DIE WUNDERBARE ERSCHEINUNG UNSERER LIEBEN FRAU AUF DEM WESEMLIN / LUZERN

Unsere Liebe Frau vom Wesemlin

Unsere Liebe Frau vom Wesemlin, Luzern

Tu gloria Jerusalem, tu laetitia Israel! Du bist der Ruhm Jerusalems, du die Freude Israels! (Judith 15,10)

Pfingsten ist das Fest des Hl. Geistes. An diesem Tage hat der Hl. Geist, die dritte Person in der Gottheit, feierlich und öffentlich seine Wirksamkeit begonnen, hat das Wort erfüllt, das der Erlöser den Apo­steln gegeben: „Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, damit er in Ewigkeit bei euch blei­be.“ (Joh. 14,16).

Der Hl. Geist hat das Wort des Heilandes hier auf Erden fortgesetzt und will es sei­ner Vollendung entgegenführen durch sei­ne beständige Hilfe und Leitung, durch seinen Trost und seine Gnadengaben.

Er hat die Apostel belehrt über ihren Beruf und sie bis an die Enden der Erde geführt.

Er hat in drei Jahrhunderten der Trübsal und Verfolgung die Märtyrer zu ewiger Siegeskrone vorbereitet.

Er hat uns die Kirchenlehrer gegeben, durch sie die himmlischen Wahrheiten dem menschlichen Verständnis erschlossen.

Er hat durch die Wechselfälle der Jahr­hunderte die Kirche geleitet und sie ge­schmückt als seine Braut in einer wunder­baren Liturgie, im kirchlichen Gesang, in den herrlichen Bauten der Dome und Mün­ster, in den zahllosen Heiligtümern und Gnadenstätten.

Wandern wir zurück
ins sechzehnte Jahrhundert.

Eine erste Stufe jener Zeit, eine erste Generation des sechzehnten Jahrhunderts war bereits vorüber. Der schwere Schlag war geschehen. Die Glaubenseinheit in Deutschland und in der Schweiz war zer­rissen, die Glaubenstrennung zum Durch­bruch gekommen. Die bekannten Glau­bensdisputationen zu Baden und Bern waren darüber geschehen. Im Vaterland (in der Schweiz) standen sich zwei Lager gegenüber. Eine tiefe Kluft hatte sich zwischen die Brüder gelegt. Hüben und drü­ben waren die Gemüter aufs heftigste er­regt. Die religiösen Kämpfe hatten auch ins Politische hinübergeschlagen und die Zeiten waren sehr ernst geworden. Auf beiden Seiten suchte man Hilfe von außen. Die inneren Gegensätze wurden äußerst scharf. In Luzern wollte man um jeden Preis das kostbare Gut des heiligen katho­lischen Glaubens bewahren. Von Zürich aus suchte man mit aller Kraft der neuen Lehre auch in Luzern und in den Ur- und Altkantonen Eingang zu verschaffen. Man wollte der neuen Weltanschauung und Lehre Zwinglis gleichsam eine Gasse ma­chen. Es war namentlich Ulrich Zwingli, der dabei auch zur Gewalt aufrief. Es kam dazu, daß die protestantischen Kantone den fünf Orten den Absagebrief zusand­ten. Krieg war’s, Bruderkrieg! Die Heere zogen nach Kappel. Aber der alte eidgenössische Sinn und die Unter­handlungen der Führer brachten es — zur bekannten Milchsuppe von Kappel — und dann — zum Friedensschluß. Man reichte sich die Hände und jeder blieb unter den neuen Verhältnissen auf seinem Gebiete. Doch die Gemüter waren nicht beruhigt. Es ist geschichtliche Tatsache, daß von Zürich aus die neue Lehre mit Gewalt verkündet wurde. Scharfe Worte fielen hüben und drüben. So klagten Zwingli und der Rat von Zürich die Innerschweiz an: es seien heftige Worte gegen die neuen Füh­rer gefallen. Man verlangte Sühne. Die Regierung von Luzern war bereit, einige Überbordende zu bestrafen, wenn die Tat­sachen arger Beleidigung festgestellt wer­den könnten, obwohl auch Luzern über schwere Inzichten von der andern Seite her sich beklagen konnte. Aber Zürich ver­langte als Sühne Raum und Freiheit, um die neue Lehre ungehindert auch in der Innerschweiz zu verkünden. Es war der Gedanke aufgeglüht: es ist vielleicht mög­lich, die Innerschweiz doch allmählich ganz loszutrennen — vom alten Glauben, loszu­trennen von der heiligen Kirche. Es wur­den die Dinge immer ernster. Hüben und drüben wuchsen Zorn und Begeisterung immer mächtiger und gewaltiger. Vorabend vor einem Gewitter!

Blicken wir aber für einige Augenblicke in die Verhältnisse Luzern. Gewiß konnte man damals auch in Luzern gewisse Nieder­gänge beobachten. Wenn man sich etwas an die vorangehenden Zeiten erinnert, da die Päpste in Avignon, statt in Rom, residierten, wenn man der nachfolgenden zwiespältigen Papstwahlen gedenkt und gewisser revolutionären Strömungen im kirchlichen Leben, dann versteht man tiefe Niedergänge auch auf religiösem Gebiete und im katholischen Volke. Da und dort hatte sich eine gewisse Gleichgültigkeit und Übergemütlichkeit herausgebildet. Es wurde namentlich auch die Predigt und der Reiligonsunterricht da und dort vernach­lässigt. Nichtsdestoweniger lebten in Luzern überwiegend der katholische Sinn, katholische Glaubensfreudigkeit der Ge­wissen — unerschütterlich: Wir stehen treu zu Christus, wir stehen treu zum ganzen Christus, wir stehen treu zur ganzen Kir­che. Seit längerer Zeit hatten sich aufbau­ende, erneuernde Bewegungen geltend gemacht. Das Leben und Wirken des seli­gen Bruder Klaus hatte auf lange Zeit hinaus fruchtbar gewirkt. Die Bestrebun­gen der sogenannten Gottesfreunde verinnerlichten manche Kreise. Der her­vorragende Chorherr und spätere Propst Hans Bodler war ein eifriger Katholik, ein tief überzeugter Seelsorger und mutiger Bekämpfer des neuen Glaubens, ein schar­fer Gegner Zwinglis. Auf der Kanzel der Hofkirche predigte damals mehrere Jahre der geistvolle, seeleneifrige, ab und zu etwas derbe Apologet: der Franziskaner Thomas Murner, ein hervorragender Bestärker im katholischen Glauben, ein Hauptgegner Zwinglis. Die Regierung be­rief von auswärts den sehr tüchtigen Pfar­rer Forrer, der vorbildlich wirkte. Die Re­genten selbst standen mit goldener Treue zum Papst, zum Bischof, zur Kirche. Das war die Lage in unserm Kanton Luzern und insbesondere in der Stadt Luzern, als die Wolken des neuen Gewitters aufstie­gen, die ich eben zu schildern versuchte. Ähnlich stand es in den inneren Landen.

Eines müssen wir bewundern: es lebte schon damals ein gewisses Zusammen­wirken von Geistlichkeit und Laien, eine Art actio catholica, eine Art katholischer Aktion, die sich der kommenden Gefahr bewußt war.

Die Gegensätze wurden immer schärfer: Zürich dachte an Krieg, Bern riet ab, die Glaubensdisputationen waren schon längst vorüber. Da einigten sich die Gegner: die inneren Kantone durch eine vollständige Proviantsperre und allseitige Marktsperre für inländische und ausländische Waren zu zwingen, der neuen Lehre ihre Tore zu öffnen. Man dachte sich’s: Durch Hunger erschüttert, wird das Volk von selbst mut­los und es wird sich eine Gasse für den neuen Glauben auch nach Luzern und in die inneren Kantone öffnen lassen. Wir müssen diese Dinge im Geiste der damali­gen Zeit betrachten. Die Verhältnisse ge­stalteten sich immer schärfer. Es war zu Pfingsten, am Vorabend von Pfingsten, als von Zürich aus — nach langen, vergebli­chen Verhandlungen — die scharfe Markt­sperre unwiderruflich verhängt wurde für inländische und ausländische Waren. Nun war die Lage hochernst geworden. Was sollte der Winter bringen? Die damalige Wirtschaft der inneren Kantone war durch­aus abhängig vom Außenhandel. Ernste Männer sagten sich, es klopfen die furcht­barsten Dinge an: Hungersnot und Elend. Auf der andern Seite sagte man sich: ein gebrochenes Volk fühlt auch die mensch­lichen Schwächen, dann wird die neue Lehre wie erlösend wirken.

Das ist die geschichtliche Vorstufe. Nun stehen wir vor dem Geschehnis und dem Geheimnis, dessen wir hier gedenken.

Das Geschehnis und Geheimnis
von Pfingsten 1531

Pfingsten, die hohe Feier war angebro­chen. Pfingsten war auch damals das Fest des Mutes und der Kraft. Pfingsten ist ein Christusfest. An Pfingsten erst vollendete Jesus Christus sein Werk. Darum ist Pfing­sten auch Hochostern, Vollostern. Pfing­sten ist das Hochfest des Heiligen Geistes, der das von Christus gebaute Schiff der Kirche belebt und auf das Meer der Welt entsendet! Pfingsten ist aber auch ein Marienfest. Mitten in der Apostelschar steht sie, leuchtend wie die Morgenröte.

Damals stand auf dem Wesemlin, da wo jetzt der Hochalter der Kirche sich befin­det, eine uralte Kapelle, in jener Zeit beina­he ein Trümmerhaufen. Sie war einst eine stille, heilige Andachtsstätte, klein an Umfang, aber beim Volke beliebt. Mit der Zeit geriet sie in Vergessenheit und stand als halbe Ruine da. Hier im Lande war zwar alles katholisch, aber wie es in ern­sten Zeiten sich ereignet: es gab auch in Luzern Geister, die mit der Gegenpartei sympathisierten, und da und dort began­nen, wenn auch selten, die Anzeichen des Bildersturmes sich zu zeigen. Man versündigte sich an kleinen Heiligtümern. Man wagte nicht, in die großen Kirchen einzudringen. Aber einige Stürmer ver­suchten sich an Wegkreuzen und kleinen Kapellen. So geschah es, daß die halb­verfallene Wesemlinkapelle beinahe voll­ständig niedergerissen und das Mutter­gottesbild an heiliger Stätte in Stücke geschlagen wurde. Nun stand denn dieses Heiligtum da wie eine sinnbildliche Frage: Soll auch in Luzern Maria enthront, entkrönt werden — so viel es an den Men­schen lag? Soll ein Sturm losbrechen ge­gen das katholische Gut, gegen die Erb­schaft Christi und der Kirche?

In der Nähe der Kapelle besaß der vor­nehme Mauritz von Mettenwyl neben seinen Häusern in der Stadt ein Landgut. Es grenzte an jene Kapellenruinen. Wir wissen, daß er sich am Pfingstabend des Jahres 1531 auf stillen Wegen in der Nähe des zerstörten Heiligtums erging. Mettenwyl war ein nüchterner, besonne­ner, tüchtiger Mann, ein hervorragender Soldat. Er war — im Geiste und nach der Gewohnheit jener Zeit—in höheren Kriegs­diensten in Frankreich gestanden. Dann hatte er eine Reihe von Ämtern in der Stadt inne. Er war Mitglied des Großen und später des Kleinen Rates geworden. Auch verwaltete er zu Zeiten einige Vogteien. Ganz besonders aber lag ihm später das Amt des Spitalmeisters ob. Mit Hilfe sei­ner edlen Gattin besorgte er in der Stadt die Armen, die Kranken, die Pfründner, die Reisenden. Es leuchtete in seinem Leben ein gewisser sozialer Zug, eine Art liebli­cher Verbindung zwischen Religiosität und Humanität. Dieser Mann wandelte am Pfingstabend 1531 ernsten Sinnes über das Wesemlin. Es war am 18. Mai. Er steht in der Nähe der jetzt zerfallenen Kapelle. Sein Gemüt ist tief bedrückt. An Pfingsten, an der Vigil von Pfingsten war die fürch­terliche Entscheidung gefallen. In die Pfingstfestfreude und das Pfingstlicht züngelten unheimliche Flammen hinein. Soll es zur äußersten Gefahr kommen? Werden Hunger, Elend, Not ins Land ein­ziehen? Werden schwerste religiöse, in­nerliche Pflichten und Entscheide an ein durch Not gebrochenes Volk herantreten? Oder sollen wir vorher, noch zur rechten Stunde mit Gewalt in Notwehr das heilige Recht uns holen, wenn alle Verhandlun­gen scheitern? Da kniet von Mettenwyl nieder und betet. Es war ihm wohl wehe um das zerfallene Heiligtum. Er dachte weiter, tiefer! Ist diese Ruine dort wohl ein Symbol von Ruinen, die unser Land be­decken sollen? Soll der Kampf sich ganz besonders gegen Maria wenden? Mettenwyl versank in tieferes Gebet. Wie schön ist es, — wenn Männer beten! Wäh­rend er so betete, sah er über der Felsplatte, wo die Ruine stand, einen Nebel aufstei­gen und einen Lichtglanz hervorbrechen, der sich nach und nach in einen Strahlen­kranz verwandelte. Und in der Mitte dieser Strahlensonne sah Mettenwyl das Bild ei­ner Jungfrau, rein und herrlich; auf den Armen trug sie das Kind. Mettenwyl war überrascht. Er weiß nicht, was er sich sa­gen soll. Er betet! Aber immer klarer stand das Bild. Und er begrüßte es: Du bist ­Maria! Du bist die Morgenröte, die aufge­hende — der Morgenstern — du bist immer der Ruhm Luzerns gewesen — du warst ja immer Schützerin und Helferin und Freu­de und Ehre unseres Volkes. In diesem Geiste ungefähr, wenn auch nicht mit die­sen Worten, obwohl sie damals in Luzern nicht unbekannt waren, huldigte Mettenwyl — Maria. Er gewann die Mannesüber­zeugung: Übernatürliches geschaut zu ha­ben. Er behielt die Sache zunächst für sich. Wahrscheinlich hat er aber doch dem Pfar­rer der Stadt am Pfingstmontag darüber Mitteilung gemacht.

Was ich jetzt erzählt habe, können wir urkundlich belegen. Wir besitzen durch­aus beglaubigte Abschriften einer Urkun­de, deren Original noch bis in späte Zeiten vorhanden war, bis Abschriften und Ab­drucke sich gemehrt hatten. Sie stammt eigentlich von Mauritz von Mettenwyl selbst. Sein Sohn nämlich, der spätere Stadt­schreiber von Luzern, hat die Urkunde über die Erscheinung im Auftrag seines Vaters verfaßt. Diese ausführliche Urkun­de hing später in der neugebauten Kapelle auf dem Wesemlin, von der wir noch spre­chen werden, ja noch lange Zeit in der noch später erbauten Kapuzinerkirche. Der be­rühmte Stadtschreiber Renward Cysat hat zu seiner Zeit davon an Ort und Stelle eine Abschrift genommen, das Wichtigste der Urkunde zusammenfassend, und seinen Sammlungen einverleibt. Auch er hat die Vision von Mettenwyl als geschichtliche Tatsache sowohl in jenen Sammlungen als in seiner Wallfahrtsgeschichte hingestellt, obwohl er sonst recht kritisch über Außer­ordentliches urteilt.

Im Schlosse Schauensee oberhalb Kriens befindet sich ein prächtiges Gemälde, wel­ches die Erscheinung vor Mauritz von Mettenwyl darstellt. Das Gemälde stammt zwar aus dem siebzehnten Jahrhundert. Aber ein genaues fachmännisches, kunst­kritisch archäologisches Urteil geht dahin: das Gemälde sei die Kopie eines Originals aus dem sechzehnten Jahrhundert. Stil und namentlich die Begleitgaben im Ölgemälde lassen sich nicht aus dem siebzehnten Jahr­hundert erklären. Vor dem Visionsbild kniet in der Mitte ein starker, geharnisch­ter Mann. Ein Spruchband verkündet des­sen Namen: J. Mauritz von Mettenwyl, des Rats und Spitalherr. Eine alles krönende Rahmenschrift kündet: „Factum auf Hei­lig Pfingsttag 1531 um neun Uhren zu Nacht.“ So tritt dieses eigenartige gemalte Zeugnis zum geschriebenen.

Doch kehren wir nochmals zurück zu Mauritz von Mettenwyl. Wenn jemand etwas Heiliges, etwas tief seelisch Ergrei­fendes an irgendeinem Ort erlebt hat, so wird ihm auch dieser Ort heilig, und er spricht wohl mit Jakob dem Patriarchen: Hier ist das Haus Gottes, hier ist die Pforte des Himmels! So begab sich denn auch Mettenwyl am Pfingstmontag abends wie­der an dieselbe Stätte. Es war auch wäh­rend des Tages einiges Volk zur Kapellen­ruine gekommen. Am Abend aber waren nur wenige geblieben. Mitglieder der Fa­milie begleiteten ihn; ganz sicher ist es, daß sein gleichnamiger Sohn Mauritz, der spätere Stadtschreiber, zugegen war. Mettenwyl dachte: Wenn der Himmel mir ein Zeichen gibt, muß ich es betend ehren, betend zu deuten versuchen. Und so tref­fen wir wieder auf dem Wesemlin einen betenden Mann. Nochmals! Wie schön ist ein betender Mann! Wie schön ist ein betender Vaterlandsfreund, ein betender vaterländischer Religionsfreund, ein Rin­gender mit Gott, wie einst Jakob, der Patriarch! Auf einmal zeigten sich wieder aufsteigende leuchtende Nebel. Wieder bildete sich der sonnenähnliche Strahlen­kranz. Wieder trat ihm, herrlicher noch als am Pfingstsonntag, das Bild der Gottes­mutter entgegen, wie sie das Jesuskind auf dem rechten Arme trug. Unter ihren Füßen hatte sich ein gebogener Strahl gezeigt, ähnlich der Mondsichel. Zwei Engel aber krönten gleichsam feierlich Maria. Die Überlieferung meldet: diese Vision dauer­te eine volle Viertelstunde. Die ganze Er­scheinung leuchtete und glühte in laute­rem Goldglanz. Sie glich der apoka­lyptischen Vision der Kirche und Marias: dem Weib mit der Sonne bekleidet, den Mond zu ihren Füßen (Apok. 12).

Jetzt war jeder Zweifel dahin. Jetzt sagte sich Mettenwyl: Die Übernatur hat einge­griffen, die göttliche Hand hat mir ein Zeichen gegeben: Maria, die großmächtige Fürbitterin — wird durch ihr göttliches Kind uns helfen! Morgenröte leuchtet! Ich erin­nere nochmals an die urkundliche Bezeugung — auch beider Erscheinungen!

Wir kennen die Bedeutung des Wun­ders. Auch im Leben Jesu erblicken wir die Wunder. Wie die Alpen durch das Schweizerland ziehen und der Landschaft das Gepräge geben, so ziehen die Wunder durch das Leben Jesu: alpenhaft herrlich! Sie geben auch der geistigen Landschaft des Lebens und Wirkens Jesu ein eigenar­tiges Gepräge. Diese Wunder Jesu sind sichtbare, geschichtliche Tatsachen, die neben der Natur stehen. Die Wunder Jesu sind Tatsachen, die hoch über der Natur stehen, die unermeßlich die Naturgesetze überragen. Die Wunder Jesu wollen keineswegs die allgemeinen Naturgesetze aufheben, zerstören. Sie bereichern eher die Welt. Als Jesus auf dem See Genesareth plötzlich den wütenden Sturm mit seinem Befehl aus eigener Kraft stillte, vollzogen sich auf der ganzen übrigen Welt die Ge­setze der Winde, die Gesetze des Wellen­schlags nach dem gewohnten Verlauf der Natur. Aber Jesus hat ab und zu Wirkun­gen in die Welt gesetzt, die neben und hoch über der Natur stehen, als Gottesgesandter und aus eigener Kraft, als ewiger Gottes­sohn.

Diese Wunder Jesu sind mit dem Leben Jesu, diese Wunder sind mit der Lehre Jesu, mit der ganzen Offenbarung Jesu, mit dem ganzen Werke Jesu innigst geeint, wie die Alpen mit unserer Landschaft, wie die Nerven mit dem Gehirn, wie die Adern mit dem Herzen. Alles gestaltet sich zu einem unvergleichlichen Ganzen aus. Und wiederum vereinigen sich diese Wunder Jesu aus eigener Kraft mit jenen gewalti­gen Worten und Selbstzeugnissen Jesu: „Ich bin die Wahrheit — Ich bin das Leben — Ich bin der Weg — Ehe denn Abraham ward, bin ich — Ich und der Vater sind eins“ (Joh. 14,6; 8,58; 10,30). Noch einen Zug dürfen wir an den Wundern Jesu nicht übersehen: alle Wunder Jesu leuchten in einer reinen, heiligen Absichtswelt wie die Firnen im Morgenlicht und im Alpen­glühen. Nie hat Jesus Wunder gewirkt nur für die Neugierde, wie für die Schaulust oder bloß zur irdischen Freude. Alle Wun­der Jesu sind gewirkt zu einem heiligen, religiösen Zweck, in der Glaubensschule, zu sittlichen Zwecken oder im Lichte ret­tender irdischer und überidischer Barm­herzigkeit. Nun aber hat Jesus verheißen, daß auch im Laufe der Kirchengeschichte, in der Geschichte seines Reiches Wunder hervorbrechen werden. Etwas Ähnliches wie die Wunder sind auch die Visionen, besonders die äußeren, wenn sie sicher und fest beglaubigt sind. Auch diese kön­nen uns verkünden: Gott hat gesprochen ­Gott hat ein Zeichen gegeben — Gott will helfen! Gewiß stellt die Kirche solche Vsionen, wie die Erscheinung vor Mettenwyl, nicht als Glaubensatz, nicht als Dogma hin. Aber ein anderer Gedanke klopft an: Wenn Gott ein greifbares Zei­chen seiner Vorsehung gibt und wenn nüch­terne Männer, die das Geschehnis und Geheimnis erlebt haben, es anerkennen und bezeugen, so wäre es töricht, ja es wäre vermessen, dies im vorneherein ein­fach abzulehnen. Ich betone nochmals den großen Unterschied zwischen den das Höchste des Evangeliums und des Lebens Jesu tragenden Wundern und einzelnen Visionen im Laufe der Jahrhunderte. Aber eine Ablehnug im vorneherein, ein grund­sätzliches Ablehnen solcher Offenbarun­gen könnte sich doch zum Fehler, ja zur Sünde gegenüber der Tugend der Reli­giosität ausgestalten, eine gewisse Verwe­genheit Gott gegenüber in sich bergen, auch wenn es sich nicht um Glaubens­sätze, nicht um Glaubenstatsachen handelt. Es herrscht also große Freiheit auf diesem Gebiete. Aber sie muß sich mit edler Besonnenheit verbinden. Wer frei­lich die Möglichkeit von Wundern im Lau­fe der Kirchengeschichte bestreiten würe, verstieße gegen ein unfehlbares Wort Jesu selbst.

Und nun möchte ich euch einladen, das Geschehnis und Geheimnis von Pfingsten 1531 im Lichte höherer göttlicher Absichtswelt zu betrachten. In all dem Wun­derbaren begegnet sich ein dreifaches Gött­liches: Allmacht — Weisheit — und Liebe. Nun können wir auch den heiligen Zweck und die heilige Absicht des Geschehnisses vom Wesemlin an dem Pfingstabend 1531 einigermaßen erfassen. Auf der einen Sei­te: gewaltige Gefahren für den Glauben, gewaltige Gefahren für den Mariendienst, gewaltige Gefahren für das Ganze der ka­tholischen Religion, für den unzerreißbaren Zusammenhang: Gott — Christus — Kirche, gewaltige Gefahren für das engere Vater­land; auf der andern Seite: Führer und Volk, die alpenhaft fest zu diesem Glau­ben stehen wollen, die ihren Innenbesitz nicht preisgeben.

Doch mitten in diese Gesinnungen und Stimmungen: drohende Gewalt — Aus­hungerung des Volkes — Not und Elend ­und das Menschliche eines gebrochenen Volkes!

Das alles war dem betenden Mauritz von Mettenwyl tief bewußt.

Fügt sich nun hier nicht überwältigend schön und fruchtbar ein Gotteszeichen, wie oft in der heiligen Geschichte?

Hat es Mettenwyl nicht richtig gedeutet? Maria leuchtet uns zum Siege, sie, die Morgenröte, der Morgenstern!

Nicht die Ruine der alten Kapelle ist Sinnbild der Zukunft.

Maria von den Engeln gekrönt ist das Zeichen am Himmel! Durch Maria zu Jesus! Sie hilft durch ihr göttliches Kind. Schlimmste, schwere Fragen werden ge­löst werden. Das Volk wird feststehen im heiligen katholischen Glauben: conformati crescentes, fructificantes in omni patientia, gekräftigt durch die Macht Got­tes, wachsend, fruchtbringend in aller Ge­duld — wie es der Apostel kündet (Kol. 1,9—14). Und da der Sturm sich besonders auch gegen Maria und den Mariendienst wandte und der Bildersturm schon ihr kleines Hei­ligtum bereits verwüstet hatte, gewinnt ihr Erscheinen pragmatische Bedeutung. Sie ward am Pfingsttag nach der düsteren Kunde der Pfingstvigil — Abendstern. Sie ward Morgenröte, Morgenstern. Die Vision vom Wesemlin ist nicht Neugierdestück, das Geschehnis auf dem Wesemlin ist nicht eine unsichere Legende, das Geschehnis über der zerstörten Kapelle ist kein from­mes Spiel erregter Einbildungskraft. Es ist ein Geschehnis und Geheimnis, das die Kennzeichen der Allmacht, Weisheit und Liebe Gottes in sich birgt. Dazu tritt die schon betrachtete irdisch-geschichtliche Bezeugung.

Nun war es auch Pflicht von Mettenwyl: das Werk Gottes allseitig zu offenbaren (Buch Tobias 12,7).

Doch tritt uns dabei ein Umstand entge­gen, der für die Beurteilung des ganzen geschichtlichen Zeugnisses geradezu kost­bar ist.

Am dritten Abend, am Pfingstdienstag, strömte eine gewaltige Volksmenge auf dem Wesemlin zusammen. Man betete und wachte und wartete bis in die Nacht hinein. Aber nicht die leiseste Spur einer Erschei­nung zeigte sich. Niemand behauptete auch, irgend etwas Bedeutsames erlebt zu ha­ben. So berichten auch urkundliche Über­lieferungen. Spricht nicht ebendiese Nüch­ternheit der Berichte für deren Zuverläs­sigkeit auch hinsichtlich des Über­natürlichen? Und was noch mehr ist — für göttliches Walten und Wirken? Hat Gott seine Werkzeuge, die Träger seiner Pläne einmal gewählt, so läßt er alles gerne durch sie unter seinem Walten den Zielen entgegenführen. Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerem Gepränge unter der Schaulust der Menge (Lk. 17,20.21). Ge­wiß waren viele aus reinster Absicht zur heiligen Stätte geeilt. Aber schon Stadtschreiber Renward Cysat sieht in der Mög­lichkeit sich einmischender Schaulust und Neugierde einen Grund für das Ausblei­ben der Offenbarung. Das ist echt biblisch gedacht. Was spricht der Herr beim Pro­pheten Isaias? „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege, sondern so hoch der Himmel über der Erde, so hoch sind meine Gedan­ken über euren Gedanken und meine Wege über euren Wegen“ (Is. 55,8.9).

Ja, die Wege Gottes leuchteten aus den Erscheinungen vor Mauritz von Mettenwyl. Nicht wahr? Marias Erscheinung und Gruß war der leuchtende Abendstern, als die hohen Pfingsstage in das Dunkel der Nacht und der Zeit versanken. Aber dieser Abend­stern sollte als Morgenstern einer neuen Zeit aufgehen. Den Gemütern der Führer und des Volkes war das Geschehnis und Geheimnis von Pfingsten 1531 Morgenrö­te des Hoffens, Betens und Wirkens.

Wir haben die Vorstufe des Geschehnis­ses betrachtet. Wir haben das Geschehnis und Geheimnis zu erfassen gesucht. Es ist in den Teppich der göttlichen Vorsehung eingewoben!

Suchen wir nun die Ausstrahlung des Geschehnisses zu erfassen. Die erste näch­ste Ausstrahlung war die feste Überzeu­gung Luzerns: Maria schützt uns. Ave Maris stella, Dei Mater alma — Ave, Stern der Meere, Gottesmutter hehre! Das Meer geht hoch. Maria Helferin der Christen: du wirst uns schirmen!

Die zweite Ausstrahlung ist eine Geschichtsentwicklung. Wir müssen da­bei alles wieder im Lichte der damaligen Zeiten betrachten. Es wurde Oktober. Der Winter nahte. Die Vorräte waren versiegt. Da sagten sich die Führer Luzerns und der Urkantone: Wir müssen das Volk retten. Wer das Seinige tut, dem hilft Gott. Sie versuchten Verhandlungen. Sie scheiter­ten. Da riefen sie zum Gebete auf. Und es ist rührend zu lesen, wie nicht nur die Priester, sondern auch die Laien beharrlich beteten, wie das Volk sich große Gebets­lasten auferlegte. Aus allen Gegenden des Landes sandte man ehrwürdige fromme Witwen nach Einsiedeln, damit sie in der Gnadenkapelle abwechselnd ein Dauer­gebet entfalteten, tagelang, bis die Dinge sich zum Bessern wenden würden. Dann beschlossen die Männer der Ur- und Alt­schweiz den zweiten Kappelerkrieg. — Wir wissen, daß wir in der Schweiz vor allem berufen sind, für den Völkerfrieden zu arbeiten. Doch sollen wir auch die Dinge und Verhältnisse der Vergangenheit von 1531 aus den damaligen Zuständen heraus beurteilen lernen. Sie lagen so: Höchste Hungersnotgefahr, höchste Glaubens­gefahr; Scheitern aller Friedensverhand­lungen; fester Wille, der neuen Lehre kei­ne Gasse zu öffnen! Man wollte aber auch nicht ohne Notwendigkeit erst einem durch Hunger und Elend gebrochenen Volke höchstes religiöses Heldentum zumuten. Bruderkrieg ist herzzerreißend. Aber die Gegner wollten den Frieden nicht. Und nur um Schlimmstes abzuwenden, um Höch­stes zu erringen, griff man aus Notwehr zu den Waffen.

Die Katholiken siegten bei Kappel und am Gubel am 11. Oktober 1531 und in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober unter eigenartigen Umständen. Es ward Friede geschlossen — zur vollen Freiheit des ka­tholischen Glaubens in Luzern und in der Ur- und Altschweiz und zur teilweisen in den Vogteien. Unter Katholiken und Gegnern wollte man im Volke die Friedenstaube über den Abteilungen des katholi­schen Heeres schweben gesehen haben. Sei dem, wie ihm wolle. Eines ist sicher: die aufgehende Morgenröte Marias hat den katholischen Glauben geschützt.

Und eine dritte Ausstrahlung! Mettenwyl sagte sich wie einst Jakob, der Patriarch: Wo ein heiliger Ort ist, gleichsam eine geöffnete Pforte des Himmels, wo ein Geschehnis und Geheimnis sich vollzog, das heilige Rettung brachte, da muß Gott und der Lieben Frau vom Wesemlin und für das Volk ein Denkmal errichet werden, ein — Gebetsort. Die Tat der Mutter Gottes darf nicht vergessen werden. Wie Jakob den Stein salbte, auf dem er sein Haupt gelegt und in der Nacht die Offenbarung empfangen hatte, so beschloß Mettenwyl, aus eigener Kraft und mit etwelcher Unter­stützung der Regierung eine neue würdige Kapelle zu bauen. Es war das der Gedanke eines Lebenswerkes, eines Zukunftwerkes. Es sollte Luzern verkünden: Maria ist dei­ne Freundin, Maria ist deine Beschützerin: deine Morgenröte, dein Morgenstern, dei­ne Ehre, deine Freude. Es freut mich, in diese gewaltigen Volksscharen den Ge­danken Mettenwyls hineintragen zu kön­nen.

So entstand auch die Wesemlin-Wall­fahrt zur Gnadenstätte, nicht etwa zur spä­teren Waldkapelle.

Es leuchtet noch eine Ausstrahlung! Es kam eine neue Zeit. Die Päpste hatten unter ungeheuren Schwierigkeiten in den Jahren 1545 bis 1563 das herrliche Konzil von Trient berufen: die Kirchenversamm­lung entfaltete sich großartig und frucht­bar. Von da aus brach die volle Erneuerung des kirchlichen Lebens hervor. Aus die­sem Geiste heraus erstanden ganze Reihen von Heiligen und Päpsten der Erneuerung, Scharen von führenden Männern. Es ging durch die folgenden Jahrzehnte gleichsam eine Säulenstraße großer Erneuerer, erha­bener Führer und Heiliger: ein Karl Borromäus, der die Gesetze Christi und der Kiche im flammenden Pfingstgeiste durchführte, ein Franz von Sales, der, im Geiste der Sanftmut Christi, katholischen Sinn und echte Laienfrömmigkeit mitten im Weltleben erweckte und Ungezählte zum heiligen Glauben zurückgewann; ein Ignatius von Loyola, in dessen Geist und Organisation sich das Wort Jesu erfüllte: „Ich bin gekommen, Feuer zu bringen auf diese Erde, und was will ich anderes, als daß es brenne“, und der sein ganzes Werk unter den Schutz Marias, des Morgen­sternes, stellte; ein heiliger Philipp Neri mit seinem vorbildlichen Wirken unter der Jugend, ein heiliger Petrus Canisius, der Kirchenlehrer der Volksmassen und zu­gleich der weise Gelehrte. Es mangelt mir die Zeit, sie alle aufzuzählen. Einer dieser großen Männer kam auch in unser Land, der heilige Karl Borromäus, zuletzt als päpstlicher Legat. Er war voll des Eifers; er reformierte den Klerus, er reichte den edlen Seelsorgspriestern die helfende Hand. Er erfaßte mit aller Kraft das Laienapostolat; er unterhandelte mit den Regierungen. Es war wahrhaft ein Schau­spiel vor Gott, den Engeln und den Men­schen. Es entfaltete sich ein wunderbares Zusammenwirken der Kirche, des Klerus, der Laien, der Kirchenhierarchie und der staatlichen Macht. So geschah es, daß durch dieses Zusammenwirken die Jesuiten nach Luzern kamen mit ihrer Seelsorge, mit ihren marianischen Kongregationen, ganz besonders mit ihren Schulen für die wer­denden Gebildeten. Sie kamen im Zeichen Mariens. Wiederum auf Anregung von Karl Borromäus wanderten die ehrwürdigen Väter Kapuziner in unser Land ein, mit ihrer herrlichen und fruchtbaren Volksseelsorge, mit ihrem Chorgebet, mit ihrem Aushilfsdienst nach allen Seiten und ihrem sozialen Sinn.

Nun geschah wieder etwas Überraschen­des.

Die Tat der Mettenwyls brach gleichsam in neuer Fruchtbarkeit hervor. Wie seiner­zeit der hervorragende Mauritz von Mettenwyl das Werkzeug Gottes wurde, so erstand jetzt aus der berühmten Familie der Pfyffer ein werktätiger Freund der Erneuerung katholischen Lebens: Junker Kaspar Pfyffer. Schier ungeheure Schwie­rigkeiten stellten sich seinen Plänen gegenüber. Pfyffer hegte den Gedanken: Das Heiligtum auf dem Wesemlin muß als Gnadenquelle behütet und fruchtbar neu für alle Zeit entfaltet werden. Es soll den Kapuzinern übergeben werden. Eine Kir­che, ein lebendig wirkendes Kloster soll an der heiligen Stätte entstehen. Ich will mit dem Aufwand aller Kraft Stifter dieses Heiligtums werden — im Gottvertrauen! Wir dürfen nicht vergessen: als Mettenwyl die schöne Kapelle erbaut hatte, war das Wesemlin bereits ein viel besuchter Wallfahrtsort geworden, lange bevor die Kapuziner sich dort niederließen. Nach vielen Schwierigkeiten und Gegenströmungen entschied endlich der Rat in Sinn und Geist Kaspar Pfyffers: daß sich die Kapuziner auf dem Wesemlin nieder­lassen sollen. Die Ordensobern und Konvente der Kapuziner stimmten freudig zu. Wiederum war Maria der Morgenstern, die aufgehende Morgenröte. Nach­dem der Grundstein und Eckstein gelegt waren, die Kirche und das Kloster gebaut, die Kirchweihe am 23. Oktober 1588 voll­zogen war, fand der Einzug auf Ostern 1589 statt. Nun entfaltete sich der Orden an heiliger Stätte.

Ist das Zufall? Es ist nicht Zufall, es ist Fügung. Ist es nicht eigenartig, daß Kaspar Pfyffer, seine helfenden Freunde und die Regierung sich sagten: Dort, wo Maria als Freundin Luzerns sich offenbarte und wirk­te, soll ein lebendiges Heiligtum werden von einem fortlebenden Orden behütet.

So wurde das Wesemlin ein Gebetsort. Auch das Chorgebet der Mönche und Stif­te ist eine Weltmacht, und wir werden einst in der jenseitigen Welt erfahren, was das Chorgebet der Mönche und Stifte und was das Breviergebet der Priester im Namen der Kirche in der Welt gewirkt hat.

Und es ist die Stätte auf dem Wesemlin eine Stätte der Muttergottesfreundschaft. Maria mit dem Kinde weist hin auf Jesus. Durch Maria zu Jesus. Was könnte diese heilige Stätte erzählen über neugewordene und neu bestärkte und im Stillen sich ent­faltende Marienfreundschaft. Das Wort des Magnifikat erfüllt sich hier im heiligen Geheimnis: „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter“ (Lk. 1,48).

Und das Heiligtum wurde bleibender Wallfahrtsort. Kranke, Arme, Betrübte, Sünder, Sünderinnen, Ringende, stille Bete­rinnen und Beter, heiligmäßige, hoch­stehende Menschen wanderten nach dem stillen Wallfahrtsort. Wir treffen unter den Wallfahrern nach dem Wesemlin den hei­ligen Laurentius von Brindisi, den auch in Luzern wundertätigen Markus von Aviano, den heiligen Bettler Benedikt Labre. In späteren Tagen sehen wir P. Anastasius Hartmann, den späteren heiligmäßigen Bischof, nach dem Wesemlin wallfahren. Wir begegnen auf dem Wesemlin dem berühmten sozial wirkenden P. Theodosius Florentini. Wir begegnen ebendort noch früher dem theologischen Luzerner Drei­gestirn: Widmer, Geiger und Gügler. Wir sehen bei gewissen Anlässen und im Stil­len Bischöfe und Kardinäle hinaufziehen. Das Wesemlin ist nicht eine berühmte Wallfahrtsstätte mit großen Wallfahrts­zügen: es ist ein stiller, bescheidener Ort, wo man gerne allein betet, wo man intim ist mit der Gottesmutter und mit ihr stille zu Jesus geht. Das ist seine Eigenart. Wall­fahrtsort mit gewaltigen Zügen der Wall­fahrenden aus aller Welt haben ihre große und fruchtbare Bedeutung. Wie aber Gott in der Natur die Alpen geschaffen hat, aber auch stille Orte von eigenartiger Schönheit schuf, so hielt er es auch im Reich der Übernatur! Weil die Wesemlin­Kapuzinerkirche eine Wallfahrtskirche ist, erhielt sie auch reicheren Schmuck, als es sonst den Kirchen dieses Ordens entspricht. Später erlaubte Papst Klemens VIII. aus­drücklich 1594 die Pracht des Gotteshauses und schützte sie. In neuester Zeit wanderte auch das Gnadenbild vom Chorbogen in den herrlichen Hauptaltar zurück.

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WALLFAHRTSGEBET

Allerreinste Jungfrau und glorwürdigste Mutter Gottes Maria! Ich, dein bedürftiges Pflegekind, verehre, lobe und preise dich in dem Throne der Gnaden und der Herrlichkeit des Himmels, und in diesem heiligen Bildnis auf Erden; ich rufe dich an mit demütiger Bitte und festem Zutrauen, erlange mir von deinem göttlichen Kinde Verzeihung meiner Sünden und der verdienten Strafen, Hilfe in aller Not, sowie Stärke wider die bösen Anfechtungen, kräftige Gnade zur Tugend und Beharrlichkeit im Guten bis an das Ende. Durch Jesus Christus, deinen göttli­chen Sohn, der dich allhier glorreich gemacht hat. Amen.

Vater unser. Ave Maria.

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Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und
des Heiligen Geistes. Amen.

Zu wissen (sei) und offenbar sei allen christgläubigen Menschen, daß eine lange uralte Zeit her auf diesem Platz und einem Stein oder Felsen ein eines Käppelein mit trockener Mauer darauf gehauen, und dar­innen ein Bild Unserer Lieben Frauen gestanden ist, derselben Bildnis etliche wenig geachtet, noch keine Ehre angetan, also daß solche Kapelle dachlos halb, auch durch Übermütige und Verschmähungspersonen unseres alten, wahren unbezweifelten christlichen Glaubens zerschlagen und verachtet worden. Deshalb so ist auf selbigem Platz allhie am hl.. Pfingsttag um die neunte Stunde nachmittags, als man zählte von der Geburt Jesu Christi tausend fünfhundert und dreißig Jahr und eines, an dem Himmel, klar, lauter und heiter, Unsre Liebe Frau, die würdige Mutter Gottes Maria, mit ihrem lieben Kindlein wahrhaftig gesehen worden. Und darnach morndrigs am Montag Nacht zwischen der neunten und zehnten Stunde ist sie abermals gesehen worden mit ihrem lb. Kindlein, auf dem rechten Arm sitzend, die Sonne hinter ihr, den Mond unter ihren Füßen, klar scheinend als wie Gold und dazu zwei Engel oben herab fliegend mit einer spitzigen Krone, ihr dieselbige aufgesetzt. Solches Gesicht hat gewahret eine Viertelstunde lang. Und darnach am dritten Tage, da kam herauf viel. Volk, erwartend und hoffend, solches an der dritten Nacht auch erscheinen sollte und sie es sehen möchten. Da ist ihnen nichts mehr erschienen.

Solche Gesicht im obgemeldeten Jahr und Tag habe ich Mauritz von Mettenwyl, derzeit Stadtschreiber zu Luzern, mit meinen sündlichen Augen auch wahrhaftig gesehen.