Hier blüht die Ökumene

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Papst Franziskus und Pfarrer Dr. Jens-Martin Kruse beim ökumenischen Gottesdienst im November 2015

Die evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom

Eine lutherische Bastion mitten im Bistum des Papstes hat, sollte man meinen, einen schweren Stand. Aber das war einmal. Die um die Christuskirche gescharte Gemeinde hat sich in Rom längst Ansehen erworben – weil sie ökumenisch orientiert ist und dies auch im Gedenkjahr der Reformation 2017 zum Ausdruck bringt.

»Wir, Lutheraner und Katholiken, müssen einander um Verzeihung bitten für den Skandal der Teilung. Nun ist es Zeit für die versöhnte Verschiedenheit. Bitten wir heute um diese Gnade der versöhnten Verschiedenheit im Herrn…« So sagte Papst Franziskus am 15. November 2015 sinngemäß in seiner Predigt in der voll besetzten evangelisch-lutherischen Christuskirche in Rom. Worte also mit einem deutlich ökumenischen Akzent – bei einem Kirchenbesuch, der schon als solcher ein ökumenisches Ereignis war.

Durch den Besuch des Heiligen Vaters geriet erneut nicht nur die Christuskirche und die dazugehörige Gemeinde ins Blickfeld, sondern ganz generell die Rolle der kleinen lutherischen Minderheit in der Hauptstadt des katholischen Glaubens. Dieses Interesse ist gerade jetzt, im Jahr 2017, gewissermaßen aktuell. Dazu der Pfarrer, Dr. Jens-Martin Kruse, in einem Gespräch mit unserer Zeitung: »Denn wir erinnern uns ja an zwei entscheidende Ereignisse: An den Beginn der Reformation vor 500 Jahren und an den ers­ten evangelischen Gottesdienst in Rom 1817, mit dem die Geschichte unserer Gemeinde anfing.«

Anfänge auf dem Kapitol

So ist es in der Tat. Begonnen hatte alles im Zeichen des preußischen Adlers. Nicht ein Geistlicher, sondern der preußische Legationsrat und spätere Gesandte beim Heiligen Stuhl, Christian Josias von Bunsen, war der spiritus rector beim Entstehen der evangelischen Gemeinde in Rom. In seiner Wohnung fand 1817 ein Gottesdienst zum Gedenken an Luthers Reformation statt. Wenig später schickte der preußische König einen fest besoldeten Prediger, Heinrich Schmieder, an den Tiber. Seinen ersten Gottesdienst hielt er am 27. Juni 1819. Als der Diplomat Bunsen dann zum Gesandten aufrückte, richtete er eine Kapelle im Erdgeschoss des von ihm bewohnten Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol ein. Und dieser Palast, in dem man die Gesandtschaft etablierte, blieb für knapp 100 Jahre der geistliche Mittelpunkt für die evangelischen Deutschen in Rom.

 

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Das Kircheninnere mit Apsismosaik.

Verstärkt wurde diese Rolle noch, als nahebei das Deutsche Archäologische Institut entstand sowie (zum Forum hin) ein kleines evangelisches Krankenhaus. Die protestantische Gemeinde existierte also im Bannkreis der preußischen Gesandtschaft, weshalb sie der Papst tolerierte.

Probleme gab es allerdings bei Beerdigungen. Erst seit kurzem nämlich hatten die nichtkatholischen Christen das Recht, ihre Toten neben der Cestius-Pyramide an der Stadtmauer beizusetzen. Dies musste im Morgengrauen geschehen, um ja nicht die katholischen Bürger zu erzürnen. Auf dem Cestius-Friedhof (heute offiziell »nicht-katholischer Friedhof« genannt) ruhen viele evangelische Gläubige aus Deutschland. So etwa Goethes Sohn August, der ebenfalls 1830 verstorbene schwäbische Dichter Wilhelm Waiblinger und der Maler Hans von Marées.

 

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Christus zwischen Petrus und Paulus: Statuen von Reinhold Felderhoff

Als 1870 der Kirchenstaat eingenommen und Rom kurz darauf die Hauptstadt des geeinten Italien wurde, zog in der Metropole Gewissens- und Kultfreiheit ein. Fortan entstanden mehrere nicht-katholische Kirchen am Tiber. Die Waldenser, also die italienischen Protestanten, konnten sogar zwei Gotteshäuser in der früher vom Papst regierten Stadt bauen. Die evangelischen Deutschen hingegen mussten weiter mit der Botschaftskapelle auf dem Kapitol vorlieb nehmen.

Freilich, protestantische Gruppen in Deutschland warben emsig für Kirchenbauten in der Diaspora. 1899 schließlich erwarb die evangelische Gemeinde Roms ein Grundstück zu diesem Zweck in der Via Toscana nahe der berühmten Via Veneto, im ehemaligen Gartengelände der Villa Ludovisi.

Und Kaiser Wilhelm II., obgleich zunächst aus politischen Gründen Gegner des ganzen Projekts, beauftragte seinen Architekten Franz Schwechten mit dem Plan für die Christuskirche. Der Erste Weltkrieg unterbrach jedoch die Bauarbeiten. Deshalb konnte man die unter anderem mit Mosaiken und einem Taufbecken von Bertel Thorvaldsen geschmückte Kultstätte erst 1922 einweihen. Sie ist, wie eine von der Gemeinde publizierte Broschüre betont, »ein seltenes, wichtiges Zeugnis der späten wilhelminischen Baukunst«.

Somit hatte die deutsche evangelische Gemeinde nun auf Dauer ihr Zentrum. Über ein interessantes Ereignis aus der folgenden Zeit berichtet der schriftliche Kirchenführer: Anlässlich der Trauerfeier für die 1930 in Rom verstorbene schwedische Königin Viktoria – einer gebürtigen Prinzessin von Baden, die sich oft in Italien aufhielt und der deutschen evangelischen Gemeinde Roms angehörte – »kamen Fürstlichkeiten aus vielen Ländern in die Christuskirche; neben dem italienischen Königspaar fehlte auch der ›Duce‹, Benito Mussolini, nicht.«

Weitere Etappen? Während des Zweiten Weltkriegs herrschten schwierige Verhältnisse für die Protestanten in der Ewigen Stadt; dann gab es in der Nachkriegszeit durch die Wiedereröffnung deutscher Institutionen in Rom neue Mitglieder und neue Impulse für die Gemeinde, die 1956 mit 563 Mitgliedern ihren Höchststand erreichte.

 

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Außenansicht der zwischen 1910 und 1922 erbauten Christuskirche

Unterdessen wurde die Gemeinde Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien (ELKI); konstant blieb außerdem die enge Bindung an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die auch den Pfarrer für die Christuskirche ernennt. Da sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) das Verhältnis der katholischen Kirche zu den anderen christlichen Kirchen und Konfessionen verbesserte, wuchs auch das Selbstbewusstsein der evangelischen Gemeinde am Tiber. »Ökumene« wurde fortan zum Schlüsselbegriff für die interkonfessionellen Beziehungen – und damit auch für die Beziehungen zwischen den in Rom lebenden Lutheranern und dem Vatikan. So kam es zu einem wahrhaft historischen Ereignis: Am 3. Advent 1983 besuchte Johannes Paul II. die Christuskirche. Zum ersten Mal predigte ein Papst in einem evangelischen Gotteshaus, oder, wie Italiens Zeitungen salbungsvoll schrieben, »in einem Tempel Martin Luthers«. Der mit dem Vatikan genau abgestimmte Wortgottesdienst war geprägt von ökumenischem Geist, vom deutlichen Wunsch nach Verständigung und Versöhnung.

Viele positive Signale

Seit August 2008 amtiert der dynamische Hanseat Dr. Jens-Martin Kruse als Pfarrer der Christuskirche. Er war also der Gastgeber, als mit Benedikt XVI. am 14. März 2010 abermals ein Pontifex diese Kultstätte besuchte und dort predigte. Ein Ereignis, das Kruse höchst positiv bewertet: »Wenn der Papst bereit ist, Gottesdienst mit uns zu feiern, dann bedeutet das doch für uns die Anerkennung als Kirche.« Logisch daher, dass auch der Besuch von Franziskus 2015 den Pastor und seine Gemeinde mit Genugtuung erfüllte.

Zwar sieht Pfarrer Kruse durchaus, dass sich in manchen theologischen Fragen zwischen Katholiken und Protestanten mehr bewegen könnte. Aber, so betont er, hinter die »gelebte und gefeierte Ökumene« könne niemand zurück. Die theologischen Fragen würden sich dann Schritt um Schritt klären lassen. Und die Klage über eine »ökumenische Eiszeit«? In diese Klage stimmt der Pastor absolut nicht ein. »Denn es gibt in Sachen Ökumene viele positive Signale auf beiden Seiten. Dabei muss man allerdings lernen, zwischen den Zeilen zu lesen.«

Gewiss, die lutherische Gemeinde Rom ist – mit derzeit rund 500 Beitrag zahlenden Mitgliedern – sehr klein. Vor allem wegen der hohen Fluktuation, was besagt: So manche »Kurzzeit-Römer« ziehen nach ein paar Jahren wieder fort. Aber die Gemeinde ist erstaunlich vital. Von den allgemeinen Gottesdiensten abgesehen, gibt es Kindergottesdienste, eine Konfirmandengruppe, den Chor, einen »Frauenverein«, Gesprächskreise und den alljährlichen Weihnachtsbasar. Bei mehreren Aktivitäten spielt die Ökumene eine wichtige Rolle. Was auch daran liegt, dass der Gemeinde etliche Ehepaare mit Partnern unterschiedlicher Konfession angehören. »Fast jedes Mitglied«, heißt es im Pfarramt, »verfügt über ökumenische Kontakte in der eigenen Familie, am Wohnort oder am Arbeitsplatz.« Dies und der Standort Rom mit seinen unzähligen katholischen Institutionen bedingt fast schon automatisch eine ökumenische Orientierung. Zu den einschlägigen Veranstaltungen zählt z. B. jedes Jahr in der Karwoche ein ökumenischer Kreuzweg, dessen Stationen die verschiedenen Gotteshäuser rund um die Christuskirche verbinden. Im gleichen Kontext steht die Teilnahme, gemeinsam mit Katholiken, an der jährlichen Gebetswoche für die Einheit der Christen.

 

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Blick in den Garten der Christuskirche.

Besonders engagiert ist Pfarrer Kruse jetzt bei einem umfangreichen Programm, das sowohl an den Beginn der Reformation als auch an die Entstehung der römischen Gemeinde erinnert und daher »1517-1817-2017« heißt. Konkret handelt es sich um eine Reihe von meist auf Luther bezogenen Veranstaltungen. Mit Gottesdiensten, Workshops, Konzerten sowie Vorträgen prominenter Experten aus der evangelischen und katholischen Kirche. Am 18. Januar z. B. predigte hier Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Chris­ten. Überhaupt ist das ehrgeizige Programm geprägt vom ökumenischen Geist. Einem Geist, der zweifellos die ganze um die Christuskirche gescharte Gemeinde erfüllt. Wie formuliert es doch gleich Pfarrer Kruse? »Bei uns in Rom blüht und gedeiht die Ökumene.«

Von Bernhard Hülsebusch

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Quelle Osservatore Romano 6/2017