Pius XII.: Über den kirchlichen Gehorsam

Papst Pius XII., portraitiert von Luis Fernández-Laguna Foto: Luis Fernández García / Wikimedia (CC BY-SA 3.0)

Von Thorsten Paprotny

Papst Pius XII. richtete am 23. September 1950 an die Priester das Apostolische Mahnwort „Menti nostrae„. Er erinnert an die Dimensionen der Heiligkeit des Priesterlebens. Ein Wort, das an Kleriker gerichtet ist, dürfen auch gläubige Laien, also Weltchristen – damals wie heute – vernehmen, studieren und bedenken.

Pius bittet eindringlich darum, „dass die Bemühungen der Hirten und Priester, die das christliche Volk anleiten sollen, das Böse zu meiden, die Gefahren zu überwinden und nach Heiligkeit zu streben, von Tag zu Tag wirksamer werden“. Die Priester, als Diener Christi, leben „mitten im Volke“, so sind sie also „mit seinen Entbehrungen und Leiden, körperlichen und seelischen Nöten vertraut“: „Doch kann das Priesteramt seine volle Wirksamkeit, die ganz den Forderungen dieser unserer Zeit entspräche, nur dann entfalten, wenn die Priester ihrem Volk durch den voranleuchten; sie sollen würdige »Diener Christi« sein, treue »Verwalter der Geheimnisse Gottes« (vgl. 1 Kor 4, 1), wirksame »Helfer Gottes« (vgl. 1 Kor 3, 9) ausgerüstet zu jedem guten Werk (vgl. 2 Tim 3, 17).“ Durch Heiligkeit sollen sie sich auszeichnen: „Das ist die Aufgabe, die ihr frei und freudig auf euch genommen habt: seid heilig, wie euer Dienst heilig ist.“

Der Priester solle seine Augen zu jeder „auf Christus richten“. Pius XII. erinnert deutlich und zu Recht an den kirchlichen Gehorsam: „Wie das priesterliche Leben von Christus ausgeht, so muss es jederzeit voll und ganz auf ihn gerichtet sein. Christus aber ist das Wort Gottes, das nicht verschmähte, die menschliche Natur anzunehmen; das hier auf Erden lebte im Gehorsam gegen den Willen des Ewigen Vaters; das um sich den Glanz der Liebe verbreitete; das in Armut lebte.“ Christliche Vollkommenheit beruhe auf der Demut: „Der Priester vertraue nicht auf seine eigene Kraft, freue sich nicht zu sehr über seine Gaben, hasche nicht nach Achtung und Lob der Menschen; er strebe nicht gierig nach höheren Ämtern, sondern ahme Christus nach, »der nicht kam um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen« (Mt 20,28).“

Alle Gläubigen mögen auch heute ernsthaft bedenken, was Pius XII. über den gebotenen kirchlichen Gehorsam sagt: „Das Streben nach dieser im Lichte des Glaubens erstrahlenden Demut führt den Menschen zur Aufopferung des eigenen Willens in schuldigem Gehorsam. Christus selbst hat in der von ihm gegründeten Gemeinschaft eine rechtmäßige Autorität eingesetzt, die seine eigene beständig weiterführt, daher gehorcht dem göttlichen Erlöser selber, wer den kirchlichen Vorgesetzten gehorcht.“

Dieses Wort gilt. Es ist die Lehre der Kirche, zu der wir uns im Credo bekennen. Darf jemand aus der Schar der zum priesterlichen Dienst Erwählten kirchlichen Ungehorsam billigen oder sogar fordern? Vielleicht sind auch Sie durch manche Stellungnahmen verunsichert oder irritiert? Jeder von uns, auch jeder Kleriker, wird sich für das, was er sagt und tut, eines Tages verantworten müssen. Wir sind dazu bestellt, füreinander zu beten, nicht einander zu richten.

Pius XII. schreibt weiter: „In unserer Zeit, welche die Grundlagen der Autorität freventlich zu erschüttern sucht, ist es unbedingt notwendig, dass der Priester, der den Sinn fest auf die Gebote des Glaubens richtet, eben diese Autorität anerkennt und nach Gebühr ihr folgt, nicht nur als der notwendigen Sicherung der Religion und der Gesellschaft, sondern auch als der Grundlage seiner persönlichen Heiligung. Während die Feinde Gottes in verbrecherischer List Einzelne aufstacheln und sie zu einem Widerstand gegen die Weisungen ihrer heiligen Mutter, der Kirche, verführen, loben Wir die große Schar der Priester und ermuntern sie väterlich, ihren christlichen Gehorsam klar zu zeigen und die unbedingte Treue gegen Christus und gegen die von ihm eingesetzte Obrigkeit aufrecht zu erhalten, da sie »für würdig erfunden wurden, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden« (Apg 5, 41), und nicht nur Schmach, sondern Verfolgungen, Kerker, ja selbst den Tod.“ Pius XII. ruft auch zur Milde auf, die aber ausgerichtet ist auf Christus und Seine Kirche: „Ferner erstrahle euer apostolischer Eifer im Lichte größter Milde. Wenn es auch unumgänglich unser aller Pflicht ist, die Irrtümer zu widerlegen und die Laster zu bekämpfen, so darf dennoch der Priester niemals das Gefühl des Mitleids verlieren.“ Wer Irrtümer benennt, tut dies nicht, als sei er selbst zum Richter bestellt: „Die Irrtümer müssen mit aller Kraft bekämpft werden, doch die irrenden Brüder muss man lieben und durch Liebe auf den Weg des Heils zurückführen.“ Und das ist nicht weniger wichtig: Nicht nur vom kirchlichen Gehorsam, sondern auch von der christlichen Liebe ist niemand dispensiert.

Pius XII. gibt praktische Ratschläge: „Die jungen Seminaristen sollen schon früh lernen, ihren Oberen kindlichen und aufrichtigen Gehorsam zu leisten. So werden sie später auch ihren Bischöfen bereitwillig gehorchen, nach der Mahnung des glorreichen Bekenners Christi, Ignatius von Antiochien: »Gehorchet alle dem Bischof, wie Jesus Christus dem Vater gehorcht hat« (Ad Smyrnaeos, VIII, 1). »Wer den Bischof ehrt, wird von Gott geehrt; wer hinter dem Rücken des Bischofs handelt, dient dem Teufel« (Ebd., IX, 1, 714, 715). »Tut nichts ohne den Bischof, hütet euren Leib, wie den Tempel Gottes, liebt die Einigkeit, flieht die Zwietracht, seid Nachahmer Jesu Christi, wie er der Nachahmer seines Vaters war« (Ad Philadelphienses VII, 2).“ Ist das nur an Seminaristen adressiert? Klingen Pius‘ Worte für Sie altmodisch – oder unerwartet aktuell?

Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen. Wir alle spüren in diesen Tagen der Wüste den Hunger nach der Feier der heiligen Messe, scheint mir, nach dem Brot des Lebens und nach der vollen Teilhabe an den Sakramenten. Die Worte des großen Papstes Pius XII., den viele einfach gläubige Katholiken wie einen Heiligen verehren, scheinen mir sehr bedenkenswert und beherzigenswert zu sein. Im Geist der gotteskindlichen Demut denke ich in diesen Tagen oft darüber nach, besonders im Gebet für die Einheit der Christen und der Kirche. Ja, Papst Pius XII. hat an die Kleriker geschrieben. Zum Streben nach Heiligkeit sind wir alle aufgerufen – und dazu, Christus und Seiner Kirche treu zu sein. Dieses päpstliche Mahnschreiben ist fast 70 Jahre alt. Es spricht in unsere Zeit. Vielleicht wäre es gut, in diesen nicht einfachen Zeit der Corona-Pandemie die Worte von Pius XII. zu lesen und darüber nachzudenken.

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Quelle

Lesen Sie auch die Apostolische Exhoration „Menti Nostrae“ von Papst Pius XII.

Papst Franziskus: Motu Proprio „Ihr seid das Licht der Welt“ („Vos estis lux mundi“)

APOSTOLISCHES SCHREIBEN
IN FORM EINES «MOTU PROPRIO»

VON PAPST
FRANZISKUS

VOS ESTIS LUX MUNDI

 

»Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben« (Mt 5,14). Unser Herr Jesus Christus ruft jeden Gläubigen, ein leuchtendes Vorbild an Tugend, Integrität und Heiligkeit zu sein. Wir alle sind nämlich berufen, in unserem Leben und insbesondere in unserer Beziehung zum Nächsten konkretes Zeugnis für den Glauben an Christus zu geben.

Die Verbrechen sexuellen Missbrauchs beleidigen unseren Herrn, verursachen physische, psychische und spirituelle Schäden bei den Opfern und verletzten die Gemeinschaft der Gläubigen. Damit solche Phänomene in all ihren Formen nicht mehr geschehen, braucht es eine ständige und tiefe Umkehr der Herzen, die durch konkrete und wirksame Handlungen bezeugt wird; diese beziehen alle in der Kirche mit ein, sodass die persönliche Heiligkeit und der moralische Einsatz dazu beitragen können, die volle Glaubwürdigkeit der Verkündigung des Evangeliums und die Wirksamkeit der Sendung der Kirche zu fördern. Dies wird nur mit der Gnade des Heiligen Geistes, der in die Herzen ausgegossen ist, möglich, denn wir müssen immer des Wortes Jesu eingedenk sein: »Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen« (Joh 15,5). Auch wenn schon vieles getan wurde, müssen wir weiter aus den bitteren Lektionen der Vergangenheit lernen, um hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.

Diese Verantwortung fällt in erster Linie auf die Nachfolger der Apostel, denen Gott die pastorale Leitung seine Volkes anvertraut hat, und fordert von ihnen den Einsatz, den Spuren des Göttlichen Meisters nahe zu folgen. Aufgrund ihres Dienstamtes nämlich leiten sie »die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter und Gesandte Christi durch Rat, Zuspruch, Beispiel, aber auch in Autorität und heiliger Vollmacht, die sie indes allein zum Aufbau ihrer Herde in Wahrheit und Heiligkeit gebrauchen, eingedenk, dass der Größere werden soll wie der Geringere und der Vorsteher wie der Diener« (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 27). Was die Nachfolger der Apostel dringender betrifft, geht auch alle an, die auf verschiedene Weise Dienste in der Kirche übernehmen, die evangelischen Räte leben oder gerufen sind, dem christlichen Volk zu dienen. Daher ist es gut, auf universalkirchlicher Ebene Verfahrensweisen anzuwenden, um diesen Straftaten, die das Vertrauen der Gläubigen verraten, vorzubeugen und entgegenzuwirken.

Mein Wunsch ist es, dass dieser Einsatz in völlig kirchlicher Weise ausgeführt wird und demnach Ausdruck der Gemeinschaft ist, die uns vereint, im gegenseitigen und offenen Hören auf die Beiträge derer, denen dieser Prozess der Umkehr am Herzen liegt.

Deshalb verfüge ich:

 

TITEL 1
ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN

 

Art. 1 – Anwendungsbereich

§ 1. Die vorliegenden Normen finden Anwendung im Fall von Meldungen in Bezug auf Kleriker oder auf Angehörige von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens, die Folgendes betreffen:

a)       Straftaten gegen das sechste Gebot des Dekalogs, nämlich:

I.        unter Gewalt oder Drohung oder durch Amtsmissbrauch erfolgter Zwang, sexuelle Handlungen zu vollziehen oder zu erleiden;

II.       der Vollzug sexueller Handlungen mit einer minderjährigen oder mit einer schutzbedürftigen Person;

III.      die Herstellung, die Darbietung, der Besitz oder die Verbreitung von kinderpornographischem Material auch auf telematischem Weg sowie die Anwerbung oder Verleitung einer minderjährigen oder schutzbedürftigen Person, an pornographischen Darbietungen teilzunehmen.

b)       die Verhaltensweisen, die von den in Artikel 6 genannten Personen verwirklicht werden und in Handlungen oder Unterlassungen bestehen, die darauf gerichtet sind, die zivilen Untersuchungen oder kirchenrechtlichen Untersuchungen verwaltungsmäßiger oder strafrechtlicher Natur gegenüber einem Kleriker oder einer Ordensperson bezüglich der unter dem Buchstaben a) dieses Paragraphen genannten Vergehen zu beeinflussen oder zu umgehen.

§ 2. Bezüglich der vorliegenden Normen versteht man unter:

a)       »minderjährig«: jede Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder ihr vom Gesetz gleichgestellt wird;

b)       »schutzbedürftige Person«: jede Person im Zustand von Krankheit, von physischer oder psychischer Beeinträchtigung oder von Freiheitsentzug, wodurch faktisch, auch gelegentlich, ihre Fähigkeit zu verstehen und zu wollen eingeschränkt ist, zumindest aber die Fähigkeit, der Schädigung Widerstand zu leisten.

c)        »kinderpornographisches Material«: jede Darstellung einer minderjährigen Person, die unabhängig vom verwendeten Mittel in explizite sexuelle Handlungen, seien sie real oder simuliert, verwickelt ist, oder jede Darstellung der Geschlechtsorgane von Minderjährigen zu vorwiegend sexuellen Zwecken.

 

Art. 2 – Annahme der Meldungen und Datenschutz

§ 1. Unter Berücksichtigung der Weisungen, die eventuell von den jeweiligen Bischofskonferenzen, Synoden der Bischöfe der Patriarchatskirchen und der großerzbischöflichen Kirchen oder von den Hierarchenräten der Metropolitankirchen sui iuris in Kraft gesetzt wurden, müssen die Diözesen oder Eparchien – einzeln oder gemeinsam – innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten der vorliegenden Normen ein oder mehrere feste Systeme bestimmen, die der Öffentlichkeit leicht zugänglich sind, um Meldungen einzureichen. Dies kann auch durch die Errichtung einer eigenen kirchlichen Behörde geschehen. Die Diözesen und Eparchien informieren den Päpstlichen Vertreter über die Einrichtung der in diesem Paragraphen genannten Systeme.

§ 2. Die Informationen, von denen in diesem Artikel die Rede ist, werden so geschützt und behandelt, dass die Sicherheit, die Unversehrtheit und die Vertraulichkeit gemäß can. 471, 2° CIC und can. 244 § 2, 2° CCEO gewährleistet ist.

§ 3. Vorbehaltlich der Bestimmung in Artikel 3 § 3 leitet der Ordinarius, der die Meldung erhalten hat, diese unverzüglich an den Ordinarius des Ortes, wo die Taten stattgefunden haben sollen, sowie an den eigenen Ordinarius der angezeigten Person weiter. Beide werden nach Maßgabe des Rechts entsprechend dem, was für den spezifischen Fall vorgesehen ist, vorgehen.

§ 4. Im Sinne dieses Titels sind die Eparchien den Diözesen gleichgestellt und der Hierarch dem Ordinarius.

 

Art. 3 – Meldung

§ 1. Vorbehaltlich der in can. 1548 § 2 CIC und can. 1229 § 2 CCEO vorgesehenen Fälle hat ein Kleriker oder ein Angehöriger eines Instituts des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens jedes Mal, wenn er Nachricht darüber hat oder triftige Gründe zur Annahme hat, dass eine der Taten nach Artikel 1 begangen wurde, die Pflicht, die Tatsache beizeiten dem Ordinarius des Ortes, wo die Taten stattgefunden haben sollen, oder einem anderen Ordinarius gemäß can. 134 CIC und can. 984 CCEO zu melden, unter Vorbehalt der Bestimmung des § 3 dieses Artikels.

§ 2. Jeder kann eine Meldung machen im Hinblick auf die Verhaltensweisen nach Artikel 1, indem er von den Bestimmungen nach dem voranstehenden Artikel oder von jeder anderen geeigneten Art und Weise Gebrauch macht.

§ 3. Wenn die Meldung eine der in Artikel 6 genannten Personen betrifft, wird diese der Autorität gemacht, die auf Grundlage der Artikel 8 und 9 festgestellt wurde. Die Meldung kann immer direkt oder über den Päpstlichen Vertreter an den Heiligen Stuhl gerichtet werden.

§ 4. Die Meldung enthält möglichst alle erforderlichen Umstände, wie Angaben zu Zeit und Ort der Taten, der beteiligten oder informierten Personen, sowie jede andere Gegebenheit, die hilfreich sein kann, um eine genaue Beurteilung der Taten zu gewährleisten.

§ 5. Die Nachrichten können auch ex officio erworben worden sein.

 

Art. 4 – Schutz dessen, der die Meldung macht

§ 1. Die Tatsache, eine Meldung gemäß Art. 3 zu erstatten, stellt keine Verletzung des Amtsgeheimnisses dar.

§ 2. Unbeschadet dessen, was in can. 1390 CIC und cann. 1452 und 1454 CCEO vorgesehen ist, sind Beeinträchtigungen, Vergeltung oder Diskriminierungen aufgrund der Tatsache, Meldung gemacht zu haben, verboten und können die Verhaltensweisen nach Artikel 1 § 1, Buchstabe b) ergänzen.

§ 3. Wer eine Meldung erstattet, dem kann kein Schweigegebot hinsichtlich ihres Inhalts auferlegt werden.

 

Art. 5 – Sorge für die Personen

§ 1. Die kirchlichen Autoritäten setzen sich dafür ein, dass diejenigen, die sagen, verletzt worden zu sein, zusammen mit ihren Familien mit Würde und Respekt behandelt werden; sie bieten ihnen im Besonderen:

a)       Annahme, Gehör und Begleitung, auch mittels spezifischer Dienste;

b)       spirituelle Betreuung;

c)        medizinische, therapeutische und psychologische Betreuung entsprechend dem spezifischen Fall;

§ 2. Das Bild und die Privatsphäre der betroffenen Personen sind genauso geschützt wie die Vertraulichkeit der persönlichen Daten.

 

TITEL 2
BESTIMMUNGEN HINSICHTLICH DER BISCHÖFE
UND GLEICHGESTELLTEN

 

Art. 6 – Subjektsbezogener Anwendungsbereich

Die Verfahrensnormen des vorliegenden Titels betreffen die unter Artikel 1 aufgeführten Verhaltensweisen folgender Personen:

a)       Kardinäle, Patriarchen, Bischöfe und Gesandte des Papstes;

b)       Kleriker, die die pastorale Leitung einer Teilkirche oder einer ihr gleichgestellten lateinischen oder ostkirchlichen Struktur, einschließlich der der Personalordinariate, innehaben oder innehatten, für während der Amtszeit (durante munere) begangene Taten;

c)        Kleriker, die die pastorale Leitung einer Personalprälatur innehatten oder innehaben, für während der Amtszeit (durante munere) begangene Taten;

d)       diejenigen, die oberste Leiter (moderator supremus) von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens päpstlichen Rechts wie auch von Klöstern sui iuris sind oder waren, für während der Amtszeit (durante munere) begangene Taten.

 

Art. 7 – Zuständiges Dikasterium

§ 1. Im Sinne des vorliegenden Titels sind unter »zuständiges Dikasterium« die Kongregation für die Glaubenslehre hinsichtlich der ihr von den geltenden Normen reservierten Straftaten zu verstehen. Hinzu kommen in allen anderen Fällen, je nach Zuständigkeit aufgrund des Eigenrechts der Römischen Kurie:

–            die Kongregation für die Ostkirchen;

–            die Kongregation für die Bischöfe;

–            die Kongregation für die Evangelisierung der Völker;

–            die Kongregation für den Klerus;

–            die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens.

§ 2. Zur Gewährleistung der besseren Abstimmung informiert das zuständige Dikasterium über die Meldung und den Ausgang der Untersuchung das Staatssekretariat und die anderen unmittelbar betroffenen Dikasterien.

§ 3. Die in diesem Titel erwähnten Mitteilungen zwischen Metropoliten und dem Heiligen Stuhl erfolgen über den Päpstlichen Vertreter.

 

Art. 8 – Verfahren, das im Fall einer Meldung über einen Bischof der Lateinischen Kirche anzuwenden ist

§ 1. Die Autorität, die eine Meldung erhält, leitet diese sowohl an den Heiligen Stuhl als auch an den Metropoliten der Kirchenprovinz weiter, in der die gemeldete Person ihren Wohnsitz hat.

§ 2. Wenn die Meldung den Metropoliten betreffen oder der Metropolitansitz vakant sein sollte, wird diese sowohl an den Heiligen Stuhl als auch an den dienstältesten Suffraganbischof weitergeleitet, für den in diesem Fall die folgenden Bestimmungen hinsichtlich des Metropoliten anzuwenden sind.

§ 3. Falls die Meldung einen Päpstlichen Gesandten betrifft, wird diese direkt dem Staatssekretariat übermittelt.

 

Art. 9 – Verfahren, das gegenüber Bischöfen der Ostkirchen anzuwenden ist

§ 1. Im Fall von Meldungen über einen Bischof einer Patriarchatskirche, einer großerzbischöflichen Kirche oder einer Metropolitankirche sui iuris werden diese an den jeweiligen Patriarchen, Großerzbischof oder Metropoliten der Kirche sui iuris weitergeleitet.

§ 2. Falls die Meldung einen Metropoliten einer Patriarchatskirche oder großerzbischöflichen Kirche betrifft, der sein Amt innerhalb des Territoriums dieser Kirchen ausübt, wird diese an den jeweiligen Patriarchen oder Großerzbischof weitergeleitet.

§ 3. In den oben genannten Fällen leitet die Autorität, die die Meldung erhalten hat, diese auch an den Heiligen Stuhl weiter.

§ 4. Falls die gemeldete Person ein Bischof oder Metropolit außerhalb des Territoriums der Patriarchatskirche, der großerzbischöflichen Kirche oder Metropolitankirche sui iuris sein sollte, wird die Meldung an den Heiligen Stuhl weitergeleitet.

§ 5. Falls die Meldung einen Patriarchen, einen Großerzbischof oder einen Metropoliten einer Kirche sui iuris oder einen Bischof der anderen Ostkirchen sui iuris betrifft, wird diese an den Heiligen Stuhl weitergeleitet.

§ 6. Die folgenden Bestimmungen bezüglich des Metropoliten finden Anwendungen auf die kirchliche Autorität, an die die Meldung auf Grundlage des vorliegenden Artikels ergeht.

 

Art. 10 – Anfängliche Pflichten des Metropoliten

§ 1. Ausgenommen den Fall, dass die Meldung offenkundig haltlos ist, bittet der Metropolit das zuständige Dikasterium umgehend um den Auftrag, die Untersuchung einzuleiten. Sofern der Metropolit die Meldung für offenkundig haltlos erachtet, informiert er den Päpstlichen Vertreter darüber.

§ 2. Das Dikasterium trifft unverzüglich Vorkehrungen, jedenfalls innerhalb von dreißig Tagen nach Erhalt der ersten Meldung seitens des Päpstlichen Vertreters oder der Bitte um Beauftragung seitens des Metropoliten, indem es angemessene Anweisungen bezüglich der Vorgehensweise im konkreten Fall gibt.

 

Art. 11 – Übertragung der Untersuchung an eine andere Person als den Metropoliten

§ 1. Sollte das zuständige Dikasterium es für angebracht halten, die Untersuchung einer anderen Person als dem Metropoliten zu übertragen, so wird dieser informiert. Der Metropolit übergibt alle relevanten Informationen und Dokumente an die vom Dikasterium beauftrage Person.

§ 2. In dem im vorhergehenden Paragraphen behandelten Fall sind die folgenden Bestimmungen bezüglich des Metropoliten auf die mit der Durchführung der Untersuchung beauftragten Person anzuwenden.

 

Art. 12 – Durchführung der Untersuchung

§ 1. Nach Erhalt des Auftrags durch das zuständige Dikasterium und unter Beachtung der erhaltenen Anweisungen wird der Metropolit persönlich oder mittels einer oder mehrerer geeigneter Personen:

a)     die bezüglich der Taten relevanten Informationen sammeln;

b)    die für die Untersuchung notwendigen Informationen und Dokumente, die in den Archiven der kirchlichen Behörden aufbewahrt sind, einsehen;

c)     die Mitarbeit anderer Ordinarien oder Hierarchen, wo erforderlich, erhalten;

d)    die Personen und Einrichtungen, auch auf ziviler Seite, die für die Untersuchung nützliche Informationen liefern können, um Auskunft bitten.

§ 2 Wenn es erforderlich sein sollte, eine minderjährige oder schutzbedürftige Person anzuhören, wird der Metropolit dies auf eine angemessene Art und Weise tun, die deren Lage Rechnung trägt.

§ 3. Falls es triftige Gründe zur Annahme gibt, dass die Untersuchung betreffende Informationen oder Dokumente unterschlagen oder vernichtet werden könnten, trifft der Metropolit die für ihre Bewahrung notwendigen Maßnahmen.

§ 4. Auch wenn er auf andere Personen zurückgreift, bleibt der Metropolit dennoch für die Leitung und Durchführung der Untersuchungen wie auch für den genauen Vollzug der im Artikel 10 § 2 enthaltenen Anweisungen verantwortlich.

§ 5. Dem Metropoliten steht ein gemäß can. 483 § 2 CIC und can. 253 § 2 CCEO frei gewählter Notar zur Seite.

§ 6. Der Metropolit ist gehalten, unparteiisch und frei von Interessenskonflikten zu handeln. Falls er meint, sich in einem Interessenskonflikt zu befinden oder nicht imstande zu sein, die notwendige Unparteilichkeit zur Gewährleistung der Integrität der Untersuchung zu bewahren, ist er verpflichtet, sich zu enthalten und den Umstand dem zuständigen Dikasterium zu melden.

§ 7. Für die Person, gegen die ermittelt wird, gilt die Unschuldsvermutung.

§ 8. Sofern es vom zuständigen Dikasterium gefordert wurde, informiert der Metropolit die Person über die Untersuchung zu ihren Lasten, hört sie hinsichtlich der Tatsachen an und lädt sie dazu sein, einen Schriftsatz zur Verteidigung einzureichen. In diesen Fällen kann die Person, gegen die ermittelt wird, von einem Prokurator Gebrauch machen.

§ 9. Alle dreißig Tage übermittelt der Metropolit dem zuständigen Dikasterium ein Informationsschreiben über den Stand der Untersuchungen.

 

Art 13. – Einbeziehung qualifizierter Personen

§ 1. In Übereinstimmung mit den allfälligen Leitlinien der Bischofskonferenz, der Synode der Bischöfe oder des Hierarchenrats über die Art und Weise, dem Metropoliten bei seinen Untersuchungen zu helfen, können die Bischöfe der jeweiligen Provinz einzeln oder gemeinsam Verzeichnisse qualifizierter Personen erstellen, aus denen der Metropolit die geeignetsten auswählen kann, um ihm, den Erfordernissen des Falls entsprechend, in der Untersuchung zu unterstützen, insbesondere unter Beachtung der Mitwirkung, die gemäß can. 228 CIC und can. 408 CCEO von Laien geleistet werden kann.

§ 2. Dem Metropoliten steht es in jedem Fall frei, andere gleichermaßen qualifizierte Personen zu wählen.

§ 3. Jeder, der den Metropoliten in der Untersuchung unterstützt, ist gehalten, unparteiisch und frei von Interessenskonflikten zu handeln. Falls er meint, sich in einem Interessenskonflikt zu befinden oder nicht imstande zu sein, die notwendige Unparteilichkeit zur Gewährleistung der Integrität der Untersuchung zu bewahren, ist er verpflichtet, sich zu enthalten und den Umstand dem Metropoliten zu melden.

§ 4. Die Personen, die den Metropoliten unterstützen, leisten den Eid, den Auftrag angemessen und treu zu erfüllen.

 

Art. 14 – Dauer der Untersuchung

§ 1. Die Untersuchungen müssen innerhalb der Frist von neunzig Tagen oder innerhalb der in den Anweisungen von Artikel 10 § 2 angegebenen Frist abgeschlossen werden.

§ 2. Bei Vorliegen gerechter Gründe kann der Metropolit das zuständige Dikasterium um Fristverlängerung bitten.

 

Art. 15 – Vorbeugende Maßnahmen

Falls die Tatsachen oder die Umstände es erfordern, schlägt der Metropolit dem zuständigen Dikasterium die Anwendung von vorbeugenden Vorkehrungen oder Maßnahmen vor, die gegenüber der Person, gegen die ermittelt wird, angemessen sind.

 

Art. 16 – Einrichtung eines Fonds

§ 1. Die Kirchenprovinzen, die Bischofskonferenzen, die Synoden der Bischöfe und die Hierarchenräte können einen Fond einrichten, der für die Bestreitung der Untersuchungskosten bestimmt ist. Dieser wird nach Vorschrift der cann. 116 und 1303 § 1, 1° CIC und des can. 1047 CCEO eingerichtet und entsprechend den Normen des kanonischen Rechts verwaltet.

§ 2. Auf Antrag des beauftragten Metropoliten werden ihm die für die Untersuchung notwendigen Summen vom Verwalter des Fonds zur Verfügung gestellt, unbeschadet der Verpflichtung, ihm eine Rechnungslegung beim Abschluss der Untersuchung vorzulegen.

 

Art. 17 – Übermittlung der Akten und des Votums

§ 1. Nach Beendigung der Untersuchung übermittelt der Metropolit dem zuständigen Dikasterium die Akten zusammen mit seinem Votum über die Untersuchungsergebnisse und als Antwort auf die allenfalls ergangenen Anweisungen gemäß Art. 10 § 2.

§ 2. Unbeschadet anschließender Anweisungen des zuständigen Dikasteriums erlöschen die Vollmachten des Metropoliten mit der Beendigung der Untersuchung.

§ 3. Unter Beachtung der Anweisungen des zuständigen Dikasteriums informiert der Metropolit die Person, die angibt, geschädigt worden zu sein, oder ihre gesetzlichen Vertreter auf Anfrage über den Ausgang der Untersuchung.

 

Art. 18 – Anschließende Maßnahmen

Das zuständige Dikasterium verfährt nach Maßgabe des Rechts entsprechend dem, was für den spezifischen Fall vorgesehen ist, außer es verfügt eine zusätzliche Untersuchung.

 

Art. 19 – Einhaltung der staatlichen Gesetze

Die vorliegenden Normen finden Anwendung, ohne die jeweils von den staatlichen Gesetzen festgelegten Rechte und Pflichten zu beeinträchtigen, insbesondere diejenigen in Bezug auf allfällige Meldepflichten an die zuständigen zivilen Behörden.

Die vorliegenden Normen sind für drei Jahre ad experimentum approbiert.

Ich lege fest, dass das vorliegende Apostolische Schreiben in Form eines Motu proprio durch Veröffentlichung im L’Osservatore Romano promulgiert wird, am 1. Juni 2019 in Kraft tritt und dann in den Acta Apostolicae Sedis publiziert wird.

Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 7. Mai 2019, dem siebten des Pontifikats.

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Quelle

Treffen mit Priestern und Ordensleuten: „Das Volk Gottes braucht keine Superhelden“

Papst Franziskus in der Kathedrale von Santiago de Chile

Berufungen zum Priester- oder Ordensleben sind persönlich, aber immer auch Teil einer größeren Gruppe, es gibt keine „Selfie“-Berufungen. In einer langen Ansprache wandte sich Papst Franziskus an diesem Dienstag in der Kathedrale von Santiago an Priester, Ordensleute und Seminaristen.

Bernd Hagenkord SJ, Vatikan

Der niedergeschlagene Petrus, der Petrus der Barmherzigkeit erfährt, der verklärte Petrus: Die Person des Jüngers und Apostels stehe für beide Dimensionen, die persönliche und die gemeinschaftliche, so der Papst, an der Geschichte vom Fischfang nach der Auferstehung (Joh 21:1-19) könne man sehen, was das bedeute.

Aus der Niedergeschlagenheit heraus

Da sei zunächst die Niedergeschlagenheit. Jesus war tot und obwohl einige dem Auferstandenen schon begegnet seien, habe dieses Ereignis so stark [gewirkt], dass sie Zeit brauchten, um das Geschehen zu verstehen. Dieser Tod habe „einen Sturm an inneren Kämpfen“ in den Herzen der Jünger ausgelöst, „Petrus hatte ihn verleugnet, Judas hatte ihn verraten, die anderen waren geflohen und hatten sich versteckt.“

“ Die größte aller Versuchungen ist, sich beim Nachgrübeln über die eigene Hoffnungslosigkeit aufzuhalten ”

Zeiten von solcher Niedergeschlagenheit hätten ihre eigenen Versuchungen, legte der Papst den Text aus. „Die Versuchung, über Ideen zu diskutieren, den Aufgaben nicht die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, sich zu sehr auf die Verfolger zu fixieren … Und ich glaube, die größte aller Versuchungen ist, sich beim Nachgrübeln über die eigene Hoffnungslosigkeit aufzuhalten“.

Ein Zustand der Unruhe

Etwas von dieser Niedergeschlagenheit lasse auch die Situation von Priestern und Ordensleuten in Chile erkennen, „Neben der Treue der großen Mehrheit ist auch das Unkraut des Bösen und als dessen Folge Skandale und Glaubensabfall angewachsen. Ein Zustand der Unruhe.“ Er wisse um den Schmerz, ausgelöst durch die Missbrauchsfälle, Schmerz vor allem wegen des Schadens und Leidens der Opfer und ihrer Familien und des betrogenen Vertrauens wegen. Schmerz dann aber auch, weil diese Missbrauchsfälle Misstrauen und Infragestellungen ausgelöst hätten, einen Mangel an Vertrauen.

„Ich weiß, dass ihr manchmal in der U-Bahn oder auf der Straße beschimpft worden seid und dass ihr an vielen Orten einen hohen Preis zahlen müsst, wenn ihr Priesterkleidung tragt“, so der Papst. „Aus diesem Grund schlage ich vor, dass wir Gott um die klare Einsicht bitten, die Realität beim Namen zu nennen, um die Kraft um Vergebung zu bitten und um die Fähigkeit zu lernen auf das zu hören, was Er uns sagt.“

Neue Situationen ohne Patentrezept

Die Gesellschaft verändere sich, auch Chile sei keine Ausnahme. Neue und unterschiedliche kulturelle Formen entstünden, die sich nicht an gewohnten Modelle anpassten. „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir oft nicht wissen, mit diesen neuen Situationen umzugehen“, in jedem Fall sei ein Zurücksehnen nach einer angeblich guten Vergangenheit – den „Fleischtöpfen Ägyptens“ – der falsche Weg, das lasse vergessen, „dass das Gelobte Land vor uns liegt“. Die Kirche müsse die Welt sehen, wie sie sei, ob es nun gefalle oder nicht.

“ Wir müssen uns bewusst sein, dass wir oft nicht wissen, mit diesen neuen Situationen umzugehen ”

In den Worten des Evangeliums: Die Netze blieben leer, die Fischer kehren heim mit leeren Händen, niedergeschlagen, eine „Stunde der Wahrheit im Leben der ersten Gemeinde.“

Der Schwäche ins Gesicht sehen

Der Kirche könne dasselbe passieren wie damals Petrus und den Jüngern, „es gibt Momente, in denen wir nicht unserem Ruhm, sondern unserer Schwäche ins Gesicht sehen.“

Dem begegnet Jesus mit der Frage „liebst du mich mehr als diese?“ „Jesus tadelt nicht und verurteilt nicht. Sein einziger Wunsch ist es, Petrus zu retten. Er möchte ihn vor der Gefahr retten, in seiner Sünde eingeschlossen zu bleiben und auf der Verzweiflung aufgrund seiner Schwäche ‚herumzukauen‘.“ Es sei eine zerstörerische Einstellung, sich selbst zum Opfer zu machen und all das Gute zu vergessen.

“ Jesus tadelt nicht und verurteilt nicht. Sein einziger Wunsch ist es, Petrus zu retten. Er möchte ihn vor der Gefahr retten, in seiner Sünde eingeschlossen zu bleiben ”

Hier werde „ein Apostel geboren“, sagte der Papst, nur das Erbarmen Gottes hält ihn, bei allen Grenzen, Sünden und Versagen. „Wir sind als Männer und Frauen gesandt, die sich bewusst sind, dass ihnen vergeben worden ist. Das ist die Quelle unserer Freude.“ Eine verwundete Kirche könne die Wunden der Welt verstehen und zu heilen versuchen, sie stelle sich nicht in den Mittelpunkt und glaube nicht, perfekt zu sein. „Das Bewusstsein, das wir verwundet sind, macht uns frei“, denn „das Volk Gottes erwartet und braucht keine Superhelden.“

Die Pädagogik Jesu

Wahre Größe komme aus dem Dienst, so der Papst, das sei die „Pädagogik unseres Herrn“.

„Mit Blick auf den niedergeschlagenen und den verwandelten Petrus sind wir eingeladen, uns von einer niedergeschlagenen und hoffnungslosen Kirche in eine Kirche zu wandeln, die Dienerin der vielen Niedergeschlagenen ist, die Seite an Seite mit uns leben. Eine Kirche, die fähig ist, ihrem Herrn im Hungernden, im Gefangenen, im Dürstenden, im Heimatlosen, im Nackten, im Kranken zu dienen … (Mt 25,35).“ Das sei nicht etwa Bevormundung oder eine reine „Wohlfahrtsmentalität“, das sei Bekehrung des Herzens.

Die eigene und die gemeinschaftliche Berufung zu leben, dazu erneut „Ja“ zu sagen sei er gekommen. Das müsse allerdings im Realismus geschehen. Denn ein solcher Realismus stütze sich auf den Blick Jesu.

(VN)

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in Notre-Dame am 30. Mai 1980

Liebe Brüder, liebe Priester!

Es ist eine ganz große Freude für mich, gleich heute abend – und zuerst – mich an euch, Priester und Diakone von Paris und Umgebung, zu wenden und durch euch an alle Priester und Diakone Frankreichs. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Priester. Ihr seid kraft des Sakraments der Priesterweihe meine Brüder. Das Schreiben, das ich am Gründonnerstag des vergangenen Jahres an euch gerichtet habe, sprach euch bereits meine besondere Wertschätzung, meine Liebe und mein Vertrauen aus. Übermorgen werde ich eine längere Begegnung mit euren Bischöfen haben, die in besonderer Weise meine Brüder sind; in Verbundenheit mit ihnen spreche ich zu euch. Aber in meinen Augen, in den Augen des Konzils seid ihr von den Bischöfen nicht zu trennen, und ich werde an euch denken, wenn ich mit ihnen spreche. Eine tiefe Gemeinschaft, die sich auf das Sakrament und den Dienst gründet, verbindet Priester und Bischöfe. Liebe Freunde, könntet ihr doch die Liebe begreifen, die ich euch in Christus Jesus entgegenbringe! Wenn Christus mir wie dem Apostel Petrus aufträgt, „meine Brüder zu stärken“, so seid es wohl zuallererst ihr, denen das zugute kommen soll.

2. Um mit Freude und Hoffnung unser Priesterleben zu führen, müssen wir zu den Quellen zurückgehen. Nicht die Welt bestimmt unsere Aufgabe, unsere Lebensform, unsere Identität. Jesus Christus bestimmt sie; die Kirche be­stimmt sie. Es ist Jesus Christus, der uns als seine Freunde auserwählt hat, damit wir Frucht bringen; der uns zu seinen Dienern gemacht hat: wir haben teil am Amt und Auftrag des einen Mittlers, der Christus ist. Er ist die Kirche, der Leib Christi, der seit 2000 Jahren kundtut, welch unentbehrlichen Platz in ihr die Bischöfe, die Priester und die Diakone innehaben.

Und ihr, Priester aus Frankreich, habt das Glück, die Erben sehr vieler Priester zu sein, die Vorbilder für die ganze Kirche bleiben und die für mich selbst eine ständige Quelle der Betrachtung sind. Ich denke, um nur von der noch nicht weit zurückliegenden Zeit zu sprechen, an den hl. Franz von Sales, an den hl. Vinzenz von Paul, an den hl. Jean Eudes, an die Lehrer der Ecole française, an den hl. Louis-Marie Grignion de Montfort, an den hl. Jean-Marie Vianney, an die Missionare des 19. und 20. Jahrhunderts, deren Arbeit ich in Afrika bewun­dert habe. Die Spiritualität aller dieser Hirten trägt den Stempel ihrer Zeit, doch die innere Dynamik ist dieselbe, und das besondere Merkmal eines jeden bereichert das Gesamtzeugnis des Priestertums, das wir leben sollen. Wie gerne wäre ich nach Ars gepilgert, wenn das möglich gewesen wäre! Der Pfarrer von Ars bleibt wirklich für alle Länder ein unvergleichliches Vorbild sowohl für die Erfüllung des Dienstes als auch für die Heiligkeit des Dieners, der sich in Gebet und Buße für die Bekehrung der Menschen hingibt.

Viele Studien und Lehrschreiben haben auch die Lebensform für die Priester eures Landes dargestellt: ich denke zum Beispiel an den wunderbaren Brief von Kardinal Suhard: „Der Priester in der Stadt.“ Das Zweite Vatikanische Kon­zil hat die gesamte Lehre vom Priestertum in die Konstitution Lumen gentium (Nr. 28) und in das Dekret Presbyterorum ordinis aufgenommen, deren Ver­dienst es ist, die Priesterweihe im Hinblick auf die apostolische Sendung im Volk Gottes und als Teilnahme am Priestertum und der Sendung des Bischofs zu betrachten. Diese Texte werden durch eine Reihe anderer ergänzt, im be­sonderen durch die Pauls VI., der Synode und durch mein eigenes Schreiben. Das also sind die Aussagen, die Dokumente, die für uns den Weg des Priester­tums beschreiben. Heute abend, an diesem erhabenen Ort, der einem Abend­mahlssaal gleicht, gebe ich euch, liebe Freunde, nur einige wesentliche Empfehlungen.

3. Vor allem, glaubt an euer Priestertum. Oh, ich weiß nur zu gut um all das, was manche Priester heute entmutigen und vielleicht wankend machen könnte. Viele Analysen und Darlegungen betonen diese tatsächlich bestehenden Schwierigkeiten – besonders die geringe Zahl der Priesterweihen -, deren ich mir voll bewußt bin, auch wenn ich mir heute abend nicht die Zeit nehme, sie alle aufzuzählen. Und dennoch sage ich euch: seid glücklich und stolz, Priester zu sein! Alle Getauften bilden ein priesterliches Volk, das heißt, sie haben Gott das geistliche Opfer ihres ganzen, von liebendem Glauben beseelten Lebens darzubringen, indem sie es mit dem einen Opfer Christi verbinden. Gepriesen sei das Konzil, das uns daran erinnert hat! Aber eben deshalb besitzen wir das Amtspriestertum, um den Laien ihr Priestertum bewußt zu machen und ihnen seine Ausübung zu ermöglichen. Wir sind Christus, dem Priester, gleichgestal­tet worden, so daß wir im Namen Christi, des Hauptes, handeln können (vgl. Presbyterorum ordinis, 2). Wir sind aus den Menschen genommen und wir bleiben arme Diener, aber unsere Sendung als Priester des Neuen Bundes ist erhaben und unentbehrlich: es ist die Sendung Christi, des einzigen Mittlers und des einzigen, der heilig macht; eine Sendung, die eine totale Hingabe unse­res Lebens und unseres Seins fordert. Niemals wird sich die Kirche mit dem Mangel an Priestern, heiligen Priestern abfinden können. Je mehr das Volk Gottes zur Reife gelangt, je mehr die christlichen Familien und die christlichen Laien ihre Aufgabe in ihren vielfältigen Einsätzen des Apostolats wahrneh­men, desto mehr brauchen sie Priester, die ganz Priester sein sollen, eben für die Vitalität ihres christlichen Lebens. Und umgekehrt, je stärker die Welt entchristlicht wird oder es ihr an Reife im Glauben fehlt, desto mehr braucht sie auch Priester, die sich voll und ganz dem Zeugnis für die Fülle des Geheimnis­ses Christi widmen sollen. Das ist die Gewißheit, die unseren priesterlichen Eifer tragen soll, das ist die Sicht, die uns anspornen muß, mit allen unseren Kräften, durch Gebet, durch Zeugnis, durch Anruf und Ausbildung, die Berufe von Priestern und Diakonen zu fördern.

4. Ich füge hinzu: Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes (vgl. Einleitung aller Briefe des hl. Paulus), bewahrt die apostolische, die missionarische Sorge, die bei der Mehrzahl der französischen Priester so lebendig ist! Viele wurden ­und das ist besonders auffallend in diesen letzten 35 Jahren – von dem glühen­den Eifer ergriffen, das Evangelium zu verkünden: inmitten der Welt, mitten im Leben unserer Zeitgenossen, in allen Schichten der Gesellschaft, unter Intellektuellen ebenso wie unter Arbeitern oder selbst in der „vierten Welt“, auch unter denen, die der Kirche oft fernstehen, die geradezu eine Mauer von der Kirche zu trennen scheint. Sie wollen das Evangelium verkündigen mit Hilfe vieler neuer Formen der Annäherung, mit Hilfe einfallsreicher und muti­ger Initiativen, die bis zur Teilnahme an der Arbeit und den Lebensbedingun­gen der Arbeiter gehen, und das im Blick auf die Sendung, j e denfalls fast immer mit bescheidenen Mitteln. Viele – Hilfsgeistliche zum Beispiel – springen unablässig in die Bresche, um den geistlichen Bedürfnissen einer entchristlich­ten, säkularisierten Welt nachzukommen, die oft durch neue kulturelle Proble­me erschüttert wird. Diese pastorale Sorge, in Gemeinschaft mit euren Bischö­fen überdacht und ausgeführt, gereicht euch zur Ehre: möge sie fortgesetzt und ständig geläutert werden. Das ist der Wunsch des Papstes. Wie kann man Prie­ster sein, ohne am Eifer des Guten Hirten teilzuhaben? Der Gute Hirte küm­mert sich um jene, die sich aus Mangel an Glauben oder religiöser Praxis von der Herde entfernt haben (vgl. Presbyterorum ordinis, 6); um so mehr küm­mert er sich um die ganze Herde der Gläubigen, um sie zu sammeln und zu stär­ken, wie es der tägliche Seelsorgsdienst so vieler Pfarrer und Vikare beweist.

5. In dieser pastoralen und missionarischen Sicht soll euer Dienst immer der eines Apostels Jesu Christi, eines Priesters Jesu Christi sein. Verliert niemals aus den Augen, wozu ihr geweiht worden seid: die Menschen im göttlichen Leben zu fördern,(vgl. ebd., Nr. 2). Das Zweite Vatikanische Konzil trägt euch gleichzeitig auf, dem Leben der Menschen nicht fremd gegenüberzustehen und „Zeugen und Ausspender eines anderen als des irdischen Lebens“ zu sein (vgl. ebd., Nr. 3).

So seid ihr Diener des Wortes Gottes, um das Evangelium zu verkünden und Verkünder des Evangeliums auszubilden, um den Glauben – den Glauben der Kirche – zu wecken, zu lehren und zu nähren, um die Menschen zur Umkehr und zur Heiligung aufzufordern (vgl. ebd., Nr. 4). Ihr nehmt teil an dem Heili­gungswerk Christi, um die Christen zu lehren, ihr Leben als Opfergabe darzu­bringen in jedem Augenblick, besonders bei der Eucharistie, die „Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ ist (ebd., Nr. 5). Und da, liebe Brüder im Prie­steramt, müssen wir stets mit äußerster Sorge auf eine Feier der Eucharistie achten, die dieses heiligen Mysteriums wahrhaft würdig ist, woran ich kürzlich in meinem diesbezüglichen Schreiben erinnerte. Unser Verhalten bei dieser Feier muß die Gläubigen wirklich in diese heilige Handlung hineinführen, die sie mit Christus, dem Heiligen Gottes, verbindet. Die Kirche hat uns dieses Ge­heimnis anvertraut, und sie sagt uns, wie wir es feiern müssen. Ihr lehrt die Christen auch, ihr ganzes Leben mit dem Geist des Gebetes zu erfüllen, ihr be­reitet sie auf die Sakramente vor; ich denke besonders an das Sakrament der Buße oder Versöhnung, das für die Bekehrung des christlichen Volkes von größter Bedeutung ist. Ihr seid Erzieher im Glauben, Former der Gewissen, Führer der Seelen, um es jedem Christen zu ermöglichen, seine persönliche Berufung gemäß dem Evangelium in einer aufrichtigen und tätigen Liebe zur Entfaltung zu bringen, in den Tagesereignissen zu lesen, was Gott von ihm erwartet, seinen Platz in der Gemeinschaft der Christen voll einzunehmen, de­ren Sammler und Hirten ihr seid und die missionarisch sein muß (vgl. ebd., Nr. 6), auch seine irdischen Verantwortlichkeiten in der Gemeinschaft der Menschen in einer dem christlichen Glauben entsprechenden Weise wahrzu­nehmen. Die Katechumenen, die Getauften, die Gefirmten, die Eheleute, die Ordensmänner und Ordensfrauen, einzeln oder in Gemeinschaft, zählen auf eure besondere Hilfe, damit sie so werden, wie sie sein sollen.

Kurz, alle eure Kräfte werden dem geistlichen Wachstum des Leibes Christi ge­widmet, ob euch ein bestimmter Dienst oder die missionarische Präsenz über­tragen wird. Euer Beruf ist Quelle ganz großer Freude und auch sehr großer Opfer. Ihr seid „als Priester“ allen Menschen und allen ihren Problemen nahe. Ihr bewahrt dabei eure priesterliche Identität, die euch erlaubt, den Dienst Christi, zu dem ihr geweiht worden seid, zu garantieren. Eure priesterliche Per­sönlichkeit muß für die anderen ein Zeichen und ein Hinweis sein; so verstan­den, kann euer Priesterleben keine Laisierung zulassen.

6. Wie euer Priestertum auf die Laien bezogen ist, so fügt es sich auch in das Priestertum eures Bischofs ein. Ihr nehmt auf eurer Stufe durch das Weihe­sakrament und die kanonische Sendung am bischöflichen Dienst teil. Darauf gründet sich euer verantwortlicher und freiwilliger Gehorsam eurem Bischof gegenüber, eure kluge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm. Er ist der Vater der Gemeinschaft der Priester. Ohne ihn könnt ihr die Kirche Gottes nicht aufbauen. Er stellt die Einheit der pastoralen Verantwortung her, wie der Papst die Einheit in der Gesamtkirche herstellt. Umgekehrt übt der Bischof mit euch dank eurer Mitarbeit seine dreifache Aufgabe aus, die das Konzil ausführ­lich dargelegt hat (vgl. Lumen gentium, Nr. 25-28). So besteht eine fruchtbare Gemeinschaft, die sich nicht nur in der praktischen Zusammenarbeit zeigt, sondern die teilhat am Mysterium der Kirche und die im Priesterrat in besonde­rer Weise hervortritt.

7. Diese Einheit mit euren Bischöfen, liebe Freunde, ist untrennbar von jener Einheit, die ihr als Priester untereinander leben müßt. Alle Jünger Christi ha­ben das Gebot gegenseitiger Liebe empfangen; für euch hat das Konzil sogar von einer sakramentalen Brüderschaft gesprochen: ihr nehmt am selben Prie­stertum Christi teil (vgl. Presbyterorum ordinis, 8). Einheit muß in der Wahr­heit bestehen: ihr legt die sicheren Grundlagen für die Einheit, wenn ihr muti­ge Zeugen der von der Kirche gelehrten Wahrheit seid, damit die Christen nicht zu jeder windigen Lehre verführt werden, und wenn ihr alle Handlungen eures Dienstes in Übereinstimmung mit den von der Kirche festgelegten Normen durchführt; andernfalls würde es Ärgernis und Spaltung geben. Die Einheit muß in der apostolischen Arbeit bestehen, wo ihr zur Übernahme verschiede­ner und sich ergänzender Aufgaben in gegenseitiger Wertschätzung und Zu­sammenarbeit berufen seid. Nicht weniger notwendig ist die Einheit auf der Ebene der brüderlichen Liebe: keiner soll seinen Bruder verurteilen, indem er ihn von vornherein der Untreue verdächtigt, indem er nichts anderes weiß, als ihn zu kritisieren, ja ihn zu verleumden, wie Jesus es den Pharisäern vorwarf. Durch unsere priesterliche Liebe legen wir Zeugnis ab und bauen wir die Kir­che auf. Um so mehr haben wir die Pflicht, wie das Konzil sagt, alle Laien zur Einheit in der Liebe zu führen und zu bewirken, daß niemand sich in der Ge­meinschaft der Christen fremd fühlt (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 9). In einer nur oft gespaltenen Welt, in der die Interessen einseitig und die Methoden zu exklusiv sind, haben die Priester die schöne Berufung, Baumeister der Annä­herung und der Einheit zu sein.

8. Das alles, liebe Brüder, gehört zu der Erfahrung, die wir von Jesus Christus haben, das heißt zur Heiligkeit. Unsere Heiligkeit trägt im höchsten Maß zur Fruchtbarkeit unseres Dienstes bei (vgl. Presbyterorum ordinis, 12). Wir sind die lebendigen Werkzeuge Christi, des ewigen Priesters. Dazu werden wir mit einer besonderen Gnade beschenkt, um zum Wohl des Gottesvolkes nach der Vollkommenheit dessen zu streben, den wir vertreten. Es sind vör allem die verschiedenen Tätigkeiten unseres Dienstes, die uns von sich aus auf diese Hei­ligkeit hinordnen: vermitteln, worüber wir meditiert haben; nachahmen, was wir vollziehen; uns ganz der Meßfeier hingeben; im Stundengebet der Kirche unsere Stimme leihen; uns mit der, pastoralen Liebe Christi vereinigen … (vgl. ebd., Nr. 12-14). Unser Zölibat ist seinerseits ein Zeichen dafür, daß wir völlig dem Werk geweiht sind, zu dem der Herr uns berufen hat: der von Christus ergriffene Priester wird „zum Menschen für die anderen“, ganz verfügbar für das Reich Gottes, imstande, mit ungeteiltem Herzen die Vaterschaft in Chri­stus zu empfangen. Unsere Zugehörigkeit zur Person Jesu Christi muß daher auf jede Weise gestärkt werden: durch die Betrachtung des Wortes, durch das Gebet in Verbindung mit unserem Dienst und vor allem durch das heilige Meß­opfer, das wir jeden Tag feiern (vgl. Schreiben vom Gründonnerstag 1979, Nr. 10); es gilt, die Mittel zu benutzen, zu denen die Kirche ihren Priestern stets geraten hat. Unablässig und mit Freude müssen wir zu dem Erlebnis des ersten Anrufes zurückfinden, der von Gott an uns ergangen ist: „Komm, folge mir nach!“

9. Liebe Freunde, ich lade euch ein zur Hoffnung. Ich weiß, daß ihr „die Last des Tages und der Hitze“ sehr verdienstvoll tragt. Man könnte eine ganze Liste innerer und äußerer Schwierigkeiten aufstellen, von Ursachen der Unruhe vor allem in der Zeit des Unglaubens: niemand hat besser als der Apostel Paulus von den Drangsalen des apostolischen Dienstes gesprochen (vgl. 2 Kor 4-5), aber auch von seinen Hoffnungen. Es ist also vor allem eine Frage des Glau­bens. Glauben wir nicht, daß Christus uns geheiligt und gesandt hat? Glauben wir nicht, daß er bei uns ist, auch wenn wir diesen Schatz in zerbrechlichen Ge­fäßen tragen und selbst seiner Barmherzigkeit bedürfen, deren Diener wir für die anderen sind? Glauben wir nicht, daß er durch uns handelt, zumindest wenn wir sein Werk tun, und daß er das wachsen lassen wird, was wir unter großer Mühe seinem Geist gemäß gesät haben? Und glauben wir nicht, daß er auch die Gabe der priesterlichen Berufung allen denen gewähren wird, die mit uns arbeiten und uns ablösen sollen, vor allem wenn wir selbst die Gabe, die wir durch das Auflegen der Hände empfangen haben, neu zu beleben vermögen? Möge Gott unseren Glauben vermehren! Dehnen wir auch unsere Hoffnung auf die ganze Kirche aus: manche Mitglieder leiden, andere sind in vielfacher Weise beengt, einige erleben einen echten Frühling. Christus muß uns immer wieder sagen: „Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“ (Mt 8, 26). Christus wird die, die sich ihm anvertraut haben, die sich ihm jeden Tag anver­trauen, nicht verlassen.

10. Diese Kathedrale ist der Muttergottes geweiht. Nächstes Jahr werde ich mich zur Grotte von Massabielle in Lourdes begeben, und darüber freue ich mich. Euer Land besitzt zahlreiche Heiligtümer, wo eure Gläubigen gern zur gebenedeiten Jungfrau, ihrer Mutter, beten. Wir Priester sollten die ersten sein, sie als unsere Mutter anzurufen. Sie ist die Mutter des Priestertums, das wir von Christus empfangen haben. Ich bitte euch, vertraut ihr euer Amt, ver­traut ihr euer Leben an. Möge sie euch begleiten, wie sie die ersten Jünger be­gleitete, von der ersten frohen Begegnung in Kana, die euch an den Anfang eu­res Priestertums erinnert, bis zum Opfer am Kreuz, das unser Leben notwendi­gerweise prägt, und weiter bis Pfingsten in der immer inständigeren Erwartung des Heiligen Geistes, dessen Braut sie seit der Menschwerdung Jesu ist. Wir werden unsere Begegnung mit einem Ave Maria beschließen.

Für heute muß ich euch leider verlassen. Doch die Priester sind meinem Her­zen und meinem Gebet stets nahe. Im Namen des Herrn will ich euch segnen: Ich segne jeden von euch, ich segne die Priester, die ihr vertretet, ich segne be­sonders diejenigen, die physische oder moralische Prüfungen durchmachen, die die Einsamkeit oder die Versuchung erfahren. Möge Gott ihnen allen sei­nen Frieden schenken! Christus sei eure Freude! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

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Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls – 21 – Predigten und Ansprachen von Papst Johannes Paul II. bei seiner Pilgerfahrt nach Frankreich – 30. Mai bis 2. Juni 1980. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz.