Der heilige Joseph von Cupertino – Grabstätte und Wallfahrtsort: Osimo bei Loreto

Pfarrer Ignaz Grandi schreibt im Vorwort des von ihm übersetz­ten Büchleins von Pater Gustavo Parisciani, O.F.M. Conv., „Der hei­lige Josef von Copertino“ (Ein Auszug aus dem ausführlichen Werk desselben Autors):

„Auf einer Reise durch Mittelita­lien kam ich eines Tages nach Osi­mo, wo die herrliche Basilika des hl. Josef von Copertino steht, in deren Unterkirche die Gebeine dieses Heiligen in einem Glassarg ruhen, eingebettet in eine Figur, die ihn im Tode schlummernd darstellt.

Bei meinem letzten Aufenthalt im Kloster von Osimo (vor Sept. 1968) bat mich ein Konventuale, das Büchlein vom Leben des hl. Josef von Copertino ins Deutsche zu übertragen, eine Arbeit, die ich ger­ne auf mich nahm.

Josef von Copertino ist anders als viele Heilige, die von der Kirche anerkannt und verehrt werden. Das Außergewöhnliche ist in seinem Leben geradezu zum Gewöhnlichen geworden… Ich möchte bloß hinzu­fügen, daß der Schreiber dieses Büchleines, der Konventuale Pater Gustavo Parisciani, der im Zeitraum von 5 Jahren ein 1000-seitiges Werk darüber verfaßte, seine Studien über dieses Leben mit großer Sorgfalt anstellte und daß ihm eine ganze Fülle von Dokumenten verschiede­ner Archive, auch jener des Vati­kans, zur Verfügung standen, daß ferner das, was hier erzählt wird, von ungefähr 150 Zeugen und Zeit­genossen des Heiligen ausgesagt und bestätigt wurde.

So sei nun auch dem deutschen Leser diese Lebensgeschichte des Heiligen von Copertino dargeboten, der mit Recht ein seltsamer Heiliger genannt wurde, der ungelehrte Berater der Gelehrten, der unglück­liche Besitzer außergewöhnlicher Eigenschaften und geheimnisvoller Gaben, ein Mann, dessen Leben umbrandet war von der Begeiste­rung der Massen, aber auch ver­senkt in die Tiefen trostloser Verein­samung und Verborgenheit, hoch geehrt von Bischöfen und Kardinä­len, aber auch streng bewacht durch die kluge Zurückhaltung und wohl­meinende Härte der kirchlichen Behörde.“ (Osimo, am Feste des Heiligen, 18. Sept. 1968, der Über­setzer, (Pfr.) Ignaz Grandi)

Wir wollen nun vorerst zwei kirch­liche Nachschlagewerke konsultie­ren und sehen, was diese über den Heiligen wissen. Dabei wird uns sofort auffallen, wie in früheren Zeiten solche mystische Tatsachen viel, viel wichtiger genommen wurden als heute. Ich kann das neueste Kirchenlexikon nicht kon­sultieren, weil ich es nicht besitze. Aber ich vermute, daß darin von Josef von Copertino gar nichts mehr steht, weil es für die moderne „Theologie“ belanglos geworden ist. Wir aber orientieren uns ohnehin nicht an der modernen Theologie, sondern an der tradierten, bewähr­ten. Und darum wollen wir sehen, was diese uns zu sagen hat.

In „Wetzer und Welte’s Kirchen­lexikon, Herder, Freiburg, 1889, finden wir folgenden Eintrag (Sp. 1867-69):

«Joseph von Copertino, der hl., O.S.Fr., ward als der Sohn armer Eltern am 17. Juni 1603 zu Copertino im Königreich Neapel geboren, trat 17 Jahre alt als Laienbruder in das Kapuziner­kloster daselbst, wurde aber, weil er zu allen Arbeiten ganz ungeschickt war, vor Abfluß des Noviciatjahres wieder entlassen. Sein Oheim, ein Minorit, ver­schaffte ihm die Aufnahme in das Kloster della Grotella, in dem man ihn im J. 1621 als Tertiarier zu den niedrigsten und verächtlichsten Diensten be­stimmte. Durch seinen demüthi­gen und freudigen Gehorsam erwarb er sich hier die Gunst seiner Obern und ward am 19. Juni 1625 als Cleriker einge­kleidet. Wegen seiner ausge­zeichneten Frömmigkeit forder­ten ihn seine Vorgesetzten auf, durch Studium sich auf den Empfang der Priesterweihe vor­zubereiten. Trotz aller Mühe und Anstrengung machte er nur geringe Fortschritte, und den­noch fiel seine Prüfung behufs der Weihe zur vollen Zufrieden­heit aus. Im J. 1628 empfing er die Priesterweihe. Durch außer­ordentliche Kasteiung und un­ablässige Übung des innerlichen Gebetes erlangte er bald jene Stufe des Seelenlebens, auf welcher die Ekstase zu den all­täglichen Lebenserfahrungen gehört. Über 30 Jahre lang konnte man ihn nicht an ge­meinsamen öffentlichen Andach­ten theilnehmen lassen, weil immer eine Verzückung zu be­fürchten war. Selbst das Messe­lesen konnte man ihm nur in einem abgesperrten Oratorium gestatten. Seine außerordentli­chen Zustände gaben Anlaß, daß er der Inquisition überantwor­tet wurde. Im J. 1638 ward er vor dieses Gericht nach Neapel berufen, dann nach Rom ge­bracht. Er verantwortete sich jedoch derart, daß man ihn als ganz untadelhaft erklärte. In­deß ward er in das Kloster der Kapuziner nach Aissisi beordert und dort sehr hart behandelt. Allein auch hier sammelte sich das Volk massenhaft um den ekstatischen Diener Gottes. Um einen Volksauflauf zu verhüten, befahl Papst Innocenz X., in aller Stille ihn von Assisi hinweg und in das ganz abgelegene Kapuzi­nerkloster zu Pietrarossa zu befördern. Dieß geschah am 22. Juli 1653. Von da brachte man ihn nach Fossombrone. Allein die Ekstasen traten überall zu Tage, und weil von dem heiligen Manne nichts Arges zu befürch­ten war, so befahl Papst Alexan­der VII., daß er wieder dem Minoritenorden zurückgegeben und im Kloster Osimo unterge­bracht werde. In diesem Kloster lebte er noch 6 Jahre lang (1657-1663) in seligem Frieden. Er war ganz abgeschieden von aller Welt und verkehrte nur mit seinem Bischof, mit dessen Generalvicar und mit seinen Mitbrüdern. Selbst die Kloster­kirche durfte er nur des Nachts besuchen. Er war fast immer in Ekstase, und diese dauerte manchmal 6-7 Stunden. Täg­lich brachte er das heilige Meß­opfer dar, selbst in der größten Schwäche, die ihm ein hitziges Fieber verursacht hatte. Der Herr hatte ihm Tag und Stunde sei­nes Hinscheidens geoffenbart. Er bereitete sich durch den Empfang der heiligen Sacramen­te auf die Reise in die Ewigkeit vor und entschlief sanft am 18. September 1663. Wie er im Le­ben außerordentliche Gnaden von Gott empfangen und Wun­derbares gewirkt hatte, so ward er auch nach seinem Tode durch große Wunder verherrlicht, die an seinem Grabe geschahen. Infolgedessen ward er im J.1753 von Benedict XIV. in die Zahl der Seligen versetzt und im J. 1767 von Clemens XIII. heilig gespro­chen.»

44 Jahre später hat das Interesse der Herausgeber und Verfasser eines katholischen Kirchenlexikons im spezifischen Bereich des Über­natürlichen schon markant abge­nommen, ist aber immerhin grund­sätzlich noch vorhanden. Im „Lexi­kon für Theologie und Kirche“, Herder, 1933, steht unter dem Schlagwort „Joseph v. Coperti­no“ noch das Folgende:

«hl., OConv. *17.6.1603, †18.9.1663 zu Osimo (bei Anco­na); erst Laienbruder OCap., seit 1621 im Konventualenkloster della Grotella, 1628 Priester. Eine der interessantesten Gestal­ten christl. Mystik. Deren auf­fallendste Symptome, z.B. Er­fassen des Übernatürlichen mittels der körperlichen Sinne, Vorhersagungen, stundenlange Ekstasen, Körperflug, Wunder aller Art usw., waren im Alltags­leben des kindlich fröhlichen u. schlichten J. so häufig, daß er vor das kirchl. Inquisitionsge­richt nach Neapel u. Rom beru­fen u. schließlich in abgelege­nen Klöstern zu Assisi, Pietra­rossa, Fossombrone u. 1657-63 zu Osimo, z.T. in harter Prü­fung, den Augen des Volkes ent­zogen werden mußte. Seine Begegnung zu Assisi 1650 mit Hzg. Joh. Friedrich v. Braun­schweig-Lüneburg beeinflußte nachhaltig dessen Konversion. 1753 selig-, 1767 heiliggespro­chen. Erhebung seiner Reliquien 1930. Fest 18. Sept. …»

Professor J. Görres schreibt in seinem 4-bändigen Werk „Die christliche Mystik“ (Manz, Regens­burg, 1837,11. Band, Seiten 539ff.) unter dem Thema „die Entrückung und der ekstatische Flug“ über diesen Heiligen:

(…) Vor allen Andern war aber der h. Joseph von Copertino, durch die ihm verliehene Eigenschaft solchen Schwebens und Fliegens, ausgezeichnet; und da er in neue­ren Zeiten gelebt, konnte diese wundersame Beschaffenheit an ihm in authentischer Weise leicht ermittelt werden.

Als er nämlich, im Jahre 1603 geboren, 1663 gestorben war, wurde sogleich nach der in solchen Fällen üblichen Weise, nachdem kaum zwei Jahre seit seinem Tode vergangen, und alle Zeugen noch bei Leben waren, der Proceß über sein Leben und seine Wunder in Nardo, Assisi und Osimo instruirt, und die Ergebnisse desselben, von der zu dergleichen in Rom geord­neten Congregation, aufs schärf­ste geprüft. Zugleich, schon im Todesjahre, hatte der Ordensgene­ral der Minoriten,. Giacomo da Ravenna, den P. Roberto Nuti von Assisi beauftragt, sein Leben zu schreiben. Der Beauftragte that, wie ihm befohlen worden, und 15 Jahre später erschien von ihm: Vita del servo di Dio P. F. Giuseppe da Copertino, sacerdote dell ordine de minori conventuali. Composto dal P. R. Nuti. Palermo 1678, und Wien 1682. Der Verfasser legte dabei, wie er im Vorberichte sagt, zum Grunde, was er selbst mit eigenen Augen gesehen; dann, was ihm glaubwürdige Zeugen berichtet, sowohl Solche, die dem Orden angehört, als Andere, die mit dem Heiligen verkehrt; zudem was Martelli von Spoleto, Don Bernar­dino Benaducci und Don Archan­gelo Rosimi, Abt von Assisi, die alle Drei mit ihm im vertrautesten Umgange gelebt, und viele Unter­redungen mit ihm gehabt, tagtäg­lich aufgezeichnet über ihn und sein Thun und Wesen. Als darauf 1711 die von Urban VIII. gesetzte Frist verlaufen, und man die Un­tersuchung neuerdings aufgenom­men, schrieb D. Bernini, theils aus den früheren Acten, theils aus anderen Manuscripten, die man bei dieser Untersuchung zugelassen, ein zweites Leben, das 1722 in Rom erschien. Als endlich Papst Benedict XIV. 1753, nach neuer Untersuchung, zur, Beatification geschritten, wurde, bei Gelegen­heit der Feier derselben in der Peterskriche, ein drittes gedruck­tes Leben unter die Anwesenden ausgetheilt, das auf Befehl des Papstes nur die nackten Thatsa­chen, aus den Acten ausgezogen, und durch hinreichende Zeugen erhärtet, befaßte, und ohne allen Schmuck der Rede von dem Defini­tor des Ordens Pastrovicchi ge­schrieben war. Bei keiner histori­schen Thatsache ist daher größere Sorgfalt angewendet worden, um die rechte Wahrheit auszufinden; und so dürfen wir dann dem unbe­denklich vertrauen, was diese Zeugnisse, wie wir sie hier aus diesen verschiedenen Quellen zusammenstellen, über diese merk­würdige Eigenschaft des Heiligen berichten.

Als Joseph in früher Jugend sich noch in Grotella aufhielt, hatte er sich am Feste des h. Franciscus zum Gebet in eine kleine Capelle begeben, die einen Büchsenschuß weit von seinem Kloster, unter Olivenbäumen stand; von dort aus vernahmen die Brüder bald einen fünfmal nacheinander wiederkeh­renden Schrei; und als sie hineil­ten, sahen sie ihn an der zerfalle­nen Decke der Capelle, ein dort angebrachtes Kreuz umarmend, wohl zwanzig Palmen (Spannen) über der Erde schweben. Als er eben dort, in der Nacht des Weih­nachtsabends, den Schall der Pfei­fen einiger Hirten, die er zur Vereh­rung der Geburt des göttlichen Kindes eingeladen hatte, vernahm; hub er zuerst aus übermäßiger Freude an zu tanzen; seufzte dann tief auf; stieß einen lauten Schrei aus; und flog nun, einem Vogel gleich, von der Mitte der Kirche bis zum Hochaltar, der mehr als fünf­zig Fuß entfernt war; und umfaßte das Tabernakel in Verzückung etwa eine Viertelstunde lang. Keine der vielen brennenden Kerzen, die zu der Zeit den Altar schmückten, fiel herunter, und kein Theil seines Gewandes faßte Feuer. Das Er­staunen der Hirten war groß gewe­sen; nicht geringer aber die Ver­wunderung seiner Ordensbrüder und der Einwohner von Copertino, als er einst, mit einem Chormantel angethan, der Procession am Fran­ciscusfeste beiwohnen sollte, und nun mit einemmale auf die 15 Spannen hohe Kanzel der Kirche flog, und auf ihrem äußersten Rande mit ausgestreckten Armen lange entzückt und wundersam kniend verweilte. Eben so Staunen erregend war die Verzückung, die ihn an einem Gründonnerstag Abends ergriff, als er, mit andern Religiosen, vor dem auf dem Hoch­altare gerüsteten, mit vielen Lam­pen und leuchtenden Wolken ge­zierten, heiligen Grabe betete. Er flog nämlich mit einemmale auf, um den Kelch, der seine Liebe beschloß, zu umfassen; nichts von den umgebenden Zierrathen wur­de dabei beschädigt oder verrückt; und so flog er nach einiger Zeit, von seinen Obern zurückgerufen, wie­der an den Ort, wo er zuvor gewe­sen. Als Santi Rossi von Trevo Noviz war in jenem Kloster, und von einer Krankheit ergriffen, bettlägerig wurde, besuchte ihn Joseph eines Tags mit mehren Andern; und es begann bald ein Gespräch über religiöse Gegenstände. Joseph heftete während des Redens die Augen auf ein kleines Crucifix, das an der Wand über einem Tische hing, der, wie es in Krankenstuben gewöhnlich ist, mit vielen Gläsern, Caraffinen, Salbentöpfen und anderem leicht gebrechlichen Ge­räthe besetzt war. Als die Rede nun auf die Empfängniß der Jungfrau gekommen, erhob er sich plötzlich mit einem Schrei von der Erde; flog gegen das Crucifix an der Mauer; und schwebte wohl eine halbe Viertelstunde lang in der Luft vor ihm; nach deren Verlauf er sich auf jenes Tischchen niederließ, ohne irgend einen der darauf befindli­chen Gegenstände zu verrücken oder zu zerbrechen.

Gleich verwunderlich war, was sich mit ihm begeben, als er auf einer kleinen Anhöhe zwischen Copertino und dem Kloster von Grotella einen Calvarienberg auf­richten ließ; und er nun, als auf dem Gipfel desselben schon die beiden äußeren Kreuze standen, bemerkte: wie das mittlere, seiner Schwere und Höhe wegen, die 54 Spannen betrug, nicht leicht von 10 Männern bemeistert, und an seinen Ort gebracht werden konn­te. Sogleich ergriff ihn sein inneres Feuer, und er flog nun von der Pforte des Klosters, wohl 870 Schrit­te weit dem Kreuze zu; hob es auf wie leichte Spreu, und setzte es in die ihm zubereitete Grube. Dies Kreuz war in der Folge der Gegen­stand seiner steten Andacht und seiner Flüge. Einst umstand er dasselbe mit anderen Priestern, und einer unter ihnen hatte die Frage aufgeworfen: wie sie thun würden, wenn der Herr an diesem Kreuze wirklich angenagelt, und ihnen ein Kuß erlaubt wäre. Der eine meinte in Demuth, er werde ihm dann die Füße küssen; der andere die Seitenwunde, andere anderes; er aber, als an ihn die Reihe gekommen, rief mit lauter Stimme und glühendem Antlitz aus: Ich, ich, würde seinen heiligsten Mund küssen, durch Galle und Essig vergällt. Zugleich nahm er seinen Flug zur Höhe des Kreuzes; heftete seinen Mund genau an die Stelle, wo der Mund des Gekreu­zigten gestanden hätte, wäre er zur Stelle gewesen; und stand so zum Erstaunen Aller auf einem Nagel, der zum Zeichen, daß dort die Füße des Erlösers angenagelt seien, eingeschlagen war, lange Zeit: man mußte eine Leiter aus dem Kloster herbeibringen, um ihn von dort wieder herabzunehmen. Mehr als einmal kehrten solche Flüge auf Entfernungen, von 10 bis 12 Schrit­ten, zu diesem Kreuze wieder. Als er einst, von der Herabkunft des h. Geistes über die Apostel redend, einen Priester mit brennender Kerze vorbeigehen sah, kam der Geist selber über ihn, daß er 4 Schritte hoch sich in die Luft erhob. Ein andermal wurde er auf einen na­hen Oelbaum erhoben, als ein Prie­ster ihn mit den Worten anredete: P. Joseph, welch einen schönen Himmel hat nicht Gott erschaffen. Man sah ihn nun eine halbe Stun­de lang auf einem Zweige des Baumes kniend, und es bedünkte die Zuschauer überaus wunderbar, daß der Ast sich unter ihm nur leicht auf und niederbewegte, gleichsam als ob ein Vogel sich auf ihm wiege.

Der heiligen Jungfrau war er besonders in Liebe zugethan; pfleg­te nicht anders denn seine liebe Mutter sie zu nennen; zierte ihr Bild in Grotella immerfort mit Li­lien, Rosen und andern Blumen, wie sie die Jahreszeit hervortrieb; brachte ihr Kirschen und andere Früchte, und lobte sie in vielen einfältigen und freudigen Liedern. Wenn er nur ihren Namen nennen hörte, fiel er schon in Verzückung; und als seine Brüder einst in der Ordnung die Litanei mit einander absangen, flog er gleich beim er­sten Worte: Heilige Maria! über 3 Paare derselben, die vor ihm knie­ten, hinweg, ihrem Altare zu. Als er daher, nach Assisi versetzt, oben am Gewölbe der Kirche ihr Bild wahrnahm, ganz ähnlich dem, was in Grotella verehrt wurde, rief er aus: Ach meine Mutter ist mir ge­folgt, und wurde nun 18 Schritte ihr entgegen in die Luft erhoben. Das Gleiche wiederholte sich weni­ge Tage später, vor einem andern Bilde, das man ihm gezeigt; und es geschah ihm ebenfalls häufig, wenn eines der Lieder in seiner Gegen­wart gesungen wurde, die er ihr zu Ehren gedichtet hatte. So einmal, nach der Aussage des P. Juniperus von Palermo, als die Novizen einen solchen Gesang in seiner Gegen­wart angestimmt. Er wurde sogleich in kniender Stellung schwebend; und da nun einer der Anwesenden, des herabhängenden Habites we­gen, Zweifel hegte, ob er doch nicht etwa die Erde berühre, legte er ihm die Hände unter, und überzeugte sich, daß er in keiner Berührung mit ihr stand. Jeder Gesang über­haupt brachte ihn leicht in diesen Zustand. Der Capellmeister des Klosters von Assisi, P. Ant. Cos­sandri von Brescia, hatte 3 Knaben unter seiner Zucht, die wie die Engel zu singen wußten. Als diese einst, in der Zelle Josephs, vor ihm ein Gespräch mehrerer Seelen im Fegfeuer absangen, wurde er so­gleich erhoben; und wie er kniend schwebte, legte ihm gleichfalls einer der Knaben, aus gleichem Grunde, mit demselben Erfolge die Hände unter. Eben so leicht geschah es ihm, wenn ein Festtag der Jung­frau seinen Liebeseifer weckte. Einst, am Feste der Empfängniß, war er in der Morgenfrühe gegen 3 Uhr zur Kirche gegangen, hatte seine Andacht vor dem Hauptalta­re verrichtet, und war dann zu dem der Empfängniß, um das Gleiche zu thun, hingegangen. Dort hatte die Verzückung sich seiner bemei­stert, und dreimal war er in knien­der Stellung zum Altare geflogen, und wieder zu seinem Mantel an der Erde zurückgekehrt. Darauf hub er sich wieder von der Erde, flog auf große Entfernungen nun dahin, nun dorthin, und sang dabei mit großer Freudigkeit: 0 große Schönheit Maria’s! dann wieder mit traurigem, kläglichen Tone: 0 Scheusal der Sünde! dann zur Jungfrau kehren: Du bist schön und rein! und in solcher Weise singend und auf den Knien tan­zend, hatte er eine ganze Stunde zugebracht. Da war der Custos Mastrilli, ungesehen von ihm, her­zugekommen, und in diesem war die Furcht aufgestiegen, er möge sich verletzen; denn er war barfuß, und die Sprünge und Flüge auf den Knien waren groß und weit. Er rief ihn daher aus gutem Willen durch den Gehorsam zurück; Joseph kam zu sich, nahm Mantel und Sanda­len, und ging, ohne ein Wort zu reden, zu seinem Ort im Chore: der Custos aber machte sich in der Folge Vorwürfe, seine Verzückun­gen also ohne Noth gestört zu haben; und in der That schien seine Sorge überflüssig, da er, wie er selbst dem Abte erzählt, in allen seinen Ecstasen nie den minde­sten Schaden an irgend einem Theile seines Leibes genommen.

Als er einst in Neapel, in der geheimen Capelle der Kirche des h. Gregor von Armenien, die den Klo­sterfrauen von St. Ligorio angehör­te, betend im Winkel kniete, flog er plötzlich von da mit einem starken Schrei auf, und stand bald, mit kreuzweise ausgestreckten Armen und vorgebogenem Leibe, unter Blumen und Kerzen, so daß die Klosterfrauen erschrocken zu schreien anfingen: Er verbrennt, er verbrennt! Aber er kehrte, nach­dem er einen neuen Schrei ausgestoßen, unverletzt im Fluge wieder in die Mitte der Kirche zurück, und dort auf den Knien aufs geschwin­deste sich herumdrehend, sang er immer fort: beatissima Vergine, beatissima Vergine! So flog er 15 Schritte weit auf ein neues Bild des h. Antonius von Padua in Monopo­li, das seine Ordensbrüder ihm gezeigt, und kehrte auf demselben Wege zurück. Einst sah man ihn durch das Gitter eines kleinen Chors in der St. Ursula-Capelle, wo das Sacrament aufbehalten wurde, nach und nach hervorge­hen, mit gebogenen Knien und glänzendem Angesicht; und dann, durch den Gehorsam abgerufen, auf demselben Wege zurückkeh­ren. Als er einst mit einem Priester in eine Dorfkirche eingetreten, und dieser, von ihm gefragt: ob wohl das allerheiligste Sacrament hier bewahrt wird? weil kein Licht brannte, erwiederte: Wer kann das wissen? hörte dieser ihn sogleich in ein lautes Geschrei ausbrechen, und sah ihn dann dem Tabernakel zufliegen, es umfangen, und das darin beschlossene Sacrament anbeten.

Nicht aber blos stieg er in solchen Umständen selbst in die Lüfte, er nahm wohl auch Andere mit sich dahin. Das begegnete unter An­dern dem P. Custos von Assisi, als Joseph, nach feierlich gesungener Vesper, zu Ehren der unbefleckten Empfängniß, in der Noviziatsca­pelle dem Verweilenden zuredete, mit ihm öfter die Worte: Maria du Schöne! zu wiederholen. Während dieser, Folge leistend, einfiel in die vorgesprochenen Worte, wurde er von ihm bei den Seiten gefaßt, und in die Lüfte erhoben. Dasselbe geschah bei der Einkleidung einiger Jungfrauen im Kloster der hei­ligen Clara in Copertino. Als man den Vers: veni sponsa Christi an­stimmte, lief er aus dem Winkel, wo er kniend gebetet, auf den Beicht­vater des Ordens der Observanten zu; nahm ihn bei der Hand, erhob ihn mit übernatürlicher Kraft von der Erde, und drehte ihn im Wirbel um. —

Einst wurde ihm ein unsinniger Edelmann, auf einen Sessel ge­bunden, vorgestellt, damit er durch seine Vorbitte geheilt werde. Jo­seph ließ ihm die Bande abneh­men, ihn in seiner Zelle mit Gewalt zum Knien bringen; stand dann auf, legte ihm die Hände aufs Haupt, und sagte: Edler Balthasar, fürch­te dich nicht, befiehl dich Gott und seiner heiligsten Mutter. Als er die Worte ausgesprochen, faßte er ihn bei den Haaren, und indem er sein gewöhnliches lautes Oh! hören ließ, erhob er sich von der Erde, und zog ihn mit in die Lüfte; hielt ihn dort, zum Erstaunen aller Answesen­den, eine Zeit lang schwebend, und ließ sich dann mit dem Genesenen wieder zur Erde nieder. Bisweilen wurde bei seinen Auffahrten wohl auch ein Schall vernommen. So hatte er, während seines Aufent­haltes in Fossombrone, am Pfingst­tag in der Frühe Messe gelesen in seiner Capelle; und als er die Worte: veni creator spiritus ausgesprochen, war das Feuer so urplötzlich schnell in ihn eingeschlagen, daß er aufs geschwindeste, sich vom Altare losmachend, mit einem Knalle, als ob es donnere, in die Höhe schoß, und wie ein Blitz in der Capelle umfuhr, mit solchem Ungestüme, daß alle Zellen desselben Ganges erschüttert wurden, und die er­schrockenen Brüder herausliefen, laut schreiend: Erdbeben, Erdbe­ben! Als sie in die Capelle Josephs eingetreten, fanden sie erstaunt den Grund dieser gewaltsamen Bewe­gungen in ihm, der da verzückt und in der Fülle höheren Trostes versenkt war.

Nicht blos das Volk und seine Ordensgenossen waren Zeugen dieser wundersamen Erhebungen; Papst Urban VIII. selbst gerieth einst vor Erstaunen beinahe außer sich, als ihn der General seines Ordens zum Fußkusse bei ihm eingeführt, und Joseph nun bei der Betrachtung, wessen Stellver­treter im Kirchenfürsten ihm hier nahe sei, verzückt und schwebend wurde. Der Papst sagte sogleich, wenn Joseph noch bei seinem Leben sterbe, wolle er selbst bezeu­gen, was er hier gesehen. Herzog Friederich von Braunschweig, sich zur lutherischen Confession be­kennend, war, 25 Jahre alt, auf seiner Reise durch die größeren Höfe Europa’s, gegen 1650 von Rom nach Assisi gekommen, um Jo­seph, der ihm durch den Ruf schon in Deutschland bekannt geworden, kennen zu lernen. Dort angelangt, wurde er wohl aufgenommen, und in den fürstlichen Personen bestimmten Zimmern beherbergt. Da er sogleich sein Verlangen zu er­kennen gab, mit Joseph zu reden, und dann sofort wieder abzurei­sen, wurde er am folgenden Mor­gen, mit den beiden Grafen in sei­nem Gefolge, deren einer prote­stantisch, der andere katholisch war, an den Eingang der Capelle geführt, wo Joseph Messe las. Dieser wußte nichts von der Anwe­senheit der Fremden; da er inzwi­schen die Hostie brechen wollte, befand er sie so hart, daß er sie mit keiner Gewalt zertheilen konnte, was ihm wohl auch sonst begeg­net. Er legte sie daher auf die Patene zurück, und die Augen auf sie gerichtet, brach er zuerst in ein heftiges Weinen aus, wurde dann verzückt, und flog nun in kniender Stellung, mit einem starken Schrei, fünf Schritte rückwärts durch die Luft; und als er mit einem gleichen Schrei, wieder durch die Luft, zum Altare zurückgekehrt, theilte er nun die Hostie, jedoch nicht ohne große Gewalt. Als er nach Beendigung der Messe, auf Geheiß des Für­sten, von dem Oberen um die Ursa­che seines Weinens befragt wurde, antwortete er: Die, so du mir die­sen Morgen zur h. Messe gesendet, haben ein hartes Herz; denn sie glauben nicht Alles, was die Kirche glaubt; darum hat sich das Lamm Gottes heute unter meinen Hän­den erhartet, daß ich es kaum brechen konnte. Das Herz des Herzogs war durch die Begeben­heit, wie durch die Antwort, ge­rührt, er eilte daher nicht mehr so sehr mit der Abreise, und blieb den Tag noch bis zur Completzeit mit Joseph zurück. Am andern Tage wollte er wieder seiner Messe bei­wohnen, in deren Verlaufe, bei der Aufhebung der Hostie, das Kreuz in ihr Allen schwärzlich erschien, während der Priester, eine Spanne hoch von dem Fuße des Altars erhoben, wohl eine viertel Stunde lang mit aufgehobenen Händen in derselben Stellung blieb. Dem Herzog kamen bei diesem Anblick die Thränen in die Augen; der unkatholische Graf aber sagte im Zorne: Verflucht sei die Stunde, in der ich in dies Land gekommen! in meinem Vaterlande war mein Gemüth ruhig, hier ängstigen mich nun Besorgnisse und Gewissens­scrupel. Joseph aber, der Alles im Lichte von Oben sah, versicherte einen seiner Vertrauten der Be­kehrung des Herzogs in diesen Worten: Seien wir nun wohl getrö­stet, der Hirsch ist getroffen! und wirklich, nachdem er mit dem Fürsten bis zum Mittag geredet, lief er ihm, als er ihn nach der Vesper auf sein Zimmer gehen sah, entgegen, und ihn mit seinem Gürtel umfangend, sagte er mit großem Eifer des Geistes zu ihm: Ich umgürte dich für das Paradies.

Soweit also J. Görres über Josef von Copertino.

Betrachten wir nun noch, was Ernst Hello (1885 in Lorient ge­storben) in seinem Buch „Heiligen­gestalten“ insbesondere über sein frühes Leben schreibt:

(…) Wenn je ein Mensch kärglich begabt war, so war es der heilige Joseph von Cupertino. Er besaß keinerlei natürliche Vorzüge. Er nannte sich selbst Bruder „Esel“, und in der Tat war er unter den Menschen das, was der Esel unter den Tieren ist. Unfähig, eine Prü­fung zu bestehen, vielleicht sogar ein Gespräch zu führen, unfähig gleichzeitig, ein Haus zu besorgen oder auch nur einen Teller anzu­rühren, ohne ihn zu zerbrechen, jeder geistigen und körperlichen Geschicklichkeit ermangelnd, schien er ebenso ungeeignet, ein Gelehrter wie ein guter Diener zu werden. Er machte den Eindruck eines ziemlich unnützen Sklaven, eines Lasttieres, dessen Dienste gering sind. Und doch ist uns sein Name erhalten geblieben! Wie kommt es, daß er im Gedächtnis der Menschen einen Platz gefun­den hat? Er, der die Achtung der Menschen nicht suchte, hat sie in ihrer höchsten Form gefunden, und nicht nur die Achtung, sondern sogar den Ruhm! Für ihn gab es nichts Unwahrscheinlicheres auf der Welt als den Ruhm, und doch ist der Ruhm über ihn gekommen und umgibt ihn für immer. Wäh­rend sonst Menschen, die dem Ruhm nachlaufen, manchmal nur Vergessenheit oder Schande fin­den, hat er sich um Josephs Stirn geschlungen und vor seinen Na­men das seltsame und geheimnis­volle Wort „der heilige“ geschrie­ben. Joseph ist der heilige Joseph geworden. Welch außerordentliche Gewalt ist das, die Menschen zu Heiligen macht, sie als solche er­klärt, eine Gewalt, die allein die Kirche besitzt, und die niemand wagen könnte, sich auch anzuma­ßen, ohne sich unerträglich lächer­lich zu machen. Man hätte nur versuchen sollen, einem alten In­validen, und sei er ein noch so begeisterter Verehrer des Kaisers gewesen, beizubringen, er müsse sagen: der heilige Napoleon der Erste. Niemals hätte der Mann das gewagt. Und hätte er es gewollt, er hätte es doch nicht können. Seine Lippen hätten sich geschlossen.

Joseph wurde am 17. Juni 1603 in Cupertino geboren. Er war ein Handwerkerssohn, ein unansehn­liches, kränkliches Kind, von allen mißachtet, von seinen Kameraden verspottet und sogar, was ziemlich selten vorkommt, von seiner Mut­ter mit Widerwillen behandelt. Er litt an einem brandigen Geschwür und verbrachte seine Kindheit zwischen Leben und Tod, gleich­sam halb verfaulend. Ein Einsied­ler rieb ihn mit Öl ein und heilte ihn. Gerade an seinem Geburtstag holte man den Schulden seines Vaters wegen die Möbel aus der Wohnung ab. Und er kam in einem Stall zur Welt, wo seine Mutter Unterkunft gesucht hatte.

Als er, von schrecklichen Krank­heiten genesen, Mönch werden wollte, erlebte er nur Mißerfolge und Enttäuschungen. Er betrieb seine Aufnahme in ein Kloster und erlangte sie nicht. Später beginnt er ein Noviziat und vollendet es nicht; er kehrt in die Welt zurück. Darum geht er von neuem ins Klo­ster. Überall abgewiesen, erweckt er schließlich selbst den Eindruck, daß er nicht mehr weiß, was er will, noch was er tut.

Zuerst hatte er sich bei den Fran­ziskanern vorgestellt. Er war sieb­zehn Jahre alt. Zwei seiner Oheime gehörten dem Orden an, und es schien, als könnten sie ihm zu seiner Aufnahme behilflich sein. Indessen lehnte man ihn ab, weil er keinen vorbereiteten Unterricht gehabt hatte. Alles, was er erreich­te, war, daß er als Laienbruder bei den Kapuzinern eintreten konnte. Aber er mußte hier die gröbste Behandlung erfahren. Natürliche Unfähigkeit und das ausschließli­che Befangensein im Übernatürli­chen schienen sich zu vereinen, um ihn zu allem ungeschickt zu machen. Seine natürliche Unfä­higkeit war offenbar, aber daß er im Übernatürlichen befangen war, entging allen Menschen. Seine Vergeßlichkeit in irdischen Din­gen, seine Versunkenheit in über­irdischen Dingen schufen ihm ein wundersames Leben, das den auf­merksamen und mittelmäßigen Menschen seiner Umgebung lä­cherlich erschien. Alle diese aufge­weckten, aber gewöhnlichen Gei­ster besaßen einen klaren Blick für die Fehler Josephs, aber sie waren blind für seine Größe. Das Ergeb­nis ihrer Beobachtungen war, daß sie ihn schließlich ganz unaus­stehlich erklärten. Mitten während des Dienstes im Refektorium, der ihm übertragen war, verfiel er in Ekstase und ließ Schüssel und Teller fallen, deren Stücke man ihm dann zur Strafe an seinen Rock heftete. Oder er brachte Schwarzbrot statt Weißbrot und wurde gescholten. Dann erklärte er, er könne das eine nicht vom anderen unterscheiden. Um ein wenig Wasser von einem Ort zu einem anderen zu schaffen, ge­brauchte er einen ganzen Monat. Endlich erklärte man, er eigne sich weder für körperliche Arbeiten noch für das geistige Leben, und man schickte ihn fort.

Man nahm ihm das Mönchskleid. Er sagte später, er habe in diesem Augenblick einen solchen Schmerz empfunden, als wenn man ihm die Haut vom Leibe gezogen hätte. Um das Unglück voll zu machen, hatte er einen Teil seiner weltichen Klei­der verloren. Hut, Strümpfe und Schuhe fehlten. Halbnackt ging er davon. Aus einem Stall in der Nähe stürzten Hunde heraus, sprangen ihn an und rissen die Lumpen, die ihm geblieben waren, in Fetzen. Hirten hielten ihn für einen Dieb und wollten sich auf ihn werfen. Einer von ihnen schütze ihn vor der Wut der andern, und er durfte weiterlaufen. Ein Reiter hielt vor ihm, stieß mit dem Säbel nach ihm und warf ihm vor, er sei ein Spion.

Joseph gelangt nach Vitrava, er wirft sich seinem Oheim zu Füßen, aber der jagt ihn hinaus und macht ihm die Schulden seines Vaters in Cupertino zum Vorwurf. Er liegt auf den Knien vor seiner Mutter, aber sie antwortet ihm: „Du hast dich aus einem heiligen Hause fortjagen lassen. Geh nun ins Ge­fängnis oder in die Verbannung, denn es bleibt dir sonst nichts übrig, als Hungers zu sterben.“ Endlich, nach langem Bemühen, wird Jo­seph im Kloster Grotella aufgenom­men und dort mit der Wartung einer Mauleselin betraut.

Joseph konnte kaum lesen und schreiben. Und doch wollte er Prie­ster werden! Niemals vermochte er eins der Evangelien des Jahres zu erklären, nur das eine ausgenom­men, das die Worte enthält: „Selig der Leib, der dich getragen hat.“ Joseph befand sich in der Prüfung für das Diakonat. Als der Bischof das Evangelienbuch öffnete, fiel sein Blick auf die Worte: „Selig der Leib, der dich getragen hat!“ So stellte er an Joseph die einzige Frage, auf die dieser antworten konnte, und Joseph antwortete. Er konnte ein Lächeln nicht unter­drücken, aber er gab eine vortreff­liche Erklärung des Evangeliums.

So blieb noch die letzte Prüfung, die für das Priesteramt. Bei dieser Gelegenheit erging es ihm noch sonderbarer. Alle Kandidaten, mit Ausnahme von Joseph, konnten ihre Aufgabe wie am Schnürchen. Die ersten Prüflinge bestanden so glänzend, daß der Bischof die Prü­fung schloß, bevor er alle Kandida­ten befragt hatte. Er hielt ein wei­teres Befragen für überflüssig und erklärte, alle Prüflinge hätten be­standen. Zu ihnen gehörte auch Joseph, der so ohne Prüfung zuge­lassen wurde. Man schrieb den 4. März 1628. Joseph war also Prie­ster trotz aller Widerstände der Menschen und der Dinge, trotz seiner bekannten, aber übersehe­nen Unfähigkeit.

Er kehrte in das Kloster Grotella zurück und verbrachte dort zwei schreckliche Jahre. Die körperli­chen Leiden, die er sich selbst auferlegte, wurden durch ein inne­res Elend, das in anderer Weise schrecklich war, verschlimmert. Die göttlichen Tröstungen, die ihn von Kindheit an aufrechterhalten hatten, waren einer trüben, düste­ren Dürre gewichen, die von Tag zu Tag zunahm. Er schrieb später an einen Freund: „Ich beklagte mich oft bei Gott über Gott. Für ihn hatte ich alles verlassen, und er, statt mich zu trösten, überlieferte mich einer tödlichen Herzensangst. Als ich eines Tages wieder einmal wein­te und seufzte – o wenn ich nur daran denke, ist es mir, als sollte ich sterben – klopfte ein Mönch an meine Tür. Ich antwortete nicht, und er trat ein. „Bruder Joseph“, sagte er, „was fehlt dir? Ich bin gekommen, um dir zu dienen. Sieh, hier ist ein Leibrock. Ich glaube, du hast keinen.“ Wirkich bestand mein Leibrock fast nur aus Fetzen. Ich zog den Rock an, den der Unbe­kannte gebracht hatte, und alle meine Verzweiflung war augen­blicklich geschwunden.“ Niemand kannte den Mönch, der den Leib­rock gebracht hatte.

Von diesem Augenblick an wur­de das Leben des heiligen Joseph eines der wunderbarsten, deren die Geschichte Erwähnung tut. Sein äußeres Leben wurde unruhig und eintönig zugleich. Um den Andrang der Menschen zu verhindern, die ihn sehen wollten, versetzte man ihn von einem Kloster ins andere, und man hielt ihn fast wie einen Gefangenen bis zu einer neuen Versetzung. Bei jeder Abreise sagte Joseph: „Ist dort Gott, wo ihr mich hinführt?“ Und wenn er eine beja­hende Antwort erhielt, so meinte er: „Dann ist’s gut.“ In seinem inneren Leben vereinigt er die ver­schiedensten und erhabensten Erscheinungen der Verzückung und des Wundertuns, und sie voll­ziehen sich in einer Natur und durch eine Natur, die dem Erhabe­nen entgegengesetzt zu sein scheint. Er wartete einen Maul­esel, er arbeitete wie ein Lasttier. Er konnte kaum lesen. Er nannte sich Bruder „Esel“, und zwar nicht aus falscher Demut, sondern weil seine Einfalt, seine Geduld, seine Gewöhnlichkeit, seine Gutmütig­keit, seine Unwissenheit, seine Ge­wohnheit, grobe Arbeit, die Arbeit eines Sklaven zu tun, weil seine Gewohnheit, Lasten zu tragen, zu gehorchen, nicht zu streiten, lang­sam, gesenkten Hauptes dahin zu gehen, weil dies alles ihm eine ge­wisse Ähnlichkeit mit einem Eselskopf gab. Vielleicht machte ein na­türlicher Eigensinn, der durch Ge­horsam bezwungen oder durch sein inneres Licht verklärt war, diese Ähnlichkeit noch größer.

Eines Tages befahl man ihm, eine Stelle aus dem Brevier zu erklären. Joseph öffente das Buch und fand einen Abschnitt über die heilige Katharina von Siena. Ein Satz lautete: Catharina, virgo senensis, ex Benincasii piis orta parentibus: Katharina, eine Jungfrau aus Sie­na, Tochter der Benincasa, ihrer frommen Eltern. Joseph las und ließ das Wort ex Benincasiis: der Benincasa aus. Man befahl ihm, noch einmal zu lesen. Gegen sei­nen Willen ließ er wieder dasselbe Wort aus. Man befiehlt ihm, ein drittes Mal zu lesen, hartnäckig läßt er wieder das gleiche Wort aus. Man befiehlt ihm, genauer hinzu­sehen. Aber er strengt vergeblich seine Augen an, er sieht das Wort nicht, das man ihm zu sehen be­fiehlt. Einige Zeit darauf strich die Ritenkongregation dies Wort.

Dieser Mann, der nichts wußte, nichts verstand, der mit anderen Menschen nicht umgehen, der nicht lernen konnte, der keine Geistesgegenwart besaß und ohne jeden Unterricht war, der es nicht vermochte, seine Unwissenheit zu verbergen, dieser Mann ging als Sieger aus allen Prüfungen, aus allen Verhören, aus allen Proben hervor, denen man ihn unterwarf.

Statt die Menschen in der Gestalt zu sehen, die sie in der Welt haben, in ihrer äußeren, sichtbaren Ge­stalt, sah der heilige Joseph sie oft in der Gestalt des Tieres, das ihrem Seelenzustand entsprach. Er nahm Gerüche wahr, die nur für ihn vorhanden waren, geistige Gerü­che gleichsam, die ihm indessen leiblich erschienen. Wenn Joseph einem Menschen begegnete, der ein schlechtes Gewissen hatte, so sagte er zu ihm: „Du riechst sehr schlecht, geh, wasch‘ dich.“ Wenn der Mensch dann gebeichtet hatte und die Beichte gut war, so spürte Joseph einen anderen Geruch. Seine vergeistigten Sinne waren Werkzeuge geworden, die die Welt der Geister mit der Welt der Körper verbanden. Er spürte körperlich, was nur moralisch vorhanden war. Seine Persönlichkeit war wie ein lebendiges Sinnbild, das die sicht­bare Welt mit einem deutlichen Widerschein aus der übersinnli­chen Welt erhellt.

Die Madonna von Grotella war der Ort, an dem er sein Herz gelas­sen hatte. Zu Füßen dieser Madon­na verbrachte dieser außergewöhn­liche Mann lange Stunden in tiefer Betrachtung. Die Betrachtung war in einem solchen Grade sein Leben selbst, daß er sich auch während der gröbsten Arbeit nicht von ihr frei machen konnte. Als er noch ein Kind war, zu einer Zeit also, da er nicht einmal das Wort Ekstase kannte, blieb er bisweilen, vom Geist ergriffen, in jener einfachen und zugleich überraschenden Haltung stehen, die ihm den Beinamen „der Mensch mit dem offe­nen Mund“ eintrug. Und wenn man an die Gewöhnlichkeit seiner Na­tur denkt, wenn man daran denkt, daß er ein Esel war, so ist man betroffen über diese unvermittelte Vereinigung von Gegensätzen, die einen der sonderbarsten und un­terscheidensten Züge der Werke Gottes darstellt. Die Werke Gottes haben den Charakter von Gegen­sätzen, die in der Einheit beschlos­sen sind. (…)

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