Türkei: Auch Chora-Kirche wird wieder Moschee

Nach der Hagia Sophia soll auch die berühmte Chora-Erlöserkirche in Konstantinopel wieder zur Moschee werden. Dies berichtet die Website „Orthodox Times“.

Das Gotteshaus war seit 1958 Museum, im Vorjahr gab es eine Gerichtsentscheidung, der zufolge in der Erlöserkirche wieder der muslimische Gottesdienst aufgenommen werden sollte. Die Entscheidung wurde zunächst nicht implementiert, laut „Orthodox Times“ wird sie aber in der neuesten Ausgabe des Staatsanzeigers publiziert, womit sie automatisch in Kraft tritt.

Die Rückumwandlung der Chora-Kirche in eine Moschee bedeutet, dass auch die berühmten Mosaiken und Fresken des Gotteshauses „bedeckt“ werden müssen. Staatspräsident Recep T. Erdogan hatte vor wenigen Tagen avisiert, dass er am Freitag „einige gute Nachrichten“ zu verkünden habe. Das Gerücht über die bevorstehende Rückumwandlung der Chora-Kirche in eine Moschee kursierte seit einiger Zeit.

Das Chora-Kloster steht südlich des Goldenen Horns unweit des Adrianopler Tores nahe der Theodosianischen Mauer, zur ursprünglichen Erbauungszeit noch – wie der Name sagt – „auf dem Land“. Die Hauptkirche des Klosters (das „Katholikon“) ist wegen der laufenden Restaurierungsarbeiten bereits seit geraumer Zeit nicht zu besichtigen. Auch die Außenmauern des „Katholikons“ sind wegen der Renovierung eingerüstet. Die Mosaiken und Fresken der Chora-Kirche gelten als eines der bedeutendsten Zeugnisse der „paläologischen Renaissance“ mit großen Auswirkungen auf die gesamteuropäische Kunstentwicklung.

Das „Katholikon“ von Chora wurde zwischen 1077 und 1081 errichtet. 1120 gab es einen radikalen Umbau. Wesentlich später – zwischen 1316 und 1321 – führte der Politiker und Wissenschaftler Theodoros Metochites eine große Renovierung durch, wobei der Exonarthex (die Vorhalle) mit den großartigen Darstellungen des Hinabsteigens Christi „in die Welt des Todes“ und des Weltgerichtes am Ende der Zeiten sowie der im Evangelium berichteten Totenerweckungen durch Jesus angefügt wurde. Im Exonarthex findet sich auch eine der berührendsten Mariendarstellungen („Panagia Eleousa“) der byzantinischen Kunst.

Schon im 5. Jahrhundert stand außerhalb der Mauern, die Konstantin der Große um seine neue Hauptstadt errichtet hatte, eine Kirche, deren Name Chora darauf verwies, dass sie „auf dem Land“ war. Als Theodosius II. die Verteidigungsmauer, die so genannte Theodosianische Landmauer, weiter nach Westen verlegte, blieb der Name bestehen, obwohl der Gebäudekomplex nun in das eigentliche Stadtgebiet einbezogen wurde.

1077 bis 1081 stiftete die Schwiegermutter von Kaiser Alexios I., Maria Dukaina, eine neue Kirche. Nach einem partiellen Einsturz im frühen 12. Jahrhundert wurde die Kirche vom Enkel der Gründerin, Isaak Komnenos, grundlegend erneuert und aufwändig umgestaltet. Doch erst in der dritten Bauphase zwei Jahrhunderte später entstand die Chora-Kirche, wie sie heute bekannt ist. Theodoros Metochites, der Kanzler unter Andronikos II. Palaiologos, ließ in den Jahren 1316 bis 1321 die im Verfall begriffene Kirche von Grund auf restaurieren und mit umfangreichen Bilderzyklen ausschmücken.

Etwa ein halbes Jahrhundert nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen wurde die Chora-Kirche von Atik Ali Pascha, dem Großwesir von Bayezid II., in eine Moschee umgewandelt und in Kariye Camii umbenannt. Die Mosaiken kamen wegen des Bilderverbots im Islam unter Putz oder wurden übertüncht. Seit 1948 organisierten Thomas Whittemore (der auch die Restaurierung der Hagia Sophia betrieben hatte) und Paul A. Underwood ein zunächst vom „Byzantine Institute of America“ und später dem „Dumbarton Oaks Center for Byzantine Studies“ gesponsortes Restaurierungsprogramm.

Die Mosaiken und Fresken sind sowohl qualitativ als auch ihrer Anzahl nach die bedeutendsten erhaltenen byzantinischen Bildwerke. Bei Unterschieden im Detail weisen sie durch ihre Lebendigkeit und ihren Realismus auf italienische Fresken der frühen Renaissance voraus. Die sich anmutig bewegenden Personen verleihen den Darstellungen Leichtigkeit und Eleganz, die zusätzlich durch die frische Farbgebung unterstrichen wird. Auch die weit gespannte Vielfalt biblischer Themen gibt einen Eindruck von der künstlerischen Kompetenz der konstantinopolitanischen Maler und Mosaizisten.

(stiftung pro oriente – sk)

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Hagia Sophia: Griechische Präsidentin schreibt an 14 Staatschefs

Katerina Sakellaropoulou (AFP or licensors)

Die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou hat brieflich an 14 europäische Staatsoberhäupter appelliert, die türkische Entscheidung zur Umwandlung eines „emblematischen Monuments der europäischen Geschichte wie es die Hagia Sophia ist“ zu verurteilen. Die Hagia Sophia sei ein „integraler Bestandteil des gemeinsamen europäischen Erbes“, so die Präsidentin.

Die Kathedrale stelle ein „einmaliges Zusammenspiel von Kunst und Glaube“ dar und deswegen sei sie von der UNESCO zu einem Welterbe-Denkmal erklärt worden. Die Hagia Sophia stehe daher unter dem Schutz der 1972 von den UNESCO-Mitgliedsstaaten beschlossenen Konvention zum Schutz des kulturellen Welterbes. Die türkische Staatsführung aber habe die Hagia Sophia statt sie als „Symbol von Toleranz, friedlicher Koexistenz und Dialog“ zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu erhalten, in ein „Symbol von Eroberung, Intoleranz, Ausschließung und Verdacht“ verwandelt.

Pflicht aller, die Stimme zu erheben

Es sei die Pflicht aller, die Stimme zu erheben, um die türkische Entscheidung zu verurteilen, so Katerina Sakellaropoulou laut „Orthodox Times“ in ihrem Brief an die Staatsoberhäupter. Die Türkei müsse im Hinblick „auf den außerordentlichen universalen Wert dieses einmaligen Meisterwerks der Architektur“ weiterhin gedrängt werden, die Entscheidung zurückzunehmen. Mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen sind auch die Staatsoberhäupter von Deutschland, Italien, Portugal, Irland, Bulgarien, Estland, Lettland, Ungarn, Polen, Slowenien, Kroatien, Malta und Finnland Empfänger des Briefes aus Athen.

(pro oriente – mg)

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Türkei: Hagia Sophia ist wieder eine Moschee

Hagia Sophia (ANSA)

Gemeinsam mit Hunderten Gläubigen vollzog der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittag in dem historischen Bauwerk das erste Freitagsgebet seit 86 Jahren. Zur Eröffnung der Umwidmungs-Zeremonie rezitierte der Staatschef die Eröffnungssure des Koran. Die Gläubigen in dem Gotteshaus sowie Tausende Gebetsteilnehmer, die das Geschehen vor Videowänden rund um die Hagia Sophia verfolgten, reagierten mit „Allahu Akbar“-Rufen. Die Fresken und Mosaike aus christlich-byzantinischer Zeit waren während des Gebets verhängt worden.

Künftig werden in der Hagia Sophia täglich die fünf islamischen Pflichtgebete abgehalten. Zudem sollen Tag und Nacht Koranrezitationen stattfinden. Die christlichen Mosaike sollen nur zu den Gebeten verhängt werden. Die türkische Regierung hatte in dieser Woche betont, die Hagia Sophia stehe allen Menschen offen, unabhängig von ihrer Religion. Der Eintritt sei frei.

Die Eröffnungszeremonie am Freitag

Der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbas, sprach diesen Freitag in seiner Predigt von einem gesegneten Tag für die Türkei und den Islam. Die Moscheen seien Quellen der Einheit der Gläubigen. Die Muslime rief Erbas auf, auf der ganzen Welt für Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit einzutreten. Dies entspreche der Botschaft des Islam. Er betonte, die Hagia Sophia stehe auch als Moschee allen aufrichtigen Menschen offen.

Die Hagia Sophia als christliche Kirche und als Museum

Die Hagia Sophia war fast 1.000 Jahre lang die größte Kirche des Christentums. 1453 machten die osmanischen Eroberer daraus eine Moschee. Der Gründer der türkischen Republik, Mustafa Kemal „Atatürk“, erklärte das Bauwerk 1934 zum Museum.

Kritik an der Rückumwandlung in eine Moschee – Glockenleuten in Griechenland

International gab es auf den türkischen Entscheid hin starke Proteste, insbesondere von den orthodoxen Kirchen, aber auch vonseiten Russlands und der EU. Der Schritt wurde vielfach als eine Belastung für den Dialog zwischen den Kulturen kritisiert und als Beleg dafür, dass sich die Türkei weiter von Europa entferne.

Aus Trauer und Protest gegen die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee läuteten am Freitagmittag in Griechenland und Zypern die Glocken vieler orthodoxer Kirchen. Bischöfe beider Länder hatten zu dem Trauergeläut aufgerufen. Zyperns Erzbischof Chrysostomos kritisierte die Umwandlung der Hagia Sophia als „unannehmbar und verbrecherisch“.

„Tag der Trauer für das Christentum und das Griechentum“

Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche Griechenlands, Erzbischof Hieronymos, hatte den Freitag zum Tag der Trauer für das Christentum und das Griechentum erklärt. Als Reaktion auf den Schritt der türkischen Regierung sollte in den griechischen Kirchen am Freitag der Marienhymnus Akathistos gebetet werden. Der aus Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, stammende Hymnus wurde seinerzeit als Hilfe bei der Abwehr von Angreifern gesungen. Er wird sonst am Karfreitag gebetet.

USA mahnen Religionsfreiheit an

US-Präsident Donald Trump sagte, die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sehe er mit „ starker Unzufriedenheit“. Den Zustand der Menschenrechte und der Religionsfreiheit in der Türkei betrachte er mit Sorge, so Trump bei einem Treffen mit dem griechisch-orthodoxen Erzbischof von Amerika Elpidophoros im Weißen Haus. Er werde bei deren Verletzung nicht zögern, „sofort die nötigen Interventionen einzuleiten“, zitierten Medien den US-Präsidenten. Elpidophoros war zuvor mit Vizepräsident Mike Pence zusammengetroffen. Dieser erklärte nach der Begegnung, Amerika stehe fest an der Seite der griechisch-orthodoxen Kirche, wenn es um den freien Zugang zur Hagia Sophia gehe.

(kna – sst)

Kirchen der EU zu Hagia Sophia: „Schlag gegen Religionsdialog“

Hagia Sophia (AFP or licensors)

Die EU-Bischofskommission (COMECE) äußert sich beunruhigt über die Umwandlung der Istanbuler Hagia Sophia in eine Moschee. Sie sieht den interreligiösen Dialog damit beeinträchtigt. Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) befürchtet „fruchtbaren Boden“ für religiösen Hass und Gewalt mit der Umwidmung bereitet.

15/07/2020

Hagia Sophia: Kritik von orientalisch-orthodoxer Seite

Dialog gefährdet

Der Schritt der türkischen Regierung entferne das Land von Europa und sei „ein Schlag gegen die orthodoxe Kirche und den interreligiösen Dialog“, erklärte COMECE-Generalsekretär Manuel Barrios Prieto am Donnerstagabend in Brüssel. Auf diesem Feld habe die Türkei ein „ernstes Problem“, so Barrios unter Berufung auf einen EU-Kommissionsbericht von 2019.

Nährboden für Hass und Gewalt

Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) erklärte am Mittwoch, eine solche Aktion könnte einen „fruchtbaren Boden“ für religiösen Hass und Gewalt schaffen. Sie rief dazu auf, die Pläne durch diplomatische Mittel noch zu verhindern. Die Unesco solle „konkrete Schritte gegenüber der türkischen Regierung unternehmen, um die Umwandlung des Weltkulturerbes Hagia Sophia zu verhindern“.

Papst empfindet Schmerz

Papst Franziskus hatte am Sonntag nach dem Angelus-Gebet auf dem Petersplatz gesagt, er empfinde „großen Schmerz“, wenn er an das Wahrzeichen in Istanbul denke. Das erste muslimische Freitagsgebet in der Hagia Sophia soll am 24. Juli stattfinden. Die geplante Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee stößt international auf Kritik.

Wechselhafte Geschichte

Die Hagia Sophia wurde 537 als Reichskirche des griechisch-orthodoxen Kaiserreichs Byzanz geweiht und war die größte Kirche des Christentums. Nach der Eroberung Konstantinopels, des heutigen Istanbul, durch die Osmanen wurde sie 1453 zur Moschee umgewandelt und mit Minaretten versehen. Der laizistische Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk machte das Gotteshaus 1934 zum Museum.

(kna/vatican news – pr)

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Hagia Sophia: „Es ist, als ob der Petersdom in eine Moschee verwandelt worden wäre“

(c) Rabe! / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Letzte Woche erließ der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein beispielloses Dekret, mit dem die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umgewandelt wurde. Erdogans Dekret ist eine Geste von immenser Symbolik und historischer Bedeutung. „Eine Bedrohung gegen die Hagia Sophia“, sagte der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill, „ist eine Bedrohung für die gesamte christliche Zivilisation“. Ein Gastbeitrag von Giulio Meotti

„Die Stadt, die Konstantin mehr als tausend Jahre lang beschützt hatte… wurde nun, in diesem unglücklichen Jahr, von den Türken zerstört. Ich leide bei dem Gedanken, dass der Tempel der heiligen Sophia, der in der ganzen Welt berühmt ist, zerstört oder geschändet wurde. Dies ist ein zweiter Tod für Homer, ein zweiter Tod für Platon“. Diese Worte des großen Humanisten Enea Silvio Piccolomini, der Papst Pius II. wurde, wurden vor fünf Jahrhunderten geschrieben, nachdem die große christliche Stadt Konstantinopel an die Osmanen gefallen war.

Letzte Woche erließ der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein beispielloses Dekret, mit dem die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umgewandelt wurde. Erdogans Dekret ist eine Geste von immenser Symbolik und historischer Bedeutung. „Eine Bedrohung gegen die Hagia Sophia“, sagte der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill, „ist eine Bedrohung für die gesamte christliche Zivilisation“.

Der US-Außenminister warnte

US-Außenminister Mike Pompeo erklärte:

„Wir fordern die türkische Regierung dringend auf, die Hagia Sophia weiterhin als Museum zu erhalten, als ein Beispiel für ihr Engagement, die Glaubenstraditionen und die vielfältige Geschichte, die zur Republik Türkei beigetragen haben, zu respektieren und sicherzustellen, dass sie für alle zugänglich bleibt.“

916 Jahre lang war die Hagia Sophia die „größte Basilika der Welt“ und der Hauptsitz der östlich-orthodoxen Kirche, in der über Jahrhunderte hinweg Kaiser gekrönt wurden.

Am 29. Mai 1453 kam Sultan Mehmet II. auf einem weißen Pferd zur Hagia Sophia, der Kathedrale der „Göttlichen Weisheit“, die eintausend Jahre zuvor vom byzantinischen Kaiser Justinian I. erbaut worden war. Nachdem er das Ende des großen christlich-byzantinischen Reiches herbeigeführt hatte, betete Sultan Mehmet II. in der größten Kirche des östlichen Christentums zu Allah.

„Es ist, als wäre der Petersdom in eine Moschee verwandelt worden“, sagte Michael Talbot, Dozent für Geschichte an der Universität von Greenwich. „Es ist die Tatsache, dass der Sitz dieser Kirche nicht mehr als Kirche funktioniert und sich in den Händen einer rivalisierenden Religion befindet“.

Unter den Osmanen wurde die Hagia Sophia in eine Moschee umgewandelt und blieb es bis 1934, als der säkularistische türkische Führer Mustafa Kemal Atatürk sie in ein Museum verwandelte. Sie sollte das Emblem einer neuen Türkei werden, die in der Lage war, die Merkmale des Ostens und des Westens zu mischen.

„Allahu Akbar“-Geschrei in der ehemaligen Kathedrale

In der vergangenen Woche, nach Erdogans neuem Dekret, versammelten sich Islamisten unter dem Ruf „Allahu Akbar“ in der ehemaligen Kathedrale. Der Ort wird am 24. Juli wieder als Moschee für muslimische Gebete geöffnet. Es wird angenommen, dass während der muslimischen Gebete die weltberühmten byzantinischen Mosaiken der Hagia Sophia abgedeckt werden.

Die Türkei brauchte streng genommen keine weitere Moschee: In den letzten Jahren hat Erdogan im Land 17.000 Moscheen gebaut. So Ertugrul Özkök in der türkischen Zeitung Hurriyet:

„Ein Land, in dem jeden Tag von seinen 80.000 Moscheen aus, in denen fünfmal am Tag gebetet wird, zum Gebet aufgerufen wird, wird sich nun aufmachen und eines der größten Symbole der orthodoxen Welt zurückerobern. Ist das so?…. Hätten Sie es so sehr genossen, wenn eine Moschee in der Mitte Europas in eine Kirche umgewandelt worden wäre?“

Mit der Aneignung des Gebäudes scheinen die Verteidiger des politischen Islams zu versuchen, „die christliche Vergangenheit der Türkei auszulöschen„. Vor einem Jahrhundert machten die Christen 20% der türkischen Bevölkerung aus, während es heute nur noch 0,2% sind. So berichten Benny Morris und Dror Ze’evi in ihrem Buch „Der dreißigjährige Völkermord: Die Vernichtung der christlichen Minderheiten in der Türkei, 1894-1924„:

„Die armenischen, griechischen und assyrischen (oder syrischen) Gemeinschaften in der Türkei verschwanden als Ergebnis einer gestaffelten Kampagne des Völkermords, die 1894 begann und gegen sie von ihren muslimischen Nachbarn verübt wurde… Bis 1924 waren die christlichen Gemeinschaften in der Türkei und den angrenzenden Gebieten zerstört worden.“

Die Türkei hat mehr biblische Stätten als jede andere Region im Nahen Osten außer Israel. Die Türken im seit 1974 besetzten Nordzypern haben ihre christliche Vergangenheit bereits ausgelöscht.

Innerhalb der Türkei hat Erdogan seinen Krieg gegen die Syrische Kirche in ähnlicher Weise eskaliert, indem er 50 Kirchen, Klöster und religiöse Güter beschlagnahmte.

Demütigung für den ganzen Westen

Offensichtlich wollte er auch dem Westen Demütigung zufügen. Am Tag vor seiner Ankündigung hat er christliche Missionare ausgewiesen. Indem er die Hagia Sophia in eine Moschee verwandelte, gelang es Erdogan, Washington in Verlegenheit zu bringen, Brüssel zu verspotten und Moskau zu trotzen.

Für Erdogan und die Islamisten ist die Hagia Sophia das wichtigste Symbol für die Unterwerfung des Christentums unter den Islam. „Die Hagia Sophia ist das Symbol der Eroberung“, sagte Yunus Genç, der den Istanbuler Zweig des Anatolischen Jugendverbandes leitet. „Sie gehört uns“.

Vier Päpste haben die ehemalige Kathedrale besucht: Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franz I. Doch 24 Stunden nach ihrer Umwandlung in eine Moschee hat kein größerer christlicher Führer oder Gelehrter den religiösen Angriff der Türkei auf die Hagia Sophia angeprangert.

Der gegenwärtige Identitätswechsel scheint Teil eines langen, bewussten Projekts der Re-Islamisierung zu sein. Im Jahr 2016 erhielt die Hagia Sophia zum ersten Mal seit 81 Jahren einen eigenen Imam. Zuvor, 2012, wurde in Iznik eine weitere Hagia Sophia in eine Moschee umgewandelt. Der Standort war bedeutend: In Iznik, dem alten Nicäa, hatten sich 325 Bischöfe aus dem ganzen Römischen Reich versammelt, um das christliche Glaubensbekenntnis zu erarbeiten. Ein Jahr später wurde in Trabzon eine weitere berühmte Hagia Sophia, ein Museum seit 1961, ebenfalls in eine Moschee umgewandelt und ihre byzantinischen Mosaiken „mit Vorhängen und Teppichen bedeckt“.

Als Erdogan sich 1994 um das Amt des Bürgermeisters von Istanbul warb, sprach er bereits von „der zweiten Eroberung Istanbuls“ und hatte schon damals die Rückeroberung der Hagia Sophia ins Auge gefasst.

„Eine Eroberung zu feiern, die vor mehr als fünf Jahrhunderten stattfand, mag den europäischen Führern anachronistisch, ich würde sogar sagen absurd erscheinen“, schrieb der türkische Schriftsteller Nedim Gürsel. „Für Erdogan ist die Einnahme von Konstantinopel ein weiterer Vorwand, um den Westen herauszufordern.“

Nach Ansicht von Tugba Tanyeri Erdemir, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Pittsburgh, könnte die Umgestaltung der Hagia Sophia auch „Extremisten ermutigen, ihre Kampagne der erzwungenen Konversion und Zerstörung von Stätten des Kulturerbes von Minderheiten zu intensivieren“.

Türkei ist nicht mehr säkular

„Sie wieder in eine Moschee umzuwandeln“, sagte der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk, „bedeutet dem Rest der Welt zu sagen, dass wir leider nicht mehr säkular sind“.

Der politische Islam ist an vielen Fronten in der Offensive. Seine Verfechter haben Europa mit Moscheen überschwemmt. Die „größte Moschee in Europa“ wird eine türkische Moschee in Straßburg sein. In Deutschland kontrolliert die Türkei 900 von insgesamt 2.400 Moscheen. Extremisten haben Europa auch ein neues ideologisches Verbrechen aufgezwungen, die „Islamophobie„, und sie haben die „Auslöschung“ all dessen finanziert und miterlebt, was vom Glanz des östlichen Christentums übrig geblieben ist, das diese Länder sechs Jahrhunderte vor dem Islam zu verherrlichen pflegte. Jetzt verwandeln Islamisten die Hagia Sophia in eine Moschee. Sie tun dies nicht nur in ihren Ländern. In Frankreich haben sie auch darum gebeten, dass Kirchen in Moscheen umgewandelt werden.

In der Türkei weigert sich Erdogan unterdessen immer wieder, die Erlaubnis zum Bau neuer Kirchen zu erteilen. Fairerweise muss man sagen, dass die Türkei 2015 endlich einen Plan zum Bau ihrer ersten neuen Kirche seit 90 Jahren gebilligt hat.

Einem französischen Religionswissenschaftler, Jean-Francois Colosimo, zufolge erwartet Erdogan „ein zivilisatorisches München“ – ein Verweis auf den Pakt von 1938, in dem Frankreich und Großbritannien die Tschechoslowakei an Hitler übergaben. Erdogan hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen können. Seit Wochen reißen Politiker und Eliten im Westen Denkmäler nieder – entweder sie tun es selbst oder beobachten schweigend die barbarischen Armeen des westlichen Selbsthasses.

Doppelmoral scheint nun auch die Norm zu sein. Als 2005 in dänischen und französischen Zeitungen Karikaturen Mohammeds erschienen, brach die muslimische Welt in Gewalt aus. Im selben Jahr, als Newsweek über eine angebliche Schändung eines Korans in Guantanamo Bay berichtete, geriet die muslimische Welt, bevor das Magazin den Artikel schnell zurückzog, in Rage.

Papst Benedikt XVI hatte mit seiner Regensburger Rede recht

Als Papst Benedikt XVI. in Regensburg den Islam aufforderte, 2014 dem Fanatismus und der Intoleranz abzuschwören, brach die muslimische Welt erneut in Gewalt aus. Als Israel im Jahr 2017 Metalldetektoren auf einem Gelände installierte, um für Muslime und Juden heilige Stätten zu schützen, beschuldigte Erdogan Israel, den islamischen Charakter Jerusalems zu zerstören. Jetzt jedoch, da die Türkei ihr wichtigstes ehemals christliches Denkmal in eine Moschee verwandelt, gibt es keinen Protest, nur Schweigen und Gemurmel, die nichts anderes als der Soundtrack der Unterwerfung des Westens unter den Islam sind.

„Eine Apathie, die an den Mangel an Solidarität erinnert, als die byzantinische christliche Zivilisation mit dem Fall Konstantinopels im Mai 1453 unterging“, schrieb Ivan Rioufol in Le Figaro. „Weder Venedig, Frankreich noch England sind diesem strahlenden Teil ihrer Kultur zu Hilfe gekommen. Die Geschichte wiederholt sich.“

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Giulio Meotti, Kulturredaktor für Il Foglio, ist ein italienischer Journalist und Autor. Sein Beitrag erschien zuerst bei Gatestone Institut. Übersetzung Daniel Heiniger.

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