PATER PIO — Kraft seiner Fürbitte — Die Schule

Die Kraft seiner Fürbitte

Ein anderer Charakterzug der Seele des jungen Francesco ist unbestreitbar die Macht seines Gebetes. Da er sich schon ganz seinem Herrn geschenkt hat, kann ER dieser Freigebigkeit nichts verweigern. Francesco sieht die Bedürfnisse derer, die ihn umgeben, so nimmt er sie in sein Gebet hinein, bittet inständig, legt Fürbitte ein und bekommt die Gnade … So wird es Pater Pio sein Leben lang machen, wahrhaftig im Vollsinn des Wortes als ein Mann des Gebetes und der Fürbitte.

Pater Pio hat selber folgende Szene erzählt. 1896 liess ihn sein Vater, Zi´Grazio, als Neunjährigen hinter sich auf dem Esel aufsitzen und sie zogen beide nach Altavilla-Irpina los, einem kleinen, ungefähr 27 km entfernten Marktflecken. Es war ein Markttag und zugleich das Patronatsfest des heiligen Märtyrers Pellegrino, des himmlischen Beschützers der Pfarrei. Im überfüllten Heiligtum, das vollgestopft war mit überschäumenden, lärmenden Süditalienern, die bei ihren Gebeten gar deutlich ihre Gefühle durch äußere Zeichen bekundeten, machten Zi´Grazio und Francesco so gut es eben ging ihre Andacht. Um sie herum wurde gebetet, geweint, geschrien, und schon war man daran wieder wegzugehen. Da bat Francesco seinen Vater, er möge doch noch eine kleine Weile da bleiben.

Er hatte eben eine arme Frau entdeckt, mit fliegenden Haaren, schreiend, fluchend und betend zugleich. Diese hatte sich niedergeworfen an den Stufen des Altars, ihr missgestaltetes Kind in den Armen. Aus diesem Fleischklumpen kamen nur unartikulierte Laute und lautes Gebrüll hervor, was die Menge erzittern liess. Francesco vereinte sein Gebet mit dem der armen Mutter. Plötzlich, von diesem inständigen Bitten ermüdet und von nun an nichts mehr erwartend warf sie ihr gebrechliches Kind zur Statue des Heiligen hinauf, der oben auf dem Altar stand, indem sie schrie: „Warum willst du es nicht heilen? Da, behüt´ es, es gehört dir!“ Das Kind fiel glücklicherweise in die Arme der unglücklichen Mutter zurück. Aber es kam geheilt zurück. Pater Pio hat nie mehr diese Szene vergessen. Immer erzählte er sie mit Tränen in den Augen.

Man kann sich das vorstellen, dass diesem Vorgang ein ungeheures Durcheinander folgte. Jeder wollte sehen, berühren, sich Rechenschaft geben über den Vorfall. Man weinte, umarmte sich, schrie von einem Wunder und bald wurden die Glockenseile gezogen und mit allen Kräften geläutet, denn die ganze Welt sollte davon erfahren. Wir wollen darüber nicht erstaunt sein. Wir sind ja in Süditalien! Pater Raffaele da Sant´Elia von Pianisi, dem Pater Pio das Ereignis berichtet hatte, fügte hinzu, dass dem Pater beim Erzählen durch die bloße Erinnerung an dieses Wunder reichlich Tränen gekommen seien. Dies war, meinte Pater Raffaele, die Ankündigung so vieler geheimnisvoller Vorkommnisse, die später durch Gottes Zulassung und Fügung um Pater Pio herum geschahen.

„Auf der Rückreise, so erzählte Pater Pio, gab mein Vater dem armen Esel Stockschläge, der doch keine Schuld daran trug, und mir machte er schwere Vorwürfe, weil ich die Ursache der Verspätung war!

 

Die Schule

„Ich hatte fünf oder sechs Schafe für die Bedürfnisse der Familie, erzählt Zi´Gratio, der Vater Francescos, und eines Tages als der Kleine mit den Tieren auf der Weide war, verweilte ich dabei, ihn anzuschauen und ich sagte zu mir selber: „Bedenk doch ein wenig! Wegen ein paar Schafen darf dieser Sohn nicht zur Schule gehen!“ Und wenn man sich dabei sagen muss, dass er schon mehrere Jahre über die Schulpflicht hinaus war! Ich wandte mich an meinen Sohn und sagte zu ihm: – Franz, willst du zur Schule gehen? Sofort antwortete mir der Knabe: – Aber sicher will ich zur Schule gehen! – Ach du willst also dort hingehen? Wenn du gut lernst und wenn du es nicht wie dein Bruder machen würdest, dann wirst du sehen, dass dein Vater aus dir einen Mönch machen wird! …“

Dieser Bruder war kein anderer als der ältere Sohn Michael, der seine letzten Lebensjahre in San Giovanni Rotondo verbringen wird. Jedermann nannte ihn dort Zi´Michele. Sein Vater hatte ihn in die Schule geschickt, aber er hatte nie etwas lernen wollen, so hatte er ihn den auch bald wieder zurückgeholt.

Einige Zeit sollte noch vergehen, ehe Zi´Gratio sein Versprechen erneuerte. „Schließlich, sagte abschließend der Vater, habe ich abends mit meiner Frau darüber gesprochen und wir haben beschlossen, ihn an die Privatschule zu schicken, da dieser Junge schon längst die Schulpflicht hinter sich hatte“.

Und so wurde denn Francesco, als kleiner Knirps von zehn Jahren Don Domenico Tizzani, der ein wenig Latein konnte, anvertraut. Drei Jahre wird er bei ihm bleiben bis zum Quinta elementare.

Die Wahl dieses Lehrers war alles andere als glücklich, „denn, fuhr Zi´Gratio fort, wir hatten ihn zu einem Priester geschickt, der seinen Talar an den Nagel gehängt hatte und mit einer Frau zusammenlebte. Der hatte eine Privatschule eröffnet, um überleben zu können.“

Francesco gelang es nie, sich mit Don Tizzani zu verstehen und dieser Lehrer zahlte ihm diese Antipathie mit Spöttereien, Schlägen, Ungerechtigkeiten heim, die dem Kind viel Leid bereiteten. Er hielt Francesco für zu dumm, um auch nur das Geringste zu erlernen. „Er macht keine Fortschritte, erklärte er Mamma Peppa. Das ist verständlich, da er morgens immer zur Kirche geht zur heiligen Messe und am Abend wieder zur Kirche! Was kann er dabei lernen?“

Was würde der Vater dazu sagen, der seit mehreren Monaten nach Amerika ausgewandert war, um für die Bedürfnisse der Familie auszukommen? Die Mutter ließ über das Kind einen Hagel von Vorwürfen niederprasseln … „Mutter, antwortete Francesco gelassen, nicht ich mache keine Fortschritte, nicht die Kirche hindert mich daran zu lernen, nein er ist ein schlechter Priester …“

Die Mutter schwieg und sagte nichts mehr … Francesco spürte bereits das Böse, die Sünde. Aus seinem fernen Exil schrieb der Vater an seine Frau: „Nimm das Kind sofort von der Schule dieses gemeinen Kerls und schicke es zu einem besseren Lehrer …“

Viele Jahre später wurde Pater Piero als jungem Priester der Trost zuteil, den exkommunizierten Priester mit Gott und der Kirche versöhnen zu dürfen. Er starb im Frieden. Mit der besonderen Erlaubnis des Erzbischofs von Benevent wurde sein Leichnam mit der priesterlichen Amtstracht bekleidet.

Mamma Peppa fand einen besseren Lehrer. Sie vertraute Francesco Angelo Càvacco an, der aber bei weitem nicht alle religiösen Ansichten seines neuen Schülers teilte. Er hatte jedoch viel mehr Erfolg. Mit seinem neuen Lehrer, der bei ihm viel Intelligenz entdeckt hatte, begann Francesco zu arbeiten. Er gewann ein Schulabschlusszeugnis, sodass er sich für die Aufnahmeprüfung ins Franziskanerkollegium zu Morcone vorbereiten konnte.

Einer seiner Schulkameraden, Tiziano d´Andrea, schrieb am 14. Mai 1971 einen Brief, worin er einige Einblicke in die Schule des Lehrers Càvacco gab. Er erklärte, dass „die Fehler der Schüler durch Pensen, d. h. durch in einer bestimmten Zeit zu Hause zu erledigende Abschreibaufgaben von 5-10 Seiten, bestraft wurden. Diese mussten natürlich am nächsten Tag dem Lehrer vorgelegt werden um so den Schülern einzuprägen, dass man keine Fehler begehen dürfe, von welcher Art sie auch seien …“

Und Tiziano d´Andrea fuhr fort: „Unsere Schule beschränkte sich darauf, Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen zu erteilen. Es gab noch keine klar festgelegten Programme wie heute. Man übte das Diktat, entwickelte jede Woche einige Aufsatzthemen über die üblichen Gegenstände. Lehrstunden über Geschichte und Geographie waren eher spärlich …“

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(Fortsetzung)

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Quelle: Pater Derobert – Pater Pio durchsichtig auf Gott hin – Geistliches Bildnis aus den Briefen Pater Pios gewonnen. Hovine Verlag, Belgien und Frankreich, 1990, 814 Seiten.