Papst Franziskus in Paraguay: Seid Erbauer des Heute und des Morgen

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Heilige Messe im Heiligtum von Caacupé, Asunción

Predigt von Papst Franziskus am 11. Juli

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Hier bei euch zu sein, bedeutet für mich, dass ich mich zu Hause fühle, zu Füßen unserer Mutter, der Jungfrau der Wunder von Caacupé. In so einem Heiligtum begegnen wir uns als Söhne und Töchter unserer Mutter. Und untereinander erinnern wir uns daran, dass wir Geschwister sind. Es ist ein Ort des Festes, der Begegnung, der Familie. Wir kommen, um unsere Nöte vorzubringen; wir kommen, um Dank zu sagen, um Verzeihung zu erflehen und um wieder neu anzufangen. Wie viele Taufen, wie viele Priester- und Ordensberufungen, wie viele Verlobungen und Hochzeiten sind zu Füßen unserer Mutter geboren! Wie viele Tränen und wie viele Abschiede! Wir kommen immer mit unserem Leben; denn hier sind wir zu Hause, und das Beste ist zu wissen, dass jemand auf uns wartet.

Wie auch viele andere Male, sind wir gekommen, weil wir unsere Bereitschaft erneuern wollen, die Freude des Evangeliums zu leben.

Wie sollten wir nicht anerkennen, dass dieses Heiligtum ein lebendiger Teil des paraguayischen Volkes – von euch – ist? So empfindet ihr es, so betet ihr, so singt ihr: »In deinem Eden von Caacupé wohnt dein Volk, o reine Jungfrau, das dir seine Liebe und seinen Glauben bringt.« Und heute sind wir hier als Volk Gottes zu Füßen unserer Mutter, um ihr unsere Liebe und unseren Glauben zu bringen.

Im Evangelium haben wir soeben die Verkündigung des Engels an Maria gehört, der ihr sagt: »Freue dich, du Begnadete, der Herr ist mit Dir« (vgl. Lk 1,28). Freue dich, Maria, freue dich! Angesichts dieses Grußes war sie verwirrt und fragte sich, was das zu bedeuten habe. Sie verstand nicht viel von dem, was da ablief. Aber sie begriff, dass es von Gott kam, und sagte »Ja«. Maria ist die Mutter des »Ja«. Ja zum Traum Gottes, ja zum Plan Gottes und ja zu Gottes Willen.

Ein »Ja«, das – wie wir wissen – keinesfalls leicht zu leben war. Ein »Ja«, das ihr nicht eine Fülle von Privilegien oder Auszeichnungen einbrachte, sondern das, was Simeon dann in seiner Prophetie sagte: »Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen« (Lk 2,35). Allerdings hat es sie durchdrungen! Deshalb lieben wir sie so sehr und finden in ihr eine wahre Mutter, die uns hilft, den Glauben und die Hoffnung lebendig zu halten auch inmitten komplizierter Situationen. Auf der Linie der Prophetie des Simeon wird es uns gut tun, drei schwierige Momente im Leben Marias kurz in der Erinnerung vorüberziehen zu lassen:

Erstens: Die Geburt Jesu. Es war kein Platz für sie (vgl. Lk 2,7). Sie hatten kein Haus, keine Wohnstätte, um ihren Sohn zu empfangen. Es gab keinen Platz, wo sie ihn zur Welt bringen konnten. Und es war auch keine Familie in der Nähe: Sie waren allein. Der einzige verfügbare Ort war eine Grotte für die Tiere. Und in ihrem Gedächtnis klangen sicher die Worte des Engels nach: »Freue dich, Maria, der Herr ist mit dir.« Und sie hätte sich fragen können: »Wo ist er jetzt?«

Der zweite Moment: Die Flucht nach Ägypten. Sie mussten wegziehen, ins Exil gehen. Dort hatten sie nicht nur keine Bleibe, keine Familie, sondern ihr Leben war sogar in Gefahr. Sie muss­ten sich auf den Weg machen in ein fremdes Land. Sie wurden zu verfolgten Migranten wegen der Gier und der Missgunst des Herrschers. Und da hätte sie sich auch fragen können: »Und wo ist das, was der Engel mir angekündigt hat?«

Der dritte Moment: Der Tod am Kreuz. Es wird keine schwierigere Situation für eine Mutter geben, als dem Tod ihres Sohnes beizuwohnen. Es sind herzzerreißende Momente. Dort sehen wir Maria am Fuß des Kreuzes, unerschütterlich wie jede Mutter. Sie gibt nicht auf. Sie begleitet ihren Sohn bis zum Äußersten des Todes, bis zum Tod am Kreuz. Und dort hätte sie sich auch fragen können: »Wo ist das, was der Engel mir angekündigt hat?«… Später sehen wir, wie sie die Jünger zusammenhält und stützt.

Wir betrachten ihr Leben, und wir fühlen uns verstanden. Wir können uns zum Beten niederlassen und eine gemeinsame Sprache verwenden angesichts einer Unzahl von Situationen, die wir jeden Tag erfahren. Wir können uns mit vielen Situationen ihres Lebens identifizieren, ihr von unserer Wirklichkeit erzählen, denn sie versteht sie.

Sie ist eine Frau des Glaubens, ist die Mutter der Kirche; sie hat geglaubt. Ihr Leben ist Zeugnis dafür, dass Gott nicht enttäuscht, dass Gott sein Volk nicht verlässt, auch wenn es Augenblicke oder Situationen gibt, in denen es scheint, als wäre er nicht da. Sie war die erste Jüngerin, die ihren Sohn begleitet und die Hoffnung der Apostel in den schwierigen Momenten gestützt hat. Diese hatten sich vor Angst mit – ich weiß nicht wie vielen – Schlüsseln im Abendmahlssaal verbarrikadiert… Sie war die Frau, die Acht gegeben hat und – als es schien, dass die Festfreude zu erlöschen begann – zu sagen wusste: »Sie haben keinen Wein mehr« (Joh 2,3). Sie war die Frau, die zu ihrer Verwandten Elisabet ging und »etwa drei Monate« (Lk 1,56) bei ihr blieb, damit sie während der Geburt nicht allein sei. Sie ist unsere Mutter, eine so gute, so großherzige Begleiterin in unserem Leben.

All das wissen wir aus dem Evangelium, aber wir wissen auch, dass sie auf dieser Erde die Mutter ist, die uns in so vielen schwierigen Situationen zur Seite gestanden hat. Dieses Heiligtum hütet und bewahrt das Gedächtnis eines Volkes, das weiß, dass Maria Mutter ist und dass sie immer an der Seite ihrer Söhne und Töchter war und ist.

Sie war und ist in unseren Krankenhäusern, in unseren Schulen, in unseren Häusern. Sie war und ist bei uns in der Arbeit und auf dem Weg. Sie war und ist am Tisch in jedem Haus. Sie war und ist bei der Bildung des Vaterlandes, indem sie uns zu einer Nation macht. Immer mit einer unaufdringlichen und lautlosen Gegenwart. Im Blick auf ein Marienbild, auf ein Andachtsbildchen oder auf eine Medaille. Unter dem Zeichen eines Rosenkranzes wissen wir, dass wir nicht allein sind, dass sie uns begleitet.

Und warum? Weil Maria einfach inmitten ihres Volkes sein wollte, bei ihren Söhnen und Töchtern, bei ihrer Familie. Indem sie von der Volksmenge aus Jesus immer folgte. Als gute Mutter hat sie die Ihren nicht verlassen, sondern hat im Gegenteil immer dort eingegriffen, wo eines ihrer Kinder sie nötig haben mochte. Einfach, weil sie Mutter ist.

Eine Mutter, die gelernt hat, zuzuhören und inmitten so vieler Schwierigkeiten zu leben, angefangen von jenem »Fürchte dich nicht … der Herr ist mit dir« (Lk 1,30.28). Eine Mutter, die uns immer wieder sagt: »Was er euch sagt, das tut« (Joh 2,5). Das ist ihre beständige und fortwährende Einladung: »Was er euch sagt, das tut.« Sie hat kein eigens Programm, sie kommt nicht, um uns etwas Neues zu sagen; es gefällt ihr viel mehr, im Schweigen zu verharren; so begleitet nur ihr Glaube unseren Glauben.

Ihr wisst das, ihr habt das erfahren, was wir hier miteinander besprechen. Ihr alle, alle Paraguayer haben das lebendige Gedächtnis eines Volkes, das diese Worte des Evangeliums gleichsam »inkarniert« hat. Und ich möchte mich in besonderer Weise an euch paraguayische Frauen und Mütter wenden, die ihr mit großem Mut und großer Opferbereitschaft verstanden habt, ein von einem ungerechten Krieg geschlagenes, vernichtetes und versenktes Land wieder aufzurichten. Ihr habt das Gedächtnis, ihr habt das Erbgut jener Frauen, die gemeinsam mit Maria das Leben, den Glauben und die Würde eures Volkes wieder hergestellt haben. Sie haben sehr, sehr schwere Situationen gemeistert, die nach einer allgemeinen Logik jedem Glauben widersprochen hätten. Ihr habt dagegen, getrieben und unterstützt von der Jungfrau, weiter geglaubt, sogar voll Hoffnung gegen alle Hoffnung (vgl. Röm 4,18). Als alles zusammenzubrechen schien, habt ihr euch mit Maria gesagt: Wir fürchten uns nicht, der Herr ist mit uns, er ist mit unserem Volk, mit unseren Familien; tun wir, was er uns sagt.

Daher habt ihr in der Vergangenheit die Kraft gefunden – und findet sie auch heute -, um nicht zuzulassen, dass dieses Land im Chaos versinkt. Gott segne diese Ausdauer, Gott segne und stärke euren Glauben, Gott segne die paraguayische Frau, die ruhmreichste Amerikas.

Als Volk sind wir zu unserem Haus gekommen, zum Haus des paraguayischen Vaterlandes, um noch einmal diese Worte zu hören, die uns so gut tun: »Freue dich … der Herr ist mit dir.« Es ist ein Appell, nicht das Gedächtnis zu verlieren, nicht die Wurzeln zu verlieren, die so vielen Zeugnisse, die ihr von gläubigen Menschen empfangen habt, die in eure Kämpfe verstrickt waren. Ein Glaube, der Leben geworden ist, ein Leben, das Hoffnung geworden ist, und eine Hoffnung, die euch dazu führt, in der Liebe vorauszugehen. Ja, geht nach der Art Jesu weiter voraus in der Liebe! Ihr sollt die Träger dieses Glaubens, dieses Lebens, dieser Hoffnung sein! Paraguayer, seid Erbauer des Heute und des Morgen!

Indem ich wieder auf das Bild Marias schaue, lade euch ein, gemeinsam zu sprechen: »In deinem Eden von Caacupé wohnt dein Volk, o reine Jungfrau, das dir seine Liebe und seinen Glauben bringt.« Alle gemeinsam: In deinem Eden von Caacupé wohnt dein Volk, o reine Jungfrau, das dir seine Liebe und seinen Glauben bringt. Bitte für uns, heilige Gottesmutter, auf dass wir würdig werden, die Verheißungen und die Gnaden unseres Herrn Jesus Christus zu empfangen. Amen.

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Quelle: L´Osservatore Romano 29/2015