Predigt von S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre am 17. Februar 1991, in Nizza

In der Kapelle „Mariä Heimsuchung“
des Priorates Saint-Joseph in Nizza

Es war sein letztes Hochamt und seine letzte Predigt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Meine geliebten Brüder!

Mit großer Freude und mit großer Genugtuung bin ich heute hier unter Ihnen in dieser wunderschönen Kapelle, die auch so viele Erinnerungen an die hl. Klara birgt. Es fügt sich, daß die Vorsehung den ersten Fasten­sonntag als den Tag gewählt hat, an dem ich unter Ihnen weile. Sie werden mir also erlauben, Ihnen einige Ratschläge zu geben, wie diese Fastenzeit gut zu verbringen wäre, die ja nichts anderes ist als die Vorbereitung auf das schöne Osterfest. Wir sollen uns bemühen, an der Auferstehung Unse­res Herrn Jesus Christus teilzuhaben, aber vorher müssen wir auch an Seinem Leiden, an Seiner Erlösung, an Seinem Opfer teilhaben.

Es ist richtig, daß die Fastenzeit eine Zeit der Buße ist und daß wir ei­nige Anstrengungen unternehmen müssen, um uns die gewohnte Be­friedigung im Essen, im Trinken und in anderem zu versagen, was von Zeit zu Zeit nützlich ist, um uns noch mehr an geistliche Güter zu bin­den und die zeitlichen Güter etwas zu vergessen und uns zu den ewigen Gütern zu erheben. Aber noch mehr als diese Bußübungen gefällt es Gott, wenn wir nach Seinen Geboten leben. Gott hat uns erschaffen, da­mit wir eines Tages zu Ihm kommen. Dieser Weg, der uns die wenigen Jahre hindurch, die wir hier auf Erden verbringen, zu Ihm führt, ist durch Sein Gesetz auf Ihn hin ausgerichtet. Sein Gesetz ist letzten En­des nichts anderes als die Absteckpfähle, die Unser Herr unserem irdi­schen Weg entlang eingesetzt hat, damit wir in den Himmel kommen, damit wir zur himmlischen Glückseligkeit gelangen.

Und was sind also diese Gebote Gottes? Unser Herr hat selbst Sorge ge­tragen, sie uns in Erinnerung zu bringen, und auch der hl. Paulus wieder­holt sie uns. Sie bestehen ganz einfach darin, Gott zu lieben und seinen Nächsten zu lieben. Alle Gebote Gottes lassen sich darin zusammenfas­sen. Und in dem Maß, als wir Gott lieben und unseren Nächsten lieben und das in unserem Alltagsleben, in unseren alltäglichen Handlungen dartun, bewegen wir uns ungestört auf die Glückseligkeit des Himmels zu.

Wie könnten wir auf besondere Weise dem lieben Gott unsere Liebe zeigen? Ich glaube, die tiefste, die wichtigste Art, dem lieben Gott unsere Liebe zu beweisen, besteht darin, daß wir beten. Wir haben alle aus unserem Katechismus gelernt, wie man betet, aus dem kleinen Katechis­mus von einst, denn leider haben die Katechismen von heute alles ent­stellt und definieren nichts mehr. Wir aber bewahren die gute Definition von einst: „Das Gebet ist eine Erhebung der Seele zu Gott.“

Das ist einfach, es ist wenig, aber es ist doch sehr viel. Unsere Seele zu Gott zu erheben! Ich glaube, wenn wir diese Definition des Gebetes, „unsere Seele zum lieben Gott zu erheben“, mehr verwirklichen würden, würden wir weniger an den Gütern dieser Erde hängen, aber dafür mehr an Gott selbst und an den himmlischen Gütern.

Bemühen wir uns daher während dieser Fastenzeit besser zu beten und mehr zu beten.

Und was für Arten des Gebetes gibt es? Was für verschiedene Weisen des Betens?

Nun, es gibt da das mündliche Gebet, jenes, das Sie hier während der heiligen Messe beten und die Gebete, die Sie gemeinsam verrichten, wie etwa der Rosenkranz, den Sie gerade gebetet haben. Das sind die münd­lichen Gebete, mit denen Sie Ihre Liebe zum lieben Gott ausdrücken und durch die Sie Ihre Seele zum lieben Gott erheben. Das sind Gebete, die wir sehr hoch einschätzen und oft verrichten müssen, besonders durch das Mitfeiern der Messe und auch, wenn wir können, durch unse­ren Rosenkranz, durch das Beten zur allerseligsten Jungfrau Maria, wenn wir uns mit ihr vereinen und durch alle sonstigen Verrichtungen des mündlichen Gebetes und der von der Kirche approbierten An­dachtsübungen, die ja jene sind, die alle frommen Seelen ihr Leben lang verrichtet haben, jene Seelen, die uns in den Himmel vorausgegangen sind und jetzt im Himmel das Lob des lieben Gottes singen, vor allem die heiligen Männer und Frauen.

Eine andere Art zu beten ist das innerliche Gebet, das, was man das stille Gebet nennt. Das stille Gebet besteht darin, daß man seinen Geist zum lieben Gott erhebt und über Seine Erhabenheit und Seine Vollkom­menheit nachdenkt, aber ohne äußerlich wahrnehmbare Worte auszu­sprechen. Also eine andere Form des Gebetes. Derjenige, der während des Tages zum allerheiligsten Sakrament im Tabernakel, zu Unserem Herrn, kommt, um sich bei Ihm zu sammeln, und der, ohne daß er Worte aussprechen müßte, seine Seele zum lieben Gott erhebt, Ihm ergeben an Ihn denkt, einige Zeit ganz mit Ihm verbunden bleibt und sich so von den Sorgen dieser Welt, von den Sorgen des Alltags entfernt, um seine Seele zum lieben Gott zu erheben, der verrichtete ein innerliches Gebet. Dieses innerliche Gebet wird natürlich von den Seelenführern sehr an­geraten, von allen Heiligen und von allen jenen, die Orden gegründet haben. Sie wissen sicher, daß die lieben Clarissinnen, die vorher hier waren, hinter diesen Gittern, das innerliche Gebet während langer Stunden gepflegt haben. So ist das auch in allen Karmeln, in allen Or­denskongregationen, und sogar die Vorschriften für den Klerus verlan­gen von den Priestern, den Ordensmännern und den Ordensfrauen, das innerliche Gebet zu pflegen. Also ist es auch für die Gläubigen gut, jene, die dem lieben Gott besonders geweiht sind, nachzuahmen und dieses innerliche Gebet zu verrichten. Man muß es nicht nur in einer Kirche, in einer Kapelle beten, man kann es auch zu Hause vor einer Statue der Muttergottes, vor einem Kruzifix oder in einer kleinen Kapelle verrich­ten, die man in seinem Haus eingerichtet hat. Man kann da sehr gut Unseren Herrn anbeten und sich geistig mit der allerseligsten Jungfrau Maria vereinen.

Es gibt dann noch eine dritte Art des Gebetes. Neben dem mündlichen und dem innerlichen Gebet gibt es das Gebet des Herzens, und dieses stellt das eigentliche Wesen des Gebetes dar und ist das wichtigste.

Und was ist das Gebet des Herzens? Es ist jenes, das innerlich die Liebe zum Ausdruck bringt, die man zum lieben Gott hat, sogar ohne besondere Gedanken über irgendeinen Gegenstand, etwa über die Voll­kommenheit des lieben Gottes oder über den Erweis der Liebe Gottes zu uns. Es besteht ganz einfach darin, Gott zu lieben, dem lieben Gott un­sere Liebe zu Ihm auszudrücken, ähnlich dem, was ein Kind in den Ar­men seiner Mutter in seinem Herzen für seine geliebte Mutter oder für seinen geliebten Vater fühlt. Es ist glücklich. Es ist in den Armen seines Vaters, seiner Mutter. Es denkt an nichts anderes. Es denkt nur, daß es seine Eltern liebt. Und auch wir, wir müßten für den lieben Gott diese natürliche, tiefe, bleibende Liebe haben. Dieses Gebet des Herzens ist das dem lieben Gott wohlgefälligste, weil wir da ganz Ihm gehören. Wir bringen uns eben dadurch Gott ganz dar. Wir bringen unseren Leib, wir bringen unseren Willen, wir bringen unsere Zeit und alles, was wir sind, dem dar, der uns erschaffen hat, Ihm, der uns erwartet, um uns jene himmlische Glückseligkeit zu schenken, die Er für uns vorbereitet hat. Und das ist auch das beste Mittel, um nicht mehr zu sündigen oder we­nigstens nicht mehr schwer zu sündigen. Wer den lieben Gott wahrhaft liebt, schenkt Ihm gewissermaßen sein Sein und alles, was er tagsüber und für immer ist. Dieses Gebet des Herzens kann immer andauern ohne Unterbrechung. Ebenso wie ein Kind, das seine Eltern liebt, diese immer liebt in vollkommener Beständigkeit, müßten auch wir den lie­ben Gott lieben. Und wenn wir Ihn in dieser Weise lieben, werden wir nicht mehr Angst vor der Sünde haben, weil wir spüren werden, daß ein Ungehorsam gegen Gott uns von Ihm entfernt. Wenn wir Ihn also wahr­haft lieben, wie könnten wir Ihn von Herzen lieben und zugleich Ihm mißfallen und Ihm ungehorsam sein. Das wäre eine Art Widerspruch. Und eben deshalb ist das Gebet des Herzens so wichtig.

Ich bitte Sie inständig, sich während dieser Fastenzeit den Händen Gottes anzuvertrauen, die Dinge dieser Welt etwas zu vergessen, um dem lieben Gott anzugehören. Das ist der wichtigste Rat, den ich Ihnen für die Erfüllung des Gesetzes des lieben Gottes geben möchte, der von uns verlangt, daß wir Ihn lieben. Die erste Gesetzestafel des Moses trug (diese drei Gebote über den lieben Gott. Die zweite Tafel war jene, die das Gesetz der Nächstenliebe enthielt. Und wie könnten wir unsere Liebe zum Nächsten zeigen? Sicherlich durch die Dienste, die wir unse­rem Nächsten, in unserer Familie, in unserem Beruf, in unse­rem Alltagsleben erweisen. Aber wir könnten uns auch fragen, wie wir uns am häufigsten gegen die Liebe zu unserem Nächsten verfehlen.

Man muß hier den hl. Jakobus zu Rate ziehen, der in dem Brief, den er geschrieben hat und der in die Heilige Schrift aufgenommen ist, über dieses kleine Glied spricht, das uns der Liebe Gott geschenkt hat und das die Zunge heißt. Und er sagt uns: Mit der Zunge singen wir das Lob des lieben Gottes, aber mit der Zunge entzündet man auch das Feuer der Sünde und der Zwietracht. Und das ist wahr.

Bemühen wir uns also etwas, die Liebe in den Worten und damit auch die Liebe im Denken zu üben. Vermeiden wir voreilige Urteile, üble Nachreden und Verleumdungen, die alle so leicht ausgesprochen wer­den und so verführerisch sind bei den Konversationen. Man liebt es lei­der, dies und das zu kritisieren, zu entzweien statt zusammenzuführen, statt Nächstenliebe zu üben. Bemühen wir uns, während dieser Fasten­zeit unsere Nächstenliebe zu beweisen und versuchen wir üble Nachre­den und Verleumdungen und alle diese Zungensünden zu vermeiden. Das, meine geliebten Brüder, sind die Ratschläge, die ich Ihnen zu Be­ginn dieser Fastenzeit geben möchte, die mir wichtig scheinen.

Bitten wir die allerseligste Jungfrau Maria, den hl. Joseph und das Je­suskind, daß wir so leben, wie sie in Nazareth gelebt haben. Man muß bedenken, daß das Beispiel, das uns Unser Herr gegeben hat, absolut zu beachten ist. Was hat Gott selbst (denn es war Gott, der zu uns herabge­stiegen ist) während der dreiunddreißig Jahre Seines Lebens gemacht? Von den dreiunddreißig Jahren, die er hier auf Erden verbrachte, bevor Er in den Himmel aufgefahren ist, ist Er dreißig Jahre in Seiner Familie geblieben außer damals, als Er Seine Eltern verlassen und in Jerusalem geblieben ist, um zu den Gesetzeslehrern zu gehen und sie zu belehren. Das ist das einzige Ereignis, das wir aus der Zeit Seiner Kindheit, Sei­nes Jünglingsalters kennen. Bis zum Alter von dreißig Jahren hat Er in Seiner Familie die Liebe geübt. Es ist ein bewundernswertes Beispiel, das uns Unser Herr gegeben hat.

Er verlangt von uns also nichts, was absolut unmöglich wäre, nur die Übung der Liebe, die Übung der Liebe zu Gott und zum Nächsten, wie Er selbst sie in Seiner Familie zu Nazareth geübt hat.

Bitten wir die allerseligste Jungfrau Maria und den hl. Joseph, uns zu helfen, diese Liebe zu üben, damit wir mit der Gnade der Sakramente, die wir empfangen, uns langsam dem Ziel zubewegen, für das wir hier auf Erden sind: eines Tages die Glückseligkeit des Himmels mit allen jenen zu teilen, die wir lieben und die uns schon verlassen haben.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

(Übersetzung von Dr. Inge Köck)

Gebet für die Heiligsprechung von
S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre1

O Jesus, ewiger Hoherpriester, in Deiner Güte hast Du Deinen treuen Diener Marcel Lefebvre zur bischöflichen Würde erheben wollen und ihm die Gnade gewährt, ein furchtloser Verteidiger der heiligen Messe, des katholi­schen Priestertums, Deiner Heiligen Kirche und des Apo­stolischen Stuhles zu sein, ein mutiger Apostel für Dein Reich auf Erden, ein glaubenseifriger Diener Deiner al­lerseligsten Mutter und ein leuchtendes Beispiel der Liebe, der Demut und aller Tugenden, wir bitten Dich, ge­währe uns im Hinblick auf seine Verdienste jene Gnaden, die wir von Dir erflehen, damit wir ihn auf Grund seiner wirksamen Fürsprache bei Dir eines Tages zur Ehre der Altäre erhoben sehen dürfen. Amen.

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1 Dieses Gebet wurde von P. Pierre Verrier, Seelsorger des Hauses „Notre Dame de Bethléem“ in Faverney (Dép. Haute-Saône) verfaßt und vom General­oberen der Priesterbruderschaft St. Pius X., P. Franz Schmidberger übersetzt. Es ist nur für den privaten Gebrauch bestimmt.

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Quelle: S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre – Geistlicher Wegweiser – Sonderdruck III aus „Damit die Kirche fortbestehe“

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