B. Das Objekt oder der Umfang der lehramtlichen Unfehlbarkeit der Kirche
Als das Objekt, auf welches sich die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes bezieht, nennt das Vaticanum die den Glauben und die Sitten betreffenden Lehren (doctrina de fide vel moribus; siehe § 140, 3). Wie dieser Ausdruck zu verstehen sei, ergibt sich teils aus sonstigen Lehrentscheidungen oder kirchlichen Urteilen, teils aus allgemein von der kirchlichen Wissenschaft angenommenen Sätzen, teils aus der Natur der Sache oder dem Zweck des kirchlichen Lehramtes. Es ist klar, dass das, was notwendig nach Gottes Absicht in den Bereich der kirchlichen Lehrverkündigung fällt und wofür demnach die Kirche gläubige Zustimmung von ihren Gliedern fordert, auch notwendig Objekt der Unfehlbakeit der Kirche sein müsse (siehe oben § 138, 1).
1. Das erste Objekt der unfehlbaren kirchlichen Lehrverkündigung (bzw. Lehrentscheidung) bildet hiernach das apostolische Glaubensdepositum selbst, d.h. die in der Heiligen Schrift oder in der Tradition direkt oder formell geoffenbarten Glaubens- und Sittenlehren (dogmata fidei vel morum), mögen sie nun an sich zum Gebiet der natürlichen oder der übernatürlichen Wahrheit gehören. Sie sind Gegenstand des sogen. göttlichen Glaubens (fides divina; siehe § 2, 2; 14, 3). Als ein zweites Objekt schließen sich hieran unmittelbar an die nur virtuell oder implizit geoffenbarten Wahrheiten, welche die Kirche aus formell geoffenbarten Sätzen durch logische Schlussfolgerung ableitet (conclusiones theologicae). Ferner die natürlichen nicht geoffenbarten Wahrheiten und Tatsachen, welche mit den geoffenbarten Glaubens- und Sittenlehren in einem derartigen inneren Zusammenhang stehen, dass die Reinheit und Unversehrtheit des kirchlichen Glaubens und Lebens durch sie bedingt ist (res ad integritatem fidei pertinentes; daher auch die sogen. censurae infra haeresim). Dahin gehören auch die sogen. facta docmatica (vgl. § 13). Dieses an zweiter Stelle beschriebene Gebiet ist Gegenstand der sogen. fides ecclesiastica (§ 14, 3).
Alle kirchlichen Theologen stimmen darin überein, dass die lehramtliche Unfehlbarkeit der Kirche sich auch auf das oben bezeichnete Gebiet nicht formell geoffenbarter Wahrheiten und Tatsachen erstrecke. Zur Begründung dieses Satzes weisen sie darauf hin, dass die Lehrtätigkeit der Kirche notwendig auch jenes Gebiet umfassen müsse, wenn der gottgewollte Zweck des kirchlichen Lehramtes vollkommen erfüllt werden soll (§ 13, 2); ferner darauf, dass die Kirche diese Unfehlbarkeit tatsächlich für sich in Anspruch nehme, indem sie auch für jenes Gebiet den Gehorsam des Glaubens oder der innerlichen Zustimmung von den Ihrigen fordert (vgl. die kirchlichen Lehrentscheidungen § 13, 3). Die beständige Tradition der Kirche bezüglich der facta dogmatica prägt sich tatsächlich aus in der durch alle Jahrhunderte hindurchgehenden lehramtlichen Beurteilung häretischer Lehren und Schriften sowie in der häufig vorkommenden Erscheinung, dass orthodoxe kirchliche Lehrer dem Apostolischen Stuhl ihre Schriften zur entscheidenden Prüfung ihres dogmatischen Inhaltes unterbreiten (siehe oben § 133, 4 b).
Kleutgen, Theol. der Vorzeit I, 144: „Würden die Verheißungen ihres göttlichen Stifters noch wahr sein, wenn die Kirche in den Entscheidungen, welche sie kraft ihres Lehramtes erlässt, dem Irrtum unterläge? Hat die Kirche Gewalt, nicht bloß jene Lehren, durch welche die geoffenbarte Wahrheit geradezu und ausdrücklich geleugnet wird, sondern auch diejenigen, welche ihr mittelbar widersprechen oder wie immer mit ihr unvereinbar sind, zu verwerfen und zu verbieten: so ist auch die ganze Christenheit verpflichtet, dieselben mit ihr zu verwerfen und als schlechte Lehren zu meiden. Wenn also, was die Kirche für irrtümlich, folglich für solches erklärt, das mit der Glaubenslehre, wenn auch nur mittelbar, streitet, mit der Glaubenslehre vereinbar und daher nicht irrtümlich; wenn, was sie für falsch erklärt, wahr; wenn, was sie als den Glauben und die guten Sitten gefährend bezeichnet, eine gesunde und heilsame Lehre wäre, so würde die ganze Christenheit, und zwar gerade dadurch, dass sie der ihr Lehramt rechtmäßig übenden Kirche Gehör gäbe, in Irrtum geführt. Und wäre dann diese Kirche noch die Säule und Grundfeste der Wahrheit? Wäre sie noch das auf den Felsen gegründete Gebäude, welches die Mächte der Finsternis nicht zu erschüttern vermögen? Sie hat die Verheißung, dass der Geist Gottes sie alle Wahrheit lehren, in alle Wahrheit einführen werde: ist denn diese Verheißung nicht von all der Wahrheit zu verstehen, über welche sie uns belehren soll, und wir, um dem Zweck der Offenbarung zu entsprechen, der Belehrung bedürfen? … Es ist außer allem Zweifel, dass die Kirche ebensowohl in der Sittenlehre als in der Glaubenslehre unfehlbar ist. … Nun aber enthalten die Entscheidungen, von denen wir reden, die Erklärung, dass es sündhaft sei, den Meinungen, welche in ihnen verworfen werden, anzuhangen. Denn, wie oben schon bemerkt wurde, die Kirche verbietet nicht bloß, dieselben vorzutragen, sondern verwirft sie und bezeichnet sie durch die Zensuren als solche, die wir aus Liebe und Hochschätzung der reinen Lehre des Glaubens meiden und fliehen sollen. Oder welchen anderen Sinn können jene Benennungen: sententia temeraria, scandalosa, de haeresi suspecta, haeresim sapiens u.s.w. haben? Verdiente also eine Meinung diese Benennung nicht, welche die Kirche ihr gibt, ja wäre dies derselbe Fall, als wenn ein Vertrag, den die Kirche für ungerecht erklärt, gerecht, oder eine sinnliche Handlung, die sie für unkeusch erklärt, keusch wäre.“
Ferner ist es einstimmige Lehre aller Theologen, dass die Unfehlbarkeit der Kirche in Bezug auf die formell geoffenbarten Glaubens- und Sittenlehre selbst auch direkt in der Offenbarung ausgesprochen sei (siehe oben S. 734 f.) und darum fide divina geglaubt werden müsse. Bezüglich des zweiten obengenannten Gebietes sind die Ansichten geteilt. Eine strengere Theorie (u.a. von Viva vertreten) behauptet, auch bezüglich dieses Gebietes sei die lehramtliche Unfehlbarkeit der Kirche fromell geoffenbart; sie müsse darum ebenfalls fide divina geglaubt werden; sie zu leugnen sei häretisch. Nach der zweiten, milderen Theorie (Lugo’s u.a.) ist es zwar formell geoffenbart, dass die Kirche unfehlbar sei in Bestimmung dessen, was Dogma im engeren Sinne und was Häresie sei; hingegen beruhe die Annahme ihrer Unfehlbarkeit in Bezug auf die übrigen in Rede stehenden Gebiete nur auf einer conclusio theologica. Sie sei daher unzweifelhaft als eine theologisch gewisse Lehre (veritas theologice certa; doctrina ecclesiasstica) festzuhalten; da sie jedoch nicht Gegenstand der fides divina sei, so wäre auch die Leugnung derselben nicht als Häresie, sondern als ein theologischer Irrtum (error in fide; siehe § 15, 2) zu bezeichnen.
2. Es ist ferner eine theologisch gewisse Lehre (veritas catholica), dass die Unfehlbarkeit der Kirche sich auch erstrecke auf die Kanonisation der Heiligen (a), die Approbation religiöser Ordensregeln (b) und die allgemeinen kirchlichen Disziplinarvorschriften (c). Nur von wenigen Theologen wurde dieser Satz bestritten. Hingegen wurde auch von einigen angenommen, die Unfehlbarkeit der Kirche in Bezug auf die genannten Punkte sei Gegenstand der fides divina oder ein Dogma im engeren Sinne. Im allgemeinen wird die Unfehlbarkeit der Kirche für das in Rede stehende Gebiet in ähnlicher Weise begründet wie in Bezug auf die früher (n. 1) bezeichneten nicht formell geoffenbarten Wahrheiten und Tatsachen.
a) Die Kanonisation ist das feierliche offizielle Urteil der Kirche (seit Alexander III. [1159-1181] ein Reservatrecht des Papstes), dass ein Verstorbener zu den Heiligen zu zählen und als solcher zu verehren sei, womit sich die Anordnung eines bestimmten kirchlichen Kultes verbindet. Die Unfehlbarkeit der Kirche in diesen Urteilen bedingt die Reinheit der kirchlichen Sittenlehre und die Integrität des inneren kirchlichen Lebens.
Auf die kirchlichen Beatifikationsurteile findet die obige Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche nach der fast allgemeinen Ansicht der Theologen keine Anwendung. In ihnen will die Kirche kein definitives, unabänderliches Urteil fällen; durch sie wird auch nicht die ganze Kirche zur Verehrung der Seliggesprochenen verpflichtet. Sie tragen vielmehr den Charakter eines Indultes an sich.
Doch nehmen auch wieder alle Theologen an, es sei temerär, in einem gegebenen Falle (ohne evidente, zwingende Gründe) zu behaupten, die Kirche habe tatsächlich in einem solchen Urteil geirrt. Bened. XIV. §. c. n. 9 Vgl. Al. Schmid a. a. O. S. 147.
Der in Rede stehende Glaube an die Unfehlbarkeit der Kirche bezüglich der Kanonisation der Heiligen ist keineswegs auch auf die in den liturgischen Büchern insbesondere dem Brevier, enthaltenen historischen Berichte oder Legenden über das Leben der Heiligen auszudehnen. Dies ist aus dem Grund nicht statthaft, weil die Kirche hier von ihrem unfehlbaren Lehramt durchaus keinen Gebrauch machen will. Jene Erzählungen nehmen nur den Glauben für sich in Anspruch, welchen historische Berichte überhaupt fordern. Es steht daher jedem frei, wofern er entscheidende Gründe dafür besitzt, deren Glaubwürdigkeit in geziemender Form zu bestreiten. Ohne solche Gründe dies zu tun, würde ebensosehr den Gesetzen der Wissenschaft wie der Ehrerbietung, die man der kirchlichen Überlieferung und den kirchlichen Vorgesetzten schuldet, widersprechen.
b) bezüglich der Approbation religiöser Orden unterscheidet man das kirchliche Urteil über die Orthodoxie und den sittlichen Charakter der Ordensregel und des Ordenszwecks und anderseits die Frage nach der Zweckmäßigkeit einer bestimmten Ordensstiftung oder nach der Opportunität der Gründung bzw. der Erhaltung oder Aufhebung eines Ordens. Das erstgenannte Urteil berührt unmittelbar die Glaubens- und Sittenlehre, mithin den Zweck des kirchlichen Lehr- und Hirtenamtes, und ist darum für die ganze Kirche von entscheidender Bedeutung. Aus diesen Gründen wird in Bezug auf dieses Urteil die Infallibilität der Kirche in dem gleichen Sinne allgemein angenommen wie bezüglich der facta dogmatica u.s.f. Die Lösung der zweiten Frage schließt nur ein Urteil über tatsächliche Verhältnisse oder Zeitbedürfnisse und über die tatsächliche Beziehung eines menschlichen Instituts zu denselben ein. Die kirchliche Glaubens- und Sittenlehre wird dadurch nicht berührt. Die Grundlage ihrer Lösung (die Zeitumstände, die sozialen Verhältnisse u.s.f.) ist auch an sich dem Wechsel unterworfen. Daher kann das Urteil der Kirche bezüglich dieser Frage nicht für alle Zeiten gültig und irreformabel sein. Die Unfehlbarkeit desselben ist aber auch an sich in keinem Zeitpunkt durch den Zweck der Kirche notwendig gefordert.
c) Unter kirchlicher Disziplin ist nicht die das natürliche und übernatürliche göttliche Gesetz umfassende Sittenlehre der Kirche zu verstehen; auch werden damit nicht die von Christus selbst für alle Zeiten getroffenen Anordnungen über das äußere Verhalten der Kirche in Kultus, Leben und Verfassung (disciplina iuris divini) bezeichnet. Diese wie jene gehören zum wesentlichen Gegenstand des göttlichen Glaubens und darum auch notwendig zum Bereich der Unfehlbarkeit der Kirche (siehe n. 1).
Unter kirchlicher Disziplin versteht man vielmehr die das äußere Verhalten der Gläubigen in Kultus und Leben regelnden Vorschriften der Kirche (disciplina iuris ecclesiastici), welche sie kraft ihrer göttlichen Sendung für die Gesamtheit der Gläubigen erlässt (Anordnung von Fastagen, Festen, Andachten u. dgl.).
Weil und insoweit solche Vorschriften der praktische Ausdruck einer Glaubenswahrheit oder eines Sittengesetzes sind, muss auch auf sie die Unfehlbarkeit der Kirche sich erstrecken. Das Gleiche gilt von allgemeinen kirchlichen Gewohnheiten, welche sich ausdrücklicher oder stillschweigender Gutheißung der Kirche erfreuen. Siehe n. 1.
Hinsichtlich der Opportunität kirchlichen Disziplinarmaßnahmen gilt dasselbe, was über die Approbation religiöser Orden bemerkt wurde (b). Über die Veränderlichkeit der kirchlichen Disziplin siehe § 6, 4. Bened. XIV., De Syn. dioec. IX, S. 1: ut aliqua constituio, licet plerisque orbis christiani dioecesibus utile, allieni tamen provinciae aut peculiari dioecesi minus opportuna dignoscatur.
3. Die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes erstreckt sich so weit, als es der von Gott gewollte Zweck desselben fordert, d.h. so weit, als es zur Reinerhaltung der Glaubens- und Sittenlehre und zum ewigen heile der Menschheit notwendig ist. Aus diesem Grunde bezieht sich dieselbe (im Unterschied von der Inspiration der biblischen Schriftsteller) nur auf die geoffenbarte Glaubens- und Sittenlehre und die anderen damit wesentlich zusammenhängenden Punkte, welche oben genannt wurden, nicht aber auf das Gebiet des rein profanen Wissens (a). Auch fallen nicht unter ihren Bereich sogen. partikuläre oder persönliche Tatsachen, wodurch der allgemeine Glaube und die Sittenlehre der Kirche prinzipiell nicht berührt werden, sowie bloß private (nur einzelne Personen oder Kirche betreffende) Disziplinarvorschriften oder richterliche Urteile (b). Endlich bezieht sich die Unfehlbarkeit der Kirche auch nicht auf die Beurteilung rein politischer Fragen und Tatsachen als solcher, d.h. abgesehen von ihrem sittlichen Charakter. Die Kirche hat auch niemals eine solche Beurteilung als ein göttliches Recht für sich in Anspruch genommen und letzteres demgemäß als ein unveräußerliches reklamiert, wenn es ihr vorenthalten wurde. Wo ihr in früheren Zeiten rein politische Befugnisse zugestanden wurden, war dies nur ein Ausfluss des menschlichen Rechtes (ius humanum), d.h. eine Frucht der natürlichen Entwicklung der staatlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse unter dem Einfluss des christlichen Glaubens und der allgemeinen Glaubenseinheit (c). Zu den Wirkungen der Infallibilität gehört vor allem auch, dass die Kirche niemals willkürlich oder irrigerweise das Gebiet ihrer unfehlbaren Lehrgewalt über die von Gott ihr gezogenen Grenzen ausdehnen kann. Die desfallsige Grenzbestimmung ist schlechthin göttlichen Rechtes und gehört zu dem der Kirche unmittelbar von Gott anvertrauten Wahrheitsschatz. Sie ist darum auch vor allem Gegenstand der Infallibilität.
Daher hat auch die profane Wissenschaft, solange sie auf ihrem eigenen Gebiete sich bewegt und der geoffenbarten religiös-sittlichen Wahrheit nicht zu nahe tritt, keinerlei Einschränkung ihrer Freiheit und Selbständigkeit von der Kirche zu befürchten; vielmehr wünscht und fördert die Kirche allzeit den Fortschritt der Wissenschaften.
b) Nur für solche Tatsachen nimmt die Kirche die Unfehlbarkeit in Anspruch, welche eine allgemeine oder prinzipielle Bedeutung für die kirchliche Glaubens- und Sittenlehre besitzen (facta dogmatica universalia), nicht aber für rein private oder privatrechtliche Fragen. Das Gleiche gilt von bloß persönlichen Vorschriften und privatrechtlichen Urteilen.
Solche Vorschriften oder Urteile tragen den Charakter einer conclusio theologica an sich, deren eine Prämisse (die faktischen Verhältnisse) ungewiss ist oder doch Gegenstand des Irrtums und der Täuschung sein kann.
c) Über die historische Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Kirche und den Staaten vgl. Philipps, Kirchenr. III, § 117-119. Lehrb. des Kirchenr. S. 1233 Hergenröther, Kath. Kirche und christl. Staat S. 1-372. Über die Frage nach der direkten und indirekten Gewalt der Kirche über das Zeitliche siehe ebd. S. 373 ff. Ebd. S. 417: „Dass diese Doktrin (von der direkten Gewalt der Kirche über das Zeitliche) ganz unhaltbar ist, haben die Theologen in ihrer entschiedenen Mehrzahl wohl eingesehen und weitläufig gezeigt (vgl. Bellarm., De Rom. Pont. V 2-4). Sie weisen darauf hin, dass, wenn auch Christus alle Gewalt besitzt im Himmel und auf Erden, und der Papst auch als sein Statthalter betrachtet werden muss, doch diese Statthalterschaft sich nur auf das religiöse Gebiet erstreckt und keine unumschränkte weltliche Herrschaft in sich schließt, wenn auch mit ihr eine weltliche Herrschaft in einem bestimmten Umkreis zweckmäßig verbunden ist. Die ungläubigen Fürsten gehören nicht zu den Schafen Christi (Joh. 21, 15 ff.), und überhaupt hat die Kirche über die Ungläubigen keine Jurisdiktion (1 Kor. 5, 12); sicher würde der Papst auch nicht Heiden zu seinen Vikarien machen. Es hat derselbe auch nicht die Schlüssel der irdischen Reiche, sondern des Himmelreiches zu verwalten. Sodann haben die christlichen Herrscher durch die Annahme und Einführung des Christentums nicht ihre Herrschergewalt verloren; Christus, der himmlische Reiche verleiht, entreißt nicht die irdischen. Wäre der Papst allgemeiner Herrscher, so müssten auch die Bischöfe in ihren Städten und Diözesen überall Herrscher sein. Die praktischen Konsequenzen dieser Lehre zeigen ihre Absurdität. Die hierfür angeführten Stellen des kanonischen Rechtsbuches sind keineswegs beweisend, und die Päpste haben sich niemals eine solche Gewalt beigelegt, sondern sehr wohl die Juridiktion der weltlichen Fürsten anerkannt.“ Ebd. S. 421: „Weit zahlreicher sind die Vertreter dieses zweiten Systems (der bloß indirekten Gewalt), welches lehrt: direkt hat die Kirche nur eine geistliche Gewalt, keine weltliche; sie ist gesetzt zur Regierung der Gläubigen in der übernatürlichen Heilsordnung; ihr unterstehen an sich nur die religiösen Angelegenheiten, und in die weltlichen mischt sie sich nicht ein. Nur insofern das Zeitliche dem übernatürlichen Ziele entgegensteht oder zu dessen Erreichung notwendig ist, hat sich die Kirche um dasselbe zu bekümmern und ihre Macht zu äußern (Bellarm. 1. c. c. 6. 7). Sie hat die weltliche Gewalt da zurechtzuweisen, zu leiten und nötigenfalls zu strafen, wo sie von der rechten Bahn des göttlichen Rechtes abweicht, die Erreichung des übernatürlichen Zieles hindert, den Bestand der Religion und der Kirche gefährdet. … Diese indirekte Gewalt der Kirche über das Zeitliche ist keine weltliche, sondern eine geistliche Gewalt. Objekt derselben ist das Zeitliche nur, wenn und soweit es in die Religion eingreift und dmit aufhört, rein weltlich zu sein.“ Über das System der sogen. direktiven Gewalt siehe ebd. S. 448. Vgl. Leo XIII., Enzykl. Immortale Dei (1. Nov. 1885). Hammerstein S.J., De Ecclesia et Statu iuridice consideratis. Trevir. 1886.
(Fortsetzung folgt)