Menschliches und Göttliches zutiefst vereint

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Antonio Bresciani; Die heilige Margareta von Cortona als Büßerin; auch der Hund, der bei ihrer Bekehrung dabei war, ist rechts unten im Bild zu sehen

Margareta von Cortona – die Heilige des Monats

Nach einer Kindheit, die aufgrund eines langen Konflikts mit ihrer Stiefmutter alles andere als einfach war, verliebt sich Margareta von Cortona in einen jungen Adligen aus Cortona, der ihre Liebe erwidert: Arsenio Dal Monte. Sie wurden Eltern eines Sohnes, und da die beiden nie geheiratet haben, endet der verschwenderische Lebensstil, an den sich Margareta während des neunjährigen Zusammenlebens gewöhnt hatte, abrupt an jenem Tage, an dem Arsenio bei einem Jagdunfall ums Leben kommt.

Dieses Ereignis stellt den Anfang von Margaretas Bekehrung dar. Die von allen verachtete und der Hexerei beschuldigte Frau will ins Haus ihres Vaters zurückkehren, wird aber mit harten Worten abgewiesen. Nachdem sie zunächst in Cortona im Hause zweier großherziger Frauen unterkommt, die sie mit den Minderbrüdern des Franziskanerklosters bekannt machen, wird ihr gestattet, der Regel des Dritten Ordens der Franziskaner zu folgen und in einer Zelle unweit des Klosters im Stile einer Einsiedlerin zu leben. Sie wird dreizehn Jahre lang dort leben, in unablässigem Gebet und Buße und gefestigt durch Ekstasen und Offenbarungen, die Christus ihr zuteil werden lässt. Ihr in tiefer Kontemplation verbrachtes Leben hindert sie aber keineswegs daran, sich den Bedürftigsten der Bedürftigen und den Kranken zu widmen. Dieses Engagement führt schließlich zur Gründung des Hospitals »Santa Maria Misericordia«.

1288 zieht Margareta in eine noch viel kältere, engere und abgeschiedenere Zelle auf dem Festungsberg von Cortona, die in der Nähe einer den heiligen Basilius, Aegidius und Katharina geweihten Kirche liegt, die sie hatte erbauen lassen. Auf diese Weise entzieht sie sich der geistlichen Leitung der Franziskaner und vertraut sich einem Priester, Ser Badia Venturi, an, der sie bis zu ihrem Tod betreuen wird.

Über Margareta von Cortona ist viel geschrieben worden. Macht man sich aber auf die Suche nach den Eigenarten der spirituellen Erfahrung dieser so besonderen und ursprünglichen Heiligen, so muss man in der Lebensbeschreibung nachschauen, die von ihrem Beichtvater, Fra Giunta, verfasst wurde. Dieser Bericht ist jedoch kein historisches Werk im engen Sinne. Seine Absicht besteht nicht nur darin, eine Geschichte zur Erbauung der Gläubigen zu erzählen, sondern auch, Margareta als Vorbild aufzuzeigen, das für den heutigen Leser aktualisiert und nachgeahmt werden kann. Eine Reise des Wissens und des Bewusstseins.

Die Vorstellung, der zufolge die Reue und die Liebe verschiedene Stufen durchlaufen, ist in der Geschichte der Spiritualität keineswegs neu: Schon Augustinus und Bernhard von Clairvaux hatten sich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Fra Giunta vermittelt sie uns, wobei er drei wichtige Stufen auf Margaretas Weg der Askese ausmacht.

Auf der ersten Stufe öffnet ihr die allzu lange ignorierte Lieblosigkeit die Augen und erfüllt eine Offenbarungsfunktion: Die Seele erahnt den Miss­klang der Sünde, die als Beleidigung Gottes verstanden wird. Die Unwichtigkeit ihres Hier und Jetzt und das fehlende Zugehörigkeitsgefühl schlagen in ihr eine Wunde, die sie dazu zwingt, das Leid anzunehmen. Die Liebe spiegelt ein neues Licht wider, das auf ihr Leben fällt und sie erkennen lässt, dass die Sünde ein negativer Wert ist, insofern sie Gottesferne bedeutet.

Die zweite Stufe dagegen wird durch einen typischen Ausdruck charakterisiert, der auf eine wichtige mystische Erfahrung verweist: die compassio sui, die Nachsicht mit der Seele. Der Schmerz überwältigt sie wie ein Zersetzungsfaktor, und die Seele entdeckt, dass sie arm und bedürftig ist, dass es ihr traurigerweise an jedwedem dauerhaften Gut ermangelt. Jesus hatte ihr gesagt: »Ohne mich kannst du nichts tun.« Das ist eine Art zu sagen, dass er erst, nachdem man die Illusion und die Unsicherheit aller menschlichen Vorhaben erkannt hat, zur einzig möglichen Quelle der Erlösung werden kann.

Die dritte Stufe ist jene, die ein Engel als ein heftiges Begehren definiert, das den Geist vertikal erhebt, und zwar Geist verstanden nicht als Intellekt, sondern als der höchste Teil der Seele. Und da das Verlangen niemals gestillt wird, setzt es seine Suche so lange fort, bis alles in die vollständige Gemeinschaft mit Gott einmündet.

Margaretas Martyrium kreist um die für die spätmittelalterliche Spiritualität typische zentrale Rolle, die die leidende Menschheit spielt. Im Übrigen macht sie ihre spirituelle Erfahrung im Bannkreis des Franziskanerordens: eine Hinwendung zum armen, gedemütigten und verhöhnten Christus, die ein unmittelbares Erbe des Heiligen von Assisi ist. Eine dynamische Meditation, bei der Margareta im Hinblick auf die Einwohner von Cortona eine ganz präzise Aufgabe hat: Sich selbst zu einem Spiegel zu machen, in dem sich die Sünder und die Ungläubigen widerspiegeln können, um zu verstehen, dass es eine göttliche und heilbringende Barmherzigkeit gibt. Jedermann soll in ihr gestochen klar und scharf den Kalvarienberg erkennen. Dazu berufen, die Aufgabe zu erfüllen, ihre Stadt zur Versöhnung und zum Frieden zu ermahnen, wird ihre Stadt für sie zu Ort und Gelegenheit, das Leiden des gekreuzigten Christus zu erleben. Und so wird es Margareta ein Bedürfnis, herumzuirren und sein Martyrium zu verkünden.

Durch ihre so menschliche, zugleich aber so sehr von Göttlichem durchdrungene Geschichte wird den Gläubigen nicht nur die Erfahrung der Ekstase zur Nachahmung empfohlen, sondern vielmehr auch die Gelegenheit, in Christus jenen Schwerpunkt zu finden, der es ermöglicht, die Leiden und die vielen Widrigkeiten, die uns im Leben widerfahren, geduldig zu ertragen.

Ein hervorragendes Beispiel dafür, dass wir, wenn wir den schwersten Weg einschlagen und zulassen, dass die Heilung unserer Wunden ihren natürlichen Verlauf nimmt, schließlich bewusst und geduldig soweit gelangen, die Liebe Gottes voll und ganz zu erfassen. Wie in der Brandung, die in ihrem Rückstrom den Schmutz mit sich fortreißt.

Wer ist Gaia de Beaumont

Die einer adeligen Familie entstammende Römerin ist die Verfasserin mehrerer Romane, die sich teils mit ihrer Familiengeschichte, teils mit Persönlichkeiten der US-amerikanischen Intellektuellenschicht der 1930er-Jahre befassen. Hier einige ihrer Titel: Care cose (1997), La bambinona (2001), I bambini beneducati (2016).

Von Gaia de Beaumont (Orig. ital. in O.R., Monatsbeilage »Frauen- Kirche- Welt«, Februar 2017)

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Quelle: Osservatore Romano 6/2017