„Große Gestalt“: Papst würdigt den Kirchenlehrer Hieronymus

Caravaggio: Der hl. Hieronymus

„Scripturae Sacrae affectus“ (Eine leidenschaftliche Liebe zur Heiligen Schrift): So heißt ein Apostolisches Schreiben, mit dem Papst Franziskus den hl. Kirchenlehrer Hieronymus würdigt. Der Kirchenlehrer starb am 30. September 420 – also vor genau 1.600 Jahren – in Betlehem.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

„Gelehrter, Übersetzer, Exeget, profunder Kenner und leidenschaftlicher Verbreiter der Heiligen Schrift, feinsinniger Ausleger der biblischen Texte“ – so sieht der Papst den Heiligen, der einst die Heilige Schrift ins Lateinische übersetzte. Er zeichnet ihn als „glühenden, zuweilen auch vehementen Verteidiger der christlichen Wahrheit“, als „asketischen und unnachgiebigen Eremit und erfahrenen Seelenführer“. Auch heute noch sei seine Gestalt „hochaktuell“.

Franziskus unterschlägt nicht, dass sich Sophronius Eusebius Hieronymus, der 347 im heutigen Kroatien oder Slowenien geboren wurde, zunächst stärker zur Sprache Ciceros hingezogen fühlte als zu den Evangelien. Auch Hieronymus, dieser Zeitgenosse des Kirchenvaters Augustinus, habe eine Art Bekehrungserlebnis durchgemacht, darin dem Bischof von Hippo nicht unähnlich. Jedenfalls gehöre er „mit Fug und Recht zu den großen Gestalten der Alten Kirche“ und in „das goldene Zeitalter der Patristik“ hinein.

„Betrachtung, innere Prüfungen, geistlicher Kampf“

Das Leben des Hieronymus, das Papst Franziskus in seinem Schreiben skizziert, war reich an Brüchen und Wendungen; er studierte u.a. in Trier, lernte Griechisch in Antiochien, lebte als Einsiedler in der syrischen Einöde. Hieronymus habe die Wüste „als Ort grundlegender existentieller Entscheidungen“ erlebt, „der Vertrautheit und der Begegnung mit Gott“, so der Papst. Der Eremit sei in der Einsamkeit „durch Betrachtung, innere Prüfungen, geistlichen Kampf zur Erkenntnis der Schwäche gelangt, mit einem größeren Bewusstsein um die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer“.

Doch der Heilige verließ die Wüste wieder, ließ sich 379 zum Priester weihen, ging dann nach Konstantinopel, wurde in Rom Sekretär von Papst Damasus I., musste die Stadt nach dem Tod des Damasus wieder verlassen. Über Ägypten zog er nach Palästina, ließ sich dann 386 endgültig in Betlehem nieder. Hier lebte er bis zu seinem Tod, gründete Mönchsgemeinschaften, unterstützte Pilger – und übersetzte die Heilige Schrift aus den Urtexten ins Lateinische. Die bis heute in der katholischen Kirche maßgebliche „Vulgata“ ist sein bleibendes Erbe.

Mönch, Büßer, Gelehrter

„Das Studium ist für Hieronymus kein vorübergehendes Vergnügen als Selbstzweck, sondern eine Übung des geistlichen Lebens, ein Mittel, um zu Gott zu gelangen“, schreibt Franziskus. „Mönch und Büßer“, aber auch „Gelehrter“ – das seien die zwei wichtigsten Facetten des Kirchenlehrers gewesen. Caravaggio habe sie auf einem berühmten Gemälde, das heute in der römischen Galleria Borghese gezeigt wird, zusammengeführt: „In ein und derselben Szene ist der alte Asket dargestellt, spärlich mit einem roten Tuch bekleidet, auf dem Tisch ein Totenschädel als Symbol der Eitelkeit der irdischen Wirklichkeiten; zugleich ist jedoch auch seine Eigenschaft als Gelehrter eindrücklich dargestellt, den Blick fest auf das Buch geheftet, während seine Hand die Feder in das Tintenfass taucht, mit der typischen Geste des Schriftstellers.“

Beredt würdigt Franziskus die „leidenschaftliche Liebe“ des hl. Hieronymus zum Wort Gottes. „Wenn alle Kirchenlehrer – und insbesondere jene des frühen Christentums – ihre Lehrinhalte ausdrücklich aus der Bibel geschöpft haben, so hat Hieronymus dies auf eine systematischere und gewissermaßen einzigartige Weise getan.“

„Das ganze Alte Testament ist unverzichtbar, um in die Wahrheit und in den Reichtum Christi einzudringen“

Hieronymus lehre uns, dass nicht nur das Neue Testament als Weg zu Gott studiert werden solle: „Denn das ganze Alte Testament ist unverzichtbar, um in die Wahrheit und in den Reichtum Christi einzudringen.“ Der „Reichtum der Schrift“ werde leider heutzutage „von vielen nicht erkannt“, bedauert der Papst. Darum müsse unbedingt „eine Bildung für alle Christen gefördert werden, damit jeder befähigt wird, das heilige Buch zu öffnen und ihm die unschätzbaren Früchte der Weisheit, der Hoffnung und des Lebens zu entnehmen“. Aus diesem Grund habe er den „Sonntag des Wortes Gottes“ in der Kirche eingeführt.

Peinlicher Blick ins religiöse Buchregal

Ausdrücklich ermuntert Franziskus zu fortgesetzten Bemühungen, die Bibel in weitere Sprachen zu übersetzen. „Es gibt noch viel zu tun.“ Etwas gequält bemerkt er, dass die Abteilung der religiösen Bücher heute in Buchhandlungen oder im Netz meist „einen marginalen Platz“ einnimmt und „keine gehaltvollen Werke“ enthält. „Beim Stöbern in diesen Regalen oder Internetseiten mag ein junger Mensch kaum verstehen, dass die religiöse Suche ein begeisterndes Abenteuer sein kann“. Der Papst ruft dennoch die jungen Leute von heute dazu auf, sich „auf die Suche nach eurem Erbe“ zu machen.

„Vielleicht über das Ziel hinausgeschossen“

Dass sich Hieronymus in seinen Schriften manchmal zu ätzender Polemik hinreißen ließ, wird von Papst Franziskus in seiner Eloge nicht unterschlagen. „Vielleicht ließen seine Wahrheitsliebe und die glühende Verteidigung Christi ihn in seinen Briefen und Schriften mit heftigen Worten über das Ziel hinausschießen“, schreibt er, versichert aber: „Sein Leben war jedoch auf den Frieden ausgerichtet.“

(vatican news)

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BIBLISCHE NOTRUFNUMMERN

Wenn du Kummer hast oder verwirrt bist, wähle Johannes 14,1

Wenn man dich im Stiche lässt, wähle Psalm 27

Wenn du möchtest, dass dein Leben fruchtbar ist, wähle Johannes 15

Wenn du gesündigt hast, wähle Psalm 51

Wenn du dir Sorgen machst, wähle Matthäus 6,19-34

Wenn du in Gefahr bist, wähle Psalm 91

Wenn dein Glaube der Bewegung bedarf, wähle Hebräer 11

Wenn du einsam und ängstlich bist, wähle Psalm 23

Wenn du bitter und Kritik süchtig wirst, wähle 1. Korinther 13

Um das Geheimnis des Glücks von Paulus zu erfahren, wähle 1. Korinther 12-17

Fühlst du dich ganz unten und ausgebrannt, wähle Römer 8, 31-39

Sehnst du dich nach Frieden und Ruhe, wähle Matthäus 11, 25-30

Wenn die Welt größer zu sein scheint als Gott, wähle Psalm 121

Brauchst du Mut für einen Auftrag, wähle Josua 1

Wie du mit den Menschen zurecht kommst, wähle Römer 12

Bist du deprimiert, wähle Psalm 27

Wenn deine Brieftasche leer ist, wähle Psalm 37

Wenn dir die Leute unfreundlich begegnen, wähle Johannes 15

Wenn du an deiner Arbeit verzweifelst, wähle Psalm 126

Wenn du das Gefühl hast, dass die Welt klein, du aber groß bisst, wähle Psalm 19

Wenn du unruhig bist und dich allein gelassen fühlst, wähle Psalm 62

Wenn du Jesus folgst und dich manchmal fragst, was es bringt, wähle Matthäus 19, 27-30

Wenn du nicht weißt, welchen Weg du gehen sollst, wähle Johannes 14, 2-6

Wenn du meinst, dass alles nur an dir hängzt, wähle Psalm 127

Wenn du keinen zur Seite hast, wähle Psalm 121

Wenn du Gott sehen und erkennen willst, wähle Johannes 14, 7-14

Wenn du Jesus nachfolgen willst, wähle Matthäus 8, 18-22

Wenn es dir und um dich „stürmt“ und du Angst hast, wähle Matthäus 8, 23-27

Wenn du dich als Sünder und wertlos fühlst, wähle Markus 2, 13-17

Wenn dir deine Schwächen zu schaffen machen, wähle 2. Korinther 12, 7-10

Wenn du in deinem Leben reich werden willst, wähle Matthäus 6, 19-23

Wenn du nicht loslassen kannst, wähle Kohelet 3, 1-8

 

Diese Notrufnummern können direkt gewählt werden. Es ist keine Vermittlung und auch keine Vorwahl notwendig. Alle Nummern sind gebührenfrei und rund um die Uhr besetzt — sie sind direkter Draht zu Gott — er ist ständig online und wartet auf einen Anruf. Keine Warteschleife, keine Werbung, kein Besetz-Zeichen, jeder kommt durch. Gib deinem Glauben Nahrung, dann werden deine Zweifel verhungern.

 

Unser Sonntag: Mehr Zeit und Interesse für Gott

Pater Eberhard v. Gemmingen, früherer Leiter der deutschen Redaktion von Radio Vatikan

Pater Eberhard von Gemmingen ruft uns in diesem Kommentar zum Evangelium dazu auf, Zeit und Interesse für Gott aufzubringen – und er geht auch auf heutige Kirchenfragen ein. Freund oder Freundin Jesu werde man nicht durch eine Beitrittserklärung. Und: Das Priestertum habe etwas mit Berufung zu tun, so der Geistliche.

P. Eberhard Gemmingen SJ 

3. Fastensonntag 

Joh 4, 5-42

Wir haben eben von einer beeindruckenden Begegnung zwischen Jesus und einer Frau mit einem zweifelhaften Hintergrund gehört. Die Begegnung mit Jesus hat die Frau vermutlich total verändert, obwohl davon nicht ausdrücklich die Rede ist.

Ich vermute einmal, dass wir uns alle heimlich oder auch offen nach einer solchen Begegnung mit Jesus sehnen. Dann wäre das Glauben leichter, dann könnte man alle Frustration an Kirche wegstecken. Beobachten wir doch einmal genauer, wie diese Begegnung ablief. Jesus kommt an den berühmten Jakobsbrunnen.

Bedeutung des Jakobsbrunnens

Der war für die ersten Christen, für die der Evangelist Johannes ja schrieb, sehr bekannt und berühmt. Um die ganze Szene zu verstehen, können wir daran denken, dass zur Zeit Jesu die Ahnen und die Geschichte des Volkes wohl eine wesentlich größere Rolle spielten als das für uns heute der Fall ist. Wir sind vielleicht ein wenig heimatlos geworden, auch wenn die Suche nach Heimat in jüngster Zeit wieder mehr aufgebrochen ist. Jesus ist müde, setzt sich an dem berühmten und geschichtsträchtigen Brunnen nieder. Ausdrücklich heißt es, dass es um die sechste Stunde war, also mittags, also heiß.
Da kommt eine Frau, eine Samariterin, eine Frau aus der Gegend. Die Samariter sind für die frommen Juden irrgläubig. Sie erwarten nicht einen König wie die richtigen Juden, sondern nur einen Propheten. Jesus spricht sie an und bittet um einen Schluck Wasser. Jesus hat Durst, hat aber keinen Krug, um sich Wasser zu schöpfen, die Frau hat einen. Jesu Jünger hatten Jesus allein gelassen, um Essen einzukaufen.

„Wenn du wüsstest, was Gott gibt“

Die Samariterin ist baff: Wie kannst du als Jude mich eine Samariterin ansprechen. Offenbar vermieden das fromme Juden. Jesus antwortet erstaunlich: Wenn du wüsstest, wer dich anspricht, hättest du ihn um lebendiges Wasser gebeten. Und der Evangelist Johannes lässt Jesus auch noch sagen: Wenn du wüsstest, was Gott gibt. Jesus scheint von etwas ganz Anderem zu sprechen als die Frau. Denn sie sagt verwundert: Wie kannst du mir lebendiges Wasser geben, wenn du nicht mal ein Schöpfgefäß hast. Die Denkweisen gehen also auseinander. Jesus antwortet: Wer das Wasser hier trinkt, hat später wieder Durst. Das Wasser, das ich ihm geben werde, überwindet allen Durst. Nun steigt die Frau auf Jesu Denkweise ein und sagt: Dieses Dein Wasser möchte ich.

Die Samariterin lenkt vom unangenehmen Thema ab

Und nun macht Jesus einen Sprung: Er sagt ihr: Ruf mir deinen Mann. Sie antwortet: ich habe keinen Mann. Darauf Jesus: Fünf Männer hast du gehabt. Und der Mann, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Darauf die Frau: Du bist wohl ein Prophet. Und dann lenkt sie von dem unangenehmen Thema mit ihren Männern ab. Darum wechselt sie in die Theologie und sagt: Wir Samariter beten hier auf dem Berg Gott an, ihr Juden in Jerusalem. Nun überspringe ich ein paar Worte von Jesus und komme zu dem, was mir entscheidend scheint: Jesus sagt zu ihr: „Jetzt ist die Stunde, in der die wahren Anbeter im Geist und in der Wahrheit anbeten. Gott ist Geist und alle, die anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Die Frau wechselt wieder in die Theologie: Sie sagt: „Ich weiß, dass der Messias kommt, der Christus genannt wird. Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden.“ Darauf Jesus: „Du sprichst mit ihm, ich bin es.“

Die Glaubensaussage des Evangelisten

Hier muss ich daran erinnern, dass auch dies Evangelium nach Johannes nicht eine Art Biographie Jesu ist, das Gespräch also auch nicht eine Art Protokoll, sondern es ist die Glaubensaussage des Evangelisten, ein Glaubensbekenntnis der ersten Christen. Es saß ja auch kein Zeuge dabei, der zugehört hätte.
Und nun versuche ich, uns dahin zu führen, damit auch wir auf unsere Weise Jesus heute begegnen können. Jesus hat bei der Frau am Jakobsbrunnen die Initiative ergriffen und sie angesprochen. Damit wir uns von Jesus angesprochen fühlen, müssen wir uns für ihn Zeit nehmen, die Ohren öffnen, nach ihm fragen, ihn suchen. Wenn er für uns unwichtig ist, dann werden wir ihn nicht hören, nicht erfahren. Wir haben vor allem das neue Testament, in dem wir ihm begegnen können. Ich möchte einfach einmal daran erinnern, dass die großen Christen, die die Kirchengeschichte und besonders Europa geprägt haben, auch nur die Bibel hatten, um Jesus zu begegnen. Sie hatten vielleicht mehr Zeit als wir. Sie hatten wohl nicht so viele Bücher wie wir, sondern oft nur die Bibel. Und vielleicht konnten sie nicht einmal lesen. Dafür gab es die Bibel der Bilder, also vor allem die Glasfenster in den großen schönen Kirchen.

Nötig für Gott: Zeit und Interesse

Aber nötig waren Zeit und Interesse. Frage: Nehmen wir uns Zeit, haben wir Interesse? Also wir haben es schwerer als unsere Vorfahren, die nicht überschwemmt waren von Büchern, Zeitungen, Nachrichten, Begegnungen. Wenn wir Jesus begegnen wollen, müssen wir uns Zeit dafür nehmen. Und wenn wir dann Texte in den Evangelien lesen, werden wir vielleicht stolpern über Stellen, die wir nicht verstehen können, die uns fremd und unglaubwürdig klingen. Auch die Frau am Brunnen ist gestolpert und ist in die Theologie ausgewichen. Diese Gefahr besteht auch bei uns, dass wir unsere richtige oder falsche Theologie mitbringen und gar nicht mehr auf die Worte der heiligen Schrift hören, nicht mehr lauschen, nicht mehr staunen. Die Frau am Brunnen hat gestaunt. Ich vermute, dass gerade heute der Weg zum Glauben über das Staunen führt. Die Menschen damals haben vor allem über die Wunder Jesu gestaunt. Und sie sind Jesus nachgelaufen, weil sie geheilt oder gesättigt wurden. Entscheidend aber war, an der Persönlichkeit Jesu Christi hängen zu bleiben. Auch die Apostel sind erst nach Tod und Auferstehung wirklich an Jesus hängen geblieben. Vorher haben sie ihn alle verraten und sind geflohen. Auch wir werden ähnlich wie die Apostel immer wieder Schwierigkeiten haben. Vieles was Jesus sagt oder tut, wird uns nicht gleich oder nicht schnell aufgehen. Es kostet schon Zeit und eben Interesse. Manches was Jesus sagte, wird uns ärgern. Ein Schaden ist auch, wenn wir den Eindruck haben, dass wir das alles schon so oft gehört oder gelesen haben, und dass für uns nichts neu ist.

„Freund oder Freundin Jesu Christi wird man nicht durch eine Beitrittserklärung, sondern dadurch, dass man Jesus aufmerksam und geduldig begegnet ist, sich auf ihn eingelassen hat“

Und nun möchte ich noch einen Sprung machen in die heutigen Kirchenfragen. Die meisten Menschen, die sich noch für den christlichen Glauben interessieren, leiden – wie sie sagen – unter der Kirche. Darunter, dass Amtsträger, Priester und Bischöfe nicht so leben wie man es von ihnen erwartet. Viele leiden darunter, dass die Kirche den Eindruck vermittelt, ein Männer-dominierter Verein zu sein. Viele leiden darunter, dass Frauen zwar die große Mehrheit in den Pfarrgemeinden sind, aber Priester nicht auf Augenhöhe mit ihnen sprechen, sie nicht ernst genommen werden.
Das sind alles wirklich ernst zu nehmende Fragen, die beantwortet werden müssen. Die zugrunde liegende Problematik ist aber noch tiefer. Es gelingt der katholischen Kirche, konkret ihren Amtsträgern nicht gut genug, die grundlegende Struktur der Gemeinschaft Jesu Christi vorzustellen. Zu dieser Struktur gehört vor allem: Freund oder Freundin Jesu Christi wird man nicht durch eine Beitrittserklärung, sondern dadurch, dass man Jesus aufmerksam und geduldig begegnet ist, sich auf ihn eingelassen hat und dann von Jesus gehört hat: Folge mir, bleib bei mir, lass dich auf mich ein. Denn denken wir an die Apostel: Keiner der zwölf Apostel hat sich beworben um das Apostelamt.

Priester sein ist ein Dienst, kein Amt, das Oberhoheit gibt

Keiner hat einen Antrag gestellt. Sie wurden von Christus berufen. Die Grundlage, um Glied in der Kirche zu sein, ist nicht ein Recht, sondern die Berufung von oben. Daher hat auch kein katholischer Mann das Recht, Priester oder Bischof zu werden. Es ist auch kein Amt, das Oberhoheit gibt, sondern es muss ein Dienst sein. Man wird nicht Priester aufgrund eines Antrags, aufgrund des Rechtes darauf, sondern aufgrund des Glaubens, der Überzeugung, Christus beruft mich. Das muss von einem Bischof oder einem Ordensoberen geprüft und bestätigt werden. Daher kann man auch nicht sagen: Aufgrund der Menschenrechte haben Frauen das Recht Priesterinnen zu werden. Es gibt kein Recht auf ein Amt.

„Es gibt kein Recht auf ein Amt.“

Diese Aussagen klingen nun weit weg von der Begegnung Jesu mit der Samariterin. Aber aus dieser Begegnung kann man heraushören: Christus ergreift die Initiative. Er spricht sie an. Er sagt: Gib mir zu trinken. Dann entsteht ein Gespräch. Am Anfang des Glaubensweges muss immer das Hören auf Christus stehen. Dafür braucht man offene Ohren und ein offenes Herz. Und die Frau bringt ihr Vorwissen in das Gespräch ein. Sie ist neugierig, sie stellt Fragen, sie bleibt am Ball. Und das entscheidende Wort Jesu lautet wohl: Gott ist Geist und die ihn wahrhaftig anbeten wollen, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Amen
(radio vatikan – claudia kaminski)

Papst Franziskus: Motu proprio „Aperuit illis“ zur Einführung des Sonntags des Wortes Gottes

APOSTOLISCHES SCHREIBEN
IN FORM EINES „MOTU PROPRIO“

DES HEILIGEN VATERS
PAPST FRANZISKUS

APERUIT ILLIS

ZUR EINFÜHRUNG DES

SONNTAGS DES WORTES GOTTES

 

1. »Darauf öffnete er ihren Sinn für das Verständnis der Schriften« (Lk 24,45). Dies ist eine der letzten Handlungen des auferstandenen Herrn vor seiner Himmelfahrt. Er erscheint den Jüngern, als sie versammelt sind, bricht das Brot mit ihnen und öffnet ihren Sinn für das Verständnis der Heiligen Schriften. Diesen verängstigten und enttäuschten Menschen offenbart er die Bedeutung des Ostergeheimnisses: dass nämlich Jesus nach dem ewigen Plan des Vaters leiden und von den Toten auferstehen musste, um die Umkehr und die Vergebung der Sünden anzubieten (vgl. Lk 24,26.46-47); und er verheißt ihnen den Heiligen Geist, der ihnen die Kraft geben wird, Zeugen dieses Geheimnisses der Erlösung zu sein (vgl. Lk 24,49).

Die Beziehung zwischen dem Auferstandenen, der Gemeinschaft der Gläubigen und der Heiligen Schrift ist für unsere Identität äußerst wichtig. Ohne den Herrn, der uns in die Heilige Schrift einführt, ist es unmöglich, sie in ihrer Tiefe zu verstehen. Das Gegenteil ist aber ebenso wahr: Ohne die Heilige Schrift sind die Ereignisse der Sendung Jesu und seiner Kirche in der Welt nicht zu verstehen. Zu Recht konnte der heilige Hieronymus schreiben: »Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen« (Comm. in Is., Prolog).

2. Zum Abschluss des außerordentlichen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit habe ich darum gebeten, einen »Sonntag« in Erwägung zu ziehen, »der ganz und gar dem Wort Gottes gewidmet ist, um den unerschöpflichen Reichtum zu verstehen, der aus diesem ständigen Dialog Gottes mit seinem Volk hervorgeht« (Apostolisches Schreiben Misericordia et misera, 7). Auf besondere Weise einen Sonntag des Kirchenjahres dem Wort Gottes zu widmen ermöglicht es vor allem, dass die Kirche die Handlung des Auferstandenen wieder erfährt, der auch uns den Schatz seines Wortes erschließt, damit wir in der Welt Verkünder dieses unerschöpflichen Reichtums sein können. In diesem Zusammenhang kommt einem in den Sinn, was der heilige Ephräm gelehrt hat: »Wer ist fähig, Herr, den ganzen Reichtum auch eines deiner Worte zu erfassen, da doch das, was wir nicht mit dem Verstand begreifen, größer ist als das, was wir wie Durstige von der Quelle aufnehmen? Es gibt ebenso viele Möglichkeiten, dein Wort zu deuten, wie Menschen, die es studieren. Gott hat sein Wort in so viele schöne Formen gekleidet, damit ein jeder von denen, die es untersuchen, das, das im gefällt, bedenke; und er hat in seinem Wort alle Schätze verborgen, auf dass ein jeder von uns, der über es nachdenkt, von ihm bereichert wird« (Kommentar zum Diatessaron, 1,18).

Mit diesem Schreiben möchte ich daher auf die vielen Bitten antworten, die vom Volk Gottes an mich herangetragen wurden, damit der Sonntag des Wortes Gottes in der ganzen Kirche übereinstimmend gefeiert werden kann. Es ist bereits zu einer weit verbreiteten Praxis geworden, dass sich die christliche Gemeinschaft zu bestimmten Gelegenheiten auf den großen Wert besinnt, den das Wort Gottes in ihrem alltäglichen Leben einnimmt. In den verschiedenen Ortskirchen gibt es eine Fülle von Initiativen, die den Gläubigen einen immer tieferen Zugang zur Heiligen Schrift eröffnen; so sind sie dankbar für ein solch großes Geschenk, bemühen sich darum, es im Alltag zu leben, und fühlen sich verantwortlich, es glaubwürdig zu bezeugen.

Mit der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum gab das Zweite Vatikanische Konzil einen bedeutenden Impuls für die Wiederentdeckung des Wortes Gottes. Ihr Text ist es immer wert, dass man ihn meditiert und ins Leben umsetzt; er stellt die Natur der Heiligen Schrift und ihre Weitergabe von Generation zu Generation (Kapitel II), ihre göttliche Inspiration (Kapitel III), die das Alte und Neue Testament umfasst (Kapitel IV und V), und ihre Bedeutung für das Leben der Kirche (Kapitel VI) klar heraus. Um diese Lehre zu vertiefen, hat Benedikt XVI. im Jahr 2008 eine Bischofssynode zum Thema „Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche“ einberufen. Im Anschluss daran veröffentlichte er das Nachsynodale Apostolische Schreiben Verbum Domini, das für unsere Gemeinschaften eine unverzichtbare Lehre darstellt.[1] In diesem Dokument wird insbesondere der performative Charakter des Wortes Gottes eingehend untersucht, dessen eigentlich sakramentaler Charakter vor allem im liturgischen Handeln deutlich wird.[2]

Im Leben unseres Volkes möge daher diese entscheidende Beziehung zum lebendigen Wort Gottes nie fehlen, durch das der Herr unaufhörlich zu seiner Braut spricht, damit sie in der Liebe und im Zeugnis des Glaubens wachsen kann.

3. Deshalb lege ich fest, dass der dritte Sonntag im Jahreskreis der Feier, der Betrachtung und der Verbreitung des Wortes Gottes gewidmet sein soll. Dieser Sonntag des Wortes Gottes fällt so ganz passend in den Zeitabschnitt des Jahres, in dem wir unsere Beziehungen zu den Juden zu festigen und für die Einheit der Christen zu beten eingeladen sind. Es handelt sich dabei nicht um ein bloß zeitliches Zusammentreffen: Die Feier des Sonntags des Wortes Gottes ist von ökumenischer Bedeutung, denn die Heilige Schrift zeigt denen, die auf sie hören, den Weg, der beschritten werden muss, um zu einer authentischen und soliden Einheit zu gelangen.

Die Gemeinschaften werden einen Weg finden, diesen Sonntag feierlich zu begehen. Wichtig ist jedenfalls, dass die Heilige Schrift während der Eucharistiefeier inthronisiert werden kann, um der Versammlung der Gläubigen den normativen Wert des Wortes Gottes zu verdeutlichen. An diesem Sonntag ist es besonders nützlich, die Verkündigung des Wortes Gottes hervorzuheben und die Homilie so zu gestalten, dass der Dienst am Wort des Herrn herausgestellt wird. Die Bischöfe können an diesem Sonntag die Beauftragung zum Lektorat oder einem ähnlichen Dienst erteilen, um an die Bedeutung der Verkündigung des Wortes Gottes in der Liturgie zu erinnern. Es ist in der Tat wesentlich, alles dafür zu tun, dass einige Gläubige darauf vorbereitet werden, authentische Verkünder des Wortes zu sein. Hierfür braucht es eine angemessene Ausbildung, so wie es für die Akolythen oder außerordentlichen Kommunionspender bereits üblich ist. Desgleichen werden die Pfarrer Wege finden, die Bibel – oder eines ihrer Bücher – der ganzen Gottesdienstgemeinde zu übergeben, um hervorzuheben, wie wichtig es ist, im Alltag das Lesen und die Vertiefung der Heiligen Schrift wie auch das Beten mit ihr fortzusetzen, besonders im Hinblick auf die lectio divina.

4. Die Rückkehr des Volkes Israel in seine Heimat nach dem babylonischen Exil war maßgeblich durch das Lesen des Buches der Weisung geprägt. Die Bibel gibt uns eine bewegende Beschreibung dieses Moments im Buch Nehemia. Das Volk versammelt sich in Jerusalem auf dem Platz vor dem Wassertor, um auf die Weisung zu hören. Dieses Volk war durch die Deportation verstreut worden, aber jetzt ist es »geschlossen« (Neh 8,1) um die Heilige Schrift versammelt. Während aus dem heiligen Buch vorgelesen wurde, »lauschte« (Neh 8,3) das Volk, weil es wusste, dass es in diesem Wort den Sinn der Ereignisse finden würde, die es erlebt hatte. Die Verkündigung dieser Worte bewegte die Leute und sie weinten: »Man las aus dem Buch, der Weisung Gottes, in Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, sodass die Leute das Vorgelesene verstehen konnten. Nehemia, das ist Hattirschata, der Priester und Schriftgelehrte Esra und die Leviten, die das Volk unterwiesen, sagten dann zum ganzen Volk: Heute ist ein heiliger Tag zu Ehren des Herrn, eures Gottes. Seid nicht traurig und weint nicht! Alle Leute weinten nämlich, als sie die Worte der Weisung hörten. […] Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke« (Neh 8,8-10).

Diese Worte enthalten eine wichtige Lehre. Die Bibel kann nicht nur einigen wenigen gehören, geschweige denn eine Sammlung von Büchern für wenige Auserwählte sein. Sie gehört vor allem dem Volk, das versammelt ist, um sie zu hören und sich in diesem Wort selbst zu erkennen. Oft gibt es Tendenzen, welche die Heilige Schrift zu monopolisieren versuchen, indem man sie bestimmten Kreisen oder ausgewählten Gruppen vorbehält. Das darf nicht so sein. Die Bibel ist das Buch des Gottesvolkes, das im Hören auf die Schrift aus der Zerstreuung und Spaltung zur Einheit gelangt. Das Wort Gottes vereint die Gläubigen und macht sie zu einem Volk.

5. Innerhalb dieser Einheit, die das Hören bewirkt, haben in erster Linie die Hirten die große Verantwortung, die Heilige Schrift zu erklären und jedem zu ermöglichen, sie zu verstehen. Da sie das Buch des Volkes ist, müssen alle, die zum Dienst am Wort Gottes berufen sind, die dringende Notwendigkeit spüren, ihrer Gemeinschaft einen Zugang zur Heiligen Schrift zu eröffnen.

Vor allem die Homilie hat eine ganz besondere Funktion, denn sie hat »einen geradezu sakramentalen Charakter« (Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium, 142). Wenn er mit einer einfachen, für die Zuhörer geeigneten Sprache tief in das Wort Gottes einführt, ist es dem Priester möglich, auch die »Schönheit der Bilder [zu erschließen], die der Herr gebrauchte, um anzuregen, das Gute zu tun« (ebd.). Dies ist eine pastorale Gelegenheit, die man nicht verpassen darf!

Für viele unserer Gläubigen ist dies in der Tat die einzige Gelegenheit, die Schönheit des Wortes Gottes zu erfassen und seinen Bezug zu ihrem täglichen Leben zu erkennen. Der Vorbereitung der Homilie muss deshalb entsprechende Zeit gewidmet werden. Die Auslegung der Schriftlesungen kann man unmöglich improvisieren. Wir Prediger sind hingegen verpflichtet, uns nicht zu lange mit besserwisserischen Homilien oder nicht dazugehörenden Themen aufzuhalten. Wenn man innehält, um den Bibeltext zu meditieren und im Gebet zu betrachten, dann wird man fähig, mit dem Herzen zu sprechen, um die Herzen der Zuhörer zu erreichen, sodass das Wesentliche zum Ausdruck kommt, das erfasst wird und Frucht bringt. Lasst uns nie müde werden, der Heiligen Schrift Zeit und Gebet zu widmen, damit sie »nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gotteswort angenommen« wird (1 Thess 2,13).

Es ist gut, dass auch die Katechisten spüren, dass für ihren Dienst am Wachstum im Glauben eine Erneuerung durch die Vertrautheit mit der Heiligen Schrift und durch ihr Studium dringlich ist. Dies macht es ihnen möglich, einen echten Dialog zwischen ihren Zuhörern und dem Wort Gottes zu fördern.

6. Bevor der Auferstandene zu den Jüngern kommt, die sich im Haus eingeschlossen haben, und ihren Sinn für das Verständnis der Heiligen Schrift öffnet (vgl. Lk 24,44-45), erscheint er zweien von ihnen auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus (vgl. Lk 24,13-35). Der Bericht des Evangelisten Lukas merkt an, dass es der gleiche Tag der Auferstehung ist, also der Sonntag. Diese beiden Jünger sprechen über die jüngsten Ereignisse, über das Leiden und den Tod Jesu. Ihr Weg ist von der Traurigkeit und Enttäuschung über das tragische Ende Jesu geprägt. Sie hatten auf ihn als Messias und Befreier gehofft, und nun sind sie mit der schockierenden Erfahrung des Gekreuzigten konfrontiert. Der Auferstandene selbst nähert sich unaufdringlich den Jüngern und geht mit ihnen, sie aber erkennen ihn nicht (vgl. V. 16). Unterwegs befragt sie der Herr und erkennt, dass sie den Sinn seines Leidens und seines Todes nicht verstanden haben; er nennt sie »unverständig und träge im Herzen« (vgl. V. 25), und »er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht« (V. 27). Christus ist der erste Exeget! Schon die alten Schriften haben vorweggenommen, was er vollbringen sollte, doch er selbst wollte diesem Wort treu sein, um die eine Heilsgeschichte, die in Christus ihre Erfüllung findet, zu offenbaren.

7. Als Heilige Schrift spricht die Bibel daher von Christus und verkündet ihn als denjenigen, der durch das Leiden gehen muss, um in seine Herrlichkeit zu gelangen (vgl. V. 26). Nicht nur ein Teil, sondern alle Schriften sprechen von ihm. Sein Tod und seine Auferstehung sind ohne sie nicht zu verstehen. Aus diesem Grund betont eines der ältesten Glaubensbekenntnisse: »Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und er erschien dem Kephas« (1 Kor 15,3-5). Da die Schriften von Christus sprechen, können wir glauben, dass sein Tod und seine Auferstehung nicht der Mythologie angehören, sondern geschichtliches Ereignis sind und im Zentrum des Glaubens seiner Jünger stehen.

Die Verbindung zwischen der Heiligen Schrift und dem Glauben der Getauften ist tief. Da der Glaube vom Hören kommt und das Hören auf das Wort Christi ausgerichtet ist (vgl. Röm 10,17), ergibt sich daraus die Einladung an die Gläubigen, die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Hörens auf das Wort des Herrn sowohl in der Liturgie als auch im persönlichen Beten und Betrachten ernst zu nehmen.

8. „Die Reise“ des Auferstandenen mit den Jüngern von Emmaus endet mit dem Abendessen. Der geheimnisvolle Wanderer kommt der beharrlichen Bitte der beiden nach: »Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt« (Lk 24,29). Sie setzen sich zu Tisch, Jesus nimmt das Brot, spricht den Lobpreis, bricht es und reicht es ihnen. Da tun sich ihre Augen auf und sie erkennen ihn (vgl. V. 31).

Wir verstehen durch diese Szene, wie untrennbar die Beziehung zwischen Heiliger Schrift und Eucharistie ist. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: »Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht« (Dei Verbum, 21).

Das beständige regelmäßige Lesen der Heiligen Schrift und die Feier der Eucharistie ermöglichen es den Menschen zu erkennen, dass sie zueinander gehören. Als Christen sind wir ein Volk, das in der Geschichte unterwegs ist, gestärkt durch die Gegenwart des Herrn in unserer Mitte, der zu uns spricht und uns nährt. Der der Bibel gewidmete Tag soll nicht „einmal im Jahr“, sondern einmal für das ganze Jahr stattfinden. Wir verspüren nämlich die dringende Notwendigkeit, uns mit der Heiligen Schrift und dem Auferstandenen eng vertraut zu machen, der nie aufhört, das Wort und das Brot in der Gemeinschaft der Gläubigen zu brechen. Aus diesem Grund müssen wir zu einer ständigen Vertrautheit mit der Heiligen Schrift gelangen, sonst bleibt das Herz kalt und die Augen verschlossen, da wir, wie wir nun einmal sind, von unzähligen Formen der Blindheit betroffen sind.

Die Heilige Schrift und die Sakramente sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn das Wort Gottes in die Sakramente einführt und sie erhellt, zeigen sich diese deutlicher als das Ziel eines Weges, auf dem Christus selbst den Geist und das Herz öffnet, damit wir sein Heilswirken erkennen. In diesem Zusammenhang dürfen wir die Lehre aus dem Buch der Offenbarung nicht vergessen. Hier wird gelehrt, dass der Herr vor der Tür steht und anklopft. Wenn einer seine Stimme hört und ihm öffnet, tritt er ein und hält Mahl mit ihm (vgl. 3,20). Jesus Christus klopft durch die Heilige Schrift an unsere Tür; wenn wir zuhören und die Tür des Geistes und des Herzens öffnen, dann tritt er in unser Leben ein und bleibt bei uns.

9. Im Zweiten Brief an Timotheus, der in gewisser Weise sein geistliches Testament darstellt, empfiehlt der heilige Paulus seinem treuen Mitarbeiter, beständig die Heilige Schrift zu lesen. Der Apostel ist überzeugt: »Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung« (3,16). Diese Empfehlung des Paulus an Timotheus stellt eine Grundlage dar, auf der die Konzilskonstitution Dei Verbum das wichtige Thema der Inspiration der Heiligen Schrift behandelt; aus dieser Grundlage ergibt sich insbesondere die Heilsfinalität, die geistliche Dimension und das Inkarnationsprinzip für die Heilige Schrift.

Unter Hinweis vor allem auf die Empfehlung des Paulus an Timotheus betont Dei Verbum, dass die Bücher der Heiligen Schrift »sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte« (Nr. 11). Da diese uns weise machen können zum Heil durch den Glauben an Jesus Christus (vgl. 2 Tim 3,15), dienen die in ihnen enthaltenen Wahrheiten unserer Erlösung. Die Bibel stellt weder eine Sammlung von Geschichtsbüchern noch von Chroniken dar, sondern ist völlig auf das ganzheitliche Heil des Menschen ausgerichtet. Die unbestreitbaren historischen Wurzeln der in der Heiligen Schrift enthaltenen Bücher dürfen uns dieses ursprüngliche Ziel nicht vergessen lassen, nämlich unsere Erlösung. Alles ist auf dieses Ziel hin ausgerichtet, das tief in die Natur der Bibel eingeschrieben ist. Sie ist als Heilsgeschichte verfasst, in der Gott spricht und handelt, um allen Menschen zu begegnen und sie vor dem Bösen und dem Tod zu retten.

Um dieses Heilsziel zu erreichen, verwandelt die Heilige Schrift unter dem Wirken des Heiligen Geistes das nach Menschenart verfasste Menschenwort in Gotteswort (vgl. Dei Verbum, 12). Die Rolle des Heiligen Geistes in der Heiligen Schrift ist von grundlegender Bedeutung. Ohne sein Wirken gäbe es immer die Gefahr, im bloß geschriebenen Text eingeschlossen zu bleiben. Das führt leicht zu einer fundamentalistischen Auslegung, von der man sich fernhalten muss, um den inspirierten, dynamischen und spirituellen Charakter des biblischen Textes nicht zu verraten. Der Apostel erinnert dementsprechend: »Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig« (2 Kor 3,6). Der Heilige Geist verwandelt also die Heilige Schrift in lebendiges Wort Gottes, das im Glauben seines heiligen Volkes gelebt und weitergegeben wird.

10. Das Wirken des Heiligen Geistes betrifft nicht nur die Herausbildung der Heiligen Schrift, sondern ist auch in denen am Werk, die auf das Wort Gottes hören. Die Feststellung der Konzilsväter, dass die Heilige Schrift »in dem Geist gelesen und ausgelegt werden muss, in dem sie geschrieben wurde« (Dei Verbum, 12), ist dabei wichtig. Mit Jesus Christus erreicht die Offenbarung Gottes ihren Höhepunkt und ihre Vollendung; und doch wirkt der Heilige Geist weiter. Es wäre in der Tat eine Verkürzung, wollte man das Wirken des Heiligen Geistes nur auf die göttlich inspirierte Natur der Heiligen Schrift und ihrer verschiedenen Autoren beschränken. Es ist daher notwendig, Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes zu haben, der weiterhin eine besondere Form der Inspiration ausübt, wenn die Kirche die Heilige Schrift verkündet, das Lehramt sie verbindlich auslegt (vgl. ebd., 10) und jeder Gläubige sie zu seinem eigenen geistlichen Maßstab macht. In diesem Sinne können wir die Worte Jesu verstehen, wenn er zu den Jüngern, die bestätigen, die Bedeutung seiner Gleichnisse verstanden zu haben, sagt: »Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt« (Mt 13,52).

11. Schließlich präzisiert Dei Verbum: »Gottes Worte, durch Menschenzunge formuliert, sind menschlicher Rede ähnlich geworden, wie einst des ewigen Vaters Wort durch die Annahme menschlich-schwachen Fleisches den Menschen ähnlich geworden ist« (Nr. 13). So könnte man sagen, dass die Inkarnation des Wortes Gottes dem Verhältnis zwischen Gottes Wort und menschlicher Sprache mit ihrer geschichtlichen und kulturellen Bedingtheit Form und Sinn verleiht. In eben diesem Ereignis nimmt die Überlieferung Gestalt an, die selbst auch Wort Gottes ist (vgl. ebd., 9). Oft läuft man Gefahr, Heilige Schrift und Überlieferung voneinander zu trennen, ohne zu verstehen, dass sie gemeinsam die alleinige Quelle der Offenbarung sind. Der schriftliche Charakter der ersten lässt sie nicht weniger vollwertiges lebendiges Wort sein; so wie auch die lebendige Überlieferung der Kirche, die sie im Laufe der Jahrhunderte von Generation zu Generation unaufhörlich weitergibt, dieses heilige Buch als »höchste Richtschnur ihres Glaubens« besitzt (ebd., 21). Die Heilige Schrift wurde ja, bevor sie zu einem schriftlichen Text wurde, mündlich überliefert und durch den Glauben eines Volkes lebendig bewahrt, das sie als seine Geschichte und sein Identitätsprinzip inmitten vieler anderer Völkern anerkannte. Der biblische Glaube gründet also auf dem lebendigen Wort, nicht auf einem Buch.

12. Wenn die Heilige Schrift im gleichen Geist gelesen wird, mit dem sie geschrieben wurde, bleibt sie immer neu. Das Alte Testament ist nie alt, wenn es einmal Teil des Neuen ist, denn alles wird durch den einen Geist verwandelt, der es inspiriert. Die gesamte Heilige Schrift hat eine prophetische Funktion: diese betrifft nicht die Zukunft, sondern das Heute derer, die sich von diesem Wort nähren. Jesus selbst sagt dies zu Beginn seines Wirkens deutlich: »Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt« (Lk 4,21). Wer sich jeden Tag vom Wort Gottes nährt, wird wie Jesus zu einem Zeitgenossen der Menschen, denen er begegnet; er ist nicht versucht, einer fruchtlosen Vergangenheitsnostalgie zu verfallen oder vagen Zukunftsutopien nachzujagen.

Die Heilige Schrift vollzieht ihr prophetisches Wirken vor allem an dem, der auf sie hört. Sie ruft Süße und Bitterkeit hervor. Hier kommen einem die Worte des Propheten Ezechiel in den Sinn. Als er, vom Herrn aufgefordert, die Schriftrolle isst, bekennt er: »Sie wurde in meinem Mund süß wie Honig« (3,3). Auch der Evangelist Johannes macht auf der Insel Patmos diese Erfahrung Ezechiels mit dem Essen des Buches, fügt aber noch eine Konkretisierung an: »In meinem Mund war es süß wie Honig. Als ich es aber gegessen hatte, wurde mein Magen bitter« (Offb 10,10).

Die Süße des Wortes Gottes drängt uns, es mit denen zu teilen, denen wir in unserem Leben begegnen, um der in ihm enthaltenen Gewissheit der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, (vgl. 1 Petr 3,15-16). Bitterkeit hingegen stellt sich oft ein, wenn wir feststellen müssen, wie schwierig es für uns ist, das Wort Gottes konsequent zu leben, oder wenn wir konkret erfahren müssen, dass es auf Ablehnung stößt, weil man ihm nicht zutraut, dem Leben Sinn zu verleihen. Wir dürfen uns daher nie an das Wort Gottes gewöhnen, sondern müssen uns von ihm nähren, um unsere Beziehung zu Gott und zu unseren Brüdern und Schwestern zu entdecken und intensiv zu leben.

13. Eine weitere Herausforderung aus der Heiligen Schrift betrifft die Nächstenliebe. Ständig ruft das Wort Gottes zur barmherzigen Liebe des Vaters auf, der von seinen Kinder verlangt, in der Liebe zu leben. Das Leben Jesu ist der vollkommene Ausdruck dieser göttlichen Liebe, die nichts für sich selbst behält, sondern sich uneingeschränkt an alle verschenkt. Im Gleichnis vom armen Lazarus finden wir einen wertvollen Hinweis. Als Lazarus und der Reiche sterben, bittet letzterer, als er den Armen im Schoß Abrahams sieht, diesen zu seinen Brüdern zu schicken, um sie zu ermahnen, die Nächstenliebe zu leben, damit sie nicht auch seine Qualen erleiden. Abrahams Antwort ist hart: »Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören« (Lk 16,29). Auf die Heilige Schrift hören, um Barmherzigkeit zu üben: das ist eine große Herausforderung für unser Leben. Das Wort Gottes ist in der Lage, unsere Augen zu öffnen, damit wir aus dem Individualismus herauskommen, der zu Erstickung und Sterilität führt. Dazu tut es uns den Weg des Miteinanders und der Solidarität auf.

14. Eines der bedeutendsten Ereignisse in der Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern ist die Verklärung. Jesus steigt mit Petrus, Jakobus und Johannes auf einen Berg, um zu beten. Die Evangelisten erwähnen, dass, während sein Gesicht und sein Gewand hell erstrahlten, zwei Männer mit Jesus sprachen: Mose und Elija, die das Gesetz bzw. die Propheten, also die Heiligen Schriften darstellen. Petrus reagiert auf diesen Anblick voll freudiger Verwunderung: »Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija« (Lk 9,33). Da überschattet sie eine Wolke und die Jünger werden von Furcht ergriffen.

Die Verklärung erinnert an das Laubhüttenfest, als Esra und Nehemia nach der Rückkehr aus dem Exil dem Volk die Heilige Schrift vorlasen. Gleichzeitig antizipiert sie die Herrlichkeit Jesu, um auf das schockierende Ereignis der Passion vorzubereiten. Auf diese göttliche Herrlichkeit verweist auch die Wolke, welche die Jünger umhüllt und ein Symbol für die Gegenwart des Herrn ist. Der Verklärung Jesu ist die „Verklärung“ der Heiligen Schrift ähnlich, die sich selbst transzendiert, wenn sie das Leben der Gläubigen nährt. Verbum Domini erinnert daran: »Wenn die Gliederung zwischen den verschiedenen Sinngehalten der Schrift festgestellt wird, ist es also entscheidend, den Übergang vom Buchstaben zum Geist zu erfassen. Dieser Übergang findet nicht automatisch und nicht von sich aus statt; vielmehr bedarf es einer Überschreitung des Buchstabens« (Nr. 38).

15. Auf dem Weg der Annahme des Wortes Gottes begleitet uns die Mutter des Herrn. Sie wird selig genannt, weil sie geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ (vgl. Lk 1,45). Die Seligpreisung Mariens geht allen Seligpreisungen voraus, die Jesus für die Armen, die Trauernden, die Sanftmütigen, die Friedensstifter und die Verfolgten ausgesprochen hat, denn sie ist die notwendige Voraussetzung für jede andere Seligpreisung. Kein armer Mensch ist selig, weil er arm ist; er wird es, wenn er wie Maria an die Erfüllung des Wortes Gottes glaubt. Daran erinnert der heilige Augustinus, ein großer Jünger und Meister der Heiligen Schrift: »Jemand aus der Menge sprach voll Bewunderung: „Selig der Leib, der dich getragen.“ Und er [Jesus]: „Vielmehr selig diejenigen, welche das Wort Gottes hören und beobachten.“ Das heißt so viel als: Auch meine Mutter, die ihr selig genannt habt, ist deshalb selig, weil sie das Wort Gottes bewahrt; nicht weil in ihr das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat, sondern weil sie eben dieses Wort Gottes bewahrt, durch welches sie geworden ist, und welches in ihr Fleisch geworden ist« (Tract. in Io. Ev., 10,3).

Der dem Wort Gottes gewidmete Sonntag möge im Volk Gottes die andächtige und beständige Vertrautheit mit der Heiligen Schrift wachsen lassen, so wie es der heilige Verfasser bereits in alter Zeit gelehrt hat: »Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten« (Deut 30,14).

Gegeben zu Rom, bei St. Johannes im Lateran, am 30. September 2019
Gedenktag des heiligen Hieronymus zu Beginn des Jubiläumsjahres anlässlich seines 1600. Todestages

FRANZISKUS

 


 

[1] Vgl. AAS 102 (2010), 692-787.

[2] »Die Sakramentalität des Wortes lässt sich so in Analogie zur Realpräsenz Christi unter den Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines verstehen. Wenn wir zum Altar gehen und am eucharistischen Mahl teilnehmen, empfangen wir wirklich den Leib und das Blut Christi. Die Verkündigung des Wortes Gottes in der liturgischen Feier geschieht in der Einsicht, dass Christus selbst in ihr gegenwärtig ist und sich uns zuwendet, um aufgenommen zu werden« (Verbum Domini, 56).

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Quelle