Assistierter Suizid in Österreich künftig straffrei?

Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von 2020 ist „ähnlicher Dammbruch in Fragen des Lebensschutzes wie bei Einführung der sog. ‚Fristenregelung‘ in Bezug auf straffreie Abtreibung“ – Gastbeitrag: Stellungnahme von Josef Spindelböck

St. Pölten (kath.net) Ein ähnlicher Dammbruch in Fragen des Lebensschutzes wie bei der Einführung der sog. „Fristenregelung“ in Bezug auf die straffreie Abtreibung des ungeborenen Kindes in den ersten drei Monaten nach der Empfängnis ereignete sich mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2020, wonach die bisher in jedem Fall ausgeschlossene Beihilfe zum Suizid künftig unter bestimmten Bedingungen straffrei zu stellen sei. Vor wenigen Tagen wurde eine Gesetzesvorlage präsentiert, wodurch das ab 1. Jänner 2022 in restriktiver Form ermöglicht werden soll. Auch wenn beteuert wird, dass dies nur wenige Menschen betreffen wird, die in freier Entscheidung davon Gebrauch machen wollen, so ist damit doch eine weitere Abkehr vom unbedingten Schutz des Lebens der menschlichen Person vollzogen.

Das Sterben ist der Übergang vom Leben zum physischen Tod. Es handelt sich um einen Prozess innerhalb des Lebens; das Sterben gehört zum Leben. Ebenso wenig wie der Mensch über sein Leben und das Leben anderer verfügen kann, sondern es in seiner Würde unbedingt anerkennen soll, kann er über das Sterben einfachhin verfügen. Insofern ist der Titel des neuen „Sterbeverfügungsgesetzes“ (analog zur bereits möglichen „Patientenverfügung“) irreführend.

Wird durch ein staatliches Gesetz die Mitwirkung beim Suizid unter bestimmten Umständen straffrei gestellt oder gar für rechtens erklärt, ändert dies nichts an der grundlegenden moralischen Bewertung. Es muss jedoch im Rahmen des Möglichen Sorge getragen werden für eine Schadensbegrenzung der negativen Folgen eines in sich ungerechten Gesetzes. Die restriktiven Regeln in der Vorlage zum neuen „Sterbeverfügungsgesetz“ sind also in dieser Hinsicht zu begrüßen.

Klare Grenzen müssen gezogen werden, denn der Mensch ist nicht Herr über Leben und Tod. Das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ gilt für jede Frau und jeden Mann. Es schützt das unschuldige menschliche Leben. D.h. außer in der Notwehr und in einem Verteidigungskrieg ist es nicht erlaubt, einen Menschen in direkter Weise, d.h. mit Absicht zu töten. Auch das eigene Leben darf sich der Mensch nicht nehmen.

Bei einem Menschen, der eine schwere und unheilbare Krankheit hat, ja sich vielleicht sogar schon im Sterbeprozess befindet, ist es freilich nicht nötig und geboten, außerordentliche Mittel einzusetzen, um das Leben zu erhalten bzw. zu retten. Was konkret ein ordentliches und außerordentliches Mittel ist, hängt ab von der Verfügbarkeit medizinischer Maßnahmen, Medikamente und Therapien, vom medizinischen Standard, der in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen sowie in ärztlichen Praxen üblich ist, und damit von der Entwicklung der Medizin als solcher sowie wesentlich auch von der individuellen physischen und psychischen Verfasstheit des Patienten. Es ist wichtig, das natürliche Lebensende eines Menschen zu respektieren und diesem Menschen einen von Hoffnung und Beistand getragenen Weg zu eröffnen, aus diesem Leben zu scheiden.

Der assistierte Suizid ist jedoch eine Beihilfe zur Selbsttötung, bei welcher ein Mensch in voller Kenntnis und Freiheit dessen, was er bewirkt, einem andern die zum Suizid nötigen Mittel bereit stellt bzw. dazu die nötigen Voraussetzungen schafft. Die klassische Ethik und Moraltheologie lehnt ein solches Handeln ab, da es sich um eine formelle und nicht bloß materielle Mitwirkung am Bösen handelt. Wer hier assistiert, macht sich das Tun des anderen innerlich zu eigen und stimmt ihm ausdrücklich zu.
Wichtig und begrüßenswert ist der angekündigte Ausbau der Palliativmedizin. Zu achten wird im konkreten Vollzug eines „Sterbeverfügungsgesetzes“ darauf sein, inwieweit die Angebote der palliativen Betreuung als echte Alternativen zur Umsetzung kommen und es sich nicht um eine bloße Ermöglichung und Rechtfertigung einer in Wirklichkeit längst intendierten Assistenz beim Suizid handelt, welche die Betreuer und Ärzte gegen ihre Absicht zu Komplizen in einem Gesamtvorgang macht, der das Ethos des Lebens radikal in Frage stellt und einer Kultur des Todes dient.

Unverzichtbar ist die in der Gesetzesvorlage enthaltene Anerkennung des Gewissensvorbehalts auf persönlicher und institutioneller Ebene. Niemand darf dazu gedrängt werden, an einem assistierten Suizid mitzuwirken. Eine Weigerung dies zu tun darf für Angehörige der ärztlichen und pflegerischen Berufe keinen Nachteil mit sich bringen. Ärzte und Pflegende haben einen Auftrag der Lebenserhaltung und zugleich der Förderung der Lebensqualität, nie jedoch einen Tötungsauftrag. Es darf keine Komplizenschaft im Hinblick auf die Durchführung einer in sich schlechten Handlung geben. Wie sich dies im Einzelnen auswirken wird, wenn zum Beispiel in einem von der Caritas getragenen Pflegeheim eine Person auf ihrem vermeintlichen Recht beharrt, aus freiem Entscheid durch Selbsttötung aus dem Leben zu scheiden, welche mit der Assistenz einer anderen Person verbunden ist, wird sich erst im praktischen Vollzug des Gesetzes und in allfälligen rechtlichen Einsprüchen und Anfechtungen dieser gesetzlichen Regelung zeigen.

Wenn im Gesetzesentwurf eine verpflichtende ärztliche Aufklärung (mit Wartefrist) vorgesehen ist, so wird diese zwar im Sinne der Anerkennung der Entscheidungsfreiheit der suizidwilligen Person „ergebnisoffen“ sein müssen. Dies heißt jedoch nicht, die Beratung könne oder solle „wertfrei“ sein. Eine ganzheitlich zu verstehende Beratung darf den Menschen in keiner Dimension seiner Existenz ausblenden und wird in diesem Sinne Ermutigung zum Leben sein. Leider ist zu erwarten, dass bestimmte Ideologen einer aktiven Sterbehilfe dagegen Einspruch erheben und der Präferenz für das Leben keinen Stellenwert zugestehen wollen. Im ersten Fall (Beratung für das Leben, aber die Letztentscheidung der betroffenen Person respektierend) ist Platz auch für Ärzte, welche sich dem Prinzip „Helfen statt töten“ verpflichtet wissen (was zum Grundbestand des ärztlichen Ethos gehört). Im zweiten Fall (sogenannte wertfreie Beratung) kann die Mitwirkung für eine Ärztin oder einen Arzt, welche sich ihrem Standesethos verpflichtet wissen, zu einem Gewissensproblem werden.

Eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament kann die immer noch verbotene Tötung auf Verlangen verfassungsmäßig absichern, sodass wenigstens diese nicht durch ein neuerliches Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes außer Kraft gesetzt wird. Wenn dafür kein Konsens zustande kommt, müssen sich die Parteien die Frage gefallen lassen, wie ernst es ihnen mit dem Lebensschutz trotz aller Verbalbeteuerungen wirklich ist!

Prof. Dr. theol. habil. Josef Spindelböck ist ordentlicher Professor für Moraltheologie und Dozent für Ethik an der Philosophisch Theologischen Hochschule der Diözese St. Pölten sowie außerordentlicher Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der Katholischen Hochschule ITI in Trumau. Er ist Mitglied der Niederösterreichischen Ethikkommission.

DAS EVANGELIUM VON DER FAMILIE

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Josef Spindelböck

Das Evangelium von der Familie

  1. Sonntag der Osterzeit C (10.04.2016)

L1: Apg 5,27b-32.40b-41; L2: Offb 5,11–14; Ev: Joh 21,1–19

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Im Evangelium dieses dritten Sonntags der Osterzeit fragt der auferstandene Herr Jesus Christus den Apostel Petrus dreimal: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?“ Die Antwort des Petrus lautet zweimal: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“  Darauf folgt jeweils die Aufforderung Jesu an ihn: „Weide meine Lämmer!“ bzw. „Weide meine Schafe!“ Die Antwort des Petrus ist beim dritten Mal nicht mehr so selbstbewusst wie die ersten beiden Male. Wahrscheinlich hat er sich in diesem Moment daran erinnert, dass er Jesus dreimal verleugnet hat. Nun weiß er: Ja, er liebt den Herrn und möchte ihm treu sein. Doch zugleich ist er sich der eigenen Schwäche bewusst. Inmitten dieser eigenen Armseligkeit und Gebrechlichkeit vertraut er sich ganz der göttlichen Gnade an! Deshalb antwortet er beim dritten Mal: „Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebhabe.“ Und auch diesmal fordert ihn Jesus auf: „Weide meine Schafe!“

Die Kirche bezieht diese Stelle aus dem Johannes-Evangelium auf die Einsetzung des Petrusamtes durch Jesus. Der jeweilige Bischof von Rom gilt als Nachfolger des Petrus und sichtbarer Stellvertreter Jesu Christi auf Erden. In der Person des Apostels Petrus wurde dem Papst das Amt der Leitung, der Heiligung und der Lehre für die ganze Kirche übertragen. Unser gegenwärtiger Heiliger Vater Papst Franziskus übt diesen Dienst nunmehr schon drei Jahre lang aus, und mit dem Datum vom 19. März 2016 hat er uns nun ein nachsynodales Apostolisches Schreiben mit dem Titel „Amoris laetitia“ vorgelegt, das von der Liebe in der Familie handelt.

Das 188-seitige Schreiben lässt sich nicht mit wenigen Worten zusammenfassen. Doch so viel kann gesagt werden: Die Kirche schätzt Ehe und Familie und erkennt darin ihren eigenen Ursprung, da Ehe und Familie dem Plan Gottes für die Menschen entsprechen. Die Heilige Schrift zeigt an vielen Stellen die Berufung des Menschen als Mann und Frau zur Liebe auf. Die Frau und der Mann sind füreinander geschaffen und in Liebe füreinander bestimmt. In der Einheit der Liebe und des Lebens sollen sie einander Beistand im Leben leisten, großherzig Kindern das Leben schenken und ihren Auftrag in der Welt erfüllen, um so einst ins himmlische Vaterhaus einzugehen.

Ausdrücklich spricht der Papst davon, „dass nur die ausschließliche und unauflösliche Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau eine vollkommene gesellschaftliche Funktion erfüllt, weil sie eine beständige Verpflichtung ist und die Fruchtbarkeit ermöglicht.“ Es geht darum, „die Ehen zu stärken, ihnen bei der Überwindung der Gefahren zu helfen, die sie bedrohen, sie in ihrer Erziehungsrolle zu begleiten und zur Beständigkeit der ehelichen Einheit zu motivieren“ (Nr. 52).

Mit einem „Blick, der Glaube und Liebe, Gnade und Engagement, menschliche Familie und göttliche Dreieinigkeit umfängt“, betrachtet die Kirche „die Familie, die das Wort Gottes den Händen des Mannes, der Frau und der Kinder anvertraut, damit sie eine Gemeinschaft von Menschen bilden, die ein Abbild der Einheit zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist ist. Die Tätigkeit von Zeugung und Erziehung ist ihrerseits ein Widerschein des Schöpfungswerkes des Vaters. Die Familie ist berufen, das tägliche Gebet, die Lektüre des Wortes Gottes und die eucharistische Kommunion miteinander zu teilen, um die Liebe wachsen zu lassen und sich immer mehr in einen Tempel zu verwandeln, in dem der Heilige Geist wohnt.“ (Nr. 29)

Die Besonderheit dieses Schreibens liegt darin, dass es darin nicht um abstrakte Theorie, sondern um das konkrete Leben geht. Auf diese Weise führt Papst Franziskus auf seine Weise das Lehramt jener Päpste fort, die seit dem 2. Vatikanischen Konzil die Lehre der Kirche über Ehe und Familie in ihren Idealen und Werten zum Leuchten gebracht haben.

Besonders wichtig ist dem gegenwärtigen Papst die Zuwendung zu allen Familien in Bedrängnis und zu allen Menschen, die irgendwie gescheitert sind. Ihnen besonders gilt das Angebot der Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Niemand soll meinen, er sei vom Heil ausgeschlossen, wenn er versagt hat. Gottes Liebe eröffnet einen Weg der Umkehr, und hier sind alle Mitglieder der Kirche aufgerufen, solche Menschen in guter Weise zu begleiten.

Jesus Christus hat uns ein Beispiel gegeben, wie wichtig es ist, das Evangelium von der Liebe Gottes und der Berufung eines jedes Menschen in seiner ganzen Fülle zu verkünden, und er hat uns gezeigt, wie sehr Gott der Herr dennoch jene Menschen liebt, die versagt haben, aber mit der Gnade Gottes umkehren wollen. So gesehen stellt das neue Papstschreiben eine große Ermutigung für uns alle dar, die Werte der Ehe und Familie neu zu entdecken und zu leben.

Als Abschluss seines Schreibens stellt Papst Franziskus ein Gebet zur Heiligen Familie vor, das folgendermaßen lautet:

Jesus, Maria und Josef,
in euch betrachten wir den Glanz der wahren Liebe,
an euch wenden wir uns voll Vertrauen.

Heilige Familie von Nazareth,
mache auch unsere Familien zu Orten innigen Miteinanders
und zu Gemeinschaften des Gebetes,
zu echten Schulen des Evangeliums
und zu kleinen Hauskirchen.

Heilige Familie von Nazareth,
nie mehr gebe es in unseren Familien Gewalt, Halsstarrigkeit und Spaltung;
wer Verletzung erfahren oder Anstoß nehmen musste,
finde bald Trost und Heilung.

Heilige Familie von Nazareth,
lass allen bewusst werden, wie heilig und unantastbar die Familie ist
und welche Schönheit sie besitzt im Plan Gottes.

Jesus, Maria und Josef,
hört und erhört unser Flehen.

Amen.

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Quelle