PAPST PAUL VI.
Ansprache beim „ad-lad-limina“-Besuch der amerikanischen
Oberhirten des Bundesstaates New York, 20. April 1978
Im Namen des Herrn: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20, 19).
Wir haben uns schon auf diesen Tag gefreut und heißen euch alle nun mit Freude, mit großer Freude willkommen. Für einen kurzen Augenblick seid ihr aus euren pastoralen Arbeitsbereichen in das Zentrum der kirchlichen Einheit zurückgekehrt; der apostolischen Tradition der Kirche entsprechend, seid ihr gekommen, „um Petrus zu sehen“ (Gal 1, 18). Und ihr bringt die Hoffnungen und Sehnsüchte von über sechs Millionen Katholiken des Staates New York mit. In euch als den Oberhirten der Ortskirchen umfassen wir in der Liebe des Erlösers das ganze Volk Gottes. Denn nach dem Willen Christi, unseres Herrn, sind alle eure Gläubigen auch unsere Söhne und Töchter in der Gemeinschaft der universalen Kirche, und mit großer, väterlicher Liebe möchten wir sie alle, zusammen mit euch, ihren Bischöfen, im Glauben an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, bestärken.
Eure Diözesen verdienen, so meinen wir, wahrhaftig besondere Ehre, besondere pastorale Aufmerksamkeit. Ihr steht in der Tradition großer Heiliger. Das Blut nordamerikanischer Märtyrer hat eure Erde gesegnet, und die hl. Francesca Cabrini, die hl. Elizabeth Ann Seton und der hl. Johannes Neumann lebten in eurer Mitte. Ihr habt auch ein reiches Erbe an ethnischer Vielfalt zu bewahren. Wie viele Einwanderer vielleicht sogar eure eigenen Mütter oder Väter — betraten in New York zum ersten Mal amerikanischen Boden! Auch wir erinnern uns voll Dankbarkeit eurer Gastfreundschaft.
Durch euren heutigen Besuch hier bei uns bekennt ihr euren Glauben an die Kirche als eine Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, die von Jesus Christus errichtet wurde und ihre sichtbare Einheit im Nachfolger Petri findet. Wir wissen, daß bei dieser unserer Begegnung der Herr Jesus unter uns ist. Wir vertrauen darauf, daß ihr, durch die Kraft des Geistes gestärkt, hinausgehen werdet, um mit neuem Mut und frischer Kraft euer Amt der Glaubensverkündigung fortzusetzen: Christus zu verkündigen und sein Reich und seine Wiederkunft zu predigen.
Wir möchten einige Augenblicke mit euch zusammen kurz über einen grundlegenden Aspekt des Evangeliums nachdenken: den Ruf Christi zur Umkehr. Das Thema der Umkehr wurde schon von Johannes dem Täufer angekündigt: „Kehrt um!“ (Mt 3, 2). Dieselben Worte hat dann später Jesus gesprochen (vgl. Mt 4, 17). Und genauso wie die Apostel diese Botschaft vom Herrn gehört hatten, erhielten sie von ihm den Auftrag, diese zum Inhalt ihrer Verkündigung zu machen (vgl. Lk 24, 27). So verkündet Petrus, dem Gebot Jesu getreu, in seiner Pfingstpredigt die Umkehr zur Vergebung der Sünden (vgl. Apg 2, 38). Der hl. Paulus sagt in aller Klarheit: „Ich habe gepredigt, sie sollen umkehren und sich Gott zuwenden“ (Apg 26, 20).
Liebe Brüder, diese Aufforderung zur Umkehr ist vom Herrn Jesus auf uns gekommen: sie gilt für uns, für unser Leben und für unsere ständige, furchtlose Verkündigung an die Welt. Bei anderer Gelegenheit sagten wir, Umkehr sei ein ganzes Programm, das in enger Verbindung mit der Erneuerung durch das Evangelium steht (vgl. Ansprache bei der Generalaudienz vom 9. November 1977). So stellt Umkehr das Ziel dar, das durch unseren apostolischen Dienst erreicht werden soll: die Weckung des Bewußtseins von der Sünde, des Bewußtseins von der ewigen und tragischen Wirklichkeit der Sünde, ihrer persönlichen und sozialen Dimensionen, zugleich aber die Vergegenwärtigung der Tatsache, daß „dort, wo die Sünde mächtig wurde, die Gnade übermächtig geworden ist“ (Röm 5, 20); ferner die Verkündigung des Heils in Jesus Christus.
Heute möchten wir zu euch, euren Mitbrüdern im Bischofsamt und euren Priestern in Amerika im besonderen über die sakramentalen Aspekte der Umkehr sprechen, über bestimmte Dimensionen des Sakraments der Buße oder Versöhnung. Vor sechs Jahren veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre mit unserer ausdrücklichen Billigung und in unserem Auftrag Pastoralnormen, die die Generalabsolution regeln sollten. Dieses Dokument, das den Titel Sacramentum paenitentiae trägt, wiederholte die feierliche Lehre des Konzils von Trient über das göttliche Gebot der persönlichen Beichte. Das Dokument gab zu, daß mancherorts wegen des Priestermangels für die Gläubigen erhebliche Schwierigkeiten bestehen, zur Einzelbeichte zu gehen. Es wurden Vorkehrungen für eine Generalabsolution in Notfällen getroffen, wobei genau definiert wurde, unter welchen Voraussetzungen derartige Notfälle gegeben sind (Norm 3).
Es wurde dem Ortsordinarius nach Beratung mit anderen Mitgliedern der Bischofskonferenz vorbehalten, zu entscheiden, ob die vom Hl. Stuhl verlangten und in Norm 3 im einzelnen dargelegten notwendigen Bedingungen vorliegen. Die Bischöfe wurden nicht ermächtigt, die verlangten Bedingungen zu ändern, durch andere zu ersetzen oder aufgrund persönlicher Kriterien, auch wenn diese noch so achtbar sind, einen schweren Notfall zu konstatieren. Sacramentum paenitentiae erkannte im Endeffekt an, daß die Normen, die die Grundordnung des kirchlichen Dienstes der Versöhnung regeln, in besonderer Weise Sache der Gesamtkirche und der Regelung durch ihre oberste Autorität sind. Wichtig bei der Anwendung der Normen ist die generelle Wirkung des grundlegenden kirchlichen Dienstes der Versöhnung in Übereinstimmung mit dem Plan Christi, des Erlösers. Im Leben der Kirche ist die Entscheidung für die Generalabsolution nicht der Normalfall und kein Mittel, irgendwelchen schwierigen pastoralen Situationen zu begegnen. Sie ist nur in außergewöhnlichen Situationen von schwerer Notlage gestattet, wie in Norm 3 bestimmt ist. Wir haben bereits vergangenes Jahr öffentlich auf den absoluten Ausnahmecharakter der Generalabsolution hingewiesen (Ansprache bei der Generalaudienz vom 23. März 77).
Brüder, wir erinnern auch an die Worte in unserem Schreiben an die amerikanischen Bischöfe anläßlich des 200jährigen Bestehens der Vereinigten Staaten: „Wir ersuchen um höchste Wachsamkeit in der Frage der Ohrenbeichte“ (AAS 68, 1976, S. 410). Und heute fügen wir ausdrücklich hinzu: Wir ersuchen um treue Einhaltung und Beachtung der Normen. Die Treue zur Gemeinschaft der universalen Kirche verlangt das; diese Treue wird zugleich Garant sein für die übernatürliche Wirkung eures kirchlichen Sendungsauftrags zur Versöhnung.
Darüber hinaus bitten wir euch, die Bischöfe, euren Priestern zu helfen, immer mehr Verständnis und Wertschätzung für ihren hervorragenden Dienst als Beichtväter zu finden (vgl. Lumen gentium, Nr. 30). Eine jahrhundertelange Erfahrung bestätigt die Bedeutung dieses Dienstes. Wenn Priester wirklich begreifen, wie eng sie durch das Bußsakrament mit dem Erlöser in der Aufgabe der Bekehrung zusammenarbeiten, werden sie sich mit immer größerem Eifer dieser Sendung hingeben. Zugleich werden den Gläubigen mehr Beichtväter zur Verfügung stehen. Man wird aus Zeitmangel andere Werke hintanstellen oder sogar aufgeben müssen aber auf keinen Fall die Beichte. Das Beispiel des hl. Johannes Vianney ist nicht überholt. Der Ermahnung von Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Sacerdotii Nostri Primordia kommt noch immer größte Bedeutung zu.
Wir haben wiederholt gefordert, die Hauptfunktion des Bußsakramentes zu bewahren (vgl. Ansprache bei der Generalaudienz vom 3. April 1974 und vom 12. März 1975). Und vor zwei Jahren bei der Seligsprechung des Kapuzinerpaters Leopold von Castelnuovo führten wir aus, daß dieser Mann den höchsten Grad der Heiligkeit durch seinen Dienst im Beichtstuhl erlangt hat. Wir glauben, daß die Lage in der heutigen Kirche — in euren Diözesen wie anderswo — reif dafür ist, häufigeren und fruchtbareren Gebrauch vom Bußsakrament in Übereinstimmung mit dem Ordo paenitentiae zu machen, und reif für einen intensiveren Dienst der Priester, was Früchte größerer Heiligkeit und Gerechtigkeit im Leben der Priester und Gläubigen zur Folge hätte. Aber der volle Erfolg dieser Erneuerung hängt mit Gottes Gnade von eurer eigenen Wachsamkeit und Treue ab. Das erfordert von eurer Seite ständige Leitung und strenge geistliche Führung. Im Hinblick auf die Praxis häufigen Beichtens bitten wir euch zudem, eure Priester, Ordensleute und Laien — alle Gläubigen, die nach Heiligkeit streben — an die Worte unseres Vorgängers Pius XII. zu erinnern: „Diese Praxis ist nicht ohne Eingebung des Heiligen Geistes in die Kirche eingeführt worden“ (AAS 35, 1943, S. 235).
Ein weiterer wichtiger Aspekt der kirchlichen Bußdisziplin ist die Praxis der Erstbeichte vor der Erstkommunion. Hier lautet unsere dringende Bitte, die Normen des HI. Stuhls nicht durch gegenteilige Handhabung um ihre Bedeutung zu bringen. In dieser Hinsicht wiederholen wir, was wir vergangenes Jahr einer Gruppe von Bischöfen bei ihrem „ad-limina“-Besuch gesagt haben: „Der Gläubige würde mit Recht entrüstet sein, wenn augenfällige Mißbräuche von jenen geduldet werden, die das Bischofsamt innehaben, das seit den frühesten Tagen der Kirche Wachsamkeit und Einheit bedeutet“ (AAS 69, 1977, S. 473).
Es gibt noch manche andere Aspekte der Umkehr, über die wir gerne zu euch sprechen würden. Aber wir werden jetzt schließen mit der dringenden Bitte, eurem Volk ein ermutigendes Wort des Vertrauens und der Zuversicht zu übermitteln: „Christus Jesus, unsere Hoffnung“ (1 Tim 1, 1). In der Nacht seiner Auferstehung und durch die Kraft seines Wortes fordert er die Gläubigen auf, den lebenslangen Weg der Umkehr fortzusetzen eingedenk der Worte: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: wie Großes Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2, 9).
Liebe Brüder, wir danken euch aufrichtig als Mitarbeiter für das Evangelium und bitten den Herrn Jesus, eure Liebe zu ihm zu erneuern. Allen euren Priestern und Diakonen, euren Ordensleuten und Laien senden wir unseren Friedensgruß und unseren Apostolischen Segen: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
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Quelle: WORT UND WEISUNG IM JAHR 1978, Libreria Editrice Vaticana – Butzon & Bercker