dem hl. Franziskus begegnen – und indem sie dem hl. Franziskus begegnen, dem Herrn begegnen.

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Quelle

Papstansprache vor Priestern und Ordensleuten

Papst Franziskus beim Gebetratreffen mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen

Ansprache von Papst Franziskus
beim Gebet mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen.
(rv)

Seligkeiten,
liebe Brüder und Schwestern,
Al Salamò Alaikum! [Der Friede sei mit euch!]

„Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen uns über ihn freuen. Christus hat den Tod für immer besiegt, wir wollen uns über ihn freuen!“ (vgl.Ps 118,24).

Ich freue mich, bei euch an diesem Ort zu sein, an dem die Priester ausgebildet werden und der das Herz der katholischen Kirche in Ägypten bildet. Ich freue mich, in euch, den Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen der kleinen katholischen Herde in Ägypten, den „Sauerteig“ zu grüßen, den Gott für dieses gesegnete Land bereitet, damit in ihm – in Gemeinschaft mit unseren orthodoxen Brüdern – sein Reich wachse (vgl. Mt 13,13).

Ich möchte euch vor allem für euer Zeugnis und für all das Gute danken, das ihr jeden Tag mit eurer Tätigkeit inmitten vieler Herausforderungen und oft unter geringem Trost vollbringt. Ich möchte euch auch ermutigen! Habt keine Angst vor der Last des Alltags, vor der Last der schwierigen Umstände, die einige von euch ertragen müssen. Wir verehren das heilige Kreuz, Werkzeug und Zeichen unserer Erlösung. Wer vor dem Kreuz wegläuft, läuft vor der Auferstehung weg.

„Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben“ (Lk 12,32).

So geht es darum, zu glauben, die Wahrheit zu bezeugen, auszusäen und zu pflegen, ohne auf die Ernte zu spekulieren. Wir sammeln nämlich die Früchte einer Reihe von anderen Gottgeweihten und Laien, die großmütig im Weinberg des Herrn gearbeitet haben: Eure Geschichte ist voll davon!

Und inmitten vieler Gründe zur Entmutigung, inmitten vieler Propheten der Zerstörung und der Verdammung, inmitten vieler negativer und verzweifelter Stimmen sollt ihr eine positive Kraft, sollt ihr Licht und Salz dieser Gesellschaft sein; seid ihr die Lokomotive, die einen Zug vorwärts zieht, geradeaus, dem Ziel entgegen; seid ihr Aussäer der Hoffnung, Brückenbauer und Arbeiter des Dialogs und der Eintracht.

Dies ist möglich, wenn die Gottgeweihten den Versuchungen, denen sie tagtäglich auf ihrem Weg begegnen, nicht nachgeben. Ich will einige unter den bedeutsamsten hervorheben.

1. Die Versuchung, sich mitreißen zu lassen und nicht zu führen. Der Gute Hirt hat die Pflicht, die Herde zu leiten (vgl. Joh 10,3-4), sie auf die saftige Weide und zu den Wasserquellen zu führen (vgl. Ps 23). Er darf sich nicht von der Enttäuschung und vom Pessimismus mitreißen lassen: „Was kann ich schon tun?“ Er ist immer voller Entschlossenheit und Tatkraft, wie eine Quelle, die sprudelt, selbst wenn sie ausgetrocknet ist; er besitzt immer die Herzlichkeit zu trösten, selbst wenn sein Herz niedergeschlagen ist; er ist ein Vater, wenn ihn seine Kinder dankbar behandeln, aber vor allem auch, wenn sie ihm keine Anerkennung erweisen (vgl. Lk 15,11-32). Unsere Treue dem Herrn gegenüber darf nie von menschlicher Dankbarkeit abhängen. „Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten“ (Mt 6,4.6.18).

2. Die Versuchung, sich immerfort zu beklagen. Es ist leicht, stets die anderen anzuklagen – wegen der Versäumnisse der Vorgesetzten, wegen der kirchlichen und gesellschaftlichen Zustände, wegen des Mangels an Möglichkeiten… Die Gottgeweihten aber sind jene, die mit der Salbung des Heiligen Geistes jedes Hindernis in eine Gelegenheit verwandeln und nicht jede Schwierigkeit in eine Entschuldigung! Wer sich ständig beklagt, ist in Wirklichkeit einer, der nicht arbeiten will. Daher wandte sich der Herr an die Hirten mit den Worten: „Darum macht die erschlafften Hände und die wankenden Knie wieder stark“ (Hebr 12,12; vgl. Jes 35,3).

3. Die Versuchung der Geschwätzigkeit und des Neids. Die Gefahr ist ernst, wenn sich die Gottgeweihten vom Neid beherrschen lassen und zu solchen werden, die die anderen mit Geschwätz verletzen, anstatt den Kleinen behilflich zu sein zu wachsen und sich über die Erfolge der Brüder und Schwestern zu freuen. Wenn sie anfangen, jene zu niederzumachen, die gerade wachsen, anstatt sich selbst um das Wachstum zu bemühen; anstatt den guten Beispielen zu folgen, verurteilen sie diese und bringen ihnen Geringschätzung entgegen. Der Neid ist ein Krebsgeschwür, der in kurzer Zeit jeden Körper zerstört: „Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben“ (Mk 3,24-25). In der Tat, „Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt“ (Weish 2,24). Und das Geschwätz ist dabei das Mittel und die Waffe.

4. Die Versuchung, sich mit den anderen zu vergleichen. Der Reichtum besteht in der Verschiedenheit und der Einzigartigkeit eines jeden von uns. Das Vergleichen mit jenen, denen es besser geht, führt uns oft dazu, in Groll zu verfallen; das Vergleichen mit jenen, denen es schlechter geht, führt uns oft dazu, in Hochmut und Faulheit zu verfallen. Wer dazu neigt, sich immer mit den anderen zu vergleichen, lähmt sich am Ende selbst. Lernen wir vom heiligen Petrus und vom heiligen Paulus, die Verschiedenheit der Charaktere, der Charismen und der Meinungen im Hinhören und in der Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist zu leben.

5. Die Versuchung des „Pharaonismus“, das heißt das Herz zu verhärten und sich gegenüber dem Herrn sowie den Brüdern und Schwestern zu verschließen. Es ist die Versuchung zu denken, über den anderen zu stehen und sie sich so aus Geltungsbedürfnis unterzuordnen; die Überheblichkeit zu besitzen, sich bedienen zu lassen, statt zu dienen. Von Anfang an ist das eine allgemeine Versuchung unter den Jüngern, die – so sagt es das Evangelium – „auf dem Weg miteinander darüber gesprochen hatten, wer der Größte sei“ (Mk 9,34). Das Gegenmittel für dieses Gift ist: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9,35).

6. Die Versuchung des Individualismus. Wie ein bekanntes ägyptisches Sprichwort sagt: „Ich, und nach mir die Sintflut“. Es ist die Versuchung der Egoisten, die auf dem Weg ihr Ziel verlieren und anstelle der anderen an sich selbst denken und dabei keinerlei Scham empfinden, ja vielmehr sich selbst rechtfertigen. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen, der Leib Christi, in dem die Rettung eines Gliedes mit der Heiligkeit aller verknüpft ist (vgl. 1 Kor 12,12-27; Lumen gentium, 7). Der Individualist hingegen gibt Grund zum Ärgernis und zum Konflikt.

7. Die Versuchung, ohne Kompass und ohne Ziel zu laufen. Die Gottgeweihten verlieren ihre Identität und beginnen „weder Fisch, noch Fleisch“ zu sein. Sie leben mit einem zwischen Gott und der Weltlichkeit geteiltem Herzen. Sie vergessen ihre erste Liebe (vgl. Offb 2,4). Ohne eine klare und feste Identität zu haben, laufen diese Gottgeweihten in Wirklichkeit ohne Orientierung und zerstreuen die anderen, anstatt sie zu führen. Eure Identität als Söhne und Töchter der Kirche ist jene, Kopten zu sein – das heißt, in euren ehrwürdigen und alten Wurzeln verankert zu sein – und Katholiken zu sein – das heißt, Teil der einen und universalen Kirche zu sein: wie ein Baum – je tiefer er in der Erde verwurzelt ist, desto höher ragt er in den Himmel!

 

Liebe Gottgeweihte, diesen Versuchungen zu widerstehen, ist nicht einfach, aber es ist möglich, wenn wir in Jesus eingepfropft sind: „Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt“ (Joh 15,4). Je mehr wir in Christus verwurzelt sind, desto lebendiger und fruchtbarer sind wir! Nur so können die Gottgeweihten das Wunder, die Leidenschaft der ersten Begegnung bewahren, die Attraktivität und die Dankbarkeit in ihrem Leben mit Gott und in ihrer Mission. Von der Qualität unseres geistlichen Lebens hängt jene unserer Weihe ab.

Ägypten hat die Kirche mit dem unvergleichlichen Schatz des monastischen Lebens bereichert. Ich ermahne euch deshalb, euch ein Beispiel am heiligen Eremiten Paulus zu nehmen, am heiligen Antonius, an den heiligen Wüstenvätern, den zahlreichen Mönchen, die mit ihrem Leben und ihrem Beispiel die Tore des Himmels für viele Brüder und Schwestern geöffnet haben; und so könnt auch ihr Licht und Salz sein, das heißt Ursache des Heiles für euch selbst und für alle anderen, gläubig und nichtgläubig, insbesondere für die Geringsten, die Notleidenden, die Verlassenen und die Ausgegrenzten.

Die Heilige Familie beschütze und segne euch alle, euer Land und alle seine Bewohner. Aus der Tiefe meines Herzens wünsche ich einem jeden von euch alles Gute und durch euch grüße ich alle Gläubigen, die Gott eurer Sorge anvertraut hat. Der Herr gewähre euch die Früchte seines Heiligen Geistes: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit“ (Gal 5,22-23).

Ihr werdet in meinem Herzen und in meinem Gebet immer gegenwärtig sein. Nur Mut und weiter mit dem Heiligen Geist! „Dies ist der Tag den der Herr gemacht hat, wir wollen uns an ihm freuen“ (Ps 118,24) Und vergesst bitte nicht, für mich zu beten!

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Papst Franziskus: Deutschlands Geburtenrate ist ein Grund für Priestermangel

„Es gibt dieses Gebet, das Thomas Morus zugeschrieben wird, das bete ich jeden Tag: ‚Herr, schenke mir Sinn für Humor!‘ Der Herr bewahrt mir meinen Frieden und schenkt mir viel Sinn für Humor. “ – Papst Franziskus im Interview mit der „Zeit“. Foto: CNA/Daniel Ibanez

Von Anian Christoph Wimmer

Lösungen für den Mangel an Berufungen, der Malteserorden und das Verhältnis mit Kardinal Raymond Burke, der Umgang mit dem Teufel und persönliche Glaubenszweifel: Eine Vielzahl von Themen haben Papst Franziskus und der Chefredakteur der „Zeit“ im ersten Interview des Heiligen Vaters mit einer deutschen Zeitung angesprochen.

Schlagzeilen bei deutschen Medien machte bereits vor der Veröffentlichung des Interviews die Aussage, der Papst wolle über Viri Probati nachdenken. Einzelne Journalisten schoben dabei Franziskus erneut Aussagen unter, die er so gar nicht machte.

Lösung durch Gebet

Tatsächlich sagt Franziskus folgendes auf die Frage von „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, was denn mit den Viri Probati sei, „die zwar verheiratet sind, aber aufgrund ihres nach katholischen Maßstäben vorbildlich geführten Lebens zu Diakonen geweiht werden können“:

„Wir müssen darüber nachdenken, ob Viri Probati eine Möglichkeit sind. Dann müssen wir auch bestimmen, welche Aufgaben sie übernehmen können, zum Beispiel in weit entlegenen Gemeinden.“

Weiter betont Franziskus: Die Einführung eines „freiwilligen Zölibats“ sei nicht die Lösung für den Mangel an Berufungen. Das sei erst einmal durch Gebet zu lösen, und dann die richtige Arbeit mit jungen Menschen.

„Deutschlands Geburtenrate ist ein Problem“

Als weiteren Grund speziell für den Priestermangel in Deutschland nennt der Papst die niedrige Geburtenrate im Land. Denn, so stellt Franziskus trocken fest: „wo es keine jungen Männer gibt, gibt es auch keine Priester“.

Dies sei ein ernstes Problem, das in der nächsten Synode über junge Menschen angepackt werden müsse.

Mit Blick auf Kritik an seinem Pontifikat betont Franziskus, dass er „seinen Frieden nicht verloren“ habe. Im Gegenteil: Über die Plakat-Aktion in Rom etwa, die ihn als grimmigen Pontifex zeigt und nach seiner Barmherzigkeit fragt, habe er lachen können. Tatsächlich bete er jeden Tag „für einen Sinn für Humor“.

Natürlich habe er aber auch schon viele Male „Basta!“ gesagt.

„Ich empfinde Kardinal Burke nicht als Widersacher“

Auf die Frage, ob er auch schon mal Kardinal Burke „Basta“ gesagt habe, antwortet Papst Franziskus: „Ich empfinde Kardinal Burke nicht als Widersacher“.

Auch mit Blick auf die Machtkämpfe mit dem Malteserorden, betont der Papst: „Das Problem beim Malteserorden war eher, dass Kardinal  Burke mit der Sache nicht umgehen konnte, weil er nicht mehr allein agierte. Ich habe ihm den Titel des Patronus nicht aberkannt“.

Burke sei weiter Patronus – doch gehe es darum, beim Orden „ein wenig aufzuräumen“. Deshalb habe er einen Delegaten dorthin geschickt.

Auf Fragen nach seinem persönlichen Glaubensleben erklärt der Papst – wie viele Würdenträger und auch große Heilige, dass er auch Zweifel und Zeiten der „Leere“ kenne, aber das Geschenk des Glaubens dankbar empfange und jeden Tag neu lebe.

Der Teufel ist nicht nur eine Metapher

Was das wirklich Böse betrifft, betont der Papst, dass der Teufel nicht einfach eine Metapher ist, wie manche Theologen spekulieren. „Dem Glauben nach ist der Teufel ein Engel. Ein gefallener Engel. Und daran glaube ich“. Auf die Frage: „Das glauben Sie wirklich?“, bestätigt Franziskus: „Ja, das ist mein Glaube“.

Viele Versuchungen, mit denen er zu kämpfen habe, so Franziskus, seien nicht dem Teufel, sondern persönlichen Schwächen geschuldet. Aber bei vielen anderen habe Satan „sehr wohl die Finger im Spiel“.

Deutschlandbesuch unwahrscheinlich

Abschliessend erklärt der Papst, dass ein Besuch Deutschlands in diesem Jahr unwahrscheinlich sei – trotz Einladungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen: „Der Terminkalender ist dieses Jahr sehr voll“.

Priesterausbildung: Das persönliche Zeugnis des Einzelnen

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Priesterweihe im Petersdom 2015

Die Priesterausbildung ist in der Krise: es gibt so wenige Kandidaten wie nie zuvor in Deutschland, weswegen sich die Bischöfe bei ihrer Vollversammlung in der kommenden Woche dieses Themas an einem Studientag annehmen wollen. Die Tagung findet statt, nachdem der Vatikan im Dezember eine neue Rahmenordnung für die Ausbildung vorgelegt hatte, sie müsse „belebt, erneuert und neu zentriert“ werden, sagte damals Kardinal Beniamino Stella, der Leiter der Kleruskongregation, die für die Ausbildung zuständig ist.

In der Öffentlichkeit angekommen ist aber vor allem die erneuerte Aussage, dass Männer, die „tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben“ oder eine sogenannte ‚homosexuelle Kultur’ unterstützen, nicht Priester werden können.

Was diese Rahmenordnung genau für den deutschsprachigen Raum bedeutet, darüber hat Radio Vatikan mit dem Bischof von Münster, Felix Genn, gesprochen. Er ist für das Thema Priesterausbildung in der deutschen Bischofskonferenz verantwortlich.

 

RV: Der Vatikan hat eine neue Rahmenordnung für die Priesterausbildung vorgelegt. Was ist aus Ihrer Sicht das positive Neue an diesen Vorgaben?

Genn: Das eine ist: Dieses Dokument hatte einen Vorlauf, die Bischofskonferenzen wurden nach ihrer Meinung zu dem Entwurf gefragt und wir wurden gehört und konnten unsere Bedenken einbringen, so dass das Dokument, so wie es nun vorliegt, wirklich auch en Zeichen dafür ist, dass die Kongregation und die Kurie das Gespräch mit den Bischöfen vor Ort gesucht hat. Dafür sind wir außerordentlich dankbar.

Zweitens: Das Dokument ist gut und greift noch mal alle Verlautbarungen  des Lehramtes und des apostolischen Stuhles auf, die seit der Rahmenordnung von 1970, die bisher galt und jetzt aufgehoben ist, für die Priesterausbildung formuliert wurden. Das heißt: Wir haben hier einen Text und ein Dokument, in dem das, was sich in den letzten vierzig Jahren nach dem Konzil ereignet hat, aufgenommen ist und zudem bringt diese Dokument auch Aussagen, die eindeutig dem Geist von Papst Franziskus und seiner Vorstellung vom priesterlichen Hirtendienst entsprechen.

RV: Erziehung zur Innerlichkeit und zur Gemeinschaft: Der Priester braucht eine solide Bildung und innere Reife. Nicht eine bloße Verkleidung tugendhaften Verhaltens. Er muss mit großer innerer Freiheit handeln können. Ist das ein neuer Ton in einem Dokument zur Priesterausbildung?

Genn: Ob das ein neuer Ton ist, weiß ich nicht zu sagen. Ich kann sagen, dass immer schon – ich habe schließlich 21 Jahre in der Priesterausbildung gearbeitet – auch auf diese Formulierungen und diesen Akzent wert gelegt wurde. Aber freilich ist es von Bedeutung, dass die ratio fundamentalis, so wie sie jetzt vorliegt, also die Rahmenordnung, die Dimensionen von menschlicher Reifung und geistlicher Bildung, theologischer, intellektueller Bildung und pastoraler Befähigung aufgreift. Diese beiden Pole menschliche und geistliche Reifung waren bisher in den Dokumenten, auch in unserer deutschen Rahmenordnung, zusammengefügt. Jetzt sind sie auseinander genommen. Das bedeutet, die Rahmenordnung, so wie sie uns jetzt vorliegt, legt größten Wert darauf, dass die menschliche Bildung gefördert wird, so dass wirklich reife Persönlichkeiten als Priester genommen werden. Und das ist sicherlich eine Akzentuierung, die nicht klein zu schreiben ist.

RV: Bei der Priesterausbildung muss der Frage nach dem Schutz Minderjähriger „größte Aufmerksamkeit“ geschenkt werden. Es muss Sensibilisierung für Fragen von Gewalt und Ausbeutung von Minderjährigen stattfinden. Gibt das Dokument da neue Vorgaben, die in Deutschland nicht schon berücksichtigt würden?

Genn: Nein, das gibt es nicht. Wir berücksichtigen das in Deutschland, aber es ist gut zu wissen, wenn wir in unserer Priesterausbildung dieses römische Dokument im Rücken haben, so dass wir in der Linie, die wir jetzt angegangen sind, fortfahren können.

RV: Viele Priesteramtskandidaten in europäischen Ländern sind heute sogenannte Spätberufene, ihnen widmet das Dokument eine Passage. Die Ortskirche solle prüfen, ob eine Altersgrenze sinnvoll ist. Ist sie das?

Genn: Da muss man drüber diskutieren. Ich war ja Regens eines Spätberufenenseminars und kann sagen, man muss da von Fall zu Fall entscheiden. Es ist gut, dass das Dokument überhaupt diese Gruppe in den Blick nimmt. Aber wir werden bei der Umsetzung dieses Grundsatzpapiers in unsere deutsche Rahmenordnung genau zuschauen müssen, wie wir mit solchen Spätberufenen in eine gute Formation zum Priestertum hinein begeben. Es wird nämlich Kandidaten geben, die haben ihr Theologiestudium abgeschlossen oder stecken mitten drin. Und die können gar nicht den Weg so gehen, wie das Dokument ihn idealtypisch vorsieht. Deswegen wird man im konkreten Fall genau schauen müssen, wie wir die geistlichen und menschlichen Elemente gut verbinden. Da liegen noch Aufgaben, wo das Grundsatzdokument noch mal mit den deutschen Verhältnissen abgeglichen werden muss.

RV: Homosexuelle Männer, die „tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sogenannte ‚homosexuelle Kultur’ unterstützen“ können nicht ins Seminar oder zu den Weihen zugelassen werden. Das ist nicht neu. Wie sind die Verantwortlichen in der Priesterausbildung bisher mit dieser Weisung umgegangen?

Genn: In Deutschland haben wir großen Wert darauf gelegt, genau diese beiden Aspekte in den Kontext der evangelischen Räte des Gehorsams und der Armut zu stellen. Das war vor dem Konzil noch gar nicht in dieser Weise der Fall. Da hat man nur den Zölibat gesehen. Aber jetzt spricht das Dokument ganz ausdrücklich aus, dass die Berufung zum Priestertum, die als Geschenk angesehen wird, eingefügt ist in die subjektive Form, mit der diese objektive Gestalt gefüllt werden soll, nämlich die Gestalt und Form der evangelischen Räte. Und das ist hervorragend.

RV: Das Nein zu homosexuellen Priesteramtskandidaten ist nicht neu, schürt aber jedes Mal, wenn es wieder vorgelegt wird, aufs Neue Unbehagen, denn damit ist ausgesagt, homosexuelle Männer sind ungeeignet als Priester. Warum ist das so aus katholischer Sicht?

Genn: Hier sehen Sie die Herausforderungen durch die gesellschaftlichen Umstände und die moderne  Kultur und Zivilisation, die ja in vielen Fällen auch durchaus als sexualisiert bezeichnet werden muss. Und dass darauf wertgelegt wird, zeigt das Dokument will Priesterausbildung in den Kontext des Heute stellen. Und das halte ich für sehr, sehr gut, auch wenn das manche Herausforderung beinhaltet.

Freilich, das muss man hinzufügen, wird diese Erziehung auf die Lebensform hin nicht gehen ohne die Leitworte, die sonst in dem Dokument die Linie bestimmt, nämlich: Jüngerberufung und Gleichgestaltung mit Christus. Und das ist eine Lebensaufgabe, die in der Ausbildung begonnen wird, bei der man auch schon mal bestimmte Etappen überprüfen kann. Denn ohne die Beziehung zu Christus ist Zölibat nicht zu leben.

RV: Nicht wenige katholische Gläubige, weit über die Gruppe der Homosexuellen hinaus, empfinden das als ungerechtfertigte Diskriminierung. Was sagen Sie ihnen?

Genn: Es ist ja bezeichnend, dass nach der Publikation der ratio fundamentalis die Presseorgane sich wesentlich auf diese neuralgischen Punkte und hier natürlich besonders auf den Punkt Homosexualität gestürzt haben. Da sind auch viele Aussagen gemacht worden, die man sehr kritisch bedenken muss und die dem Text und dem Anliegen, um das es geht, nicht gerecht werden.

Deswegen ist es wichtig, dass hier gut geprüft wird, weiter auf der Linie zu bleiben, die die Verantwortlichen in der Priesterausbildung, soweit ich das überschauen kann, bisher wahrgenommen haben. Es ist auch eine Frage der Reifung des Einzelnen und hier muss man von Person zu Person – das sind ja keine Massen  – schauen, wie damit umgegangen wird. Mehr möchte ich dazu jetzt eigentlich gar nicht sagen, weil es immer um das persönliche Zeugnis des einzelnen geht.

RV: Die katholische Weltkirche entwickelt sich ja fortwährend weiter, in den verschiedenen Teilen der Welt auf unterschiedliche Weise, da gibt es Vielfalt in Einheit, es gibt auch theologische Entwicklungen. Wenn es jemals zu einer eine Neubewertung von Homosexualität in der Kirche und in der Folge auch im priesterlichen Dienst kommt, Auf welcher Seite müsste diese Neubewertung ansetzen?

Genn: Für die Priesterausbildung ist es wichtig, was das kirchliche Lehramt in dieser Frage sagt und das ist zunächst einmal maßgebend. Denn es handelt sich hier ja um einen Beruf, der priesterliche Dienst gehört zur Ämterstruktur der Kirche. Deswegen kann hier nicht irgendwie subjektiv von einzelnen theologischen Meinungen her geurteilt werden, sondern es muss geschaut werden, dass man dem, was die Kirche fordert – und das ist in diesem Dokument grundgelegt – auch Folge leistet.

Wie eine Neubewertung dieses Phänomens zu sehen ist, ist zunächst einmal auch eine Frage der theologischen Auseinandersetzungen und die besteht ja, aber da gibt es noch keinen Konsens.

RV: Bei der Ausbildung von Priestern sollen in Zukunft mehr Frauen lehrend tätig werden. In diesem Punkt greift das Dokument einen vielfach geäußerten Wunsch auf. Wie steht es eigentlich damit heute in den Seminaren im deutschen Sprachraum?

Genn: Das kann ich jetzt nicht so überschauen. Ich kann sagen, dass es bei uns und auch in Essen und soweit ich weiß auch in anderen Seminaren der Fall ist, das muss auch verstärkt werden. Das ist eine ganz große Hilfe.

RV: Warum ist es vernünftig, mehr Frauen in die Priesterausbildung zu bringen?

Genn: Es gibt eben zwei Geschlechter: Männer und Frauen. Und die sind nachher in der Gemeinde auch diejenigen, mit denen man arbeiten muss. Es wäre doch falsch, wenn man jetzt nur von Männern ausgebildet wäre, vor allem wo Frauen auch in den pastoralen Berufen viel Engagement in die Kirche einbringen.

RV: Besonders bei der Frage nach der Eignung sollen ausdrücklich auch Frauen gefragt werden. Warum?

Genn: Ich halte das für sinnvoll, gerade auch weil Frauen noch eine eigene Sensibilität und einen eigenen Blick haben. Also wir machen das. Ich habe jetzt diese Woche noch einen Kandidaten geprüft und da wurde mir das Dokument aus einer Pfarrgemeinde von einer Pfarreiratsvorsitzenden vorgelegt. Das war ausgezeichnet.

RV: Der Papst hat ja oft gesagt, was er unter einem guten Priester versteht, das soll kein Manager sein, sondern ein Hirte, und vieles mehr. Das Dokument stammt aus der Kleruskongregation, die erst seit 2013 für die Ausbildung von Priestern zuständig ist, zuvor war das an der Bildungskongregation angesiedelt. Inwiefern trägt das Dokument die Handschrift von Papst Franziskus?

Genn: Zunächst einmal sehen wir das konkret, wenn Sie Anmerkungen sehen und die Zitate. Da kann man das ganz konkret deutlich werden lassen.

Zweitens: Er möchte, dass wir Priester haben, die durchaus einen ganz tiefen pastoralen Geist in sich tragen. Das heißt, die nicht für sich Priester werden, sondern für die Gemeinde. Die auch geprägt sind davon nicht einfach ihre Macht – sei es jetzt in Sachen des Geldes, sei es in Sachen ihrer Macht, also ihres Befehlens – zum Ausdruck bringen, sondern Dienende sind. Und das muss man lernen. Man muss das lernen, vor allem, so lange der priesterliche Beruf auch eine gesellschaftliche Stellung, die ihn etwas heraushebt, bedeutet hat. Das ist auch ein geistlicher Prozess, auf den sehr geachtet werden muss.

RV: Fehlt Ihnen etwas an dem Dokument?

Genn: Ich würde kritisch erstens sagen: Wir hätten uns eine bessere Kommunikation zur Publikation gewünscht. Wir haben das relativ spät erfahren. Das habe ich aber auch gegenüber dem Präfekten schon geäußert. Da kann man noch nachbessern.

Zweitens werden wir im Einzelnen natürlich schauen müssen, wie wir vor allem diese gesamten Anliegen der menschlichen, geistlichen und pastoralen Ausbildung und Bildung zusammenbinden mit der intellektuellen und theologischen Bildung.

Hier werden wir angesichts unserer bestimmten deutschen Verhältnisse des Zusammenspiels von Seminaren und theologischen Fakultäten, die zu einem größten Teil an staatlichen Universitäten sind nachbessern müssen. Und das Ganze ist ja auch noch mal verbunden mit dem Bologna-Prozess. Da kommen die Dinge noch nicht so gut ineinander, da besteht noch harte Arbeit, aber ich muss auch hier hinzufügen, dass Kardinal Stella als der verantwortliche Präfekt in einem Gespräch mit uns deutschen Bischöfen klar gesagt hat: ‚Da müssen Sie dann schauen, wie Sie das auf Ihre deutschen Verhältnisse übertragen’ Und dazu gibt es Freiraum.

(rv 05.03.2017 gs)

Papst: Berufung – das passiert nicht durch eine Konferenz

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Sprechen über Berufung: Priesterweihe im Petersdom – ANSA

„Ich habe immer ein wenig Angst davor, einige Ausdrücke unseres Kirchenjargons zu benutzen“: ein Bekenntnis, das bei Papst Franziskus nicht überrascht. Bei einer Audienz für rund 255 Teilnehmer eines internationalen Kongresses über Berufungspastoral an diesem Freitag buchstabierte Franziskus das etwas sperrige Wort ‚Berufung’ zunächst einmal aus: „,Berufungspastoral‘ – das lässt an einen der vielen kirchlichen Bereiche denken, an ein Kurienbüro oder vielleicht ein Projekt in Arbeit. Ich sage ja nicht, das wäre nicht wichtig, aber es geht um mehr: Berufungspastoral ist eine Begegnung mit dem Herrn!“

Ja, und was wäre hier wohl glaubwürdiger als die Geschichte einer Berufung? Papst Franziskus kam prompt auf seine eigene zu sprechen: „Die passierte nicht nach eine Konferenz oder durch eine schöne Theorie, sondern durch die Erfahrung des barmherzigen Blickes Jesu auf mich. Es ist also schön, dass ihr hier seid, aus allen Erdteilen, um über das Thema nachzudenken, aber bitte – das alles darf nicht mit einem Kongress enden! Berufungspastoral bedeutet, den Stil Jesu zu lernen, der zu alltäglichen Orten geht, ohne Eile verweilt und die Geschwister mit Barmherzigkeit zur Begegnung mit dem Gottvater führt“.

Jorge Mario Bergoglios eigene Berufung

„Aus Barmherzigkeit erwählt“ – das von Jorge Mario Bergoglio gewählte Bischofs- und Papstmotto ist Titel des Kongresses über Berufungspastoral der vatikanischen Kleruskongregation, dessen krönender Abschluss die Papstaudienz an diesem Freitag war. Hinausgehen, sehen, rufen – das hat Jesus getan, schärfte der Papst seinen Zuhörern ein, nachzulesen sei das im Evangelium.

Erstens: Hinausgehen! Hier kam der Papst direkt auf einen seiner Lieblingsmodi für die Kirche zu sprechen: „Die Berufungspastoral braucht eine Kirche in Bewegung, die ihre eigenen Grenzen erweitern kann, die sie nicht an der Begrenztheit menschlicher Rechenübungen oder der Angst vor dem Scheitern misst, sondern an der breiten Skala göttlicher Barmherzigkeit.“

Durch bequemes Verweilen im Altbekannten werde es keine „fruchtbare Saat“ neuer Berufungen geben, prophezeite der Papst, Ziele und Methoden der Berufungspastoral müssten „mutig und kreativ“ überdacht werden: „Wir müssen lernen, uns aus unserer Erstarrung zu lösen, die es uns unmöglich macht, die Freude des Evangeliums zu kommunizieren, aus den standardisierten Formen, die oftmals anachronistisch erscheinen, aus den vorgefertigten Analysen, die das Leben der Menschen in kalte Schablonen verpacken.“

Die Freude des Evangeliums kommunizieren

Der Papst wandte sich hier insbesondere an Bischöfe und Priester, die „Hauptverantwortlichen“ der Berufungspastoral. In Erinnerung an die eigene Berufung sollten sie junge Menschen auf ihrem persönlichen Weg der Berufung authentisch begleiten und sollten „Hirten inmitten des Volkes“ sein. Ein Priester, der sich in der Sakristei einschließe, sei „traurig“, so der Papst wörtlich.

Zweitens: Sehen! Franziskus warnte hier vor pastoraler Blindheit und unnützem Aktivismus. Hektik und Reizüberflutung des modernen Lebens verstellten oftmals den Blick für das Wesentliche, so der Papst, Priester und pastorale Mitarbeiter dürften sich nicht in einem „leeren Organisationsdrang“ verzetteln, der das Herz der Pastoral ausblende. Der Stil Jesu sei ein anderer, so Franziskus: „Wenn Jesus über die Straßen läuft, hält er an und sieht die Menschen an, ohne Eile. Das ist es, was seinen Ruf attraktiv und anziehend macht.“ Die Hirten der Kirche bräuchten diese Ruhe und Sensibilität, die Fähigkeit, „in das Leben des Nächsten einzutreten, ohne ihm je zu drohen oder ihn zu verurteilen“. Der Papst rief in diesem Kontext auch dazu auf, auf eine sorgfältige Auswahl von Priesteramtskandidaten zu achten, Bischöfe sollten hier „Wachsamkeit“ und „Besonnenheit“ an den Tag legen.

Wider die Hektik und die Reizüberflutung

Drittens: Rufen, der Kern des Themas Berufungspastoral. Jesus verliere hier nicht viele Worte, er sage ,Folge mir‘, wolle Menschen in Bewegung setzen, sie auch dazu animieren, die Illusion vermeintlicher Sicherheiten im Hier und Jetzt hinter sich zu lassen.

Andererseits habe Jesus gerade auch an den „Ufern der Existenz“ gefischt, formulierte Franziskus, und auf Impulse von Menschen geantwortet, die auf der Suche seien, fuhr er fort: „Diese Sehnsucht des Suchens finden wir häufig bei jungen Menschen. Sie ist der Schatz, den der Herr in unsere Hände legt, den wir pflegen, anbauen und zum Keimen bringen müssen. (…) Statt den Glauben auf ein Rezeptbuch oder Regelwerk zu reduzieren, können wir den jungen Leuten helfen, sich die richtigen Fragen zu stellen, sich auf den Weg zu machen und die Freude des Evangeliums zu entdecken.“

Leicht sei diese Aufgabe nicht, gab der Papst wohl mit Blick auf den Priestermangel und die kränkelnden Berufungen in vielen europäischen Ländern zu: Trotz vollen Einsatzes gehe die Rechnung manchmal eben nicht auf. Jammern helfe hier aber nicht, erinnerte er, nur das Rausgehen, Sehen und Rufen.

(rv 21.10.2016 pr)

Papstpredigt an Priester: Volltext

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Einzug des Papstes zur Messe mit Priestern

Papst Franziskus hat am Freitag eine Messe für Priester auf dem Petersplatz gefeiert. Hier finden Sie seine Predigt im offiziellen Wortlaut; spontane Hinzufügungen des Papstes zum Text haben wir in eigener Übersetzung eingefügt.

Da wir das Jubiläum der Priester am Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu feiern, sind wir aufgerufen, uns auf das Herz bzw. die Innerlichkeit zu konzentrieren, auf die kräftigsten Wurzeln des Lebens, auf den Kern der Gefühle – in einem Wort: auf die Mitte der Person. Und heute richten wir den Blick auf zwei Herzen: auf das Herz des Guten Hirten und auf unser Hirtenherz.

Das Herz des Guten Hirten ist nicht nur das Herz, das Erbarmen mit uns hat, sondern es ist die Barmherzigkeit selbst. Dort erstrahlt die Liebe des Vaters; dort habe ich das sichere Gefühl, angenommen und verstanden zu werden, wie ich bin; dort genieße ich die Gewissheit, mit allen meinen Grenzen und Sünden doch erwählt und geliebt zu sein. Indem ich auf dieses Herz blicke, erneuere ich meine erste Liebe: die Erinnerung an den Moment, als der Herr mich im Innersten angerührt und mich berufen hat, ihm nachzufolgen, die Freude, auf sein Wort hin die Netze des Lebens ausgeworfen zu haben (vgl. Lk 5,5).

Das Herz des Guten Hirten sagt uns, dass seine Liebe keine Grenzen kennt, dass es nicht müde wird und niemals aufgibt. Dort sehen wir seine ständige, uneingeschränkte Selbsthingabe; dort finden wir die Quelle der treuen und sanften Liebe, die frei lässt und frei macht; dort entdecken wir jedes Mal neu, dass Jesus uns liebt » bis zur Vollendung « (Joh 13,1) – er bleibt nicht vorher stehen, sondern bis zur Vollendung! –, ohne sich jemals aufzudrängen.

Das Herz des Guten Hirten streckt sich uns entgegen, es ist auf den „gepolt“, der am weitesten entfernt ist; hartnäckig zeigt die Nadel seines Kompasses dorthin, dort offenbart es eine besondere Schwäche der Liebe, denn es möchte alle erreichen und niemanden verlieren.

Vor dem Herzen Jesu kommt die grundlegende Frage unseres Priesterlebens auf: Wohin ist mein Herz ausgerichtet? Eine Frage, die wir Priester uns ganz oft stellen müssen, jeden Tag, jede Woche: Wohin ist mein Herz ausgerichtet? Der Dienst ist oft angefüllt mit vielerlei Initiativen, die ihn an viele Fronten stellen: von der Katechese zur Liturgie, zum karitativen Einsatz, zu den pastoralen und sogar zu den administrativen Verpflichtungen. Inmitten so vieler Aktivitäten bleibt die Frage: Wo ist mein Herz verankert – da fällt mir dieses schöne Gebet der Liturgie ein: fixa sunt gaudia… , worauf zielt es ab, welches ist der Schatz, den es sucht? Denn – sagt Jesus – »wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz« (Mt 6,21).

Wir haben Schwächen, auch Sünden. Aber wir gehen an die Wurzeln unserer Schwächen, unserer Sünden – wo ist der Schatz, der uns vom Herrn entfernt?

Die unersetzlichen Schätze des Herzens Jesu sind zwei, Jesus hat nur zwei Schätze: der Vater und wir. Seine Tage verliefen zwischen dem Gebet zum Vater und der Begegnung mit den Menschen. Begegnung mit den Menschen – nicht Abstand. Auch das Herz des Hirten Christi kennt nur zwei Richtungen: den Herrn und die Menschen. Das Herz des Priesters ist ein von der Liebe des Herrn durchbohrtes Herz. Deshalb schaut er nicht mehr auf sich selbst (er sollte nicht mehr auf sich selbst schauen), sondern ist Gott und den Mitmenschen zugewandt. Es ist kein „wankendes Herz“ mehr, das sich vom Reiz des Augenblicks anziehen lässt oder das hin- und herzieht auf der Suche nach Zustimmung und kleinen Befriedigungen. Es ist sündhaft… Es ist stattdessen ein Herz, das im Herrn gefestigt, vom Heiligen Geist gefesselt und für die Mitmenschen offen und verfügbar ist. Und hier löst es das Problem seiner Sünden.

Um unserem Herz zu helfen, von der Liebe Jesu, des Guten Hirten, zu brennen, können wir uns üben, uns drei Handlungen zu Eigen zu machen, welche die Lesungen von heute uns vorschlagen: suchen, einbeziehen und uns freuen.

Suchen. Der Prophet Ezechiel hat uns daran erinnert, dass Gott selber seine Schafe sucht (34,11.16). Er »geht dem verlorenen nach«, sagt das Evangelium (Lk 15,4), ohne sich von den Gefahren erschrecken zu lassen; ohne Zögern dringt er wagemutig in Gebiete außerhalb des Weidelands und in Zonen außerhalb der Arbeitszeiten vor. Und er lässt sich keine Überstunden bezahlen! Er schiebt die Suche nicht auf. Er denkt nicht: „Heute habe ich meine Pflicht bereits erledigt, ich werde mich morgen darum kümmern“, sondern er macht sich sofort an die Arbeit. Sein Herz ist unruhig, bis er das eine verlorene Schaf wiederfindet. Und wenn er es gefunden hat, vergisst er die Mühe und lädt es ganz zufrieden auf seine Schultern. Er muss rausgehen, um es zu suchen, mit ihm zu sprechen, es zu überreden. Manchmal muss er auch vor dem Tabernakel bleiben und mit dem Herrn um dieses Schaf ringen.

Das ist das suchende Herz: Es ist ein Herz, das Zeiten und Räume nicht „privatisiert“ – wehe den Hirten, die ihren Dienst privatisieren! –, nicht eifersüchtig über seine legitime Ruhe wacht und niemals den Anspruch erhebt, nicht gestört zu werden. Der Hirt nach dem Herzen Gottes verteidigt nicht die eigenen Bequemlichkeiten, ist nicht besorgt, den eigenen guten Ruf zu schützen – möge man ihn ruhig verleumden wie Jesus! –, ja, ohne jede Furcht vor Kritik ist es bereit zum Risiko, nur um seinen Herrn nachzuahmen. „Selig wenn sie euch verfolgen“ usw.

Der Hirt, der Jesus gemäß ist, besitzt ein Herz, das frei ist, die eigenen Dinge loszulassen. Es lebt nicht, indem es sein Eigentum und seine Dienststunden „abrechnet“: Es ist kein Buchhalter des Geistes, sondern ein barmherziger Samariter auf der Suche nach den Bedürftigen. Er ist ein Hirte, nicht ein Inspekteur der Herde, und widmet sich seiner Sendung nicht fünfzig- oder sechzigprozentig, sondern mit seinem ganzen Sein. Wenn er auf die Suche geht, findet er, und er findet, weil er riskiert. Wenn der Hirte nichts riskiert, findet er auch nichts… Er bleibt nach Enttäuschungen nicht stehen und gibt in Mühen nicht auf. Er ist tatsächlich hartnäckig im Guten, gesalbt von der göttlichen Hartnäckigkeit, dass niemand verlorengehen soll. Deshalb hält er nicht nur die Türen offen, sondern geht hinaus auf die Suche nach denen, die nicht mehr durch die Tür eintreten wollen. Wie jeder gute Christ und als Vorbild für jeden Christen geht er ständig aus sich selbst heraus. Der Schwerpunkt seines Herzens befindet sich außerhalb seiner selbst: Es ist dezentriert, nur auf Jesus zentriert – nicht von seinem Ich angezogen, sondern von dem Du Gottes und vom Wir der Menschen.

Einbeziehen. Christus liebt und kennt seine Schafe, für sie gibt er sein Leben hin und keines ist ihm fremd (vgl. Joh 10.11-14). Seine Herde ist seine Familie und sein Leben. Er ist kein von den Schafen gefürchteter Vorgesetzter, sondern der Hirt, der mit ihnen geht und sie beim Namen ruft (vgl. Joh 10, 3-4). Und er möchte die Schafe versammeln, die noch nicht bei ihm wohnen (vgl. Joh 10,16).

So ist auch der Priester Christi: Er ist gesalbt für das Volk, nicht um sich für seine eigenen Pläne zu entscheiden, sondern um den konkreten Menschen nahe zu sein, die Gott ihm durch die Kirche anvertraut hat. Niemand ist aus seinem Herzen, aus seinem Gebet und aus seinem Lächeln ausgeschlossen. Mit liebevollem Blick und einem Vaterherzen nimmt er auf und bezieht ein; und wenn er zurechtweisen muss, dann stets, um in die Nähe zu holen. Niemanden verachtet er, sondern für alle ist er bereit, sich die Hände schmutzig zu machen. Der gute Hirte hat keine Handschuhe an! Als Diener der Communio, die er zelebriert und die er lebt, erwartet er nicht den Gruß und die Komplimente der anderen, sondern reicht als Erster die Hand und verwirft Tratsch, Urteile und Gift. Geduldig hört er die Probleme an und begleitet die Schritte der Menschen, indem er mit großherzigem Mitgefühl die göttliche Vergebung spendet. Er schimpft den nicht aus, der den Weg verlässt oder verliert, sondern ist immer bereit, wieder einzugliedern und Streit zu schlichten. Ein Mann, der andere einzubeziehen weiß.

Sich freuen. Gott ist » voll Freude« (Lk 15,5): Seine Freude hat ihren Grund in der Vergebung; in dem Leben, das neu ersteht; in dem Sohn, der wieder die Luft des Elternhauses atmet. Die Freude Jesu, des Guten Hirten, ist keine Freude über sich, sondern eine Freude über die anderen und mit den anderen, die wahre Freude der Liebe. Das ist auch die Freude des Priesters. Er wird verwandelt durch die Barmherzigkeit, die er gegenleistungsfrei erweist. Gegenleistungsfrei! Im Gebet entdeckt er den Trost Gottes und erfährt, dass nichts stärker ist als seine Liebe. Darum ist er innerlich ausgeglichen und ist glücklich, ein Kanal der Barmherzigkeit zu sein und den Menschen dem Herzen Gottes nahezubringen. Traurigkeit ist für ihn nicht normal, sondern vorübergehend; Härte ist ihm fremd, denn er ist ein Hirte gemäß dem milden Herzen Gottes.

Liebe Priester, in der Eucharistiefeier finden wir jeden Tag diese unsere Identität des Hirten wieder. Jedes Mal können wir uns seine Worte: »Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird« wirklich zu eigen machen. Das ist der Sinn unseres Lebens, das sind die Worte, mit denen wir in gewisser Weise täglich unsere Weiheversprechen erneuern können. Ich danke euch für euer „Ja“, und für so viele verborgene „Jas“ jeden Tag, die nur der Herr kennt, und für eure Bereitschaft, das Leben vereint mit Jesus hinzugeben: Hier liegt die reine Quelle unserer Freude.

(rv 03.06.2016 sk)