PAPST BENEDIKT XVI. ZUM FEST DER KATHEDRA PETRI — 2006

Die Kathedra Petri im Petersdom, vom Hochaltar aus gesehen

BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 22. Februar 2006

Liebe Freunde,

meinen herzlichen Willkommensgruß richte ich an euch alle, die ihr euch hier in der Basilika St. Peter versammelt habt, deren Apsis am heutigen Fest der Kathedra des Apostels Petrus besonders schön geschmückt und beleuchtet ist. Vor allem grüße ich euch, liebe Schüler und Lehrer des »Collegio San Francesco« aus Lodi, die ihr den 400. Jahrestag eurer von den Barnabiten gegründeten Schule feiert, sowie euch, liebe Schüler und Lehrer des Instituts »Maria Immacolata« in Rom.

Das heutige Fest lädt uns ein, auf die Kathedra des hl. Petrus zu blicken, und spornt uns an, unser persönliches und gemeinschaftliches Leben mit dem Glauben zu nähren, der auf dem Zeugnis Petri und der anderen Apostel gründet. Wenn ihr ihrem Beispiel folgt, könnt auch ihr, liebe Freunde, Zeugen Christi in Kirche und Welt sein.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die lateinische Liturgie feiert heute das Fest Kathedra Petri. Es handelt sich dabei um eine sehr alte, seit dem 4. Jahrhundert in Rom bezeugte Tradition, mit der Gott für die Sendung, die dem Apostel Petrus und seinen Nachfolgern anvertraut wurde, gedankt wird. Die »Kathedra« ist in der ursprünglichen Wortbedeutung der feste Sitz des Bischofs, der in der Hauptkirche einer Diözese aufgestellt ist, die deshalb »Kathedrale« heißt; sie ist außerdem das Symbol der Autorität des Bischofs und insbesondere seines »Lehramtes«, das heißt der Lehre des Evangeliums, die er als Nachfolger der Apostel bewahren und an die christliche Gemeinde weitergeben soll. Wenn der Bischof die ihm anvertraute Teilkirche in Besitz nimmt, trägt er Mitra und Hirtenstab und nimmt auf der Kathedra Platz. Von diesem Sitz aus wird er als Lehrer und Hirt den Weg der Gläubigen in Glaube, Liebe und Hoffnung leiten.

Was war also die »Kathedra« des hl. Petrus? Er, der von Christus als »Fels« ausgewählt worden war, um darauf die Kirche zu bauen (vgl. Mt 16,18), begann seinen Dienst in Jerusalem, nach der Himmelfahrt Jesu und nach Pfingsten. Der erste »Sitz« der Kirche war der Abendmahlssaal, und wahrscheinlich war in jenem Saal, wo auch Maria, die Mutter Jesu, mit den Jüngern zusammen betete, für Simon Petrus ein besonderer Platz vorgesehen. Danach wurde Antiochien zum Sitz des Petrus, die am Fluß Orontes in Syrien, heute in der Türkei, gelegene Stadt und damals nach Rom und Alexandrien in Ägypten die drittgrößte Metropole des Römischen Reiches. Von dieser Stadt, die von Barnabas und Paulus evangelisiert worden war und wo »man die Jünger zum erstenmal Christen nannte« (Apg 11,26), wo also für uns der Name Christen entstanden ist, war Petrus der erste Bischof, so daß das Römische Martyrologium vor der Kalenderreform auch ein eigenes Fest der Kathedra Petri in Antiochien vorsah. Von dort führte die Vorsehung Petrus nach Rom. Dies ist also der Weg von Jerusalem, wo die Kirche entstanden ist, nach Antiochien, dem ersten Zentrum der Kirche, die aus Heiden bestand und noch mit der von den Juden herkommenden Kirche verbunden war. Danach begab sich Petrus nach Rom, den Mittelpunkt des Reiches, Symbol des »Orbis« – die »Urbs«, die Stadt, die Ausdruck des »Orbis«, des Erdkreises, ist –, wo er seinen Weg im Dienst des Evangeliums mit dem Martyrium vollendete. Deshalb erhielt der Sitz von Rom, dem die höchste Ehre zuteil geworden war, auch die dem Petrus von Christus anvertraute Ehre, nämlich allen Teilkirchen zu dienen, für den Aufbau und die Einheit des ganzen Volkes Gottes.

Der Sitz von Rom wurde nach diesem Weg des hl. Petrus somit als Sitz des Nachfolgers Petri anerkannt, und die »Kathedra« des Bischofs von Rom repräsentierte die des Apostels, der von Christus beauftragt worden war, dessen ganze Herde zu weiden. Das bezeugen die ältesten Kirchenväter, wie zum Beispiel der hl. Irenäus, Bischof von Lyon, aber aus Kleinasien stammend, der in seinem Traktat Adversus haereses [Gegen die Häresien] die Kirche von Rom als »größte und älteste, bei allen bekannte…, in Rom gegründet und aufgebaut von den zwei glorreichsten Aposteln Petrus und Paulus«, beschreibt. Und er fügt hinzu: »Mit dieser Kirche muß wegen ihres besonderen Vorranges notwendig jede Kirche übereinstimmen, das heißt die Gläubigen von überall« (III, 3, 2–3). Wenig später äußert sich Tertullian so: »Wie gesegnet ist doch diese Kirche von Rom! Es waren die Apostel selbst, die ihr mit ihrem Blut die ganze Lehre weitergegeben haben« (De praescriptione haereticorum, 36). Die Kathedra des Bischofs von Rom verkörpert also nicht nur dessen Dienst an der römischen Gemeinde, sondern seinen Leitungsauftrag für das ganze Volk Gottes.

Die »Kathedra« Petri feiern, wie wir es heute tun, bedeutet daher, ihr eine starke geistliche Bedeutung zuzuschreiben und darin ein bevorzugtes Zeichen der Liebe Gottes zu erkennen, des guten und ewigen Hirten, der seine ganze Kirche zusammenführen und auf dem Weg des Heils leiten will. Unter den vielen Zeugnissen der Kirchenväter möchte ich gern jenes des hl. Hieronymus wiedergeben, das einem seiner Briefe an den Bischof von Rom entnommen und besonders interessant ist, weil es ausdrücklich auf die »Kathedra« Petri Bezug nimmt und sie als sicheren Ankerplatz der Wahrheit und des Friedens darstellt. Hieronymus schreibt: »Ich habe beschlossen, bei der Kathedra Petri anzufragen, dort, wo jener Glaube ist, den der Mund eines Apostels gerühmt hat; ich komme jetzt, um an jenem Ort Nahrung für meine Seele zu erbitten, wo ich einst das Kleid Christi erhalten habe. Ich folge keinem anderen Primat als dem Christi; deshalb setze ich mich mit deiner Heiligkeit in Verbindung, das heißt mit der Kathedra Petri. Ich weiß, daß auf diesem Fels die Kirche gebaut ist« (Briefe I,15,1–2).

Liebe Brüder und Schwestern, in der Apsis der Petersbasilika befindet sich, wie ihr wißt, das Denkmal der Kathedra des Apostels, ein Spätwerk Berninis, dargestellt in Form eines großen bronzenen Thrones, der von den Statuen von vier Kirchenlehrern getragen wird: zwei von ihnen stammen aus dem Westen, der hl. Augustinus und der hl. Ambrosius, und zwei aus dem Osten, der hl. Johannes Chrysostomos und der hl. Athanasios. Ich lade euch ein, vor diesem eindrucksvollen Werk innezuhalten, das heute, mit vielen Kerzen geschmückt, bewundert werden kann, und ganz besonders für das Amt, das Gott mir anvertraut hat, zu beten. Wenn ihr den Blick zu dem Alabasterfenster erhebt, das sich genau über der Kathedra öffnet, dann ruft den Heiligen Geist an, damit er meinen täglichen Dienst an der ganzen Kirche stets mit seinem Licht und seiner Kraft tragen möge. Dafür sowie für eure ergebene Aufmerksamkeit danke ich euch von Herzen.


Facultatis Litterarum Christianarum et Classicarum placet salutare participes, qui huc advenerunt pontificia summi momenti documenta Veterum Sapientia necnon Studia Latinitatis commemoraturi. Iure meritoque Decessores Nostri permagni duxerunt Romani sermonis cognitionem, ut uberrimam doctrinam penitus adipisci possint qui in humanis ecclesiasticisque disciplinis versantur. Eosdem ideo incitamus ad studiose operam dandam, ut quam plurimi ad hunc thesaurum accedant eiusdemque percipiant praestantiam.

[Gern möchten Wir die Angehörigen der Fakultät für christliche und klassische Literaturwissenschaft begrüßen, die hierhergekommen sind, um an die höchst bedeutsamen päpstlichen Dokumente Veterum Sapientia und Studia Latinitatis zu erinnern. Mit vollem Recht haben Unsere großen Vorgänger die Kenntnis der lateinischen Sprache geschätzt und gefördert, damit jene, die sich mit den humanistischen und kirchlichen Fächern beschäftigen, die so reichhaltige Lehre ganz und gar erfassen können. Deshalb ermutigen Wir sie dazu, sich eifrig darum zu bemühen, daß sich möglichst viele mit diesem reichen Schatz befassen und seine Einzigartigkeit begreifen und sich aneignen.]

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Die Kirche feiert heute das Fest Kathedra Petri. Sie dankt dabei Gott für die Sendung, die Jesus Christus, der Herr der Kirche, dem Apostel Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat. Die Kathedra in der Bischofskirche einer jeden Diözese ist Sinnbild der Autorität des Bischofs, insbesondere seines Lehramts, das in der treuen Bewahrung und Weitergabe der Botschaft des Glaubens besteht.

Der Apostel Petrus hat sein Leben im Dienst Christi hier in Rom mit dem Martyrium vollendet. Rom ist daher zu Recht der Sitz seiner Nachfolger. Schon die ältesten Kirchenväter bezeugen die Würde der Kathedra des Bischofs von Rom, dessen Hirtenamt sich auf die ganze Kirche erstreckt. Der hl. Irenäus von Lyon spricht unter anderem davon, daß mit der Kirche von Rom „wegen ihres besonderen Vorrangs notwendig jede Kirche übereinstimmen muß, das heißt die Gläubigen von überall“. Die Kathedra Petri zu feiern besagt somit, ihr eine tiefe geistliche Bedeutung zuzuschreiben und in ihr ein bevorzugtes Zeichen der Liebe Gottes zu seinem heiligen Volk zu erkennen.

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An diesem Festtag heiße ich euch, liebe Brüder und Schwestern aus dem deutschen Sprachraum, ganz herzlich willkommen. Besonders grüße ich die Pilger aus der Diözese Eisenstadt und die Teilnehmer an einem Seminar über das Papsttum aus Südtirol. Unterstützt mit eurem Gebet den Nachfolger Petri in seinem universalen Hirtendienst. Betet mit mir und für mich, daß der Heilige Geist mir mit seinem Licht und seiner Kraft in der Erfüllung meiner Mission stets beistehe. Dafür danke ich euch und dazu erbitte ich euch Gottes reichen Segen.

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Das Fest Kathedra Petri ist ein besonders geeigneter Tag, um anzukündigen, daß ich am kommenden 24. März ein Konsistorium abhalten werde, bei dem ich die neuen Mitglieder des Kardinalskollegiums ernenne. Es ist angemessen, daß diese Ankündigung am Fest der Kathedra stattfindet, da die Kardinäle die Aufgabe haben, dem Nachfolger Petri bei der Ausübung seines apostolischen Amtes, das ihm im Dienst an der Kirche anvertraut wurde, helfend zur Seite zu stehen. Nicht ohne Grund bezeichneten die Päpste in alten kirchlichen Dokumenten das Kardinalskollegium als »pars corporis nostri« (vgl. F.X. Wernz, Ius Decretalium, II, Nr. 459). Die Kardinäle bilden somit um den Papst eine Art Senat, auf den er sich bei der Ausführung jener Aufgaben stützt, die mit seinem Dienst als »immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft« (vgl. Lumen gentium, 18) verbunden sind.

Durch die Kreierung der neuen Purpurträger möchte ich die Zahl der wahlberechtigten Mitglieder des Kardinalskollegiums auf 120 erhöhen, jene Zahl, die von Papst Paul VI. ehrwürdigen Angedenkens festgelegt wurde (vgl. AAS 65, 1973, S. 163). Dies sind die Namen der neuen Kardinäle:

1. Msgr. WILLIAM JOSEPH LEVADA, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre;
2. Msgr. FRANC RODÉ, C.M., Präfekt der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens
3. Msgr. AGOSTINO VALLINI, Präfekt des Obersten Gerichtshofs der Apostolischen Signatur;
4. Msgr. JORGE LIBERATO UROSA SAVINO, Erzbischof von Caracas
5. Msgr. GAUDENCIO B. ROSALES, Erzbischof von Manila
6. Msgr. JEAN-PIERRE RICARD, Erzbischof von Bordeaux;
7. Msgr. ANTONIO CAÑIZARES LLOVERA, Erzbischof von Toledo
8. Msgr. NICOLAS CHEONG-JIN-SUK, Erzbischof von Seoul
9. Msgr. SEAN PATRICK O’MALLEY, O.F.M. Cap., Erzbischof von Boston
10. Msgr. STANISLAW DZIWISZ, Erzbischof von Cracovia
11. Msgr. CARLO CAFFARRA, Erzbischof von Bologna
12. Msgr. JOSEPH ZEN ZE-KIUN, S.D.B., Bischof von Hongkong.


Außerdem habe ich entschieden, drei Geistliche, die älter als 80 Jahre sind, in den Kardinalsrang zu erheben. Dies geschieht aufgrund des Dienstes, den sie mit vorbildlicher Treue und bewundernswerter Hingabe für die Kirche leisten. Es sind: .

1. Msgr. ANDREA CORDERO LANZA DI MONTEZEMOLO, Erzpriester der Basilika St. Paul vor den Mauern
2. Msgr. PETER POREKU DERY, em. Erzbischof von Tamale (Ghana)
3. P. ALBERT VANHOYE, S.I., ehemaliger Rektor des Päpstlichen Bibelinstituts und ehemaliger Sekretär der Päpstlichen Bibelkommission.

In der Schar der neuen Purpurträger spiegelt sich die Universalität der Kirche gut wider: Sie kommen in der Tat aus verschiedenen Teilen der Welt und üben im Dienst am Gottesvolk unterschiedliche Aufgaben aus. Ich lade euch ein, für sie ein besonderes Gebet zu Gott zu erheben, damit er ihnen die erforderliche Gnade gewähre, ihre Sendung mit Großherzigkeit zu erfüllen.

Wie ich zu Beginn sagte, werde ich am 24. März das angekündigte Konsistorium abhalten, und am darauffolgenden Tag, 25. März, am Hochfest der Verkündigung des Herrn, werde ich die Freude haben, einer feierlichen Konzelebration mit den neuen Kardinälen vorzustehen. Zu diesem Anlaß lade ich auch alle Mitglieder des Kardinalskollegiums ein. Es ist meine Absicht, mich mit ihnen am Vortag, am 23. März, bei einer Versammlung mit Gedankenaustausch und Gebet zu treffen.

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Papst Franziskus will gemeinschaftliche Kirchenleitung

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Franziskus spricht sich in Interview mit belgischer Zeitschrift „Tertio“ für stärkeres Hinhören auf die Ortskirchen aus – Staaten besser religionsneutral als religiös, strikter Laizismus jedoch „überholtes Konzept“

Vatikanstadt, 07.12.2016 (KAP) Papst Franziskus strebt ein gemeinschaftliches Leitungsmodell für die Kirche an. Eine Vielfalt von Schattierungen sei charakteristisch für die Kirche; in ihr bestehe „Einheit in Verschiedenheit“, sagte Franziskus in einem bereits vor einigen Wochen geführten Interview, das die belgische Zeitschrift „Tertio“ sowie auch der Vatikan am Mittwoch veröffentlichten. Nachdrücklich warb der Papst für das Prinzip der sogenannten Synodalität. Dieses verlange, nicht „von oben nach unten“ zu regieren, sondern „die Ortskirchen zu hören, sie zu harmonisieren, zu unterscheiden“. Die Kirche selbst entstehe „von der Basis, aus den Gemeinden, aus der Taufe“.

„Entweder gibt es eine pyramidenförmige Kirche, wo man das macht, was Petrus sagt, oder es gibt eine synodale Kirche, in der Petrus Petrus ist, aber die Kirche begleitet, sie wachsen lässt, sie hört“, sagte Franziskus. Die katholische Kirche müsse „in der Synodalität vorangehen; das ist eines der Elemente, das die Orthodoxen bewahrt haben“.

Als Beispiel für dieses Leitungsprinzip verwies er auf das Dokument „Amoris laetitia“ vom April. Es sorgte wegen unterschiedlicher Deutungen im Blick auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen auch unter Kardinälen für eine Kontroverse. Das Schreiben sei „das Ergebnis zweier Synoden, auf denen die ganze Kirche gearbeitet hat, und das der Papst sich angeeignet hat“. Die Inhalte von „Amoris laetitia“ seien von den Synodenteilnehmern mit Zweidrittelmehrheit gebilligt worden. „Das ist eine Garantie“, sagte Franziskus.

Besser „gesunde Laizität“ als Laizismus

Im Interview sprach sich der Papst zudem für eine „gesunde Laizität“ in einem Staat aus. Er sehe den religionsneutralen Staat als „eine gute Sache“ und als „besser als ein religiöser Staat, weil religiöse Staaten schlimm enden“, betonte Franziskus. Die Trennung von Staat und Kirche in einem Gemeinwesen sei „gesund“.

Hingegen wandte er sich gegen einen strikten Laizismus, der alles Religiöse in die Privatsphäre verbannt. Eine solche Ordnung schließe die Tür zur Transzendenz; Offenheit für das Jenseitige gehöre aber zur Natur des Menschen. „Jeden Akt der Transzendenz in die Sakristei zu verweisen, ist eine Sterilität, die nichts mit der menschlichen Natur zu tun hat, die der menschlichen Natur einen guten Teil des Lebens, die Offenheit, nimmt“, sagte der Papst. Die Verbannung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum sei für ihn ein „überholtes Konzept“.

Kritik an Europas Friedenspolitik

Kritisch äußerte sich der Papst im gleichen Interview über die Lehren Europas aus dem Ersten Weltkrieg. Die Forderung „Nie wieder Krieg“ sei „nicht ernst genommen worden“. Nach einem Zweiten Weltkrieg sei jetzt ein dritter in Gang, der „auf Raten“ geführt werde. Der Papst verwies auf die Ukraine, den Nahen Osten, Afrika und den Jemen. „Wir sagen ‚Nie wieder Krieg‘, und derweil produzieren wir Waffen und verkaufen sie, verkaufen sie an beide Seiten, die sich bekämpfen“, sagte Franziskus.

Während europäische Gründerväter wie Robert Schuman, Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer den Ruf „Nie wieder Krieg“ noch ehrlich gemeint hätten, fehle es heute in Europa an Führungsgestalten, so der Papst.

„Kein Krieg im Namen Gottes“

Terror und Krieg könnten nie in Beziehung zur Religion stehen, erklärte der Papst. Keine Religion als solche könne Krieg hervorbringen, da sie in diesem Fall einen Gott der Zerstörung und des Hasses proklamieren würde. Franziskus: „Man kann keinen Krieg im Namen Gottes oder im Namen einer religiösen Position führen.“

Religiös motivierter Terrorismus existiere freilich, dabei würden jedoch „religiöse Deformationen“, die „nicht an die Essenz des Religiösen“ rührten, als Vorwand für Terror und Gewalt genutzt. Fundamentalistische Gruppen gebe es in allen Religionen, auch im Christentum, so der Papst, und weiter: „Es sind diese kleinen religiösen Gruppen, die ihre eigene Religion entstellt, krank gemacht haben.“

Zufrieden äußerte sich der Papst über das vor kurzem zu Ende gegangene „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“. Das Heilige Jahr sei „keine plötzliche Idee“ gewesen; vielmehr habe er im Lauf der Zeit „gespürt, dass der Herr das wollte“. Es sei „offensichtlich sehr gut gelaufen“, wobei besonders die Tatsache, dass das Jubiläumsjahr nicht auf Rom beschränkt war, viele Menschen in Bewegung gesetzt habe.

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Die letzten Nachfolger Petri und das Ökumenische Konzil Vatikanum II -14

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DER HEILIGE STUHL – DIE CATHEDRA PETRI

ACHTER TEIL

DAS LEHRAMT DER KIRCHE

In diesem Teil setze ich die Erörterung der Grundzüge der neuen um­fassenden Gesamtschau der Kirche fort.

„Wie sollen sie den Namen des Herrn anrufen, an den sie nicht glau­ben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt? Wie soll aber jemand ver­kündigen, wenn er nicht gesandt ist? Darum heißt es in der Schrift: Wie sind die Freudenboten willkommen, die Gutes verkündigen! (…) So gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft im Wort Christi“ (Röm 10,14-15.17).

Christus hat keine abstrakte Religion gegründet, keine reine religiöse Schule und Denkrichtung; er hat vielmehr eine Gemeinschaft von Apo­steln und Lehrern eingesetzt, die seine Botschaft verbreiten sollen. Die Kirche wird aus der lehrenden Kirche geboren und nicht aus sich selbst; oder besser: Sie wird aus Christus geboren, der seine Apostel aussendet: „Darum geht (…) und lehrt (…)“ (Mt 28,19). Der göttliche Meister übergibt den Aposteln (und ihren Nachfolgern) sein Lehramt. Das Amt Christi, des Meisters, setzt sich in der Zeit im kirchlichen Lehramt fort. Das Lehramt der Kirche repräsentiert die Person Jesu des Meisters und lehrt in seinem Namen und in seiner Vollmacht. Das Lehramt zeigt letztlich nur den Weg des Evangeliums auf.

 

I. SUBJEKT UND OBJEKT DES LEHRAMTES

Alle in der Kirche müssen „dem Lehramt, der nächsten und unmittel­baren Glaubensregel kindlichen Gehorsam leisten. Das Lehramt besteht aus dem Papst und den mit ihm verbundenen Bischöfen.“1

Subjekt des Lehramtes der Kirche ist das Bischofskollegium mit seinem

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1 Johannes XXIII., Ansprache vom 29. 7. 1961, in: AAS 53 (1961) 565; vgl. Paul VI., Ansprache vom 15. 4. 1970, 314 f; ders., Ansprache vom 1. 10. 1966, 454; Johannes Paul II., Ansprache vom 24.5. 1983,1, 1354; ders., Ansprache vom 18. 5. 1985, 1, 1481: „Es gibt nur ein Lehramt, das den Aposteln in Vereinigung mit Petrus und ihren Nachfolgern übertragen ist“; vgl. ders., Schreiben vom 2. 7. 1988, in: EnV 11, 699: Der Bischof von Rom und das Bischofskollegium sind die Inhaber des universellen Lehramtes der Kirche.

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sichtbaren Haupt. Der Bischof von Rom ist „der Vater und Lehrer aller Christen“2. So wie es kein Bischofskollegium ohne sein irdisches Haupt gibt, so gibt es auch kein Lehramt ohne den Papst. Der Papst personifi­ziert das Lehramt. Er ist sein irdisches Fundament, sein Mittelpunkt, sein Pol und Angelpunkt.

„Die Lehre des Glaubens, die Gott geoffenbart hat, wurde nämlich dem menschlichen Geist nicht wie ein philosophisches System zur Vervoll­kommnung vorgelegt, sondern der Kirche, der Braut Christi als göttlicher Schatz anvertraut, damit sie ihn getreu behüte und unfehlbar verkünde.“3

„Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte (vgl. Erstes Vatika­nisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben III, in: DzH 3011) Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut (vgl. Pius XII., Humani generis, in: DzH 3886), dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird“ (DV 10).

„Diesen Glaubensschatz nun hat der göttliche Erlöser weder einzelnen Christen noch selbst den Theologen zur authentischen Auslegung anver­traut, sondern allein dem Lehramt der Kirche.“4

Das geschriebene Wort Gottes ist in der Heiligen Schrift enthalten. Das überlieferte Wort Gottes ist in der göttlichen Überlieferung enthalten. Der göttliche Glaubensschatz der katholischen Lehre besteht aus der Heiligen Schrift und der göttlichen Überlieferung. Das Lehramt der Kirche steht nicht über dem Wort Gottes – es steht nicht über dem göttlichen Glau­bensschatz. Das Lehramt ist ein unzweideutiges und lebendiges Organ für einen bestimmten Dienst, nämlich für die authentische Auslegung des göttlichen Glaubensschatzes. Das Lehramt bewahrt die ursprüngliche Bedeutung des geschriebenen und überlieferten Wortes Gottes; es lehrt es, legt es aus und entfaltet es. Es legt es in seiner objektiven, umfassen­den, eindeutigen und festen Bedeutung dar. Die Sendung des Lehramtes ist, die göttliche Offenbarung zu lehren und nicht die Ergebnisse von menschlichen Forschungen oder philosophischen Erfindungen.

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2 Ökumenisches Konzil von Florenz, Dekret für die Griechen, in: DzH 1307.

3 Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben IV, in: DzH 3020.

4 Pius XII., Humani generis, in: DzH 3886; vgl. Pius XII., Ansprache vom 24.10.1954, in: Discorsi XVI, 228; Paul VI., Ansprache vom 11. 1. 1967, 672; Pius XII., Ansprache vom 22. 9, 1956, in: Discorsi XVIII, 467: Das „kostba­re Gut“ (2 Tim 1,14; vgl. 1 Tim 6,20) beinhaltet das „depositum fidei“ (Glaubensschatz) und das „depositum gratiae“ (Gnadenschatz).

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Das Objekt der Lehre des Lehramtes der Kirche ist „der Schatz der gött­lichen Offenbarung“ (LG 25) — der göttliche Schatz der katholischen Leh­re. Das Lehramt lehrt in Glaubens- und Sittenfragen sowie in Fragen der Wahrheit, die eng damit verbunden sind.

Die Ausübung des Lehramtes der Kirche ist ordentlich und manchmal auch außerordentlich. Die Ausübung des ordentlichen Lehramtes des Papstes umfaßt eine ununterbrochene Reihe von mündlichen oder schrift­lichen Verlautbarungen. Der Papst übt sein außerordentliches Lehramt aus, wenn er in einem bestimmten Punkt der Glaubens- oder Sittenlehre allein oder mit dem Konzil der Bischöfe ex cathedraspricht. Das Bi­schofskollegium übt das außerordentliche Lehramt auf den Ökumeni­schen Konzilien aus. In Vereinigung mit dem ordentlichen Lehramt sei­nes irdischen Hauptes übt das Kollegium ebenfalls das ordentliche Lehr­amt aus.

 

II. DIE UNFEHLBARKEIT DER KIRCHE

1. Die Kirche — eine Weiterführung Christi,
der die Wahrheit ist

Der Mensch ist fehlbar. Im Bereich der rein menschlichen Erkenntnis ist nicht nur Raum für den Fortschritt in der Wahrheit, sondern auch und nicht selten für die Korrektur grundlegender Irrtümer. Gott selbst, der vollkommen Unfehlbare, wollte sein neues Volk mit einer teilhabenden und auf den Bereich der Glaubens- und Sittenfragen eingegrenzten Un­fehlbarkeit ausstatten.

„Die Kirche muß sehr demütig und zugleich gewiß darüber sein, daß sie eben in jener Wahrheit, in jener der Glaubens- und Sittenlehre bleibt, die sie von Christus empfangen hat, der sie in diesem Bereich mit dem Geschenk einer besonderen „Unfehlbarkeit“ ausgestattet hat. Das II. Vati­kanum hat vom Ersten Vatikanischen Konzil die diesbezügliche Lehre der Tradition geerbt, sie bekräftigt und in einem umfassenderen Zusammen­hang dargestellt, und zwar im Zusammenhang der Sendung der Kirche, die dank der Teilhabe an der prophetischen Sendung Christi selbst einen prophetischen Charakter besitzt.“5

„Es besteht eine Rangordnung oder »Hierarchie« der Wahrheiten inner­halb der katholischen Lehre“ (UR 11). Die Wahrheit über die Unfehlbarkeit der Kirche kann in dieser Hierarchie zu Recht als weniger zentrale und zweitrangige Wahrheit erscheinen; trotzdem ist sie in gewisser Weise der Schlüssel für die Gewißheit des Glaubensbekenntnisses und der Glaubens­verkündigung, für das Leben und das Verhalten der Gläubigen.

„»Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen Geist haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren. Und diese besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubens­sinn des ganzen Volkes kund, wenn sie „von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien“ (vgl. Augustinus, De Praed. Sanct. 14, 27, in: PL 44, 980) ihre allgemeine Übereinstimmung in Fragen des Glaubens und der Sitten äußert« (LG 12).

Man beachte, wie gut aus dem Konzilstext hervorgeht, daß jene »Überein­stimmung in Fragen des Glaubens und der Sitten« nicht aus einer Umfrage oder einer Volksabstimmung erwachsen ist. Sie kann nur in rechter Weise verstanden werden, wenn man sich der Worte erinnert: »Ich preise dich, Va­ter, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast« (Mt 11,25).“6

Die Kirche hat im Heiligen Geist an der Unfehlbarkeit Christi, der Wahrheit, teil und zwar auf der Ebene des Lehramtes und auf der Ebene des Volkes Gottes. Das Lehramt ist mit einem besonderen Charisma der Wahrheitsgewißheit ausgestattet. Im katholischen Volk erweckt und nährt der Geist der Wahrheit den Glaubenssinn. Dank dieses „Sinnes“, in dem die göttliche „Salbung“ Frucht bringt, „hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes unfehlbar am Glauben fest“ (LG 12).

„So spricht der Herr:

Ich kehre zurück nach Zion
und wohne wieder in Jerusalem.
Dann wird Jerusalem »Stadt der Wahrheit«
heißen und der Berg des Herrn der Heere
»Heiliger Berg«“ (Sach 8,3).

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5 Johannes Paul II., Schreiben vom 15. 5. 1980, 1, 1433; vgl. ders., Ansprache vom 9. 3. 1980, 1, 535; ders., Ansprache vom 9. 1. 1991, 1, 54f; Kongregation für die Glaubenslehre, Mysterium fidei (24. 6. 1973), Nr. 2, in: EnV, 1664-1667.

6 Johannes Paul II., Ansprache vom 13. 5. 1992, 1, 1416.

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„Ist das Kreuz von Golgotha, Quelle der Weisheit, der Kraft und des Sieges (vgl. 1 Kor 1,22-25), nicht das göttliche Zeichen der Erlösung für alle Kinder Abrahams und Licht des ewigen Heiles für die ganze Mensch­heit, die auf dem Meer des Irrtums und der Schuld Schiffbruch erlitten hat?“7

„Die Kirche ist die Heilswahrheit, weil die Kirche der mit seinem Wort und seinem Heilswerk in der Zeit gegenwärtige Christus ist.“8

„Die Katholische Kirche, die Stadt Gottes, »die die Wahrheit als König, die Liebe als Gesetz und die Ewigkeit als Maß hat« (Augustinus, Ep. 138, 3, 17), verkündet die Wahrheit Christi ohne Irrtümer und ohne Verkür­zungen und handelt nach der Liebe Christi mit mütterlichem Eifer. Sie erscheint gleichsam als beseligende Schau des Friedens über den Strudeln der Irrtümer und Leidenschaften.“9

Die Geschichte und Geographie der Erde der Personen offenbart auch die Geschichte der Wahrheit und die Geographie der Wahrheit. Den bei­den zuletzt genannten Wirklichkeiten widersprechen die Geschichte des Irrtums und die Geographie des Irrtums. Auf der unteren Hemisphäre der Erde der Menschen herrscht das Kreuz des Irrtums (der Irrtümer). Dieses Kreuz zerteilt, verkürzt, verdunkelt… in verschiedenen Graden und Weisen die Wahrheit über Gott, den Menschen und die Welt.

Das negative Kreuz des Irrtums (und der Lüge) wächst und verzweigt sich in der Hemisphäre. Es erreicht seinen Höhepunkt auf der polaren Ebe­ne: im polaren Babylon. Diese Stadt ist die Hauptstadt des Irrtums (der Unwahrheit), der Lüge (der Anti-Wahrheit) und der Irrlehren in der Ge­schichte und Geographie der Menschheit. Und obschon sie einerseits der Sitz der hauptsächlichen Irrtümer und Lügen ist, verbreitet sie paradoxer­weise andererseits ununterbrochen Teilwahrheiten. Das Kreuz des Irrtums (und der Lüge), das den Verstand der Personen unterjocht, manifestiert sich durch die äußeren Personen in der Geschichte und Geographie der äußeren Menschheit.

Die Gesamtkirche ist die Fortsetzung Christi, der Wahrheit, in der

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7 Pius XII., Ansprache vom 4. 9. 1940, in: Discorsi II, 218.

8 Johannes Paul II., Ansprache vom 21. 11. 1982, 3,1390.

9 Pius XII., Summi Pontificatus, in: Discorsi III, 466; vgl. Johannes Paul IL, Ansprache vom 25. 1. 1986, 1, 194; ders., Ansprache vom 13. 10. 1979, 2, 743; vgl. Paul VI., Ansprache 20. 3. 1974, 270: Papst Paul VI. gebraucht die Formulierung „Topographie der Lehre“.

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Heilsgeschichte und Heilsgeographie der Erde der Personen. Deshalb ist die Kirche auf dieser Erde gleichsam das neue Jerusalem, die „Stadt der Heilswahrheit(en)“; sie ist der Berg und der heilige Tempel der Heils­wahrheit(en). In der Gesamtkirche herrscht das heilbringende Kreuz Christi, der Wahrheit: das Kreuz der umfassenden und heilbringenden Wahrheit über Gott, den Menschen und die Welt.

In Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, und in der Kraft des Heiligen Geistes ist das polare Jerusalem die Hauptstadt der Heils­wahrheit(en) in der Geschichte und Geographie der Kirche und der Menschheit. Das Kreuz Christi, der Wahrheit, herrscht auch in der he­misphärischen Kirche und in der äußeren Kirche. Das umfassende und heilbringende Kreuz der Wahrheit manifestiert sich sichtbar in der Ge­schichte und Geographie der äußeren Kirche. Bei jenen Christen, die auf der Ebene der Längen- und Breitengrade der hemisphärischen Kirche verflacht sind, wurde die umfassende Wahrheit auf verschiedenen Gra­den und Weisen durch ein Kreuz des Irrtums (der Irrtümer) vermindert. Deshalb bekennen sie nach außen auch nur eine vermindert globale Wahrheit.

2. Die Arche der Kirche und die Stürme

„»Er stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm« (Mt 8,23). Wenn ihr auf der Fahrt des Lebens wie die Apostel Jesus bei euch habt, dann braucht ihr weder Stürme noch Gegenwinde zu fürchten. Das Bild vom Boot ist Symbol für die Kirche in der Welt. »Wir sind, wenn wir die Fluten und Stürme dieser irdischen Welt betrachten, wie Schiffahrer. Doch wir gehen nicht unter, weil wir vom Holz des Kreuzes getragen werden« (Au­gustinus, Tract. in Jo., 27,7). Die Kirche ist dieses Holz des Heiles, das euch die Überfahrt sichert.“10

Die Gesamtkirche, die vom Kreuz Christi getragen wird, ist die Arche Noachs: die Arche der Heilswahrheit(en). Denn sie trägt den Schatz der göttlichen Offenbarung und damit auch die umfassende Heilswahrheit über Gott, den Menschen und die Welt. Sie trägt ihn (sie) in ihrer äußeren Ebene (in dem ersten Stockwerk der Arche), in ihrer hemisphärischen Ebene (im zweiten Stockwerk der Arche) und in ihrer polaren Ebene (in

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10 Johannes Paul II., Ansprache vom 19. 3. 1987, 1, 602-603; Paul VI., Ansprache vom 19. 4. 1964, 1087: „Das Ruder und der Mast, die das Schiff des christlichen Lebens führen und leiten, ist das Kreuz: der Hafen ist das ewige Leben, er ist die unverhüllte Begegnung mit Christus.“

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dem dritten Stockwerk der Arche: das polare Jerusalem, das Allerheilig­ste des Tempels der Kirche). Die Arche der Kirche rettet die Teilwahrhei­ten der gefallenen Menschheit aus der Zersplitterung und Zerstreuung. Sie integriert sie in die umfassende Einheit der Heilswahrheit. Auf ihrer Fahrt weicht die Gesamtkirche von ihrem Pol, von Gott, der Wahrheit, nicht ab und erleidet daher trotz aller Stürme keinen Schiffbruch in einer Irrlehre (oder in mehreren Irrlehren) und Irrtümern. Und dies nicht ein­mal in den Stürmen der Geschichte.

„Nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ist »dieses messia­nische Volk, obwohl es tatsächlich nicht alle Menschen umfaßt und gar oft als kleine Herde erscheint, für das ganze Menschengeschlecht die un­zerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils« (LG 9).“11

„»Die Wahrheit ist in sich fest und kann von keinem Ansturm ausgerottet wer­den« (Thomas von Aquin, Contra gentiles, III, 10). Die Wahrheit kann wie Jesus Christus abgelehnt, verfolgt, bekämpft, verletzt, gequält und ge­kreuzigt werden; doch sie ersteht und erwacht immer wieder zu neuem Leben und kann nie aus dem Herzen des Menschen herausgerissen wer­den.“12

„Christus ist auf dem Schiff der Kirche gegenwärtig und lenkt es auch in den heftigsten Stürmen.“13

In einem heftigen Sturm (vgl. Mt 8,23-26), den der Geist des Bösen, des Irrtums und der Lüge herbeigeführt und heraufbeschworen hat, setzt sich die Arche der Kirche mit einer vielgestaltigen Irrlehre (oder mit mehreren Irrlehren) auseinander. Zudem muß sie sich intensiv mit den Irrtümern der hektischen Welt auseinandersetzen. Die heftigen Fluten und Wellen der Irrlehre und der Irrtümer versuchen in ihr Inneres einzudringen und

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11 Johannes Paul II., Ansprache vom 13. 11. 1991, 2,1132.

12 Ders., Ansprache vom 13. 9. 1980, 2, 609.

13 Ders., Schreiben vom 15. 5. 1980, 1, 1442; vgl. ders., Ansprache vom 10. 10. 1988, 3,1159-1163; Johannes XXIII., Ansprache vom 20. 3. 1960, in: Discorsi II, 623: „Die Wahrheit macht uns frei, wie der Apostel Johannes sagt. Und dennoch, wenn es etwas gibt, was auf Erden mißhandelt wird, dann ist es die Wahrheit“; Pius XII., Ansprache vom 13. 5. 1942, in: Discorsi IV, 71: „Der Herr ist nie so wachsam und seiner Kirche nie so nah wie in den Stunden, da seine Kinder von den Ängsten und Stürmen bedrängt werden und eindringlich rufen: „Meister, kümmert es dich nicht, daß wir zugrunde gehen?« (Mk 4,38) »Herr, rette uns, wir gehen zugrunde!« (Mt 8,25)“; Pius XII., Ansprache vom 24. 12. 1944, in: Discorsi VI, 230: „Mitten in der Menschheit erhebt sich als Wächtern und Beschützerin »die Stadt auf dem Berg«, die Kirche Christi. Die aufgewühlten und tosenden Fluten des Meeres brechen sich an dem Fuße ihrer Mauern, doch in ihrem Innern, nämlich im Allerheiligsten ihres Glaubens und ihrer Hoffnung, bleibt sie unzerstörbar.“

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sie zu versenken. So kommt es, daß ein großer Teil der Gläubigen im Glauben Schiffbruch erleidet. Als verdrehte innere Personen ziehen sie dann die Arche nach unten, während sie als äußere Personen in ihrem ersten Stockwerk verbleiben.

Sehr viele Christen sind als innere Menschen den manchmal unmerk­lichen, manchmal tosenden Fluten ausgesetzt. Mit dem Aufkommen des Sturmes geraten sie ins Wanken und gleiten immer mehr in das zweite Stockwerk der Arche ab. Das Kreuz des Irrtums (und der Irrtümer) wird in ihnen immer größer, während das Kreuz der umfassenden Heilswahr­heit – der völlig umfassende Glaube – immer kleiner wird. Durch sie dringt das trübe Wasser des Irrtums in das erste und zweite Stockwerk der Arche ein.

Nur eine „kleine Herde“ (Lk 12,32) bleibt im polaren Jerusalem: auf dem Gipfel des Berges der Heilswahrheit und im Allerheiligsten des Tem­pels der Heilswahrheit. Dieser kleine Rest liebt heroisch Gott, die Wahr­heit und bleibt der göttlichen Offenbarung vollkommen treu. Daher weicht er vor keinem gewaltigen Ansturm zurück und bewahrt unver­sehrt den umfassenden Glauben. Er behütet die Fülle der umfassenden und heilbringenden Wahrheit der christlichen Lehre. Er bewahrt die um­fassende Wahrheit in den drei Stockwerken der Arche der Kirche.

Mit unerschütterlicher Siegesgewißheit halten die Glieder der kleinen Herde vollkommen und heldenmütig am Kreuz Christi, der Wahrheit, fest. Um der Wahrheit willen werden sie ausgestoßen, verfolgt, bekämpft und gekreuzigt. Mit der Kraft des Geistes der Liebe erfüllt, sind sie voll­kommen am heilbringenden Kreuz Christi, der Wahrheit, erhöht. Mit der polaren, solaren und globalen Wahrheit triumphieren die Glieder der kleinen Herde glorreich über das finstere Kreuz der Irrlehre, des Irrtums und der Lüge. Wenn die Arche der Gesamtkirche scheinbar völlig zu ver­sinken droht, rettet Christus sie durch einen kleinen Rest, in welchem er das Geheimnis seines Kreuzes und seiner Auferstehung in einer besonde­ren Fülle erneut durchlebt. „Da stand er (Jesus) auf, drohte den Winden und dem See, und es trat völlige Stille ein“ (Mt 8,26). Und die Arche der Kirche, die aus diesem Sturm hervorgeht, hat den göttlichen Schatz ohne jeden Irrtum bewahrt.

 

III. DIE UNFEHLBARKEIT DES LEHRAMTES


1. Das Bischofskollegium

„Mit göttlichem und katholischem Glauben ist ferner all das zu glau­ben, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche — sei es in feierlicher Entscheidung oder kraft ihres gewöhnlichen oder allgemeinen Lehramtes — als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt wird.“14

„Das Zweite Vatikanische Konzil versichert uns: »Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte (vgl. Erstes Vatikanisches Konzil, Dog­matische Konstitution über den katholischen Glauben III, in: DzH 3011) Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kir­che anvertraut (vgl. Pius XII., Humani generis, in: DzH 3886)« (DV 10). Das magisterium (Lehramt) ist nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm mit einem besonderen charisma veritatis certum — einem sicheren Charisma der Wahrheit (DV 8), welches das Charisma der Unfehlbarkeit einschließt. Dieses Charisma ist nicht nur in den feierlichen Definitionen des Papstes und der Ökumenischen Konzilien, sondern auch im ordentlichen univer­sellen Lehramt (LG 25) gegenwärtig, das wirklich als die gewöhnliche Äußerung der Unfehlbarkeit der Kirche betrachtet werden kann.“15

Die einzelnen Bischöfe besitzen nicht den Vorzug der Unfehlbarkeit. Wenn sie jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri „authentisch in Glaubens- und Sittenfragen lehren und eine bestimmte Lehre übereinstimmend als endgültig ver­pflichtend verkünden, legen sie auf unfehlbare Weise die Lehre Christi vor (vgl. Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den Glauben III, in: DzH 3011)“ (LG 25). Das Lehramt des Bischofskollegiums mit dem Nachfolger Petri — das ordentliche universelle Lehramt der Kir­che ist unfehlbar: es bewahrt den göttlichen Schatz ohne Irrtum und über­liefert durch die Jahrhunderte die offenbarten Wahrheiten rein und un­versehrt.

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14 Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über den katholischen Glauben III, in: DzH 3011.

15 Johannes Paul IL, Ansprache vom 15. 10. 1988, 3,1227; vgL Pius XII., Munificentissimus Deus, in: Discorsi XII, 447­448; Kongregation für die Glaubenslehre, Mysterium fidei, Nr. 3; in: EnV 4,1668-1671.

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„Die Gläubigen sollen auf die Lehre der Bischöfe antworten, indem sie ihr im Geist des Glaubens zustimmen. Das Konzil lehrt: »Die Bischöfe, die in Ge­meinschaft mit dem römischen Bischof lehren, sind von allen als Zeugen der göttlichen katholischen Wahrheit zu verehren« (LG 25).

Wie man sieht, erklärt das Konzil genau, daß die wesentliche Bedin­gung für den Wert und das Verpflichtende der Lehre der Bischöfe ist, daß sie in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof stehen und sprechen. Zweifellos hat jeder Bischof seine eigene Persönlichkeit und stellt die Leh­re des Herrn dar, indem er sich seiner eigenen Fähigkeiten bedient. Aber gerade weil es sich darum handelt, die der Kirche anvertraute Lehre des Herrn zu verkündigen, muß der Bischof immer mit dem sichtbaren Ober­haupt der Kirche in Gemeinschaft des Denkens und des Herzens ste­hen.“16

Die tiefe Gemeinschaft im Denken und Herzen mit dem Nachfolger Petri bewahrt die einzelnen Bischöfe vor Abweichungen von der katho­lischen Lehre. Wenn ein Bischof (oder eine Gruppe von Bischöfen) in der vollkommenen Übereinstimmung mit der universellen Lehre des Papstes nachläßt, entfernt er sich vom polaren Jerusalem. Und gleichzeitig ver­mindert sich sein Zeugnis, was die Fülle der göttlichen und katholischen Wahrheit betrifft. Indem er den Horizont des vollkommen umfassenden Glaubens verkürzt, betritt er die absteigenden, gewundenen und zentri­fugalen Wege eines Irrtums (oder mehrerer Irrtümer). Wenn er sich als innere Person verdreht und in die untere Hemisphäre der theologischen und anthropologischen Welt hinabsteigt und zur polaren Stadt Babylon geht, fällt er in einen schweren Irrtum (in schwere Irrtümer). Wenn der irrige Hirte versucht, seine Herde mitzureißen, ist kein Christ verpflich­tet, ihm Gehorsam zu leisten. Im Gegenteil: Jeder Christ muß in der Wahrheit des katholischen Glaubens bleiben und die gesamte Lehre des Nachfolgers Petri annehmen.

In großen Stürmen der Geschichte kommt es jedoch manchmal vor, daß ein Teil der Glieder des Lehramtes in einer Irrlehre (oder in mehreren Irrlehren) Schiffbruch erleidet. Die Irrlehre reißt ein Loch in das umfas­sende Netz des Glaubens und verursacht ein Leck in der Arche der Kir­che. Ein anderer Teil der Glieder des Lehramtes wird auf den Längen- und Breitengraden des zweiten Stockwerkes der Arche der Kirche von dem hohen Wellengang hin- und hergeworfen. Mit der fortschreitenden

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16 Johannes Paul II., Ansprache vom 4. 11. 1992, 2, 476.

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Verwässerung der Wahrheit wird in diesen Gliedern ein Kreuz des Irr­tums und ein Kreuz der Disziplinlosigkeit immer größer. Während also die trüben Wasser des Irrtums in das erste und zweite Stockwerk der Ar­che der Kirche eindringen, harrt nur ein kleiner Rest im polaren Jerusa­lem aus. Mit dem heilbringenden Kreuz der völlig umfassenden Wahrheit und Disziplin kämpft er heldenmütig gegen das negative Kreuz der Irr­lehre, des Irrtums und der Disziplinlosigkeit. Dieses negative Kreuz läßt in der Tat das Schiff der Kirche sinken.

„Die der Kirche verheißene Unfehlbarkeit ist auch in der Körperschaft der Bischöfe gegeben, wenn sie das oberste Lehramt zusammen mit dem Nachfolger Petri ausübt“ (LG 25). Es handelt sich hier um die Ökume­nischen Konzilien, zu denen sich alle Bischöfe mit dem Papst ver­sammeln. Letzterer muß jedoch nicht persönlich anwesend sein, sondern er kann sich durch seine Legaten vertreten lassen.

„Die Ökumenischen Konzilien vom I. Nizänum im Jahr 325 bis zum I. Vatikanum im Jahr 1869-1870 werden alle als Repräsentanz der ge­schlossenen und organisierten Katholizität verstanden, um mit der Voll­macht Christi die Unversehrtheit des Glaubens und die Gültigkeit der Disziplin zu verteidigen, um wichtige Lehr- oder Sittenfragen zu lösen oder ernste religiöse und manchmal politische und soziale Situationen zum Besseren zu wenden.“17

„Die Ökumenischen Konzilien sind jedes Mal, wenn sie zusammen­kommen, ein feierlicher Vollzug der Vereinigung mit Christus und seiner Kirche. Deshalb führen sie zu einer universellen Ausstrahlung der Wahr­heit, der richtigen Ausrichtung des individuellen, häuslichen und gesell­schaftlichen Lebens; zur Stärkung der geistlichen Kräfte, in ständiger Er­hebung zu den wahren und ewigen Gütern.“18

Die Ökumenischen Konzilien sind wesentlich religiöse Ereignisse. Sie betreffen vor allem die innere Erneuerung des Lebens der Kirche: die Er­neuerung des Glaubenslebens, des moralischen Verhaltens und manch-

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17 Johannes XXIII., Ansprache vom 24. 1. 1960, in: Discorsi 11,127.

18 Ders., Ansprache vom 11. 10. 1962, in: Discorsi IV, 580; Paul VI., Ansprache vom 6. 5. 1967, 210: Das Ökumenische Konzil ist „das Organ der höchsten Gewalt der Kirche und der Augenblick ihres vollsten Bewußtseins“; vgl. ders., Ansprache vom 14. 9. 1965, 472-474; ders., Ansprache vom 8. 1. 1976, 14; Pius XII., Mystici corporis, in: Discorsi V, 290: „»Christus hat, wenn auch nicht sichtbar, bei den Konzilien der Kirche den Vorsitz und leitet sie« (vgl. Cyrill von Alexandrien, Ep. 55)“; vgl. ders., Schreiben vom 21. 11. 1945, in: Discorsi VII, 465: Die Ökume­nischen Konzilien sind vorzügliche Heilmittel für die großen Übel, welche die Christenheit bedrohen.

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mal auch des gesellschaftlichen Lebens der Christen. Die Kirche macht, so kann man sagen, vor Christus ihre Gewissenserforschung und unterschei­det genau im Licht des Heiligen Geistes „die Zeichen der Zeit“.

Wann immer ein Ökumenisches Konzil stattfand, ging es um das Ge­schick der Kirche. Deshalb war Christus im Heiligen Geist gegenwärtig und wirkte in sehr hohem Maß in der Versammlung der Konzilsväter. Christus leitete im Heiligen Geist den Teil der Bischöfe, die auf unter­schiedlichen Wegen zum polaren Jerusalem unterwegs waren. Wenn die große Mehrheit der Bischöfe sich im polaren Jerusalem niederließ, dann erreichte das Ökumenische Konzil sozusagen einen universellen Konsens in den behandelten Glaubens- und Sittenfragen.

Im polaren Jerusalem definierten die vom Heiligen Geist vollkommen erleuchteten Ökumenischen Konzilien die christliche Lehre in Glaubens-und Sittenfragen. Dies geschah durch Zustimmung des Nachfolgers Petri oder wenigstens, indem er die definierte Lehre annahm oder bestätigte. Die Konzilsdefinitionen in Glaubens- und Sittenfragen sind unfehlbar. Die Ökumenischen Konzilien besserten jene Teile des umfassenden Net­zes der christlichen Lehre aus, die durch die Irrlehren und Irrtümer zer­rissen wurden. Verschiedene Ökumenische Konzilien stellten auch ver­schiedene Teile des Netzes der Disziplin der Arche der Kirche wieder her und erneuerten sie. In dieser Hinsicht waren sie jedoch nicht in allem un­fehlbar.

Eine dogmatische Definition drückt genau (ohne Irrtum) eine in den Quellen der Offenbarung enthaltene Wahrheit aus. Gewöhnlich gehen sol­chen Definitionen große Bemühungen voraus: ein hundertjähriger oder jahrhundertelanger Aufstieg der verschiedenen theologischen Schulen auf den Berg der Heilswahrheit. Denn man mußte die auseinandergehenden Auffassungen eines Glaubensgeheimnisses überwinden und einen eindeu­tigen und umfassenden Sinn der diskutierten Begriffe festlegen.

Das Lehramt bestimmte unter dem Beistand des Heiligen Geistes die richtige Hülle (die richtige Formulierung) und den richtigen Sinn der zur Frage stehenden Glaubenswahrheiten. Dann verkündete es die Dogmen und das gewöhnlich auf den Ökumenischen Konzilien. Um die göttliche, eindeutige und universelle Bedeutung der dogmatischen Definitionen zu erfassen, muß man persönlich auf den Berg Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen, und auf den Berg Gottes steigen. Um sie vollkommen zu verstehen, muß man die oberflächlichen Denkrichtungen und die flachen theologischen Strömungen überwinden. Man muß letztlich geistig im polaren Jerusalem wohnen.

„Die Geschichte der Kirche zeigt uns, daß sich das doktrinelle, pastorale und erneuernde Handeln der einzelnen Konzilien oft zwanzig oder dreißig Jahre verzögert. Die Neuheit hemmt einige, so daß sie keine treuen Hörer sind. Andererseits täuschen sich einige extreme Erneuerer: Denn sie ver­breiten eher eigene doktrinelle und pastorale Urteile als die vom höchsten Hirten und den mit ihm verbundenen Bischöfen verkündete Lehre. Nur im folgenden Zeitraum werden die Konzilslehren als solche Gegenstand syste­matischer Studien und verwandeln sich in Impulse für die Pastoraltheolo­gie, das Leben der Kirche und die wahre Reform.“19

„Die Geschichte lehrt, daß jedem Konzil Zeiten außerordentlicher geist­licher Fruchtbarkeit folgen, in denen das Wehen des Heiligen Geistes hochherzige und heldenmütige Berufungen weckt und der Kirche die notwendigen und geeigneten Menschen schenkt.“20

Wenn die Gesamtkirche ein Ökumenisches Konzil abhielt, hat sie einen großen Sturm entscheidend überwunden. Trotzdem setzte sich der große Sturm allzuoft auch nach dem Konzil noch für eine gewisse Zeit fort. Aber in der Zwischenzeit erfolgte in der Kirche bereits der Prozeß der sogenannten „Annahme des Konzils“. Die großen Heiligen warfen mit Eifer und Heldenmut das solare, polare und globale Netz der katho­lischen Lehre aus. Und sie stellten jene Teile des Netzes der Disziplin der Arche der Kirche wieder her, die zerstört oder aufgelöst worden waren. Sie wirkten heldenmütig mit Christus zur Rettung der Christen zusam­men, die im Glauben Schiffbruch erlitten hatten, und zur Wiederaufrich­tung der Christen, die in ihrem Leben verflacht waren. Während die Spi­rale der zum himmlischen Jerusalem aufsteigenden Christen, die das Konzil verwirklichten, größer wurde, nahm die Spirale der Christen ab, die es ablehnten oder entstellten. Manchmal kam es zu dramatischen Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Spiralen, und manchmal schien es sogar, daß die zweite triumphieren sollte.

Wenn sich ein Konzil zutiefst im Leben der Gesamtkirche verwurzel­te, war der große Sturm bereits vorüber. In der Arche der Kirche er­strahlte wieder das heilbringende und siegreiche Kreuz Christi, der

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19 Johannes Paul II., Ansprache vom 5. 12. 1983, 2,1259.

20 Johannes XXIII., Ansprache vom 16. 12. 1961, in: Discorsi IV, 92; vgl. ders., Ansprache vom 27. 4. 1962, in: Discorsi IV, 238; Johannes Paul II., Christifideles laici, Nr. 16: „»In den schwierigsten Situationen der Geschichte der Kirche standen am Ursprung der Erneuerung immer Heilige« (Schlußdokument der Außerordentlichen Versammlung der Bischofssynode [1985] 11, A, 4).“

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Wahrheit, in neuem Glanz. Die Kirche fuhr dann mit Schwung im neuen polaren und globalen Tag Gottes, der ewigen Wahrheit, dahin. Der Hei­lige Geist hatte die Nebel des Irrtums vertrieben, die große Teile der Hänge und den Fuß des Berges der Kirche bedeckt hatten. Die Kirche erstrahlte mehr als zuvor als Berg der Heilswahrheit und als heiliger Tempel der Heilswahrheit.

2. Der Nachfolger Petri

„Der Bischof von Rom ist der Erbe Petri auch bezüglich der Charismen eines besonderen Beistandes, den Jesus ihm zugesichert hat, als er ihm sagte: »Ich habe für dich gebetet« (Lk 22,32). Das bedeutet eine kontinuier­liche Hilfe des Heiligen Geistes bei der Ausübung der lehramtlichen Sen­dung, die darauf gerichtet ist, die geoffenbarte Wahrheit mit allen Konse­quenzen im menschlichen Leben zu verstehen.“21

Der Nachfolger Petri erfreut sich bei der ordentlichen und bei der au­ßerordentlichen Ausübung seines universellen Lehramtes eines besonde­ren Beistandes Jesu, der ihm im Heiligen Geist zukommt. Er handelt dann nicht mehr als Privatperson, sondern vielmehr als höchster Lehrer der Universalkirche. Auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der heiligen Überlieferung definierte das Erste Vatikanische Konzil das Dogma der Unfehlbarkeit des Lehramtes des Bischofs von Rom unter der Vorausset­zung, daß dieser „ex cathedra“ spricht. In einem solchen Fall verkündet der Papst „eine Glaubens- und Sittenlehre in einem endgültigen Akt“ (LG 25). Vor einem solchen Akt verspürt der Papst das Bedürfnis, ja man kann sogar sagen die Verpflichtung, den „Sinn der Kirche“ zu erforschen. Dies geschah vor der Definition der Unbefleckten Empfängnis (1854) und der Aufnahme Mariens in den Himmel (1950). In beiden Fällen zog der Papst jeweils die ganze Kirche zu Rate.

„Den Nachfolgern des Petrus wurde der Heilige Geist nämlich nicht verheißen, damit sie durch seine Offenbarung eine neue Lehre brächten, sondern damit sie mit seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung beziehungsweise den Glaubensschatz heilig bewahrten und getreu auslegten. Ihre apostolische Lehre haben ja alle ehrwürdigen Väter angenommen und die heiligen rechtgläubigen Lehrer verehrt und befolgt;

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21 Johannes Paul II., Ansprache vom 17.3. 1993,1, 637; vgl. ders., Ansprache vom 24. 3. 1993, 1, 734f.

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denn sie wußten voll und ganz, daß dieser Stuhl des heiligen Petrus von jedem Irrtum unberührt bleibt, gemäß dem an den Fürsten seiner Jünger ergangenen göttlichen Versprechen unseres Herrn und Erlösers: »Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht versage: und du, wenn du einmal bekehrt bist, stärke deine Brüder« (Lk 22,23).

Deshalb ist dieses Charisma der Wahrheit und des Glaubens, das nie­mals besiegbar ist, von Gott dem Petrus und seinem Nachfolger auf die­sem Lehrstuhl anvertraut worden, damit sie dieses ihr höchstes Amt aus­übten zur Rettung von allen, – damit die ganze Herde Christi, die sich durch ihr Wirken von der vergifteten Speise des Irrtums entfernte, mit der Speise der himmlischen Lehre ernährt werde, – und damit die ganze Kirche, fern von jeder Gelegenheit des Schismas, in der Einheit bewahrt würde und sich – fest gegründet auf ihrem Fundament – unerschütter­lich gegen die Pforten der Hölle widersetzte.“22

„Neben dieser Unfehlbarkeit der Erklärungen „ex cathedra“ gibt es das Charisma des Beistandes des Heiligen Geistes, der Petrus und seinen Nachfolgern gewährt wird, damit sie in Fragen des Glaubens und der Moral nicht irren, sondern dem christlichen Volk erleuchtete Weisung geben. Dieses Charisma beschränkt sich nicht auf die außerordentlichen Fälle, sondern umfaßt in verschiedener Weise die ganze Ausübung des Lehramtes.“23

„Gott veranlaßte Petrus, Rom als endgültigen Ort des Apostolischen Stuhles und als Sitz jeder geistlichen Gewalt zu erwählen. Seitdem war die Lehre von Rom mit der Lehre dieses Stuhls gleichzusetzen, mit der höchsten Autorität des Lehramtes in Glaubens- und Sittenfragen, der un­fehlbaren Lehre; sie ist unfehlbar, weil sie die Lehre Christi ist.“24

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22 Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche IV, in: DzH 3070-3071.

23 Johannes Paul II., Ansprache vom 24.3. 1993,1, 736-737.

24 Plus XII., Ansprache vom 18. 2. 1958, in: Discorsi XIX, 769; vgl. Paul VI., Ansprache vom 24. 11. 1965, 1105f; ders., Ansprache vom 26. 4. 1969, 936; ders., Ansprache vom 25. 6. 1975, 686-687; Pius XII., Ansprache vom 4. 11. 1950, in: Discorsi XII, 297: „Wir sitzen nur als Stellvertreter Christi auf dem Stuhle Petri. Wir sind sein Stellvertreter auf Erden; wir sind das Organ, durch das der seine Stimme erhebt, der allein der Meister aller ist – „Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund« (Jer 1, 9): Christus, das Wort des ewigen Vaters, aus der makellosen Jungfrau geboren, Thron und Sitz der göttlichen Weisheit.“ Zum ordentlichen universellen und unfehlbaren Lehramt der Nachfolger Petri verweisen wir auf: Pius XI., Ansprache vom 15. 1. 1934, in: Discorsi III, 9; Plus XII., Ansprache vom 30. 1. 1949, in: Discorsi X, 358; ders., Schreiben vom 12. 8. 1953, in: Discorsi XV, 667; Johannes XXIII., Ansprache vom 28. 6. 1960, in: Discorsi II, 428; ders., Ansprache vom 17. 5. 1961, in Discorsi III, 553; Paul VI., Ansprache vom 3. 4. 1968, 762-763; ders., Ansprache vom 20. 9. 1964, 550; Johannes Paul II., Ansprache vom 2. 12. 1992, 2, 798 f.

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Der höchsten Autorität des päpstlichen Lehramtes behält die Tradition auch die Bezeichnung apostolisch in seiner ordentlichen Ausübung vor. Das außerordentliche Lehramt des Papstes, das sich in den Entscheidun­gen „ex cathedra“ äußert, bildet sozusagen die Ausnahme. Viele Päpste haben diese Form des Lehramtes nicht ausgeübt. Das umfassende ordent­liche Lehramt des Papstes hat bleibenden und dauerhaften Charakter. Es hat für das Leben des Volkes Gottes eine wichtige Bedeutung. Durch sein Lehramt leitet der Papst als universaler Hirte das Volk Gottes, das in der Heilsgeschichte und Heilsgeographie unterwegs ist.

Unter den römischen Bischöfen gab es auch viele Märtyrer. Viele Päp­ste zeichneten sich durch ihre Heiligkeit, ihren Geist, ihr Wissen, die Au­torität ihrer Person aus. Es gab aber auch andere, deren rein menschliche Eigenschaften weniger dem höchsten Hirtenamt entsprachen. Und den­noch haben nicht einmal diese Päpste der Gesamtkirche Irrtümer oder Irrlehren vorgelegt. Das Charisma der Unfehlbarkeit darf man nicht mit Sündlosigkeit verwechseln. Denn kein Papst, angefangen von Petrus, war ohne Sünde.

Die heftigsten Stürme, die im Laufe der Zeit gegen die Kirche losbra­chen, konnten sie nicht in Irrlehren und Irrtümern versenken, noch konn­ten sie der göttlichen Sendung ihrer irdischen Oberhäupter Schaden zufü­gen. Wenn der Großteil der Christen im Glauben Schiffbruch erlitt und sehr viele schwankten und in das zweite Stockwerk der Arche der Kirche hinabstiegen, wenn das Lehramt der Kirche auf eine kleine Herde im po­laren Jerusalem zusammenschrumpfte, ragte der Felsen des gesamten Glaubens umso mehr hervor: der Nachfolger Petri. Während er die menschliche Schwäche spürte, stand jedoch der Papst wunderbar fest im vollkommen umfassenden Glauben und infolgedessen in der ganzen Wahrheit der göttlichen Offenbarung. Er ging der ganzen Kirche auf dem Kreuzweg voran und hielt vollkommen an Gott, der ewigen Wahrheit, fest. Während der Papst das große Kreuz der Kirche trug, erhöhte der Geist der Liebe ihn am heilbringenden Kreuz Christi, der Wahrheit. Erho­ben auf seinem rettenden Kreuz bestärkte der Nachfolger von Petrus die Kirche im vollkommen universalen Glauben und führte sie auf den Weg der solaren, polaren und globalen Wahrheit.

„Petrus und seinen Nachfolgern wurden drei besondere Charismen verliehen: die Unfehlbarkeit in Fragen der Lehre, um die Brüder in dem zu stärken, was Glauben und Sitte betrifft; die Indefektibilität, um der Kirche in den Fluten der Geschichte ein festes Fundament zu geben; das universelle Hirtenamt, um der ganzen Herde Christi den Dienst der Liebe zu gewähren.“25

„Ihr befindet euch hier im Mittelpunkt des Glaubens: Wenn ihr in der Basilika (Sankt Peter hier in Rom) um das Bekenntnis des heiligen Petrus versammelt seid, erhebt eure Augen zu den Kapitellen der Säulen, welche die unvergleichliche Kuppel von Michelangelo tragen. Dort lest ihr genau die Erläuterung eures Glaubens: »Hinc una fides mundo refulget.« Von hier aus, vom Grab des heiligen Petrus, strahlt ein einziger Glaube in die Welt.“26

Im Zirkus des Nero auf dem Vatikanischen Hügel in Rom wurde der Apostel Petrus gekreuzigt, und durch sein Martyrium legte er Zeugnis für Christus ab. Über seinem Grab auf dem Vatikanischen Hügel erhebt sich die große Basilika mit der Kuppel von Michelangelo. Unter dem Mit­telpunkt der Kuppel und unter der erwähnten Inschrift war und ist das Grab des Apostels Petrus. Christus baut seine Kirche auf Petrus und seine Nachfolger. Die große Kuppel ist ein Symbol des katholischen Erdkreises, insbesondere der Hemisphäre und der polaren Ebene der inneren Kirche. Die Gesamtkirche ruht auf dem unzerstörbaren Fundament Petri und seiner Nachfolger. Der Nachfolger Petri ist der irdische Schlußstein, der die ganze Kirche zusammenhält. Er ist das Haupt und das irdische Fun­dament der ganzen Ordnung der Gesamtkirche.

Im Grundkreis der Kuppel im Petersdom liest man auf Lateinisch ge­schrieben: „Hinc una fides mundo refulget.“ (Von hier erstrahlt der Welt ein einziger Glaube.) In der Ordnung des Glaubens ist der Stuhl Petri die größte und höchste Warte der Kirche: er ist die Hauptwarte des polaren Jerusalems. Der Stuhl Petri ist der beste Beobachtungspunkt, und in ei­nem gewissen Sinn der einzige (weil er Garant jeder anderen rechtgläubi­gen Sicht ist), für das Verständnis des Schatzes der katholischen (umfas­senden) Lehre. Die Warte des Nachfolgers Petri ist in der Kirche der Ort der zentralen Epiphanie Christi. Diese Warte ist der Mittelpunkt der Ein­heit und der Universalität des Glaubens. „Gott hat die Lehre der Wahr-

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25 Johannes Paul II., Ansprache vom 21. 9. 1985, 2, 727.

26 Pius XII., Ansprache vom 12. 4. 1952, in: Discorsi XIV, 59; vgl. ders., Ansprache vom 30. 1. 1949, in: Discorsi X, 358. Zum Symbol der großen Kuppel des Petersdomes in Rom und zum Stuhl Petri als Warte vgl. ders., An­sprache vom 16. 5. 1953, in: Discorsi XV, 157-158; ders., Ansprache vom 8. 2. 1948, in: Discorsi IX, 448; Johannes XXIII., Ansprache vom 3. 4. 1963, in: Discorsi V, 476; Pius XII., Ansprache vom 29. 6. 1951, in: Discorsi XIII, 180: Das Verständnis „der christlichen Botschaft hat aufgrund des geheimen Ratschlusses der göttlichen Vorsehung hier in der Ewigen Stadt ihren Brennpunkt, ihr ursprüngliches Zentrum der Ausstrahlung.“

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heit dort festgesetzt, wo der Stuhl der Einheit ist.“27

„Wenn eines Tages (wir sagen dies als reine Hypothese) das materielle Rom zerstört werden würde, wenn diese Vatikanische Basilika, Symbol der einen, unbesiegbaren und siegreichen Katholischen Kirche, mit ihren geschichtlichen Schätzen und mit den heiligen Gräbern, die sie birgt, un­ter ihren Trümmern begraben sein würde, wäre die Kirche weder einge­stürzt noch begraben. Denn die Verheißung, die Christus dem Petrus ge­geben hat, würde immer wahr bleiben. Das Papsttum würde fortdauern, und ebenso die eine unzerstörbare Kirche, die auf dem Fundament des gerade lebenden Papstes gegründet bleibt.

So ist es. Das Ewige Rom, das im christlichen Sinne übernatürliche Rom, steht über dem geschichtlichen Rom. Seine Natur und seine Wahrheit sind von ihm unabhängig.“28

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27 Augustinus, Ep. 105, in: PL 33, 403, zitiert von Paul VI., Ansprache vom 4. 8. 1965, 1005; vgl. Paul VI., Ansprache vom 4. 1. 1967, 671; Pius XI., Ansprache vom 9. 3. 1925, in: Discorsi I, 359; Johannes Paul II., Ansprache vom 24. 9. 1988, 3, 941-942: „Hier ist in der Tat das Grab des Apostels, dem der Herr den Dienst des Primates in der Kirche anvertraut hat. Hier ist der Stuhl der Wahrheit, auf dem das Petrus übertragene Amt fortlebt: »Stärke deine Brüder« (Lk 22,32).“

28 Pius XII., Ansprache vom 30. 1. 1949, in: Discorsi X, 358-359; Johannes Paul II., Ansprache vom 31. 12. 1992, 2, 1028-1029: „Rom nennt man oft die »Ewige Stadt«. Doch keine Stadt auf Erden ist ewig, »denn die Gestalt dieser Welt vergeht« (1 Kor 7, 31). Wenn man Rom als die ewige Stadt bezeichnet, dann vor allem deshalb, weil sich hier in besonderer Weise die Wahrheit niedergelassen hat, die das Wort Gottes ist; das Wort Gottes aber vergeht nicht. Das Wort hat sich hier niedergelassen durch den apostolischen Dienst der heiligen Apostel Petrus und Paulus.“

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Quelle: Ivan Pojavnik: DAS MYSTERIUM DES KONZILS – Erster Band – Meckenheim – 1996 – Maximilian-Kolbe-Verlag – ISBN 3-924413-13-4