Ferdinand Holböck: „Wir haben den Messias gefunden!“ (Joh. 1, 41)

4. Augustin Maria Hermann Cohen († 20. Januar 1871)

Hermann Cohen, der spätere berühmte Prediger aus dem Karmeliterorden P. Augustin Maria, wurde in der Hansestadt Hamburg am 10. November 1821 als Sohn des jüdischen Kauf­manns David Abraham Cohen und der Rosalia, geb. Benjamin, geboren.

Der kleine Hermann Cohen war nicht bloß überaus musik­begabt, sondern auch sehr aufnahmefähig für das Religiöse, das ihn im Gottesdienst der Synagoge unwillkürlich ansprach. In der Rückerinnerung schrieb er später: »Wenn ich den Rabbiner die Stufen des Heiligtums hinaufsteigen, den Vorhang wegziehen und die Tür zum Thora-Schrein öffnen sah, war ich in feierlicher Erwar­tung… Die Leviten zogen eine große, mit hebräischen Buchstaben übersäte, mit einer königlichen Krone geschmückte Pergament­rolle hervor. Man trug sie auf ein Pult, faltete sie auseinander und las die heiligen Schriftstellen vor…« Der kleine Hermann begriff nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Niemand beantwortete ihm seine vielen Fragen. Wie um sich zu entschädigen, lud er manchmal seine kleine Schwester ein, mit ihm zu beten. Dann sangen sie Lieder und Psalmen und riefen — in Nachahmung der Großen — den Gott Israels an.1)

Mit zunehmendem Alter ließ Hermann die tief veranlagte religiöse Struktur seines Wesens mehr und mehr unbeachtet, unbe­wußt vielleicht, um die Distanz zwischen ihm, dem Juden, und seinen christlichen Mitschülern in dem von protestantischen Lehrern und Erziehern geleiteten Kollegium in Hamburg nicht allzu stark zu spüren. Denn er hatte wegen seiner Abstammung und Religion schon manchen Spott zu erleiden.

Bereits mit viereinhalb Jahren hatte er seine Eltern bestürmt, ihn wie seinen älteren Bruder Albert das Klavierspiel erlernen zu lassen, worin er bald glänzende Fortschritte machte. Bereits mit zwölf Jahren gab er ein erstes öffentliches Konzert. Der Erfolg war durchschlagend. Das »Wunderkind« wurde bald von einer Adels­familie zur anderen weitergereicht und mit Schmeicheleien über­häuft, die seine Eitelkeit und seinen Ehrgeiz immer mehr ent­flammten. Die Mutter war auf ihren Liebling stolz und vergaß bei seiner Erziehung auf alle gesunden Grundsätze, was sich dann charakterlich am jungen Hermann Cohen sehr negativ auswirkte.

Als der reiche Kaufmann David Abraham Cohen durch harte Schicksalsschläge verarmte, verließ ihn seine Gemahlin und ging mit ihren Kindern nach Paris. Am 5. Juli 1834 dort angekommen, konnte Hermann Cohen unter der Leitung des berühmten Pia­nisten und Komponisten Franz Liszt († 1886) seine musikalische Fertigkeit ganz stark vervollkommnen. Bald wurde das »Wunder­kind« der Liebling der Pariser Salons.

Durch Franz Liszt kam Hermann Cohen in Verbindung mit anderen berühmten Personen, u. a. auch mit der Schriftstellerin Dudevant, bekannter unter dem Namen George Sand († 1876), die im Sinn heutiger emanzipierter Frauen ihr unleugbar großes Talent dazu benützte, um in ihren Romanen allen Grundsätzen der Sitt­lichkeit und des christlichen Glaubens den Krieg zu erklären.

Hermann Cohen verschlang die Romane dieser Frau. Das Gift, das er aus ihnen in sich aufnahm, verfehlte nicht seine Wirkung. »Die Nattern unreiner Begierden erhoben sich über meinem Haup­te.« So gestand er später.

Durch seine Konzerte und durch Erteilung von Musikunterricht verdiente Hermann Cohen viel Geld und erlangte so die Mittel, um allen Launen und Begierden in Paris, mehrere Monate lang in Genf (1834/35) und dann wieder in Paris nachgeben zu können. Hermann Cohen geriet zuletzt in Paris in einen Kreis von Künstlern, die ihn zu jeglicher Ausschweifung verleiteten. Es erfaßte ihn überdies noch die Spielsucht. Ganze Nächte verbrachte er in den Spielhöhlen von Paris. Dazu kamen unruhevolle Reisen nach Hamburg, nach England, nach Italien und immer wieder zurück nach Paris.

Wie es damals in seinem Inneren aussah, hat er später selbst in einem Brief an den wunderbar bekehrten Juden P. Alphons Maria Ratisbonne in folgender Weise berichtet: »Nachdem ich ganz Deutschland durchzogen und das Geld, das ich gewonnen, ebenso schnell wieder verschwendet hatte, kehrte ich nach Paris zurück und nahm bald wieder eine glänzende Stellung ein. Alles gelang mir mit unglaublichem Erfolg und ich wurde der Liebling und das Schoßkind des Publikums. Was das Glück Reizendes und die Welt Verführerisches an sich hat, bemächtigte sich meines Geistes; so lebte ich in den Tag hinein. So viel Schönes und Bewundernswertes eine solche Lebensweise in den Augen vieler haben mag, mich befriedigte sie nicht. Ich fühlte vielmehr eine ständige Unruhe. An einem Freitag im Monat Mai des Jahres 1847 ließ mich der Fürst Ney von Moskowa bitten, für ihn die Leitung eines Chores von Dilettanten in der Pariser Kirche Saint‘ Valére bei einem katho­lischen Gottesdienst zu übernehmen. Ich tat es. Im Augenblick, als der Segen gegeben wurde, fühlte ich zum ersten Mal eine sehr leb­hafte, aber unbeschreibliche Erregung in meiner Seele. Am darauf­folgenden Freitag hatte ich bei dem gleichen Anlaß dieselbe Empfindung, nur noch viel stärker, und ich fühlte, wie eine schwere Last meinen ganzen Körper niederdrückte und mich nötigte, mich zu verneigen und mich gegen meinen Willen zur Erde zu beugen.«2)

Die Unruhe, die sich von da an mit bisher nie empfundener Gewalt seiner bemächtigte, trieb ihn an, seinen Widerwillen zu überwinden und den Beschluß zu fassen, sich über seinen seelischen Zustand mit einem katholischen Priester auszusprechen. Gleich­wohl konnte er sich damals noch nicht seiner bisher gewohnten Lebensweise entziehen; lärmende Vergnügungen, Feste aller Art, die Kontakte mit George Sand und mit Franz Liszt in den zusam­men mit diesem veranstalteten Konzerten übten noch immer ihren verderblichen Einfluß auf ihn aus.

Da endlich wandte er sich an den Priester Abbé Legrand. Diesem teilte er mit, was sich mit ihm zugetragen hatte. Am Ende der Aus­sprache gab ihm der Priester ein Lehrbuch der katholischen Religion, die »Darlegungen der christlichen Lehre« von Lhomond.

Durch die Lektüre dieses Buches kam Hermann Cohen auf den Gedanken, sonntags der hl. Messe beizuwohnen. Er führte diesen Vorsatz aus, auch am Sonntag, 8. August 1847, an dem er wegen eines Konzerts nach Ems in Deutschland reisen mußte.

Was da nun passierte, berichtete er wieder P. Alphons Maria Ratisbonne in folgender Weise: »Ich begab mich zur Messe. Da fesselten wie bisher schon immer die Zeremonien des Meßopfers meine Aufmerksamkeit. Nach und nach fing durch die Gesänge und Gebete des hl. Meßopfers die mir zwar unsichtbare, aber doch von mir gefühlte Gegenwart einer übermenschlichen Macht an, mich in eine Aufregung und Verwirrung und heilige Furcht zu ver­setzen. Mit einem Wort, es gefiel der göttlichen Gnade, sich mit aller Gewalt über mich zu ergießen. Bei der Erhebung der heiligen Hostie fühlte ich auf einmal, wie aus meinen Augen eine Flut von Tränen auszubrechen begann, die dann in wohltuender Fülle un­aufhörlich über meine Wangen rannen. O glückseliger Augenblick, o Augenblick, ewig denkwürdig für meine Seele! Du hast noch nicht aufgehört, meinem Geist gegenwärtig zu sein mit all den himmlischen Empfindungen, die mir von oben geschenkt wurden!

Sogar jetzt noch rufe ich den allmächtigen und barmherzigen Gott inbrünstig an, er möge mir verleihen, daß die süße Erinnerung an die Schönheit dieses Augenblicks ewig meinem Herzen einge­graben bleibe mit den unauslöschlichen Malen eines Glaubens, der all den Gnadenerweisen und Wohltaten entspricht, mit denen Gott mich zu überhäufen sich herabgelassen hat. Ohne Zweifel fühlte ich damals, was der hl. Augustinus im Garten von Cassiacum in jenem Augenblick gefühlt haben muß, als er jenes denkwürdige ›Tolle! Lege!‹ (Nimm und lies!) vernahm, und was Sie, mein teurer Pater, in der Kirche Sant’Andrea delle fratte in Rom an jenem 20. Januar 1842 gefühlt haben müssen, als die seligste Jungfrau sich herabließ, Ihnen zu erscheinen. Ich erinnere mich, in meiner Kind­heit zwar geweint zu haben, aber nie, gar nie waren mir solche Tränen bekannt. Während sie strömten, fühlte ich die schneidend­sten Gewissensbisse über mein ganzes vergangenes Leben, und plötzlich, ganz von selbst, wie unter einem inneren Schauer, fing ich an, innerlich mit aller Geschwindigkeit, Gott eine Beichte abzu­legen über all die ungeheuren Fehltritte, die ich seit den Jahren meiner Jugend begangen hatte. Ich sah sie wie in einem aufgeschla­genen Buch zu tausenden, wie sie abscheulich einander gedrängt folgten und den ganzen Zorn des ewigen Richters verdienten. Doch bald folgte darauf eine von mir bisher noch nie empfundene Beruhi­gung meiner Seele in der Überzeugung, daß der barmherzige Gott mir verzeihe, daß er seinen Blick von meinen Vergehen abwenden werde, daß er wegen meiner aufrichtigen Zerknirschung und wegen meiner mit bitterem Schmerz verbundenen heftigen Reue mit mir Mitleid haben werde. Ja, ich fühlte, daß Gott mir Gnade erwiesen und als Sühne jenen festen Entschluß angenommen habe, ihn fort­an über alles zu lieben und mich in Zukunft ganz zu ihm zu bekeh­ren. Beim Verlassen jener Kirche in Ems war ich eigentlich schon Christ, . . . ein solcher Christ, wie man es sein kann, wenn man die heilige Taufe noch nicht empfangen hat . .

Hermann Cohen kehrte nun, von der Gnade Gottes ganz durch­drungen, nach Paris zurück. »Eine hochgestellte, fromme Dame ­so schreibt er in einem anderen Brief — gewahrte mein inneres Glück und ermahnte mich, nachdem sie vom Geschehen gehört hatte, all die kostbaren Gnaden, die sich über mich ergossen haben, der Vermittlung der seligsten Jungfrau zuzuschreiben und ihr eine ganz besondere Verehrung zu schenken . . . Seit dieser Zeit danke ich alle Schritte, die ich auf dem Weg Christi so glücklich getan habe, unserer gemeinsamen Mutter, dieser guten und heiligen Jungfrau, der Zuflucht der Sünder, die ich alle Tage inbrünstig und vertrauensvoll anrufe.«

Noch im selben Jahr 1847, am 28. August, dem Fest des hl. Augustinus, empfing Hermann Cohen die von ihm sehnlichst gewünschte hl. Taufe in der Kapelle Unserer Lieben Frau von Sion in Paris, deren Vorsteher Theodor Maria Ratisbonne, der Bruder von Alphons Maria Ratisbonne, war.

In einem Brief an Alphons Maria Ratisbonne hat Hermann Cohen die Augenblicke seiner Taufe beschrieben. Als der Tauf­priester in der Form von drei Kreuzeichen das Taufwasser über seine Stirne goß im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes und unter Anrufung der seligsten Jungfrau, des heiligen Augustinus und des hl. Heinrich, da sprang Hermann Cohen auf einmal, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, auf; er geriet in den Zustand der Verzückung und schaute nun den unendlichen Raum, das unermeßliche Licht, die Schar der Kerubim und Engel, alle Heiligen und auf seinem Thron in ewiger Jugend strahlend unseren Herrn Jesus Christus, seine jungfräuliche Mutter zu seiner Rechten.

Wörtlich schreibt Hermann Cohen in seinem Brief an Alphons Maria Ratisbonne: »Mein teurer Pater, wie wage ich es nur, Ihnen das schildern zu wollen, was ich damals gesehen habe! Wahrlich, ich sollte das Papier zerreißen, auf dem ich Ihnen schreibe, denn es enthält auch nicht annähernd ein Bild von dem, was mir wirklich erschien! Ich habe das Paradies der streitenden Kirche gesehen. Es war keine bloße Vision, es war ein wirkliches Sehen, ja, Sehen! Gott ließ durch eine Gnade, für die ich keine Bezeichnung habe, zu, daß ich elender Erdenwurm einen Augenblick lang begriff oder sah, was ich mir kaum wieder ins Gedächtnis zurückzurufen wage. Aber bei Ihrer aszetischen Bildung werden Sie mit Ihrer Einbil­dungskraft ergänzen können, was ich jetzt so schlecht ausgedrückt habe . . . Ich fühle seit damals in mir einen süßen Frieden; mein Geist ist ganz ruhig; ich bin wie ein Kind auf dem Schoß seiner Mutter. Ich will nichts mehr und fürchte nichts mehr, ich lasse mich lenken, wie man will. Ich kümmere mich auch darüber nicht, was andere von mir glauben werden. Ich verrichte jetzt alle meine Auf­gaben so gut, wie ich nur kann, ganz unbefangen und froh, und sehe dabei ganz vom Erfolg ab. Ich richte mich selbst jetzt nicht mehr, fürchte aber auch nicht mehr, gerichtet zu werden. Es gibt keine eitle Beunruhigung mehr in mir.«4)

In einem anderen Brief schrieb Hermann Cohen: »Seit meiner Taufe bin ich vom Herrn täglich mit vielen Süßigkeiten, Tröstungen und himmlischen Gnadenerweisen überhäuft worden. Ich befinde mich oft wie in einem Strom geistlicher Freude . . .«5) Seine Briefe überschrieb er fortan mit dem gewählten Wahlspruch »Alles für Jesus!« und es war ihm ganz ernst damit.

Am 8. September, am Fest Mariae Geburt, im Jahre 1847, empfing Hermann Cohen die erste hl. Kommunion und zugleich das Skapulier, am 2. Dezember 1847 wurde er vom Pariser Erz­bischof gefirmt.

Zu Ehren des Altarssakramentes gründete er mit fünfzehn Männern, die ebenso wie er, »der Bekehrte der Eucharistie«, von dankbarer Liebe zum eucharistischen Heiland erfüllt waren, am 6. Dezember 1848 die »Gemeinschaft von der nächtlichen Anbe­tung des hl. Altarssakramentes« in der Kirche Unserer Lieben Frau vom Sieg zu Paris. Er verfaßte auch Gesänge zu Ehren der hl. Eucharistie; im Vorwort zu diesen Gesängen schrieb er: »O an­gebeteter Jesus, laß meine Lieder mit den Hymnen vereint werden, die Dir in Paris gesungen werden! Denn in dieser Stadt hast Du, verborgen unter dem Schleier der hl. Eucharistie, mir die ewigen Wahrheiten enthüllt. Das erste Geheimnis, das Du mir geoffenbart hast, war Deine wirkliche Gegenwart im Heiligsten Sakrament. Habe ich nicht, als ich noch Jude war, mich dem heiligen Tisch nahen wollen, um Dich in mein Herz, das außer sich war, auf­zunehmen? Habe ich nicht deshalb so laut um die Taufe gebeten, um mich mit Dir zu vereinen? Voll Unruhe und Sehnsucht nach die­sem schönsten Tag meines Lebens weinte ich aus Eifersucht, wenn ich andere die hl. Kommunion empfangen sah, und verschlang mit meinen Augen die heilige Hostie, in der Deine Liebe zu uns Men­schen Dich, den unendlichen Gott festhält! . . . Was Du getan hast, um mich zu trösten, da ich unter solchen Schmerzen noch warten mußte, das darf ich hier nicht sagen. ›Mein Geheimnis gehört mir!‹ Endlich wurde ich dann zu diesem himmlischen Mahl zugelassen und schöpfte daraus eine Kraft, wie ich eine solche mir selbst gegen­über noch nicht kannte. Dieses göttliche Fleisch bildete mich in einen neuen Menschen um; dieses Wundermittel schützte mich ge­gen die Angriffe einer verführerischen Welt; dieser Schatz zog mich von all dem weg, was mich früher an sich gefesselt hielt. Ein immer brennenderer Durst trieb mich zu dieser Quelle lebendigen Was­sers, und einem hungernden Bettler gleich fühlte ich ein glühendes Verlangen nach dieser Nahrung der Auserwählten. Um Dich nach Wunsch zu betrachten, entschwanden mir die Stunden des Tages zu schnell; ich sammelte Gläubige um mich, die vom gleichen Feuer brannten, und wir gingen hin, die Nächte in Deinen Kirchen zu ver­bringen. Ein heiliger Priester führte uns dabei an; am Abend setzte seine Hand Dich auf den Altar — und die Morgenröte fand uns noch hingesunken auf den Knien vor Deinem Glanze. Unbeschreibliche Nächte! Meine Zunge soll mir am Gaumen kleben bleiben und mei­ne Hand soll verdorren, wenn ich je euer vergessen würde! In die­sen himmlischen Nächten hast Du mich, o mein Jesus, mit so unwi­derstehlicher Gewalt, mit so süßem, zärtlichem und liebenswürdi­gem Zauber an Dich gezogen, so daß der letzte Faden zwischen mir und der Welt zerriß, und ich mich beeilte, um mich — fern von der Hast und Unruhe der Stadt — in Deine Arme zu werfen, um ganz und ungeteilt für immer für Dich zu leben.«6)

Noch vor seiner Taufe im Jahre 1847 hatte Hermann Cohen den Entschluß gefaßt, sich im Priesterberuf Gott zur Verfügung zu stellen. In jenen Nächten aber, die er vor dem Allerheiligsten in Anbetung verbrachte, wurde ihm zusätzlich die Berufung zum Ordensstand klar. Es zog ihn schließlich unwiderstehlich zum refor­mierten Karmeliterorden.

Am 16. Juli 1849 reiste Hermann Cohen von Paris nach Agen zum Hauptkloster der Unbeschuhten Karmeliten in Frankreich und bat dort um Aufnahme. Nach entsprechender Einstimmung in Exerzitien wurde er in das Noviziat zu Broussey bei Bordeaux auf­genommen. Als es dort nach einem Monat der Vorbereitung zu sei­ner Einkleidung kommen sollte, erhielt er von den Ordensvorge­setzten einen negativen Bescheid, wahrscheinlich wegen seiner bis­herigen Lebensweise und weil die Zeit, die seit seiner Bekehrung verstrichen war, noch zu kurz war. Da reiste Hermann Cohen kurz entschlossen nach Rom, um dort persönlich dem Ordensgeneral die Bitte um Aufnahme in den Karmeliterorden vorzutragen. Am 16. September 1849, gerade am Vorabend des Tages, an dem sich die Provinziale des Ordens zu einem Generalkapitel versammelten, kam Hermann Cohen in der Ewigen Stadt an. Er begab sich sofort zum Ordensgeneral und setzte diesem die Beweggründe seiner Bitte um Aufnahme in den Orden so überzeugend auseinander, daß er daraufhin die Erlaubnis erhielt. Er kehrte dann in aller Eile nach Broussey zurück, wo er nun am 6. Oktober 1849 als Karme­liter-Novize eingekleidet wurde. Am 7. Oktober 1850 legte er zum ersten Mal die zeitliche Profeß ab. Es folgte ein Jahr intensivsten Theologie-Studiums. Am Karsamstag des Jahres 1851 empfing er die Priesterweihe und vertauschte nun für immer den Namen Hermann mit dem Namen »Augustin Maria vom allerheiligsten Sakrament«. Am Ostersonntag 1851 feierte er seine Primiz und schon begann er als Apostel der hl. Eucharistie zu wirken, er predigte über den Segen der häufigen hl. Kommunion.

Fortan wirkte er — vor allem im Süden und Westen Frankreichs ­als wortgewaltiger Prediger, dem mit der Gnadenhilfe Gottes viele Bekehrungen gelangen. Vor allem, wenn er jüdische Stammes-genossen zur Bekehrung bringen und zur Taufe führen konnte, schlug ihm das Herz jedesmal höher. Seine eigene Bekehrung hatte in ganz Frankreich, ja weit über seine Grenzen hinaus Aufsehen erregt. Nun fanden durch seine ergreifenden Predigten andere Juden ebenfalls den Messias Jesus Christus. So konnte er in Toulon einen 36jährigen Juden taufen. In Lyon bestärkte er die Zwillings­brüder Joseph und Augustin Lehmann in ihrem Entschluß, Christen zu werden; beide wurden später sogar ausgezeichnete Priester. Den bekehrten jüdischen Maler Bernhard Maria Bauer (* 1829 in Budapest) begeisterte er für den Eintritt in den Orden der Unbeschuhten Karmeliten.

Auch in der eigenen Verwandtschaft gelangen P. Augustin Maria Cohen Bekehrungen. So konnte er seine leibliche Schwester, Frau A. Raunhein, geborene Cohen, und deren Sohn Georg zur Taufe führen, ebenso seinen Bruder Albert Cohen. Daß er den formellen Übertritt zum katholischen Glauben bei seiner jüdischen Mutter nicht mehr erreichte, die am 3. Dezember 1855 starb, schmerzte ihn sehr. Er schrieb damals an einen Freund: »Meine arme Mutter ist tot und ich verbleibe in Ungewißheit. Allein es ist so viel gebetet worden, daß man hoffen kann, es sei in ihren letzten Augenblicken zwischen Gott und ihrer Seele etwas vorgegangen, das uns nicht bekannt ist.«7) Dem heiligen Pfarrer von Ars, Johannes Maria Vianney, mit dem er freundschaftlich verbunden war, vertraute P. Augustin bei einer Begegnung seine Sorge um das ewige Los seiner Mutter an. Dieser tröstete ihn mit den Worten: »Hoffen Sie, hoffen Sie! An einem Tag der Unbefleckten Empfängnis werden Sie einen Brief erhalten, der Ihnen zum großen Trost gereichen wird.« 8) Sechs Jahre später erhielt er diesen angekündigten Brief, in welchem ihm ein Jesuit Mitteilung machte über den Seelenzustand seiner Mutter vor ihrem Sterben; sie sei der Konversion ganz nahe gewesen, auch wenn es formell nicht mehr dazu kam.

Die Sprache P. Augustin Cohens war schlicht und einfach und ohne große Rhetorik, aber es stand dahinter der starke, ergriffene Glaube des Predigers, der wie ein Gefäß voll überfließenden, kost­baren Inhalts war, das nichts für sich behielt, sondern alles in die Herzen der Menschen hinüberfließen ließ, vor allem eine glühende Liebe zur hl. Eucharistie. Wer einmal den beredten Worten P. Augustin Cohens über das »Geheimnis des Glaubens« gelauscht hatte, ließ sich gern hineinziehen in die innige Verehrung und Anbetung des Altarssakramentes, wie er selbst sie seit seiner Be­kehrung pflegte. Was ihn auf seinen Predigtreisen nie losließ, war sein Bestreben, die nächtliche Anbetung des heiligsten Sakra­mentes weiter zu verbreiten.

Über seine Predigttätigkeit hinaus bekam P. Augustin Maria Cohen von seinen Ordensoberen Aufträge zur Neu- oder Wieder­errichtung von Karmel-Klöstern. Seine Predigttätigkeit aber setzte der »Bekehrte der hl. Eucharistie« schließlich auch über Frankreich hinaus fort in Italien, besonders auch in Rom, in Deutschland und auch in England, vor allem in London, in dessen Nähe durch das Bemühen von P. Augustin der Karmeliterorden erstmalig seit der Reformation wieder Fuß fassen konnte. Obwohl er als Prior des Karmeliterordens in London genug zu tun hatte, ließ er sich doch nicht daran hindern, von London aus nacheinander auch Irland, Schottland, Belgien und Deutschland zu besuchen, um dort Pre­digten oder Vorträge zu halten. Es war — menschlich gesprochen ­unerklärlich, wie der oft kranke Ordenspriester all das zu leisten vermochte. Die Jahre von 1862 bis 1868 waren jedenfalls von rast­loser Tätigkeit gekennzeichnet.

Dann durfte er nach Frankreich zurückkehren und einige Monate als Einsiedler in dem von ihm errichteten Kloster in Tarasteix neue Kräfte sammeln. Da traf ihn ein hartes Augen­leiden, das fast zur Erblindung führte. Die tägliche Waschung der Augen mit Lourdes-Wasser brachte Heilung. Dafür hielt P. Augustin in Lourdes dann eine Dankmesse. In einer Ansprache berichtete er den Zuhörern von seiner wunderbaren Heilung. In Lourdes sprach er mit der hl. Bernadette lange; er bewahrte ihr stets ein lebhaftes Interesse. Von Lourdes kehrte er mit vielen Gnaden bereichert in seine Einsiedelei in Tarasteix zurück.

Hier erlebte er noch eine dreifache erwähnenswerte Unter­brechung seines Einsiedlerlebens:

Erstens mußte er in der Fastenzeit 1869 auf Verlangen des Bischofs Mermillod die Fastenpredigten in Genf halten; 30 Jahre zuvor hatte diese Stadt in der französischen Schweiz sein ausge­lassenes, vergnügungssüchtiges Leben gesehen. Nun predigte er hier mit tiefer Reue und innerer Ergriffenheit und machte gut, was er einst in dieser Stadt gefehlt hatte.

Eine zweite Unterbrechung seines Einsiedlerlebens in Tarasteix wurde durch das Sterben seines Vaters veranlaßt: Im August 1869 wurde P. Augustin Cohen plötzlich nach Wildbad in Deutschland gerufen. Seitdem er in den Karmeliterorden eingetreten war, hatte ihn sein Vater nicht mehr sehen wollen, er hatte ihn verflucht und enterbt. Die Nähe des Todes aber erinnerte Herrn David Abraham Cohen an seinen Sohn Hermann; er brachte es nicht übers Herz, die Welt zu verlassen, ohne seinen Sohn noch einmal wiedergesehen zu haben; so ließ er ihm schreiben, daß er ihm verzeihe; er bat ihn, schnellstens zu ihm zu kommen, jedoch nicht im Mönchsgewand. Ungeachtet wichtiger Arbeiten, die P. Augustin gerade aufge­tragen waren, zögerte er nicht und reiste ab zu einem rührenden Wiedersehen von Vater und Sohn. Aber die Hoffnung auf Bekeh­rung seines Vaters erfüllte sich nicht. Der Sterbende sprach zwar zu seinem Sohn: »Ich verzeihe Dir die drei großen Fehler Deines Lebens, daß Du katholisch geworden bist, daß Du Deine Schwester katholisch gemacht hast und daß Du Deinen Neffen Georg getauft hast.« Aber er ging am 10. August 1869 in die Ewigkeit hinüber, ohne dem Judentum entsagt zu haben. P. Augustin aber hoffte, daß der barmherzige Gott seinem Vater gnädig gewesen sei.

Eine dritte Unterbrechung seines Einsiedlerlebens in Tarasteix hatte die Erstkommunion der Nichte von P. Augustin, der Tochter Maria seines Bruders Albert zum Anlaß. Im Pensionat der Sacré-Coeur-Schwestern in Vaals fand diese Feier am 3. Mai 1870 statt.

Nach Tarasteix zurückgekehrt, fand P. Augustin das Dekret seiner Ernennung zum ersten Definitor seiner Ordensprovinz und zum Novizenmeister vor. Er begab sich sofort an den Ort des Novi­ziates, nach Broussey. Hier aber war ihm kein langes Bleiben mehr gegönnt. Der Krieg zwischen Preußen und Frankreich brach aus. P. Augustin erkannte die bedrohliche Lage, in die er als gebürtiger Deutscher seine französischen Mitbrüder bringen würde, weil die Wut gegen alle Deutschen, die sich in Frankreich aufhielten, sehr schnell anschwoll. Um durch seine Nationalität den Haß des Pöbels gegen die Klöster nicht noch mehr zu steigern, zog es P. Augustin vor, Frankreich zu verlassen. Er wandte sich zuerst in die Schweiz. In Genf bat ihn Bischof Mermillod, sich der vielen Flüchtlinge in Montreux seelsorglich anzunehmen. Er tat es mit viel Erfolg. Mitte November 1870 bat ihn aber Bischof Mermillod, die noch wichti­gere Aufgabe zu übernehmen und die vielen in Preußen inter­nierten französischen Staatsbürger seelsorglich zu betreuen. Am 24. November 1870 verließ er Montreux und schlug sich nach Deutschland durch, um die Feldkaplanstelle in Spandau zu über­nehmen, wo etwa 8000 gefangene Franzosen ihn erwarteten. Im Dienste dieser Menschen verbrauchte er seine letzten Kräfte, bis er — von den Blattern angesteckt — erst 50jährig am 20. Januar 1871 starb, nachdem er vorher in der heiligen Wegzehrung noch mit seinem vielgeliebten eucharistischen Herrn vereint worden war. Was P. Augustin seit seiner Bekehrung bis zu seinem Heimgang allzeit am tiefsten zu beglücken und bei Prüfungen und Heim­suchungen am meisten zu trösten vermochte, war die hl. Eucha­ristie und alles, was er für die Verbreitung der Verehrung und An­betung des Heiligsten Sakramentes zu tun vermochte. Er empfand in seinem Herzen ein ganz starkes Gefühl der Dankbarkeit gegen Gott für dieses kostbare Geschenk der Eucharistie, so daß er nicht genug die Menschen, mit denen er zu tun hatte, dafür begeistern konnte.

Die Wandlung des Juden Hermann Cohen vom Lebemann und gefeierten Künstler zum schlichten, demütigen, in Liebe zum eucharistischen Heiland glühenden Mönch im Orden der Unbe­schuhten Karmeliter hat er selbst einmal in folgender Weise zusammengefaßt: »Ich habe die Welt durchlaufen, ich habe die Welt gesehen, ich habe die Welt geliebt . . . Nur eins habe ich in der Welt gelernt, daß man das wahre Glück in ihr nicht findet.

Da offenbarte mir Maria das Geheimnis der hl. Eucharistie. Und ich erkannte: Die Eucharistie ist das Leben, das Glück.

Ich habe keine andere Mutter als die Mutter der schönen Liebe, die Mutter der hl. Eucharistie. Sie hat mir die Eucharistie gegeben, und diese hat mir schließlich das Herz geraubt.

Wißt ihr, warum man Mönch wird? Um diese verkannte Liebe zu rächen. Im Opfer der hl. Eucharistie und im Opfer der Ordens­profeß wird die Seele nicht vom Leibe getrennt. Beide opfern sich zusammen. Sie werden nicht durch das Schwert getrennt, um ihr Opfer bis zum letzten Tag fortsetzen zu können. Dann aber reise ich in jenes Land des Karmels, wo nur noch Milch und Honig fließen. Das ist die ewige Kommunion .«9)

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1)  vgl. Sr. Maria Baptista a Spiritu Sancto, Künstler und Karmelit (Wiesbaden 1957), S. 16; diesem Buch ist das Allermeiste entnommen.

2)  zitiert nach Rosenthal D. A., Convertitenbilder aus dem 19. Jahrhundert, I. Bd., S. 663 — 664.

3)  zitiert nach Rosenthal D. A., a. a. 0., I. Bd., S. 664 — 665.

4)  zitiert nach Rosenthal D. A., a. a. 0., I. Bd., S. 666.

5)  zitiert nach Rosenthal D. A., a. a. 0., I. Bd., S. 667.

6)  zitiert nach Rosenthal D. A., a. a. 0., I. Bd., S. 667 — 668.

7)  vgl. Sr. Maria Baptista, a. a 0., S. 102.

8)  vgl. Sr. Maria Baptista, a. a 0., S. 103.

9)  vgl. Sr. Maria Baptista, a. a 0., S. 183 —184.

Ferdinand Holböck: „Wir haben den Messias gefunden!“ (Joh. 1, 41)

II. Kirchlich bedeutsame Judenkonvertiten der letzten Jahrzehnte

1. Paul-Louis-Bernard (David) Drach († 31. Januar 1865)

David Drach, der als Sohn eines sehr angesehenen Rabbiners und ausgezeichneten Hebräisten und Talmudisten am 6. März 1791 in Straßburg, der Hauptstadt des Elsaß, geboren wurde¹), war von früher Jugend an ein »wahrer Israelit ohne Falschheit« (Joh 1,47), der mit lauterem Herzen den Messias suchte, ihn in Jesus Christus fand und dann viele jüdische Glaubensgenossen zu Ihm führte.
Den ersten Unterricht im Alten Testament und im Talmud erhielt er von seinem eigenen Vater. Im Alter von zehn Jahren hatte er es schon so weit gebracht, daß er, wenn man ihm irgendeinen beliebigen Vers aus der Bibel sagte, die Stelle unverzüglich angeben konnte. Häufig kamen Neugierige ins Elternhaus, um den bewunderten Knaben diesbezüglich auf die Probe zu stellen. Mit zwölf Jahren kam der junge David Drach in die Talmudschule zu Ebendorf bei Straßburg, dann in die höhere Talmudschule zu Westhoffen, wo er vom berühmten Talmudisten, dem Oberrabbiner Isaac Lundenschuetz unterrichtet wurde. Dann lernte er noch in der höheren Talmudschule in Pfalzburg beim Oberrabbiner Guggenheim. Schließlich besaß er eine so gründliche Talmud-Ausbildung, daß er noch im jugendlichen Alter als eine Koryphäe auf dem Gebiet der jüdischen Theologie galt und mehrfach mit dem Titel »Chaber«, der zweiten Rabbinatstufe, ausgezeichnet wurde.
Mehrfach kam er in frühester Jugend mit gläubigen Katholiken in Berührung, die in ihm das Interesse für das Christentum weckten. So erinnerte er sich im späteren Leben gerne an einen alten Diener des Hausbesitzers, in dessen Haus seine Familie wohnte. Dieser Alte, ein sehr frommer Katholik, war von einem Glauben beseelt, der Berge hätte versetzen können, »und doch bestand seine ganze Bibliothek nur in einem Katechismus und einigen Gebetbüchern«; es machte dem jungen David Drach ein Vergnügen, sich mit diesem Mann über religiöse Fragen zu unterhalten. Hier erwachten in ihm die ersten Neigungen zum Christentum. Darum widmete er fortan viel Zeit dem Studium der lateinischen und griechischen Sprache, um die christliche Religion aus den Originalwerken studieren zu können.
Nach Beendigung des Studiums wurde David Drach Erzieher im Hause eines reichen Israeliten in Rappoltsweiler. Nach drei Jahren der Tätigkeit in diesem Ort ging er 1810 nach Colmar, um zwei Jahre lang als Erzieher in einer angesehenen jüdischen Familie zu wirken. Schließlich ging er nach Paris, wo er bald einen angesehenen Posten im jüdischen Zentralkonsistorium erhielt. Durch seinen Unterricht und seine bald veröffentlichten Publikationen²) wurde David Drach schließlich zum »appointed head of the Paris Jewish School«, wie ihn die 1971 in Jerusalem erschienene »Encyclopaedia Judaica« nennt, die ihn wegen seiner späteren Konversion zum katholischen Glauben freilich auch als »Apostaten« bezeichnet.³)
Durch seine Bibel- und Kirchenväter-Studien kam David Drach immer mehr zur Überzeugung, daß die sogenannte »Septuaginta« (die griechische Übersetzung des hebräischen Alten Testaments, wie sie 70 jüdische Gelehrte in Ägypten anfangs des 3. Jahrhunderts v. Chr. angefertigt hatten) den authentischen Sinn des Alten Testaments unverfälschter und getreuer wiedergebe als der masoretische Text. Wörtlich schrieb David Drach in seinem Buch »De l’harmonie entre l’Eglise et de la Synagogue ou perpétuité et catholicité de la religion chretienne«:4)
»Ich verglich ganz genau den hebräischen Text des Alten Testaments mit der griechischen Übersetzung der Septuaginta, weil dieselbe das Werk jüdischer Schriftsteller ist, die für mich alle erdenkliche Autorität haben, und die, noch aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts v. Chr. datiert, also aus einer Zeit, wo jene jüdischen Gelehrten noch kein Interesse daran haben konnten, den Sinn der Prophezeiungen, die den Messias betreffen, zu verfälschen. Da in den zahlreichen, voneinander abweichenden Lesarten der beiden Texte der griechische mir fast immer als der korrektere erschien, so unternahm ich es, den Originaltext des Alten Testaments aus dem Septuaginta-Text, der den anderen orientalischen Übersetzungen, namentlich der syrischen, offensichtlich als Vorbild gedient hatte, wiederherzustellen. Auch erkannte ich, daß das Neue Testament dort, wo es bei der Zitierung des Alten Testaments von dem hebräischen (masoretischen) Text abweicht, fast überall mit der Septuaginta übereinstimmt . . . Ich war in dieser Arbeit über die Septuaginta schon weit vorangekommen, als ich in der Vorrede des hl. Hieronymus zu den vier Evangelisten zu meiner großen Freude las, daß er die Septuaginta als Schutzwehr und Wall der Integrität der Hl. Schrift betrachtet hat. Das ist auch, wie ich feststellte, die Ansicht des hl. Hilarius. Meine Arbeit über die Septuaginta blieb noch lange ein Geheimnis, bis mich der Großrabbiner Abraham Cologna, der Präsident des jüdischen Zentralkonsistoriums in Paris, der wahrscheinlich nichts Gutes vermutete, besuchte, um von mir Auskunft zu erhalten.
Nachdem er Einsicht in meine Arbeit genommen hatte, befahl er mir nachdrücklich, der Idee, ein so antijüdisches Werk zu veröffentlichen, für immer zu entsagen. Da er mich nicht sehr geneigt fand, diesem Befehl nachzukommen, drohte er in Ermangelung des Malkut, der nicht mehr statthaft ist, mit einer theologischen Zensur. . . Diese Drohung schreckte mich aber nicht sehr. Ich war nämlich durch meine Studien bereits so weit gekommen, daß ich die Synagoge eigentlich schon weit hinter mir gelassen hatte und schon die Schwelle der Kirche Jesu Christi berührte . . . Die Beschäftigung (mit der Septuaginta) hatte bei der aufmerksamen Prüfung des Textes zur Folge, daß ich mich zum ersten Mal in meinem Leben um mich so auszudrücken — der Zuchtrute der rabbinischen Kommentare (zum Alten Testament) entwunden hatte und nun klar sah, daß alle alttestamentlichen Prophezeiungen in gewisser Weise nur einen großen Kreis von viertausend Meilen Umfang bilden, dessen Studien sämtlich zu dem gemeinsamen Mittelpunkt führen, der da ist und nur sein kann Jesus Christus, der Erlöser der Kinder Adams, die seit der Sünde ihres Stammvaters vom rechten Weg abgekommen sind. Das ist der Gegenstand und einzige Zweck aller Prophezeiungen, die uns den Messias derartig beschreiben, daß es eigentlich unmöglich ist, ihn zu verkennen. In ihrer Übereinstimmung stellen die alttestamentlichen Prophezeiungen das vollendetste Gemälde dar. Die ältesten Propheten zeichnen von ihm die erste Skizze; in dem Maß, als sich die Prophezeiungen dann folgen, vollenden sie die von ihren Vorgängern unvollkommen gelassenen Züge. Je mehr sie sich dem großen Ereignis nähern, umso lebhafter werden ihre Farben. Sobald das Gemälde vollendet ist, haben die Künstler ihre Aufgabe beendet und verschwinden.›
Der letzte der Propheten Israels ist, bevor er sich vom Schauplatz zurückzieht, noch besorgt, die Persönlichkeit zu kennzeichnen, die kommen soll, und den noch über das Geheimnis ausgebreiteten Schleier wegzuheben. ›Siehe, ich werde euch den Propheten Elia senden, ehe der Tag des Herrn kommt, der große, furchtbare Tag‹, so prophezeite Maleachi (4,5). Dieser Elia des Neuen Bundes ist Johannes der Täufer, der erste und größte Prophet des evangelischen Bundes, der keinen Zweiten an Heiligkeit unter den vom Weibe geborenen hat . . . Nachdem ich zu diesem Grad der Überzeugung gelangt war, durfte ich mein Katechumenat nicht länger hinausschieben. Gott verlieh mir den Mut dazu . . . Aber welche Kämpfe hatte ich noch mit allem, was mich umgab, und mit meinem eigenen Herzen auszufechten! Man muß in einer ähnlichen Lage gewesen sein, um sich davon einen Begriff zu machen. Meine Gesundheit litt einige Monate lang darunter. Meine Existenz hing damals ganz vom jüdischen Konsistorium ab, das mir die Leitung der israelitischen Schulen anvertraut hatte; der Titel »Rabbiner« und Lehrer des Gesetzes — das Diplom darüber hatten mir die bedeutendsten Großrabbiner Frankreichs ausgestellt — verschaffte mir die Aussicht auf die erste freiwerdende Großrabbinerstelle, zumal damals die Häupter mehrerer Konsistorialsynagogen schon sehr vorgerückten Alters waren; dann meine Publikationen zu Gunsten des Judentums, die ich mit viel Erfolg veröffentlicht hatte, den ich nun auf so auffallende Weise verleugnen sollte; weiter die Mißgunst, die meine Taufe unter den Juden auf meine dem Judentum sehr anhänglichen, fast 80jährigen Eltern und auf meine ganze übrige Verwandtschaft laden mußte; dann mein Bruch mit der eigenen Familie, die mich doch innig liebte; und schließlich der vorausgesehene Verlust meiner geliebten Gattin, der Tochter des gelehrten Großrabbiners E. Deutz, mit der ich seit 1817 verheiratet war, und das Unglück, das daraus für meine drei Kinder, zwei Mädchen im Alter von vier bzw. drei Jahren, und ein Knabe von 16 Monaten, entstehen mußte. Aber ich lud dieses große, schwere Kreuz mit jener inneren Zufriedenheit auf meine Schultern, die nur das Bewußtsein zu geben vermag, dem eigenen Gewissen gemäß richtig zu handeln. Ich hielt mich bei keiner menschlichen Betrachtung auf, entsagte den zartesten Neigungen meines Herzens und folgte der Einladung dessen, der erklärt hat: ›Wenn jemand zu Mir kommen will und dabei Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern und sogar das eigene Leben nicht geringschätzt, der kann Mein Jünger nicht sein; und wer sein Kreuz nicht trägt und Mir nachfolgt, kann Mein Jünger nicht sein!‹«
Nachdem David Drach für sich und seine Kinder, wie er wörtlich in seiner Autobiographie geschrieben hat, »den Beistand des Herrn und den Schutz der mächtigsten und zärtlichsten Mutter Maria erfleht hatte«, stellte er sich dem Dekan der Theologischen Fakultät der Sorbonne, Abbé Fontanel, vor und bat diesen um die Vorbereitung auf die hl. Taufe. Der Erzbischof von Paris, Queen, spendete sie ihm und seinen Kindern am Karsamstag 1823; er wurde getauft auf die Namen Paul-Louis-Bernard. Am Ostersonntag darauf durfte er beim feierlichen Pontifikalamt in Notre-Dame die Erstkommunion und die Firmung empfangen. Vielsagend ist, daß der Erzbischof Queen dem Konvertiten aus dem Judentum ganz besonders die Verehrung der seligsten Jungfrau Maria anempfahl, dabei — wie Drach in seiner Autobiographie schreibt — ein ergreifendes Gemälde des Lebens der Gottesmutter entwarf und mit den Worten schloß: »Und auch Ihnen wird wohl mehr als einmal ein Schwert des Schmerzes durch die Seele dringen. Dann erinnern Sie sich an Maria!« So kam es dann wirklich: Viel Leid brach über den Konvertiten herein, vor allem wegen der von seiner von Haß gegen das Christentum erfüllten Gattin heimlich vorgenommenen Entführung der drei Kinder. In allem Kreuz und Leid erinnerte sich aber Paul-Louis-Bernard Drach an die Schmerzensmutter Maria. Er selbst trug zeitlebens eine kindliche, vertrauensvolle Liebe zur Gottesmutter im Herzen und pflanzte sie auch seinen Kindern ein.
Dem stellungslos gewordenen Konvertiten, der auf eine glänzende Karriere im Judentum verzichtet hatte, bot schließlich 1827 der Apostolische Stuhl wegen seiner umfassenden Gelehrsamkeit in der alttestamentlichen Bibelwissenschaft und in den orientalischen Sprachen den Posten eines Bibliothekars an der Päpstlichen Kongregation für die Glaubensverbreitung (»Propaganda fide«) in Rom an, den er bis zu seinem gottseligen Tod am 31. Januar 1865 innehatte.
Bald nach seiner Konversion machte es sich Paul-Louis-Bernard Drach zur Lebensaufgabe, für die Bekehrung seiner früheren jüdischen Glaubensbrüder zu arbeiten. Er tat es mit unermüdlichem Eifer und verfaßte zu diesem Zweck eine Reihe bibeltheologischer und kontroverstheologischer Schriften. In der »Encyclopaedia Judaica« heißt es abfällig: »Er verfaßte eine Reihe von Büchern und Pamphlets, um seine Apostasie zu rechtfertigen und seinen früheren Glaubensbrüdern die Wahrheit des Christentums zu beweisen.«5)
Unter den hier genannten »Pamphlets« sind wohl vor allem Paul-Louis-Bernard Drachs drei Sendschreiben an die Juden gemeint: »Lettres d’un rabbin converti aux Israelites ses frères«. Er brachte sie in den Jahren 1825, 1827 und 1833 heraus. Sie wurden von dem deutschen konvertierten Juden Luitpold Baumblatt 1841 ins Deutsche frei übersetzt und unter dem Titel »Der Katholizismus und der Judäismus« publiziert.6)
Diese Sendschreiben müssen damals auf junge jüdische Akademiker in Frankreich, vor allem in Elsaß-Lothringen, und dann auch in Deutschland starken Eindruck gemacht haben. Denn im Vorwort zum dritten Sendschreiben stellt Paul-Louis-Bernard Drach wörtlich fest: Seit der Veröffentlichung meines zweiten Sendschreibens ist eine große Zahl meiner jüdischen Brüder in den Schoß der (katholischen) Kirche eingetreten. Bei anderer Gelegenheit schreibt er im Jahre 1828 über die alttestamentlichen messianischen Prophezeiungen und über die vom Apostel Paulus (vgl. Röm 11, 28-32) angekündigte endzeitliche Bekehrung der Juden: »Wer es zu leugnen wagt, daß diese große Prophezeiung sich zu erfüllen beginnt, wird durch die Tatsache widerlegt, denn noch nie seit der Zerstreuung Israels hat man so viele Israeliten den katholischen Glauben annehmen gesehen. Früher war es eine auffallende Sache, wenn auch nur ein Einzelner von ihnen sich bekehrte, seit einigen Jahren aber sieht man sie in Menge in jene Kirche eintreten, die auf den festen und unerschütterlichen Felsen des Apostelfürsten (Petrus) gegründet ist; die Zahl der Juden, die am letzten Pfingstfest (1827) und am Abend zuvor in unserem Herrn Jesus Christus wiedergeboren worden sind, übertrifft die Zahl all jener zusammen, die in einer verflossenen Epoche im Lauf mehrerer Jahrhunderte getauft worden sind . . .«
Hier spielt Paul-Louis-Bernard Drach sicher auf die Konversion der vier Rabbinersöhne Samson, Felkel, Samuel und Jakob Libermann aus Zabern (Elsaß) in den Jahren 1824 bis 1826 und auf die Konversion von Theodor Ratisbonne im Jahre 1827 an, von denen im folgenden die Rede sein wird.
In seinen Sendschreiben sucht Paul-Louis-Bernhard Drach seinen früheren Glaubensbrüdern zu beweisen, daß die christlichen Glaubenswahrheiten sich — wenigstens ansatzweise — eigentlich schon im Alten Testament vorfinden, und daß — wie er wörtlich schreibt — die »katholische Religion nichts anderes ist als die Religion unserer jüdischen Vorfahren, die ihre letzte segensreiche, heilbringende Entfaltung und Vollendung bei der Ankunft unseres Heilands Jesus Christus, des unserer Nation so oft verheißenen Messias gefunden hat.« Er forderte dann seine früheren jüdischen Glaubensbrüder auf: »Geht das Alte Testament mit allen Verheißungen der Propheten genau durch, und ihr werdet finden, daß durch Jesus Christus alles in Erfüllung ging, was von dem erwarteten Messias gesagt worden war, und daß das große Werk am Kreuz seine Vollendung erhalten hat.«7) »Ist dieser Jesus, der von unseren Vätern als der Sohn eines unbedeutenden Handwerkers angesehen wurde, wirklich der verheißene Messias? Ihr werdet mit unseren Vätern sagen: Wie, dieser Jesus, dessen Vater und Mutter wir kennen, will sagen, er sei vom Himmel gekommen?! Aber, meine Lieben, prüft nur die Propheten und die Traditionen. Legt jedes ungerechte Vorurteil ab, und ihr werdet finden, daß Jesus von Nazaret der ›Isch Jahwe‹ , der Mann Gottes, der Sohn Gottes in Ewigkeit, geboren aus der reinsten und heiligsten Jungfrau ohne Einwirkung eines Mannes, sondern ganz allein durch Gottes Allmacht ist, und daß die Zeit seines Erscheinens genau jene war, in welcher der vorhergesagte Messias kommen mußte, und daß schließlich Jesus Christus die Erfüllung dessen ist, was die Traditionen früher über den Messias Israels gesagt hatten.«8) Darüber schreibt dann Paul-Louis-Bernard Drach in seinen Sendschreiben noch ausführlich in dem 2. Kapitel (»Charakter des wahren Messias«) und dem 3. Kapitel (»Menschwerdung des Messias, des Sohnes Gottes«), zuvor aber beschäftigt er sich ausführlich im 1. Kapitel (»Die heilige Dreieinigkeit«) mit dem grundlegenden, die Christen scheinbar am stärksten von den Juden trennenden Dogma. Er sucht zu beweisen, daß der dreieinige Gott, den die Christen anbeten, derselbe ist, der schon im Alten Testament verkündet wird. Trinitarische Andeutung im Alten Testament wie Gen 1,26, Gen 18,2 ff., Jes 6,6 f., Jes 63,7-10 u. a. sind für ihn — allzu kühn — zweifelsfreie Beweise, daß die Wahrheit von der heiligsten Dreieinigkeit längst schon dem jüdischen Volk geoffenbart, vor der Ankunft unseres Heilands aber nur ganz wenigen bekannt gewesen sei. Das große Geheimnis durfte — nach dem Geständnis der Rabbinen (von denen er eine ganze Reihe zitiert) — bis zur Ankunft des Messias, unseres Heilands nicht öffentlich gelehrt werden; mit dem Erscheinen des Erlösers aber hörte dieses Verbot auf und die Prophezeiung des Sacharja (14,9) ging in Erfüllung: »Dann wird Jahwe der König sein über die ganze Erde. An jenem Tag wird Jahwe der einzige Herr sein und sein Name der einzige.«
Nach Paul-Louis-Bernard Drach ist es heute immer noch der Pharisäismus, der die Juden abhält, sich zum Christentum zu bekehren; sie lesen die Hl. Schrift immer nur in der Auslegung des Talmud, der ja nur eine Sammlung pharisäischer Überlieferungen ist; das aber sei die Binde, die ihnen den Anblick des vollen Lichtes entziehe. Aber immer schon hätten manche Rabbiner, wie er an vielen Zitaten zu zeigen sucht, die alttestamentlichen Prophezeiungen so gedeutet, daß eigentlich kein anderer als Messias in Frage kommen könne als nur Jesus Christus.
Bei der mit Paul-Louis-Bernard Drach begonnenen großen Konversionsbewegung aus dem Judentum zum Christentum hat die größte »Tochter Sions«, die seligste Jungfrau Maria, eine auffallend wichtige Rolle gespielt, wie sich besonders klar bei der Konversion des Juden Alphons Ratisbonne zeigte. Auch im Leben Drachs und seiner Kinder zeigt sich das in beeindruckender Weise.
Paul-Louis-Bernard Drach pilgerte von Rom aus, wo er von 1827 an tätig war, gerne in den größten Marienwallfahrtsort der damaligen Zeit, nach Loreto in Süditalien. Er kannte dabei, obwohl er ein so bedeutender Bibelgelehrter war, keine Hemmungen, Loreto mit seinem Heiligen Haus als eine besonders segensreiche Gnadenstätte Mariens anzuerkennen. Ergreifend ist, wie er bei seiner ersten Wallfahrt nach Loreto im Jahre 1833 geistigerweise seine drei Kinder mitnahm, um sie der Gottesmutter zu weihen. Die ältere, damals 14jährige Tochter gab dem Vater einen Brief mit, den er bei der Gnadenmutter im Heiligen Haus von Loreto niederlegen sollte. Dieser Brief hat folgenden Inhalt:
»An die seligste und unbefleckte Jungfrau Maria: Meine vielgeliebte Mutter! Zwar bin ich ganz unwürdig, Dir zu schreiben, denn es hat bei mir viel gefehlt, daß ich den in der hl. Taufe empfangenen Gnaden nach Kräften entsprochen hätte, die Du mir vermittelt hattest; dieser Umstand macht mich in Deinen Augen sehr schuldig. Aber meine gute Mutter, wenn Du mich verlassen würdest, bei wem sollte ich dann meine Zuflucht nehmen? Ich bitte Dich: Vergiß alle Dir von mir zugefügten Kränkungen und erlange mir noch jene Gnaden, um deren Vermittlung ich Dich nun anflehe: Die erste Gnade soll die sein, mich zuvor sterben zu lassen, bevor ich jemals in eine Todsünde fallen sollte. — Die zweite Gnade soll die Bekehrung meiner Mama sein. O Maria, schon seit so langer Zeit bitte ich Dich darum, erhöre mich! — Die dritte Gnade soll sein, daß ich, wenn Gott in seiner unendlichen Güte mich für den Ordensstand berufen sollte, mit all meinen Kräften der Größe dieses Rufes auch entspreche. — Die vierte Gnade sei, daß ich mein (marianisches) Skapulier bis zum letzten Tag meines Lebens bewahre, und daß ich an einem Tag vor Himmelfahrt sterbe. Endlich, heilige Jungfrau und liebste Mutter, laß Dir diesen meinen Brief nicht fortnehmen und mache, daß ich, sobald dieser Brief zu Deinen Füßen liegen wird, in meinem Herzen die Wirkung spüre, auf die Du schon seit langer Zeit wartest und die ich meinerseits mit allem meinem Verlangen erstrebe, daß ich nämlich an Weisheit zunehme und ein echtes Marienkind werde und mich mit immer noch größerem Vertrauen nennen kann Deine Tochter Maria Clarissa Drach.«
Ob dieser Tochter von David Paul Drach all diese in kindlichem Vertrauen erbetenen Gnaden wirklich zuteil geworden sind, wissen wir nicht; auf jeden Fall wurde sie immer mehr ein Kind Mariens und trat zusammen mit ihrer Schwester in die »Kongregation Unserer Lieben Frau von der Liebe des Guten Hirten« in Angers ein, also in jene Kongregation, in der im Geist ihres Gründers, des hl. Johannes Eudes, und der damals noch lebenden ersten Generaloberin, der hl. Maria Euphrasia Pelletier († 1868), die Herz-Mariä-Verehrung ganz besonders gepflegt wird.
Auch der Sohn, Paul August Drach (* 12. August 1821 in Paris), der im Alter von 16 Monaten zusammen mit seinem Vater getauft worden war, wurde ein großer Marienverehrer; er studierte Theologie am Propaganda-Kolleg in Rom, das sich damals in der Nähe der Kirche Sant‘ Andrea delle fratte befand, wo die seligste Jungfrau Maria am 20. Januar 1842 dem Juden Alphons Ratisbonne erschien und dessen Bekehrung auslöste. Sicher war der junge Priesterkandidat Paul August Drach zusammen mit seinem Vater, dem Bibliothekar an der Propaganda fide, bei der Taufe des Alphons Maria Ratisbonne am 31. Januar 1842 in der römischen Kirche Gesù dabei.
Paul August Drach, der zuerst auf verschiedenen Kaplansposten in der Bannmeile von Paris, dann als Pfarrer in Sceaux segensreich wirkte und schließlich 1895 als Kanonikus von Notre-Dame in Paris starb, wurde wie sein Vater ein bedeutender Bibelgelehrter, der die Herausgabe des großen französischen Bibelkommentars »La sainte Bible« (Paris 1869 ff.) veranlaßte und in dieser Reihe selber die Paulusbriefe, die Katholischen Briefe und die Apokalypse kommentierte.
Vom Vater Paul-Louis-Bernard Drach ist noch zu berichten, daß er sich als Bibliothekar an der Propaganda fide überaus eifrig schriftstellerisch bis zu seinem Tod am 31. Januar 1865 in Rom betätigte. Die wichtigsten Publikationen aus seinem christlichen Lebensabschnitt sind neben den schon genannten Sendschreiben an seine jüdischen Glaubensgenossen folgende: »L’inscription de la sainte croix« (1831), »La question de l’usure« (1834), »Du divorce dans la Synagogue« (1849), »Catholicum Lexicon hebraicum et chaldaicum in Veteris Testamenti libros« (Paris 1848). Vor allem besorgte er auch die 5. Auflage der sogenannten »Bible de Vence« (27 Bände, Paris 1827 — 33).

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1) Vgl. D. A. Rosenthal, Convertitenbilder aus dem 19. Jahrhundert (Schaffhausen 1869), III. Bd., S. 48 — 65; Eugenio Zolli, Drach David Paul, in: Enciclopedia Cattolica, I. Vol., p. 1919 —1920; J. Morienval, Drach (David a sa naissance, Paul Louis Bernard a son baptême), in: Catholicisme hier aujourd’hui demain, 3. Bd., Sp. 1073 —1074; M. Catane (= P. Klein), Drach, Paul-Louis-Bernard David, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 6 (Jerusalem 1871), Sp. 191.
2) Die wichtigsten Publikationen Drachs aus seiner jüdischen Zeit: »Cérémonial de Paque« (1818), »Odes hébraiques« (1820, 1821), »Prières jounalières«, »Calendrier israélite pour — l’an du monde 5583« (= 16. Sept. 1822 — 6. Sept. 1823).
vgl. Encyclopaedia Judaica, Bd. 6, Sp. 191.
4) P. L. B. Drach, De l’harmonie entre l’Eglise et de la Synagogue ou perpétuité de la religion chretienne (Paris 1825 u. 1828); L. Baumblatt, Der Katholicismus und der Judäismus, S. 34.
5) P. Klein, Drach, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 6, Sp. 191.
6) L. Baumblatt, Der Katholicismus und der Judäismus, frei nach dem französischen Werk »Lettres d’un Rabbin converti aux israelites ses freres« des P. L. B. Drach, nebst Erläuterungen, mit besonderer Rücksicht auf die Juden in Deutschland, Frankenthal, Pfalz, 1841.
7) vgl. L. Baumblatt, a. a. O., S. 2.
8) vgl. L. Baumblatt, a. a. O., S. 9.