Der frauliche Vorrang der Liebe — 3. Die Frau und das Leben

(Fortsetzung)

Das natürliche Gesetz des „Stirb und Werde“ heißt ins christliche übersetzt: Aszese. Ich kann den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist, nur anziehen, wenn ich zuvor den alten Menschen der Sünde ausgezogen habe. Der neue Mensch kann nicht wie ein Überzieher über den alten Menschen gezogen werden. Überall steht vor dem neuen Menschen der Tod des alten. Nur wo Gräber sind, gibt es eine Auferstehung. Nur wer sich selbst verleugnet, kann Christus bejahen; wer sich selbst verlässt, kann Christus folgen. Das Ich muss abnehmen, wenn Christus wachsen soll. Weil die Frau, die in echter Weise dem Leben dient, das Gesetz des Stirb und Werde vollzieht, hat sie auch eher Verständnis für die christliche Dialektik von Tod und Leben.

Der frauliche Dienst am Leben verlangt einen erbitterten Kampf gegen alle Feinde des Lebens. Der Feind des Lebens ist Satan als Träger des ewigen Todes. Immer ist er der große Gegenspieler Christi und darum auch des Lebens. Wer in irgendeiner Form mit dem Teufel paktiert, spielt mit dem Tod. Der junge Mensch liebt die Gefahr und die Grenze. Er stellt die Frage: wie weit darf ich eigentlich noch gehen? Wo ist die Grenze zwischen Gut und Böse? Wo fängt die Sünde an? Er möchte die Grenze haarscharf auskalkulieren und sich dann auf dem schmalen Grat zwischen Gut und Böse bewegen. Sünde ist primär immer etwas persönliches und nicht etwas sachliches. Die Sünde wird allzu sehr „versachlicht“. Dann wird sie dargestellt und vorgestellt als ein „schwarzer Flecken auf dem Kleid der heiligmachenden Gnade“. Die Sünde ist die genaue Gegenbewegung des Menschen zur Gnade Gottes. In der Gnade ist Gott mir gnädig, er schenkt mir seine Liebe, er schaut mich an, sein Wohlgefallen ruht auf mir. Er zieht mich, bildlich gesprochen, an sein Herz. Gnade ist ein beziehentliches Sein. In der Gnade würdigt mich Gott, sein „Kind“ zu werden, ihn „Vater“ nennen zu dürfen. Er wird mir „Freund“, er wird mir „Bräutigam“. Immer geht die erste Bewegung von Gott aus. Gnade ist also durch und durch personal bestimmt. Sie ermöglicht dem Menschen eine ganz neue Begegnung mit Gott.

Diese neue Beziehung Gottes zum Menschen ist so mächtig, dass sie im Menschen selbst neues, übernatürliches Leben weckt. Wo Gott, das Leben, sich einem Menschen zuwendet, muss neues Leben entstehen. Wenn schon die Sonne mit ihren wärmenden Strahlen im Frühling tausendfach das Leben aus dem Boden hervorlockt, wie viel mehr müssen dann die Strahlen des göttlichen Wohlgefallens den Menschen beleben, der von ihnen getroffen wird.

Für die Realität „Gnade“ dürfte das Mädchen ein besonderes Verständnis haben. Weil es personal bezogen ist, weiß es personale Bezüge zu schätzen. Das Mädchen wird eine andere, wenn es eines Tages der starken und reinen Liebe eines Jungen begegnet und dessen „Braut“ wird. Ein ganz neues Lebensgefühl durchpulst das Mädchen als Braut. Es blüht auf. Was sich hier nur auf der psychologischen Ebene begibt, begibt sich in der Gnade auf der ontischen Ebene. Die Gnade weckt völlig neues Leben im Menschen.

Wie hütet die Braut die Liebe zum Bräutigam? Sie möchte es unter allen Umständen verhindern, dass dieses Verhältnis getrübt oder gar zerstört wird! Ist aber einmal vielleicht durch ein Missverständnis ein „Haar in der Butter“, dann ruht sie nicht eher, bis wieder alles in Ordnung gebracht ist, und der Strom der Liebe und des Vertrauens wieder ungehemmt sich von einem zum anderen ergießt.

Wie leidet ein Mädchen darunter, wenn ein Verhältnis „kaputt“ geht! Es gibt Mädchen, die einen solchen Schlag nur mithilfe einer langwierigen psychotherapeutischen Behandlung überwinden können, wenn sie nicht sogar zeitlebens daran tragen.

Gerade das freundliche Verhältnis ist für das Mädchen ein vielsagenderes Symbol für die Gnade als vielleicht das Kindesverhältnis. Ist doch das Mädchen in der Kirche Braut Christi. Was geschieht, wenn das Mädchen dieses gnadenhafte Verhältnis durch die lässlich Sünde trübt und durch die schwere Sünde zerstört? Zu den törichten Jungfrauen, die in der Stunde ihres Sterbens, wenn der Bräutigam kommt, kein Öl auf der Lampe haben, wird der Herr sagen: „Ich kenne euch nicht. Hinweg von mir! Weichet!“ Wie furchtbar, wenn Gott einen Menschen, den er in der Gnade an sich gezogen hat, wieder zurückstoßen und verwerfen muss, weil dieser Mensch seine göttliche Liebe zurückgewiesen und nicht erwidert hat. Der neue Katechismus nimmt als erste Folge der Todsünde den Verlust des Gnadenlebens. Es ist nicht gleichgültig, unter welchem Aspekt ich dem Mädchen die Folgen der Sünde veranschauliche. Vielleicht geht ihm die Größe der Sünde am besten auf, wenn ich sie als die schlimmste Feindin des Lebens herausstellen. Im Buch der Sprüche heißt es: „wer nicht findet, findet das Leben … Alle die mich hassen, lieben den Tod“ (8, 35, 36). Wir sterben ja letzten Endes alle nicht an einer Krankheit, sondern an der Sünde. Eine Krankheit mag die medizinische Ursache des Todes sein, die metaphysische ist die Sünde.

Hat das Mädchen vom Glauben her die rechte „Lebens“-Auffassung gewonnen, ist der Kampf gegen die Sünde eine Selbstverständlichkeit. Dann wird es versuchen, nach dem Vorbild der Unbefleckten Empfängnis dem Bösen mit einem ganz entschiedenen Nein zu begegnen.

Dieses „Nein“ muss schon der Versuchung entgegengebracht werden. Die beste Medizin ist immer die prophylaktische. Das gilt auch von der Seelsorge. Die Versuchungen sind das Vorfeld der Sünde. Wenn die Vorentscheidungen richtig getroffen werden, braucht man um die letzten Entscheidungen nicht mehr zu bangen. Es gehört mit zur Strategie des Teufels, dass er zunächst mit „Kleinigkeiten“ beginnt. Es genügt ihm vorerst der „kleine Finger“. Hat er den aber, dann greift er zur „ganzen Hand“. Hat er die Hand eines Menschen fest umschlossen, dann zieht er unschwer den ganzen Menschen zu sich herab. Darum heißt es, den Anfängen widerstehen!

Der „tiefe Graben“, in den uns der Teufel hineinstürzen möchte, ist die schwere Sünde und schließlich der Abgrund der Hölle. Wir können uns von diesem Graben nicht weit genug fernhalten.

Es gehört weiter zur Strategie Satans, dass er den Menschen ködert. Satan zeigt sich nie in seiner wahren Gestalt. Er bedient sich eines „Linsengemüses“. Mit einem „Linsenmus“ erreicht er es, dass Esau sein Erstgeburtsrecht verkauft. Wie viele Jungen und Mädchen mögen für das „Linsenmus“ der bösen Lust ihre Unschuld opfern! Der Teufel steckt den Köder der sogenannten „Freude“ an die Angel. Er verheisst einen Genuss, der zum Vollzug der Sünde reizt. Faust durchschaut den Teufel, der ihm den vollen Becher der Lebensfreude verspricht. Er fragt skeptisch: „was willst du armer Teufel geben?“ Der Teufel ist sprichwörtlich „arm“. Ihm fehlt Gott! Nur wer Gott hat, hat alles, wenn er sonst nichts hätte. Wer Gott nicht hat, hat nichts, wenn er sonst alles hätte. Der Teufel kann nur geben, was er hat. Ihm zueigen ist nur die Qual der Gottferne und das Feuer der Hölle. Das verbirgt sich hinter allen seinen „Tarnnamen“, hinter allem trügerischen Glanz, indem er zu blenden versucht. Der Teufel ist ein Meister in der Kunst zu blenden und verblendeten. Wir sprechen nicht umsonst vom Blendwerk des Teufels, hinter dem die Sonne Satans steht.

Zeigen wir dem Mädchen Christus als das Leben, ergibt sich ihm ein ganz neuer Zugang zum Herrn, der seiner Wesensart und Wesensaufgabe entspricht.

(Fortsetzung folgt!)

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Quelle: Josef Dreissen: „Christus Leitbild jeder Frau“, 312 Seiten, 1962

(Artikelbild dazu von mir [POS] ausgewählt)

PIUS XII. / RUF AN DIE FRAU: DIE FRAU ALS MUTTER

Die Ehe ist nicht Selbstzweck, sondern von Gott einge­setzt für die Nachkommenschaft. So ist also die Krönung der Ehe für die Frau die Mutterschaft. Zahllos sind die Worte, die der Papst den Frauen darüber zu sagen hat. Er verlangt für dieses Amt eine besonders sorgfältige Vorbe­reitung, wie er es ausdrücklich in seiner großen Ansprache vom 26. Oktober 1941 vor den italienischen Frauen der Katholischen Aktion am Christkönigsfest zum Ausdruck bringt. „Aber es genügt nicht, daß man von einer Pflicht weiß und den Willen hat, sie zu erfüllen; man muß sich auch die Fähigkeit aneignen, sie gut zu erfüllen. Nun seht ihr etwas Seltsames, das auch Pius XI. in seiner En­zyklika (,Divini illius Magistri‘) vom 31. Dezember 1929 (über die christliche Erziehung der Jugend) beklagte: Während es niemand in den Sinn kommen würde, plötz­lich und auf einmal, ohne Lehrzeit und Vorbereitung, Handwerker oder Techniker, Arzt oder Rechtsanwalt zu werden, verheiraten und vereinigen sich alle Tage nicht wenige junge Männer und junge Frauen, ohne auch nur einen Augenblick daran gedacht zu haben, sich auf die schwierigen Pflichten vorzubereiten, die sie bei der Erzie­hung ihrer Kinder erwarten.“ 1

Was der Papst hier in einer Schulung der italienischen Frauen ausführt, ist grundlegend auch für seine späteren

1 A. A. S. vol. 33 (1941) p. 450-458.— „Gerechtigkeit schafft Frie­den.“ Reden und Enzykliken des Heiligen Vaters Papst Pius XII. Herausgegeben von W. Jussen S. J., Hansa Verlag, Hamburg 1947. S. 237 f. (zit. als „Jussen“).

Reden über diesen Pflichtenkreis. Die Ansprache vom Oktober 1941 über die Pflichten der Mutter in der Erziehung der Kinder ist an Bedeutung der späteren großen Rede „Über die Pflichten der Frau im sozialen und politi­schen Leben“ vom Oktober 1945 gleichzustellen; grund­legende Fragen in beiden Hauptberufszweigen der Frauen werden richtunggebend beantwortet. Daß die ersten Reden des Papstes bis 1945 sich an Italienerinnen wen­den, ergibt sich aus der Kriegslage, die es den Frauen anderer Nationen damals noch unmöglich machte, nach Rom zu kommen. Aber der Inhalt seiner Ansprachen ist an alle Frauen gerichtet, auch an diejenigen, die vorerst noch nicht anwesend sein konnten. Da in den Jahren des Nationalsozialismus die Papstreden in Deutschland und einigen anderen Ländern nicht verbreitet werden durften, ist uns eine Reihe der bedeutendsten Ansprachen und Enzykliken aus jener Zeit durch P. Wilhelm Jussen S. J. im Jahre 1946 in Übersetzung vorgelegt worden. In die­ser Ausgabe sind auch zwei Reden an Frauen enthalten: die Osteransprache 1939 an die Internationale Frauen­liga über das Katholische Apostolat und diese Schulungs­rede für Mütter. Den Familienmüttern und Erzieherin­nen, denen er am Christkönigs-Tag Audienz gewährte, sagt er zu Beginn: „Während Wir sonst Unser Wort an alle richten, auch wenn Wir zu den Neuvermählten spre­chen, so betrachten Wir dieses als eine ausgezeichnete Ge­legenheit, um Uns besonders an euch zu wenden, geliebte Töchter, weil Wir in den Familienmüttern — zusammen mit den frommen und erfahrenen Personen, die ihnen helfen — die ersten und vertrautesten Erzieherinnen der Kleinen zum Wachstum in der Frömmigkeit und in der Tugend sehen.“ 2

Die erste Sorge des Papstes, die er ausspricht, gilt dem Ausbau von Einrichtungen, „die wie die ‚Mütter­woche‘ sich wirksam dafür einsetzen, daß in jedem Stande

Jusssen. S. 237.

und gesellschaftlichem Rang Erzieherinnen herangebildet werden, die die Größe ihrer Sendung spüren, die in der Gesinnung und in der Haltung auf der Hut sind gegen­über dem Bösen, fest und voll Sorge gegenüber dem Guten…“

„Ein besonders günstiges Licht verbreitet eure Vereini­gung der Katholischen Aktion durch die Organisation des ,Apostolates der Wiege‘ und der ‚Mater parvulorum‘, durch die ihr Sorge tragt, die jungen Frauen schon vor der Geburt ihrer Kinder und dann während der ersten Kindheit zu bilden und ihnen zu helfen.“ 3 Bei den ge­nannten Organisationen hat der Papst italienische Ver­hältnisse im Auge. In Deutschland hatten wir bereits nach dem ersten Weltkriege Mütterschulen und Mütter­kurse, wie zum Beispiel die des Katholischen Frauenbun­des. Dazu kam die kirchliche Betreuung durch die Katho­lischen Müttervereine. Da diese Einrichtungen in der Zeit des Nationalsozialismus vom Staat abgelöst wurden, ging man nach der Beendigung des Krieges sofort daran, ein neues katholisches Mütterbildungswerk aufzubauen. In Nachmittags- oder Abendkursen werden die jungen Frauen dort alles lernen können, was ihnen für die Pflege und Erziehung der Kleinen an Wissen und Erfahrung noch fehlt.

Daß die Erziehung der Kinder nicht früh genug einsetzen kann, ist die nächste Mahnung des Papstes. „Sorget schon vor der Geburt des Kindes für die Reinheit der Atmosphäre in der Familie, in der seine Augen und seine Seele sich dem Licht und dem Leben öffnen: der Atmosphäre, die alle Schritte seines sittlichen Fortschrittes mit dem Wohlgeruch Christi umgibt. Ihr Mütter liebt, da ihr gefühlvoller seid, auch umso zärtlicher! Ihr wer­det euren Kleinen während der Kindheit in jedem Augen­blick mit eurem wachsamen Blick folgen und über ihr

3 Ebendas. S. 238 f.

Wachstum und die Gesundheit ihres kleinen Körpers wachen müssen … Bedenkt, daß diese Kinder durch die Taufe zu angenommenen Kindern Gottes geworden, die Lieblinge Christi sind, deren Engel immer das Antlitz des himmlischen Vaters schauen. Auch ihr müßt als gute Engel sie hüten, fördern und erziehen und in eurer Sorge und Wachsamkeit immer zum Himmel schauen. Von der Wiege an habt ihr nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Erziehung zu beginnen; denn, wenn ihr sie nicht erzieht, werden sie sich selber erziehen, gut oder schlecht. Denkt daran, daß nicht wenige, auch moralische Züge, die ihr im heranwachsenden, im reifen Menschen seht, tatsächlich ihren Ursprung haben in den Formen und in den Umständen des ersten leiblichen Wachstums der Kindheit; rein organische Gewohnheiten von klein auf an­geeignet, werden später vielleicht eine schwere Störung für das geistige Leben einer Seele werden. Ihr werdet da­her allen Eifer darauf verwenden, daß die euren Kleinen gewidmete Sorge in Übereinstimmung stehe mit den For­derungen einer vollkommenen Gesundheitspflege. So sollt ihr in ihnen für den Augenblick, wo sie zum Gebrauch der Vernunft gelangen, körperliche Fähigkeiten und ge­sunde Organe ohne die Anlage zu verkehrten Neigungen bereiten und festigen. Gerade aus diesem Grunde ist es so sehr zu wünschen, daß, abgesehen vom Fall der Un­möglichkeit, die Mutter selbst das Kind ihres Schoßes nährt. Wer kann die geheimnisvollen Einflüsse ergrün­den, die auf das Wachstum dieses kleinen Wesens die Ernährerin ausübt, von der es in seiner Entwicklung ganz und gar abhängt? Habt ihr nie diese offenen, fragenden, unruhigen Äuglein beobachtet, die über tausend Gegen­stände hingleiten und bald bei diesem, bald bei jenem verweilen, die einer Bewegung oder einer Geste folgen, die schon Freude und den Schmerz, den Zorn und die Starrköpfigkeit und die Anzeichen von kleinen Leiden­schaften offenbaren, die sich in dem menschlichen Herzen einnisten, noch bevor die kleinen Lippen gelernt haben, ein Wort auszusprechen? Wundert euch nicht darüber. Man wird nicht geboren — wie es philosophische Schulen gelehrt haben — mit den Begriffen eines angeborenen Wissens, noch auch mit den Träumen einer schon erlebten Vergangenheit. Der Geist eines Kindes ist ein Blatt, auf das bei der Geburt noch nichts geschrieben ist; seine Augen und die anderen Sinne, die durch sein ganzes Le­ben ihm das Leben der Welt vermitteln, werden darauf die Bilder und die Begriffe der Dinge schreiben, inmitten derer es sich befinden wird, von Stunde zu Stunde, von der Wiege bis zum Grabe. Daher hebt ein unwidersteh­licher Trieb zum Wahren und Guten ,die junge Seele, die nichts weiß und sinnt‘ (Dante, Fegefeuer XVI, 88) über die sinnlich wahrnehmbaren Dinge hinweg. Alle diese Sinnesfähigkeiten, alle diese kindlichen Empfindungen, durch die der Verstand und der Wille sich langsam offen­baren und wach werden, brauchen unbedingt eine wach­same und richtungweisende Erziehung und Unterweisung, damit das normale Erwachen und die richtige Entwicklung so edler geistiger Fähigkeiten nicht gefährdet oder ent­stellt werden. Schon jetzt wird das Kind durch einen liebevollen Blick, durch ein leitendes Wort lernen müs­sen, nicht jedem Eindruck nachzugeben; mit dem Wach­sen seiner erwachenden Vernunft richtig zu unterscheiden, den Wechsel seiner Empfindungen zu beherrschen; kurz, unter der mütterlichen Leitung und Ermahnung den Weg und das Werk seiner Erziehung zu beginnen.

Studiert das Kind im zarten Alter! Nur wenn ihr es gut kennt, werdet ihr es gut erziehen. Ihr werdet seine Natur nicht falsch und schief auffassen; ihr werdet es verstehen können, nicht zur Unzeit nachzugeben. Nicht alle Men­schenkinder haben eine gute Anlage!

Bildet den Verstand eurer Kinder! Gebt ihnen keine fal­schen Begriffe oder Erklärungen der Dinge. Antwortet nicht auf ihre Fragen, wie sie auch sein mögen, mit Scher­zen oder mit unwahren Behauptungen, auf die ihr Geist so leicht eingeht, sondern benutzt sie, um mit Geduld und Liebe ihren Verstand zu leiten und zu stützen, der nichts anderes verlangt, als sich dem Besitz der Wahrheit zu er­öffnen und zu lernen, sie mit den unbefangenen Schritten des ersten Denkens und Überlegens zu erobern. Wer wird je sagen können, was so viele herrliche Menschengeister diesem langen und vertrauensvollen Fragen und Antwor­ten verdanken, die in der Kindheit am häuslichen Herd gewechselt wurden?

Bildet den Charakter eurer Kinder! Schwächt oder verbes­sert die Fehler. Lasset wachsen und pflegt die guten Eigenschaften und richtet sie aus auf die Festigkeit, die der Stärke des Willens im Laufe des Lebens den Weg be­reitet. Wenn die Kleinen, die älter werden, zu der Zeit, wo sie allmählich anfangen zu denken und zu wollen, einen guten, von Heftigkeit und Zorn freien, beständigen und starken, nicht zu Schwächen und Launen geneigten väterlichen und mütterlichen Willen über sich fühlen, werden sie mit der Zeit lernen, darin den Dolmetsch eines höheren Willens zu sehen, nämlich des göttlichen Willens. Auf diese Weise werden sie ihrem Geist jene mächtigen ersten Gewohnheiten einpflanzen und einwurzeln lassen, die einen Charakter bilden und stützen, der bereit ist, sich in den verschiedensten Schwierigkeiten und Widerständen zu beherrschen, fest entschlossen, nicht zurückzuweichen vor dem Kampf oder vor dem Opfer, durchdrungen von einem tiefen christlichen Pflichtbewußtsein.

Bildet das Herz! Welche Schicksale, welche Kämpfe, welche Gefahren bereiten nur zu oft den Herzen der her­anwachsenden Kleinen die glückseligen Bewunderungen und Lobsprüche, die unvorsichtige Besorgtheit, die weich­liche Nachgiebigkeit der Eltern, die von einer unverstän­digen Liebe verblendet sind und diese flatterhaften klei­nen Herzen daran gewöhnen zu sehen, wie sich alles um sie bewegt und dreht, wie sich alles vor ihrem Willen und vor ihren Launen beugt. Gerade dadurch pflanzen sie ihren Herzen die Wurzeln eines zügellosen Egoismus ein, dessen erste Opfer später die Eltern selbst sein werden.

Das ist eine ebenso häufige wie gerechte Strafe jener egoi­stischen Überlegungen, aus denen man einem einzigen Sohn die Freude kleiner Brüder versagt, die mit ihm die mütterliche Liebe teilten und ihm abgewöhnt hätten, nur an sich selbst zu denken. Eine wie tiefe und starke Kraft der Liebe, der Güte und der Hingabe schläft im Herzen der Kinder! Ihr Mütter werdet sie wecken, sie pflegen, sie leiten, sie erheben zu dem, der sie heiligen muß, zu Jesus, zu Maria. Die himmlische Mutter wird dieses Herz der Frömmigkeit öffnen, wird es mit dem Gebet lehren, dem göttlichen Kinderfreund seine reinen Opfer und seine unschuldigen Siege darzubieten, auch eine barm­herzige Hand dem Armen und Elenden zu zeigen. O glück­licher Frühling der Kindheit ohne Stürme und Winde! Es wird aber der Tag kommen, an dem dieses Kinderherz neue Triebe, neue Neigungen in sich erwachen fühlt, die den heiteren Himmel des Kindesalters trüben. In dieser gefährlichen Zeit, ihr Mütter, denkt daran, daß das Herz erziehen auch bedeutet, den Willen erziehen gegenüber den Nachstellungen des Bösen und der Tücke der Leiden­schaften. In diesem Übergang von der unbewußten Rein­heit der Kindheit zur bewußten und siegreichen Reinheit der Jugendzeit wird eure Aufgabe von höchster Bedeu­tung sein. Bei euch steht es, eure Söhne und eure Töchter vorzubereiten, daß sie frei, wie einer, der über Schlangen schreitet, durch diese Zeit der Krisis und der körper­lichen Umbildung hindurchgehen, ohne etwas zu verlie­ren von dem unschuldigen Frohsinn. Ihr sollt jenes natür­liche und einzigartige Schamgefühl hüten, womit die Vorsehung sie wie mit einem Zaun gegenüber den Leiden­schaften, die nur zu leicht auf Abwege führen, umgeben hat. Ihr werdet dafür Sorge tragen, daß dieses Scham­gefühl, der liebliche Bruder des religiösen Gefühls, in seiner unwillkürlichen Ehrfurcht, an die man heutzutage so wenig denkt, in ihnen nicht verletzt werde durch Klei­dung, durch Putz, durch unziemliche Vertraulichkeiten, in unsittlichen Schauspielen und Darstellungen. Ihr werdet es vielmehr immer zarter und wachsamer, reiner und echter gestalten. Ihr werdet mit offenen Augen über ihre Schritte wachen, ihr werdet nicht zulassen, daß die Rein­heit ihrer Seele befleckt und vernichtet wird durch die Gesellschaft mit schon verdorbenen Kameraden und Ver­führern; ihr werdet ihnen Hochachtung und tiefe Liebe zur Reinheit einflößen, indem ihr ihnen als treue Wäch­terin den mütterlichen Schutz der Unbefleckten Jungfrau gebt. Mit eurem Scharfblick als Mutter und Erzieherin und dank der vertrauensvollen Offenherzigkeit, die ihr euren Kindern eingepflanzt habt, werdet ihr nicht verfehlen, die Gelegenheit und den Augenblick zu beachten und zu erkennen, in dem gewisse heimliche Fragen in ihrem Geiste aufgetaucht sind und in ihren Empfindungen be­sondere Störungen hervorgerufen haben. Dann wird es eure Sache sein, für eure Töchter, die des Vaters für eure Söhne — soweit es notwendig erscheint — in vorsichtiger zarter Weise den Schleier der Wahrheit zu lüften und ihnen auf diese Fragen und diese Unruhen kluge, richtige und christliche Antwort zu geben. Wenn sie diese Beleh­rung über die geheimnisvollen und wunderbaren Lebens­gesetze aus eurem Mund, aus dem Mund christlicher Eltern, zur geeigneten Stunde und mit aller notwendigen Vorsicht empfangen, dann werden sie diese mit ehrfürch­tiger Dankbarkeit annehmen, und die Aufklärung wird mit viel weniger Gefahr für ihre Seele verbunden sein, als wenn sie diese auf gut Glück erfahren hätten durch trübe Erlebnisse, durch geheime Unterredungen, durch Belehrung von unzuverlässigen und schon allzu erfahrenen Kameraden, durch geheime Lektüre, die um so gefähr­licher und verderblicher ist, als das Geheimnis die Phan­tasie entzündet und die Sinne erregt. Eure Worte können, wenn sie angemessen und taktvoll sind, eine Schutzwehr und eine Warnung inmitten der Versuchungen einer ver­dorbenen Umwelt sein; denn … ,vorausgeschaut, scheint minder tief ein Pfeil sich einzuwühlen‘. (Dante, Paradies XVII, 27. )

Ihr seht aber auch ein, daß in diesem herrlichen Werk der christlichen Erziehung eurer Söhne und eurer Töchter die häusliche Bildung, so weise und tief sie auch sein mag, nicht genügt, sondern vollendet und vervollkommnet wer­den muß durch die machtvolle Hilfe der Religion. Neben dem Priester, dessen väterliche, geistliche und seelsorg­liche Autorität über eure Kinder vom Taufbrunnen an sich an eure Seite stellt, müßt ihr selbst seine Mitarbeiter sein bei den Anfangsgründen der Frömmigkeit und der kate­chetischen Unterweisung, die das Fundament jeder soliden Erziehung sind und wovon auch ihr als die ersten Lehrer eurer Kinder hinreichende und sichere Kenntnis haben müßt. Wie könnt ihr lehren, was ihr selbst nicht wißt? Lehrt sie Gott, Jesus Christus, die Kirche, unsere Mutter und die Hirten der Kirche, die euch leiten, lieben. Liebet den Katechismus und macht, daß eure Kinder ihn lieben. Er ist das große Buch von der Liebe und der Furcht Got­tes, von der christlichen Weisheit und vom ewigen Leben. Bei eurer vielseitigen Erziehungsarbeit werdet ihr außer­dem das Bedürfnis und die Verpflichtung fühlen, andere als Helfer heranzuziehen. Wählet dafür Christen aus, wie ihr es seid, und zwar mit der ganzen Sorgfalt, die der kostbare Schatz verdient, den ihr ihnen anvertraut: der Glaube, die Reinheit und die Frömmigkeit eurer Kinder. Aber wenn ihr sie auch ausgewählt habt, so haltet euch darum doch nicht selbst für frei und ledig eurer Pflichten und eurer Wachsamkeit, vielmehr müßt ihr mit ihnen zu­sammenarbeiten. Mögen auch jene Lehrer und Lehrerin­nen ganz ausgezeichnete Erzieher sein, sie werden wenig ausrichten in der Erziehung eurer Kinder, wenn ihr nicht mit ihrer Tätigkeit die eure verbindet. Was würde dann eintreten, wenn eure Tätigkeit, statt die ihrige zu unter­stützen und zu stärken, sie geradezu durchkreuzen und ihr entgegenarbeiten würde; wenn eure Schwächen, wenn eure, aus einer Liebe, die in Wirklichkeit ein versteckter, erbärmlicher Egoismus ist, hervorgehenden Maßnahmen zu Hause das zerstören würden, was in der Schule, in der Katechese, in den katholischen Vereinen grundgelegt wurde, um den Charakter eurer Kinder zu zügeln und ihre Frömmigkeit zu fördern?

Vielleicht wird manche Mutter sagen, die Kinder von heute sind so schwer zu leiten, mit meinem Sohn, mit mei­ner Tochter ist nichts anzufangen, kann man nichts errei­chen! — Ja, es ist wahr, mit zwölf oder fünfzehn Jahren sind nicht wenige Knaben und Mädchen schwer zu be­handeln. Aber warum? Weil ihnen mit zwei oder drei Jahren alles gewährt und erlaubt, alles gutgeheißen wurde. Es ist wahr, es gibt undankbare und widerspenstige Tem­peramente; aber hört denn dieser verschlossene, starrköp­fige, gefühllose Kleine infolge dieser Fehler auf, euer Sohn zu sein? Würdet ihr ihn weniger lieben als seine Geschwister, wenn er kränklich oder ein Krüppel wäre? Gott hat auch ihn euch anvertraut; hütet euch, daß ihr ihn nicht zum Stiefkind in der Familie werden laßt! Keiner ist so wild, daß er nicht gesänftigt werden könnte durch Sorge, durch Geduld, durch Liebe. Meist wird es euch gelingen, auf diesem steinigen und mit Unkraut bewach­senen Boden manche Blume des Gehorsams und der Tu­gend ans Wachsen zu bringen, wenn ihr nicht durch par­teiische und unvernünftige Strenge euch der Gefahr aus­setzt, in diesem Kleinen den im Grund der Seele verbor­genen guten Willen zu entmutigen. Ihr würdet die ganze Erziehung eurer Kinder verderben, wenn sie je in euch ­Gott weiß, daß sie ein gutes Auge dafür haben — eine Vorliebe für einzelne Kinder, Bevorzugung oder Abnei­gung gegen das eine oder andere Kind entdeckten. Zu eurem und der Familie Wohl ist es notwendig, daß alle in eurer wohlüberlegten Strenge wie in euren gütigen Er­mahnungen und in euren Liebkosungen eine gleiche Liebe sehen und fühlen, die keinen Unterschied macht zwischen ihnen, außer wenn es sich darum handelt, das Böse zu verbessern und das Gute zu fördern. Habt ihr sie nicht alle in gleicher Weise von Gott empfangen?

An euch, christliche Mütter, war Unser Wort besonders gerichtet, aber zusammen mit euch sehen Wir heute um Uns einen Kranz von Ordensschwestern, von Lehrerinnen, von Beauftragten, von Apostolinnen, von Helferinnen, die der Erziehung und der Fürsorge der Kinder all ihre Mühen und Arbeiten widmen. Sie sind nicht Mütter dem Blute nach, aber durch ihre Liebe zur Jugend, die von Christus und seiner Braut, der Kirche, so sehr geliebt wird. Ja, auch ihr, die ihr als Erzieherinnen an der Seite der christlichen Mütter wirkt, seid Mütter, denn ihr habt ein Mutterherz und in ihm brennt die Flamme der Liebe, die der Heilige Geist in eure Herzen ausgießt. In dieser Liebe, der Liebe Christi, die euch zum Guten drängt, findet ihr euer Licht, euren Trost und eure Lebensaufgabe. Diese bringt euch den Müttern, den Vätern und den Kindern nahe und aus so lebendigen Sprößlingen der menschlichen Gesellschaft, der Hoffnung der Eltern und der Kirche, macht ihr eine große Familie von zwanzig, von hundert, ja von tausend und abertausend Kleinen und Kindern, deren Verstand, Charakter und Herz ihr in höherer Weise erzieht, indem ihr sie in die geistliche und sittliche Atmo­sphäre erhebt, wo mit dem Frohsinn der Unschuld der Glaube an Gott und die Ehrfurcht gegen heilige Dinge, die Liebe zu den Eltern und zum Vaterland leuchten. Mit der Anerkennung für die Mütter verbindet sich Unser Lob und Unser Dank. Erzieherinnen wie sie, eifert ihr ihnen nach und geht ihnen voraus in euren Schulen, in euren Asylen und Heimen, in euren Vereinen, als Schwestern in geistiger Mutterschaft, geschmückt mit einem Lilienkranz.

Welch unvergleichliche Aufgabe ist es, deren Schönheit Wir soeben in einigen Punkten gestreift haben! Eine Aufgabe in unserer Zeit voll von schweren Hindernissen und Gefahren, der ihr euch widmet, christliche Mütter und geliebte Töchter, indem ihr euch so sehr abmüht, die wachsenden Zweige der Ölbäume, welche die Familien sind, zu pflegen. Wie groß ist in Unseren Augen eine Mutter im häuslichen Kreise, von Gott an eine Wiege gesetzt als Ernährerin und als Erzieherin ihrer Kinder! Staunet über ihre mühevolle Tätigkeit, mit der sie den­noch nicht, so könnte man zu glauben versucht sein, ihrer Aufgabe genügen würde, wenn ihr nicht die allmächtige Gnade Gottes zur Seite stünde, um sie zu erleuchten, zu leiten, zu stützen in der täglichen Sorge und Mühe; wenn die Gnade nicht andere Erzieherinnen mit einem Herzen und einem Eifer, der aus gleicher mütterlicher Liebe stammt, anregte und beriefe, mit ihr mitzuwirken an der Bildung dieser jungen Seelen …“ 4

Während es möglich war, nahezu den vollen Wortlaut der Ansprache vom Oktober 1941 im Zusammen­hang zu geben, sollen zur Ergänzung kostbare Worte über die Mutterschaft der Frau aus den Reden an Neuvermählte hinzugefügt werden.

„Und wenn der Herr in seiner Güte der Gattin die Mutterwürde schenkt und sie an der Wiege steht, so wird das Wimmern des neugeborenen Kindes das Glück des Heimes weder schmälern noch stören; es wird im Gegenteil es in jene göttliche Höhe erheben, wo die Engel des Himmels erglänzen und von wo ein Strahl des Lebens herniedersteigt, der die Natur überragt und die Menschen­kinder zu Gottes-Kindern macht. Seht die Heiligkeit des Ehegemachs! Seht die Würde der christlichen Mutter­schaft! . .. Eine Wiege heiligt die Mutter der Familie, und mehr Wiegen heiligen und verklären sie vor dem Manne und den Kindern. Törichte, ihr eigenes Wesen verleugnende und unglückliche Frauen sind jene Mütter, die jammern, wenn ein neues Kind sich an ihre Brust schmiegt und Nahrung verlangt am Quell des Schoßes! Ein Feind des häuslichen Glückes ist das Jammern wegen des Segens Gottes, der es umhegt und stärkt.“ 5

„Je reiner eure Augen sind, ihr jungen Mütter von morgen, desto mehr werdet ihr in den teuren, kleinen

4 vgl. Jussen, a. a. 0. S. 239 – 249.

5 Rede vom 25. Februar 1942 (Z. S. 162 f. — vgl. Eheleben, S. 34 f.).

Wesen, die eurer Sorge anvertraut sind, die Seelen sehen, die mit euch bestimmt sind zur Verherrlichung des einzigen Gegenstandes, der aller Ehre und Herrlichkeit würdig ist. Anstatt wie so viele andere euch in ehrgeizigen Träumen an der Wiege eines Neugeborenen zu verlieren, werdet ihr dann frommen Sinnes euch beugen über das gebrechliche Herz, das zu schlagen beginnt, und werdet ohne über­flüssige Unruhe an die Geheimnisse seiner Zukunft denken, die ihr der zarten Liebe der Jungfrau vom Rosenkranz anvertrauen werdet, die noch mütterlicher und mächtiger ist als eure eigene Liebe.“ 6„Die Frau ist nicht nur die Sonne, sondern auch das Allerheiligste der Familie, wohin die Kleinen sich in ihrem Schmerz flüchten, die, welche die Schritte der Heran­wachsenden lenkt, sie in ihrem Leid stärkt, ihre Zweifel beruhigt, der sie ihre Zukunft anvertrauen. Sie, die Herrin der Sanftmut, ist auch die Herrin des Hauses. Die Achtung, die ihr Familienhäupter ihr entgegenbringt, sollen die Kinder und Angestellten des Hauses merken, spüren und sehen an eurem Blick, an eurem Benehmen, an euren Mie­nen, an euren Lippen, an eurem Wort, an eurem Gruß.“ 7 „Das Mutteramt mit seinen Sorgen, seinen Leiden und seinen Gefahren fordert und verlangt Mut: die Frau muß auf dem Ehrenfeld der ehelichen Pflicht nicht weniger heldenhaft sein und sich zeigen als der Mann auf dem Ehrenfeld der Bürgerpflicht, wo er dem Vaterland das Geschenk seines Lebens macht.“ 8 Für die Erziehung der Kinder ist die Autorität in der Familie äußerst wichtig. Dafür ist die Ansprache vom 24. September 1941 besonders aufklärend und wert­voll. „Die Väter und Mütter in unseren Tagen führen oft Klage darüber, daß es ihnen nicht mehr gelingt, ihre Kinder zum Gehorsam zu bringen. Es seien launische

6 Rede vom 16. Oktober 194o (Z. S. 92 f. — vgl. Ideal, S. tot f.).

7 Rede vom 8. April 1942 (Z. S. 146. — vgl. Eheleben, S. 8z).

8 Rede vom 21. Oktober 1942 (Z. S. 167. — vgl. Eheleben, S. 212).

Kinder, die auf keinen hören, Jungen, die jede Führung ablehnen, Jungmänner und Mädchen, die jeden Rat ver­schmähen, taub sind gegen jede Ermahnung, voll Ver­langen, bei Spielen und Wettkämpfen zu glänzen, die alles nach ihrem eigenen Kopf tun wollen, weil sie meinen, sie verständen wohl allein die Notwendigkeiten des modernen Lebens. Kurz, das neue Geschlecht ist gewöhn­lich (es gibt gewiß so viele schöne und herrliche Ausnahmen!) nicht geneigt, sich vor der Autorität von Vater und Mutter zu beugen.

Und was ist der Grund für diese unbelehrbare Haltung? Gewöhnlich pflegt man dafür anzugeben, daß heute die Kinder wohl oft keinen Sinn mehr haben für Gehorsam, für die Achtung, die sie ihren Eltern und ihrem Wort schuldig sind: in der Atmosphäre starken jugendlichen Selbstbewußtseins, in der sie leben, arbeitet alles darauf hin, daß sie sich frei machen von jeder Abhängigkeit von den Eltern und sie überflüssig machen; alles, was sie in ihrer Umgebung sehen und hören, steigert, begeistert und verhärtet schließlich ihr Wesen und zügelt nicht ihren Hang nach Unabhängigkeit, ihre Verachtung vor der Vergangenheit und ihre Sbrigens nach der Zu­kunft .. . Die reibungslose Ausübung der Autorität hängt nicht nur von denen ab, die gehorchen müssen, sondern auch, und zwar in weitem Maße, von jenen, die zu befehlen haben. Ganz deutlich gesagt: etwas anderes ist das Recht auf den Besitz der Autorität, das Recht, Befehle zu geben, und etwas anderes ist jenes moralische Übergewicht, das die erfolgreiche, tätige und wirksame Autorität begründet und ziert, der es gelingt, bei anderen sich Achtung zu verschaffen und wirklich Gehorsam zu erreichen. Das erste Recht wird von Gott übertragen mit dem Augenblick, der euch zu Vater und Mutter macht. Das zweite Vorrecht muß man erwerben und bewahren; denn es kann verloren­gehen, wie es auch gesteigert werden kann. Nun wird das Recht, euren Kindern zu befehlen, ziemlich wenig bei ihnen erreichen, wenn es nicht begleitet ist von jener Macht und jenem persönlichen Einfluß auf sie, die euch erst den wirklichen Gehorsam sichern. Wie und auf welche kluge Art werdet ihr denn eine solche moralische Macht erobern, erhalten und steigern können?

Gott gewährt einigen die natürliche Gabe zu befehlen, die Gabe, bei anderen ihren Willen durchsetzen zu können. Das ist ein kostbares Geschenk; ob es ganz im Geistigen ruht oder zum Teil in der äußeren Persönlichkeit, in der Haltung, im Wort, im Blick, in der Miene, das ist oft schwer zu sagen, aber es ist gleichzeitig ein Geschenk, das man fürchten muß. Mißbraucht es nicht, wenn ihr es besitzt, bei der Erziehung eurer Kinder, ihr möchtet sonst ihre Seelen in der Furcht einschließen und erhalten und aus ihnen Sklaven und nicht liebenswürdige Kinder machen. Mildert diese Macht durch die Weitherzigkeit der Liebe, die ihrer Liebe entgegenkommt, durch freund­liche, geduldige, eifrige und ermunternde Güte! .. . Denkt daran, ihr Eltern, daß Strenge nur dann zu Recht besteht, wenn das Herz gütig ist! .. .

Die Milde und die Autorität verbinden, heißt siegen und triumphieren in jenem Kampf, zu dem euch eure elterliche Stellung verpflichtet. Übrigens ist für alle jene, die zu gebieten haben, die Grundvoraussetzung einer wohltätigen Herrschaft über den Willen anderer die Herrschaft über sich selbst, über die eigenen Leidenschaften und Sinne . Wenn die Befehle, die ihr euren Kindern gebt, wenn die Vorwürfe, die ihr ihnen macht, aus den Eingebungen des Augenblicks stammen, aus Ausbrüchen der Ungeduld, aus falschen Voraussetzungen oder aus blinden oder schlecht beherrschten Gefühlen, dann kann es meistens nicht anders sein, als daß sie ihnen willkürlich, zusammenhanglos, vielleicht auch ungerecht und unangebracht vorkommen. Heute seid ihr gegen diese armen Kleinen unvernünftig in eurer Forderung, von einer unerbittlichen Strenge, morgen laßt ihr alles durchgehen. Ihr beginnt damit, ihnen eine Kleinigkeit abzuschlagen, die ihr einen Augenblick nachher, müde von ihrem Weinen oder ihrem Trotz, ihnen gewährt, um zu verhüten, daß die Sache dann mit einer Szene endet, die euch auf die Nerven geht. Warum versteht ihr denn nicht, Herr zu sein über die Stimmungen eures Herzens, eure Phantasie zu zügeln, euch selbst zu beherrschen, da ihr doch die Absicht und die Sorge habt, eure Kinder zu regieren? Wenn es euch bisweilen scheint, daß ihr nicht ganz Herr seid über euch selbst, dann verschiebt auf später, auf eine gelegenere Stunde, den Tadel, den ihr anbringen wollt, die Strafe, die ihr glaubt verhängen zu müssen. In der versöhnlichen und ruhigen Festigkeit eures Geistes werden euer Wort und eure Strafe eine ganz andere Wirkung, eine mehr erzieherische und gebieterische Kraft haben als beim Ausbruch einer unbeherrschten Leidenschaft.

Vergeßt nicht, daß die Kinder, auch sehr kleine, ganz Ohr sind im Aufpassen und Beobachten und unverzüglich den Wechsel eurer Stimmung bemerken. Von der Wiege an, kaum daß sie so weit sind, die Mutter von jeder anderen Frau unterscheiden zu können, werden sie schnell merken, welche Gewalt über schwache Eltern ein Eigen­sinn oder ein Tränenausbruch hat, und sie werden sich in ihrer kindlichen Boshaftigkeit nicht scheuen, sie zu miß­brauchen. Hütet euch darum vor allem, was eure Autori­tät bei ihnen mindern könnte! Hütet euch davor, diese Autorität zu zerstören durch die Spielereien ständiger, unausgesetzter Ermahnungen und Zurechtweisungen, die ihnen schließlich lästig fallen; sie werden sie anhören, aber nicht ernst nehmen. Hütet euch davor, eure Kinder zu täuschen oder zu hintergehen mit Gründen oder Erklä­rungen, die auf schwachen Füßen stehen oder unwahr sind und leichthin abgegeben werden, um euch aus der Verlegenheit zu ziehen und lästige Fragen abzuwehren. Wenn es euch nicht gut scheint, ihnen die wirklichen Gründe einer Anordnung oder einer Tatsache auseinander­zusetzen, dann wird es heilsamer sein, euch auf ihr Ver­trauen zu euch, auf ihre Liebe zu euch zu berufen. Fälscht die Wahrheit nicht, allenfalls verschweigt sie ihnen. Ihr ahnt vielleicht gar nicht, welche Verwirrungen und welche Krisen eines Tages in jenen jungen Seelen entstehen, wenn sie merken, daß man ihre natürliche Gutgläubigkeit miß­braucht hat. Hütet euch davor, durchblicken zu lassen, daß ihr nicht eins seid untereinander und verschieden denkt über die Art, eure Kinder erzieherisch zu behandeln: sie würden dann recht bald darauf ausgehen, die Autorität der Mutter gegen die des Vaters oder die des Vaters gegen die der Mutter auszuspielen, und sie würden nur schwer der Versuchung widerstehen, eine solche Uneinigkeit auszunutzen für die Befriedigung all ihrer Einfälle. Hütet euch endlich davor, darauf zu warten, daß eure Kinder heranwachsen, um über sie gut und ruhig, zugleich aber fest und kraftvoll eure Autorität auszuüben, die vor keinem Tränenstrom oder keiner Trotzszene zurückweicht! Schon von klein auf, von der Wiege an, mit dem Auf­dämmern ihrer kindlichen Vernunft, sollen sie liebevolle und zarte, aber auch weise und kluge Hände über sich erfahren und spüren.

Autorität ohne Schwäche sei die eure, aber eine Autorität, die aus der Liebe kommt und ganz von der Liebe durch­drungen und getragen ist. Ihr sollt die ersten Lehrer und die ersten Freunde eurer Kinder sein. Wenn wirklich Vater- und Mutterliebe — das heißt eine in jeder Hinsicht christliche und nicht eine mehr oder weniger selbstsüchtige Liebe — eure Befehle lenken, dann werden eure Kinder davon berührt und ihnen nachkommen aus tiefstem Her­zen, ohne daß es vieler Worte bedarf; denn die Sprache der Liebe ist beredter in schweigendem Tun als im Laut der Lippen. Tausend kleine unmerkliche Zeichen, ein Wechsel im Ton, eine unauffällige Geste, ein flüchtiger Ausdruck im Gesicht, ein Zeichen der Zustimmung offenbaren ihnen besser als alle Beteuerungen, wieviel Liebe hinter einem Verbot steht, das sie betrübt, wieviel Wohlwollen sich verbirgt in einer Ermahnung, die ihnen lästig vorkommt, und so wird das Wort der elterlichen Autorität ihnen nicht wie ein lastendes Gewicht oder wie ein verhaßtes Joch erscheinen, das man möglichst bald abschütteln muß, sondern als die höchste Offenbarung eurer Liebe. Und wird mit der Liebe nicht das Beispiel zusammengehen? Wie sollen die Kleinen, die von Natur aus bereitwillige Nachahmer sind, gehorchen lernen, wenn sie sehen, daß in allem die Mutter tut, was den Anord­nungen des Vaters entgegen ist, ja sogar über ihn sich beklagt; wenn sie innerhalb der häuslichen Wände ständig ehrfurchtlose Kritiken über jede Autorität hören; wenn sie merken, daß ihre Eltern die ersten sind, die das nicht tun, was Gott und die Kirche gebieten? Wenn sie aber einen Vater und eine Mutter vor Augen haben, die in ihrer Art zu sprechen und zu handeln das Beispiel der Achtung vor den rechtmäßigen Obrigkeiten und der ständigen Pflichttreue geben; von einem so erbaulichen Bild werden sie mit größerem Erfolg als von einer ein­studierten Ermahnung lernen, was wahrer christlicher Gehorsam ist und wie sie selbst ihn gegen ihre Eltern betätigen können. Seid überzeugt, … daß das gute Bei­spiel das kostbarste Erbe ist, das ihr euren Kindern schenken und hinterlassen könnt! Es ist der unvergäng­liche Anblick eines Schatzes von Werken und Taten, von Worten und Ratschlägen, von frommen Betätigungen und tugendhaften Schritten, der stets lebendig haften wird in ihrem Gedächtnis als eine der eindrucksvollsten und teuersten Erinnerungen, die eure Person in ihnen lebendig machen wird, in den Stunden des Zweifels und Schwan­kens zwischen Gut und Bös, zwischen Gefahr und Sieg. In trüben Augenblicken, wenn der Himmel sich ver­dunkelt, werdet ihr ihnen wieder in einem Licht erscheinen, das ihren Weg erhellen und leiten wird in Erinnerung an jenen Weg, den ihr schon gegangen seid und der angefüllt ist mit jener Arbeit und Mühe, die das Unterpfand des irdischen und himmlischen Glückes sind. Ist das vielleicht ein Traum? Nein, das Leben, das ihr mit eurer Familie beginnt, ist kein Traum, es ist ein Weg, den ihr geht, umkleidet mit einer Würde und Autorität, die eine Schule und Lehrzeit sein soll für die Nachkommen, die eures Blutes sind.

Möge der himmlische Vater, der euch berufen hat zur Teilnahme an der Größe seiner Vaterschaft und auch seine Autorität euch übertragen hat, euch die Gnade geben, sie in seiner Nachahmung weise und liebevoll auszuüben.“ 9

9 Rede vom 24. September 1941 (Z. S. 228 ff. — vgl. Ideal, S. 201 ff.).

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Quelle: Eigener Scan mit Textaufbereitung aus meinem persönlichen Buch-Exemplar:

Pius XII. – Ruf an die Frau – Aus den Rundschreiben, Ansprachen, Briefen und Konstitutionen des Heiligen Vaters – Zusammengestellt von Dr. Käthe Seibel-Royer. – Mit einem Vorwort von Dr. Josef Schoiswohl, Bischof von Graz-Seckau – Verlag Styria, Erste Auflage 1955