Selbstzerstörung des Menschen und so Zerstörung von Gottes Werk

Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: es ist nicht ‚überholte Metaphysik’, wenn die Kirche von der Natur des Menschen als Mann und Frau redet und das Achten dieser Schöpfungsordnung einfordert.

Von Armin Schwibach

Rom (kath.net/as – 23 Juli 2018, 13:00) „Die Regenwälder verdienen unseren Schutz, ja, aber nicht weniger der Mensch als Geschöpf, dem eine Botschaft eingeschrieben ist, die nicht Gegensatz zu unserer Freiheit, sondern ihre Bedingung bedeutet.“

Vier Dimensionen der „Pneumatologie“, der Lehre vom Heiligen Geist: sie setzte Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache an die Römische Kurie vom 22. Dezember 2008 auseinander. Anlass dazu boten zwei besonderen Ereignisse des Heiligen Geistes, die in jenem Jahr stattfanden: der Weltjugendtag in Sydney sowie die Weltbischofssynode zum Wort Gottes, deren Inhalte dann im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Verbum Domini“ (30. September 2010) zusammengefasst werden sollten:

„So wird mit dem Thema Heiliger Geist, das die Tage in Australien und hintergründig die Wochen der Synode prägte, die ganze Weite des christlichen Glaubens sichtbar, die von der Verantwortung für die Schöpfung und das schöpfungsgemäße Sein des Menschen über die Themen Schrift und Heilsgeschichte zu Christus führt und von da aus in die lebendige Gemeinschaft der Kirche hinein, in ihre Ordnungen und Verantwortungen wie in ihre Weite und Freiheit, die sich in der Vielzahl der Charismen ebenso wie im pfingstlichen Bild von der Vielzahl der Sprachen und Kulturen ausdrückt“.

Aber nicht nur das Thema „Heiliger Geist“ rückte der Papst in den Fokus. Vielmehr diente ihm die Reflexion über die Schöpfungsordnung dazu, die sogenannte Selbstemanzipation des Menschen herauszustellen. Er tat dies mit einer Reflexion über den Begriff des „Gender“, wo deutlich werde: es gehe um „Selbstzerstörung des Menschen und so Zerstörung von Gottes eigenem Werk“.

Benedikt XVI. ging davon aus, dass der Glaube an den Schöpfer ein wesentlicher Teil des christlichen Credo ist. Daher könne sich die Kirche nicht damit begnügen, ihren Gläubigen die Botschaft des Heils auszurichten: „sie trägt Verantwortung für die Schöpfung und muss diese Verantwortung auch öffentlich zur Geltung bringen. Und sie muss dabei nicht nur die Erde, das Wasser und die Luft als Schöpfungsgaben verteidigen, die allen gehören. Sie muss auch den Menschen gegen die Zerstörung seiner selbst schützen. Es muss so etwas wie eine Ökologie des Menschen im recht verstandenen Sinn geben“.

Es sei nicht „überholte Metaphysik“, wenn die Kirche von der Natur des Menschen als Mann und Frau rede und das Achten dieser Schöpfungsordnung einfordere: „da geht es in der Tat um den Glauben an den Schöpfer und das Hören auf die Sprache der Schöpfung, die zu missachten Selbstzerstörung des Menschen und so Zerstörung von Gottes eigenem Werk sein würde“.

Was in dem Begriff „Gender“ vielfach gesagt und gemeint werde, laufe letztlich auf die „Selbstemanzipation des Menschen von der Schöpfung und vom Schöpfer“ hinaus:

„Der Mensch will sich nur selber machen und sein Eigenes immer nur selbst bestimmen. Aber so lebt er gegen die Wahrheit, lebt gegen den Schöpfergeist. Die Regenwälder verdienen unseren Schutz, ja, aber nicht weniger der Mensch als Geschöpf, dem eine Botschaft eingeschrieben ist, die nicht Gegensatz zu unserer Freiheit, sondern ihre Bedingung bedeutet.

Große Theologen der Scholastik haben die Ehe, die lebenslange Verbindung von Mann und Frau als Schöpfungssakrament bezeichnet, das der Schöpfer selbst eingesetzt und das Christus dann – ohne die Schöpfungsbotschaft zu verändern – in die Heilsgeschichte als Sakrament des Neuen Bundes aufgenommen hat. Zur Verkündigungsaufgabe der Kirche gehört das Zeugnis für den Schöpfergeist in der Natur als Ganzer und gerade auch in der Natur des gottebenbildlichen Menschen. Von da aus sollte man die Enzyklika „Humanae vitae“ neu lesen: Papst Paul VI. ging es darin darum, die Liebe gegen Sexualität als Konsum, die Zukunft gegen den Alleinanspruch der Gegenwart und die Natur des Menschen gegen ihre Manipulation zu verteidigen“.

In Zeiten, in denen unter dem Vorwand des Wirkens des Heiligen Geistes und seiner „Überraschungen“ über alles Mögliche geredet und alles Mögliche „gerechtfertigt“ wird, lohnt es sich besonders, sich mit den entschlossenen und meditativen Ausführungen Benedikts XVI. auseinanderzusetzen.

Aus der Weihnachtsansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie am 22. Dezember 2008: 

Freude als Frucht des Heiligen Geistes – damit sind wir beim zentralen Thema von Sydney angelangt, das eben der Heilige Geist gewesen ist. Die Wegweisung, die darin liegt, möchte ich in diesem Rückblick noch einmal zusammenfassend andeuten. Wenn man sich das Zeugnis von Schrift und Überlieferung vor Augen hält, kann man unschwer vier Dimensionen des Themas Heiliger Geist erkennen.

1. Da ist zuerst die Aussage, die uns vom Anfang des Schöpfungsberichts her entgegenkommt: Er erzählt uns von dem Schöpfergeist, der über den Wassern schwebt, die Welt erschafft und immer wieder erneuert. Glaube an den Schöpfergeist ist ein wesentlicher Inhalt des christlichen Credo. Daß die Materie mathematische Struktur in sich trägt, geisterfüllt ist, ist die Grundlage, auf der die moderne Naturwissenschaft beruht. Nur weil Materie geistig strukturiert ist, kann unser Geist sie nachdenken und selbst gestalten. Daß diese geistige Struktur von dem gleichen Schöpfergeist kommt, der auch uns Geist geschenkt hat, bedeutet Auftrag und Verantwortung zugleich.

Im Schöpfungsglauben liegt der letzte Grund unserer Verantwortung für die Erde. Sie ist nicht einfach unser Eigentum, das wir ausnützen können nach unseren Interessen und Wünschen. Sie ist Gabe des Schöpfers, der ihre inneren Ordnungen vorgezeichnet und uns damit Wegweisungen als Treuhänder seiner Schöpfung gegeben hat. Daß die Erde, der Kosmos, den Schöpfergeist spiegeln, bedeutet auch, daß ihre geistigen Strukturen, die über die mathematische Ordnung hinaus im Experiment gleichsam greifbar werden, auch sittliche Weisung in sich tragen. Der Geist, der sie geformt hat, ist mehr als Mathematik – er ist das Gute in Person, das uns durch die Sprache der Schöpfung den Weg des rechten Lebens zeigt.

Weil der Glaube an den Schöpfer ein wesentlicher Teil des christlichen Credo ist, kann und darf sich die Kirche nicht damit begnügen, ihren Gläubigen die Botschaft des Heils auszurichten. Sie trägt Verantwortung für die Schöpfung und muß diese Verantwortung auch öffentlich zur Geltung bringen. Und sie muß dabei nicht nur die Erde, das Wasser und die Luft als Schöpfungsgaben verteidigen, die allen gehören. Sie muß auch den Menschen gegen die Zerstörung seiner selbst schützen. Es muß so etwas wie eine Ökologie des Menschen im recht verstandenen Sinn geben. Es ist nicht überholte Metaphysik, wenn die Kirche von der Natur des Menschen als Mann und Frau redet und das Achten dieser Schöpfungsordnung einfordert. Da geht es in der Tat um den Glauben an den Schöpfer und das Hören auf die Sprache der Schöpfung, die zu mißachten Selbstzerstörung des Menschen und so Zerstörung von Gottes eigenem Werk sein würde. Was in dem Begriff „Gender“ vielfach gesagt und gemeint wird, läuft letztlich auf die Selbstemanzipation des Menschen von der Schöpfung und vom Schöpfer hinaus.

Der Mensch will sich nur selber machen und sein Eigenes immer nur selbst bestimmen. Aber so lebt er gegen die Wahrheit, lebt gegen den Schöpfergeist. Die Regenwälder verdienen unseren Schutz, ja, aber nicht weniger der Mensch als Geschöpf, dem eine Botschaft eingeschrieben ist, die nicht Gegensatz zu unserer Freiheit, sondern ihre Bedingung bedeutet. Große Theologen der Scholastik haben die Ehe, die lebenslange Verbindung von Mann und Frau als Schöpfungssakrament bezeichnet, das der Schöpfer selbst eingesetzt und das Christus dann – ohne die Schöpfungsbotschaft zu verändern – in die Heilsgeschichte als Sakrament des Neuen Bundes aufgenommen hat. Zur Verkündigungsaufgabe der Kirche gehört das Zeugnis für den Schöpfergeist in der Natur als Ganzer und gerade auch in der Natur des gottebenbildlichen Menschen. Von da aus sollte man die Enzyklika „Humanae vitae“ neu lesen: Papst Paul VI. ging es darin darum, die Liebe gegen Sexualität als Konsum, die Zukunft gegen den Alleinanspruch der Gegenwart und die Natur des Menschen gegen ihre Manipulation zu verteidigen.

2. Nur noch ein paar kurze Andeutungen zu den anderen Dimensionen der Pneumatologie. Wenn der Schöpfergeist sich zunächst in der schweigenden Größe des Alls, in seiner geistigen Struktur zeigt, so sagt uns der Glaube darüber hinaus das Überraschende, daß dieser Geist sozusagen auch in Menschenwort redet, in die Geschichte eingetreten und als geschichtsgestaltende Kraft auch sprechender Geist ist, ja, Wort, das uns in den Schriften des Alten und des Neuen Testaments begegnet. Was das für uns bedeutet, hat der heilige Ambrosius in einem Brief wunderbar ausgedrückt: „Auch jetzt ergeht sich Gott im Paradies, während ich die göttlichen Schriften lese“ (Ep 49, 3). Die Schrift lesend können wir gleichsam auch heute im Paradiesesgarten Gottes herumgehen und dem dort wandernden Gott begegnen: Zwischen dem Thema des Weltjugendtags in Australien und dem Thema der Bischofssynode besteht ein tiefer innerer Zusammenhang.

Die beiden Themen Heiliger Geist und Wort Gottes gehören zusammen. Die Schrift lesend lernen wir aber auch, daß Christus und der Heilige Geist untrennbar voneinander sind. Wenn Paulus dramatisch zugespitzt sagt: „Der Herr ist der Geist“ (2 Kor 3, 17), so erscheint nicht nur hintergründig die trinitarische Einheit von Sohn und Heiligem Geist, sondern vor allem ihre heilsgeschichtliche Einheit: In der Passion und Auferstehung Christi werden die Schleier der bloßen Buchstäblichkeit zerrissen und die Gegenwart des jetzt sprechenden Gottes sichtbar. Die Schrift mit Christus lesend lernen wir, die Stimme des Heiligen Geistes in den Menschenworten zu hören, und entdecken die Einheit der Bibel.

3. Damit sind wir schon bei der dritten Dimension der Pneumatologie angelangt, die eben in der Untrennbarkeit von Christus und Heiligem Geist besteht. Vielleicht am schönsten erscheint sie im Bericht des heiligen Johannes über die erste Erscheinung des Auferstandenen vor der Jüngergemeinschaft: Der Herr haucht die Jünger an und schenkt ihnen so den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist der Atem Christi. Und wie Gottes Atem am Schöpfungsmorgen den Lehm zum lebendigen Menschen gemacht hatte, so nimmt uns Christi Atem in die Seinsgemeinschaft mit dem Sohn auf, macht uns zu neuer Schöpfung. Deshalb ist es der Heilige Geist, der uns mit dem Sohn sagen läßt: „Abba, Vater!“ (Joh 20, 22; Röm 8, 15).

4. So ergibt sich als vierte Dimension der Zusammenhang von Geist und Kirche ganz von selbst. Paulus hat in 1 Kor 12 und Röm 12 die Kirche als Leib Christi und gerade so als Organismus des Heiligen Geistes geschildert, in dem die Gaben des Heiligen Geistes die einzelnen zu einem lebendigen Ganzen zusammenformen. Der Heilige Geist ist der Geist des Leibes Christi. Im Ganzen dieses Leibes finden wir unsere Aufgabe, leben wir füreinander und voneinander, zutiefst von dem lebend, der für uns alle gelebt und gelitten hat und uns durch seinen Geist an sich zieht zur Einheit aller Kinder Gottes. „Willst auch du vom Geist Christi leben? So sei im Leib Christi“, sagt Augustinus dazu (Joh 26, 13).

So wird mit dem Thema Heiliger Geist, das die Tage in Australien und hintergründig die Wochen der Synode prägte, die ganze Weite des christlichen Glaubens sichtbar, die von der Verantwortung für die Schöpfung und das schöpfungsgemäße Sein des Menschen über die Themen Schrift und Heilsgeschichte zu Christus führt und von da aus in die lebendige Gemeinschaft der Kirche hinein, in ihre Ordnungen und Verantwortungen wie in ihre Weite und Freiheit, die sich in der Vielzahl der Charismen ebenso wie im pfingstlichen Bild von der Vielzahl der Sprachen und Kulturen ausdrückt.

Zum Fest gehört die Freude, hatten wir gesagt. Das Fest kann man organisieren, die Freude nicht. Sie kann nur geschenkt werden, und sie ist uns geschenkt worden in reichem Maß: Dafür sind wir dankbar. Wie Paulus die Freude als Frucht des Heiligen Geistes kennzeichnet, so hat auch Johannes in seinem Evangelium Geist und Freude ganz eng miteinander verknüpft. Der Heilige Geist schenkt uns die Freude. Und er ist die Freude. Die Freude ist die Gabe, in der alle anderen Gaben zusammengefaßt sind. Sie ist Ausdruck für das Glück, für das Einssein mit sich selbst, das nur aus dem Einssein mit Gott und mit seiner Schöpfung kommen kann.

Zum Wesen der Freude gehört es, daß sie ausstrahlt, daß sie sich mitteilen muß. Der missionarische Geist der Kirche ist nichts anderes als der Drang, die Freude mitzuteilen, die uns geschenkt wurde. Daß sie in uns allezeit lebendig sei und so auf die Welt in ihren Drangsalen ausstrahle, das ist meine Bitte am Ende dieses Jahres. Verbunden mit dem herzlichen Dank für all Ihr Mühen und Wirken wünsche ich Ihnen allen, daß diese von Gott kommende Freude uns auch im neuen Jahr reichlich geschenkt werde.

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Quelle

Papst Franziskus: «Die Frau ist die Harmonie der Welt»

Steel engraving of God creation of woman Adam and Eve Original edition from my own archives Source : Bilder-Bibel 1836 1. Buch Mose Gen. Chap.2

Steel engraving of God creation of woman Adam and Eve Source : Bilder-Bibel 1836 1. Buch Mose Gen. Chap.2

PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS „DOMUS SANCTAE MARTHAE“

Die Frau ist die Harmonie der Welt

Donnerstag, 9. Februar 2017

(aus: L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 7, 17. Februar 2017)

»Um eine Frau zu verstehen, muss man zuerst von ihr träumen.« Deshalb ist die Frau »das große Geschenk Gottes«, das fähig ist, »Harmonie in die Schöpfung zu bringen«. Und zwar in dem Maß, gestand Papst Franziskus mit einem Hauch poetischer Zärtlichkeit, dass »es mir gefällt zu denken, dass Gott die Frau geschaffen hat, damit wir eine Mutter haben«. Es war ein regelrechter Hymnus auf die Frauen, den der Papst in der Messe anstimmte, die er am Donnerstag, den 9. Februar, in der Kapelle der Casa Santa Marta anstimmte. Es ist die Frau, so Franziskus, »die uns lehrt zu liebkosen, mit Zärtlichkeit zu lieben und die aus der Welt etwas Schönes macht«. Und wenn »Menschen auszubeuten ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, dann ist die Ausbeutung der Frau mehr als ein Vergehen und ein Verbrechen: es bedeutet, die Harmonie zu zerstören, die Gott der Welt geben wollte. Es bedeutet einen Rückschritt.«

Bei seinen Betrachtungen ging Franziskus von den Lesungen des Tages aus dem Buch Genesis (2,18-25) und dem Markusevangelium (7,24-30) aus. Die Liturgie »setzt den Bericht über die Schöpfung der Welt fort«, merkte der Papst sofort an und machte darauf aufmerksam, wie es den Anschein hat, »dass mit der Erschaffung des Mannes alles zu seinem Ende gekommen ist«, nämlich so weit, dass »Gott ruht«. Doch »etwas fehlt: der Mann war allein«, und »Gott selbst bemerkte diese Einsamkeit: ›Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht‹«, wie in der Genesis zu lesen ist.

So »formte der Herr handwerklich – aber dies ist eine literarische Ausdrucksweise – ›aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde‹, erklärte der Papst, indem er den Text aus der Bibel las. Und Gott sprach zum Mann: »Sie wird deine Gefährtin sein. Gib ihr einen Namen.« Von Gott her, fuhr Franziskus fort, »ist das ein Auftrag zur Herrschaft«. Er sagt zum Mann praktisch: »Du wirst der Herr von diesen sein, jener, der den Namen gibt, jener, der befiehlt«. Doch »für den Mann fand er keine Hilfe, die ihm entsprochen hätte, ist im Buch Genesis zu lesen. So »war der Mann allein, mit all diesen Tieren: ›Komm, hör zu, warum nimmst du dir nicht einen treuen Hund, der dich im Leben begleitet, dann zwei Katzen, um sie zu streicheln‹: der treue Hund ist gut, die Katzen sind nett, für einige, für andere nicht, für die Mäuse nicht!« Der Mann aber »fand in diesen Tieren keine Gesellschaft« und im Grunde »war er allein«.

Franziskus fuhr fort und ging Punkt für Punkt auf den Abschnitt aus dem Buch Genesis ein: »Da ließ der Herr«, so der Bericht weiter, ›einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief‹. Ein Mann allein, die Einsamkeit, jetzt wird der Mann zum Schlafen gebracht, der Traum des Mannes: er schlief ein«. Und »handwerklich – das steht so geschrieben – nahm er ihm eine seiner Rippen und ›schuf ein Frau‹ und ›führte sie dem Menschen zu‹. Als der Mann sie sah, sagte er: ›Ach, dieses Mal ja! Das ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen – er gibt einen Namen –; denn vom Mann ist sie genommen‹«. Für den Mann, so Franziskus, »ist sie etwas anderes als all das, was er hatte, sie war das, was ihm fehlte, um nicht allein zu sein: die Frau, er entdeckte sie, er sah sie«. Doch »bevor er sie sah, hat er sie geträumt«. Denn »um eine Frau zu verstehen, ist es notwendig, sie zuerst zu träumen; man kann sie nicht so verstehen wie alle anderen Lebewesen: sie ist etwas Verschiedenes, sie ist etwas Anderes«. Gerade »so hat Gott sie geschaffen: dass sie zuerst geträumt wird«.

»Viele Male«, merkte der Papst an, »sprechen wir von der Frau auf funktionale Weise: die Frau ist dazu da, dieses und jenes zu tun, um etwas zu tun, nein! Zuerst ist sie für etwas anderes da: die Frau bringt etwas, so dass die Welt ohne sie nicht so wäre, wie sie ist«. Die Frau »ist verschieden, sie ist etwas, das einen Reichtum bringt, den der Mann und die ganze Schöpfung und die Tiere nicht haben«. Auch »Adam hat sie geträumt, bevor er sie sah: da ist eine gewisse Poesie in dieser Erzählung«. Und »dann der dritte Schritt, wenn Adam sagt: ›Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch‹: die Bestimmung der beiden«. Denn in der Genesis ist zu lesen: »Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch«. Ja, »ein Fleisch«.

»Adam«, so Franziskus weiter, »konnte nicht ein Fleisch sein mit den Vögeln, mit dem Hund, mit der Katze, mit allen Tieren, mit der ganzen Schöpfung: nein, nein! Nur mit der Frau, und das ist die Bestimmung, das ist die Zukunft, das ist es, was fehlte«. Und »so kommt die Frau, um die Schöpfung zu krönen, mehr noch: sie bringt der Schöpfung Harmonie«. Wenn deshalb »die Frau nicht da ist, fehlt die Harmonie«. Auch »wir sagen: aber das ist eine Gesellschaft mit einer starken männlichen Haltung. Es fehlt die Frau«. Und vielleicht wird auch gesagt: »Die Frau ist dazu da, das Geschirr zu spülen, um dieses und jenes zu tun«. Doch es ist ganz anders: »Die Frau ist dazu da, um Harmonie zu bringen; ohne die Frau gibt es keine Harmonie.« Mann und Frau »sind nicht gleich, keiner ist dem anderen übergeordnet: nein. Nur: der Mann bringt keine Harmonie: sie ist es, die jene Harmonie bringt, die uns lehrt zu liebkosen, mit Zärtlichkeit zu lieben und die aus der Welt etwas Schönes macht«. »Drei Schritte« also, betonte der Papst erneut. Vor allem »der einsame Mann, die Einsamkeit des Mannes ohne die Frau; zweitens der Traum: nie kann man eine Frau verstehen, ohne sie zuerst geträumt zu haben; drittens die Bestimmung: ein Fleisch zu sein«.

»Vor einigen Monaten«, vertraute der Papst an, »habe ich bei einer der Audienzen, als ich die Leute hinter den Absperrungen grüßen ging, zufällig ein Ehepaar getroffen, das seinen 60. Hochzeitstag feierte: Sie waren nicht sonderlich alt, denn sie hatten jung geheiratet, sie ging auf die Achtzig zu, doch es ging ihnen gut, sie hatten ein Lächeln auf dem Gesicht«. Als er sie sah, fragte sie der Papst – denn, er lachte, »die Leute, die Hochzeitstage feiern, frage ich immer etwas und scherze dabei«–, wer von den beiden in den sechzig Jahren Ehe »mehr Geduld« gehabt hätte. Und »sie, die auf mich schauten, haben sich in die Augen geblickt – ich werde diese Augen nie vergessen –, dann wandte sich ihr Blick wieder mir zu und sie haben mir gesagt, beide zusammen: ›Wir sind verliebt.‹ »Nach sechzig Jahren«, fügte Franziskus hinzu, »das heißt es, ein Fleisch zu sein, und das ist es, was die Frau bringt: die Fähigkeit, sich zu verlieben. Die Harmonie für die Welt«. »Viele Male«, merkte der Papst an, »hören wir, wie gesagt wird: ›Es ist notwendig, dass da in dieser Gesellschaft, in dieser Einrichtung, dass hier eine Frau ist, damit sie das tut, damit sie diese Dinge verrichtet‹«. Aber »die Funktionalität ist nicht das Ziel der Frau: es ist richtig, dass die Frau Dinge tun muss und – wie wir alle – Dinge tut«.

Doch »das Ziel der Frau ist es, Harmonie zu schaffen, und ohne die Frau gibt es keine Harmonie in der Welt«. Ja, so der Papst eindringlich, »Menschen auszubeuten ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das ist richtig, doch eine Frau auszubeuten ist mehr: es bedeutet, die Harmonie zu zerstören, die Gott der Welt geben wollte«. Es ist dies wirklich »ein Zerstören, es ist kein einfaches Vergehen, kein einfaches Verbrechen, es bedeutet, zurückzukehren, es ist dies ein Zerstören der Harmonie«. »Das ist das große Geschenk Gottes: er hat uns die Frau gegeben«, bekräftigte der Papst. Und im Abschnitt aus dem Markusevangelium der heutigen Liturgie »haben wir gehört, wozu eine Frau fähig ist«, merkte Franziskus an und bezog sich dabei auf die Frau, deren Tochter von einem unreinen Geist besessen war. Eine »mutige« Frau, die »mutig vorangegangen ist, doch sie ist mehr, sie ist mehr: die Frau ist die Harmonie, sie ist Poesie, sie ist Schönheit«. Was so weit geht, dass »ohne sie die Welt nicht so schön wäre, sie wäre nicht harmonisch«.

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Bischof Dr. Karl Josef Romer (5. Okt. 2006): DIE HEILIGKEIT DES LEBENS

Bischof Karl Josef Romer

 

Die Heiligkeit des Lebens

Vorwort

Wer glaubt, dass der Mensch von Gott geschaffen ist, muss glauben, dass dieser Mensch im innersten Wesen, im Herzen Gottes seinen Anfang nimmt. Die Existenz dieses Geschöpfes muss in der Welt Lob und Preis der Herrlichkeit Gottes und den Mitmenschen heilswirkend Leuchte sein. Der Mensch ist nicht eine Emanation Gottes, aber in Liebe und Wahrheit nach Gottes Bild gemacht. Daher existiert er um von Gott sichtbares Zeugnis zu geben. Die Heiligkeit des menschlichen Lebens ist Teil eines grossen Schöpfungsplanes, in dem Gott in freier Liebe sich selbst ausspricht.

1) In geklärter Kritik, gläubig die Schrift lesen

1. Weder Mythos noch moderner Beobachtungsbericht

„Die grundlegenden Aussagen über den christlichen Schöpfungsglauben finden sich bereits auf den ersten Seiten des Alten Testamentes, im … priesterschriftlichen Bericht (Gen 1,1-2,4a) und in dem älteren, mehr anthropomorph gehaltenen, jahwistischen Text“ (Gen 2,4b-3,24) (Scheffczyk, III, 59[1]).

Der Text (Gen 1-11) darf weder rein wörtlich genommen werden, als ob es sich, modern gesagt, um den Bericht einer versteckten Kamera handeln würde. Ebenso wenig wird dem Text gerecht, wer ihn, wie die Aufklärung es versuchte, als Mythos abtut. Es ist nützlich, die wesentlichen Unterschiede zwischen Mythos und Schöpfungserzählung festzuhalten.

1.2  Was sind Mythen? 

Der Mythos steht im Gegensatz zur biblischen Erzählung. Für die Aufklärung besteht Gen 1-3 einzig aus zusammengefügten Stücken mythischen Ursprunges, die phantasievoll das Unerklärbare des Anfanges illustrieren wollen. Es wäre wichtig, hier überlegen zu können, worin denn die Mythen eigentlich bestehen.  Der Mythos will eine gewisse Welterklärung geben; jedoch zielt er nicht auf das Verhältnis von Mensch zu Gott. Der Mythos will in einer Retro-Projektion besonders die von allen Menschen erlebten, natürlichen und zyklischen Gegebenheiten der Welt (wie das Werden und Sterben der Natur und des Menschen selber) kausal erklären. Diese Erklärung ist ohne direkten Einfluss auf die Gestaltung der Geschichte von heute[2]. Im Allgemeinen, können wir sagen, sind die Götter ein Teil des grossen Werdens der Welt; als dessen erste Phase sind sie höherer Qualität und deshalb den Menschen übergeordnet.

1.3  Das literarische Genus des Schöpfungsberichtes (Glaube und Schöpfung als Beginn der Heilsgeschichte) 

Der biblische Bericht, hingegen, der zwar ohne Bedenken gewisse illustrierende, der mythischen Anschauung entnommene Kategorien gebraucht, ist dezidiert anti-mythisch. Dazu gehören unter anderem:

– Das Hauptelement ist die absolute Bezogenheit auf Gott.

– Das absolute Fehlen jeglicher Spur des Kampfes zwischen Gott und Natur.

– Das Verb „bara’“ (erschaffen), das Gottes Tun in absoluter Souveränität zeigt („und Gott sprach … und Gott schuf … und so war es gut“).

– Vor allem sind jegliche astrale Kräfte seinem Tun streng unterworfen.

– Die Natürlichkeit, mit der von der Zweigeschlechtlichkeit gesprochen wird, ohne zu dämonisieren oder zu sakralisieren.

– Alle Dinge sind in ihrer Ordnung und Wahrheit Ausdruck des Schöpferwortes, fern von aller Magie und Zauber, haben sie eine rationale Erkennbarkeit.

– Alles wird ausschliesslich in der Abhängigkeit von Gott, und erst von daher in gegenseitiger geschöpflicher Beziehung gesehen.

– Dadurch, dass die 11 „vorgeschichtlichen“ Kapitel der Abrahamgeschichte vorgebaut sind, wird klar, dass auch dieser Schöpfungsbericht als reale Tat des in der Abrahamgeschichte sich allmächtig erweisenden Gottes zu sehen ist. „Das Urgeschehen steht in einer Analogie zur Realgeschichte der Väter“ (Scheffczyk, III,63)[3].

1.4  Der absolute Unterschied: der Mensch ist mehr als ein Geschöpf

In grandioser Beschreibung wird das Wort „bara’“ (erschaffen) gebraucht. Es ist „ein terminus technicus des AT, ausschliesslich dem Tun Gottes vorbehalten“[4].

In Gen 1-3 und 4-11 ist alles ausgerichtet auf die Beschreibung des Verhältnisses von Gott und Mensch. Damit gibt Gen 1-11 für das Leben jeden Menschen und für das Verstehen unserer Geschichte das Grundverständnis.

 

2) Der Mensch, Gottes Bild und Gleichnis

2.1 Der Mensch soll einzig Gott zueigen sein

Nach der monotonen Wiederholung an den ersten fünf Tagen „Und Gott sprach, es werde, und Gott schuf“, fällt umsomehr auf, welch ein Einbruch im Redestil der Verse liegt, die der Erschaffung des Menschen gewidmet sind: „(26) Und Gott sprach: Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis (uns ähnlich) … (27) Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,26-27).

Es ist evident, dass hier der Höhepunkt der 6-tägigen Schöpfungswoche liegt. Es ist eine unerhörte Neuigkeit, die da ausgesagt wird, die in zwei Richtungen verstanden werden muss. Der zu erschaffende Mensch kommt aus der innersten Liebesmitte des Wesens Gottes hervor: „Lasst uns den Menschen machen – nach unserem Bilde und Gleichnis“. Es ist unsagbar, dass, trotz der absoluten Verschiedenheit zwischen Schöpfer und Geschöpf, eines der Geschöpfe aus solcher Innigkeit Gottes hervorgehen soll, und die Ähnlichkeit mit Gott als innerstes Merkmal an sich tragen muss und darf. Und in der anderen Richtung: Gott nimmt diese Kreatur ganz besonders an sich. Der Mensch, ihm ähnlich, muss ihm in ganz ausschliesslicher Weise gehören. Er wird hineingenommen in die innerste Vertrautheit mit Gott. Das Paradies-Gebot ist nochmals Ausdruck und Beweis dieser Erwählung: der Mensch, der sein Dasein ganz aus Gottes Liebestat empfangen hat, soll in freier Liebeshingabe in diese Gottesgemeinschaft eintreten[5]. Dazu sollte gelesen werden, was der Papst Johannes Paul II. in seinen Mittwoch-Katechesen von 1979 bis 1984 über Mann und Frau darlegte.

Wir finden in der Schöpfungsgeschichte der Bibel sowohl den Realismus der risikovollen Lebenserfahrung[6] sowie das Geheimnis des Menschen und der Ehe.

Die Urheiligkeit des menschlichen Lebens bezieht sich nicht nur auf die Innerlichkeit des menschlichen Gewissens, sondern zu dieser Heiligkeit gehört auch die Leiblichkeit und die Zweigeschlechtlichkeit sowie die Weitergabe des Lebens in der Familie. Das ausschliessliche Zugehören zu Gott drückt sich in der biblischen Botschaft am deutlichsten darin aus, dass der Mensch in freier Liebesentscheidung sich ganz dem liebenden Gotte hingeben darf (Gebot – Gehorsam – Chance freier Liebestat)

2.2 Die Ureinsamkeit des Menschen, auf dem Wege zu Gott

In seiner sehr suggestiven Analyse des zweiten Genesiskapitels sprach der Papst am 10. Oktober 1979 von einer doppelten Einsamkeit des Menschen.

Der Mensch steht zwar in einer tiefen Bezogenheit zu allen ihn umgebenden Geschöpfen. Das 2. Kapitel von Genesis zeigt in einem erhabenen Bilde, wie der Mensch inmitten aller Kreaturen seine Funktion als König des Alls übernimmt, indem er jedem Ding seinen Namen gibt, aber wie er trotzdem in einem doppelten Sinne einsam bleibt. Der Papst eröffnet hier eine Perspektive seltener Schönheit.

Bei all seiner Ähnlichkeit und seiner ursprünglichen Verwiesenheit auf die Welt, aus deren „Staub“ er gebildet ist, bleibt der Mensch eben doch in einer letzten und unaussprechbaren „Einsamkeit“. Es handelt sich hier zuerst um die Einsamkeit des Menschen als solchen (Mann und Frau); also nicht bloß um das dem Manne aus der Abwesenheit der Frau erwachsende Ungenügen[7]. Der Papst insistiert auf einer doppelten Einsamkeit:

  • die eine erwächst dem Menschen aus seinem tiefsten geschöpflichen Wesen, das heisst aus seinem Geschöpfsein in Vernunft und Liebe (besonders deutlich im 2. Kapitel der Genesis). Die bleibende Not des Geschöpfes, den Schöpfer zu finden;
  • die andere Einsamkeit entspricht der gegenseitigen Bezogenheit von Mann und Frau.

Diese seine innerweltliche Einsamkeit wird erfüllt durch das Gegenüber von Mann und Frau, soll ihm aber zugleich Verweis sein auf den absoluten Gott.

Die erste Form der Einsamkeit, die metaphysische, hat nichts mit der Verstossenheit des sündigen Menschen zu tun. Es handelt sich um das tiefste in sich selber Unerfülltsein des Menschen, indem er in seinem ganzen Wesen auf einen Andern, auf Gott, verwiesen ist. Auch wenn wir glaubend wissen, dass im Paradiese dem Menschen eine gnadenhafte Verbundenheit mit Gott gegeben war, so setzt eben gerade diese Gratuität der Gnade voraus, dass der Mensch sich selber immer nur als ungenügend erfahren kann. Auch erfüllt von der Gnade, weiss er, dass er aus sich selbst immer nur in absoluter Bedürftigkeit, in unendlichem Durst auf das Wahre, das Gute, das Schöne, auf Gott verwiesen bleibt.

2.3 Die Zweigeschlechtlichkeit als voller Ausdruck des Gottesbildes und Weg zu Gott

Es genügt ihm nie, Teil dieses Universums zu sein. – Im Umgang mit der Welt (Gen 2,19) lernt der Mensch sich selbst in Frage zu stellen. Warum ist keine andere Art des Geschaffenen ihm vergleichbar? Selbst in der beglückenden Beziehung zur Frau eröffnet sich das Geheimnis nochmals. Wie sehr sich Mann und Frau auch ergänzen und bereichern, so kann weder er noch sie jemals erfüllt werden durch ein Geschöpf. So müssen und dürfen Frau und Mann, auf ihrem gemeinsamen Wege zu Gott, einander gleichsam geheimnisvoll Spiegel des unsichtbaren, alles seligmachenden Gottes sein, Gefährte und Gefährtin – in Freud und Leid – und Zeichen lebendiger Hoffnung.

So wird gerade an der Zweigeschlechtlichkeit und an der gegenseitigen Bezogenheit von Mann und Frau nochmals klar, was der Mensch eigentlich ist. Während alle andern Dinge geschaffen sind nach ihrer eigenen Art, ist der Mensch das einzige Wesen, das nicht nach seiner, sondern nach einer fremden Art geschaffen ist. Nur Gott kann ihm ganz genügen. Keine Philosophie hat das grossartiger ausgedrückt. So wird auch sichtbar, dass die Heiligkeit des einzelnen Lebens ein Auftrag ist, denn seine Heiligkeit muss zur Heiligkeit der andern werden, in der Freundschaft, in der Ehe, der Familie und der Gesellschaft. Darin liegt die volle Würde und der Auftrag der Zweigeschlechtlichkeit.

Hier ist die Zweigeschlechtlichkeit weder dämonisiert, noch mythologisch vergöttlicht. Jeder muss für den andern (nicht nur, aber gerade auch in der zweigeschlechtlichen Dualität) gnadenhaft Gottesbild sein. Darin zeigt sich in unvergleichlicher Tiefe, wie jede Mitmenschlichkeit, aber  gerade die Zweigeschlechtlichkeit einerseits in Liebe Ausdruck Gottes, aber andererseits auch Weg zum Wachsen auf Gott hin sein muss.

Hier wäre die sehr wesentliche Überlegung anzustellen über den Sinn der Jungfräulichkeit und geweihten Ehelosigkeit. Diese will ja gerade den letzten und endgültigen Sinn aller mitmenschlichen Liebe vorwegnehmend darstellen. Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen wird so der Ehe und jeder suchenden Mitmenschlichkeit in höherem und tieferem Sinne zum Vorbild und Zielbild.

Wichtig ist schlicht und entschieden festzustellen, dass nach Gen 1,27 beiden Geschlechtern die absolute, vor Gott geltende Gleichwertigkeit zusteht. Was die zwei in ihrer Ergänzungsbedürftigkeit und Ergänzungsfähigkeit sind (Kap. 2), das müssen sie gerade als gleichwertiges Gottesbild sein. „Über alle Kulturen hinweg ist hier das Verhältnis Mann und Frau als Personen zur Grundform menschlicher Gemeinschaft erhoben“[8]. Nicht Unterordnung, sondern Polarität auf dem Weg zu Gott.

2.4 Die Freundschaft mit Gott

Scheffczyk (III,74) weist hin auf die refrain-artige Wiederholung: „und Gott sah dass es gut war so“, womit die Schrift aussprechen will, dass der vollkommene Gott, vor der Ursünde und aus reiner Schöpferliebe, seinem höchsten irdischen Geschöpfe „das Siegel der seinsmässigen Güte und Makellosigkeit“ gab. Es genügt nicht, die Gottesbildlichkeit des Menschen vor allem in seiner Vernünftigkeit, oder in seiner Erhabenheit über alle Geschöpfe, oder etwa in seinem aufrechten Gange sehen zu wollen. Dies ist wichtig und konstitutiv für seine Wesenheit. Aber das Bild Gottes besagt etwas viel Tieferes. Während alle Geschöpfe nur mittelbar zu Gott stehen (nämlich soweit der Mensch sie erkennt und in ihnen Gottes Spuren findet), ist der Mensch das einzige irdische Geschöpf, das in einem unvergleichlichen, unmittelbaren Gegenüber zu Gott steht. Der Mensch soll im Garten Gottes, im Paradiese wohnen; Gott nimm sich hingebend an um die Einsamkeit des Menschen. Der Mensch ist umgeben von Sorge und Liebe Gottes. Auch das Gebot im Paradies, die Berufung zur Bewährung des Menschen in seiner geschöpflichen Freiheit, ist nochmals höchster Anruf Gottes auf den Weg des Lebens und der göttlichen Erfüllung. All diese heilige Verbundenheit mit Gott ist mit dem Schöpferakte Gottes immer mitgemeint. So ist es im empfangenen Kinde, im Embryo, wie im erwachsenen Menschen. Gewiss, seit der Ursünde muss jeder durch die Taufe der Macht des Bösen entrissen und wieder in Gottes Gemeinschaft geführt werden. Das abscheuliche Verbrechen der Abtreibung (GSp 51.3: „crimen nefandum“) vergeht sich an der Schöpfertat Gottes selbst, der das wachsende Geschöpf schon angerufen hat zu dieser göttlichen Intimität.

2.5 Die Gottentfremdung

Gerade vor der Höhe und Tiefe der Berufung des Menschen durch Gott wird klar, wie abgrundtief das Unglück der Sünde ist. Wenn Gott ihm neue Hoffnung gibt, kann der Mensch seine Vollkommenheit nur finden, wenn er sich nicht verbannt zur gottfernen Einsamkeit. Nur bei Gott kann er Erfüllung, Ewigkeit, Leben, Liebe ohne Grenzen finden. Und in diese göttliche Berufung hinein muss jeder Mensch seine Mitmenschen führen. Jeder Mensch muss immer seinem Nächsten Zeichen dieser Hinordnung, dieser Gottbezogenheit sein. Sonst wird der Mensch dem Menschen zum Verführer, wie beim Untergang des Paradieses. Also, die Sorge um den Nächsten ist voll hineingenommen in das innige Verhältnis zum Heiligen Gott. Ohne Gottinnigkeit versinkt die Mitmenschlichkeit in die Leere der Ziellosigkeit oder wird erdrückt unter der Last erschöpfter Sinnenlust. Doch an dem sich Annehmen um den Nächsten wird die Gottesfreundschaft gestärkt und wahr.

 

3) Geschöpf des Dreifaltigen Gottes

3.1 Daten der Bibel

Wenn dies auch nicht so ausdrücklich im AT feststeht, so ist für den Christen eben doch klar, dass er nicht Gottesbild sein kann, ausser er sei Bild des Dreifaltigen Gottes. Gewiss, erst im Lichte des Neuen Testamentes ist es möglich, gewisse Andeutungen des AT zu entschlüsseln. Das „WORT des Herrn“ (Lógos) gilt als das schöpferische Tun Gottes, aber auch als jene heilige Macht, die der Geschichte Israels Richtung, Kraft und Ziel gibt (Psalm 33,6; 1 Sam 9,27; 2 Sam 7,4). Dieses Wort ist auch die „Weisheit“ Gottes (cf. Spr 8,27; Weish 7,24ss; 8,1; 8,18) (cf. Scheffczyk III,115). Die Ausdrucksform dieser Weisheit (sophía) ist so stark, dass der hochgelehrte, tiefgläubige hellenistische Jude Philo meint, darin ein zweites Gottsein erkennen zu müssen (deúteros theós).

Es ist nicht nötig, in dem Geiste, der „über dem Abgrund und dem Wasser schwebt“ eine ausdrückliche Offenbarung der dritten göttlichen Peson zu vermuten. Doch im NT erhellt sich, wie der so oft genannte, als Ausdruck Gottes in die Welt hinein gesandte Geist, letztlich eben gerade doch der heiligende, alle Erlösung vermittelnde persönliche GEIST ist.

Im Johannesevangelium wird die Schöpferrolle des „Wortes“ zu höchster Bedeutung erhoben (Joh 1,1-14; 1Joh 1,1; Apk 19,13). Das heisst dann aber, dass das in der Schöpfung Ausgedrückte eine innertrinitarische Tiefe und Bedeutung hat.

3.2 Lehre der Kirche

Das IV. Laterankonzil erhob es zum Glaubenssatz, dass die „Dreifaltigkeit … allein der Ursprung von allem ist, ausser dem man keinen anderen finden kann“ (DH 804: (quae … Trinitas sola est  universorum principium, praeter quod aliud inveniri non potest“).

3.3 Die Fülle unserer Berufung

Wenn Gott, unsere Ziel, die einzige Seligkeit ist, dann wird verständlich, dass jeder Mensch in seinem innersten Wesen aus dem Geheimnis dieses Dreifaltigen Gottes stammt. Gott nimmt nichts „Fremdes“ in sich auf, sondern das aus seinem Herzen Geschaffene. Da ER, der Absolute, als unser Ursprung auch nur unser volles beglückendes Ziel sein kann. Die volle Würde und das Ziel des Menschseins ist gerade diese dreifaltige Beziehung: zum Geiste, der uns Gottes Frieden schenkt und uns die Kraft gibt, die Welt zu erleuchten und Einheit zu schaffen; zum Sohne, der uns Anteil haben lässt an seiner überquellenden göttlichen Liebe, die immer aus Gott stammt und zu Gott führt, und darin uns schon Anteil gibt an seinem ewigen Königtum; zum Vater, als letztem Ursprung und sich schenkendem, beglückendem Ziele, denn er ist der „Vater, der alles in allem“ sein will (1 Kor 15,28).

 

4) Erschaffen  in Christus, durch Christus und für Christus

4.1 Im Johannesevangelium und bei Paulus

Wie eben angedeutet, entfaltet sich schon im Prolog des Johannesevangeliums diese dreifaltige Wahrheit über den Menschen (und über des All). „Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott … Und alles ist durch es geworden, und ohne es ist nichts geworden“ (Joh 1,1-3).

Bei Paulus erfährt dieser Gedanke eine geradezu dramatische Ausdeutung. Hier ist die Schöpferrolle Christi nicht weniger thematisiert: „So haben wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn“ (1Kor 8,6)[9].

Von unübertrefflicher Deutlichkeit ist der Kolosserbrief 1,15-18a:

15 „Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.

16 Denn in ihm ward alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, … alles ist erschaffen durch ihn und auf  ihn hin.

17 Und er ist vor allem, und alles hat in ihm Bestand.

18 Er ist das Haupt seines Leibes, der Kirche.“

4.2 Protologie und Eschatologie

Das gläubige Erkennen der Lehre Jesu und seiner österlichen Allmacht gibt uns die Gewissheit über den endgültigen Sinn der Geschichte (Eschatologie). Analog, dieselben Machterweise Gottes in Geschichte verlangen eine radikale Überlegung über den Anfang des Alls, eine Protologie. – Das Kreuzesgeheimnis und der Ostersieg haben ihre volle Bedeutung dann erreicht, wenn dieselbe Ostergnade in uns denselben Sieg realisiert haben wird. Das durch ihn und das für ihn im Schöpfungsakte ist die protologische Vorwegnahme dessen, was die Eschatologie unserem Glauben verspricht: „Danach ist das Ende, wenn er Gott dem Vater die Königsherrschaft übergibt… Denn er muss als König herrschen… Ist aber einmal alles ihm unterworfen, dann wird auch der Sohn selber sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei“ (1Kor 15,24-28). Nur der, durch den alles erschaffen wurde, kann auch der Erlöser und Vollender sein (cf. Eph 1,10-12).

4.3 Kosmische Weite im grossen Christuslob der Kirche

Wenn auch diese Heiligkeit erst in der Taufe voll und unfehlbar hergestellt werden kann, so lässt sich eben doch nicht leugnen, dass die Schrift schon jegliches Geschöpf in Christus auf Gott hin bezogen sieht. (Um es nochmals zu betonen, „auf Gott hin“ ist nicht etwas äusseres, moralisches, sondern besagt die Zielhaftigkeit auf das innerste, heilige und angebetete Wesen Gottes.) – Dazu, dass alle Christen Anteil haben an der bestimmten Berufung, die Mitmenschen in diese göttliche Bestimmung hineinzuführen, sei hier ein Vergleich gestattet. Ein jüdisches Mädchen wurde nicht wie die Knaben durch die Beschneidung dem Volke Gottes einverleibt. Aber durch das glaubende Gebet der Mutter und des Vaters hat auch jedes Mädchen genauso zum heiligen Volke Gottes gehört. Die christliche Mutter, die heute über das Kind in Ihrem Mutterschosse betet, gibt das Kind zurück in die heilige und ewige Ordnung, wo „alles vom Vater stammt und auf IHN hin leben muss, und wo alles durch den einen Herrn Jesus Christus ist“ (1Kor 8,6)[10]. Das Gebet der Eltern über das ungeborene Kind feiert schon die hl. Berufung des menschlichen Lebens und ist wie der vorweggenommene Introitus der (vielleicht noch nicht ganz nahen) Taufe, in der die Erlösung voll und unfehlbar geschenkt wird.

Das Leben ist heilig von seiner göttlichen Bestimmung her. Im Gebet und vollkommen in der Taufe und in den Sakramenten wird der Fluch der Ursünde besiegt. Und jeder Mensch kann an dieser Heiligkeit für sich und für die anderen mitbauen. Besonders die Familie, Mutter und Vater, haben hier eine heiligende und göttliche Vermittlung.

Die Kirche kann nicht die Heilige Messe, dieses Hohelied der hl. Liturgie feiern, ohne immer und jeden Tag in reiner Glaubensgewissheit alle Menschen in die anbetende Lobesformel (grosse Doxologie) mit einzubeziehen:

 

Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm

ist Dir Gott allmächtiger Vater,

in der Einheit des Heiligen Geistes,

alle Herrlichkeit und Ehre!

Amen.

 

[1] Wo nichts anderes gesagt wird, bezieht sich Scheffczyk III auf das Werk  Scheffczyk Leo, Schöpfung als Heilseröffnung, in: Leo Scheffczyk und Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, dritter Band.

[2] Wesentlich für die Mythen ist die immanente Schau des Werdens der Götter und der Menschen. Besonders illustrativ ist dafür der babylonische Mythos „Enuma elisch“ (1700 vor Christus), nach dem das Werden der Götter nur die erste Phase des Entstehens des Alls aus dem Ur-Chaos darstellt. Scheffczyk (III, 60) referiert auch den 1000 Jahre älteren Mythos der Sumerer, „Dilenum“, nach dem der Ursprung der Welt das Resultat eines Begattungskampfes zwischen Naturkräften ist, zwischen Ozean und Mutter Erde, woraus neue Götter, und in der Folge Geschöpfe entstehen.

[3] Cl. Westermann, Schöpfung, 58 unterscheidet in den Traditionen der verschiedenen Kulturen vier Typen: (cf. Scheffczyk, p. 61) a) das Hervorbringen der Welt durch ein dem menschlichen Machen ähnliches Tun; b) die Erschaffung durch Zeugung und Geburt der Götter  (und nachfolgendem Hervorbringen der übrigen Dinge);

  1. c) das Entstehen der Welt durch Kampf der Götter (des Gottes) mit entgegengestellten kosmischen Mächten.;
  2. d) die Schöpfung durch das Wort als göttlichen Befehl. Scheffczyk gibt zu, dass im jahwistischen Bericht Elemente des Machens nach Art des Menschen vorhanden sind (das Formen aus Lehm). Das mindert aber keineswegs die absolute Souveränität des Schöpfers. Auch wo in Mythen (z.B. Babylon) das Wort vorkommt, handelt es sich letztlich doch nur um „Kosmogonien“, wo die Götter selbst ein Teil, die erste Phase des Entstehens des Alls sind (Kosmogonie: das Werden des Kosmos).

[4] J. Nelis, Schöpfung, in: Haag, Bibellexikon, 1543. Ausser dem Vorkommen in Ex 34,10; Nm 16,30; Jr 31,22 ist der Ausdruck praktisch nur  in exilischen und nachexilischen Texten zu finden. Wichtig ist zu merken, dass der Ausdruck vor allem in Gen 1,1-2,4a (7x) und im DtIs (16x) gebraucht wird. Allerdings vermerkt H. Gross, Theologische Exegese von Gen 1-3, in: Myst Sal II, 429, dass im DtIs  es sich „vor allem auch um die Neuschöpfung in der Heilszukunft“ handelt.  – Wenn auch die neueste Exegese über die Identität des „Jahwisten“ wieder diskutiert, ist doch festzuhalten, dass Gen 2,4b-3,24 einer wesentlich älteren Zeit angehört als der Priesterkodex in Gen 1,1-2,4a. Da der Jahwist sichtbar mythische Erzählungselemente nicht verabscheut (Formen aus Lehm, Einblasen des Lebensodems), ist nach der schweren Erfahrung in Babylon, mit den ausdrucksmächtigen Mythen, verständlich, dass mit einer strengeren Sprache jede Gefahr der Annäherung an Mythen vermieden werden muss. Deshalb in Gen 1 die stereotypisch wiederholten Wendungen: „Gott sprach … Es werde … Und Gott machte es …“.

[5] Wo Jesus diese Ähnlichkeit mit Gott noch enger schliesst: „dass alle eins seien … wie auch wir eins sind“ (Jo 17,20-22), sagt das II. Vat. Konzil: „Dieser Vergleich macht offenbar, dass der Mensch, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann“, Gaudium et Spes, 24 (sub finem).

[6] Der Kampf ums tägliche Brot, die Last des menschlichen Beieinanderseins.

[7] Bevor es um die Erschaffung der Frau geht (Gen 2,21-22), heisst der Mensch einfach „Mensch“ (“’adam”). Erst nach dem Erscheinen der Frau wird sein Name differenziert zu “’îš”, Mann und “’iššah”, Frau.

[8] Vgl. Scheffczyk, III, S. 77.

[9] Man kann bei Paulus von einem wahrhaft „kosmischen Christus“ sprechen (Eph 1,4.10; Kol 1,15-18a; Heb 1,3). Dazu ist auch zu beachten die schöpferische Rolle des „Wortes“ (Scheffczyk III, 117).

[10] Hier möchte ich speziell verweisen auf den einmalig tiefen Artikel von Leo Kardinal Scheffczyk, Dignità del Bambino (Die Würde des Kindes) in: Päpstlicher Familienrat, Lexicon, Termini ambigui e discussi su famiglia vita e questioni etiche (2003), 177-184.

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Welt-Gebets-Kongress für das Leben, in Fatima, 4. – 8. Oktober 2006
„Maria, Dir vertrauen wir die Sache des Lebens an.” (Johannes Paul II., Evangelium vitae 105)

Vortrag Nr. 2, gehalten am 5. Oktober 2006, von S.E. Bischof Dr. Karl Josef Romer, Sekretär des Päpstlichen Rates für die Familie

 

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Literatur:

Scheffczyk Leo, Schöpfung als Heilseröffnung, in: Leo Scheffczyk und Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, dritter Band.

Gross H., Theologische Exegese von Genesis 1-3, in: Mysterium Salutis II (hrsg. von J. Feiner u. M. Löhrer), Einsiedeln 1967, 421-463 (dt)

Scheffczyk Leo, Einführung  in die Schöpfungslehre, Darmstadt 31987

Ziegenaus Anton, „Als Mann und Frau erschuf er sie“ (Gen 1,27). Zum sakramentalen Verständnis  der geschlechtlichen  Differenzierung des Menschen, in: MThZ 31 (1980) 19-32.

Schmaus Michael, Der Glaube der Kirche III 21979

 

„Komplementarität von Mann und Frau hilft uns, das göttliche Mysterium zu verstehen“

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Vortrag von Kardinal Müller

Kardinal Gerhard Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, hielt am Montag, dem 17. November 2014, einen Vortrag in Anwesenheit des Heiligen Vaters während eines Kolloquiums von „Humanum“ mit dem Titel „Komplementarität von Mann und Frau hilft uns, das göttliche Mysterium zu verstehen“.

Mann und Frau seien für sich nicht vollständig, auch wenn individualistische Tendenzen das „Ich“ in den Vordergrund stellten. Ziel des Meetings sei es, die Frage der Komplementarität in ein Verhältnis zu Gott in Beziehung zu setzen.

Kardinal Müller legte seinen Gedankengang von der jüdisch-christlichen Sicht ausgehend dar und griff auf das Buch der Sprichwörter (Spr 30, 18-19) zurück. In der Textstelle wird vom Adler in der Luft, von der Schlange auf dem Felsen, einem Schiff auf hoher See und dem Weg eines Mannes mit einer Frau berichtet.

Der Text spreche von drei Rätseln. Die drei Tiere entsprächen den drei Elementen Luft, Erde und Wasser und bezögen sich damit auf die Genesis, die ihren Höhepunkt in der Erschaffung von Mann und Frau erlebe. Der Verweis auf Mann und Frau beinhalte den Weg zur ehelichen Verbindung.

Gottes Anwesenheit zeige sich in der Art, wie er den menschlichen Körper von Mann und Frau forme. Im Körper befinde sich das Geschenk, Liebe zu empfangen und mitzuteilen. Mann und Frau benötigten einander zum Verständnis ihrer eigenen Person. Mann und Frau seien gleichwertige Wesen in der Schöpfung Gottes. Die Gegenwart Gottes in der Verbindung von Mann und Frau helfe, die Komplementarität zu verstehen. Beide hülfen sich gegenseitig auf ihrer Reise zum Schöpfer.

Sichtbar werde die Verbindung durch die Geburt eines Kindes. Die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind sei eine privilegierte Weise, den Unterschied zwischen Mann und Frau in ihrer Rolle als Vater und Mutter zu verstehen. Die Komplementarität sei in Bezug auf die Elternschaft von Mann und Frau zu sehen.

Mann und Frau seien notwendig, um dem Kind die Gegenwart des Schöpfers zu verdeutlichen. Mann und Frau verbänden und tauschten sich aus. Fehle es am geschlechtlichen Unterschied, sei es unmöglich, die eigene Identität zu klären und den Weg im Leben zu finden. Die Kirche stehe den verletzten Menschen bei.

Die Komplementarität von Mann und Frau sei ein Gemeingut der Gesellschaft, das zu schützen und zu fördern sei. Sie sei ein großer Schatz der Menschheit. Die Familie sei der erste Ort, an dem der Glaube leuchte. Aus der Ehe von Mann und Frau gehe neues Leben hervor, ein Zeugnis der Güte, Weisheit und Liebe des Schöpfers.

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Quelle


ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

AN DIE TEILNEHMER AN DEM VON DER KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE
VERANSTALTETEN INTERNATIONALEN KOLLOQUIUM
ÜBER DIE KOMPLEMENTARITÄT VON MANN UND FRAU

Synodenhalle
Montag, 17. November 2014

[Multimedia]


 

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich begrüße euch herzlich und danke Kardinal Müller für seine Worte, mit denen er unsere Begegnung eingeleitet hat.

Zunächst möchte ich einige Überlegungen zum Titel eures Kolloquiums mit euch teilen. »Komplementarität«: das ist ein kostbares Wort mit einem reichen Bedeutungsgehalt. Es kann sich auf verschiedene Situationen beziehen, in denen ein Element das andere vervollständigt oder einen ihm anhaftenden Mangel ausgleicht. Doch ist Komplementarität sehr viel mehr als das. Die Christen finden die Bedeutung dieses Wortes im ersten Brief des heiligen Paulus an die Korinther, wo der Apostel sagt, dass der Heilige Geist jedem verschiedene Gnadengaben gegeben hat, damit die Gaben eines jeden zum Wohl aller beitragen können, so wie die Glieder eines menschlichen Leibes einander zum Wohl des ganzen Organismus ergänzen (vgl. 1 Kor 12).

Über die Komplementarität nachzudenken heißt nichts anderes, als die dynamischen Harmonien zu betrachten, die im Zentrum der ganzen Schöpfung stehen. Das ist das Schlüsselwort: Harmonie. Jede Komplementarität hat der Schöpfer geschaffen, damit der Heilige Geist, der der Urheber der Harmonie ist, diese Harmonie bewirken kann. Richtigerweise habt ihr euch zu diesem internationalen Kolloquium versammelt, um das Thema der Komplementarität von Mann und Frau zu vertiefen. In der Tat bildet diese Komplementarität die Grundlage von Ehe und Familie, die die erste Schule ist, in der wir, unsere Gaben und die der anderen schätzen lernen und wo wir beginnen, die Kunst des Zusammenlebens zu erlernen.

Für die meisten von uns ist die Familie der Hauptort, an dem wir beginnen, Werte und Ideale zu »atmen« wie auch unser Potential an Tugenden und Nächstenliebe zu verwirklichen. Zugleich sind die Familien, wie wir wissen, Orte der Spannung: zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen Vernunft und Leidenschaft, zwischen unmittelbaren Wünschen und langfristigen Zielen, usw. Aber die Familien stellen auch das Umfeld bereit, in dem diese Spannungen gelöst werden: und das ist wichtig. Wenn wir in diesem Kontext von der Komplementarität von Mann und Frau sprechen, dürfen wir diesen Begriff nicht mit der simplifizierten Vorstellung verwechseln, dass alle Rollen und die Beziehungen beider Geschlechter in ein einziges und statisches Modell eingeschlossen sind. Die Komplementarität nimmt viele Formen an, weil jeder Mann und jede Frau einen ganz persönlichen Teil in die Ehe und die Erziehung der Kinder einbringt: den eigenen persönlichen Reichtum, das persönliche Charisma, und so wird die Komplementarität zu einem großen Reichtum. Und sie ist nicht nur ein Gut, sondern sie ist auch Schönheit.

In der heutigen Zeit befinden sich Ehe und Familie in einer Krise. Wir leben in einer Kultur des Provisorischen, in der immer mehr Menschen auf die Ehe als öffentliche Verpflichtung verzichten. Diese Revolution der Sitten und der Moral hat häufig das »Banner der Freiheit« geschwungen, aber in Wirklichkeit geistliche und materielle Zerstörung für unzählige Menschen gebracht, vor allem für die schwächsten. Es wird immer deutlicher, dass ein Verfall der Ehekultur verbunden ist mit einem Anstieg der Armut und einer Reihe zahlreicher weiterer gesellschaftlicher Probleme, die in unverhältnismäßiger Weise Frauen, Kinder und alte Menschen treffen. Und immer sind sie es, die in dieser Krise am meisten zu leiden haben. Die Krise der Familie hat eine Krise der Humanökologie hervorgebracht, weil das soziale Umfeld genau wie die natürliche Umwelt geschützt werden muss. Auch wenn die Menschheit jetzt die Notwendigkeit begriffen hat, das anzugehen, was eine Bedrohung für unsere natürliche Umwelt darstellt, sind wir nur langsam dabei – wir sind langsam in unserer Kultur, auch in unserer katholischen Kultur – wir sind langsam dabei zu erkennen, dass auch unser soziales Umfeld in Gefahr ist. Daher ist es unerlässlich, eine neue Humanökologie zu fördern und sie voranzutreiben.

Man muss immer wieder auf die Grundpfeiler hinweisen, die eine Nation tragen: ihre immateriellen Güter. Die Familie bleibt die Grundlage des Zusammenlebens und die Garantie gegen den sozialen Verfall. Kinder haben ein Recht, in einer Familie aufzuwachsen, mit einem Vater und einer Mutter, die in der Lage sind, ein für ihre Entwicklung und ihren affektiven Reifeprozess günstiges Umfeld zu schaffen. Aus diesem Grund habe ich im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium den »unverzichtbaren Beitrag der Ehe zur Gesellschaft« betont, einen Beitrag, der »über die Ebene der Emotivität und der zufälligen Bedürfnisse des Paares hinausgeht« (Nr. 66). Und deshalb danke ich euch für den Nachdruck, mit dem euer Kolloquium den wohltuenden und nützlichen Beitrag unterstreicht, den die Ehe für die Kinder, die Ehepartner selbst und die Gesellschaft leisten kann.

Während ihr in diesen Tagen über die Komplementarität von Mann und Frau nachdenkt, fordere ich euch auf, eine weitere Wahrheit in Bezug auf die Ehe herauszustellen: und zwar, dass die endgültige Bindung an Solidarität, Treue und fruchtbare Liebe der tiefsten Sehnsucht des menschlichen Herzens entspricht. Denken wir vor allem an die jungen Menschen, die die Zukunft sind: Es ist wichtig, dass sie sich nicht von der schädlichen Mentalität des Provisorischen einwickeln lassen und dass sie revolutionär sind mit ihrem Mut, eine starke und dauerhafte Liebe zu suchen, das heißt gegen den Strom zu schwimmen: das muss man tun. Dazu möchte ich etwas sagen: Wir dürfen nicht in die Falle tappen, mit ideologischen Begriffen beurteilt zu werden. Die Familie ist ein anthropologisches Faktum und folglich eine soziale, kulturelle etc. Gegebenheit. Wir können sie nicht mit ideologischen Begriffen beurteilen, die lediglich in einem Augenblick der Geschichte Geltung haben und dann hinfällig werden. Man kann heute nicht von einer konservativen oder progressiven Familie sprechen: Familie ist Familie! Lasst euch nicht danach oder nach anderen ideologischen Kriterien beurteilen. Die Familie besitzt in sich eine Kraft.

Möge dieses Kolloquium eine Quelle der Inspiration für all jene werden, die die Verbindung des Mannes und der Frau in der Ehe als ein für die Menschen, die Familien, die Gemeinschaften und die Gesellschaft einzigartiges, natürliches, grundlegendes und schönes Gut unterstützen und stärken wollen. In diesem Zusammenhang möchte ich bestätigen, dass ich mich, so Gott will, im September 2015 zum VIII. Weltfamilientreffen nach Philadelphia begeben werde. Ich danke euch für das Gebet, mit dem ihr meinen Dienst an der Kirche begleitet. Auch ich bete für euch und segne euch von Herzen. Vielen Dank.

Papst Franziskus: Katechese über die Erschaffung von Mann und Frau

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GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 22. April 2015

Liebe Brüder und Schwestern!

In der vorigen Katechese über die Familie habe ich über die Erschaffung des Menschen im ersten Schöpfungsbericht gesprochen, das heißt im ersten Kapitel der Genesis, wo geschrieben steht: »Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie« (1,27).

Heute möchte ich die Reflexion vervollständigen durch den zweiten Bericht, den wir im zweiten Kapitel finden. Hier lesen wir: Nach der Erschaffung von Himmel und Erde »formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen« (2,7). Das ist der Höhepunkt der Schöpfung. Aber es fehlt etwas: Dann setzt Gott den Menschen in einen wunderschönen Garten, damit er ihn bebaue und behüte (vgl. 2,15).

Der Heilige Geist, der die ganze Bibel inspiriert hat, weckt für einen Augenblick das Bild vom Mann, der allein ist – ihm fehlt etwas –, ohne die Frau. Und er lässt uns den Gedanken Gottes sehen, gleichsam die Empfindung Gottes, der Adam anblickt, der ihn allein im Garten beobachtet: Er ist frei, er ist Herr, … aber er ist allein. Und Gott sieht: Das »ist nicht gut«. Es ist gleichsam fehlende Gemeinschaft, ihm fehlt eine Gemeinschaft, fehlende Fülle. »Es ist nicht gut« – sagt Gott –, und er fügt hinzu: »Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht« (2,18).

Da führt Gott dem Mann alle Tiere zu; der  Mann gibt jedem von ihnen seinen Namen – und das ist ein weiteres Bild der Herrschaft des Menschen über die Schöpfung –, aber er findet in keinem Tier einen anderen, der ihm ähnlich ist. Der Mensch bleibt allein. Als Gott ihm schließlich die Frau zuführt, erkennt der Mann jubelnd, dass dieses, und nur dieses Geschöpf Teil von ihm ist: »Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch« (2,23). Endlich ist ein Spiegelbild da, eine wechselseitige Entsprechung. Wenn eine Person – das ist ein Beispiel, um dies richtig zu verstehen – der anderen die Hand reichen will, muss sie sie vor sich haben: Wenn jemand die Hand gibt und niemand da ist, dann bleibt die Hand dort …; ihm fehlt die wechselseitige Entsprechung. So war der Mann: Ihm fehlte etwas, um zu seiner Fülle zu gelangen, ihm fehlte die wechselseitige Entsprechung. Die Frau ist keine »Nachbildung« des Mannes; sie kommt direkt aus dem Schöpfungshandeln Gottes. Das Bild von der »Rippe« ist durchaus kein Ausdruck von Minderwertigkeit oder Unterordnung, sondern spricht im Gegenteil davon, dass Mann und Frau aus derselben Substanz bestehen, einander ergänzen und auch wechselseitig entsprechen. Und die Tatsache, dass – ebenfalls im Gleichnis – Gott die Frau formt, während der Mann schläft, hebt hervor, dass sie keineswegs ein Geschöpf des Mannes, sondern Gottes ist. Sie legt auch noch etwas anderes nahe: Um die Frau zu finden – und wir können sagen: um die Liebe in der Frau zu finden –, muss der Mann zunächst von ihr träumen, und dann findet er sie.

Das Vertrauen Gottes in den Mann und in die Frau, denen er die Erde anvertraut, ist großherzig, unmittelbar und vollkommen. Er vertraut ihnen. Dann aber flößt der Böse ihrem Verstand den Verdacht, den Unglauben, das Misstrauen ein. Und am Ende kommt es zum Ungehorsam gegenüber dem Gebot, das sie beschützt hat. Sie verfallen jenem Rausch der Allmacht, der alles infiziert und die Eintracht zerstört. Auch wir spüren ihn oft in uns, alle.

Die Sünde erzeugt Misstrauen und Spaltung zwischen dem Mann und der Frau. Ihr Verhältnis wird getrübt durch zahlreiche Formen von Miss brauch und Unterwerfung, von trügerischer Verführung und demütigender Anmaßung, bis hin zu den dramatischsten und gewalttätigsten Formen. Die Geschichte zeigt die Spuren davon. Denken wir zum Beispiel an die negativen Auswüchse der patriarchalen Kulturen. Denken wir an die zahlreichen Formen des Chauvinismus, wo die Frau als zweitrangig betrachtet wurde. Denken wir an die Instrumentalisierung und Kommerzialisierung des weiblichen Körpers in der gegenwärtigen Medienkultur. Aber denken wir auch an die Seuche des Misstrauens, der Skepsis und sogar der Feindseligkeit, die sich in letzter Zeit in unserer Kultur verbreitet – insbesondere von einem verständlichen Argwohn der Frauen her –, bezüglich eines Bundes zwischen Mann und Frau, der die Vertrautheit der Gemeinschaft vertiefen und gleichzeitig die Würde des Unterschieds wahren kann.

Wenn wir nicht einen großen Sprung nach vorn machen in der Liebe zu diesem Bund, der in der Lage ist, den neuen Generationen Schutz vor Misstrauen und Gleichgültigkeit zu bieten, dann werden die Kinder vom Mutterleib an immer mehr von diesem Bund entwurzelt zur Welt kommen. Die gesellschaftliche Abwertung des stabilen und fruchtbaren Bundes von Mann und Frau ist sicher ein Verlust für alle. Wir müssen Ehe und Familie wieder zu Ehren bringen! Die Bibel sagt etwas Schönes: Der Mann findet die Frau, sie begegnen einander, und der Mann muss etwas verlassen, um sie in ganzer Fülle zu finden. Daher wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen, um zu ihr zu gehen. Das ist schön! Das bedeutet, einen neuen Weg zu beginnen. Der Mann ist ganz für die Frau da, und die Frau ist ganz für den Mann da.

Die Wahrung dieses Bundes von Mann und Frau, auch wenn beide sündig und verletzt, verwirrt und gedemütigt, misstrauisch und unsicher sind, ist daher für uns Gläubige unter den heutigen Umständen eine anspruchsvolle und begeisternde Berufung. Der Bericht von der Schöpfung und der Sünde schenkt uns in seinem letzten Teil ebenfalls ein wunderschönes Bild dafür: »Gott, der Herr, machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit« (Gen 3,21). Es ist ein Bild der Zärtlichkeit gegenüber jenem sündigen Paar, das uns staunen lässt: die Zärtlichkeit Gottes gegenüber dem Mann und gegenüber der Frau! Es ist ein Bild der väterlichen Fürsorge für das menschliche Paar. Gott selbst kümmert sich um sein Meisterwerk und beschützt es.

* * *

Mit Freude heiße ich die Gläubigen deutscher Sprache willkommen. Werden wir immer mehr Familien des Gebets und vertrauen wir unsere Familien der himmlischen Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria an, der Mutter der schönen Liebe und der Königin der Familien. Gott segne euch.

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Quelle

Papst Leo XIII.: QUOD APOSTOLICI MUNERIS – 28. Dezember 1878

Wie es Unser Apostolisches Amt 1 von Uns forderte, haben Wir alsbald zu Beginn Unseres Pontifikates nicht unterlassen, durch ein Rundschreiben 2, das Wir an Euch, Ehrwürdige Brüder, richteten, hinzuweisen auf die tod­bringende Seuche, welche die innersten Glieder der menschlichen Gesellschaft durchdringt und ihr die äußerste Gefahr bereitet ; zugleich haben Wir auch auf die höchst wirksamen Heilmittel hingewiesen, durch welche sie wieder Rettung erlangen und den gewaltigen Gefahren, die ihr drohen, entfliehen kann. Aber die Übel,  welche Wir damals beklagten, sind seit kurzem derart gewachsen, daß Wir wieder an Euch Unsere Worte zu richten Uns genötigt sehen, da der Prophet Uns gewissermaßen in die Ohren ruft : Rufe, höre nicht auf, wie eine Posaune erhebe deine Stimme3. Ihr seht gewiß leicht ein, Ehrwürdige Brüder, daß Wir von der Partei jener Menschen reden, welche mit verschiedenen und fast barbarischen Namen Sozialisten, Kommunisten oder Nihilisten genannt werden und über die ganze Erde verbreitet sind und, durch ein verwerfliches Bündnis in engster Gemeinschaft mit­einander stehend, nicht länger mehr durch das Dunkel verborgener Zusammenkünfte sich zu schützen suchen, sondern öffentlich und keck hervortreten, um ihren schon längst gehegten Plan, die Grundlagen jedweder bürger­lichen Gesellschaft umzustoßen, zur Ausführung zu bringen. Es sind jene nämlich, welche, wie das Wort Gottes sagt, das Fleisch beflecken, die Obrigkeit verachten und die Würde lästern 4. Nichts von all dem, was nach göttlichem und menschlichem Rechte zur Wohlfahrt und zum Schmucke des Lebens weise geordnet ist, lassen sie unberührt, noch unverletzt. Den höheren Gewalten, denen nach der Lehre des Apostels jede Seele untertan sein soll, und die von Gott das Recht zu gebieten zu Lehen empfangen, verweigern sie den Gehorsam und verkünden eine vollständige Gleichheit aller Menschen­rechte und Pflichten. — Die auf der Natur beruhende Vereinigung zwischen Mann und Weib, selbst barbarischen Völkern heilig, entwürdigen sie, und das Band derselben, auf dem die häusliche Gesellschaft vorzugsweise ruht, lockern sie oder geben es sogar der Wollust preis. ­Hingerissen endlich von der Gier nach den gegenwärtigen Gütern, welche die Wurzel aller Übel ist, und sich ihr ergebend, sind einige vom Glauben abgewichen 5 – bekämpfen sie das durch das Naturgesetz geheiligte Eigentumsrecht, und indem sie den Bedürfnissen aller Menschen zu dienen und ihren Wünschen zu entsprechen scheinen, suchen sie durch unsäglichen Frevel zu rauben und als Gemeingut zu erklären, was immer auf Grund rechtmäßiger Erbschaft, oder durch geistige und körperliche Arbeit oder durch Sparsamkeit erworben wurde. Und diese ungeheuerlichen Irrtümer verkünden sie in ihren Versammlungen, ver­breiten sie durch Schriften, werfen sie durch eine Flut von Tagesblättern unter die Menge. Hiedurch erregten sie einen solchen Haß unter dem aufrührerischen Volke gegen die ehrwürdige Majestät und Gewalt der Herrscher, daß verbrecherische Verräter jede Zurückhaltung ab­warfen und in kurzer Zeit mehr als einmal in gottlosem Wagnis gegen das Staatsoberhaupt selbst die Waffen kehrten.

Diese Verwegenheit gewissenloser Menschen aber, welche von Tag zu Tag die bürgerliche Gesellschaft mit immer größerem Verderben bedroht und alle Gemüter mit Furcht und Angst erfüllt, hat ihren Grund und Ursprung in jenen giftträchtigen Lehren, welche vordem einem bösen Samen gleich unter die Völker ausgestreut wurden und nun zu ihrer Zeit solch todbringende Früchte getragen haben. Denn Ihr wißt wohl, Ehrwürdige Brüder, daß der erbitterte Kampf, der zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts von den Neuerern gegen die katholische Kirche begonnen wurde, und der bis jetzt immer heftiger entbrannte, keinen andern Zweck hat, als daß nach Ablehnung jeder Offenbarung und Zerstörung jeder über­natürlichen Ordnung die Erfindungen der Vernunft allein oder vielmehr deren Verirrungen zur Herrschaft gelangen. Dieser Irrtum, der mit Unrecht seinen Namen von der Vernunft herleitet, hat, wie von selbst, nicht bloß die Gemüter sehr vieler Menschen, sondern auch die bürger­liche Gesellschaft weithin durchdrungen, da er dem von Natur aus den Menschen angeborenen Trieb nach Aus­zeichnung schmeichelt und denselben reizt, und den Begierden jeder Art die Zügel schießen läßt. Daher hat man einer neuen und selbst für die Heiden unerhörten Gottlosigkeit sich schuldig gemacht, indem man Staats­wesen gründete ohne jede Rücksicht auf Gott und die von ihm gesetzte Ordnung ; die öffentliche Autorität, so lehrt man, habe weder ihren Ursprung, noch ihre Majestät, noch ihre Befehlsgewalt von Gott, sondern vielmehr von der Volksmasse, welche, jeder göttlichen Satzung ledig, nur jenen Gesetzen zu unterstehen sich herbeiließ, die sie selbst nach Gutdünken gegeben hatte. — Nachdem man die übernatürlichen Glaubenswahr­heiten als vernunftwidrig bekämpft und verworfen, wird der Urheber und Erlöser des menschlichen Geschlechtes selbst nach und nach in steigendem Maße aus den Hoch- und Mittelschulen und aus allen öffentlichen Be­reichen des menschlichen Lebens verbannt. — Da man endlich die Belohnungen und Strafen des ewigen Lebens vergessen hat, so beschränkt sich das glühende Ver­langen nach Glück auf den engen Kreis dieses irdischen Lebens. — Indem nun solche Lehre überallhin verbreitet wurde, und allenthalben diese wilde Zügellosigkeit im Denken und Handeln ins Leben trat, ist es nicht zu verwundern, daß Leute aus dem niedersten Stande, ihrer armen Wohnung oder Werkstätte überdrüssig, über die Paläste und Güter der Reicheren herzufallen verlangen ; ebenso ist es nicht zu wundern, daß im öffentlichen und häuslichen Leben keine Sicherheit mehr besteht, und das menschliche Geschlecht bereits am Rande des Ver­derben angelangt ist.

Die obersten Hirten der Kirche aber, denen die Pflicht obliegt, die Herde des Herrn vor den Nachstellungen der Feinde zu schützen, waren beizeiten bemüht, der Gefahr vorzubeugen und für das Heil der Gläubigen Sorge zu tragen. Sobald nämlich die geheimen Gesell­schaften sich zu bilden begannen, in deren Schoße schon die Keime der erwähnten Irrtümer gehegt wurden, haben die Römischen Päpste Klemens XII. und Benedikt XIV. es nicht unterlassen, die gottlosen Pläne der Geheimbünde aufzudecken und die Gläubigen der ganzen Welt auf das Verderben aufmerksam zu machen, das im Verbor­genen vorbereitet wurde. Nachdem aber von jenen, welche des Namens von Philosophen sich rühmten, eine zügellose Freiheit dem Menschen zugesprochen worden war, und man ein sogenanntes neues Recht dem natür­lichen und göttlichen Gesetze gegenüber auszudenken und festzusetzen begonnen hatte, hat Papst Pius VI. höchstseligen Andenkens alsbald den schlechten Geist und das Irrige dieser Lehren in öffentlichen Kundgebungen dargetan und zugleich mit Apostolischer Weitsicht das Unheil vorausgesagt, welches über das unselig getäuschte Volk hereinbrechen würde. — Trotzdem wurde in keiner wirksamen Weise Vorsorge getroffen, um eine täglich zu­nehmende Verbreitung dieser verkehrten Lehren unter den Völkern und ihr Eindringen in die öffentliche Ordnung der Staaten zu verhindern. Daher haben die Päpste Pius VII. und Leo XII. die Geheimbünde mit dem Banne belegt, und erneut die Gesellschaft vor der Gefahr gewarnt, die von ihnen her drohte. Allen endlich ist es bekannt, mit welch‘ gewichtigen Worten, welcher Seelenstärke und Standhaftigkeit Unser ruhmreicher Vorgänger Pius IX. höchstseligen Andenkens in den Ansprachen, die er hielt, oder durch Rundschreiben, welche er an die Bischöfe der ganzen Welt richtete, sowohl gegen das verderbliche Beginnen dieser Bünde, als namentlich auch gegen die bereits aus denselben hervorgehende Pest des Sozialismus ins Feld gezogen ist.

Zu beklagen ist es aber, daß jene, denen die Sorge für das Gemeinwohl obliegt, von dem Trug gottloser Menschen umstrickt und durch ihre Drohungen allzusehr erschreckt, gegen die Kirche stets eine mißtrauische oder sogar feindselige Haltung eingenommen haben. Sie sahen leider nicht ein, daß die Versuche der Geheimbünde scheitern müßten, wenn die Lehre der katholischen Kirche und die Oberhoheit der Römischen Päpste sowohl bei den Staatslenkern als bei den Völkern immer die gebührende Achtung gefunden hätte. Denn die Kirche des lebendigen Gottes, welche eine Säule und Grundfeste der Wahrheit6 ist, verkündet jene Lehren und Vorschriften, durch welche ganz besonders das Wohl und die Ruhe der Gesellschaft gewahrt und die Giftpflanze des Sozialismus mit der Wurzel ausgerottet wird.

Wenngleich aber die Sozialisten das Evangelium mißbrauchen und, um die Unbesonnenen leichter zu täuschen, dasselbe in ihrem Sinne zu deuten pflegen, so besteht doch zwischen ihren schlechten Grundsätzen und der reinen Lehre Christi ein Unterschied, wie er nicht größer gedacht werden kann. Denn was hat die Gerechtigkeit mit der Ungerechtigkeit gemein? Oder wie kann sich Licht zu Finsternis gesellen ? 7 Jene hören nicht auf, wie Wir bereits erwähnten, immerfort zu erklären, alle Menschen seien von Natur aus untereinander gleich, und behaupten daher, weder sei man der Majestät Hoch­achtung und Ehrfurcht, noch den Gesetzen Gehorsam schuldig, sie seien denn von ihnen selbst nach ihrem Gutdünken erlassen. — Dagegen besteht nach der Lehre des Evangeliums die Gleichheit der Menschen darin, daß alle dieselbe Natur empfangen haben, zu derselben hocherhabenen Würde der Kinder Gottes berufen sind, daß ein und dasselbe Ziel allen bestimmt ist, und alle nach demselben Gesetze gerichtet werden, um Lohn oder Strafe nach Verdienst zu empfangen. Doch auch die Ungleichheit im Recht und in der Gewalt rührt von dem Urheber der Natur selbst her, von welchem alle Vater­schaft im Himmel und auf Erden stammt 8. Die Herzen der Herren und Untertanen aber sind nach katholischer Lehre und Vorschrift durch wechselseitige Rechte und Pflichten so untereinander verbunden, daß die Herrschsucht gemäßigt und die Pflicht des Gehorsams erleichtert, befestigt und in höchster Weise geadelt wird.

In der Tat prägt die Kirche dem untergebenen Volke beständig das Apostolische Wort ein : Es gibt keine Gewalt, außer von Gott, und die, welche besteht, ist von Gott angeordnet. Wer demnach sich der Gewalt widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes, und die sich widersetzen, ziehen sich selbst Verdammnis zu9. Und wiederum gebietet er, untertan zu sein, nicht nur um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen ; allen zu geben, was ihnen gebührt, Steuer wem Steuer, Zoll wem Zoll, Ehrfurcht wem Ehrfurcht, Ehre wem Ehre gebührt10. Hat doch der, der alles schuf und alles lenkt, in seiner weisen Vorsehung es so geordnet, daß das Unterste durch das Mittlere, das Mittlere durch das Höchste zu seinen entsprechenden Zielen gelange. Wie er darum selbst im himmlischen Reiche unter den Chören der Engel einen Unterschied wollte, und die einen den andern untergeordnet hat, wie er auch in der Kirche mannigfaltige Weihestufen und einen Unterschied der Ämter eingesetzt hat, daß nicht alle Apostel seien, nicht alle Lehrer, nicht alle Hirten 11, so hat er auch in der bürgerlichen Gesellschaft mehrere Stände begründet, in Würde, Rechten, Gewalt verschieden, damit so der Staat wie die Kirche ein Leib sei, der viele Glieder in sich schließt, von denen eines edler ist als das andere, die aber alle einander notwendig und für das gemeinsame Wohl besorgt sind.

Damit jedoch die Führer der Völker die ihnen zu­stehende Gewalt zur Auferbauung und nicht zur Zer­störung gebrauchen, mahnt die katholische Kirche in höchst geeigneter Weise, daß auch den Fürsten die Strenge des höchsten Richters bevorstehe, und ruft im Namen Gottes mit den Worten der göttlichen Weisheit allen zu : Neiget eure Ohren, die ihr der Völker Menge beherrschet und euch gefallet in den Scharen der Nationen ; denn von dem Herrn ist euch die Herrschaft gegeben und die Macht von dem Allerhöchsten, der eure Werke untersucht und eure Gedanken erforscht . . . Denn das strengste Gericht ergeht über jene, die anderen vorstehen . . . Denn Gott wird niemands Person aus­nehmen, noch irgend eine Größe scheuen ; weil er den Kleinen wie den Großen gemacht hat, und auf gleiche Weise sorget für alle. Den Starken aber steht eine höhere Strafe bevor 12. Wenn es jedoch zuweilen vorkommt, daß die öffentliche Gewalt von den Herrschern ohne Überlegung und über das Maß geübt wird, so duldet die Lehre der katholischen Kirche nicht, daß man auf eigene Faust gegen sie sich erhebe, damit Ruhe und Ordnung nicht noch mehr gestört wer­den, und die Gesellschaft dadurch noch in höherem Maße Schaden leide. Und wenn es dahin gekommen ist, daß keine andere Hoffnung auf Rettung erscheint, so lehrt sie, durch das Verdienst christlicher Geduld und inständiges Gebet zu Gott die Abhilfe zu beschleunigen. — Wenn jedoch die Satzungen der Gesetzgeber und Fürsten etwas bestimmen oder befehlen, was dem göttlichen oder natür­lichen Gesetze widerspricht, so gemahnen Uns Pflicht und Würde des christlichen Namens, sowie der Aposto­lische Ausspruch, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen 13.

Die segensvolle Macht der Kirche nun, welche ihren Einfluß auf die zweckmäßige Ordnung der Regierung und Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft ausübt, macht sich notwendig auch in der häuslichen Gesellschaft geltend und fühlbar, die eines jeden Staates und Reiches Ursprung ist. Denn Ihr wißt, Ehrwürdige Brüder, daß das wahre Wesen dieser Gesellschaft nach den unverletzlichen Gesetzen des Naturrechtes vor allem auf dem unlösbaren Bunde von Mann und Weib ruht, und in den wechsel­seitigen Pflichten und Rechten zwischen Eltern und Kindern, Herren und Dienern seine Vollendung findet. Ihr wißt gleichfalls, daß diese Gesellschaft durch die Lehren des Sozialismus nahezu aufgelöst wird ; denn nach Verlust jener Festigkeit, welche der religiöse Ehebund ihr verleiht, müssen folgerichtig auch wie die Gewalt des Vaters über seine Kinder, so die Pflichten der Kinder gegen die Eltern im höchsten Maße gelockert werden. Dagegen ist zu sagen, daß ehrwürdig in jeder Hinsicht die Ehe ist 14, welche schon mit Beginn der Welt Gott selbst zur Fortpflanzung und Erhaltung des menschlichen Geschlechtes eingesetzt und als unauflöslich begründet hat, die nach der Lehre der Kirche fester und heiliger geworden ist durch Christus, der ihr die Würde eines Sakramentes verlieh und wollte, daß sie ein Abbild seiner Verbindung mit der Kirche sei. Daher ist nach der Mahnung des Apostels 15, wie Christus Haupt der Kirche, so der Mann Haupt des Weibes ; und wie die Kirche Christus untergeben ist, der sie mit keuschester und immerwährender Liebe liebt, so ziemt es sich, daß auch die Frauen ihren Männern unterworfen seien, die sie hin­wieder mit treuer und standhafter Hingebung zu lieben haben. Ebenso hat die Kirche die Gewalt des Vaters und Herrn so geordnet, daß sie stark genug ist, um Söhne und Diener im Gehorsam zu halten, ohne jedoch das Maß zu überschreiten. Denn nach katholischer Lehre geht auf Eltern und Herren die Hoheit des himmlischen Vaters und Herrn über, die daher von ihm nicht bloß ihren Ursprung und ihre Kraft hat, sondern ebenso auch Wesen und Eigenschaften empfängt. Daher mahnt der Apostel die Kinder, ihren Eltern gehorchen im Herrn, Vater und Mutter zu ehren, welches das erste Gebot ist im Zeichen der Verheißung 16Den Eltern aber gebietet er : Und ihr, Väter, erbittert eure Kinder nicht, sondern erziehet sie in der Lehre und Zucht des Herrn 17. Wiederum aber wird den Dienern und Herren durch denselben Apostel das göttliche Gebot verkündet, und zwar, daß jene gehorchen den leiblichen Herren wie Christus . . ., in der Ein­fachheit ihres Herzens dienend gleichsam dem Herrn. Diese aber sollen ablassen von Drohungen, da sie wissen, daß ein Herr aller im Himmel und bei ihm kein Ansehen der Personen ist 18. — Würde all dies sorgfältig von all denen, die es angeht, nach dem Gebote des göttlichen Willens beobachtet, so würde wahrhaftig jede Familie gewissermaßen ein Abbild der himmlischen Hausgemeinschaft darstellen, und es wür­den die herrlichen Segnungen, die hieraus erwachsen, nicht auf die Mauern des Hauses sich beschränken, sondern auf die Staaten selbst in reichlichem Maße übergehen. Es hat aber die katholische Weisheit, gestützt auf die Vorschriften des natürlichen und göttlichen Gesetzes, für den öffentlichen wie häuslichen Frieden in wohlbedachter Weise Vorsorge getroffen auch durch das, was sie fest­hält und lehrt in Hinsicht auf das Eigentumsrecht und die Verteilung der Güter, welche zum Leben notwendig und nützlich sind. Denn während die Sozialisten das Eigentumsrecht als eine menschliche der natürlichen Gleichheit der Menschen widersprechende Erfindung ausgeben, und in ihrem eifrigen Streben nach Güterge­meinschaft meinen, es sei keineswegs die Armut gleich­mütig zu tragen, und man könne die Besitztümer und Rechte der Reicheren ungestraft verletzen, hält die Kirche eine Ungleichheit unter den Menschen, die von Natur aus hinsichtlich der Kräfte des Körpers und Geistes ver­schieden sind, auch in Bezug auf den Besitz von Gütern für weit ratsamer und nützlicher. Sie gebietet auch, daß das Recht des Eigentums und Besitzes, das in der Natur selbst gründet, einem jeden gegenüber unantastbar und unverletzlich sei. Denn sie weiß, daß Diebstahl und Raub von Gott, dem Urheber und Schirmer alles Rechtes, derart verboten wurde, daß es nicht einmal erlaubt ist, Fremdes zu begehren, und Diebe und Räuber ebenso wie Ehebrecher und Götzendiener von dem Himmel-reiche ausgeschlossen werden. — Doch vernachlässigt sie nicht die Sorge für die Armen, noch vergißt sie, wie eine liebende Mutter sich ihrer in ihren Bedürfnissen anzunehmen. Vielmehr umfaßt sie dieselben in mütter­licher Liebe. Und wohl wissend, daß sie die Person Christi selbst darstellen, der als ihm selbst erwiesene Wohltat ansieht, was auch dem geringsten Armen von irgend jemand gegeben wird, hält sie dieselben hoch in Ehren. Wo immer sie kann, eilt sie ihnen zu Hilfe. Sie sorgt dafür, daß überall auf Erden Häuser und Her­bergen errichtet werden, wo sie Aufnahme, Nahrung und Pflege finden. Und sie nimmt dieselben unter ihren Schutz. Sie schärft den Reichen die schwere Pflicht ein, den Armen von ihrem Überflusse mitzuteilen, und droht ihnen mit dem göttlichen Gericht, das sie zu ewigen Strafen verdammt, wenn sie den Dürftigen in ihren Nöten nicht beispringen. Endlich erhebt und tröstet sie ganz besonders die Gemüter der Armen, indem sie ihnen teils das Beispiel Christi vorhält, der, da er reich war, um unsertwillen arm geworden ist 19teils dessen Worte in Erin­nerung bringt, durch welche er die Armen selig pries und in ihnen die Hoffnung auf die Belohnungen der ewigen Seligkeit weckte. Wer sollte aber nicht einsehen, daß auf diese Weise der uralte Gegensatz zwischen Arm und Reich am besten ausgeglichen wird ? Die Natur der Sache selbst und die Ereignisse sagen Uns mit aller Deutlichkeit : verwirft man diese Lösung oder vernach­lässigt man sie, dann muß eins von beiden folgenden eintreten. Entweder gleitet wohl der größte Teil des Menschengeschlechtes in den höchst unwürdigen Zustand der Sklaverei zurück, der lange bei den Heiden bestand, oder die menschliche Gesellschaft wird unablässig von Wirren gepeinigt, von Raub und Gewalttat bedroht, wie dies zu unserem Bedauern auch in neuester Zeit geschehen ist.

Angesichts dieser Lage, Ehrwürdige Brüder, haben Wir, da Uns die Regierung der ganzen Kirche obliegt, schon bei Beginn Unseres Pontifikates Fürsten und Völker, die von einem wütenden Sturme umhergeworfen werden, auf den schützenden Hafen hingewiesen, in dem sie sich bergen können ; und durch die äußerste Gefahr, die bevorsteht, bewogen, erheben Wir jetzt wiederum vor ihnen Unsere Apostolische Stimme, und bei ihrem eigenen und der Gesellschaft Heile bitten Wir sie aber­mals und beschwören sie, daß sie die Kirche, die so herrliche Verdienste um die Wohlfahrt der Reiche hat, als Lehrerin anerkennen und anhören mögen. Sie mögen die volle Überzeugung gewinnen, daß das Wohl des Staates und der Religion so verbunden sind, daß, was dieser entzogen wird, in demselben Maße der Unter­tanentreue und Majestät der Obrigkeit abgeht. Und wenn sie einsehen, daß zur Abwehr der Pest des Sozia­lismus die Kirche Gottes eine so große Macht besitzt, wie sie weder menschlichen Gesetzen noch den Verboten der Behörden noch den Massen der Soldaten zukommt, so mögen sie endlich der Kirche jene Stellung und Frei­heit wiedergeben, in der sie ihren so höchst heilsamen Einfluß zum Besten der ganzen Gesellschaft geltend machen kann.

Ihr aber, Ehrwürdige Brüder, die Ihr Quelle und Wesen der bevorstehenden Übel erkennt, trachtet mit allem Eifer und Aufgebot der Seele dahin, daß die katho­lische Lehre allen Gemütern eingepflanzt werde und da tiefe Wurzeln schlage. Bestrebet Euch, daß schon von zarter Jugend an alle sich gewöhnen, Gott in kind­licher Liebe anzuhangen und ihn zu fürchten, der Majestät der Machthaber und der Gesetze Gehorsam zu leisten, die Begierden zu beherrschen und die Ordnung, welche Gott sowohl in der bürgerlichen als in der häuslichen Gesell­schaft begründet hat, sorgfältig zu wahren. Außerdem traget Sorge dafür, daß die Söhne der katholischen Kirche weder diesem abzulehnenden Bunde beitreten, noch in irgend einer Weise ihn zu begünstigen wagen ; vielmehr sollen sie durch musterhaftes Verhalten und eine in allem lobenswerte Lebensweise zeigen, wie gut und glücklich es stünde um die menschliche Gesellschaft, wenn alle ihre Glieder durch Rechtschaffenheit und Tugend sich auszeichneten. — Da endlich die Anhänger des Sozialismus besonders unter jener Menschenklasse sich finden, welche ein Handwerk treiben oder um Lohn arbeiten, und die etwa, der Mühen überdrüssig, durch Hoffnung auf Reich­tum und Verheißung von Gütern sehr leicht angelockt werden, so scheint es zweckmäßig, die Handwerker- und Arbeiter-Vereine zu fördern, die unter dem Schutze der Religion alle ihre Mitglieder zur Zufriedenheit mit ihrem Lose und Geduld in der Arbeit anhalten, und zu einem ruhigen und friedsamen Leben anleiten.

Unsern und Euren Bemühungen aber, Ehrwürdige Brüder, möge jener seine Gnade verleihen, dem Wir den Beginn wie die Vollendung alles Guten zuschreiben müssen. Zum Vertrauen auf seine allgegenwärtige Hilfe ermahnt Uns übrigens der Festgedanke dieser Tage selbst, an denen wir das Jahresgedächtnis der Geburt des Herrn feiern. Denn das neue Heil, welches der neugeborene Erlöser der bereits altersschwachen und am Rande des Verderbens angekommenen Welt gebracht hat, läßt er auch uns erhoffen, und auch uns hat er jenen Frieden verheißen, den er damals den Menschen durch die Engel versprochen hat. Denn noch ist die Hand des Herrn nicht verkürzt, daß er nicht helfen könnte, nicht taub sein Ohr, daß er nicht hören könnte 20. Indem Wir daher in diesen glückseligen Tagen Euch, ehrwürdige Brüder, und den Gläubigen Euerer Kirchen allen Segen und alle Freude wünschen, bitten Wir inständig den Geber alles Guten, daß wiederum erscheine die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes 21, der uns aus der Gewalt unseres erbittertsten Feindes befreit und zur erhabenen Würde seiner Söhne erhoben hat. Und damit Unsere Wünsche eher und vollkommener erhört werden, wendet Euch mit Uns in eifrigem Gebete zu Gott, Ehrwürdige Brüder, und flehet die allerseligste und unbefleckt empfangene Jungfrau Maria, sowie ihren Bräutigam, den heiligen Josef, und die seligen Apostel Petrus und Paulus, auf deren Fürbitte Wir ganz besonders vertrauen, um ihren Beistand an. Unterdessen erteilen Wir als Unterpfand der göttlichen Gnaden in herzlichster Liebe Euch, Ehrwürdige Brüder, und Eurem gesamten Klerus und allen gläubigen Völkern den Apostolischen Segen im Herrn.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 28. Dezember 1878, im ersten Jahre Unseres Pontifikates.

PAPST LEO XIII.

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1 Leo XIII., Rundschreiben an alle Ehrwürdigen Brüder, Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe und Bischöfe der katholischen Welt, welche in Gnade und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle stehen. ASS XI (1878) 369-376.

2 Leo XIII., Rundschreiben Inscrutabili Dei consilio, ASS x (1890) 585-592.

3 Is. LVIII 1.

4 JUD., Epist. 8.

5 I Tim. VI 10.

6 I Tim. III 15.

7 II Kor. VI 14.

8 Eph. III 15.

9 Röm. XIII 1-2.

10. Röm. XIII 5, 7.

11. I Kor. XII 29.

12. Weisheit VI 2-4, 6-9.

13. Apg. v. 29.

14. Hebr. XIII 4.

15. Eph. v. 23.

16. Epf.  VI 1-2.

17. Eph. VI 4.

18. Eph. VI 5-7.

19. II Kor. VIII 9.

20. Is. LIX 1.

21. Tit. III 4.

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(Quelle: MENSCH UND GEMEINSCHAFT IN CHRISTLICHER SCHAU – Dokumente – Herausgegeben von Dr. EMIL MARTY unter Mitwirkung von Josef Schafer und Anton Rohrbasser – Verlag der Paulusdruckerei Freiburg in der Schweiz, 1945)

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Siehe auch:

 

Die Frau ist in der gottgewollten Ordnung die Gehilfin des Mannes

Von unserem Leser und Kommentator „Stephan“

“Es gibt immer eine Unordnung, wenn der Mensch allgemein, oder der Mann oder die Frau ihrer von Gott zugedachten Aufgabe nicht entsprechen. Ändern lässt sich das nur, in dem Jeder bei sich selbst anfängt.”

Man muß hier klar zwischen dem männlichen und dem weiblichen Prinzip differenzieren und dabei die göttliche Offenbarung und die irdische Realität betrachten. Wie soll denn jemand bei sich selbst anfangen, wenn man gar nicht weiß, um was es eigentlich geht? Wie sollten denn die Gruppierungen der katholischen Tradition etwas am Irrweg ändern, wenn die Ursachen gar nicht genau beleuchtet werden (insbesondere weil man(n) angst hat, die Frauen zu brüskieren – so wie Adam auch nicht Eva widersprechen wollte…)?

Betrachten wir zunächst die göttliche Offenbarung:

Die Frau wurde also aus dem Mann und für den Mann geschaffen, und nicht umgekehrt. Die Frau ist in der gottgewollten Ordnung also die Gehilfin des Mannes. Der Mann ist also nicht Geld- und Annehmlichkeitenbeschaffer der Frau. Die gottgewollte Ordnung ist also das Patriarchat. Und nochmals betone ich: Bei dieser Thematik geht es nicht um “Mann besser – Frau schlechter; es gibt auch gute Frauen und schwache Männer” usw. Es geht um die Frage der herrschenden Prinzipien, um das herrschende Geschlecht. Und was Gott will, ist eindeutig und offenkundig: das Patriarchat bzw. die Herrschaft des Mannes.

Die Schlange hält sich an Eva und verführt sie mit wohlklingenden Worten. Es ist also offensichtlich, daß Eva – also die Frau allgemein – anfälliger für verführerische, wohlklingende aber verderbliche, unsachliche und verdrehte Worte und Redeweisen ist. Die Sünde Adams besteht darin, eher auf Eva zu hören, als auf Gott. Darin besteht Adams Schwäche und Fall. Adam erfüllt also die gottgewollte Ordnung in jener Weise nicht, als daß er Evas Einwendungen und “Verbesserungsvorschlägen” nachgibt, obwohl er es hätte besser wissen müssen. Adams Fall besteht darin, daß er sich von Eva hat korrumpieren lassen, wobei Evas Fall darin besteht, sich von der Schlange verführen zu lassen.

Betrachten wir nun die gesellschaftliche Realität:

Es wurde bereits festgestellt, daß die gottgewollte Ordnung erst nach der Schwächung des Mannes bzw. der Aufhebung des Patriarchats auf den Kopf gestellt wurde. Also solange das Patriarchat herrschte, war auch noch die gottgewollte Ordnung mehr oder weniger in Takt, zumindest herrschte nicht die heutige totale Verdorbenheit der “aufgeklärten” und “emanzipierten” Gesellschaften. Wenn es also starke Männer gibt, die ihrem göttlichen Auftrag nachkommen, ist auch die Gesellschaft im großen und ganzen nach der gottgewollten Ordnung ausgerichtet.

Nun ist also zu seiner Schande der Mann schwach, okay. Aber warum ist die heutige matriarchale Gesellschaft zugleich so verdorben? Allein weil der Mann schwach ist? Warum ist nach der “Befreiung” bzw. “Emanzipierung” der Frau die gottgewollte Ordnung auf den Kopf gestellt? Warum verschwinden jene Gesellschaften, in denen nicht mehr das Patriarchat, sondern nun das Matriarchat herrscht? Warum treiben sie sich ab? Warum ist mit den freien “reinen Mädchenseelen” nicht alles besser? Wenn die “Befeiung” der Frau etwas gutes ist, dann müßte doch auch heute alles besser sein…

“Dann werden auch die Männer, die das im besten Sinn des Wortes sind, die wahrhaft weiblichen Frauen anziehen und umgekehrt.”

Echte Männer ziehen immer echte Frauen an. Aber auch hier müssen wir den wahren Kern des heutigen Problems sachlich und wahrhaftig beleuchten. Einerseits wissen wir doch alle, daß patriarchalische Männer, die nach der gottgewollten Ordnung leben wollen, weder bei den Antikatholiken, noch bei den “Katholiken” gern gesehen sind. Sie werden als “frauenfeindlich” verachtet, so wie z.B. auch Bischof Williamson. Mit wahrhaftiger Kritik können die meisten Frauen äußerst schlecht umgehen. Und die Frauen lieben das moderne Leben und ihre von der antichristlichen und kirchenfeindlichen Gesellschaft zugesprochenen “Rechte” (dafür sind die Gottlosen gute Verbündete…). Warum heiraten die “katholischen” Frauen nicht konsequent patriarchalische Männer?

Zudem führt die (moderne) Frau nicht nur eine unseligen Krieg gegen den (katholischen) Mann, sondern auch gegen sich selbst. Sie haßt einerseits das Patriarchat – also die gottgewollte Ordnung – aber andererseits ist sie ein biologisches, von Gott für die entsprechende Ordnung geschaffenes Wesen. Wie Sie richtig erwähnen, fühlt sich die Frau – sofern sie nicht bereits völlig erkaltet ist – natürlicherweise zu einem echten, patriarchalischen Mann hingezogen. Aber die moderne Frau ist zwiegespalten: Sie träumt zwar von einem starken Mann aber zugleich kämpft sie gegen ihr eigenes weibliches Wesen und Grundbedürfnis an, weil sie die moderne Ideologie – dahinter verbirgt sich niemand anderes als die Schlange – vollkommen aufgesogen hat, nach der der (starke) Mann unbedingt zu bekämpfen und kleinzumachen ist (das fällt auch unter “antifaschistische Umerziehung”).

Solange sich die Frau nicht aus diesem Irrsinn befreit und solange der Mann (vor allen Dingen die Kleriker) sich nicht über die Ursachen der Misere bewußt ist und er auch nicht gewillt ist, dagegen etwas zu unternehmen und nicht nur einfach Erfüllungsgehilfe der Frau und Befriediger ihrer akatholischen Wünsche zu sein, wird der Niedergang – auch der so genannten traditionellen Gruppen – unaufhaltsam weitergehen.

Natürlich haben Sie recht, daß jeder bei sich selber anfangen muß. Aber die Frau entscheidet eben nun einmal über den (biologischen) Bestand eines Volkes, einer Gesellschaft, einer Gruppe, denn sie entscheidet, mit wem sie sich paart usw. Wenn die Frau aber ihre “Freiheit” will und sich deshalb lieber mit Halbkatholiken und Pantoffelhelden einläßt, damit auch ja alles unter ihrer Kontrolle bleibt, solange feiert die Schlange fröhlich Urständ und es wird sich rein gar nichts ändern…

Dazu paßt auch ein Zitat von Gertrud von le Fort: “Wenn der Mann fällt, so fällt nur der Mann, aber wenn die Frau fällt, so fällt ein ganzes Volk.”

Siehe ferner: die Kommentare zum Artikel „Eine Erklärung über den Andachtsschleier von Simone Mai