Wie die Einsiedler Muttergottes dem armen «Stumpenröckli» geholfen hat

Einsiedeln - "Stumpenröckli"

Die alte Urkunde davon ist also überschrieben: «Eine wunderbare, wahrhaftige, offenbare Historie, welche sich mit einer achtzehnjährigen und von Kindswesen auf lah­men Tochter auf der Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau zu den Einsiedeln den neunten Tag Aprilis im 1580sten Jahr hat zugetragen.»

Anna, ein armes Findelkind, ohne Eltern, ohne Heimat, ein Krüppel mit ganz verkrümmten, viel zu kurzen Beinchen, bald da, bald dort in einem Haus aufgenommen, war wirklich ein elendes Geschöpf. Mit 12 Jahren hatten gute Leute von Uznach im sogenannten Tönierhaus das Kind um Gottes Lohn aufgenommen. Anneli fand hier vielleicht zum erstenmal im Leben ein wenig Liebe. Sein junges Herz hungerte ja wie jedes andere nach Verständ­nis und Geliebtwerden. In dieser Bauernstube betete es abends mit der Familie den Rosenkranz und hörte oft erzählen von den Wundern unserer «lieben Frau zu den Einsiedeln». Was mußte das für eine Mutter sein, die sich zu den Aermsten neigte! Ein Verlangen, einmal dorthin zu kommen, wachte in dem Mädchenherzen auf. Aber wie? Laufen konnte Anna nicht. Mit ihren viel zu kurzen verkrümmten Beinchen mußte sie sich nur ganz langsam, gleichsam schleichend fortbewegen. Und Uznach war doch, wie die Leute sagten, 6 Stunden von Einsiedeln entfernt. Das Mädchen wagte nicht, von sei­nem Verlangen zu sprechen; um so heißer brannte die Sehnsucht in ihm. Es hatte ja einen gesunden Verstand und ein liebendes Herz, wenn auch sein Körper nicht normal war, und es von den Leuten immer das «Stum­penröckli» genannt wurde. Um die kleinen, krummen Beine zu decken, brauchte es wirklich nur ein kurzes Röcklein, eben ein «Stumpenröckli». Jahr um Jahr ver­ging, ohne daß Annas Hoffnung erfüllt wurde. Aus dem Kind wurde eine Jungfrau, das Gesichtlein blühte auf, aber die Beine blieben, wie sie waren. Das «Stumpen­röckli» zählte 18 Jahre, als in ihm das Verlangen, nach Einsiedeln zu pilgern, wie eine heiße Flamme von neuem aufloderte, so heftig, so unaussprechlich glühend, daß Anneli nur immer im Herzen beten konnte: «Mutter Gottes, hilf mir, daß ich zu Dir nach Einsiedeln kommen kann.» Als der Frühling 1580 durchs Land zog und die Osterglocken läuteten, war Anna fest entschlossen, sich ohne menschliche Hilfe, nur im unbegrenzten Vertrauen zur Mutter Gottes, auf den Pilgerweg zu machen. Es war also am Weißen Sonntag 1580, als Anna nach dem Gottes­dienst nicht zurückkehrte zum Tönierhaus, sondern sich mit ihrem schleichenden Gang langsam zum Städtlein hinaus bewegte. Ein Dienstknecht fragte: «Wohin willst du, Stumpenröckli?» – «Zu Unserer Lieben Frau von Ein­siedeln», war die Antwort. «Wo denkst du hin? Du könn­test nach Einsiedeln kriechen? Du wirst erliegen. Kehr um und geh nach Hause!» Anna schüttelte den Kopf und kroch tapfer weiter. Als man im Tönierhaus vernahm, was das arme Mädchen vorhabe, lief die Magd Elisabeth Düggelin ihm nach. «Kehr um, Anneli», bat sie, «kommt mit mir heim!» Anna schüttelte wieder den Kopf. Dann kam mit langen Schritten der Knecht Heinrich Segli ge­laufen und rief in rauherm Ton als die andern: «Mach, daß du heimkommst, du dummes Meitli!» Annas Augen füllten sich mit Tränen. Vor ihr war der breite Fluß, die Linth (damals noch nicht korrigiert). Der Heiri schimpfte drauf los: «Ich laß dich nicht übers Wasser. Kehr um!» Da fing Anna bitterlich zu weinen an und schluchzte: «Unsere Liebe Frau von Einsiedeln, hilf mir!» Was konnte sie dafür, daß es da drin in ihrem Herzen immer hefti­ger pochte: «Vorwärts, vorwärts zur Mutter Gottes!». Der Fährmann kam mit seinem Boot vom jenseitigen Ufer und hörte das arme Ding heulen. Hilflos schaute es zu ihm auf und bat: «Nimm mich mit!». Der Knecht schimpfte, die Magd strich mit dem Aermel übers Ge­sicht, und Anna flehte weiter: «Bitte, bitte, führ mich übers Wasser!» Um der Geschichte ein Ende zu machen, hob der starke Mann die Weinende mit einem Ruck ins Boot, erfaßte die Ruder und stieß vom Lande ab. Anna trocknete die Tränen. Die Sonne stand hoch am Himmel, als der Fährmann seine merkwürdige Last am andern Ufer absetzte. «Vergelt’s Gott», sagte sie treuherzig und kroch ihren Weg weiter, langsam wie eine Schnecke dem Schlosse Grynau entgegen. Da kam ein Ehepaar von Tuggen her des Weges, Hans Janser und seine Frau Bar­bara Wäberin. Voll Erbarmen redeten sie das «Stumpen­röckli» an, und als sie von seinem Vorhaben erfuhren, meinten sie, ohne daß ein Wunder geschehe, könne es nie und nimmer nach Einsiedeln. Aber Anna war so sicher, daß die Mutter Gottes sie rufe, daß auch die liebe­vollen Worte der Beiden nichts nutzten. Sie kroch vorwärts. Ein großes Ried ohne Bäume und Sträucher lag vor ihr, kein Mensch, kein Tier weit und breit. Auf ein­mal aber geschah das Sonderbare. Als die kleine Einfalt ihr Auge erhob, stand ein feiner, weißgekleideter Mann vor ihr, wie sie noch nie in ihrem Leben einen gesehen hatte. Von Tuggen her hörte man die Turmuhr elfmal schlagen. «Grüß dich Gott — wohin des Weges?» fragte der vornehme Wanderer. «Zu Unserer Lieben Frau nach Einsiedeln», antwortete Anna schüchtern. Da bot der Mann ihr seine Hand und ließ sie aufstehen. «Das kann ich nicht und konnte es meiner Lebtag nie.» Traurig schaute sie ihn an, probierte aber trotzdem mit aller Kraft sich zu erheben, aber es war wie immer, die krummen und kleinen Füße und Beine streckten sich nicht. Mit­leidig schaute der gütige Herr auf das elende Geschöpf. Es wurde ihr ganz wohl im Herz. Dann beugte er sich nieder, hob mit der linken Hand ihre Füße, fuhr mit der rechten flach darüber und sprach feierlich: «Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.» Er ergriff ihre Hand, sie konnte aufstehen, die Beine streckten sich. Gerade und gesund und aufrecht stand sie plötzlich da wie jeder andere Mensch und kam aus dem Staunen nicht heraus. Ja sie meinte, sie wäre länger als alle Menschen, so weit unten schien ihr der Boden, auf dem sie zeitlebens dahergekrochen. Sie weinte vor Freude, wagte aber nicht zu fragen, wie ihr großer Wohltäter heiße. Dann aber wandte sie ein: «Man wird mir nicht glauben, wenn ich das Wunder in Einsiedeln erzähle.» Da schlug der Mann mit seiner Hand auf ihr rechtes Knie, so daß ein Zeichen darauf entstand, das nie wieder verschwand. Hierauf segnete er sie und ermahnte sie, Gott allezeit vor Augen zu haben, den Sonntag beson­ders heilig zu halten und jetzt die Wallfahrt zur Gnaden­mutter auszuführen. Maria werde immer ihre besondere Beschützerin sein und sie nie verlassen. Glückselig tat nun Anna ihre ersten Schritte im Leben. Was jedes Kind an der Hand seiner Mutter lernt und diesem ärmsten Ge­schöpf versagt war, wurde ihr von der himmlischen Mut­ter geschenkt. War es wohl ein heiliger Engel, oder gar der heilige Josef, den die Mutter der Barmherzigkeit ge­schickt? Auf jeden Fall wollte Anna, nachdem sie voll unsäglichem Jubel etwa zwanzig Schritte zurückgelegt, nochmals danken. Als sie sich umwandte, war niemand mehr zu sehen, auf dem weiten sonnbeschienenen Ried­land, wo weder Baum noch Strauch noch Hütten ein Ver­steck möglich gemacht hätten. Vor lauter Freude dachte sie auf ihrer Wanderung gar nicht daran, daß ihr Rock viel zu kurz sei, bis sie sonntäglich gekleideten Leuten begegnete. Man schaute sie unfreundlich an und hielt ihr vor, ob sie sich nicht schäme, so herumzulaufen. Ein rechtes «Weibervolk» komme nie und nimmer in einem solchen Aufzug daher. Beschämt schaute sie ihren «Stum­penrock» an, der war nicht gewachsen und reichte nur auf die Knie. Anna aber schwieg und bewahrte ihr Ge­heimnis im Herzen. Auf dem schmalen Pfad schritt sie nun bergan durch den Wald auf den Etzel. Ringsum ju­bilierten die Vöglein. Eichhörnchen kletterten auf den Bäumen herum. Noch nie in ihrem Leben hatte das arme Mädchen so schöne Stunden erlebt. In den Waldlucken schaute sie auf zum Blau des Himmels und hinunter auf den See. «Lieber Gott, danke, danke, daß du alles so schön gemacht hast», mußte sie ein- übers anderemal sa­gen. Bei der Meinradkapelle hielt sie Rast. Es war Abend geworden, von Einsiedeln her hörte sie Glockengeläute. Sie faltete die Hände. Tränen der Freude fielen darauf nieder, als sie den Gruß des Engels betete. In der kleinen Herberge bat sie um ein Nachtlager und, obwohl man auch hier mit mißtrauischem Blick die Tochter mit der allzu kurzen «Juppe» betrachtete, ließ sie sich ihre Freude nicht nehmen, ruhte einige Stunden, um am frühen Mor­gen im Duft des Frühlings ihrem Ziele zuzuwandern. «Unsere Liebe Frau von Einsiedeln, jetzt bin ich bald bei Dir», jubelte ihr Herz. Es war also Montag, der 11. April 1580, als die Sonne plötzlich ihre Strahlenbündel über Wälder und Felder schoß; bald zitterte auch das Läuten durch die klare Luft. Es tauchten die Türme des Stiftes auf, die Klostergebäude und davor das Dorf. Zum Glück kannte Anna einen redlichen Mann, bei dem sie anzuklopfen wagte. Es war dies Hans Zink, der Weibel des Gotteshauses, im Tönierhaus zu Uznach kein Unbekann­ter. Als Anna vor ihm stand, gerade und aufrecht in normaler Größe, eine liebliche Jungfrau, kam er nicht aus dem Staunen heraus. «Ich meinte, du seiest das ,Stum­penröckli‘; bist du’s oder bist du’s nicht?» – «Ja, ich bin’s werter Mann.» Ihre Augen strahlten wie Sonnen. «Was ist mit dir geschehen?» – «Unsere Liebe Frau hat ein Wunder für mich erbeten.» Dem starken Mann zit­terten die Knie, er mußte sich setzen und betrachtete von neuem die Person vor ihm von oben bis unten. «Wenn ich dich nicht gekannt hätte, könnte ich’s nicht glauben. Aber ich hab dich ja oft genug gesehen, wie du kriechen mußtest. Ich hab geglaubt, du hättest gar keine Füße.» Dann kam seine Frau dazu. Anna mußte ihr Erlebnis erzählen. Es war keine Stunde verflossen, als das Wun­der in jedem Haus des Dorfes schon bekannt geworden. Sie kamen hergelaufen, die Nachbarinnen, um selber das Wunderkind zu sehen. Sie fragten und fragten, schlugen die Hände zusammen, einige weinten. «Eine ,Juppe‘ muß sie haben, die bis auf die Füße reicht», beratschlag­ten sie dann. Eine schaute die andere an. Frau Zink sagte: «Ich habe ihr eine», ging in die Kammer nebenan und brachte einen langen gefälteten Rock. «Da probier!» Nach­dem Anna sich des «Stumpenröckli» entledigt hatte und nun wie alle andern in der langen «Juppe» vor ihnen stand, wurde sie von allen Seiten bestaunt. «Dieses Röckli sollte in der Gnadenkapelle aufgehängt werden», war die Meinung einer alten Frau. «Hört, ihr alle», mischt sich nun der Weibel Hans Zink ein, «zu allererst beglei­ten wir Anna zu unserer Gnadenmutter, um mit ihr zu danken. Dann muß sie vor dem Abt und den Kloster­leuten ihr Wunder erzählen.» Das war auch Annas Her­zenswunsch, nun endlich hinzuknien zu ihrer heiligsten Mutter, um ihr zu danken. Sie eilte wie auf Flügeln den andern voraus, öffnete das Portal, trat ein in die große Kirche und stand vor der Gnadenkapelle. Sie wußte nicht, ob sie im Himmel weile, so überwältigt von Licht und Gnade wurde ihre arme Seele, als sie eingehen durfte in die kleine, von Kerzen erhellte Kapelle, wo das Gnadenbild Unserer Lieben Frau auf sie niederschaute. «Mutter Gottes, meine allerliebste Mutter, schau, da bin ich, dein armes Stumpenröckli, das Du so lieb hast», sagte Anna fast laut, nicht nach rechts oder links sich umsehend. Dann sank sie auf die Knie, faltete die Hän­de, redete wie ein Kind mit der Mutter und weinte. Und die liebste, barmherzigste Mutter nahm ihr ärmstes Kind, das keine irdische Mutter kannte, in ihre Arme und er­füllte es mit unbeschreiblicher Freude und einem Frie­den, der nicht von dieser Welt ist. Nach und nach hatte sich die Kapelle gefüllt mit Andächtigen, die ihre Rüh­rung nicht verbergen konnten. Anna merkte es nicht, sie war so sehr versunken ins Gebet, daß sie nicht sah und hörte, was um sie vorging, auch dann nicht, als ein Klosterbruder die Leute wegschickte, um die Kapelle für den Abt und die Mönche frei zu machen. Keiner von ihnen wagte es, das andächtige Kind zu stören. Alle Blicke aber hingen an ihrem von der Freude verklärten Gesicht, über das hin und wieder Tränen tropften. Her­zenseinfalt, nebst einer gewissen vom Leid gezeichneten Herbheit, konnte man in diesen Zügen erkennen. Weder Edelsteine noch schöne Gewänder hatte dieses arme Mädchen je getragen, ja nicht einmal den Mut gehabt, solches zu wünschen, die Armut allein war sein Schmuck und der Duft der Unschuld die Kostbarkeit, die sein Wesen reich machte. Einer der Mönche beobachtete mit besonders scharfem Auge die Betende. Es war dies der Dekan des Klosters, Pater Ulrich Wittwiler, ein berühm­ter Mann seiner Zeit, bekannt durch viele Schriften, be­sonders durch seine Lebensbeschreibung des Einsiedlers Bruder Klaus von Flüe.

Als die Mönche einen Psalm anstimmten, wandte sich Anna um, und sah sich von ihnen umgeben. Schamhaft errötend, stand sie auf und wollte sich entfernen, wurde aber freundlich zurückgehalten. Der fromme Gesang war verklungen, und die Benediktiner verließen die Kapelle. Der Weibel Hans Zink stand plötzlich neben ihr und hieß sie, ihm zu folgen. Er schritt langsam mit ihr hinter den Mönchen her durch das große Gotteshaus. Es dünkte  Anna, schöner könnte es im Himmel nicht sein als hier, denn noch nie hatte sie etwas Aehnliches gesehen. Durch eine Pforte wandten sie sich einem Nebenraum zu, wo sie alle das schüchterne Mädchen begrüßten. Der Abt forderte die Geheilte auf, ihr Erlebnis zu erzählen. Sein freundliches Wort besiegte ihre Schüchternheit, und sie  fing an zu berichten, beginnend von der armseligen Kinderzeit bis zum heutigen Tag. Hin und wieder unterbrach sie der Abt durch eine Frage. Alle konnten feststellen,  daß die Tochter normal und mit klarem Verstand ihre Antworten gab. Pater Ulrich Wittwiler ließ seinen Gänsekiel übers Papier gleiten, um alles richtig festzuhalten, was Anna erzählte. Er wollte das außergewöhnliche Geschehnis dem päpstlichen Nuntius Bonhomini mitteilen.  Nachdem alle sich überzeugt hatten, daß hier ein großes Wunder geschehen, entließen sie segnend das Mädchen. Unter dem Schutz des Weibels Zink kehrte es zurück in die Gnadenkapelle und wäre wohl noch Stunden lang zu Füßen der barmherzigen Mutter gekniet, wenn der Beschützer nicht zum Aufbruch gemahnt hätte. – Acht Tage lang blieb Anna als Gast in seinem Hause, acht Tage lang durfte sie bei ihrer himmlischen Herrin weilen. Allüberall hatte sich die Kunde von dem Wunder verbreitet und in ungezählten Menschen neue Hoffnung und unbegrenztes Vertrauen erweckt. Und wer weiß, wie manch einer, der vorher nicht an solche Dinge geglaubt hat, heimlich wieder sein «Bäti» hervorkramte, um der wunderbaren Mutter mit dem Gruß des Engels seine Rosen zu schenken.

Das arme Findelkind von einst war auf einmal ein Mittelpunkt geworden. Gewichtige Schreiben über seine Heilung wurden von Boten hin- und hergetragen. – Als die acht alten Orte durch ihre Abgeordneten in Luzern tagten, es war gerade in der Zeit, nachdem das Wunder geschehen, ließ Landammann Schorno von Schwyz am 19. April darüber Bericht erstatten.

Einen Monat später machten die Schwyzer ihre gewohnte Pfingstwallfahrt zu Unserer Lieben Frau nach Einsiedeln. Die Behörden ließen durch einen Boten die geheilte Tochter auf den 23. Mai 1580 rufen. Mit Freuden legte sie wieder den Weg von Uznach nach Einsiedeln zurück, betend und dankend. Am Ort ihrer Heilung zwang es sie in die Knie. Sie erlebte gleichsam das Wunder von neuem, sah im Geiste den weißen Mann, der sie im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit von ihrem Leibesübel befreit und ihre Seele mit Wonne erfüllt hatte. Als Anna darauf vor den angesehenen Männern stand, überkam sie die gewohnte Schüchternheit, aber sie wußte, daß Maria durch ihren Bericht geehrt würde. Und es gab für sie seit ihrer Heilung keinen innigeren Wunsch mehr als diesen. Und so stand sie vor den Herren, beantwortete alle ihre Fragen und erzählte genau, wie sich die Sache zugetragen. Mancher von ihnen hatte das verkrüppelte Mädchen schon früher gekannt. Umso erschütternder wirkte auf sie der Vorfall. Sie faßten den Beschluß, zum Dank dafür an der Stelle, wo das Wunder geschehen, eine Kapelle zu erbauen. Sobald dies unter dem Volk bekannt wurde, flossen reichliche Gaben und ermöglichten den Bau der Kapelle am Linthport, so daß diese am 22. Mai 1584 eingeweiht werden konnte. Anna war bei der Feier wohl kaum dabei. Die Cisterzienserinnen in der Au bei Steinen hatten das «Wunderkind» in ihre Gemeinschaft aufgenommen.

Was damals Unsere Liebe Frau von Einsiedeln am «Stumpenröckli» gewirkt, erzählte das Volk weiter, so daß noch nach Generationen davon gesprochen wurde. Schriftlich war der Bericht ja bereits sofort nach dem Ereignis festgehalten und vom Nuntius Bonhomini als Wunder anerkannt und dem Papst gemeldet worden. Auch wir heutigen wunderscheuen Menschen könnten wohl diese seltsame Begebenheit, daß einem Menschen Gliedmaßen, die ihm sozusagen gefehlt, plötzlich gewachsen sind, nicht wie so manches psychologisch erklären. Demütig müssen wir bekennen: «Bei Gott ist kein Ding unmöglich.»

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Quelle: Ida Lüthold-Minder: „Madonna im finstern Wald – Aus der Wallfahrtsgeschichte Unserer Lieben Frau von Einsiedeln – Wendelinsverlag Einsiedeln, 2. Auflage 1976, Seiten 63-71

Ein Kommentar zu “Wie die Einsiedler Muttergottes dem armen «Stumpenröckli» geholfen hat

  1. Das „Stumpenröckli“ gehört eben zu jenen „Kleinen“, die dem Herrn so teuer sind.
    „Dein Glaube hat dir geholfen“ war hier das Lösungswort.

    Zu jener Zeit hob Jesus an und sprach: “ Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast!“
    (Mtth 11,25)

    Die Offenbarung an „Stumpenröckli“ war: „Dort wirst du von deiner Gebrechlichkeit geheilt“. Und sie glaubte daran, was es in seinem Inneren hörte. – Und ging!

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