Wolfgang Schüler: Folgen der Elemente-Ekklesiologie des II. Vatikanums

Ausdehnung der Gemeinsamkeitsideologie auf nichtchristliche Religionen

Die in der Elemente-Ekklesiologie des Pastoralkonzils begründete Gemeinsam­keitsideologie macht nicht Halt an der Grenze des Christentums, sondern er­streckt sich auch auf nichtchristliche Religionen. Das zeigt sich schon in der Kirchenkonstitution Lumen gentium, Art. 16, wo es heißt:

„Die Heilsabsicht umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die, indem sie bekennen, dass sie den Glauben Abrahams festhalten, mit uns den einzigen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.“319

Die Behauptung, dass Muslime und Christen den einen Gott anbeten, findet man auch in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, Nostra aetate, des Zweiten Vatikanums. Dort liest man in Art. 3:

„Mit Wertschätzung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den ein­zigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der die Men­schen angesprochen hat, …“320

An beiden Stellen behauptet das Pastoralkonzil, dass Muslime und Christen den einen Gott anbeten. Zum Nachweis dieser Behauptung werden „Glaubens-Elemente“ angeführt, dass nämlich die Muslime sich zum Glauben Abrahams bekennen, einen einzigen Gott anbeten, einen allmächtigen Schöpfer anerkennen, der barmherzig ist und der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird. Aber diese Eigenschaften reichen keineswegs aus, um die Behauptung zu beweisen, dass Christen und Muslime den einen Gott anbeten.

Vielmehr liegt der Gegenbeweis auf der Hand, weil die Muslime die Dreifaltig­keit Gottes leugnen. Gott ist die Liebe und diese findet ihre Realisierung im In­einandersein der drei göttlichen Personen, dem Vater, dem Sohn und dem Heili­gen Geist. Deshalb gehört die Dreipersönlichkeit zum Wesen Gottes.

Diese Eigenschaft kommt keineswegs zu den genannten Eigenschaften noch hinzu, weil diese Eigenschaften ja Eigenschaften des dreifaltigen Gottes, des einen Gottes in drei Personen, sind. Für die Muslime sind das hingegen Eigen­schaften eines einpersönlichen Gottes.

Weil die additistische Denkweise die genannten Eigenschaften von der Dreiper­sönlichkeit Gottes abkoppelt, deshalb verfällt sie dem Irrtum, dass Christen und Muslime den einen Gott anbeten. Es ist eben falsch, gewisse übereinstimmende Eigenschaften anzugeben, aus der Übereinstimmung derselben darauf zu schlie­ßen, dass es sich um denselben Gott handelt und ggf. nachgeordnet festzustellen, dass allerdings in der Frage, ob Gott einpersönlich oder dreipersönlich ist, eine Unvereinbarkeit besteht. Denn, wie gesagt, kommt zu den Eigenschaften Gottes, Einzigkeit, Allmächtigkeit, Barmherzigkeit und ein Vergelter zu sein die Drei­persönlichkeit nicht noch hinzu, sondern es handelt sich bei jenen Eigenschaften um Eigenschaften des dreifaltigen Gottes.

Der Christ sagt: „Der dreifaltige Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Er­de.“ Der Muslim sagt: „Nein, denn es gibt keinen dreifaltigen Gott, der der Schöpfer des Himmels und der Erde ist.“

Der Christ sagt: „Der dreifaltige Gott ist barmherzig.“ Der Muslim sagt: „Nein, denn es gibt keinen dreifaltigen Gott, der barmherzig ist.“

Der Christ sagt: „Der dreifaltige Gott ist der Richter der Menschen am Jüngsten Tag.“ Der Muslim sagt: „Nein, denn es gibt keinen dreifaltigen Gott, der der Richter der Menschen am Jüngsten Tag ist.“

Die Entkoppelung der genannten Eigenschaften von der Eigenschaft der Dreifal­tigkeit führt das im Elemente-Denken befangene Pastoralkonzil in den Irrtum, dass Christen und Muslime den einen Gott anbeten.

Die genannten übereinstimmenden Eigenschaften Gottes, Einzigkeit, Allmäch­tigkeit, Barmherzigkeit und ein Vergelter zu sein, sind keine Übereinstimmun­gen im Glauben von Christen und Muslimen, sondern es sind übereinstimmende Abstraktionsprodukte in Bezug auf den Glauben von Christen und Muslimen. Der Gott des Christentums ist ein dreipersönlicher Gott, was der Islam leugnet. Also beten Christen und Muslime nicht d e n einen Gott an.

Wie bereits zitiert, huldigte auch Johannes Paul II. dieser Gemeinsamkeitsideo­logie, sagte er doch in einer Ansprache in Marokko im Jahre 1985: „Wir Chris­ten und Moslems als Gläubige und als Menschen haben viele Gemeinsamkei­ten … Wir glauben an denselben einzigen Gott, … “

Demgegenüber hatte Kardinal Ratzinger Vorbehalte gegen die Behauptung von Lumen gentium, Art. 16 und Nostra aetate, Art. 3, dass Christen und Muslime den einen Gott anbeten. Denn als A. Mertensacker den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation aufsuchte und ihm 8000 Unterschriften übergab, die un­ter ein Schreiben gesetzt waren, mit dem eine Korrektur der Aussagen zum Is­lam an jenen Stellen der Konzilstexte gefordert wurde, antwortete der Kardinal:

„Diese Texte bedürfen dringend der Überarbeitung.“321

Allerdings erhebt sich dann sogleich die Frage, warum der heutige Papst die Überarbeitung dieser Texte bisher noch nicht in Angriff genommen hat, obwohl er ihre Revision doch als dringend einstuft? –

Dubios ist auch die folgende Aussage von Nostra aetate, Art. 3, über die Mus­lime:

„Jesus, den sie zwar nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Pro­pheten, …“322

Ein „zwar“ ist hier fehl am Platz, denn es geht um alles oder nichts. Das Heil des Menschen hängt daran, dass Christus der Gottmensch ist. Das ist der ausschlag­gebende Gesichtspunkt, der Gesichtspunkt des ewigen Heils, gegenüber dem alle anderen Gesichtspunkte zur Bedeutungslosigkeit hinabsinken. Wenn Chris­tus nicht mein Erlöser ist — und der kann Er nur sein, wenn Er der Gottmensch ist —, dann kann es mir gleichgültig sein, was Er sonst noch ist, denn dann bin ich verloren. Da gibt es kein zwar … aber und kein immerhin, so als könnte für den Menschen in Bezug auf Christus noch irgendetwas eine wesentliche Rolle spielen, wenn Seine Gottgleichheit geleugnet wird. —

Wie nicht anders zu erwarten, beherrscht die Gemeinsamkeitsideologie — sowohl in ihrer Beschränkung auf das Christentum als auch in ihrer Ausdehnung auf die nichtchristlichen Religionen — das Rom pastoralkonziliarer Prägung, wofür wir an dieser Stelle nur ein Beispiel anführen, nämlich eine Passage aus der von ei­ner Internationale(n) Theologenkommission herausgegebenen Schrift mit dem Titel Das Christentum und die Religionen, die von dem ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, die Einwilligung zu ihrer Veröf­fentlichung erhielt.

Dort wird unter Bezugnahme auf „Die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, Nostra aetate“ des Pastoralkonzils gesagt:

„Mit dem Islam hat die Kirche mehr gemeinsam {als mit dem Hinduis­mus], denn sie erkennt an, daß seine Anhänger ‚den alleinigen Gott anbe­ten …, den Schöpfer des Himmels und der Erde‘ (NA 3). Wenn wir in al­ler Deutlichkeit das Trennende anerkennen, dürfen wir doch die gemein­samen Elemente in der Geschichte und in der Lehre nicht übersehen. … Eine christliche Theologie der Religionen muß imstande sein, die gemein­samen Elemente sowie die Unterschiede zwischen dem eigenen Glauben und den Überzeugungen der verschiedenen religiösen Gruppen theolo­gisch darzustellen. … Der interreligiöse Dialog behandelt die ‚Übereinst­immungen und Konvergenzen‘ mit den anderen Religionen mit Vorsicht und Respekt. Bei der Behandlung der ‚Unterschiede‘ muß berücksichtigt werden, daß diese Behandlung die Übereinstimmungen und Konvergen­zelemente nicht beseitigen darf, …“323

Der Schlusssatz ist geradezu Plädoyer für die additistische Denkweise; die auf ihr beruhende Gemeinsamkeitsideologie wird in diesem Zitat geradezu in Rein­kultur vorgeführt.

Betrachten wir abschließend die vom Pastoralkonzil vertretene Gemeinsamkeits­ideologie noch im Hinblick auf das Verhältnis von Christentum und Judentum. Zu dem angeblich gemeinsamen geistlichen Erbe von Christentum und Juden­tum gehört in erster Linie das AT. Gewiss erkennen sie beide dieses als ein hei­liges Buch an, aber allein die Tatsache, dass das Christentum alle Prophezeiun­gen des AT über den kommenden Messias auf Christus bezieht und in Ihm die Erfüllung dieser Prophezeiungen sieht, wogegen das Judentum es ablehnt, Christus als den verheißenen Messias anzuerkennen, zeigt, dass das AT für das Judentum ein anderes geistiges Erbe ist als für das Christentum, woran die Rede vom gemeinsamen Erbe vorbeigeht. Das Erbe besteht doch nicht nur im Wort­laut des AT, sondern wesentlich darin, wie er verstanden wird, und da besteht eben jener fundamentale Unterschied, der es nicht zulässt, ohne Einschränkung von einem gemeinsamen Erbe zu sprechen. Das NT bringt an mehreren Stellen, insbesondere im Johannes-Evangelium, zum Ausdruck, dass derjenige den Vater nicht keimt, der den Sohn nicht kennt:

„Denn wenn ihr dem Moses geglaubt hättet, hättet ihr auch Mir geglaubt, denn er hat über Mich geschrieben“ (Joh. 5,46).

„Und Sein [des Vaters] Wort habt ihr nicht in euch bewahrt, weil ihr dem nicht glaubt, den jener [der Vater] gesandt hat“ (Joh 5,38).

„Ihr kennt weder Mich noch meinen Vater; würdet ihr Mich kennen, würdet ihr auch Meinen Vater kennen“ (Joh 8,19).

„Wer Mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9).

Zur weiteren Klärung dieser Problematik ist es nützlich, auf die Kritik von Pater Engelbert Recktenwald (Priesterbruderschaft St. Petrus) einzugehen, die er an einer Aussage von Pater Bernhard Zaby (Priesterbruderschaft St. Pius X.) geübt hat, die er zunächst wie folgt zitiert:

„Seit Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, kann man nicht an Gott glau­ben, ohne zugleich an Jesus Christus zu glauben. Die Juden haben also nicht ‚bis heute den Glauben an diesen Gott bewahrt‘. Da sie an Jesus Christus nicht glau­ben, glauben sie auch nicht an Gott.“

Pater Recktenwald entgegnet: „Das ist logischer Unsinn. Durch die Mensch­werdung hat sich die Identität Gottes nicht gewandelt. Wenn der Glaube an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs wahr ist, dann ist er wahr sowohl vor wie nach der Menschwerdung. Denn da Gott laut katholischem Dogma unveränder­lich ist, ist auch die Wahrheit über ihn unveränderlich. Die alttestamentliche Of­fenbarung kann nicht im Nachhinein falsch werden, unabhängig von der Frage, wie weit die explizite Leugnung neutestamentlich geoffenbarter Glaubenswahr­heiten den unvollständigen Gottesbegriff des Alten Bundes in einen irrigen mu­tieren.“

Dazu ist zu bemerken: Der Glaube des Alten Testaments kennt Christus nicht. Dieses Glaubenswissen enthält keine falsche wohl aber eine eingeschränkte Lehre über Gott und deshalb hatten die Juden einen wahren, wenn auch einge­schränkten Gottesglauben bewahrt, bis zum Auftreten von Christus. Entschei­dend dabei ist, dass dieses eingeschränkte Glaubenswissen für die richtige be­griffliche Weiterbestimmung Gottes offen war, die durch die Offenbarung von Christus ermöglicht wurde.

Dadurch, dass die Juden Christus nicht als den Sohn Gottes anerkannten, be­wahrten sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr den wahren Glauben, was die soeben zitierte Stelle aus Joh 5,38 doch klar zum Ausdruck bringt. Pointiert aus­gedrückt könnte man sagen:

Vor dem Auftreten von Christus sagt das Judentum:

„Es gibt einen einzigen Gott, welcher der Schöpfer des Himmels und der Erde ist“, was stimmt. Nach dem Auftreten von Christus sagt es:

„Es gibt einen einzigen Gott, welcher der Schöpfer des Himmels und der Erde ist, und dieser Gott hat keinen Sohn, der in Jesus, dem Sohn Mariens, Mensch geworden ist“ und das ist natürlich falsch.

Die falsche Weiterbestimmung des Schöpfergottes erzeugt einen falschen Got­tesbegriff; und deshalb hat das Judentum den Glauben an den wahren Gott seit Christus nicht bewahrt.

Seltsamerweise kommt Pater Recktenwald zwar auf das Problem zu sprechen, „wie weit die explizite Leugnung neutestamentlich geoffenbarter Glaubens­wahrheiten den unvollständigen Gottesbegriff des Alten Bundes in einen irrigen mutiert“, er löst es aber nicht, sondern bemerkt lediglich, dass dieses Problem unabhängig von der alttestamentlichen Offenbarung ist; das ist zwar richtig, geht aber an der anstehenden Problematik vorbei. So gelangt er schließlich zu der irrigen Ansicht: „Folglich ist ein wahrer Gottesbegriff [auch nach der Offenba­rung durch Christus] ohne den Glauben an Jesus Christus möglich.“

Übrigens zeigt sich an der Argumentation von Pater Recktenwald, dass er be­züglich dieser Problematik in der additistischen Denkweise befangen ist. Die Offenbarung durch Christus betrifft nämlich den Glauben als Ganzes. Man darf also nicht so tun, als käme durch Seine Lehre zum alttestamentlichen Glauben nur noch etwas in additiver Weise hinzu. Es ist eben nicht so, dass der unvoll­ständige Gottesbegriff des Judentums durch die Offenbarung bloß ergänzt wird. Vielmehr bestimmt die durch Christus ermöglichte begriffliche Weiterbestim­mung des Schöpfergottes, diesen als einen Gott, der in drei Personen existiert, und wer das leugnet, wie das Judentum, der verliert infolge dieser Leugnung den Begriff des wahren Schöpfergottes.

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319 „Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils“, Hrsg. P. Hünermann, Freiburg 2004, S. 100.
320 Ebenda, S. 358.
321 Zitiert nach Kurier der christlichen Mitte, „Konzil unter der Lupe“, Juni 2003
322 a.a.O., S. 358.
323 Internationale Theologenkommission: „Das Christentum und die Religionen“, Bonn 1996, S. 47f. Herv. vom Verf.

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Quelle: (Auszug aus) Wolfgang Schüler: Benedikt XVI. und das Selbstverständnis der katholischen Kirche – Eine Analyse seiner Verlautbarungen zur subsistit-in-Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, Zweite, überarbeitete und erweitere Ausgabe, Actio Spes Unica, D-65795 Hattersheim/Main. (Seiten 298-304)

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