Internationaler Pandemievertrag: Ein globaler Automatismus wird installiert

G7-Außenministertreffen am 4. Mai 2021 in London (zweiter von links: Heiko Maas, rechts außen: US-Außenminister Antony Blinken) | Bild: Stefan Rousseau/PA Wire

Ein neuer Vertrag soll eine international verbindliche Vorgehensweise bei Gesundheitsnotständen vorschreiben. Parallel sollen Falschinformationen über Pandemien und Impfungen bekämpft werden. Worum geht es und was ist geplant?

ELKE SCHENK, 4. Juni 2021, 7 Kommentare

In ihrer Rede beim Davos-Dialog des World Economic Forum erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Januar:

“Wenn wir uns anschauen, was die Pandemie mit uns gemacht hat, ist mein Fazit, dass sie als Bestätigung all dessen gelten kann, was in den letzten Jahren immer den Geist von Davos ausgemacht hat. (…) Ich glaube aber, die Pandemie hat uns auch vor Augen geführt, dass jetzt eine Zeit des Handelns kommt, in der möglichst konzertiert, möglichst gemeinsam und möglichst nach gleichen und gemeinsam diskutierten Prinzipien agiert wird, in der eben etwas getan wird, um die Schwachstellen, die wir alle erlebt haben, möglichst zu überwinden.”

Inwieweit die Pandemie den “Geist von Davos” bestätigt, blieb kryptisch. Wie die erwähnte konzertierte Aktion aussehen soll, ist allerdings einem Ende März in der FAZ erschienenen prominenten Gastbeitrag zu entnehmen. Unter der Überschrift “Ein großer Vertrag zur Bekämpfung von Pandemien” fordern darin mehr als 20 Regierungschefs global verbindliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung – darunter Merkel sowie die Staatsoberhäupter Großbritanniens, Frankreichs, Spaniens, Norwegens, der Niederlande, Griechenlands, der Ukraine, Südkoreas, Chiles, Südafrikas und Indonesiens; außerdem der Präsident des Europäischen Rates und der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Vertrag ohne vorherige Aufarbeitung der Maßnahmen

Die Initiative erfolgt, bevor eine transparente politische und rechtliche Aufarbeitung der bisherigen Pandemiemaßnahmen hat stattfinden können, etwa:

  • zur Beeinflussung der Bevölkerung durch Angst, um Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen
  • zur Grundlage der ausgerufenen epidemischen Notlage und zur Rolle der PCR-Tests als vermeintlichem Nachweis von Infektionen,
  • zur Frage der Behandlungsempfehlungen (frühzeitige Intubation, keine Medikamente) sowie der Unterschlagung erfolgreicher Behandlungskonzepte, die die Todesrate unter den Erkrankten hätten senken können, wenn sie breit kommuniziert und durchgesetzt worden wären,
  • damit zusammenhängend zur Frage nach der Berechtigung der Notfallzulassung für die mRNA- und DNA-Präparate (Impfstoffe),
  • durch Ländervergleiche die grundsätzliche Frage zu beantworten, ob die beschlossenen sogenannten “nichtpharmazeutischen Interventionen”, insbesondere die Lockdowns, ein geeignetes Mittel der Infektionsbekämpfung sind,
  • zu den gesundheitlichen, existentiellen und wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns und damit zur Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe.

Mangel an „globaler politischer Führung“?

Das von der WHO-Generalversammlung im Mai 2020 eingesetzte unabhängige Gremium “Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response” wird in seinem Bericht diesen Anliegen nicht gerecht. Die oben angeführten Fragen werden nicht einmal gestellt; das, was eigentlich untersucht werden müsste, wird vorausgesetzt.

Die Vorbereitung auf eine Pandemie sei inkonsistent und unterfinanziert gewesen, das Frühwarnsystem habe zu langsam gewirkt. Es habe “globale politische Führung“ gefehlt. Im Augenblick habe Vorrang, die von Covid-19 verursachten Erkrankungen und Todesfälle zu beenden. Jedes betroffene Land solle systematisch nicht-pharmazeutische Maßnahmen ergreifen. Zu den Forderungen gehört, dass die reichen Länder bis zum 1. September eine Milliarde und bis Mitte 2022 zwei Milliarden Impfdosen für die ärmeren Länder finanzieren sollen.

Die Autoren des erwähnten Gastbeitrages in der FAZ teilen mit Bill Gates und einer Fülle von Pandemieszenarien die Annahme, dass Pandemien als wachsende globale Zukunftsgefahr zu sehen seien, auf die man sich vorbereiten müsse. Zu Beginn des Textes wird ein Vergleich mit der Lage nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen, den die Bundeskanzlerin schon im Frühjahr 2020 zur Begründung des ersten Lockdowns angestellt hatte:

“Die Covid-19-Pandemie stellt für die Weltgemeinschaft die größte Herausforderung seit den späten 1940er Jahren dar. Damals, nach den Verheerungen zweier Weltkriege, kamen führende Politiker zusammen, um den Grundstein für das multilaterale System zu legen. (…) Die Staaten sollten stärker gemeinsam agieren, die Versuchungen des Isolationismus und des Nationalismus sollten gebannt und die Herausforderungen angegangen werden, die nur gemeinsam im Geist der Solidarität und Zusammenarbeit zu bewältigen waren – Frieden, Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit.”

Hier wird auf die UNO-Charta als völkerrechtliche Grundlage angespielt. Analog zur UNO soll “eine robustere internationale Gesundheitsarchitektur” aufgebaut werden auf der Basis eines internationalen, völkerrechtlichen Vertrags zur Pandemievorsorge und -bekämpfung, der sich auf die sogenannten “Internationalen Gesundheitsvorschriften” der WHO stützt.

Durch gemeinsames Vorgehen soll erreicht werden “eng abgestimmt Pandemien besser vorherzusagen, zu vermeiden, zu erkennen und einzuschätzen sowie sie wirksam zu bekämpfen.” Die dazu erforderlichen Instrumente seien insbesondere Warnsysteme, die “gemeinsame Datennutzung”, Tests zur Diagnose sowie Immunisierung durch Impfstoffe. Es wird zwar auch von einem gerechten Zugang zu sicheren und preiswerten Medikamenten gesprochen, dieses Ziel wird aber nicht weiter verfolgt, im Gegensatz zur Betonung der Impfstoffentwicklung, da die Immunisierung durch Impfungen “ein globales öffentliches Gut” sei.

Im Zusammenhang der Vorbereitung auf die nächsten Pandemien beabsichtigt der geplante Vertrag “die Anerkennung eines ‘One Health’-Ansatzes (…), der die Gesundheit von Menschen, Tieren und des gesamten Planeten miteinander verknüpft.” Statt nationaler Alleingänge müsse eine stärkere Verbindlichkeit durch “mehr wechselseitige Rechenschaftspflicht und gemeinsame Verantwortung, Transparenz und Zusammenarbeit im internationalen System im Einklang mit seinen Regeln und Normen” eingeführt werden. Die Pandemievorsorge erfordere eine “globale Führung für ein weltweites Gesundheitssystem, das den Anforderungen dieses Jahrtausends gewachsen ist.” In die globale Führung einbezogen werden sollen demnach neben den Staatschefs “alle Interessenträger einschließlich der Zivilgesellschaft und des Privatsektors”.

Konzerne und Stiftungen einbinden

Die skizzierte Idee greift Forderungen von Pandemieszenarien auf, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden, einschließlich der Einbindung von Konzernen und Stiftungen in die “Pandemic Preparedness and Response” sowie die Erlösung durch Massenimpfungen.

Ein völkerrechtlicher Vertrag, der für die Behandlung einer Epidemie ein international abgestimmtes und verbindliches Vorgehen vorschreibt, wird einzelstaatliche Vorgehensweisen, die sich den WHO-Vorgaben – mit gegebenenfalls guten Gründen – widersetzen, behindern oder sogar verbieten. Die Ablehnung von Lockdowns wie in Schweden und einigen US-Bundesstaaten, von Massentests wie in Tansania oder auch die Weigerung eines flächendeckenden Impfstoffeinsatzes – nach schlechten Erfahrungen wie in Indien oder Kenia – könnte dann sanktioniert werden.

Die Vertragsskizze kreiert eine neue Dreifaltigkeit im Umgang mit Pandemien: Modellieren (Früherkennung und Vorhersage), Testen (Diagnose) und Impfen. Mit der Priorisierung von Impfstoffen gegenüber Medikamenten könnten der Einsatz preiswerter und bewährter Medikamente (wie Ivermectin), die Stärkung der Immunabwehr (etwa durch Vitamin D) oder bewährte Behandlungsmethoden durch erfahrene Ärzte (siehe die Interviews mit den Ärzten Dr. Voshaar und Dr. Thomas Ly) völkerrechtlich untersagt werden.

Jeder internationale Vertrag wirkt als ‘Beton’ – die Beschlüsse sind der Korrektur durch Wahlen entzogen. Umso wichtiger sind humane Ziele und eine demokratische Legitimation. Dem Vertrag wird jedoch eine Public-Private-Partnership zugrundegelegt: Entscheiden sollen Staats- und Regierungschefs zusammen mit Interessenträgern von Zivilgesellschaft und Privatsektor. Dass sich Konzerne und Lobbygruppen (Forschungsstellen, Firmen im Pharma-, Daten- und Technologiesektor) gerne an der globalen Führung in eigener Sache beteiligen wollen, ist verständlich. Dass aber Staats- und Regierungschefs, die formal zumindest in Demokratien dem Wahlbürger als Souverän verpflichtet sind, solches fordern, ist fragwürdig.

Die schon jetzt bestehende Verflechtung von nationalen Gesundheitsbehörden und internationalen Organisationen wie WHO oder EMA mit Interessenvertretern der Pharmaindustrie dürfte noch zunehmen und dem Einfluss dieser Lobbyisten Legitimität verleihen. Es seien nur zwei Beispiele angeführt. So ist die Karriere der Chefin der EU-Arzneimittelbehörde, Emer Cooke, typisch für den Drehtüreffekt zwischen pharmazeutischer Industrie, ihren Verbänden und staatlichen Regulierungsbehörden. Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung ist zweitgrößter Finanzier der WHO. Gleichzeitig ist die Stiftung unter anderem am Aktienkapital von Pharmafirmen beteiligt. Dazu schreibt Thomas Kruchem in einem SWR-Beitrag:

“Die Weltgesundheitsorganisation steckt in einem klassischen Interessenkonflikt, der sie in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt und der angesichts ihrer finanziellen Abhängigkeit von der Gates Stiftung kaum aufzulösen ist.”

Missbrauchsanfälliges System

Es mag einiges für den Nutzen eines abgestimmten Vorgehens in einer Pandemie sprechen. Allerdings ist es nach den politischen Erfahrungen mit der jetzigen Corona-Krise augenfällig, dass die Entwicklung von Warnsystemen, die Datennutzung und der Einsatz von Tests missbrauchsanfällig sind und es ermöglichen, eine Notlage auch zu konstruieren.

Im Tunnelblick auf ein Virus werden globale Hauptprobleme der Gesundheitsvorsorge wie die Ökonomisierung im Gesundheitssystem, fehlender Zugang zu Gesundheitsgrundversorgung, zu sauberem Wasser, Ernährungssouveränität oder Arbeitsplatz- und Existenzsicherheit als Grundvoraussetzungen für Gesundheit nicht als Probleme adressiert. Der propagierte “One-Health-Ansatz” reduziert sich auf die Vermeidung von Infektionsübertragungen zwischen Tier und Mensch.

Das Papier atmet hinter freundlichen Begriffen einen totalitären Geist. Alle Staaten müssen das Gleiche tun und sind für ihr Handeln rechenschaftspflichtig – der neu geschaffenen internationalen Organisation gegenüber, nicht dem demokratischen Souverän, der gar nicht erwähnt wird. Kernbegriffe der pazifistischen, sozialen, antikapitalistischen und ökologischen Bewegungen (Solidarität, Internationalismus, Frieden, Gerechtigkeit, globale öffentliche Güter, Fairness) werden übernommen, ihres ursprünglichen Sinns entleert und in den Dienst von Big Pharma und Big Data gestellt.

Eine Anlehnung an die UN-Charta – die das absolute Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen, die Grundsätze der territorialen Integrität und souveränen Gleichheit aller Mitglieder, soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie die Selbstbestimmung der Völker beinhaltet – ist angesichts eines solchen Ansatzes in hohem Maße fragwürdig. Staaten, die sich der “neuen kollektiven Verpflichtung” widersetzen, werden im emotionalisierten sprachlichen Kontext als unsolidarische Nationalisten und Isolationalisten markiert. Werden so demnächst neue Schurkenstaaten definiert?

Verbindliches Regelwerk zur gemeinsamen Lenkung

Das oben skizzierte Vertragsvorhaben setzt laut der Juristin Dr. Silvia Behrendt, die in Pandemierecht promoviert hat, eine Entwicklung fort, die seit SARS 2003 einsetzte und vor der sie im Februar 2021 im Corona-Ausschuss warnte. Die völkerrechtliche Grundlage zum Umgang mit Pandemien sind seit 2005 die “Internationalen Gesundheitsvorschriften” – auf englisch: “International Health Regulations”, abgekürzt IHR – der WHO.

Sie werden laut Behrendt in mehreren Schritten von Empfehlungen zu einem verbindlichen Regelwerk ausgebaut, an das sich die Staaten zu halten haben, ohne dass zuvor die Faktenlage des epidemischen Notstands zu prüfen ist. Es würden nur noch “Preparedness, Response, Enforcement” (“Bereitschaft, Reaktion, Durchsetzung”) gefordert. So seien die IHR zunächst “von einer einfachen Liste von Krankheiten auf ein vollkommen offenes (…) Konzept des öffentlichen Gesundheitsnotstandes” ausgeweitet worden, bei dem jeder Anfangsverdacht zur Ausrufung eines öffentlichen Gesundheitsnotstandes führen könne:

“Das ist dieser ‚Public Health Emergency of International Concern‘ (PHEIC). Und diese Global-Health-Security-Agenda hat sich zum Ziel gesetzt, die Staaten zu regulieren, hinsichtlich der Implementierung dieser internationalen Vorschriften.”

WHO-Revisionskomitee unter Leitung von Lothar Wieler

In einer Antwort der Bundesregierung vom März auf eine parlamentarische Anfrage der FDP, wird auf “einen umfassenden Prozess zur Aufarbeitung der Lehren aus der COVID-19-Pandemie” verwiesen, der bei der Weltgesundheitsversammlung im Mai 2020 angestoßen worden sei:

“Konkret zur Frage eines möglichen Anpassungsbedarfs der IGV (Internationalen Gesundheitsvorschriften, E.S.) wurde ein unabhängiges Gremium von der WHO eingesetzt, das so genannte ‘IHR Review Committee’ unter Vorsitz des Präsidenten des Robert Koch-Instituts.”

Der Bericht des WHO-Revisionskomitees unter Leitung von RKI-Chef Lothar Wieler wurde am 5. Mai 2021 vorgelegt. Darin wird unter anderem Folgendes gefordert:

  • ein Gesetzesrahmen für mehr “compliance” und “empowerment” bezogen auf “emergency preparedness and response” sowie eine zentrale Stelle, die für mehr Verantwortlichkeit der höchsten Regierungsstellen und gesamtstaatliche Verbindlichkeit in der Implementierung der IHR in nationale Gesetze sorgen soll (vgl. Punkt 143);
  • ein Frühwarnsystem für Ereignisse, die das Risiko einer grenzüberschreitenden Ausbreitung bergen, um unverzüglich zu reagieren, auch wenn das WHO-Notfallkomitee noch keine Entscheidung getroffen hat (vgl. Punkt 144 und 146);
  • einen frühzeitigen Austausch von genetischen Informationen und Proben bei bedenklichen Erregern (vgl. Punkt 148);
  • mehr Rechte für die WHO, falls Staaten mit einem epidemischen Ereignis die von der WHO angebotene technische Unterstützung ablehnen. Diese Staaten sollen sich in diesem Fall für ihre Weigerung rechtfertigen müssen. Die WHO soll dann durch Veröffentlichung der Risiken Druck ausüben (vgl. Punkt 145);
  • ein globales Abkommen zur Vorbereitung und Reaktion auf Pandemien (“global convention for pandemic preparedness and response”) (Punkt 148). Die Welt müsste vorbereitet werden, um auf den nächsten “öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationaler Bedeutung” (PHEIC) besser reagieren zu können. Dringendes Handeln sei erforderlich und nicht jahrelange Verhandlungen (vgl. Punkt 151).
  • Digitale Technologien könnten die erwähnten Notwendigkeiten unterstützen. Genannt wird gezielte Datensuche (“data mining”), um Krankheitsausbrüche frühzeitig zu erkennen, sowie molekulare Werkzeuge der nächsten Generation, um Krankheitserreger, ihren Ursprung und ihre Verbreitung aufzuspüren (vgl. Punkt 149).

In seiner Eröffnungsrede zur diesjährigen WHO-Generalversammlung am 24. Mai verlangte WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus, als Konsequenz aus der Corona-Pandemie müssten die Überwachung und das Testen ausgeweitet, Falschinformationen bekämpft, nationale Impfstrategien implementiert und die Impfungen vor allem in Entwicklungsländern als Akt der Solidarität ausgeweitet werden. Außerdem forderte er eine verbindliche internationale Vereinbarung zur Vorbereitung auf die nächste Pandemie auf der Basis der Internationalen Gesundheitsvorschriften. Dies sei ein Zeichen von Solidarität, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit.

Den Unterschied zur bisherigen Bedeutung der IHR (deutsch: IGV) beschreibt die Bundesregierung so:

“Die IGV sind zwar der einzig völkerrechtlich verbindliche Rahmen hinsichtlich der globalen Abstimmung der Reaktion auf eine Pandemie, sie greifen aber nicht dergestalt in die Souveränität der Vertragsparteien ein, dass neben dem von den IGV abgedeckten Regelungsbereich nicht noch einzelstaatliche Maßnahmen getroffen werden könnten.”

Hier wird erkennbar, dass die souveräne Antwort eines Staates auf einen gesundheitlichen Notstand in Zukunft eingeschränkt werden könnte, falls ein solches verbindliches Vertragswerk ausreichende Unterstützung findet.

”Verwirrte Bürger” aufklären – und überwachen

Neben Bemühungen um eine stärkere Verbindlichkeit der IHR starten zunehmend Initiativen zur Kontrolle der öffentlichen Meinung, insbesondere bezogen auf Falschinformationen zu Pandemien und Impfungen, sowie zur Ausweitung von Überwachung durch Informationstechnologie im Zusammenhang mit Gesundheitsfragen.

Im Mai fand die vierte virtuelle WHO-Konferenz zum “Infodemie-Management” statt, nachdem im vergangenen Jahr bereits drei durchgeführt worden waren. In der Veranstaltungsankündigung wird als Ziel formuliert, mittels “digital social listening for public health” zu erfahren, was in den sozialen Medien während Gesundheitsnotständen kommuniziert werde, um darauf effektiver und zielgenauer reagieren zu können.

Es sollen Bürger erreicht werden, die gegenüber den Corona-Maßnahmen – einschließlich der Impfung, die explizit genannt wird – “unentschlossen oder verwirrt” seien. Per Überwachung der sozialen Medien sollen die wichtigsten Meinungsführer und ihre Netzwerke ermittelt werden. Wichtig sei eine frühzeitige Intervention, um die Verbreitung von glaubwürdigen Gesundheitsinformationen zu gewährleisten.

Außerdem wurde im Mai von der WHO, unterstützt von der deutschen Bundesregierung, in Berlin eine globale Plattform zum Sammeln und Austausch von Pandemie- und Epidemie-Daten gestartet – ein globaler Pandemie-Nachrichtendienst, in dem Partner aus aller Welt zusammenarbeiten sollen. Ziel soll es sein, globale Gesundheitsbedrohungen vorherzusagen, früh zu erkennen und sich auf ihre Bekämpfung vorzubereiten.

In der WHO-Pressemeldung tauchen die gleichen Begriffe auf, wie in dem geplanten Vertragswerk. Mit Informationstechnik (Daten sammeln, verknüpfen, austauschen, künstliche Intelligenz) und neuen Instrumenten sollen Vorhersagemodelle zur Risikoanalyse entwickelt werden. Außerdem will man überwachen, inwieweit die Bevölkerung sich an die verordneten Einschränkungen hält (“community acceptance”). Hinzu kommt die Überwachung von “Infodemics”, also jener Informationsquellen und Medien, die den Regierungsaussagen oder den Modellannahmen widersprechen.

Wie der geplante WHO-Pandemie-Vertrag, so soll auch der “global hub for pandemic and epidemic intelligence” der WHO als Public-Private-Partnership geführt werden, als Zusammenarbeit von Regierungen, Wissenschaft und Privatwirtschaft. Die Plattform wird Teil des WHO-Programms für Gesundheitsnotstände.

In den Ausbau der Datenerfassung und -nutzung gehören auch einige Vorstöße auf EU-Ebene: Laut Plänen der EU-Kommission soll ein “europäischer Raum für Gesundheitsdaten” zum “Baustein der Europäischen Gesundheitsunion” werden.

“Belauschen sozialer Medien und Biosensoren”

Der Journalist Norbert Häring weist außerdem auf das europäische Programm STAMINA hin, das durch “Belauschen sozialer Medien und Biosensoren” das “Pandemiemanagement verbessern” soll. Das Programm wurde im September 2020 von 37 internationalen Organisationen aufgelegt und ist für zwei Jahre geplant. Neben der Auswertung von Internet- und sozialen Medien sollen als Biosensoren fungierende tragbare Geräte (wearables) genutzt werden, um Informationen über die physische und psychische Gesundheit zu erhalten.

Die beteiligten Organisationen interessiert insbesondere die Einstellung der Bevölkerung gegenüber öffentlichen Institutionen, Impfstoffen und den Pandemiemaßnahmen, um daran angepasst PR-Kampagnen ausrichten zu können. Darüber hinaus sollen die zu entwickelnden Tools und die auf einer gemeinsamen Plattform gesammelten Daten als Frühwarnsystem für Pandemien dienen. Die nationalen Antworten auf eine epidemische Lage sollen damit international angeglichen werden.

Ausblick

Das abstrakte Konstrukt der “public health” wird zum Ziel erklärt, wohingegen “personal health” zurückzustehen hat. Entscheidungen über den Umgang mit Gesundheit und Krankheit werden vom einzelnen Menschen oder einer Community weitgehend auf die internationale (EU/WHO) Ebene und ein undurchsichtiges Geflecht von Organisationen und Zuständigkeiten verlagert.

Nicht allein tatsächliche Erkrankungen, sondern ein Mix aus Datenanalyse, Computermodellen, künstlicher Intelligenz und Testergebnissen sollen die Risikobewertung begründen und entscheiden damit in Zukunft über einen Gesundheitsnotstand und ein autoritäres, weltweites Maßnahmenregime. Es ist zu befürchten, dass ein unkontrollierbarer Automatismus abläuft, wenn einmal ein Daten-Alarm ausgelöst worden ist.

Dr. Behrendt weist auf die Gefahr hin, dass allein die Erklärung eines epidemischen Notfalls, also ein formales Ereignis ohne notwendigen Bezug zu realer Evidenz, die “nichtpharmazeutischen Interventionen” – wie Lockdowns – auslösen kann. Der Bericht des IHR-Komitees an den WHO-Generalsekretär vom April 2021 (https://www.who.int/news/item/19-04-2021-statement-on-the-seventh-meeting-of-the-international-health-regulations-(2005)-emergency-committee-regarding-the-coronavirus-disease-(covid-19)-pandemic) bietet dafür Anschauungsmaterial. Es wird behauptet, Covid-19 sei weiterhin ein internationaler Gesundheitsnotstand, ohne dabei ein quantitatives Kriterium zu nennen:

“Das Komittee ist einstimmig übereingekommen, dass die Covid-19-Pandemie nach wie vor ein außerordentliches Ereignis darstellt, das weiterhin die Gesundheit von Bevölkerungen auf der ganzen Welt schädigt, das Risiko einer internationalen Ausbreitung und eine Beeinträchtigung des internationalen Verkehrs in sich birgt und daher eine koordinierte internationale Antwort verlangt. Daher schlussfolgert das Komitee, dass die Covid-19-Pandemie nach wie vor einen öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationaler Bedeutung darstellt.”

Sollten die dargestellten Vertragspläne realisiert werden, würden Entscheidungen über den Umgang einer Gesellschaft mit Erkrankungen, Vorbeugung und Epidemien – und das kann jede Grippewelle sein – in vielfacher Weise dem demokratischen Prozess entzogen: durch den Einsatz digitaler und molekularbiologischer Werkzeuge, durch den Beton eines kaum noch angreifbaren internationalen, verbindlichen Vertrags, durch die Zulassung nichtgewählter und nicht demokratisch unkontrollierbarer Organisationen und Stiftungen in globale Entscheidungsgremien. Dieser Prozess findet auf WHO-Ebene seit Jahren statt, ohne dass jemals über dieses “Partizipationsmodell” öffentlich und demokratisch abgestimmt worden wäre. Die betroffenen Menschen werden als zu kontrollierende Objekte der Maßnahmen betrachtet, von denen bedingungslose Zustimmung verlangt wird.

Gesundheitsnotstand als Hebel zur Überwachung

Der Hebel eines drohenden öffentlichen Gesundheitsnotstandes wird somit verwendet, um Bevölkerungen zu überwachen und zu kontrollieren. Die Überwachung muss nach dieser Logik permanent stattfinden, da man sonst nicht frühzeitig erkennen kann, wann ein Gesundheitsnotstand droht. Das Modell des vorbeugenden Kriegs im Kampf gegen den Terror wird übertragen auf den Kampf gegen echte oder vermeintlich gefährliche Erreger. Jeder Mensch gilt als potentieller Gefährder, solange er nicht seine Unbedenklichkeit nachgewiesen hat.

Das permanente, aufdringliche Beharren allein auf der Impfung zur Beendigung einer Pandemie macht misstrauisch. Es nährt den Verdacht von weiterreichenden Zielen, wenn der Großteil der Menschen erst an eine wiederholte Impfung mit den neuartigen experimentellen Genpräparaten gewöhnt ist.

Einem Resolutionsentwurf vom 25. Mai, eingebracht von mehr als 30 Staaten, ist zu entnehmen, dass die WHO-Generalversammlung den angedachten internationalen Pandemievertrag auf einer Sondersitzung im November 2021 berät. Auch in den Medien wurde dieser Termin zuletzt genannt. Eine Arbeitsgruppe soll in der Zwischenzeit die Grundlinien dazu entwickeln. Diese Frist würde es ermöglichen, eine öffentliche Debatte über Voraussetzungen, Inhalte, Ziele und Mechanismen eines solchen Vertragswerks zu führen.

Über die Autorin: Elke Schenk, Jahrgang 1960, studierte Sozialwissenschaften und Germanistik und arbeitet als Lehrerin an einem Berufsschulzentrum. Seit fast zwei Jahrzehnten ist sie ehrenamtlich in globalisierungskritischen Initiativen engagiert. Themen ihrer Veröffentlichungen und Vorträge sind unter anderem EU-Verträge, EU-Erweiterung, Eurokrise und geopolitische Entwicklungen.