Merkels befangene Verfassungsrichter

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht gehört bisher zu den angesehensten Institutionen des deutschen Staates. Daß sich dies möglicherweise bald ändern könnte, hat auch mit dem Verhalten der Richter selbst zu tun. Unisono ließen sie sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Abendessen und zu geselliger Runde ins Kanzleramt einladen – einige Tage bevor der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts über eine Klage gegen die Kanzlerin wegen Verletzung ihrer Neutralitätspflicht zu entscheiden hat.

Der sicherlich nur kleine Vorgang wirft ein großes Schlaglicht auf eine zunehmende Verwischung der Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative.

 Von einer ernsten Trennung der ersten und zweiten Gewalt mag ohnehin niemand mehr ernsthaft reden. Angehörige der Bundesregierung und die Kanzlerin dürfen selbstverständlich ihr Bundestagsmandat behalten, womit es zu einer Vermischung von Regierung und Parlament kommt.

Die Zwitterstellung der etwa drei Dutzend Parlamentarischen Staatssekretäre, deren Regierungsamt an ihr Bundestagsmandat gekoppelt ist, führt zu einer weiteren Vermischung der ersten und zweiten Gewalt. In dieser Legislaturperiode haben die Bundestagsabgeordneten auch nicht ein einziges Mal gegen die Regierung gestimmt, die die Vorlagen für das Parlament am liebsten auch selbst schreibt.

Verletzung der Neutralitätspflicht

Was bleibt, ist die Unabhängigkeit der Justiz. Sie ist in der deutschen Volksseele tief verankert. Selbst heute noch kennt man die Legende vom Müller von Sanssouci, der von Friedrich II. enteignet werden sollte und auf die Drohungen des Königs mit entschädigungsloser Enteignung mit der Bemerkung reagiert haben solle, es gebe ja noch das Kammergericht in Berlin.

Ob so ein Satz heute noch eine analoge Anwendung auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe finden würde, darf nicht erst seit dem Dinner mit Merkel bezweifelt werden. Bei dem jetzt anhängigen Verfahren geht es um eine Reaktion der Kanzlerin auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Regierungschef im Februar 2020, die mit Stimmen von CDU und AfD erfolgte sein dürfte. Die Kanzlerin hatte damals während einer Reise durch Südafrika auf einem Flughafen erklärt, „daß dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb auch das Ergebnis rückgängig gemacht werden muß“.

Die AfD sieht in Merkels Äußerung eine Verletzung der Neutralitätspflicht der Bundeskanzlerin, die sich nicht in Angelegenheiten anderer politischer Ebenen einmischen darf. Der rechtspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Brandner, erklärt dazu, „daß sich die Vorsitzende des Zweiten Senats (Doris König) und wohl auch weitere Richter desselben drei Wochen vor dieser mündlichen Verhandlung mit der Beklagten auf deren Einladung und faktisch deren Kosten zum Abendessen treffen, wirft die Frage auf, ob sie in diesem Verfahren weiterhin als unbefangen betrachtet werden können“.

„Was für eine Bananenrepublik“

Die AfD hat daher einen Befangenheitsantrag gegen die Richter des Zweiten Senats stellen lassen, da dieses Verhalten „gravierende Zweifel an deren Unparteilichkeit“ wecke. Unterstützung findet die Ansicht der AfD beim bekannten Verfassungsrechtler Ulrich Battis, der in der Bild-Zeitung erklärte: „Es handelt sich bei diesen Treffen zwischen Verfassungsgericht und Kanzlerin nicht um ein geselliges Beisammensein, sondern um Gespräche oberster Verfassungsorgane. Ob die Zusammenkunft in zeitlicher Nähe zu der Verhandlung klug war, darf allerdings bezweifelt werden.“

Zweifel am Bundesverfassungsgericht weckte bereits die Wahl des heutigen Präsidenten Stephan Harbarth zum Bundesverfassungsrichter und Vizepräsidenten am 22. November 2018. Harbarth war zuvor Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewesen und sogar stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Schon das kumpelhafte Händeschütteln und Schulterklopfen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses wirkten irgendwie verstörend. Auch kannte Harbath keine Bedenken, an der eigenen Wahl teilzunehmen, wie im Protokoll der Sitzung nachzulesen ist.

Selbst nach seiner Wahl durch den Bundestag und vor Antritt seines Richteramtes wirkte er weiter im Bundestag mit. So hielt er am 30. November 2018 noch eine Rede zur Migrationspolitik, ehe er sich am Nachmittag dieses Tages vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Richter am Bundesverfassungsgericht ernennen ließ. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel kommentierte damals in einem Zwischenruf laut Bundestagsprotokoll: „Was für eine Bananenrepublik.“

Bundesbank-Präsident personell eingerahmt

Harbarth ist aber nicht der einzige Verfassungsrichter mit einer politischen Agenda. Im Zweiten Senat des Verfassungsgerichts, der über die AfD-Klage gegen Merkel zu entscheiden hat, wirkt auch Peter Müller (CDU) mit, von 1999 bis 2011 Ministerpräsident des Saarlandes.

 Daß immer mehr Politiker in einstmals unabhängige Institutionen einrücken, ist beispielhaft an der Deutschen Bundesbank zu beobachten, deren Ansehen in der Öffentlichkeit genauso wie das des Bundesverfassungsgerichts sehr hoch ist.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann war zwar früher im Kanzleramt bei Merkel tätig, hat sich aber eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. Weidmann ist inzwischen von drei ehemaligen Politikern eingerahmt. Zum insgesamt sechsköpfigen Vorstand der Bundesbank gehören Johannes Beermann (CDU), früher Minister in Hessen und Sachsen, sowie die ehemaligen Europaabgeordneten der Union, Joachim Wuermeling und Burkhard Balz. Bei so viel Durchmischung darf man sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Institutionen sinkt.

Wegen Merkel-Äußerung: Thüringer Ministerpräsidentenwahl wird Fall für Verfassungsgericht

Nachdem Angela Merkel im vergangenen Jahr via Anruf aus Südafrika die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen für ungültig erklärte, muss sich nun das Bundesverfassungsgericht mit dem totalitären Gebaren der Kanzlerin auseinandersetzen.

Aus Sicht der AfD haben die Kanzlerin und die Bundesregierung ihre Pflicht zur Neutralität im politischen Meinungskampf und damit das Recht der AfD auf Chancengleichheit der politischen Parteien verletzt. Deshalb wird sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Vorgang rund um die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten beschäftigen müssen. Die Karlsruher Richter wollen sich am 21. Juli mit der Frage befassen, ob Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sich auf einer offiziellen Pressekonferenz bei einer Auslandsreise dazu äußern durfte und die Statements im Internet auf den Seiten der Kanzlerin und der Bundesregierung veröffentlicht werden durften. (Az.: 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20).

Die Kanzlerin hatte, nachdem mit Stimmen der AfD Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, von Südafrika aus verkündet: „Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen.“ Der Vorgang sei „unverzeihlich“, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden. „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“ Die CDU dürfe sich nicht an einer Regierung unter Kemmerich beteiligen.

Weder die Äußerungen noch ihre Veröffentlichungen seien verfassungsrechtlich zu beanstanden, so die Verteidigung der Gegenseite. Merkel habe sich nicht in amtlicher Funktion geäußert, sondern als Parteipolitikerin. Zudem habe sie sich ausschließlich an die CDU gewandt. Die AfD sei also „lediglich mittelbar“ betroffen. Das Statement sei dann aus „Gründen der Gesamtdokumentation“ des Staatsempfangs veröffentlicht worden, berichtet hierzu die Welt. (SB)

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Quelle

Von Storch/Münzenmaier/Komning/Wirth: AfD-Abgeordnete erheben Verfassungsbeschwerde gegen Infektionsschutzgesetz

Berlin, 28. April 2021. Die stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch und Sebastian Münzenmaier sowie der Parlamentarische Geschäftsführer Enrico Komning und der Abgeordnete Dr. Christian Wirth haben vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen das geänderte Infektionsschutzgesetz eingereicht. Wirth wird die Verfassungsbeschwerden als Rechtsanwalt vor Gericht vertreten.

Sebastian Münzenmaier: „Die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes schränkt die Bürger willkürlich und massiv in ihren Grundrechten ein. Wir rufen daher stellvertretend für alle Bürger das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an und erheben persönlich Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz und die darin enthaltenen Verletzungen unserer Freiheitsrechte.“

Beatrix von Storch: „Das ist ein Präzedenzfall auch für die Zukunft. Das Urteil wird zeigen, ob die Grundrechte wirklich unverletzlich sind oder Regierungen diese auch in anderen Situationen, etwa nach Ausrufen eines ‚Klimanotstandes‘, willkürlich außer Kraft setzen können.“

Enrico Komning: „Vor allem die in dem Gesetz vorgesehenen Ausgangsbeschränkungen schränken pauschal und unverhältnismäßig zentrale vom Grundgesetz garantierte Grundrechte wie die Freiheit der Person, die Freizügigkeit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit ein. Diesen in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Angriff auf wesentliche Bestandteile unserer Verfassung werden wir nicht widerspruchslos hinnehmen. Wir sind davon überzeugt, dass das Bundesverfassungsgericht unsere Auffassung teilt und das verfassungswidrige Infektionsschutzgesetz stoppen wird.“

Dr. Christian Wirth: „Der ‚Inzidenz-Automatismus‘ ist mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar. Er zerstört die gebotene Grenze zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt.“

Bilanz nach Mietendeckel-Demo! 48 Festnahmen, 13 verletzte Polizisten

Nach dem Aus für den Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht demonstrierten in Berlin mehrere Tausend Menschen für einen bundesweiten Mietenstopp. Es kam zu Ausschreitungen: Demo-Teilnehmer griffen Polizisten mit Holzlatten an, warfen Flaschen und Steine!

Die Protestierer kritisierten bei der Demo den Beschluss des höchsten deutschen Gerichts und forderten mehr politisches Handeln gegen den „Mietenwahnsinn“.

Viele Teilnehmer hatten am Donnerstagabend Kochtopfdeckel mitgebracht, mit denen sie kräftig Lärm erzeugten. Motto: „Wenn Sie uns einen Deckel nehmen, kommen wir mit Tausenden Deckeln wieder!“

Teilnehmer einer Kundgebung des Bündnisses «Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn» versammeln sich auf dem Hermannplatz (Foto: picture alliance)
Teilnehmer einer Kundgebung des Bündnisses «Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn» versammeln sich auf dem Hermannplatz (Foto: picture alliance)

Die Demonstranten versammelten sich zunächst gegen 17.30 Uhr am Hermannplatz in Neukölln. Von dort bewegten sie sich gegen 18.30 Uhr über mehrere Straßen bis zum Kottbusser Tor. Dort beendete die Versammlungsleitung gegen 19.40 Uhr die bis dahin laut Polizei „überwiegend störungsfrei“ verlaufene Demo.

Eine Demonstrantin steht am Kottbusser Tor mit einem Schild vor Polizisten (Foto: Christoph Soeder/dpa)
Eine Demonstrantin steht am Kottbusser Tor mit einem Schild vor Polizisten (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Gegen 19.50 hätten dann aber rund 100 der Demo-Teilnehmer Flaschen und Steine auf die Einsatzkräfte geworfen und die Beamten zum Teil mit Holzlatten attackiert, wie die Polizei am Freitag mitteilte. Daraufhin sei Reizgas eingesetzt worden. 

Bei der Demo kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei (Foto: picture alliance/dpa)
Bei der Demo kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei (Foto: picture alliance/dpa)

Rund 25 Personen hätten dann die südliche Fahrbahn des Kottbusser Tores blockiert. Es sei laut Polizei erneut zu Flaschenwürfen und Angriffen auf Einsatzkräfte gekommen.

Eine Rauchgranate bei der Demo nach dem Mietendeckel-Urteil (Foto: CHRISTIAN MANG/REUTERS)
Eine Rauchgranate bei der Demo nach dem Mietendeckel-Urteil (Foto: CHRISTIAN MANG/REUTERS)

Die Polizei hätte mit Schieben und Drücken, Tritten, Schlägen und Reizgas reagiert. Dann sei es zu mehreren Festnahmen gekommen. Aus einer Menge von rund 1000 Personen seien deswegen polizeifeindliche Sprechchöre gekommen.

Polizisten sind von Demonstranten umringt (Foto: picture alliance/dpa)
Polizisten sind von Demonstranten umringt (Foto: picture alliance/dpa)

Gegen 20.30 Uhr hätten dann rund 100 Personen die Fahrbahn des Hermannplatzes blockiert, so die Polizei. Hierbei sei es zu Sachbeschädigungen durch polizeifeindliche und linksextreme Schmierereien gekommen. Nach wiederholten Lautsprecherdurchsagen, den Platz zu verlassen, seien die letzten Demo-Teilnehmer gegen 21.30 Uhr gegangen.

Polizisten stehen bei einer Demonstration des Bündnisses „Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn“ gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel in Berlin am Kottbusser Tor (Foto: picture alliance/dpa)
Polizisten stehen bei einer Demonstration des Bündnisses „Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn“ gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel in Berlin am Kottbusser Tor (Foto: picture alliance/dpa)

Insgesamt wurden laut Polizei 13 Polizistinnen und Polizisten verletzt, acht Frauen und 40 Männer seien festgenommen worden. Gegen sie werde nun wegen besonders schweren Landfriedensbruches, tätlichen Angriffes, Gefangenenbefreiung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt.

Polizisten führen einen der Demonstranten ab (Foto: picture alliance/dpa)
Polizisten führen einen der Demonstranten ab (Foto: picture alliance/dpa)

Zu dem Protest aufgerufen hatte der Berliner Mieterverein. Die Polizei sprach von einer Teilnehmerzahl „im mittleren vierstelligen Bereich“, die Veranstalter von Tausenden Demonstranten. Laut Polizei trugen zum Schutz vor Corona praktisch alle eine Maske und bemühten sich zudem, etwas Abstand voneinander zu halten.

Die Polizei hat in der Reichenberger Straße einen Bearbeiterraum aufgebaut, wo vorläufige Festnahmen bearbeitet werden (Foto: Spreepicture)
Die Polizei hat in der Reichenberger Straße einen Bearbeiterraum aufgebaut, wo vorläufige Festnahmen bearbeitet werden (Foto: Spreepicture)

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